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Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.10.2017 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger während einer stationären Entwöhnungsbehandlung vom 17.10.2016 bis zum 02.03.2017 einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) hat.
3Der am 00.00.1979 geborene Kläger ist in Russland geboren und im Alter von 12 Jahren gemeinsam mit seinen Eltern nach Deutschland gezogen. Er konsumierte seit seinem 16. Lebensjahr Drogen (Haschisch, Alkohol), seit seinem 17. Lebensjahr auch Heroin. Er leidet an einer paranoiden Schizophrenie und finanzierte seinen Betäubungsmittelkonsum durch verschiedene Straftaten, insbesondere durch Diebstähle. Verschiedene Therapieversuche blieben ohne Erfolg. Bereits 2006 wurde der Kläger vom Amtsgericht Bonn wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Auch 2007 und 2008 wurden Freiheitsstrafen wegen Diebstahls, Leistungserschleichung und gewerbsmäßigen Diebstahls durch das Amtsgericht Bonn verhängt. Mit weiterem Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 13.07.2011 (73 Ds-115 Js 71/11-40/11) wurde der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Strafvollstreckung wurde vor dem Hintergrund einer bereits vorbereiteten Drogentherapie nach § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zurückgestellt. Der Kläger begann dann am 31.08.2011 eine stationäre Krankenhausbehandlung in der psychosomatischen Klinik Bergisch-Gladbach (Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen) und nachfolgend ab dem 20.09.2011 eine stationäre medizinische Rehabilitationsbehandlung in dem dieser Klinik zugehörigen „Haus K“. Dort wurde er am 13.01.2012 vorzeitig gegen ärztlichen Rat entlassen. Die Zurückstellung der Strafe wurde daraufhin aufgehoben und der Kläger war vom 07.02.2012 bis zum 16.07.2012 inhaftiert. Dabei wurde die Zeit des Aufenthalts in der Therapieeinrichtung auf die Strafe angerechnet. Ab dem 17.07.2012 hat der Kläger im „Haus K“ erneute eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme (Entwöhnungsbehandlung Drogen) erhalten. Zuvor war er mit Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 11.07.2012 (73 Ds-115 Js 2164/11-111/12) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt worden. Die Strafvollstreckung wurde erneut nach § 35 BtMG zurückgestellt. Der Kläger wurde aus dieser Maßnahme am 14.01.2013 regulär entlassen. Die Zeit des Aufenthalts wurde auf die Strafe angerechnet und die Reststrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt (Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 14.02.2013). Auch in der Folgezeit beging der Kläger erneut verschiedene Diebstähle und wurde deshalb mit Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 09.04.2014 wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt (73 Ds-666 Js 2075/13-282/13). Er befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer therapeutischen Maßnahme in der sozialtherapeutischen Einrichtung „Die S“. Dem Kläger wurde deshalb vom Amtsgericht Bonn nach § 56 Abs. 2 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) die Weisung erteilt, diese Maßnahme weiter durchzuführen und die Einrichtung nicht ohne Einwilligung seines gesetzlichen Betreuers zu verlassen. Gegen diese Anweisung hat der Kläger verstoßen und die Klinik am 08.05.2015 verlassen. Der Kläger wurde daraufhin am 20.08.2015 zur Vollstreckung der Freiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Bonn vom 11.07.2012, vom 13.07.2011 und vom 09.04.2014 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) T inhaftiert. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt ohne festen Wohnsitz und in der Notunterkunft „Haus U“ in Bonn gemeldet. Er war bis zum Hafteintritt bei der AOK Rheinland krankenversichert und bezog Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Der Kläger musste eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, eine Restfreiheitsstrafe von 79 Tagen und eine weitere Reststrafe von 153 Tagen verbüßen. Das Ende der Strafe wurde mit dem Datum 28.03.2017 berechnet. Ein im März 2016 gestellter Antrag auf vorzeitige Entlassung gemäß § 57 Abs. 1 StGB war erfolglos.
4Der Kläger beantragte am 16.03.2016 die Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme für Abhängigkeitskranke bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland. Diese lehnte den Antrag auf Kostenübernahme mangels Zuständigkeit ab und leitete ihn nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) an den beigeladenen Landschaftsverband Rheinland (LVR) weiter. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) seien nicht erfüllt und der Kläger sei nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse. Der Beigeladene holte eine fachärztliche Stellungnahme des behandelnden Facharztes für Psychiatrie Dr. A ein, der am 11.08.2016 mitteilte, dass der Kläger an einem drogenassoziierten paranoiden Schizophrenie und einem Abhängigkeitssyndrom bei multiplem Substanzgebrauch leide. Die Psychose sei unter Medikation remittiert. Der Kläger zeige Krankheitseinsicht und sei zu einer Entwöhnungsbehandlung motiviert. Aus fachärztlicher Sicht könne eine gute Prognose angenommen werden. Mit Bescheid vom 19.08.2016 übernahm der Beigeladene die Kosten der Entwöhnungsbehandlung für eine Therapiedauer von 20 Wochen und bewilligte dem Kläger einen Barbetrag von monatlich 109,08 Euro. Der Kläger wurde dazu aufgefordert, noch am Aufnahmetag einen Antrag auf Arbeitslosengeld II beim Jobcenter zu stellen. Gegenüber dem Beklagten stellte der Beigeladene außerdem mit Schreiben vom selben Tag einen Antrag auf Feststellung von SGB II-Leistungen von Amts wegen nach § 95 SGB XII. Gleichzeitig machte er einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (insbesondere hinsichtlich des monatlichen Barbetrags nach § 27b SGB XII) geltend und bat um Mitteilung der zuständigen Krankenkasse, um auch gegenüber dieser Erstattungsansprüche geltend zu machen.
