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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
T a t b e s t a n d
2Der Kläger ist Jäger und wendet sich gegen den Widerruf seiner im Jahr 1992 von dem Polizeipräsidium N. ausgestellten Waffenbesitzkarte mit der Nummer 0000.
3Dem Kläger war bereits im Jahr 1973 eine Waffenbesitzkarte ausgestellt worden. Im April 1989 erschoss sich einer der beiden Söhne des Klägers mit einer Waffe des Klägers. Kurz nach dem Vorfall gab der Kläger an, die Waffe, mit der sein Sohn sich erschossen hat, im Jahre 1966 in den USA erworben zu haben. Er habe in der Folgezeit vergessen, diese Waffe auf seiner Waffenbesitzkarte eintragen zu lassen. Er sei zu diesem Zeitpunkt bereits im Besitz eines Jagdscheins gewesen. Damals sei es noch nicht Pflicht gewesen, die Waffen in einer Besitzkarte eintragen zu lassen. Er habe die Waffe mit seinen anderen Waffen im Schlafzimmerschrank aufbewahrt. Der Schrank sei nicht besonders gesichert gewesen. Er sei zwar abgeschlossen gewesen; der Schlüssel habe aber gesteckt. Seine Frau habe zudem häufig die Tür zum Schlafzimmer verschlossen. Die Munition für seine Waffen habe er separat in einer Tasche aufbewahrt, die auf dem Schlafzimmerschrank gestanden habe. In der Folgezeit änderte der Kläger seine Angaben dahingehend, dass die Schranktür des Schlafzimmerschranks entgegen seiner ursprünglichen Angaben ständig verschlossen gewesen sei. Im Übrigen habe er keine Munition für die Waffe, mit der sein Sohn sich erschossen habe, besessen. Diese müsse sein Sohn sich selbstständig beschafft haben. Nachdem die Waffenbehörde den Kläger zum beabsichtigten Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis angehört hatte, erklärte sich der Kläger freiwillig mit der Abgabe seiner Schusswaffen an einen Berechtigten einverstanden. Für die Wiedererteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis wurde ein Zeitpunkt nach dem 31. März 1991 vereinbart. Im Januar 1992 stellte das Polizeipräsidium N1. dem Kläger auf dessen Antrag die nunmehr widerrufene Waffenbesitzkarte mit der Nummer 0000 aus.
4Am 29. Oktober 2020 meldete sich die Zeugin C. telefonisch bei dem Polizeipräsidium N1. und teilte mit, dass sie Angaben zu einem nicht gesetzeskonformen Umgang mit Schusswaffen durch den Kläger machen wolle. Der Kläger sei ihr Wohnungsnachbar. Während er sein Auto in der Tiefgarage belade, lasse er seine Waffen im Hausflur stehen. Sie habe ihren Kindern verboten, sich den Waffen zu nähern. Zudem fahre der Kläger mit seinem Fahrzeug beim Einparken in der Tiefgarage gegen die Wand.
5Daraufhin suchten Mitarbeiter des Polizeipräsidiums am 2. November 2020 die Wohnanschrift des Klägers auf. Da der Kläger die Wohnungstür auf das Klingeln und Klopfen der Mitarbeiter nicht öffnete, kam ein Nachbar hinzu und erklärte, dass er einen Schlüssel für die Wohnung habe. Der Kläger sei stark schwerhörig. Sodann betrat der Nachbar die Wohnung und informierte den Kläger über das Eintreffen der Mitarbeiter des Polizeipräsidiums. Nachdem der Kläger sich angezogen hatte, bat er die Mitarbeiter in seine Wohnung. Den Tresorschlüssel nahm er aus einem Rucksack, der sich in einem unverschlossenen Koffer im Flur befand. Die Waffen des Klägers befanden sich (mit Ausnahme einer in der Waffenbesitzkarte eingetragenen Luftdruckwaffe) im Tresor. Die Mitarbeiter erklärten, dass die Waffen und die Erlaubnisurkunden des Klägers sichergestellt würden. Der Kläger gab an, hiermit nicht einverstanden zu sein und kündigte umgehende rechtliche Schritte an. Während der Kontrolle erwies sich die Kommunikation zwischen dem Kläger und den Mitarbeitern des Polizeipräsidiums aufgrund der Schwerhörigkeit des Klägers als schwierig.
