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§ 56 Abs. 3 KrO NW ist verfassungskonform dahin auszulegen, daß die Erhöhung des Umlagesatzes der Kreisumlage nur einer Rechtskontrolle der Aufsichtsbehörde unterliegt.
Die Verfassungsbeschwerde wird mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:
§ 56 Abs. 3 der Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Juli 1994 (GV NW S. 646) ist verfassungskonform dahin auszulegen, daß die Erhöhung des Umlagesatzes der Kreisumlage nur einer Rechtskontrolle der Aufsichtsbehörde unterliegt.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die Hälfte der durch das Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
A.
2Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen § 56 Abs. 3 der Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (KrO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Juli 1994 (GV NW S. 646). Die Vorschrift regelt die Erhöhung des Umlagesatzes der Kreisumlage und ihre Genehmigung.
3I.
41. Die Kreise gewinnen die Einnahmen zur Finanzierung ihrer Aufgaben aus Finanzzuweisungen des Bundes und des Landes, aus Gebühren, aus einer eigenen Steuer, nämlich der Jagdsteuer, sowie aus der Kreisumlage, die von den kreisangehörigen Gemeinden zu erheben ist, soweit die sonstigen Einnahmen den Finanzbedarf des Kreises nicht decken (§ 56 Abs. 1 KrO; Grundsatz der nachrangigen Finanzierung). Die Kreisumlage wird in Hundertsätzen der Umlagegrundlagen festgesetzt, welche in den jeweils geltenden Gemeindefinanzierungsgesetzen geregelt sind (vgl. für 1995: § 33 Abs. 1 GFG 1995).
52. Früher bedurfte die Festsetzung der Umlagesätze stets der Genehmigung der Aufsichtsbehörde (§ 45 Abs. 2 Halbsatz 2 KrO in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 1979, GV NW S. 612). Der Entwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung, der Kreisordnung und anderer Kommunalverfassungsgesetze des Landes Nordrhein-Westfalen sah die Streichung dieser Bestimmung vor (Landtag Nordrhein-Westfalen Drucksache 11/4983 S. 97). Bei der Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuß für Kommunalpolitik wurde eine Regelung zur Erhöhung des Umlagesatzes und ihrer Genehmigung vorgeschlagen (Landtag Nordrhein-Westfalen Ausschuß für Kommunalpolitik, Ausschußprotokoll vom 13. April 1994, Drucksache 11/1203, S. 48; Landtag Nordrhein-Westfalen Drucksache 11/7060, Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik, S. 96). Von einer redaktionellen Änderung abgesehen ist sie als § 56 Abs. 3 KrO Gesetz geworden, der folgenden Wortlaut hat:
6(3) Eine Erhöhung des Umlagesatzes der Kreisumlage ist nur zulässig, wenn alle anderen Möglichkeiten, den Kreishaushalt auszugleichen, ausgeschöpft sind. Kann der Haushaltsausgleich nur erreicht werden, wenn der Umlagesatz der Kreisumlage erhöht wird, bedarf die Erhöhung des Satzes der Kreisumlage der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Mit dem Ziel, eine Rückführung des Umlagesatzes zu erreichen, kann die Aufsichtsbe- hörde die Genehmigung mit Auflagen und Bedingungen für die Gestaltung der Haushaltswirtschaft des Kreises verbinden.
7II.
81. Am 21. November 1994 hat der Beschwerdeführer gegen § 56 Abs. 3 KrO Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er beantragt
9festzustellen, daß § 56 Abs. 3 der Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung der Be-kanntmachung vom 14. Juli 1994 (GV NW S. 646) die Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der kommunalen Selbstverwaltung verletzt und deshalb nichtig ist.