5Am 06.09.2016 beantragte der Kläger bei der Staatsanwaltschaft Bonn die Zurückstellung der Strafe nach § 35 BtMG. Er wolle ab dem 17.10.2016 eine erneute stationäre medizinische Rehabilitationsbehandlung (Entwöhnungsbehandlung im Sinne von § 35 BtMG – Drogen) in der Psychosomatischen Klinik Bergisch Land gGmbH „Haus K“ in Wermelskirchen beginnen. Alle Voraussetzungen für die Aufnahme seien erfüllt. Mit Beschluss vom 14.09.2016 stimmte das Amtsgericht der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zu. Mit Beschluss vom 06.10.2016 stellte die Staatsanwaltschaft Bonn daraufhin die Strafvollstreckung aus den Urteilen des Amtsgerichts Bonn vom 09.04.2014 und vom 13.07.2011 nach § 35 Abs. 1 BtMG mit Wirkung zum 17.10.2016 zurück. Der Kläger wurde dazu verpflichtet, sich in der Therapieeinrichtung einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung zu unterziehen. Er wurde darauf hingewiesen, dass die Zurückstellung widerrufen werden könne, wenn die erforderlichen Therapienachweise nicht erbracht werden oder die Therapie nicht begonnen oder abgebrochen wird (§ 35 Abs. 5 und 6 BtMG). Der Kläger wurde am 17.10.2016 in der Therapieeinrichtung „Haus K“ aufgenommen, nachdem ein zuvor durchgeführtes Drogenscreening keinen Drogenkonsum ergeben hat. Ihm wurde ein Überbrückungsgeld in Höhe von 497,52 Euro ausgezahlt. Die Staatsanwaltschaft Bonn wurde regelmäßig von der Therapieeinrichtung über den Therapieverlauf informiert. Der Kläger wurde am 02.03.2017 aus der Maßnahme regulär/arbeitsfähig entlassen. Mit Beschluss vom 14.06.2017 wurde die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass eine Anrechnung der Therapiezeit auf die Strafe nicht erfolge, weil der Kläger bereits zwei Drittel der Strafe verbüßt habe. Der Kläger war nach seiner Entlassung zunächst unter der Adresse T1-Straße 0 (Wohnung der Eltern) in Bonn gemeldet. Dort hielt er sich zunächst auch auf, ist dann aber erneut in die Notunterkunft, Haus U, T2-Straße 0, Bonn, gezogen. Er bezog Leistungen vom Jobcenter in Bonn.
6Während des Aufenthalts in der Klinik „Haus K“ beantragte der Kläger am 25.10.2016 über seinen damaligen Betreuer bei dem Beklagten die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II. Als Anschrift gab er das Obdachlosenheim T2-Straße 0 in Bonn an. Über einen festen Wohnsitz verfüge er nicht. Neben dem ausgezahlten Überbrückungsgeld verfüge er lediglich über ein Sparbuchguthaben in Höhe von 95,88 Euro. Auf weitere Nachfrage des Beklagten gab der Kläger an, dass er in der Vergangenheit bereits Drogenentwöhnungsbehandlungen in der Klink und in einer anderen Klinik erhalten habe. Eine nachfolgende Adaptionsbehandlung sei nicht beabsichtigt. Eine solche Behandlung habe er auch zuvor noch nicht erhalten. Eine Anschlusslösung nach der Therapie sei noch nicht gefunden worden. Zur Begründung seines Antrags legte der Kläger ein Schreiben der Klinik vom 12.12.2016 vor, in dem der Dipl. Sozialpädagoge C X mitteilt, dass die Behandlung in der Klinik aufgrund der Wiederholungsbehandlung auf 20 Wochen begrenzt sei. Eine anschließende Adaptionsbehandlung werde aktuell nicht angestrebt.
7Mit Bescheid vom 16.12.2016 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab. Nach dem Behandlungskonzept des „Hauses K“ liege die Behandlungsdauer bei einer Abhängigkeit von illegalen Drogen im Regelfall bei 38 Wochen. Daran anschließend sei eine Adaptionsbehandlung von vier Wochen erforderlich. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die Regeltherapiedauer sechs Monate überschreite und daher kein Anspruch auf SGB II-Leistungen bestehe. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 4 SGB II. Mit Schreiben vom selben Tag teilte der Beklagte dem Beigeladenen mit, dass der Erstattungsanspruch nach §§ 102 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht befriedigt werde, weil der Kläger keinen Anspruch nach dem SGB II habe. Der Kläger legte gegen den Ablehnungsbescheid am 28.12.2016 Widerspruch ein. Die voraussichtliche Behandlungsdauer müsse aufgrund der individuellen Besonderheiten des Patienten prognostiziert werden. Sie läge hier nach der Aussage der Klinik nur bei 20 Wochen. Er sei am 02.03.2017 regulär und arbeitsfähig aus der Klinik entlassen worden, die Behandlungsdauer habe damit auch tatsächlich nicht 20 Wochen überstiegen.
8Mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.2017 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II sei gegeben, weil bei Aufnahme des Klägers auf der Grundlage des Klinikkonzeptes der „Klinik K“ von einer Behandlungsdauer von mindestens sechs Monaten auszugehen gewesen sei. Die Kostenzusage des Beigeladenen sei für die Bewertung nicht maßgeblich, da diese Zusage verlängert werden könne. Da die letzte Entwöhnungsbehandlung des Klägers mehr als ein Jahr zurückliege, könne auch unter Berücksichtigung einer wiederholten Behandlung keine reduzierte Behandlungsdauer angenommen werden. Eine Prognose zum Einzelfall könne nach dem Klinikkonzept erst eine Woche nach Aufnahme abgegeben werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme es allerdings auf die Prognose bei der Aufnahme an. Es müsse daher auf die Regeltherapiedauer abgestellt werden. Diese liegt bei einer Drogenentwöhnung bei sechs Monaten. Aus der vorgelegten Bescheinigung werde nicht deutlich, weshalb im Einzelfall des Klägers eine verkürzte Behandlung in Betracht gekommen sei. In seinem jüngsten Urteil habe das BSG zudem einen drohenden Trägerwechsel als Voraussetzung für einen Leistungsbezug nach dem SGB II genannt. Eine solche Konstellation liege hier nicht vor.
9Der Kläger hat hiergegen am 17.03.2017 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben. Auch aus dem Konzept der Klinik ergebe sich, dass die Behandlungsdauer individuell festzulegen sei. Insbesondere der Umstand einer Wiederholungsbehandlung könne zu einer Verkürzung führen. Eine Dauer von mehr als 20 Wochen sei zu keinem Zeitpunkt thematisiert worden.
10Der Beklagte hat darauf verwiesen, dass die Gesundheitslage des Klägers nach der Entlassung nicht darauf schließen lasse, dass die Behandlungsziele einer Drogenentwöhnungstherapie erreicht werden. Sein Betreuer habe auf eine psychische Erkrankung des Klägers und die dringende Erforderlichkeit einer Tagesstrukturierung hingewiesen. Eine psychische Erkrankung führe aber zu einer Verlängerung der Therapiedauer. Die bei einer Langzeitdrogenentwöhnung regelmäßig erforderliche nachfolgende Adaptionsbehandlung, die ebenfalls vollstationär durchzuführen sei, sei zudem mit zu berücksichtigen. Dies gelte auch dann, wenn eine diesbezügliche Kostenzusage vor Beginn der Behandlung noch nicht erteilt worden sei. Im Übrigen drohe auch kein Wechsel aus dem Leistungssystem des SGB II in das des SGB XII, weil der Kläger vor der Rehabilitationsmaßnahme keine Leistungen nach dem SGB II erhalten, sondern sich in Haft befunden habe.
11Das Sozialgericht hat den Entlassungsbericht der „Klinik K“ vom 20.03.2017 beigezogen und eine fachärztliche Stellungnahme von Dr. J, Chefarzt der „Klinik K“, eingeholt. Dieser hat am 11.07.2017 mitgeteilt, dass die Klinik im Zeitpunkt der Aufnahme des Klägers von einer Behandlungszeit von vier bis fünf Monaten ausgegangen sei. Das Behandlungskonzept der Klinik sehe einen Behandlungszeitraum von maximal sechs Monaten bei Erstbehandlungen vor, der Kläger habe bereits vier Therapien in der Einrichtung absolviert. Die paranoide Schizophrenie sei bei der Aufnahme medikamentös gut eingestellt gewesen und eine Nachsorgemöglichkeit über den Betreuer geregelt. Eine nachfolgende Adaptionsbehandlung habe der Kläger abgelehnt. Ihre Durchführung sei optional und stets im Einzelfall, auch unter Berücksichtigung der Bereitschaft des Patienten, zu prüfen.
12Mit Urteil vom 23.10.2017 hat das Sozialgericht den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dazu verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum 17.10.2016 bis 02.03.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, dass der Kläger nicht nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei, da für ihn die Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II gelte. Bei seiner Aufnahme sei prognostisch von einer Behandlungsdauer von 20 Wochen auszugehen gewesen. Maßgeblich seien insoweit das Klinikkonzept und die bei der Aufnahme individuell vorliegenden medizinischen Erkenntnisse. Dabei sei nicht auf den Tag abzustellen, in dem der Patient in die Krankeneinrichtung komme, sondern auf den Tag, an dem die für den Behandlungsbeginn erforderliche Eingangsdiagnostik abgeschlossen ist. Diesbezüglich sei von den zuständigen Ärzten im Zeitpunkt der Aufnahme eine Behandlungsdauer von vier bis fünf Monaten prognostiziert worden. Dieser nachvollziehbaren Einschätzung sei zu folgen. Da der Kläger während der Unterbringung in der JVA keine SGB XII-Leistungen bezogen habe, werde durch die Gewährung von SGB II-Leistungen auch kein Systemwechsel bewirkt. Die diesbezügliche Rückausnahme greife nicht.