6Mit Schreiben vom 4. November 2020 hörte das Polizeipräsidium N1. den Kläger zum beabsichtigten Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse an. Zur Begründung führte das Polizeipräsidium unter anderem aus: Die von dem Kläger vorgenommene Sicherung der Waffen stehe nicht im Einklang mit § 36 Abs. 1 WaffG. Sofern der Schlüssel eines Tresors mit Schlüsselschloss versteckt werde, komme es auf die Qualität des Verstecks an. Bei dem Kläger sei erschwerend zu berücksichtigen, dass er in seinem Hörvermögen beeinträchtigt sei. Weiterhin habe der Nachbar des Klägers einen Wohnungsschlüssel und könne die Wohnung auch in der Abwesenheit des Klägers jederzeit betreten. Zudem handele es sich bereits um den zweiten Aufbewahrungsverstoß des Klägers. Der Kläger habe wiederholt und gröblich gegen das Waffengesetz verstoßen
7Mit Schreiben vom 10. und 26. November 2020 nahm der Kläger wie folgt Stellung: Es habe in der Vergangenheit bereits eine Überprüfung der Aufbewahrung der Waffen stattgefunden, die ohne Beanstandungen verlaufen sei. Am 2. November 2020 sei er von Jagdfreunden zum abendlichen Ansitz im Westerwald eingeladen gewesen. Die beiden Koffer seien bereits gepackt gewesen. Im kleineren Rollkoffer habe sich sein Jagdrucksack mit den Jagdutensilien befunden. Im Innenfutter des Jagdrucksacks sei der Schlüssel für den Waffenschrank gewesen. Nachdem er die Koffer gepackt habe, habe er sich noch für kurze Zeit ins Schlafzimmer gelegt, um sich für die bevorstehende Pkw-Fahrt auszuruhen. Das Klingeln und Klopfen der Polizeibeamten habe er überhört, da er altersmäßig hörbehindert sei. Außerhalb des Hauses benutze er ein Hörgerät. Am 2. November 2020 habe er erkältungsbedingt noch schlechter gehört. Da er nicht geschlafen habe und die Schlafzimmertür offen gewesen sei, habe er den Nachbarn bemerkt, als dieser in die Wohnung gekommen sei. Der Rollkoffer mit den Tresorschlüsseln habe sich im Hausflur gegenüber dem Schlafzimmer, von dem Bett des Klägers nur wenige Meter entfernt, neben der Tür des Wirtschaftsraums befunden. Er – der Kläger – habe sowohl den Koffer als auch die Tür zum Wirtschaftsraum mit dem Tresor stets einsehen können. Er habe vorgehabt, nach der kurzen Ruhepause die Tresorschlüssel an sich zu nehmen, das Gepäck ins Auto zu laden und als letztes die Jagdbüchse, welche sich im Transportfutteral im verschlossenen Tresor befunden habe, ins Auto zu bringen. Die Tresorschlüssel hätten sich daher zu jeder Zeit unter seiner Kontrolle befunden. Sie seien nicht „versteckt“ gewesen. Unbefugten wäre es nicht möglich gewesen, in Gegenwart des Klägers den Schlüssel zu finden, an sich zu nehmen und den Wirtschaftsraum mit dem Tresor unbemerkt zu betreten und anschließend mit den Jagdwaffen wieder zu verlassen.