10Zur Begründung macht der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend:
11§ 56 Abs. 3 KrO verstoße gegen das Recht der Selbstverwaltung aus Art. 78 Abs. 1 LV, das die Befugnis umfasse, das Finanzwesen im Rahmen der Gesetze eigenverantwortlich zu regeln. Zur Einnahmehoheit gehöre das Recht, eigene Abgaben zu erheben. Die Kreisumlage habe sich zu der zentralen Einnahmequelle der Kreise entwickelt. Angesichts großer vom Kreis kaum beeinflußbarer Ausgabenblöcke einerseits und einer Begrenzung der Kreisumlage durch Entscheidungen der Aufsichtsbehörde bei gleichzeitigem Fehlen sonstiger steigerungsfähiger Einnahmequellen andererseits werde die Finanzautonomie der Kreise im Kern betroffen. Damit würden deren Gestaltungsbefugnisse entwertet. Soweit die staatliche Aufsichtsbehörde Zugriff auf den Haushalt des Kreises habe, treffe sie die maßgeblichen Entscheidungen in der Kreispolitik. § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO stelle nicht nur auf die Einnahmen, sondern auch auf die Ausgaben ab, die nur für Maßnahmen disponibel seien, die der Kreis im Rahmen seines Selbstverwaltungsrechts freiwillig übernommen habe. Durch die angegriffene Bestimmung erlange die staatliche Aufsichtsbehörde ein Zugriffsrecht auf praktisch alle freiwillig wahrgenommenen Aufgaben des Kreises. Obwohl der Mehrbedarf des Kreises in der Regel auf Steigerungen der Pflichtaufgaben beruhe, könne die Aufsichtsbehörde zum Ausgleich auf Kürzungen bei den freiwilligen Aufgaben bestehen. Der Genehmigungsvorbehalt (§ 56 Abs. 3 Satz 2 KrO) und die Befugnis, Bedingungen und Auflagen beizufügen (§ 56 Abs. 3 Satz 3 KrO), setzten die Aufsichtsbehörde in die Lage, die in § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO geregelten Voraussetzungen in Einzeleingriffe umzusetzen. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 56 Abs. 3 KrO als Instrument einer bloßen Rechtskontrolle scheide nach dem Wortlaut und dem Sinn der Vorschrift aus. § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO wolle nicht rechtlich unzulässige Ausgaben verhindern, sondern die Ausschöpfung aller Einsparmöglichkeiten erzwingen, ohne daß es auf die rechtliche Zulässigkeit der einzusparenden Ausgaben ankomme. Auflagen und Bedingungen seien klassische Mittel der Fachaufsicht.
12Darüber hinaus verletze § 56 Abs. 3 KrO den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie das Übermaßverbot und sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.
132. Dem Landtag und der Landesregierung ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden.
14a) Der Landtag hat von einer Stellungnahme abgesehen.
15b) Die Landesregierung hält die Verfassungsbeschwerde jedenfalls für unbegründet.
16§ 56 Abs. 3 KrO verletze nicht den Kernbereich der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie. Satz 1 dieser Bestimmung zwinge den Beschwerdeführer nicht, vor einer Erhöhung des Kreisumlagesatzes alle disponiblen Ausgaben des Kreises auf Null zu reduzieren. Ob § 56 Abs. 3 KrO der Aufsichtsbehörde ein kondominiales Mitspracherecht einräume, könne ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die Vorschrift nur die Einnahmenseite oder auch die Ausgabenseite erfasse. Seien kondominiale Mitspracherechte verfassungsrechtlich zulässig, bestünden gegen die Regelung von vornherein keine Bedenken. Seien sie verfassungswidrig und sei dem Staat aus verfassungsrechtlichen Gründen nur eine Rechtskontrolle zuzugestehen, lasse sich die Regelung verfassungskonform interpretieren. Eine Erhöhung der Kreisumlage sei dann nur zulässig, wenn alle anderen rechtlich gebotenen Möglichkeiten ausgeschöpft seien, den Kreishaushalt auszugleichen. Dazu gehöre der Verzicht auf rechtlich unzulässige Aufgaben, etwa solche, die nicht in der Zuständigkeit der Kreise lägen. Bedingungen und Auflagen könnten sowohl Instrumente der Fach- als auch der Rechtsaufsicht sein.
17Weder der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch das Willkürverbot seien verletzt.
18B.
19Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 52 Abs. 1 VGHG zulässig.
20Die Jahresfrist des § 52 Abs. 2 VGHG ist gewahrt. Zwar enthielt auch die Vorschrift des § 45 Abs. 2 Halbsatz 2 KrO a. F. einen Genehmigungsvorbehalt für die Kreisumlage. Dessen Gewicht hat sich aber durch die Gesetzesänderung gewandelt. § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO knüpft die Erhöhung des Umlagesatzes erstmals an materielle Voraussetzungen, nämlich die Erschöpfung aller anderen Möglichkeiten zum Ausgleich des Kreishaushaltes. Der Genehmigungsvorbehalt des Satzes 2 baut hierauf auf. Zusätzlich erhält er Gewicht durch die in § 56 Abs. 3 Satz 3 KrO geschaffene Möglichkeit, die Genehmigung unter Auflagen und Bedingungen zu erteilen.