13Gegen das am 30.10.2017 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 24.11.2017 Berufung eingelegt. Der Kläger habe bei Aufnahme in der Klink dem Patiententyp entsprochen, der üblicherweise für sechs Monate und mehr aufzunehmen sei, um eine aussichtsreiche Behandlung zu gewährleisten. Eine verkürzte Therapiedauer komme nur unter besonderen Umständen in Betracht, die gerade bei dem Kläger nicht vorliegen würden. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Adaptionsbehandlung als zweiter Teil der Behandlung bei der Berechnung der Leistungsdauer mitzuzählen sei. Dies habe auch die gerichtlich bestellte Sachverständige nicht berücksichtigt. Auch bei einem Anschlussaufenthalt in einem soziotherapeutischen Wohnheim handele es sich zudem um einen Aufenthalt in einer stationäre Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II, so dass richtigerweise prognostisch davon hätte ausgegangen werden müssen, dass der Kläger länger als sechs Monate stationär untergebracht werden würde. Auf die Motivation des Klägers zur Weiterbehandlung könne im Übrigen nicht abgestellt werden, weil sich diese jederzeit während der Behandlung ändern könne. Maßgeblich sei, was aus Sicht der behandelnden Ärzte sinnvoll sei. Unabhängig davon sei der Aufenthalt in der Klinik auch als Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung anzusehen. Ein Leistungsausschluss sei deshalb auch nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II gegeben. Der diesbezüglichen Entscheidung des Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) (Urteil vom 25.06.2020 – L 19 AS 1426/19), wonach auch Einrichtungen der Drogenhilfe nach den §§ 35, 36 BtMG eine Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung sein könnten, sei zu folgen. Sie sei auch auf das vorliegende Verfahren übertragbar.
14Der Beklagte beantragt,
15das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.10.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
16Der Kläger beantragt,
17die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.10.2017 zurückzuweisen.
18Der Beigeladene beantragt,
19die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 23.10.2017 zurückzuweisen.
20Der Kläger und der Beigeladene halten das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Die medizinischen Ermittlungen hätten eindeutig ergeben, dass bei der Einweisung in die Klinik prognostisch von einer Behandlungsdauer von maximal 26 Wochen auszugehen gewesen sei. Insbesondere das Sachverständigengutachten von Dr. B stütze diese Einschätzung der prognostischen Behandlungsdauer. Auch die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II (Aufenthalt zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung) seien nicht erfüllt. Der Aufenthalt in einer Fachklinik zur Drogenentwöhnung unter Zurückstellung der Strafe nach §§ 35, 36 BtMG sei auch nicht als Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung anzusehen. Der diesbezüglichen Auffassung des LSG NRW werde nicht gefolgt. Das LSG habe in seiner Entscheidung den Begriff „richterlich angeordnete Freiheitsstrafe“ zu weit ausgelegt. Auch das Argument der Vermeidung eines kurzfristigen Systemwechels treffe nicht zu, weil der Aufenthalt in einer JVA nicht dem Grunde nach dem Leistungsregime des SGB XII zuzuordnen sei. Wenn der Aufenthalt in der Drogenentwöhnung bzw. in der nachfolgenden Adaption als Fortführung der Haft in der JVA anzusehen wäre, wäre es zudem folgerichtig, dass der Krankenversicherungsschutz für Gefangene weiter greife. Die Kosten der Entwöhnung müssten dann theoretisch über die JVA sichergestellt werden.
21Der Senat hat das therapeutische Konzept der Klinik „Haus K“ und den ärztlichen Behandlungsverlauf von Dr. D, der den Kläger unter anderem auch in der JVA T behandelt hat, beigezogen. Nach dem Behandlungskonzept der Klinik wird die Behandlungsdauer individuell festgelegt. Dabei spielen nach dem Einleitungstext zum Therapiekonzept verschiedene Gesichtspunkte, wie Kosten- bzw. Leistungszusage, Therapieverlauf und eine eventuell bestehende psychiatrische Zusatzerkrankung, eine Rolle. Eine Behandlung kann daher inklusiv der adaptiven Phase bei Vorliegen einer sogenannten Doppeldiagnose bis zu 42 Wochen dauern. Unter Punkt 4.4 des Konzeptes (Therapiedauer) wird betont, dass je nach Schwere des Krankheitsbildes und der Vorbehandlung des Einzelnen eine flexible Behandlungsdauer erforderlich ist. Sie soll - den Grundsätzen von Individualisierung und Flexibilisierung folgend – so kurz wie möglich und so lange wie notwendig sein. Bei sogenannten Wiederholern ist sie häufig kürzer, weil zumeist auf die Erfahrungen der vorhergehenden Therapie zurückgegriffen werden kann. Wenn die vorangegangene Entwöhnungsbehandlung weniger als ein Jahr zurückliegt, geht die Klinik von einer Entwöhnungsbehandlung von 18 Wochen aus. Bei Vorliegen erheblicher psychiatrischer Störungen ist im Einzelfall jedoch auch mit längeren Therapiezeiten zu rechnen. Nach Abschluss der dritten Therapiephase steht dem Rehabilitanden eine reguläre Entlassung nach Hause mit anschließender ambulanter Weiterbetreuung oder eine vierte adaptive Behandlungsphase offen (4.5.1 des Behandlungskonzeptes). Diese umfasst ca. 12 bis 16 Wochen. In dieser Phase stehen Belastungs- und externe Arbeitserprobung im Vordergrund (4.5.2 des Behandlungskonzeptes). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Behandlungskonzeptes Bezug genommen.