8Am 14. Januar 2021 suchten Mitarbeiter des Polizeipräsidiums die Zeugin C. auf, um mit ihr ein weiteres Mal über den Kläger zu sprechen. Die Zeugin bestätigte auf Nachfrage, dass es mehrfach – mindestens zwei Mal – vorgekommen sei, dass der Kläger sein Auto belade und seine Waffe dabei im Futteral am Aufzug stehen lasse. Zudem sei der Kläger stark schwerhörig. So habe er in der Vergangenheit nicht gehört, dass der Rauchmelder in seiner Wohnung ausgelöst habe. Er habe erst reagiert, als er von den herbeieilenden Nachbarn darauf hingewiesen worden sei. Auch habe er im Aufzug eine Tüte mit Äpfeln über mehrere Tage stehen lassen, die dann von ihr hätte entsorgt werden müssen. In der Tiefgarage parke er sein Auto ein, indem er gegen die Garagenwand fahre. Der Kläger habe sich auch schon einmal in der Wohnungstür vertan und die Tür der Familie der Zeugin aufgeschlossen. Nach ihrer Einschätzung seien Anzeichen einer Altersdemenz vorhanden. Der während des Gesprächs erschienene weitere Zeuge X. gab an, er habe bemerkt, dass der Kläger seine Waffe im Futteral an die Wohnungstür gelehnt habe, während er – der Kläger – sein Auto beladen habe. Das Fahrzeug habe vor dem Haus gestanden und der Kofferraum sei während des Beladens geöffnet gewesen. Da der Kläger altersbedingt langsam gewesen sei, habe dieser Vorgang einige Zeit in Anspruch genommen. Der im weiteren Verlauf ebenfalls erschienene Zeuge T gab an, dass die Waffe des Klägers am Auto gelehnt oder im offenen Auto gelegen habe.
9Mit Bescheid vom 19. Januar 2021 widerrief das Polizeipräsidium die Waffenbesitzkarte Nr. 0000 des Klägers (Ziffer I.). Die beim Polizeipräsidium N1. sichergestellten Waffen könnten bis zum 20. Februar 2021 an einen Berechtigten im Sinne des Waffengesetzes ausgehändigt werden (Ziffer II.). Für die Entscheidung wurde eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 300 Euro erhoben (Ziffer III.).
10Zur Begründung wiederholte das Polizeipräsidium sein Vorbringen aus dem Schreiben vom 4. November 2020 und führte ergänzend im Wesentlichen aus: Am 9. April 1989 habe sich der Sohn des Klägers mit einem Revolver des Klägers erschossen. Am 10. April 1989 habe der Kläger erklärt, dass der Waffenschrank zwar abgeschlossen gewesen sei. Der Schlüssel habe jedoch in der Tür gesteckt. Damit habe der Kläger gegen das Waffengesetz in seiner damaligen Fassung verstoßen. Es liege daher insgesamt bereits ein wiederholter Aufbewahrungsverstoß i.S.v. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG vor. Zudem besäßen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass sie mit Waffen oder Munition nicht sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden. Drei Nachbarn des Klägers hätten berichtet, dass der Kläger seine Waffe im Futteral an der Wohnungstür angelehnt habe, während er sein Fahrzeug beladen habe. In dieser Zeit hätten sich Nichtberechtigte der Waffe bemächtigen können. Zudem sei die Erlaubnis auch gemäß § 45 Abs. 2 WaffG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WaffG zu widerrufen. Aufgrund des persönlichen Eindrucks und den Angaben der Nachbarn bestünden begründete Zweifel an der persönlichen Eignung des Klägers. Dieser sei in seinem Hörvermögen außerordentlich eingeschränkt. Zudem habe er nach den Angaben der Nachbarn Lebensmittel über mehrere Tage im Aufzug vergessen und versucht, eine falsche Wohnungstür zu öffnen. Die Zweifel an der persönlichen Eignung könne der Kläger durch ein von ihm in Auftrag zu gebendes Gutachten ausräumen.
11Der Kläger hat am 1. Februar 2021 Klage erhoben.
