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1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2A. Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den in den zwei in der Stadtbücherei vorgehaltenen Exemplaren des vom Antragsteller verfassten Buchs „X“ angebrachten Einordnungshinweis („Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“) zu entfernen,
4hat keinen Erfolg.
5Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei dem zuletzt zur Entscheidung gestellten Begehren des Antragstellers um eine bloße Präzisierung des ursprünglichen Begehrens oder im Hinblick auf die zwischenzeitliche Änderung des Einordnungshinweises durch die Antragsgegnerin um eine nachträgliche Antragsänderung handelt. Denn auch die gesetzlichen Anforderungen an eine Antragsänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO, der im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entsprechend gilt, wären vorliegend erfüllt. Zum einen hätte sich die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 4. März 2025 auf den geänderten Antrag eingelassen, ohne ihm zu widersprechen, zum anderen wäre die Antragsänderung auch sachdienlich, weil sie die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen im laufenden Verfahren ermöglicht und damit der Prozessökonomie dient.
6Der Antrag ist nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet.
7Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt in beiden Fällen voraus, dass der zugrundeliegende materielle Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
8Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
9I. Der Antragsteller hat bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
10Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Antragstellers – die Entfernung des Einordnungshinweises in den aktuell in der Stadtbücherei vorgehaltenen Exemplaren seines Buchs „X“ – kommt nur der gewohnheitsrechtlich anerkannte Folgenbeseitigungsanspruch in Betracht. Er verpflichtet zur Herstellung des früheren Zustandes und setzt voraus, dass durch hoheitlichen Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde, der noch andauert.
11Vgl. hier nur OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2022 – 15 B 893/22 –, juris Rn. 27.
12Diese Tatbestandsvoraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruchs liegen jedoch nicht vor. Zwar ist ein Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht des Antragstellers gegeben. Dieser Eingriff ist jedoch gerechtfertigt, so dass kein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde.
131. Der Einordnungshinweis greift auch in der nunmehr streitgegenständlichen Form in ein subjektiv-öffentliches Recht des Antragstellers ein. Dies gilt jedenfalls für das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abzuleitende allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers.
14Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt, ohne seinem Träger einen Anspruch darauf zu vermitteln, nur so dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist, nicht nur die Ehre, sondern auch weitere Aspekte des sozialen Geltungsanspruchs. Namentlich umfasst es den Schutz vor Äußerungen, die – ohne im engeren Sinn ehrverletzend zu sein – geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken. Jedenfalls dem unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Staat verbietet es das allgemeine Persönlichkeitsrecht darüber hinaus aber auch, sich ohne rechtfertigenden Grund herabsetzend über einen Bürger zu äußern, etwa eine von diesem vertretene Meinung abschätzig zu kommentieren. Dabei ist nicht jedes amtliche Informationshandeln und nicht jede Teilhabe des Staates am Prozess öffentlicher Meinungsbildung als Grundrechtseingriff zu bewerten. Maßgebend ist, ob der Schutzbereich eines Grundrechts berührt wird und ob die Beeinträchtigung einen Eingriff darstellt. Dafür kann auch eine mittelbar-faktische Wirkung ausreichen.
15Vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. November 2016 – 15 A 2293/15 –, juris Rn. 50 ff. m. w. N.
16Ein solcher mittelbar-faktischer Eingriff liegt in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Antragstellers vor. Der Einordnungshinweis ist geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Antragstellers in der Öffentlichkeit auszuwirken. Die Stadtbücherei der Antragsgegnerin hat durch den Einordnungshinweis zum Ausdruck gebracht, dass sie den Inhalt des Buchs des Antragstellers kritisch beurteilt, dieses aber gleichwohl den Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung stellt. Eine solche negativ konnotierte Äußerung über ein Buch seitens einer öffentlichen Bibliothek ist geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Autors in der Öffentlichkeit auszuwirken.