22Der Senat hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrisch-suchtmedizinischen Sachverständigengutachtens von Dr. B, Chefärztin der Fachklinik L in Essen. Diese gelangt in ihrem Gutachten vom 11.10.2019 und ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 12.02.2020 zu dem Ergebnis, dass die Ärzte der „Klinik K“ zum Zeitpunkt der Aufnahme des Klägers davon ausgehen konnten, dass die stationäre Rehabilitationsbehandlung voraussichtlich weniger als sechs Monate dauern werde. Die prognostische Einschätzung der Behandlungszeit von vier Monaten sei sowohl aus suchtmedizinischer als auch aus psychiatrischer Sicht nachvollziehbar. Eine sich an die Entwöhnungsbehandlung anschließende Adaptionsphase sei grundsätzlich optional. Für die Sinnhaftigkeit einer solchen Behandlung hätten aus suchtmedizinischer Sicht die Wohnungslosigkeit des Klägers und die Arbeitslosigkeit gesprochen. Gegen eine solche Behandlung habe aus psychiatrischer Sicht die deutlich reduzierte Stresstoleranz und die deutlich reduzierte Belastungsfähigkeit gesprochen. Aus diesem Grund sei unter Berücksichtigung der langjährigen Psychose eine stationäre Nachsorge in Form eines sozialtherapeutischen Wohnheims indiziert gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens vom 11.10.2019 und der ergänzenden Stellungnahme vom 12.02.2020 Bezug genommen.
23Der Senat hat die den Kläger betreffenden Strafakten der Staatsanwaltschaft Bonn (115 Js 71/11 V, Js 240/11 V, 115 Js 444/11 V, 1115 Js 466/11 V, 115 Js 781/11 V, 115 Js 890/11 V, 115 Js 1153/11 V und 115 Js 2164/11 V) sowie, das Vollstreckungsheft der JVA T beigezogen. Auf den Inhalt dieser Akten und den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten und des Beigeladenen wird Bezug genommen. Die Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
24Entscheidungsgründe:
25Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
26Streitgegenstand des Verfahrens sind das Urteil des Sozialgerichts vom 23.10.2017 und der Bescheid des Beklagten vom 16.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017, mit dem dieser den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II abgelehnt hat. Streitig ist nach dem Antrag des Klägers der Zeitraum vom 17.10.2016 bis zum 02.03.2017. Der Kläger macht sein Leistungsbegehren zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), gerichtet auf ein Grundurteil (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG), geltend.
27Die Berufung ist trotz der bereits vom Beigeladenen im streitigen Zeitraum erbrachten Leistungen nach dem SGB XII zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes von mehr als 750 Euro ist erreicht. Der Kläger begehrte mit seiner Klage ein Grundurteil über seinen Anspruch auf SGB II-Leistungen. Allein mit der im streitigen Zeitraum maßgeblichen monatlichen Regelleistung nach § 20 SGB II wird dieser Betrag erreicht. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass bei der Höhe eines SGB II-Zahlungsanspruchs des Klägers vom beigeladenen Sozialhilfeträger bereits erbrachte Leistungen nach dem SGB XII wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 12.11.2015 – B 14 AS 6/15 R, Rn. 12 bei juris).
28Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Unrecht dazu verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide für den streitigen Zeitraum Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II zu gewähren.
29Der Beklagte ist in diesem Zeitraum allerdings der örtlich zuständige Leistungsträger und damit der richtige Beklagte, weil der Kläger im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seinen tatsächlichen Aufenthaltsort hatte. Maßgeblich für die Zuständigkeit eines Leistungsträgers ist nach § 36 Abs. 1 Satz 1 iVm § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II grundsätzlich der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers an dem Tag, an dem er die Leistung beantragt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt in einer JVA oder einer Rehabilitationsklinik zunächst nichts an der aufgrund eines gewöhnlichen Aufenthalts nach § 36 Abs. 1 SGB II begründeten örtlichen Zuständigkeit ändert (vgl. BSG, Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 66/13 R, Rn. 11 bei juris). Dies soll jedenfalls bei kürzeren Haftstrafen gelten (vgl. Böttiger in Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 36 Rn. 39) zu denen nach Auffassung des Senats auch noch eine gut einjährige Haftdauer zählt. Zuständig wäre damit das Jobcenter Bonn, wenn der Kläger dort vor der Haft seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Davon ist aber nicht auszugehen. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hat jemand an dem Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt, an dem er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er dort nicht nur vorübergehend verweilt. Erforderlich ist ein Aufenthalt von einer gewissen Dauer und der Wille, den Lebensmittelpunkt an diesem Ort bis auf weiteres - also nicht nur vorübergehend oder besuchsweise – zu begründen. Entscheidend ist, dass sich der Einzelne tatsächlich an einem Ort aufhält, in dem der Schwerpunkt der persönlichen Lebensverhältnisse liegt, und eine auf alle ex ante erkennbaren Umstände gestützte Prognose ergibt, dass der Aufenthalt nicht auf Beendigung, sondern „bis auf weiteres“ im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleib angelegt ist (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2017 – B 8 SO 16/16 R, Rn. 9 bei juris mwN). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich ein konkreter gewöhnlicher Aufenthalt in Bonn vor Hafteintritt nicht feststellen. Der Kläger war zwar in Bonn gemeldet, hatte dort aber keine Wohnung, sondern war tatsächlich seit mehreren Jahren wohnsitzlos und nur unter der Adresse einer Notunterkunft zu erreichen. Es kann deshalb nicht angenommen werden, dass er diesen Aufenthaltsort trotz der Haft und der Therapie zukunftsoffen beibehalten wollte. In diesem Fall ist mangels gewöhnlichen Aufenthaltsortes nach § 36 Abs. 1 Satz 4 SGB II auf den tatsächlichen Aufenthaltsort abzustellen (vgl. im einzelnen Böttiger in Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 36 Rn. 40 und BSG, Urteil vom 14.12.2017 – B 8 SO 16/16 R, Rn. 11 bei juris zur Parallelvorschrift des § 98 SGB XII), also auf den Standort der Klinik „Haus K“ (Wermelskirchen), die sich im Zuständigkeitsbereich des Beklagten befindet.
