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Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e
2Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage – 9 K 844/24 – gegen die Anordnung einer nachträglichen Auflage vom 28. März 2024 zur Erlaubnis zum Betrieb der Prostitutionsstätte am Standort C.-----straße 00, 00000 S. wiederherzustellen,
4ist zulässig, aber unbegründet.
5Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 28. März 2024 wiederherzustellen, ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft. Denn die am 9. April 2024 erhobene Anfechtungsklage gegen die Verfügung hat aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung.
6Der Antrag hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
7Die gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hängt von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen an der Suspendierung der angefochtenen Maßnahme einerseits und der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits ab. Ausgangspunkt dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Ergibt die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische Prüfung, dass der mit sofortiger Vollziehungsanordnung versehene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt regelmäßig das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Denn an der Vollziehung einer rechtswidrigen hoheitlichen Maßnahme kann kein öffentliches Interesse bestehen. Ist hingegen der angegriffene Bescheid offensichtlich rechtmäßig, überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Bestand des Sofortvollzugs – in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO jedoch nur dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, ist die Entscheidung auf der Grundlage einer umfassenden Folgenabwägung zu treffen. Formale Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung ist darüber hinaus, dass für das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung eine schriftliche Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gegeben ist.
8Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Insbesondere erfüllt sie die Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, da der Antragsgegner das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich begründet hat. Dem Bescheid lässt sich entnehmen, dass der Antragsgegner sich des besonderen Ausnahmecharakters dieser Anordnung bewusst geworden ist. Denn er begründet diese damit, dass nicht hingenommen werden könne, dass für die Dauer eines möglichen Verwaltungsstreitverfahrens der Schutz der in der Prostitutionsstätte tätigen Personen – die Auflage diene dem Schutz der überragend wichtigen Rechtsgüter Leib und Leben – nicht im erforderlichen Umfange gewährleistet werde.
9Ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen überwiegt hier das öffentliche Vollzugsinteresse. Nach summarischer Prüfung hat die Klage in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg. Der angegriffene Bescheid ist offensichtlich rechtmäßig.
10Rechtsgrundlage für die nachträgliche Auflage zur Erlaubnis gemäß § 12 ProstSchG ist § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 ProstSchG. Danach kann die Erlaubnis unter anderem nachträglich um Auflagen ergänzt werden, soweit dies erforderlich ist zum Schutz der Sicherheit, der Gesundheit oder der sexuellen Selbstbestimmung der im Prostitutionsgewerbe tätigen Prostituierten, der Beschäftigten sowie der Kundinnen und Kunden.
11Die Tatbestandsvoraussetzungen für die nachträgliche Aufnahme der Auflage liegen mit Blick auf die vom Antragsteller betriebene Prostitutionsstätte vor. Denn diese erfüllt nicht die dem Schutz der dort tätigen Prostituierten dienende, in § 18 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG niedergelegte Mindestanforderung an Prostitutionsstätten, wonach die einzelnen für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räume über ein sachgerechtes Notrufsystem verfügen müssen.
12Der unbestimmte Rechtsbegriff des sachgerechten Notrufsystems in § 18 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG unterliegt der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Die unter Ziffer 18.2.2 der Richtlinie zum Vollzug des Prostituiertenschutzgesetzes gegenüber dem Prostitutionsgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25. März 2020 (RL ProstSchG-Gewerbe) vorgenommene Interpretation dieses Rechtsbegriffs bindet das Gericht nicht. Vielmehr hat das Gericht bei der Nachprüfung eines von den Verwaltungsbehörden angewandten unbestimmten Rechtsbegriffs und bei dessen Konkretisierung die allgemeinen juristischen Auslegungsregeln zu beachten.
13Vgl. VG Minden, Beschluss vom 16. Mai 2023 – 3 L 276/23 –, juris, Rn. 18; VG Düsseldorf, Urteil vom 17. November 2021 – 29 K 8461/18 –, juris, Rn. 98 ff., m. w. N.
14Ob es Ziffer 18.2.2 RL ProstSchG-Gewerbe – wie der Antragsteller vorträgt – an einer hinreichenden Rechtsgrundlage mangelt, ist vor diesem Hintergrund unerheblich.