12Zur Begründung wiederholt er sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und trägt ergänzend vor: Die von ihm vorgenommene Sicherung der Waffen stehe mit § 36 Abs. 1 WaffG im Einklang. Es komme darauf an, ob ein Unbefugter ausreichend Zeit habe, den Schlüssel zu suchen und zu finden. Seine Wohnung befinde sich innerhalb eines Mehrfamilienhauses im zweiten Stock. Die Wohnung sei mit Querbolzen verschlossen und verfüge über ein modernes Sicherheitsschloss. Die Tür sei nur unter erheblicher Gewaltanwendung und damit verbundenem erheblichen Lärm zu öffnen. Bei einem Einbruchsversuch durch eine derart gesicherte Tür hätten sowohl er – der Kläger – als auch sein Nachbar dies unmittelbar bemerkt. Ein Unbefugter hätte zudem keine Zeit gehabt, um nach dem Schlüssel für den Tresor zu suchen. Der Schlüssel sei im Zeitpunkt des Eintreffens der Polizeibeamten hinreichend gesichert gewesen, sodass Unbefugte keine Möglichkeit gehabt hätten, Waffen und Munition unberechtigt in Besitz zu nehmen. Die in dem Bescheid vom 19. Januar 2021 genannten weiteren Tatsachenbehauptungen, auf die der Widerruf gestützt werde, seien derart unsubstantiiert, dass sie zur Begründung des Widerrufs nicht herangezogen werden könnten. Es sei ihm nicht bekannt, welche Nachbarn die in dem Bescheid genannten Angaben getätigt haben sollen. Selbst wenn jemand ein Futteral an einer Wohnungstür oder an einem Aufzug angelehnt stehen gesehen habe, sei es unmöglich, festzustellen, ob sich hierin eine Waffe befunden habe. Auch der Hinweis auf sein eingeschränktes Hörvermögen sei unsubstantiiert und nicht geeignet, den nachträglichen Widerruf gemäß § 45 Abs. 2 WaffG zu begründen. Darüber hinaus habe er niemals versucht, die Wohnungstür eines Nachbarn zu öffnen. Er habe lediglich einmal an einer Wohnungstür geklingelt und sich dann auch gleich entschuldigt. Er habe vielmehr zu einer Familie auf einer anderen Etage gewollt. Dabei habe er den Fahrstuhl versehentlich eine Etage höher fahren lassen. Dass er über mehrere Tage vergessen habe, eine Tüte mit Lebensmitteln aus dem Aufzug mitzunehmen, werde ausdrücklich bestritten.
13Der Kläger beantragt,
14den Bescheid des Polizeipräsidiums N1. vom 19. Januar 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, folgende Waffen an ihn herauszugeben:
151. G. , L. 00/00, Marke T. , Waffennummer 00000,
162. S. . C1. , L. 00 lfB, Marke B. , Waffennummer 000 000,
173. BDF, L. 00/00, Marke L1. , Waffennummer 000 000,
184. S. . C1. , C1. 0x00, Marke T1. , Waffennummer 0000.
19Der Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Der Kläger sei so stark in seinem Hörvermögen beeinträchtigt, dass eine Kommunikation nur durch lautes Schreien aus einer Entfernung von etwa 30 Zentimetern zum Ohr möglich gewesen sei. Zudem habe der Kläger selbst eingeräumt, dass sein Nachbar einen Wohnungsschlüssel gehabt habe. Der Nachbar hätte die Wohnung daher jederzeit – auch in Abwesenheit des Klägers – betreten können. Des Weiteren seien die Aussagen der Nachbarn hinreichend deutlich gewesen.
22Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen bzw. Zeuginnen N2. C. , L2. L3. sowie K. und U. X. . Zudem hat das Gericht das von dem Polizeipräsidium sichergestellte Futteral des Klägers in Augenschein genommen. Hinsichtlich der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 5. Dezember 2023 und vom 16. Januar 2024 Bezug genommen.
23Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend Bezug genommen.
24E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
25A. Die zulässige Klage ist unbegründet.
26Der in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Bescheid vom 19. Januar 2021 ist materiell rechtmäßig.
27I. Ziffer I. des Bescheids vom 19. Januar 2021 (Widerruf der Waffenbesitzkarte) ist materiell rechtmäßig. Rechtsgrundlage des Widerrufs der Waffenbesitzkarte ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Nach dieser Vorschrift ist eine nach dem Waffengesetz erteilte Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.
28Voraussetzung für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis ist unter anderem gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit gemäß § 5 WaffG und die persönliche Eignung gemäß § 6 WaffG besitzt.
29Es kann offenbleiben, ob der Widerruf der Waffenbesitzkarte auf den Wegfall der persönlichen Eignung des Klägers nach § 6 WaffG gestützt werden kann (vgl. hierzu etwa die Angaben des behandelnden Hausarztes vom 20. Dezember 2023 [Anlage 1 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2024]) und ob es hierfür insbesondere erforderlich gewesen wäre, dem Kläger vor Erlass des Widerrufsbescheids die Einholung eines Zeugnisses nach § 6 Abs. 2 WaffG aufzugeben.