30Der Kläger erfüllte während seines Aufenthalts in der Klinik „Haus K“ auch die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), war hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Der Kläger war auch erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Er war nach den Feststellungen bei der Aufnahmeuntersuchung der Klinik nicht intoxikiert, cardio-pulmonal stabil und neurologisch unauffällig. Seine Psychose war medikamentös gut eingestellt und der Kläger wurde arbeitsfähig aus der Maßnahme entlassen.
31Der Kläger war im streitigen Zeitraum aber nach § 7 Abs. 4 Satz 1 1. Alt. SGB II von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Die Voraussetzungen der Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II liegen bei ihm nicht vor.
32Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II erhält Leistungen nach dem SGB II unter anderem nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Dies war beim Kläger im streitigen Zeitraum der Fall. Bei der Klinik „Haus K“ handelt es sich schon deshalb um eine stationäre Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II, da die Klinik ein Krankenhaus im Sinne von § 107 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ist. Weil anderenfalls die Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II ins Leere liefe, erfüllen jedenfalls alle Krankenhäuser nach § 107 SGB V die Anforderungen an den Begriff der stationären Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB V. Zu diesen Krankenhäusern im Sinne von § 7 Abs. Satz 3 Nr. 1 SGB II zählen wegen des uneingeschränkten Klammerzusatzes „§ 107 SGB V“ auch die dort in Abs. 2 aufgeführten Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 02.12.2014 – B 14 AS 66/13 R, Rn. 14 bei juris; BSG, Urteil vom 12.11.2015 – B 14 AS 6/15 R, Rn. 15 bei juris). Eine solche Rehabilitationseinrichtung ist die Klinik „Haus K“.
33Die Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II (mindestens 15 Stunden wöchentliche Erwerbstätigkeit) ist bereit mangels Erwerbstätigkeit des Klägers während des Aufenthalts nicht gegeben. Auch die Voraussetzungen für die Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift erhält abweichend von Satz 1 derjenige Leistungen nach dem SGB II, der voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 SGB V) untergebracht ist. Von einer solchen Aufenthaltsdauer des Klägers von voraussichtlich weniger als sechs Monate ist unter Berücksichtigung der durchgeführten medizinischen Ermittlungen zwar ausgehen, die Rückausnahme greift hier aber unter Berücksichtigung ihres Regelungszwecks dennoch nicht ein. Es verbleibt damit beim Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II.
34Ob die Voraussetzung für die Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 1 1. Alt. SGB II gegeben sind beurteilt sich allein nach den Umständen bei der Aufnahme in das Krankenhaus (BSG, Urteil vom 02.12.2014 - B 14 AS 66/13 R, Rn. 16 ff bei juris). Maßgebend für den Leistungsausschluss kann grundsätzlich nur die Lage bei Beginn der Unterbringung sein. Demgemäß ist die zu treffende Prognoseentscheidung über die Dauer der voraussichtlichen Krankenhausunterbringung allein aus der Perspektive bei der Aufnahme in das Krankenhaus zu treffen. Nur bei einer Unterbringung von voraussichtlich mindestens sechs Monaten Dauer soll der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II von Beginn an eingreifen und damit verbunden ggf. ein Wechsel in das Leistungssystem des SGB XII stattfinden (BSG, Urteil vom 12.11.2015 – B 14 AS 6/15 R, Rn. 16 bei juris).
35Die für den Kläger bei Aufnahme in die Klinik „Haus K“ danach zu treffenden Prognoseentscheidung ergibt, dass sein Aufenthalt in der Klinik von vornherein prognostisch auf weniger als sechs Monaten begrenzt war. Hiervon ist der Senat unter Berücksichtigung der beigezogenen ärztlichen Unterlagen, des therapeutischen Konzeptes der Klinik und des eingeholten Sachverständigengutachtens überzeugt.
