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Verfassungsgerichtshof NRW, VerfGH 177/20

Datum:
20.04.2021
Gericht:
Verfassungsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
VERFASSUNGSGERICHTSHOF FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
VerfGH 177/20
ECLI:
ECLI:DE:VFGHNRW:2021:0420.VERFGH177.20.00
 
Leitsätze:

1. Das Recht auf Aktenvorlage gehört zum Kern des parlamentarischen Untersuchungsrechts gemäß Art. 41 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 LV, findet jedoch eine Grenze in den nach Art. 1 Abs. 3 GG zu beachtenden Grundrechten Dritter. Dem Schutz personenbezogener Daten ist eine besondere Bedeutung zuzumessen.

2. Enthalten Akten streng persönliche Informationen, deren Preisgabe für die Betroffenen unzumutbar ist (hier: als minderjährige Opfer sexualisierter Gewalt), kommt eine Aktenvorlage nur unter besonderen datenschutzrechtlichen Vorkehrungen in Betracht, die eine Identifizierbarkeit der Betroffenen wirksam ausschließen. Hierbei genügt regelmäßig eine anonymisierende Bearbeitung, wobei in bestimmten Ausnahmefällen aber auch eine Pseudonymisierung der vorzulegenden Akten geboten sein kann.

3. a) Umfang, Reichweite und Grenzen des Aktenvorlagerechts nach Art. 41 Abs. 2 Satz 3 LV bedürfen einer verfahrensrechtlichen Konkretisierung, die die widerstreitenden verfassungsrechtlichen Positionen von parlamentarischem Untersuchungsrecht einerseits und Grundrechtsschutz andererseits in schonenden und zugleich wirksamen Ausgleich (praktische Konkordanz) bringt.

b) Da der Schutz der betroffenen Grundrechte allen öffentlichen Gewalten obliegt, trifft die Verfassungsorgane insoweit eine Abwägungs- und Koordinationsobliegenheit. Sie haben über die Art und Weise der Gewährleistung des Schutzes der betroffenen höchstpersönlichen Informationen verfahrensrechtlich verbindliche Absprachen zu treffen.

4. Werden angeforderte Beweismittel nicht vorgelegt, fordert ein verfassungsgemäßes Verhalten eine ausdrückliche Vorlageverweigerung und grundsätzlich auch eine substantiierte schriftliche Begründung. Diese kann im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt werden.

5. a) Die der Gewährleistung sowohl des parlamentarischen Untersuchungsauftrags als auch des Grundrechtsschutzes dienende verfahrensmäßige Absicherung der Pflicht zur Vorlage der Akten statuiert fortlaufende prozedurale Obliegenheiten. Insbesondere gebietet der Grundsatz der Verfassungsorgantreue eine von gegenseitiger Rücksichtnahme getragene Kommunikationsbeziehung zwischen der aktenvorlegenden Stelle und dem Untersuchungsausschuss.

b) Die aktenvorlegende Stelle hat den Untersuchungsausschuss über die Verfahrensgestaltung der Aktenvorlage in personeller, sachlicher und zeitlicher Hinsicht zu informieren und etwaige Vorlageprognosen nachvollziehbar zu begründen. Demgegenüber ist der Untersuchungsausschuss verpflichtet, zeitlich und sachlich angemessen auf die Aktenvorlage zu reagieren, sollten sich hierbei aus seiner Sicht Probleme ergeben.

c) Stellt sich im Rahmen einer der Vorlage vorausgehenden notwendigen Aktenbearbeitung heraus, dass der ursprünglich prognostizierte Zeitrahmen für die Vorlage – nicht nur unwesentlich – nicht eingehalten werden kann, ist der Untersuchungsausschuss unverzüglich und umfassend zu benachrichtigen. Dazu gehört die Information über die Möglichkeiten der Abhilfe und eine nachvollziehbare Begründung, warum diese gegebenenfalls nicht genutzt werden. Darüber hinaus ist gegenüber dem Untersuchungsausschuss eine belastbare neue Prognose des erforderlichen Zeitaufwandes abzugeben und zu begründen.

d) Die konkrete Ausgestaltung der Informationspflichten bestimmt sich nach den maßgeblichen Umständen des jeweiligen Einzelfalls.

Rechtskraft:
rechtskräftig
 
Tenor:

Es wird festgestellt, dass die Antragsgegner gegen Artikel 41 Absatz 1 Satz 2 LV in Verbindung mit Artikel 41 Absatz 2 Satz 3 LV verstoßen haben, soweit sie dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss IV einen Teil der auf der Grundlage des Beweisbeschlusses Nr. 2 vom 12. Juli 2019 angeforderten und in ihrem Geschäftsbereich geführten Akten nicht vorgelegt haben, ferner soweit der Antragsgegner zu 2. die in seinem Verantwortungsbereich eingetretenen Verzögerungen unzureichend gerechtfertigt und über diese wie auch über deren Folgen unzureichend informiert hat.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

 

A.

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