21C.
22§ 56 Abs. 3 KrO ist mit den Vorschriften der Landesverfassung über das Recht der Selbstverwaltung vereinbar. Die Vorschrift ist allerdings verfassungskonform dahin auszulegen, daß die Aufsichtsbehörde bei der Genehmigung der Erhöhung des Umlagesatzes und bei Auflagen und Bedingungen für die Gestaltung der Haushaltswirtschaft des Kreises auf eine Rechtskontrolle beschränkt ist. Mit dieser Maßgabe ist die Verfassungsbeschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
231. Die Festsetzung des Umlagesatzes der Kreisumlage ist eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Kreise, die durch Art. 78 Abs. 1 LV (Art. 28 Abs. 2 GG) garantiert wird.
24a) Art. 78 Abs. 1 LV gewährleistet den Kreisen als Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung mit der Befugnis, die Geschäfte in allen auf das Kreisgebiet beschränkten überörtlichen Angelegenheiten grundsätzlich eigenverantwortlich zu führen.
25Die Selbstverwaltung umfaßt die Finanzhoheit, nämlich die Befugnis, die Einnahme- und Ausgabewirtschaft einschließlich der Haushaltsführung eigenverantwortlich zu regeln (VerfGH NW, OVGE 36, 314). Die Finanzhoheit setzt das Recht voraus, über ein gewisses Volumen eigener Einkünfte steuerlicher oder sonstiger Art im Rahmen einer geordneten Haushaltswirtschaft eigenverantwortlich zu verfügen.
26b) Kennzeichen der auch durch Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG garantierten eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung ist danach, daß die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften aus eigenem Recht nicht nur ihre Aufgaben wahrnehmen, sondern sich auch die Mittel zur Bestreitung der hieraus entstehenden Lasten zumindest teilweise aus eigenem Recht verschaffen können. Bei den Kreisen trägt dazu in besonderem Maße die Kreisumlage bei. Sie ist deren einzige bedeutsame eigenbestimmbare Einnahmequelle. Der Ertrag der Jagdsteuer, der einzigen Steuer, deren Aufkommen den Kreisen zusteht, ist gering.
272. § 56 Abs. 3 KrO beschränkt die so umschriebene Finanzhoheit. Das allein ist noch nicht verfassungswidrig. Das Recht der Selbstverwaltung ist nur im Rahmen der Gesetze garantiert (Art. 78 Abs. 2 LV; Art. 28 Abs. 2 GG). Dieser Vorbehalt stellt die Ausgestaltung der Institution "gemeindliche Selbstverwaltung" indes nicht in das Belieben des Gesetzgebers.
28a) Der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie darf nicht angetastet werden. Außerhalb des Kernbereichs hat der Gesetzgeber das verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden und hinsichtlich der auf das Kreisgebiet beschränkten überörtlichen Aufgaben zugunsten der Kreise sowie das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Willkürverbot zu beachten (VerfGH NW, NWVBl. 1993, 7, 9).
29b) Zur zulässigen inhaltlichen Ausgestaltung der Selbstverwaltungsgarantie gehören Regelungen über die Kommunalaufsicht (BVerfGE 78, 331, 341). Zu den herkömmlichen Mitteln der Aufsicht zählt der Genehmigungsvorbehalt. Er ermöglicht der Aufsichtsbehörde eine Kontrolle im vorhinein. Die Regelung der Kommunalaufsicht unterliegt jedoch einer weiteren verfassungsrechtlichen Schranke. Nach Art. 78 Abs. 4 Satz 1 LV überwacht das Land die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände. In Selbstverwaltungsangelegenheiten ist danach nur eine Rechtsaufsicht zulässig. Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt, wenn diese grundsätzlich nur zulässige Rechtsaufsicht sich zu einer "Einmischungsaufsicht" entwickelt oder zu einer Fachaufsicht verdichtet (BVerfGE 78, 331, 341).
303. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung genügt § 56 Abs. 3 KrO diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben.