36Nach dem Behandlungskonzept der Klinik wird die Behandlungsdauer individuell festgelegt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich diese bei einer zusätzlichen psychiatrischen Erkrankung (Doppeldiagnose), wie sie beim Kläger vorliegt, verlängern kann. Bei sogenannten Wiederholern (zu denen der Kläger gehört) kann sich die Behandlungsdauer demgegenüber aber auch verkürzen und ohne adaptive Phase auch bei einer Doppeldiagnose maximal 30 Wochen dauern. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist die von der Klinik zum Zeitpunkt der Aufnahme des Klägers vorgenommene Begrenzung des Aufenthalts auf maximal 20 Wochen schlüssig und nachvollziehbar. Sie wird damit begründet, dass der Kläger keine Adaptionsbehandlung anstrebe und sich in einer Wiederholungsbehandlung befinde. Diesbezüglich führt der behandelnde Chefarzt der Klinik in seiner fachärztlichen Stellungnahme vom 11.07.2017 für das Sozialgericht Köln nachvollziehbar aus, dass der Kläger bereits vier Therapien in der Einrichtung absolviert habe und daher eine Aufarbeitung der Rückfälligkeit auf den bereits zuvor erarbeiteten Grundlagen habe erfolgen können. Er macht außerdem deutlich, dass eine Adaptionsphase nur sinnvoll sei, wenn hierzu eine Bereitschaft des Patienten bestehe, die beim Kläger aber nicht vorhanden gewesen sei. Hinsichtlich der weiteren Erkrankung des Klägers verweist er außerdem darauf, dass die paranoide Schizophrenie bei Aufnahme des Patienten gut eingestellt und deshalb von dieser Erkrankung keine zusätzliche Erschwernis zu erwarten gewesen sei. Dies ist schlüssig und nachvollziehbar. Auch aus dem Arztbrief des Anstaltsarztes der JVA T ergeben sich keine Gesichtspunkte für eine längere Therapiedauer. Der Kläger hatte sich danach stabilisiert und es ergaben sich keine Hinweise auf einen fortgesetzten Konsum illegaler Drogen, so dass nach der Beurteilung des Anstaltsarztes Dr. D auf eine vorgeschaltete Entgiftung bei einer sich unmittelbar an die Haft anschließenden Maßnahme verzichtet werden konnte. Bestätigt wird die Prognose einer nur 20-wöchigen Therapiedauer auch durch den Entlassungsbericht der Klinik vom 20.03.2017. Danach war der Kläger bei der Aufnahme nicht intoxikiert. Geplant war eine dreiphasige integrative Therapie. Der Kläger zeigte während der Therapie kaum psychotische Symptomatik oder Nebenwirkungen, war also psychisch relativ stabil. Die festgelegte Therapiedauer erwies sich auch rückblickend als zutreffend, ohne dass dies Einfluss auf die Richtigkeit der Prognose hätte. Der Kläger konnte arbeitsfähig entlassen werden. Schließlich kommt auch das vom Senat eingeholten Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis, dass bei Aufnahme in die Klinik prognostisch von einer Therapiedauer auszugehen war, die sechs Monate unterschreitet. Die Feststellungen der Sachverständigen Dr. B, die als Fachärztin für Psychiatrie und Suchtmedizin über besondere Kenntnisse und Erfahrungen bei Drogenentwöhnungsbehandlungen verfügt und deshalb die Frage der prognostischen Dauer einer solchen Behandlung fundiert abschätzen kann, sind für den Senat schlüssig und nachvollziehbar. Sie hat nach eingehender Auswertung der medizinischen Befunde unter Berücksichtigung des Therapiekonzeptes der „Klinik K“ folgerichtig dargelegt, dass eine viermonatige Behandlungszeit in dieser Klinik sinnvoll und ausreichend war und wegen der langjährigen Psychose keine nachfolgende Adaptionsbehandlung indiziert war. Soweit sie demgegenüber eine stationäre Nachsorge in einem soziotherapeutischen Wohnheim als erfolgsversprechender angesehen hat, kann sich hieraus schon deshalb keine prognostisch längere Behandlungsdauer ergeben, weil diese Behandlungsform nach den beigezogenen Aufnahmeunterlagen zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht im Raum stand.
37Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II liegen trotz dieser medizinischen Einschätzung allerdings aus Sicht des Senats nicht vor, weil der Kläger sich vor Beginn des Aufenthalts in der stationären Einrichtung nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II befunden hat, dort jedenfalls keinen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II hatte und der Aufenthalt in beiden Einrichtungen insgesamt die Dauer von sechs Monaten überstiegen hat. Bei der Anwendung der Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II ist der Regelungszweck der Vorschrift zu berücksichtigen. Die Vorschrift will zur klaren Abgrenzung der Existenzsicherungssysteme des SGB II und des SGB XII einen Wechsel des Leistungssystems bei einer nur absehbar kurzzeitigen Krankenhausunterbringung vermeiden (vgl. BT-Drucks 16/1410 S. 20). Vor diesem teleologischen Hintergrund liegen die Voraussetzungen der Rückausnahme trotz einer prognostischen Aufenthaltsdauer von weniger als sechs Monaten nicht vor, wenn die die SGB II-Leistungen begehrende Person unmittelbar vor dem Aufenthalt in der stationären Einrichtung in einer anderen stationären Einrichtung untergebracht war und während dieser Unterbringung keine existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II, sondern nach dem SGB XII bezogen hat. Auch in diesem Fall greift der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II, weil sich die Frage eines Wechsels zwischen dem SGB II und dem SGB XII nicht stellt (Rückausnahme zur Rückausnahme). Nur so wird die vom Gesetz beabsichtigte Vermeidung eines kurzzeitigen Systemwechsels erreicht (vgl. BSG, Urteil vom 12.11.2015 – B 14 AS 6/15 R, Rn. 22 bei juris). Ausreichend ist insoweit nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, dass beide Unterbringungen zeitlich