30Vgl. zur Anwendbarkeit des § 6 Abs. 2 WaffG im Widerrufsverfahren etwa OVG Bremen, Beschluss vom 10. Mai 2016 - 1 B 22/16 -, juris, Rn. 26 ff; vgl. ferner Gade, in: Gade, Waffengesetz Kommentar, § 6 WaffG, 3. Auflage 2022, Rn. 13d.
31Denn der Kläger verfügt zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlaubniswiderrufs jedenfalls nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit (§ 5 WaffG). Die Unzuverlässigkeit des Klägers folgt im Zeitpunkt des Erlaubniswiderrufs sowohl aus § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG (dazu 1.) als auch aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) WaffG (dazu 2.).
321. Die Unzuverlässigkeit des Klägers folgt im Zeitpunkt des Erlaubniswiderrufs aus § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG. Nach dieser Vorschrift besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht, die wiederholt oder gröblich gegen die Vorschriften unter anderem des Waffengesetzes verstoßen haben.
33Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Kläger hat wiederholt (dazu a.) und gröblich (dazu b.) gegen Vorschriften des Waffengesetzes verstoßen. Umstände, die im Fall des Klägers eine Ausnahme von der durch § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG „in der Regel“ vermuteten Unzuverlässigkeit begründen, liegen nicht vor (dazu c.).
34a. Der Kläger hat wiederholt gegen Bestimmungen des Waffengesetzes verstoßen.
35Wiederholte Verstöße liegen vor, wenn mindestens zwei Verstöße begangen wurden, wofür eine einmalige Wiederholung genügt. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Verstöße gegen dieselbe Vorschrift oder unterschiedliche Vorschriften handelt.
36Vgl. etwa Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 13. April 2021 - 24 B 20.2220 -, juris, Rn. 16; Gade, in: Gade, Waffengesetz Kommentar, § 5 WaffG, 3. Auflage 2022, Rn. 31a, m.w.N.
37Der Kläger hat – ungeachtet möglicher Verstöße gegen weitere Vorschriften – jedenfalls wiederholt gegen § 36 Abs. 1 WaffG verstoßen. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, der Waffen oder Munition besitzt, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass diese Gegenstände abhanden kommen oder Dritte sie unbefugt an sich nehmen.
38Das Gericht ist aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass der Kläger in mehreren Fällen sein teilweise geöffnetes Futteral mit jeweils mindestens einer Schusswaffe unbeaufsichtigt im Treppenhaus bzw. Hausflur des von ihm bewohnten Mehrfamilienhauses stehengelassen hat.
39Dies ergibt sich aus den Aussagen der Zeuginnen C. und J. X. . Die Zeuginnen wohnen in demselben Mehrfamilienhaus wie der Kläger. Die Zeugin C. hat im Rahmen der gerichtlichen Zeugenvernehmungen am 5. Dezember 2023 und am 16. Januar 2024 angegeben, die Waffentasche des Klägers mehrfach im Hausflur und einmal am Auto gesehen zu haben. In den Situationen, in denen sie die Tasche im Treppenhaus gesehen habe, habe sie den Kläger nicht in der Nähe gesehen. An einem Tag sei die Tasche ein bisschen geöffnet gewesen und sie habe eine Waffe in der Tasche sehen können. An diesem Tag habe sie den Kläger nicht in der Nähe gesehen. Außer ihr und ihrem Kind hätten sich in der betreffenden Situation keine weiteren Menschen im Hausflur befunden. Da sie dies – auch im Hinblick auf ihre Kinder – ziemlich gefährlich finde, habe sie mit der Zeugin X. gesprochen und sich anschließend bei der Polizei gemeldet. Die Zeugin X. hat im Rahmen der gerichtlichen Zeugenbefragungen ebenfalls angegeben, mehrfach die Waffentasche gesehen zu haben. Einmal habe sie sich vor dem Briefkasten im Hausflur und einmal neben der Wohnungstür befunden. In mindestens einem Fall habe sie eine Waffe in der Waffentasche gesehen. Wie oft sie dies beobachtet habe, könne sie nicht mehr genau sagen. Die Waffe habe ein stückweit aus der Tasche herausgeschaut. Sie sei sich sicher, eine Waffe gesehen zu haben. Als sie die Waffe gesehen habe, habe sie den Kläger nicht in der Nähe gesehen (vgl. insoweit insgesamt die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen am 5. Dezember 2023 und am 16. Januar 2024). Die Aussagen der Zeugen L3. und T. X. sind hinsichtlich der hier entscheidungserheblichen Frage unergiebig.