31a) Ohne weiteres mit den Vorschriften der Landesverfassung über die kommunale Selbstverwaltung vereinbar ist eine Auslegung des § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO, die in dieser Vorschrift lediglich einen nachdrücklichen Hinweis auf die Nachrangigkeit der Kreisumlage (§ 56 Abs. 1 KrO) sieht. Der Gesetzgeber durfte die Kreisumlage als nachrangiges Deckungsmittel für Haushaltslücken ausgestalten. Die Kreisumlage berührt nicht nur das Selbstverwaltungsrecht des Kreises, sondern auch der kreisangehörigen Gemeinden, denen sie Mittel entzieht, die sie sonst für ihre Aufgaben einsetzen könnten. Den notwendigen Interessenausgleich zwischen Kreis und kreisangehörigen Gemeinden hat der Gesetzgeber durch die Nachrangigkeit der Kreisumlage bewirkt. Dabei durfte er den Kreis auch zwingen, vor einer Erhöhung des Umlagesatzes zu prüfen, ob auf der Ausgabenseite die Möglichkeiten eines Haushaltsausgleichs erschöpft sind. § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO verlangt bei dieser Auslegung vom Kreis zur Schonung des Selbstverwaltungsrechts der kreisangehörigen Gemeinden Ausgabendisziplin und eine damit einhergehende Aufgabenkritik.
32b) Verfassungswidrig ist demgegenüber eine Auslegung des § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO, die eine Erhöhung des Umlagesatzes nicht zuläßt, solange der Kreis noch freiwillige Aufgaben wahrnimmt, die allein wegen ihrer Freiwilligkeit verzichtbar sind und deren Preisgabe deshalb zu "allen" vorrangig auszuschöpfenden Möglichkeiten gehört, den Haushalt auszugleichen. Eine solche Auslegung schließt den Kreis von der Mitverantwortung für die finanzielle Bewältigung seiner Aufgaben aus, die als Teil der eigenverantwortlichen Aufgabenwahl und -erledigung zur Selbstverwaltung gehört. § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO ist nur verfassungskonform, wenn seine Tatbestandsvoraussetzungen einen Beurteilungsspielraum eröffnen, der Kreis also über die Frage, ob alle anderen Möglichkeiten zum Ausgleich des Kreishaushalts erschöpft sind, mit kommunalpolitischem Beurteilungsspielraum entscheiden kann. Auch die gesetzlich geforderte Ausgabendisziplin und Aufgabenkritik muß Sache des Kreises bleiben. Wo Ausgaben eingespart und damit Aufgaben nicht mehr, später oder anders als bisher wahrgenommen werden sollen, wird nach der grundlegenden Funktion der Selbstverwaltung "vor Ort" von den dafür demokratisch gewählten Organen der Gemeindeverbände, also unter Mitwirkung der Bürger an ihren Angelegenheiten bestimmt. Der dafür gewählte Kreistag hat die Notwendigkeit der Aufgaben zu bewerten, auch mit Blick auf die Finanzlage der kreisangehörigen Gemeinden. Bei dieser Bewertung können sich eine Aufgabe oder die Art ihrer Erledigung als unverzichtbar und die damit verbundenen Ausgaben als notwendig erweisen, auch wenn sie - weil freiwillig übernommen - gestrichen oder anders erledigt werden könnten. Selbst bei Pflichtaufgaben und Auftragsangelegenheiten gehört es zum Selbstverwaltungsrecht des Kreises, im Rahmen seiner Organisations- und Personalhoheit beispielsweise zu entscheiden, mit welchem Personalaufwand er diese Aufgaben erledigen will.
33Auf diese kommunalpolitischen Bewertungen des Kreistages können die kreisangehörigen Gemeinden einwirken. Ihnen ist nunmehr in § 55 KrO ein formalisiertes Beteiligungsrecht eingeräumt. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 KrO sind die kreisangehörigen Gemeinden bei der Aufstellung des Entwurfs der Haushaltssatzung und ihrer Anlagen in geeigneter Weise zu beteiligen. Ihnen ist nach § 55 Abs. 1 Satz 2 KrO Gelegenheit zu geben, zu allen Inhalten der Haushaltssatzung und ihren Anlagen, insbesondere zur vorgesehenen Höhe des Umlagesatzes, Stellung zu nehmen. Nach § 55 Abs. 2 KrO beschließt der Kreistag über Einwendungen der kreisangehörigen Gemeinden in öffentlicher Sitzung. Die kreisangehörigen Gemeinden können verlangen, daß der Kreis ihnen das Beratungsergebnis mitteilt und begründet.