17Ob daneben, wie der Antragsteller meint, auch ein Eingriff in die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit gegeben ist, kann offenbleiben. Auch insofern würde allenfalls ein mittelbar-faktischer Eingriff vorliegen.
182. Alle in Betracht kommenden Grundrechtseingriffe sind jedoch gerechtfertigt.
19Amtliche Äußerungen eines Hoheitsträgers, die in Grundrechte eingreifen, sind gerechtfertigt, wenn dieser sich dabei im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben bewegt und die rechtsstaatlichen Anforderungen an hoheitliche Äußerungen in Form des Sachlichkeitsgebots gewahrt sind.
20Vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. November 2016 – 15 A 2293/15 –, juris Rn. 101 ff. m. w. N.
21a) Die Äußerung der Antragsgegnerin in Form des hier streitgegenständlichen Einordnungshinweises ist von der Aufgabenzuweisung für öffentliche Bibliotheken in den §§ 47, 48 Kulturgesetzbuch NRW gedeckt.
22Gemäß § 47 Kulturgesetzbuch NRW sind Bibliotheken zur Benutzung bestimmte und erschlossene Sammlungen von Büchern sowie anderen Medien- und Informationsangeboten, auch digitaler Art. Sie tragen in besonderer Weise zur Verwirklichung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes bei, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten zu können (Abs. 1). Als Bildungs- und Informationseinrichtungen unterstützen Bibliotheken das selbstbestimmte lebensbegleitende Lernen, die Leseförderung sowie die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz (Abs. 2). Als Kultureinrichtungen stellen sie Räume für Begegnungen, Kommunikation, Integration und Kreativität zur Verfügung, gestalten diese aktiv und bieten ein vielfältiges Programm an. Sie haben auch die Funktion eines Dritten Orts im Sinne von § 14 Abs. 4 Satz 1 Kulturgesetzbuch NRW (Abs. 3). Als Gedächtnisinstitutionen pflegen, bewahren und erschließen Bibliotheken wertvolle Altbestände und Sammlungen und machen sie der Öffentlichkeit in analoger oder digitaler Form zugänglich (Abs. 4).
23Gemäß § 48 Abs. 4 bis 6 Kulturgesetzbuch NRW leisten öffentliche Bibliotheken durch ein fachlich kuratiertes Informationsangebot einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Informationsfreiheit. Daher sind sie bei der Auswahl ihrer Medien unabhängig und an Weisungen nicht gebunden (Abs. 4). Öffentliche Bibliotheken sind unter Beachtung des Hausrechts und im Rahmen der Benutzungsregelungen ihrer Träger frei zugänglich. Sie ermöglichen Nutzerinnen und Nutzern einen niedrigschwelligen und ungehinderten Zugang zu Informationen und tragen so wesentlich zur Vermittlung von allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung bei. Zudem ermöglichen und unterstützen sie die demokratische Willensbildung und gleichberechtigte Teilhabe sowie die gesellschaftliche Integration. Das Land unterstützt die Öffentlichen Bibliotheken bei der nutzerfreundlichen Ausweitung der Öffnungszeiten (Abs. 5). Als Orte der Begegnung, der Kommunikation, des kulturellen Austausches und der gesellschaftlichen Integration können Bibliotheken zentrale Orte der Kultur und der außerschulischen Bildung sein und dazu beitragen, kulturelle Aktivitäten in der Region zu bündeln und zugänglich zu machen (Abs. 6).
24Von dieser Aufgabenbeschreibung ist der hier streitgegenständliche Einordnungshinweis gedeckt. Die Stadtbücherei als öffentliche Bibliothek im Sinne von §§ 47, 48 Kulturgesetzbuch NRW darf entgegen der Auffassung des Antragstellers zu den von ihr zur Ausleihe bereitgestellten Werken inhaltlich Stellung nehmen. Dies gilt sowohl in positiver Hinsicht – bspw. in Form von Leseempfehlungen für einzelne Werke –, aber auch in negativer Hinsicht in Form von kritischen Hinweisen. Mit dem gesetzlichen Auftrag wäre es hingegen nicht vereinbar, eine öffentliche Bibliothek darauf zu beschränken, Medien allein passiv zur Ausleihe bereit zu stellen (sog. reine Ausleihbibliothek).