15Hier ist maßgeblich auf den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung abzustellen. Nach der Gesetzesbegründung soll die Ausrüstung der für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räume mit einer Notruffunktion zum Schutz vor Übergriffen durch Kunden und Kundinnen sowie zum schnellen Zugang zu Hilfe beitragen; neben der technischen Funktionalität kommt es auch darauf an, ob im Falle der Betätigung des Notrufs geeignete Maßnahmen ausgelöst werden, die dem Schutz der Prostituierten dienen. Die Eignung der Vorrichtung ist daher im Kontext des jeweiligen Betriebskonzepts zu beurteilen. Bei der jeweiligen technischen Lösung sind die konkreten Rahmenbedingungen des Betriebs zu berücksichtigen.
16Vgl. BT-Drs. 18/8556, S. 83.
17Sachgerecht sind danach allein solche Notrufsysteme, welche nach den Gegebenheiten des jeweiligen Betriebs im Falle eines Übergriffs effektiven Schutz bieten. Dies ist nur dann der Fall, wenn ausnahmslos gewährleistet ist, dass das Absetzen eines Notrufs automatisch Folgemaßnahmen auslöst, die dazu führen, dass der oder dem in Not geratenen Prostituierten im Falle eines Übergriffs durch einen Kunden oder eine Kundin schnell und erfolgversprechend geholfen wird. Hierzu bedarf es einer im Einzelnen und im Voraus festgelegten Interaktionskette, an deren Ende in jedem Fall schnellstmögliche und adäquate Hilfe geleistet wird.
18Vgl. VG Minden, Beschluss vom 16. Mai 2023 – 3 L 276/23 –, juris, Rn. 22, 27.
19Wegen der besonders schutzbedürftigen und hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung und körperlichen Unversehrtheit der im Betrieb tätigen Prostituierten ist insoweit ein strenger Maßstab anzulegen.
20Eine nur technische Lösung fordert der Gesetzgeber schon ausweislich der Gesetzesbegründung nicht. Zwar ist es für das Vorhandensein eines sachgerechten Notrufsystems – anders als Ziffer 18.2.2 RL ProstSchG-Gewerbe dies vorsieht – vor dem Hintergrund der gebotenen Einzelfallbetrachtung des jeweiligen Betriebs nicht zwingend und ausnahmslos erforderlich, dass im Betrieb anwesende und jederzeit verfügbare Helfer vorgesehen sind, die unmittelbar durch Auslösen des Notrufs (etwa durch ein akustisches oder visuelles Signal) alarmiert werden und jederzeit unverzüglich Zutritt zur Räumlichkeit der sexuellen Dienstleistung haben.
21Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Oktober 2023 – 4 B 846/23 –, juris, Rn. 5.
22Dennoch ist, wenn nicht grundsätzlich, jedoch jedenfalls in der Regel nur ein Notrufsystem sachgerecht, das die jederzeitige Anwesenheit des Betreibers oder einer zuverlässigen Person im Sinne des § 25 Abs. 2 ProstSchG verlangt.
23Weitergehend VG Minden, Beschluss vom 16. Mai 2023 – 3 L 276/23 –, juris, Rn. 27 ff.
24Denn angesichts der mit den Umständen der sexuellen Dienstleistung einhergehenden besonderen Verletzlichkeit sowie der überragenden Bedeutung der in Rede stehenden Rechtsgüter der Prostituierten, namentlich insbesondere ihrer sexuellen Selbstbestimmung und körperlichen Unversehrtheit, ist eine schnellstmögliche Hilfeleistung sicherzustellen. Nicht unerhebliche Verzögerungen, wie sie durch weitere erforderliche Schritte wie das Alarmieren und Ausrücken der Polizei, ggf. längere Anfahrtswege oder Ähnliches entstehen können, sind vor diesem Hintergrund nicht hinnehmbar.
25Vgl. VG Minden, Beschluss vom 16. Mai 2023 – 3 L 276/23 –, juris, Rn. 31.
26Lediglich in Einzelfällen, in denen nach dem jeweiligen Betriebskonzept und den konkreten Rahmenbedingungen des Betriebs derartige Verzögerungen, die einer effektiven Hilfe entgegenstehen, nicht zu erwarten sind, kann ein sachgerechtes Notrufsystem auch ohne die jederzeitige Anwesenheit des Betreibers oder einer zuverlässigen Person im Sinne des § 25 Abs. 2 ProstSchG vorliegen.