34c) An diese verfassungskonforme Auslegung anknüpfend sind auch § 56 Abs. 3 Sätze 2 und 3 KrO verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sie dahin ausgelegt werden, daß sie nur eine Rechtsaufsicht ermöglichen. Mit der Selbstverwaltungsgarantie nicht vereinbar ist eine Auslegung dieser Vorschriften, welche die mit § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO zulässigerweise angestrebte Ausgabendisziplin und Aufgabenkritik zu einer auch staatlichen Angelegenheit macht, indem der Aufsichtsbehörde über das Instrument einer Genehmigung Zugriff auf die Aufgabenwahl und -erledigung eingeräumt wird. Es ist nicht Sache der Aufsichtsbehörde, vor einer Erhöhung des Umlagesatzes beispielsweise zu verlangen, den beabsichtigten Ausbau einer Kreisstraße zurückzustellen, auf den geplanten Neubau eines Schulgebäudes zu verzichten oder die freiwillig eingerichtete Kreismusikschule zu schließen. Ob es sich bei solchen Entscheidungen um Möglichkeiten handelt, den Kreishaushalt auszugleichen, ist nicht aus der Sicht des Staates, sondern aufgrund einer kommunalpolitischen Bewertung zu entscheiden. Insoweit verhält es sich nicht anders als mit anderen unbestimmten Rechtsbegriffen des Haushaltsrechts, etwa den Begriffen "Sparsamkeit" und "Wirtschaftlichkeit". Soweit diese unbestimmten Rechtsbegriffe Spielräume lassen, eröffnen sich diese den Gemeinden, nicht aber der Aufsichtsbehörde (BVerfGE 78, 331, 343).
35Der Aufsichtsbehörde kann ein Recht, nach eigenem Ermessen über die Genehmigung zu entscheiden, auch nicht mit der Überlegung eingeräumt werden, die Festsetzung des Umlagesatzes greife über den Wirkungskreis der Kreise hinaus und berühre staatliche Interessen. Hierfür bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob und gegebenenfalls inwieweit kondominiale Genehmigungsvorbehalte mit Art. 78 Abs. 4 LV vereinbar sind. Nach verbreiteter Auffassung (vgl. Humpert, Die Zulässigkeitsanforderungen an staatliche Genehmigungsvorbehalte im Recht der kommunalen Selbstverwaltungsträger, DVBl. 1990, 804 ff. m. w. N.) soll dies für Genehmigungsvorbehalte gelten, welche dem Staat nicht in erster Linie eine präventive Aufsicht über die Selbstverwaltungskörperschaften verschaffen, sondern ihm eine Mitwirkung an solchen Angelegenheiten einräumen sollen, durch die eigene staatliche Interessen berührt werden und die insoweit zugleich staatliche Angelegenheiten sind. Da die Gemeinden und Gemeindeverbände in ein Gesamtsystem öffentlicher Verwaltung und Daseinsvorsorge eingebunden sind, berührt ihr Tun oder Unterlassen nahezu zwangsläufig auch Belange außerhalb ihres eigenen Wirkungskreises. Deshalb verlieren die Selbstverwaltungsangelegenheiten noch nicht diesen Charakter. Art. 78 LV nimmt die Auswirkungen kommunaler Maßnahmen auf staatliche Belange hin, solange sich diese Maßnahmen im Rahmen der Gesetze halten.
36Dies gilt namentlich für die Festsetzung der Kreisumlage. Der Kreisumlagesatz, insbesondere seine Erhöhung, kann zwar den allgemeinen Finanzausgleich berühren. Die finanzielle Inanspruchnahme der Gemeinden durch die Kreisumlage kann nämlich die Verteilung der Finanzmittel im jährlichen Gemeindefinanzierungsgesetz beeinflussen. Ferner kann der Bedarf der Ausgleichsstockgemeinden mit der Folge erhöht werden, daß ein Anpassungszwang auch hinsichtlich der Mittel für Zuweisungen zum Ausgleich besonderen Bedarfs entsteht. Das Gesamtvolumen des Finanzausgleichs ändert sich dadurch jedoch nicht zwangsläufig, und allenfalls nur in sehr geringem Umfang (vgl. OVG NW, NWVBl. 1990, 121, 123).