40Die Angaben der Zeuginnen C. und J. X. sind – auch unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks, den das Gericht von den Zeuginnen in den beiden Verhandlungsterminen gewonnen hat – glaubhaft. Beide Zeuginnen haben anschaulich, differenziert und unter Nennung origineller Details dargestellt, woran sie sich erinnern können. Erinnerungslücken haben sie dabei offen eingeräumt. Eine überschießende Belastungstendenz lässt sich ihren Aussagen nicht entnehmen; vielmehr haben sie – teilweise von sich aus – auch für den Kläger günstige Tatsachen vorgetragen. Die Aussagen sind hinsichtlich der Kernaussagen schlüssig und widerspruchsfrei; geringfügige Abweichungen im Randbereich lassen sich ohne Weiteres auf den zwischenzeitlichen Zeitablauf zurückführen und begründen keine Zweifel an der Wahrheit der Kernaussagen. Relevante Motive für die Erhebung unberechtigter Anschuldigungen sind zudem nicht ersichtlich. Auch hat die Inaugenscheinnahme des Futterals des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 16. Januar 2024 ergeben, dass die in dem Hilfsbeweisantrag des Klägers vom 5. Dezember 2023 unter Beweis gestellte Tatsache nicht zutrifft und die Aussagen der Zeuginnen zu der Sichtbarkeit der Waffe bei teilgeöffnetem Reißverschluss mit der Beschaffenheit des konkreten Futterals vereinbar sind. Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass die vorstehend genannten Angaben der Zeuginnen unzutreffend sein könnten, sind nicht ersichtlich.
41Unter Zugrundelegung dieser Angaben hat der Kläger wiederholt gegen die Vorgaben des § 36 Abs. 1 WaffG verstoßen:
42§ 36 Abs. 1 WaffG begründet eine umfassende Pflicht zum sicheren Umgang mit Waffen und Munition, die nicht allein zu Vorkehrungen technischer Art, sondern zur Vornahme aller sonstigen Maßnahmen verpflichtet, die erforderlich sind, um das Abhandenkommen von Waffen und Munition oder deren Ansichnahme durch unbefugte Dritte zu verhindern. Welche Maßnahmen im Einzelnen getroffen werden müssen, damit der allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 36 Abs. 1 WaffG genügt wird, bemisst sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalles.
43Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 11. Januar 2023 - 20 B 804/22 -, n.v., Beschlussabdruck, S. 5, m.w.N.
44Gegen diese allgemeine Sorgfaltspflicht hat der Kläger verstoßen, indem er eine in einem teilweise geöffneten Futteral befindliche Waffe mehrfach im Hausflur eines Mehrfamilienhauses stehengelassen hat. Dies gilt unabhängig davon, wie lange sich die Waffe jeweils unbeaufsichtigt im Hausflur bzw. Treppenhaus befunden hat. Denn auch im Falle eines nur kurzen unbeaufsichtigten Abstellens können unbefugte Dritte die tatsächliche Gewalt über die Waffe erlangen. Da die Vorgaben des § 36 Abs. 1 WaffG für sämtliche dem Waffengesetz unterliegende Waffen gelten, ist auch unerheblich, auf welche der Waffen des Klägers sich die Aussagen der Zeuginnen beziehen. Unabhängig davon ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass es sich bei dem – in der Waffenbesitzkarte eingetragenen – Luftgewehr des Klägers um eine Waffe handeln könnte, deren Erwerb und Besitz erlaubnisfrei möglich ist.
45b. Bei den aufgezeigten Verstößen handelt es sich zugleich auch um gröbliche Verstöße i.S.v. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG.
