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Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
2Streitig ist ein Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung.
3Der Kläger ist Facharzt für Allgemeinmedizin. Durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 29.05.2013 - 170 Js 140/12 743 Ds 7/13 - wurde er wegen Betruges in 5 Fällen gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, § 56, § 53, § 25 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach Ablauf der bis zum 28.05.2016 reichenden Bewährungszeit wurde die Strafe mit Wirkung vom 28.06.2016 erlassen.
4Zum Zeitpunkt der Tatbegehung (letzte Tat: April 2011) waren der Kläger und seine Ehefrau in E im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Zur Vermeidung formeller Honorarrückforderungs-, Zulassungsentziehungs- und Regressverfahren schlossen sie im März 2014 mit der KVWL einen Vergleich, nach welchen sie neben der Verpflichtung zur Rückzahlung von Honoraren in Höhe von 88.000,- EUR und zum Ausgleich des den Krankenkassen entstandenen Schadens in Höhe von 26.000,- EUR unwiderruflich mit Wirkung zum 30.09.2014 auf ihre vertragsärztliche Zulassung verzichteten.
5Unter dem 30.06.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Genehmigung zur Teilnahme an dem Vertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und der Beklagten sowie der KVWL über die Durchführung der ärztlichen Untersuchung auf übertragbare Krankheiten nach § 62 Abs. 1 AsylG und die ärztliche Versorgung nach § 4 AsylbLG von Asylbewerbern in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes NRW (Vertrag GUGV-Asyl KV/Land).
6Mit Bescheid vom 08.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers wegen Abrechnungsbetruges bestünden aus ihrer Sicht erhebliche Zweifel an seiner Geeignetheit für die Versorgung.
7Hiergegen richtet sich die am 26.01.2017 erhobene Klage.
8Der Kläger trägt vor, er sei seit seinen Verfehlungen in den Jahren 2009 bis 2011 mit Billigung der KVWL über 33 Monate als Vertragsarzt tätig gewesen, ohne dass es zu weiteren Verfehlungen gekommen sei. Zwischenzeitlich sei eine Karenzzeit von über sechs Jahren seit den Verfehlungen verstrichen. Eine "Bewährungszeit" im zulassungsrechtlichen Sinne von über fünf Jahren dürfe nur in besonders gravierenden Fällen überschritten werden; ein solcher Fall liege hier nicht vor. Seine vertragsärztliche Tätigkeit im Zeitraum 2012 bis 30.09.2014 sei völlig ausreichend gewesen, um feststellen zu können, ob er wieder für die vertragsärztliche Tätigkeit geeignet sei oder nicht. Sein Wohlverhalten von 2014 bis 2017 stütze die Vermutung seiner Geeignetheit zusätzlich. Bei erneutem - nicht zu erwartenden - Fehlverhalten bestehe für die Beklagte abermals die Möglichkeit, die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen (z.B. Disziplinarverfahren, Honorarkürzungen, erneute Zulassungsentziehung). Mit der Ablehnung seines Antrages habe die Beklagte den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Grundrecht der Berufsfreiheit missachtet.
9Der Kläger beantragt:
101. Der Bescheid vom 08.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2017 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Antrag des Klägers zur Teilnahme an dem Vertrag über die Durchführung der ärztlichen Untersuchung auf übertragbare Krankheiten nach § 62 Abs. 1 AsylG und die ärztliche Versorgung nach § 4 AsylbLG von Asylbewerbern in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes NRW stattzugeben. 3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung des Klägers.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie verteidigt ihre Entscheidung und hält den Kläger für ungeeignet für die Versorgung. Der Kläger sei wegen gewerbsmäßigen Betruges rechtskräftig verurteilt worden. Damit komme der Verurteilung eine besondere Schwere zu. Die sei eine besonders gröbliche Pflichtverletzung, die die Teilnahme am vertragsärztlichen System ausschließe. Dies werde nicht dadurch relativiert, dass die KVWL mit dem Kläger einen Vergleichsvertrag abgeschlossen habe.
14Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichts-gesetzes (SGG), da diese nicht rechtswidrig sind.
17Nach § 2 Abs. 2 des Vertrages GUGV-Asyl KV/Land können nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte auf Antrag an diesem Vertrag nach den Regelungen des Heilberufsgesetzes NRW teilnehmen, wenn sie über eine abgeschlossene Gebietsweiterbildung verfügen und sich nach Anlage 2a bzw. 2b gegenüber der für ihren Wohnsitz zuständigen KV schriftlich verpflichtet haben, die Bestimmungen dieses Vertrages ( )anzuerkennen und einzuhalten. Bei Vorliegen der Teilnahmevoraussetzung erteilt die jeweils zuständige KV eine Genehmigung zur Abrechnung der Leistungen nach diesem Vertrag.
18Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Er verfügt über eine abgeschlossene Gebietsweiterbildung als Facharzt für Allgemeinmedizin und hat sich den Bedingungen des Vertrages unterworfen.
19Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass für die Teilnahme an dem Vertrag aber auch die allgemeinen Grundsätze für die Versorgung heranzuziehen sind. Deren Geltung erkennt der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt mit seiner Unterschrift auf der Abrechnungserklärung (Anlage 5b) des Vertrages an. Darin heißt es: "Die Bestimmungen des o.g. Vertrages sowie die insoweit geltenden Grundsätze des Vertragsarztrechts sind mir bekannt und werden von mir anerkannt".