37d) Werden die Befugnisse der Aufsichtsbehörde nach § 56 Abs. 3 Sätze 2 und 3 KrO im Sinne einer reinen Rechtskontrolle gedeutet, werden die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung nicht überschritten.
38Der Wortlaut der Norm steht einer einengenden Auslegung auf eine Rechtskontrolle nicht entgegen.
39Die Vorschrift verliert durch die Beschränkung auf eine Rechtskontrolle weder Sinn noch Funktion. § 56 Abs. 3 Satz 1 KrO stellt gegenüber § 56 Abs. 1 KrO klar, daß der Kreis vor einer Erhöhung des Umlagesatzes auch auf der Ausgabenseite nach Möglichkeiten zu suchen hat, den Haushalt auszugleichen. Der Kreis ist nicht gänzlich frei darin, welche Aufgaben er freiwillig übernehmen will. Den Gemeindeverbänden sichern weder Art. 28 Abs. 2 GG noch Art. 78 Abs. 1 LV einen bestimmten Aufgabenbereich (BVerfGE 79, 127, 150). Soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen, nehmen die Kreise nach § 2 Abs. 1 KrO die auf ihr Gebiet begrenzten überörtlichen Angelegenheiten wahr. Den Kreisen kann ferner mit Blick auf weniger leistungsstarke kreisangehörige Gemeinden eine Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion zukommen (vgl. BVerfGE 79, 127, 152). Dies begrenzt den Aufgabenzugriff der Kreise. Über die Einhaltung dieser Grenzen hat die Aufsichtsbehörde zu wachen. Sie könnte eine Genehmigung etwa mit der Begründung versagen, die zu deckenden Ausgaben des Kreises beruhten zum Teil auf der Wahrnehmung von Aufgaben, die nicht solche des Kreises sind, etwa weil die Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden die Wahrnehmung der Aufgaben durch diese selbst ermöglicht oder weil eine Aufgabe überhaupt keinen übergemeindlichen Bezug aufweist. Der Kreis unterliegt ferner dem Gebot, auf die wirtschaftlichen Kräfte der kreisangehörigen Gemeinden Rücksicht zu nehmen (vgl. § 9 Satz 2 KrO). Zum Schutze des Selbstverwaltungsrechts der kreisangehörigen Gemeinden hat die Aufsichtsbehörde auch über die Einhaltung dieses Rücksichtnahmegebotes zu wachen, mag sich seine Verletzung auch nur in extrem gelagerten Fällen feststellen lassen (vgl. etwa OVG Schleswig, NVwZ-RR 1994, S. 690).
40Kann die Genehmigung nur aus Rechtsgründen versagt werden, behält auch § 56 Abs. 3 Satz 3 KrO Bedeutung. Auflagen und Bedingungen sind auch bei rechtsgebundenen Genehmigungen zulässig. Sie haben das Ziel, die Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen und rechtliche Genehmigungshindernisse auszuräumen. Die Vorschrift ermöglicht der Aufsichtsbehörde nicht, nach Ermessen in Selbstverwaltungsangelegenheiten des Kreises "hineinzuregieren". Sie ermöglicht aber beispielsweise, eine Genehmigung zu erteilen, obwohl der Kreis auch Aufgaben wahrnimmt, die zwar nicht solche des Kreises sind, auf die aber nicht sofort verzichtet werden kann. Die Genehmigung kann dann etwa mit der Auflage erteilt werden, diese Aufgaben künftig preiszugeben und dadurch eine Rückführung des Umlagesatzes zu erreichen. Mit dieser Steuerung künftigen Verhaltens behält § 56 Abs. 3 Satz 3 KrO seinen Sinn auch neben § 36 Abs. 1 VwVfG NW.
41e) Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Willkürverbot als Elementen der Selbstverwaltungsgarantie folgen hier keine weiteren verfassungsrechtlichen Beschränkungen der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers. Aus Anlaß einer Erhöhung des Umlagesatzes der Kreisumlage das Ausgabeverhalten des Kreises einer Rechtskontrolle zu unterwerfen, ist weder willkürlich noch als Mittel der Aufsicht ungeeignet oder unzumutbar belastend.
42D.
43Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs. 4 VGHG. Mit der verfassungskonformen Auslegung des § 56 Abs. 3 KrO hat der Beschwerdeführer zur Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage beigetragen und in der Sache einen Teilerfolg erzielt. Dies rechtfertigt es, eine teilweise Erstattung seiner notwendigen Auslagen anzuordnen.