27Es kann dahinstehen, ob die durch einen Notruf alarmierte Person über die allgemeine Pflicht zur Hilfeleistung hinaus gegenüber dem Betreiber der Prostitutionsstätte zum Eingreifen verpflichtet und für die effektive Hilfeleistung im Fall eines Übergriffs dergestalt qualifiziert sein muss, dass es sich um eine dezidierte Wachperson handelt, oder diese vordringlich Wachaufgaben wahrzunehmen hat.
28So aber VG Minden, Beschlüsse vom 16. Mai 2023 – 3 L 276/23 –, juris, Rn. 29 ff., 37, und vom 6. Oktober 2022 – 3 L 579/22 –, juris, Rn. 64.
29Denn solche weitergehenden Verpflichtungen wurden dem Antragsteller durch den Antragsgegner nicht aufgegeben.
30Schon angesichts dessen verfängt das Argument des Antragstellers, die Auflage der ständigen Anwesenheit des Betreibers oder einer von ihm benannten zuverlässigen Person verstoße gegen Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungs-RL), da die anwesende Person eine Kampfausbildung absolviert haben müsse, nicht.
31Unbeachtlich ist auch der Einwand des Antragstellers, dass die Anwendung der RL ProstSchG-Gewerbe zu grotesken Ergebnissen führe, da diese auch für Prostitutionsfahrzeuge gelte und daher auch dort zur dauernden Anwesenheit einer Hilfsperson verpflichte. Diese Argumentation übersieht, dass der Gesetzgeber zwischen der Prostitution dienenden Anlagen (§ 18 ProstSchG) und Prostitutionsfahrzeugen (§ 19 ProstSchG) differenziert. Für Prostitutionsfahrzeuge ist insoweit § 19 Abs. 2 Satz 2 ProstSchG einschlägig, der den Begriff des sachgerechten Notrufsystems nicht verwendet, sondern den Betreiber stattdessen verpflichtet, durch technische Vorkehrungen zu gewährleisten, dass während des Aufenthalts im Innenraum jederzeit Hilfe erreichbar ist.
32Ein Notrufsystem, bei dem die Hilfeleistung durch andere im Betrieb anwesende Prostituierte erfolgen soll oder nur diese vor Ort sind, um auf einen Notruf zu reagieren, ist von vornherein nicht sachgerecht. Es liefe dem Zweck des § 18 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG, Prostituierte zu schützen, zuwider, wenn das Absetzen des Notrufs dazu führte, dass sich weitere im Betrieb befindliche Prostituierte in Gefahr bringen müssten. Es ist mit der gesamten gesetzlichen Konzeption des Prostituiertenschutzgesetzes nicht vereinbar, die dem Betreiber einer Prostitutionsstätte auferlegten Pflichten auf die im Betrieb tätigen Prostituierten abzuwälzen.
33Vgl. VG Minden, Beschluss vom 16. Mai 2023 – 3 L 276/23 –, juris Rn. 29; siehe auch VG Hamburg, Beschluss vom 31. August 2023 – 9 E 3275/23 –, BeckRS 2023, 44450, Rn. 50; zum durch das Prostituiertenschutzgesetz verfolgten Zweck des Schutzes von Prostituierten als besonders vulnerable Personen vgl. BT-Drs. 18/8556, S. 1 f.
34Ausgehend von diesen Maßgaben erweist sich das in der Prostitutionsstätte des Antragstellers vorgesehene Notrufsystem nach dem genehmigten Betriebskonzept und den konkreten Rahmenbedingungen des Betriebs als nicht sachgerecht. Denn die bei Auslösung eines Notrufs vorgesehenen Folgemaßnahmen reichen nicht aus, um die erforderliche effektive Hilfeleistung für den Fall eines Übergriffs sicherzustellen.
35Nach der Darstellung des Antragstellers in der Antragsschrift wird im Falle der Betätigung des Notrufknopfes eine akustische Sirene ausgelöst. Zeitgleich werden eine Sicherheitsfirma und der Betreiber telefonisch über den Notruf informiert. Diese lösen sodann die Interventionskette aus. Bei einer Kontrolle des Antragsgegners im Betrieb des Antragstellers am 1. März 2023 wurde das Notrufsystem getestet. Nach Betätigung eines Notschalters in einem Arbeitszimmer ertönte laut Vermerk ein kurzes lautes Signal im Flur. Daraufhin wurde nach ca. drei Minuten ein Anruf zur Sicherheitsfirma durchgestellt, deren Mitarbeiter sich per Lautsprecher im Flur meldete.