20Die entsprechende Anwendung der insoweit geltenden Grundsätze des Vertragsarztrechts folgt im Übrigen daraus, dass die Bestimmungen des Vertrages den Regelungen des Vertragsarztrechts nachgezeichnet sind (quartalsweise Abrechnung über die KVen, Vorlage von Krankenbehandlungsscheinen, Vergütung der ärztlichen Leistungen nach der regionalen Euro-Gebührenordnung ( ) gemäß § 87a SGB V bzw. nach Symbolnummern wie bei zahlreichen Verträgen der KVen mit den gesetzlichen Krankenkassen, Prüfung der Abrechnung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit sowie vor allem die Bezugnahme auf § 95 SGB V bei den gemäß § 2 Abs. 1 des Vertrages teilnehmenden Vertragsärzten und anderen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten und Einrichtungen).
21Gemäß § 95 Abs. 2 Satz 4 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) i.V.m. § 21 der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) setzt die Ausübung der Kassenpraxis eine Eignung des Arztes voraus. Da die Maßstäbe an die Geeignetheit der Leistungserbringer für den vorliegenden Versorgungsauftrag für Vertragsärzte und Privatärzte gleich sein müssen, hat die KV bereits im Verfahren der Erteilung der Genehmigung nach § 2 Abs. 2 des Vertrages zu prüfen, ob der Privatarzt für die Teilnahme an dem Vertrag geeignet ist. Denn nachträgliche Sanktionsmaßnahmen scheiden weitgehend aus. Disziplinarmaßnahmen kann die KV gegenüber einem Privatarzt nicht verhängen, da dieser als Nichtmitglied der KV nicht deren Satzungsgewalt unterworfen ist. Eine Zulassungsentziehung scheidet aus, da der Privatarzt gerade keine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung besitzt. In Betracht käme allenfalls eine Kündigung des Vertrages bei grober Verletzung der Vertragspflichten (§ 14 Abs. 2 des Vertrages). Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung sieht § 9 des Vertrages zwar vor. Naturgemäß beschränkt sich diese Prüfung aber im Wesentlichen darauf, welche Untersuchungen und welche Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (§ 4 AsylbLG) der Arzt zur Abrechnung gestellt hat und welche Symbolnummern dafür anzusetzen sind. Keine Prüfung gibt es jedoch regelmäßig dahin, ob der Arzt die von abgerechneten Leistungen auch tatsächlich erbracht hat. Insofern muss die KV auf die Angaben des Arztes vertrauen dürfen. Dieses Vertrauen ist deshalb von so entscheidender Bedeutung, weil ordnungsgemäße Leistungserbringung und peinlich genaue Abrechnung lediglich in einem beschränkten Umfang der Überprüfung durch die KV zugänglich sind. Insbesondere die Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung gehört daher zu den Grundpflichten des Arztes. Der Arzt verstößt hiergegen, wenn er Leistungen abrechnet, die er entweder nicht oder nicht vollständig oder - sofern sie sein Tätigwerden voraussetzen - nicht selbst erbracht hat. Auch die beiden letztgenannten, häufig nur schwer nachzuweisenden Formen des Abrechnungsbetruges wiegen nicht weniger schwer als die Abrechnung von Leistungen, die von vornherein nicht erbracht worden sind (vgl. bereits BSG, Urteil vom 24.11.1993 - 6 RKa 70/01 -; st. Rspr.).
22Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger gegenwärtig nicht zur Teilnahme an dem Vertrag geeignet ist. Der Kläger hat gegenüber der KVWL Methadon-Leistungen abgerechnet, die er mangels Anwesenheit in seiner Praxis nicht selbst erbracht hat (vgl. insoweit auch Nr. 7 des mit der KVWL geschlossenen Vergleiches).
23Das Vertrauen gegenüber der Beklagten und dem Land NRW, vertreten durch die Bezirksregierungen, hat der Kläger noch nicht wiederhergestellt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht davon aus, dass für ein "Wohlverhalten" eine "Bewährungszeit" von regelmäßig fünf Jahren zu verstreichen hat. Diese beginnt bei Zulassungsentziehungen ab der Verhandlung bzw. Entscheidung des Berufungsausschusses (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17.10.2012 - B 6 KA 49/11 R (Rn. 56); BSG, Beschluss vom 15.08.2012 - B 6 KA 3/12 B (Rn. 15)). Legt man entsprechend hier das Datum des Vergleichsabschlusses mit der KVWL zugrunde, so läuft die "Bewährungszeit" nicht vor März 2019 ab.
24Unverhältnismäßig ist der gegenwärtige Ausschluss des Klägers von der Teilnahme an dem Vertrag nicht; ebenso wenig erweist er sich als Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Der Kläger verfügt nach wie vor über seine Approbation, die ihm die Ausübung des ärztlichen Berufes gestattet. Er kann daher Privatpatienten behandeln (das Leistungsspektrum auf der Homepage http://www.b1m1m2b2e1ve2b3spwb4.de/praxis/privatleistungen weist ein breites privatärztliches Leistungsspektrum aus), ggf. als angestellter Arzt in einer anderen Praxis, oder er wird für eine begrenzte Zeit auf andere ärztliche Berufsfelder auszuweichen haben.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.