nahtlos aneinander anschließen und während der vorangegangenen Unterbringung existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII bezogen wurden (vgl. BSG, Urteil vom 12.11.2015 – B 14 AS 6/15 R, Rn. 23 bei juris). Existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII hat der Kläger zwar während des Aufenthalts in der JVA T nicht bezogen. Er hat sich vor der Aufnahme in die Klinik „Haus K“ auch nicht in einer stationären Einrichtung nach § 7 Ab. 4 Satz 1 SGB II befunden, sondern war in der JVA T untergebracht und hat dort weder Leistungen nach dem SGB II noch Leistungen nach dem SGB XII bezogen. Die oben beschriebene Rückausnahme zur Rückausnahme gilt nach Auffassung des Senats aber auch dann, wenn sich eine SGB II-Leistungen begehrende Person – wie hier – unmittelbar vor Beginn des Aufenthalts in der stationären Einrichtung nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II befunden hat und dort jedenfalls keinen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II hatte. Auch in diesen Fällen schließt die vom Gesetzgeber beabsichtigte Vermeidung eines kurzfristigen Systemwechsels einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II trotz eines prognostisch kürzeren Aufenthalts in der stationären Einrichtung nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II aus. Nur so wird der Regelungszweck der Vorschrift (klare Abgrenzung der Existenzsicherungssysteme des SGB II und des SGB XII) erreicht. Das BSG hat diesbezüglich ausdrücklich betont, dass es sich bei der vorangegangenen Unterbringung nicht um eine Krankenhausunterbringung gehandelt haben muss und auch ein sachlicher Zusammenhang mit der Unterbringung nicht erforderlich ist. Entscheidend ist allein die Vermeidung eines Systemwechsels und damit, ob während der vorangegangenen Unterbringung existenzsichernde Leistungen nach dem SGB XII bezogen wurden (vgl. dazu BSG, Urteil vom 12.11.2015 – B 14 AS 6/15 R, Rn. 23 bei juris). Der nahtlose Übergang von einem Aufenthalt in einer Einrichtung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II zu einem Aufenthalt in einer Einrichtung nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II, der zudem noch in einem sachlichen Zusammenhang steht, weil die Aufnahme in die Therapieeinrichtung unmittelbar aus der Strafhaft und im Wege der Zurückstellung des Strafvollzugs erfolgt, muss deshalb mit der vom BSG entschiedenen Konstellation gleichgestellt werden. Auch hier würde ein Systemwechsel stattfinden, obwohl der Antragsteller dem Arbeitsmarkt weiterhin nicht zur Verfügung steht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.06.2020 – L 19 AS 1426/19, Rn. 59 bei juris). Unerheblich ist dabei, dass der Kläger in der JVA keine Leistungen nach dem SGB XII bezogen hat, weil er während seines Aufenthalts in der JVA jedenfalls grundsätzlich dem Leistungsregime des SGB XII unterfällt (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2017 – B 8 SO 16/16 R, Rn. 14 ff. bei juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.06.2020 – L 19 AS 1426/19, Rn. 59 bei juris). Dies ist aus Sicht des Senats jedenfalls dann ausreichend, wenn die hilfebedürftige Person – wie hier – vor Aufnahme in die JVA Leistungen nach dem SGB XII bezogen hat. Für diese Auslegung spricht auch die Entscheidung des BSG vom 03.09.2020. Dort wurde die Berücksichtigung einer vorherigen stationären Unterbringung für die Abschätzung der Dauer der nachfolgenden Krankenhausbehandlung bereits dann als möglich angesehen, wenn die hilfebedürftige Person während dieses Aufenthalts keine Leistungen nach dem SGB II bezogen hat (BSG, Urteil vom 03.09.2020 – B 14 AS 41/19 R, Rn. 20 bei juris). Ausreichend und maßgeblich für die Frage des Systemwechsels war also der Nichtbezug von SGB II-Leistungen und nicht der Bezug von Leistungen nach dem SGB XII. Ein Ausschluss für Leistungen nach dem SGB II ist aber bei einer Haft gegeben. Der Systemwechsel würde deshalb bei einer Haft mit nachfolgender Drogentherapie nach § 35 BtMG immer eintreten, was dafür spricht, einen Leistungsausschluss jedenfalls dann anzunehmen, wenn Haft und Drogentherapie – wie hier – zusammen prognostisch mindestens sechs Monate dauern. Nur dadurch wird der Zweck der Regelungen, einen kurzzeitigen Wechsel zwischen den beiden Systemen zu vermeiden und klare Abgrenzungen zu erreichen, erfüllt. Der anders lautenden Auffassung des LSG Niedersachsen, das einen diesbezüglichen Systemwechsel mit der Begründung verneint hat, der Kläger habe unmittelbar zuvor keine SGB XII-Leistungen bezogen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.02.2019, L 11 AS 474/17, Rn. 56 ff. bei juris, NZB wurde aus formalen Gründen als unzulässig verworfen, BSG, Beschluss vom 22.05.2020 – B 4 AS 27/20 B) folgt der Senat deshalb nicht.
38Ob ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II besteht, weil es sich bei der Klinik „Haus K“ um einen Einrichtungen der Drogenhilfe nach §§ 35, 36 BtMG handelt und der Aufenthalt in einer solchen Einrichtung als Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung anzusehen ist (vgl. dazu im Einzelnen: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.06.2020 – L 19 AS 1426/19), und ob dies auch gilt, wenn die Zeit des Aufenthalts nicht auf die Strafhaft angerechnet wird, kann hier deshalb dahinstehen.
39Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
40Die Revision ist zuzulassen, weil die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 1 oder Satz 2 SGB II gegeben ist, wenn die hilfebedürftige Person aus einer Strafhaft eine stationäre Drogentherapie nach § 35 BtMG beginnt, noch nicht höchstrichterlich geklärt ist.