25Diese Auslegung der Aufgabenbeschreibung ergibt sich bereits daraus, dass öffentliche Bibliotheken nicht auf einen reinen Informationsauftrag beschränkt sind, sondern ihnen über die Ausleihe von Medien hinausgehende Funktionen durch den Gesetzgeber ausdrücklich zugewiesen sind.
26Vgl. zu den Funktionen von öffentlichen Bibliotheken auch OVG NRW, Urteil vom 1. Juni 2023 – 4 D 94/20.NE –, juris Rn. 105 ff.
27Öffentliche Bibliotheken sind danach auch Bildungseinrichtungen, die durch den Zugang zu Informationen wesentlich zur Vermittlung von allgemeiner, interkultureller und staatsbürgerlicher Bildung beitragen. Zudem sollen sie demokratische Willensbildung und gleichberechtigte Teilhabe sowie die gesellschaftliche Integration ermöglichen und unterstützen. Eingebunden in einen solchen Bildungsauftrag ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine öffentliche Bibliothek sich zu den von ihr zur Ausleihe bereitgestellten Werken in wertender Form äußert und diese ggf. auch kritisch einordnet. Insbesondere wenn sich Nutzerinnen oder Nutzer bereits über die Auswahlentscheidung der Bibliothek – wie im vorliegenden Fall – beschwert haben, kann es zudem ein legitimes Interesse einer öffentlichen Bibliothek darstellen, auf die Beschwerden zu reagieren und zu erläutern, warum dieses Werk trotz des Inhalts zur Ausleihe zur Verfügung gestellt wird. Die öffentliche Bibliothek ist dabei auch nicht darauf zu verweisen, dass sie alle im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungen formal gleich zu behandeln hat.
28Vgl. zur Bundeszentrale für politische Bildung BVerfG, Beschluss vom 17. August 2010 – 1 BvR 2585/06 –, juris Rn. 23 f.
29b) Über die genannte Aufgabenzuweisungsnorm hinaus bedurfte es entgegen der Auffassung des Antragstellers keiner besonderen gesetzlichen Grundlage für den streitgegenständlichen Einordnungshinweis.
30Die Zuweisung einer Aufgabe berechtigt grundsätzlich zur Informationstätigkeit im Rahmen der Wahrnehmung dieser Aufgabe, auch wenn dadurch Grundrechte Dritter berührt werden können. Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt hierfür keine darüber hinausgehende besondere Ermächtigung durch den Gesetzgeber, es sei denn, die Maßnahme stellt sich nach Zielsetzung und Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme dar, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist. Durch die Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs kann das Erfordernis einer besonderen gesetzlichen Grundlage nicht umgangen werden.
31Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 –, juris Rn. 76; BVerwG, Urteil vom 13. September 2017 – 10 C 6/16 –, juris Rn. 21.
32Ein solches funktionales Äquivalent für eine staatliche Maßnahme ist dadurch gekennzeichnet, dass der Staat zielgerichtet zu Lasten bestimmter Betroffener einen im öffentlichen Interesse erwünschten Erfolg herbeiführen will. Seine Maßnahme muss eindeutig auf einen nachteiligen Effekt abzielen, der bei dem Betroffenen eintreten soll, und darf diesen Effekt nicht lediglich als Begleiterscheinung mit sich bringen.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 7 C 20/04 –, juris Rn. 29 m. w. N.