36Bereits die Tatsache, dass es drei Minuten dauerte, bis der durch den Notruf ausgelöste Anruf zur Sicherheitsfirma durchgestellt wurde, lässt das vorhandene Notrufsystem als nicht sachgerecht erscheinen. Bei einer derartigen Verzögerung, der – neben der Alarmierung der Polizei – unmittelbar zunächst nur eine akustische Einwirkung des Mitarbeiters der Sicherheitsfirma auf die Situation folgen kann, ist eine hinreichend effektive Hilfeleistung nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als sich der Mitarbeiter über einen Lautsprecher im Flur und nicht in dem Zimmer, in dem der Notruf ausgelöst wurde, meldete. Dessen Möglichkeit, auf einen etwaigen Angreifer einzuwirken, ist damit noch mehr als bereits durch die bloße körperliche Abwesenheit eingeschränkt. Darüber hinaus führt hier auch die konkrete Gestaltung der Interventionskette nicht ansatzweise zu einem hinreichend effektiven Schutz der Prostituierten. Der Notruf löst zunächst nur einen Anruf bei der Sicherheitsfirma und dem Betreiber – evtl. auch bei dessen Stellvertretung, so der Antragsteller im Verwaltungsverfahren – aus, die wiederum die Polizei alarmieren. Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, dass eine unangemessen lange Zeit vergeht, bis eine Person, die nicht gleichzeitig schutzbedürftig ist, vor Ort ist und auf die Situation einwirken kann. Der Wohnsitz des Antragstellers befindet sich ca. 25 km von der Betriebsstätte entfernt, die Wohnsitze der vom Antragsteller im Verwaltungsverfahren benannten Mitarbeiterinnen, die der Antragsgegner als zuverlässig eingestuft hat, ca. 12 bzw. 6 km, die nächste Polizeiwache jedenfalls noch knapp 5 km. Zudem kann bei Öffnungszeiten von 11 bis 22 Uhr an sieben Tagen in der Woche bei lebensnaher Betrachtung nicht von einer jederzeitigen Erreichbarkeit des Antragstellers oder der vorgenannten Mitarbeiterinnen ausgegangen werden.
37Dass laut Antragsteller Übergriffe die Ausnahme seien und es im streitgegenständlichen Betrieb bisher zu keinem solchen gekommen sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Gesetzgeber geht zu Recht von einer Gefahrgeneigtheit der Prostitution und der besonderen Schutzbedürftigkeit von Prostituierten aus; empirische Befunde belegen die erheblichen psychischen und physischen Gefährdungen, denen die in diesem Bereich Tätigen ausgesetzt sind,
38vgl. BT-Drs. 18/8556, S. 33 unter Verweis auf BT-Drs. 16/4146, S. 6.
39Diese Gefahr wird nicht dadurch widerlegt, dass sie im Betrieb des Antragstellers nach seinen Angaben bisher nicht eingetreten ist. Gerade angesichts des Betriebskonzepts mit Öffnungszeiten von 11 bis 22 Uhr an sieben Tagen in der Woche, während der durchschnittlich sechs Prostituierte jeweils etwa zehn Stunden anwesend sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Gefahr eines Übergriffs realisiert, auch nicht gering.
40Der Vortrag des Antragstellers, wonach die Beurteilung der Rechtslage bei Notwehr und Nothilfe ein nur sehr schwer zu beurteilendes rechtliches Problem sei, das ein Einschreiten letztlich unzumutbar mache, verfängt nicht. Zum einen gibt die Auflage des Antragsgegners nicht genau vor, wie in einer Hilfssituation gehandelt werden muss, sodass schon die Vorstellung eines unter Umständen nicht vom Notwehr- oder Nothilferecht gerechtfertigten Verhaltens der Hilfsperson rein spekulativ ist. Zum anderen bemisst sich die strafrechtliche Vorwerfbarkeit des Verhaltens einer hilfeleistenden Person nicht rein objektiv, sondern auch nach deren subjektiver Wahrnehmung der Situation. Dem wird durch die Irrtumsregeln, insbesondere den sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtum, Rechnung getragen. Dass vor einem persönlichen Einschreiten zunächst Rechtsrat eingeholt werden müsste, um sich im strafrechtlichen Bereich einwandfrei und rechtstreu zu verhalten, liegt dementsprechend fern. Ob dem Betreiber oder einer von ihm benannten zuverlässigen Person eine Rechtspflicht zur Hilfeleistung im Sinne des § 323c Abs. 1 StGB zugemutet werden kann, ist in diesem Zusammenhang ebenfalls unerheblich. Entsprechend liegt auch die Argumentation des Antragstellers neben der Sache, wonach das Eingreifen einer anwesenden Person zu einer negativen Beurteilung von dessen Zuverlässigkeit im Sinne des § 15 ProstSchG führen könnte. Alle diese Erwägungen beruhen auf der unzutreffenden Annahme, dass die Auflage des Antragsgegners die Hilfsperson des Antragstellers zu einer bestimmten, nämlich unter Umständen rechtswidrigen Hilfeleistung zwinge, durch die diese sich strafbar machen könne. Auch zu einer Selbstgefährdung verpflichtet sie die in der Auflage benannten Personen nicht. Auf ähnlichen Spekulationen beruht das Vorbringen des Antragstellers, dass etwaige Körper- und Sachschäden der helfenden Person aufgrund der Befreiung Prostituierter von der Pflicht zur Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Unfallversicherung nicht ersetzt würden. Hypothetische Rechtsfolgen eines Verhaltens, das von der Auflage nicht erzwungen wird, ändern nichts an der Rechtmäßigkeit der Auflage als solcher. Es gibt auch keinen Grundsatz, wonach die Verwaltung bei jeder Regelung etwaige zivilrechtliche Haftungsfolgen unter den Regelungsbetroffenen bedenken müsste. Die Auflage stellt auch entgegen der Annahme des Antragstellers nicht das staatliche Gewaltmonopol infrage, weil sie ausschließlich Private mit der staatlichen Aufgabe der Herstellung von Sicherheit und Ordnung betraue. Durch die Auflage werden weder hoheitliche Aufgaben noch Eingriffsbefugnisse auf den Antragsteller übertragen. Ein etwa erforderliches Eingreifen der Polizei wird durch die Auflage nicht ausgeschlossen. Vielmehr trägt die Auflage überhaupt erst dazu bei, dieses Eingreifen zeitnah zu ermöglichen. Denn eine bei einem Notruf in der Prostitutionsstätte anwesende Person kann unabhängig vom ebenfalls durch den Notruf, allerdings nur fernmündlich kontaktierten Sicherheitsdienst staatliche Hilfe herbeirufen und bis zu deren Eintreffen deeskalierend auf den übergriffigen Kunden einwirken.
41Die nachträgliche Aufnahme der Auflage in die Betriebserlaubnis ist auch ermessensfehlerfrei (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) erfolgt. Die dagegen von dem Antragsteller erhobenen Einwände greifen nicht durch. Der Antragsgegner durfte die Auflage nach den obigen Ausführungen rechtsfehlerfrei auf das Fehlen eines sachgerechten Notrufsystems in der von dem Antragsteller betriebenen Prostitutionsstätte stützen. Unerheblich ist, dass der Antragsgegner die Erlaubnis vom 19. Dezember 2019 ursprünglich ohne die ausdrückliche Auflage einer ständigen Anwesenheit des Betreibers oder einer von ihm benannten zuverlässigen Person erteilt hat. Mit der in der Erlaubnis enthaltenen Auflage, die den Antragsteller verpflichtete, dem Antragsgegner eine zuverlässige Person anzuzeigen, die in seiner Abwesenheit für die Sicherheit der im Betrieb beschäftigten Sexworker verantwortlich ist, hatte der Antragsgegner bereits eine Verpflichtung des Inhalts der nunmehr streitgegenständlichen Auflage beabsichtigt. Erst infolge des mit Beschluss des Amtsgerichts Steinfurt vom 16. Januar 2024 – 16 OWi-79 Js 1854/23-345/23 – eingestellten Ordnungswidrigkeitenverfahrens hat sich für den Antragsgegner ein Klarstellungsbedürfnis ergeben.