34Nach diesen Maßstäben stellt sich die hier zu beurteilende staatliche Maßnahme weder als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne noch als funktionales Äquivalent zu einem solchen Eingriff dar. Der Einordnungshinweis beeinträchtigt den Antragsteller zwar mittelbar-faktisch in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und ggf. auch in seinen aus Art. 5 Abs. 1 GG folgenden Kommunikationsgrundrechten und in seiner Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG. In ihrer Intensität steht die Maßnahme aber einem zielgerichteten regulativen Grundrechtseingriff nicht gleich. Der Einordnungshinweis greift weder objektiv zielgerichtet in die Grundrechte des Antragstellers ein noch hat er vergleichbare negative Wirkungen wie ein regulativer Grundrechtseingriff. Das Buch des Antragstellers kann weiterhin von allen Nutzerinnen und Nutzern der Stadtbücherei gelesen und ausgeliehen werden. Der soziale Geltungsanspruch des Antragstellers ist zudem nur in seinem Randbereich betroffen.
35vgl. zu einer ähnlichen Konstellation BVerwG, Urteil vom 13. September 2017 – 10 C 6/16 –, juris Rn. 22.
36c) Der streitgegenständliche Einordnungshinweis wahrt schließlich auch die Anforderungen des Sachlichkeitsgebots.
37Das Sachlichkeitsgebot erfordert im Einzelnen, dass mitgeteilte Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen, dass sie den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten sowie auf einem im Wesentlichen zutreffenden und zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen. Außerdem dürfen die Äußerungen im Hinblick auf das mit der Äußerung verfolgte sachliche Ziel im Verhältnis zu den Grundrechtspositionen, in die eingegriffen wird, nicht unverhältnismäßig sein.
38Vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. November 2016 – 15 A 2293/15 –, juris Rn. 103 ff. m. w. N.
39Für die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen kommt es insbesondere auf den objektiven Sinn einer Äußerung und ihren Gesamtkontext an. Entscheidend ist nicht die subjektive Absicht des Äußernden oder das subjektive Verständnis einzelner Adressaten, sondern das Verständnis, das ihr ein unvoreingenommenes Durchschnittspublikum beimisst. Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind, handelt es sich bei Werturteilen um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist.
40Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2017 – 15 B 97/17 –, juris Rn. 13 ff. m. w. N.
41Eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Werturteil angesehen werden.
42Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. April 2024 – 1 BvR 2290/23 –, juris Rn. 32 m. w. N.
43Ausgehend von diesen Maßstäben erweist sich der streitgegenständliche Einordnungshinweis insgesamt als Werturteil. Insbesondere ist der erste Satz („Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt.“) keiner objektiven Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich, sondern stellt sich aus Sicht des unvoreingenommenen Durchschnittspublikums als eine subjektive Bewertung des Inhalts des Werkes durch die Stadtbücherei dar. Diese Bewertung ist durch Elemente der Stellungnahme geprägt. Zudem kann der Inhalt eines Buches aus vielerlei Gründen umstritten sein. Jede Person versteht etwas Anderes unter einem umstrittenen Inhalt. Die Bewertung kann sich mithin nicht als objektiv „wahr“ oder „unwahr“ erweisen. Vielmehr kann man im Hinblick auf diese Bewertung auch anderer Meinung sein.
44Vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 13. November 2024 – 4 U 85/24 –, juris Rn. 228 zu den Begriffen verschwörungstheoretisch, antisemitisch und rechtsextrem.
45Entsprechendes gilt für den zweiten Satz des Einordnungshinweises („Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“), der in einem untrennbaren Zusammenhang zum ersten Satz steht und deutlich machen soll, warum die Stadtbücherei das Werk trotz des ihrer Auffassung nach umstrittenen Inhalts den Nutzerinnen und Nutzern zur Ausleihe zur Verfügung stellt.
46Dieses Werturteil überschreitet zunächst nicht den sachlich gebotenen Rahmen. Der Einordnungshinweis ist zurückhaltend und nicht reißerisch formuliert. Es handelt sich um einen Hinweis an potentielle Leserinnen und Leser, der auf die Umstrittenheit des Inhalts des Werkes Bezug nimmt und gleichzeitig erklärt, warum die Stadtbücherei das Werk zur Ausleihe zur Verfügung stellt. Insbesondere ist der Einordnungshinweis aus Sicht des unvoreingenommenen Durchschnittspublikums nicht dahingehend zu verstehen, dass die Stadtbücherei dazu aufruft, das Buch nicht zu lesen. Der Hinweis hat keinen Appellcharakter. Auch wird der Inhalt des Buchs nicht verächtlich gemacht oder ausdrücklich missbilligt. Vielmehr bleibt es den Leserinnen und Lesern weiterhin selbst überlassen, ob sie das Buch ausleihen und lesen wollen. Eine entsprechende Ausleihe wird auch nicht faktisch erschwert. Je nach Leserkreis kann ein entsprechender Hinweis sogar dazu führen, dass das Interesse an dem Buch erst geweckt wird. Im Ergebnis werden die potentiellen Leserinnen und Leser über den Inhalt des Buches lediglich informiert und entsprechend sensibilisiert. Die äußere Gestaltung des Hinweises und die Anbringung auf der Innenseite des Bucheinbands wahren ebenfalls die Anforderungen des Sachlichkeitsgebots.
47Der Einordnungshinweis beruht auch auf einem im Wesentlichen zutreffend und zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern. Die Antragsgegnerin hat in ihrem Schriftsatz vom 4. März 2025 nachvollziehbar dargelegt, dass das streitgegenständliche Buch des Antragstellers einen Inhalt hat, der als umstritten bezeichnet werden kann. Dies ergibt sich bereits daraus, dass darin mehrere gesicherte historische Ereignisse, wie z. B. die Atombombenexplosionen in Hiroshima und Nagasaki im August 1945 oder die bemannten Mondlandungen, in Abrede gestellt werden. Die in einem Jahrbuch enthaltene Negierung von historischen Fakten kann ohne weiteres dahingehend gewürdigt werden, dass der Inhalt umstritten ist. Dies gilt umso mehr, als der Inhalt des streitgegenständlichen Buches bzw. der vorherigen Jahrbücher des Antragstellers bereits Gegenstand von deutlicher öffentlicher Kritik durch Literaturkritiker und einen Berufsverband für Bibliotheken war. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob sich ein entsprechendes Werturteil auch darauf stützen ließe, dass der Y-Verlag, in dem das Buch erschienen ist, nach Auffassung der Bundeszentrale für politische Bildung zu den Verlagen gehört, die Verschwörungstheorien verbreiten. Unabhängig von einer genauen rechtlichen Prüfung der im zweiten Satz genannten grundrechtlichen Gewährleistungen erweist sich das darin enthaltene Werturteil, dass die Stadtbücherei die in dem Buch aufgestellten Thesen nicht zwangsläufig teilt, dieses jedoch den Nutzerinnen und Nutzern gleichwohl zur Ausleihe zur Verfügung stellt, als vertretbare Würdigung des gesetzlichen Auftrags von öffentlichen Bibliotheken.
48Schließlich gibt es auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Einordnungshinweis im Buch des Antragstellers auf sachfremden Erwägungen beruht, weil neben dem Buch des Antragstellers bislang nur ein weiteres Buch einen entsprechenden Hinweis erhalten hat. Aus diesem Grund liegt auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG vor.