42Eine Selbstbindung der Verwaltung zur Duldung dieses rechtswidrigen Zustands ist nicht anzunehmen. Vielmehr dient gerade die in der RL ProstSchG-Gewerbe vorgenommene Norminterpretation dahingehend, dass im Betrieb anwesende und jederzeit verfügbare Helfer vorgesehen sind, der gleichmäßigen Anwendung von § 18 Abs. 2 Nr. 2 ProstSchG. Ein schützenswertes Vertrauen des Antragstellers, das eine Verwirkung aufseiten des Antragsgegners begründen konnte, ist ebenso wenig ersichtlich. Bei der konkret gewählten Auflage hat sich der Antragsgegner ferner ermessensfehlerfrei an dem Betriebskonzept des Antragstellers orientiert.
43Die gewählte Auflage ist auch verhältnismäßig. Sie ist zum Schutz der Sicherheit, der Gesundheit und der sexuellen Selbstbestimmung der im Prostitutionsgewerbe tätigen Prostituierten geeignet. Sie fördert den Schutz, indem sie durch die Verpflichtung der dauerhaften Anwesenheit des Betreibers oder einer nach § 25 Abs. 2 ProstSchG zuverlässigen Person während des Betriebs der Prostitutionsstätte eine schnelle und – gegenüber einer rein technischen Lösung – direktere Reaktion auf einen Notruf gewährleistet. Dass die zusätzlich dauerhaft anwesende Person nach dem Wortlaut der Auflage nicht vordringlich Wachaufgaben wahrzunehmen hat, führt nicht zu deren Ungeeignetheit.
44A. A. VG Minden, Beschlüsse vom 16. Mai 2023 – 3 L 276/23 –, juris, Rn. 37.
45Die Tatsache, dass in dem Betrieb eine Person anwesend ist, die im Falle eines Notrufs kurzfristig das entsprechende Zimmer aufzusuchen und – sei es nur durch ihre physische Präsenz – deeskalierend auf übergriffige Personen einwirken kann, fördert den mit der Auflage verfolgten Zweck. Dass die insoweit verpflichtete Person vorrangig anderen als Bewachungsaufgaben nachgeht, führt nicht von vornherein zu der Annahme, dass sie in einem Notfall zur sofortigen Hilfeleistung nicht in der Lage ist. Der Geeignetheit der Maßnahme steht jedenfalls nicht entgegen, dass es effektivere Mittel gibt, um den Schutz der Prostituierten zu fördern.
46Die Auflage ist erforderlich. Mildere Mittel sind, insbesondere nach den oben gemachten Ausführungen, nicht ersichtlich.
47Sie ist im Übrigen auch angemessen. Die in die Abwägung einzustellenden, besonders schutzbedürftigen und hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung und körperlichen Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 GG, der im Betrieb tätigen Prostituierten überwiegen die wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers deutlich. Eine Übergangsregelung war insoweit nicht geboten. Die Berufsfreiheit des Antragstellers aus Art. 12 Abs. 1 GG wird durch die Auflage nicht verletzt. Dass die Mehrkosten für die Beschäftigung dauerhaft anwesenden zuverlässigen Personals erdrosselnde Wirkung hätten, hat der Antragsteller nicht ansatzweise substantiiert. Es handelt sich vorliegend um eine bloße Berufsausübungsregelung, die durch vernünftige Gründe des Allgemeinwohls, hier die Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung und körperlichen Unversehrtheit der im Betrieb tätigen Prostituierten, gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber hat insoweit bewusst auf Missstände im Prostitutionsgewerbe reagiert, wo Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Wesentlichen nur vorgenommen worden waren, wenn sie zugleich den wirtschaftlichen Interessen des Betriebsinhabers entsprachen,
48vgl. BT-Drs. 16/4146, S. 35.
49Es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Auflage. Dieses liegt in der Gefährdung der besonders schutzbedürftigen und hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung und körperlichen Unversehrtheit der im Betrieb tätigen Prostituierten, die sich bei Eintritt des Suspensiveffekts der Anfechtungsklage jederzeit realisieren könnte. Wirtschaftliche Interessen des Antragstellers, das Fehlen einer veränderten Gefährdungssituation sowie der Zeitablauf zwischen Erlaubnis- und Auflagenerteilung stehen dem aus den oben bereits dargestellten Gründen nicht entgegen.
50Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.