49Dem Antragsteller ist zwar insoweit zuzustimmen, dass in dem Bestand der Stadtbücherei neben den zwei Büchern mit Einordnungshinweisen sicherlich auch noch weitere Bücher vorhanden sind, deren Inhalt vertretbar als umstritten gewürdigt werden könnte. Daraus ergibt sich allerdings keine willkürliche Ungleichbehandlung zwischen den zwei Büchern mit Einordnungshinweisen und dem übrigen Bibliotheksbestand. Vielmehr hat die Antragsgegnerin nachvollziehbar dargelegt, dass sie nicht über die Ressourcen verfügt, um systematisch ihren gesamten Bestand zu untersuchen, so dass bislang keine umfassende Prüfung des Bibliotheksbestands stattgefunden hat. Zu einer entsprechenden umfassenden Prüfung ist die Stadtbücherei der Antragsgegnerin rechtlich auch nicht verpflichtet. Vielmehr obliegt es zunächst der öffentlichen Bibliothek selbst, im Rahmen ihrer verfügbaren personellen und finanziellen Ressourcen zu entscheiden, wie sie ihren durchaus vielfältigen gesetzlichen Auftrag aus §§ 47, 48 Kulturgesetzbuch NRW erfüllt. Die in den §§ 47, 48 Kulturgesetzbuch NRW im Einzelnen aufgezählten Funktionen von öffentlichen Bibliotheken stehen dabei gleichrangig nebeneinander. Insbesondere der gesetzlich verankerte Bildungsauftrag kann durch eine öffentliche Bibliothek vielfältig interpretiert werden und verlangt, wie bereits erwähnt, gerade nicht, dass alle im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungen formal gleich zu behandeln sind. Eine öffentliche Bibliothek ist daher auch nicht verpflichtet, sich zu allen bei ihr verfügbaren Medien zu äußern, sofern sie sich zu einzelnen Werken in wertender Form äußert. Insbesondere wird eine rechtmäßige Maßnahme nicht dadurch gleichheitswidrig, dass in möglicherweise vergleichbaren anderen Fällen anders verfahren worden ist.
50Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 558/91 –, juris Rn. 81.
51Unabhängig davon ist es rechtlich nicht zu beanstanden und insbesondere nicht willkürlich, dass die Stadtbücherei zum einen nur solche Medien genauer in den Blick nimmt, die seit der Herbstproduktion 2023 inventarisiert worden sind, und zum anderen die Werke im Wesentlichen anlassbezogen prüft, d. h., wenn sich Nutzerinnen oder Nutzer der Bücherei darüber beschweren oder sie sonstige Hinweise auf einen umstrittenen Inhalt erhält. Beide Voraussetzungen waren im Fall des hier streitgegenständlichen Buchs (und bei dem Buch über Wladimir Putin) gegeben. Keine Voraussetzung für ein entsprechendes Werturteil ist hingegen, dass die Bücherei zuvor bestimmte Kriterien festgelegt, nach denen sie ein Buch anschließend beurteilt. Unabhängig davon, dass es regelmäßig nicht möglich sein dürfte, im Vorhinein abstrakt-generelle Kriterien für die Bewertung von Büchern festzulegen, ist es nach den obigen Maßstäben lediglich geboten, dass die Stadtbücherei der Antragsgegnerin einen Tatsachenkern ermittelt, den sie anschließend im Wesentlichen zutreffend und zumindest sachgerecht und vertretbar würdigt. Dies ist vorliegend der Fall.
52Der streitgegenständliche Einordnungshinweis erweist sich im Hinblick auf das mit der Äußerung verfolgte Ziel im Verhältnis zu den Grundrechtspositionen, in die eingegriffen wird, auch nicht als unverhältnismäßig. Legitimes Ziel der Antragsgegnerin ist im vorliegenden Fall, die Nutzerinnen und Nutzer der Stadtbücherei über den Inhalt des Buches zu informieren und entsprechend zu sensibilisieren. Gleichzeitig will sie erklären, warum das Buch gleichwohl zur Ausleihe zur Verfügung gestellt wird. Anhaltspunkte dafür, dass die Äußerung nicht geeignet ist, diese Ziele zu erreichen, sind nicht ersichtlich. Ein anderes gleich geeignetes Mittel, das die Grundrechte des Antragstellers weniger berührt, ist ebenfalls nicht erkennbar. Insbesondere ist der Hinweis sowohl von seiner äußeren Form als auch von seinem Inhalt so zurückhaltend gestaltet, dass eine weitergehende Zurückhaltung nicht mehr möglich erscheint, sofern der Hinweis noch wahrgenommen werden soll. Die Äußerung des in der Sache vertretbaren Werturteils verfolgt die genannten Ziele auch in einem angemessenen Verhältnis zu den Interessen des Antragstellers. Diese sind vorliegend lediglich mittelbar-faktisch berührt. Zwar ist der Hinweis grundsätzlich geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Autors in der Öffentlichkeit auszuwirken. Der Eingriff weist jedoch nur eine geringe Intensität auf. Auch bleibt es weiterhin den Leserinnen und Lesern des Buches selbst überlassen, sich eine eigene Meinung über das Buch und die Thesen des Autors zu bilden. Sie werden durch den Hinweis lediglich dafür sensibilisiert, dass der Inhalt nach Auffassung der Stadtbücherei umstritten ist und bereits kontrovers diskutiert worden ist. Der Hinweis enthält auch keinen Appellcharakter dahingehend, das Buch nicht zu lesen bzw. nicht auszuleihen. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Hinweis insgesamt als zumutbar für den Antragsteller, der als Autor von Thesen, die historische Fakten negieren, aushalten muss, dass dieser Umstand von öffentlichen Bibliotheken im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags zum Anlass genommen wird, sich kritisch mit einem solchen Werk auseinanderzusetzen.
53d) Hingegen trifft die Stadtbücherei der Antragsgegnerin entgegen der Auffassung des Antragstellers keine strikte Neutralitätspflicht im Verhältnis zum Antragsteller.
54Das zum Schutz der Chancengleichheit und des Wettbewerbs von politischen Parteien entwickelte Neutralitätsgebot bindet die Stadtbücherei vorliegend bereits deshalb nicht, weil die streitgegenständliche Äußerung sich nicht gegen eine politische Partei i. S. d. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG richtet, der gegenüber ein striktes Neutralitätsgebot allein eingreifen kann. Die Stadtbücherei hat hier nicht im Kontext des politischen Wettbewerbs gehandelt, sondern im Rahmen ihres Bildungsauftrags als öffentliche Bibliothek. Im Verhältnis zu (politischen) Meinungsäußerungen Einzelner unterliegt die Antragsgegnerin jedoch keinem strikten Neutralitätsgebot, sondern nur den bereits erwähnten Bindungen des Sachlichkeitsgebots.
55Vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 8. September 2020 – 1 BvR 987/20 –, juris Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 4. November 2016 – 15 A 2293/15 –, juris Rn. 94 ff.; VG Berlin, Urteil vom 16. April 2019 – 6 K 13.19 –, juris Rn. 50.
56II. Da der Antragsteller bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, kommt es nicht mehr darauf an, ob er im Hinblick auf den begehrten Folgenbeseitigungsanspruch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.
57B. Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
58die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zukünftig zu unterlassen, in den in der Stadtbücherei vorgehaltenen Exemplaren des vom Antragsteller verfassten Buchs „X“ einen Einordnungshinweis mit dem Text „Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“ anzubringen,
59ist nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässig, aber ebenfalls unbegründet.
60Auch insofern hat der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
61Der hier allein in Betracht kommende öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt neben einem rechtswidrigen Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht voraus, dass die Gefahr einer Wiederholung des rechtswidrigen Eingriffs droht.
62Vgl. hier nur OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2022 – 15 B 893/22 –, juris Rn. 63.
63Vorliegend fehlt es aber bereits an einem rechtswidrigen Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht, weil – wie oben unter A. I. näher dargelegt – alle in Betracht kommenden Grundrechtseingriffe gerechtfertigt sind.
64C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
65Vgl. zu einer ähnlichen Konstellation OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2022 – 15 B 893/22 –, juris Rn. 85.