46Ausgangspunkt der Bewertung, ob eine Verletzung von Vorgaben des Waffengesetzes gröblich ist, ist der ordnungsrechtliche Zweck des Gesetzes, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten. Es soll nur bei Personen hingenommen werden, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit der Waffe stets und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Es geht im Wesentlichen um das sachliche Gewicht des zu beurteilenden Handelns oder Unterlassens, nicht dagegen darum, ob der Gesetzesverstoß als Straftat oder als Ordnungswidrigkeit geahndet worden ist oder geahndet werden kann. Entscheidend ist vielmehr, ob im Einzelnen die Rechtsverletzung gemessen an den genannten Zielsetzungen objektiv schwer wiegt und in subjektiver Hinsicht im Besonderen dem Betreffenden als grobe Pflichtverletzung zuzurechnen ist, sei es weil er vorsätzlich gehandelt oder sich als besonderes leichtsinnig, nachlässig oder gleichgültig gezeigt hat.
47Vgl. OVG NRW, Urteil vom 31. August 2006 - 20 A 524/05 -, juris, m. w. N.
48Gemessen daran liegt ein gröblicher Verstoß vor. Die Rechtsverletzungen sind objektiv schwerwiegend. Bei § 36 Abs. 1 WaffG handelt es sich um eine für den Umgang mit Waffen zentrale Vorschrift, die sicherstellen soll, dass Waffen nicht in die Hände unbefugter Dritter gelangen. Die Vorschrift ist daher zur Verminderung der von Waffen ausgehenden Gefahren von überragender Bedeutung. Das Verhalten des Klägers stellt sich auch in subjektiver Hinsicht als gröblich dar, da dem Kläger vorsätzliches, zumindest aber in hohem Grade fahrlässiges und leichtsinniges Verhalten vorwerfbar ist.
49c. Umstände, die im Fall des Klägers eine Ausnahme von der durch § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG „in der Regel“ vermuteten Unzuverlässigkeit begründen, können im vorliegenden Verfahren nicht festgestellt werden.
502. Die Unzuverlässigkeit des Klägers folgt im Zeitpunkt des Erlaubniswiderrufs darüber hinaus auch aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. b WaffG.
51Nach dieser Vorschrift besitzen Personen nicht die erforderliche Zuverlässigkeit, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden.
52a. Die Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit ist anhand einer umfassenden Einbeziehung und Bewertung aller Tatsachen vorzunehmen, die für die zu treffende zukunftsbezogene Beurteilung bedeutsam sein können. Die erforderliche Prognose hat sich am Zweck des Gesetzes zu orientieren, die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen, sie namentlich den Anforderungen entsprechend verwahren.
53Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 31. Januar 2008 ‑ 6 B 4.08 -, juris, Rn. 5, und vom 12. Oktober 1998 ‑ 1 B 245.97 -, juris, Rn. 5; OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2013 - 20 A 419/11 -, juris, Rn. 28.
54Hat ein Waffenbesitzer in diesem Zusammenhang bereits einmal versagt, ist schon dies allein ein gewichtiges Indiz dafür, dass er das in ihn gesetzte Vertrauen nicht mehr verdient. Eine dahingehende Lebenserfahrung oder ein entsprechender Rechtssatz, dass erst ab dem zweiten Verstoß eine negative Zukunftsprognose angestellt werden kann, existiert nicht.
55Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Mai 2013 - 16 A 2255/12 -, juris, Rn. 7.
56Der Mangel der Zuverlässigkeit setzt nicht den Nachweis voraus, dass der Betroffene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Waffen und Munition nicht sorgsam (verantwortungsbewusst) umgehen wird. Vielmehr genügt, dass bei verständiger Würdigung aller Umstände eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen besteht.
57Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 31. Januar 2008 ‑ 6 B 4.08 -, juris, Rn. 5, und vom 2. November 1994 - 1 B 215.93 -, juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2013 - 20 A 419/11 -, juris, Rn. 30 f. m.w.N.
58Wird im Rahmen der anzustellenden Prognose von einem gezeigten Verhalten als Tatsache auf das in Zukunft zu erwartende Verhalten des Betroffenen geschlossen, muss im Bereich des Waffenrechts kein Restrisiko hingenommen werden.
59Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2013 - 20 A 419/11 -, juris, Rn. 32 f. m.w.N.
60Die Prognose der Unzuverlässigkeit ist bei Berücksichtigung des strikt präventiven, auf die Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten gerichteten Regelungskonzepts des Waffengesetzes vielmehr nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tatsachen, auf die sie gestützt ist, nach aller Lebenserfahrung kein plausibles Risiko dafür begründen, dass die in Rede stehende Person künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begehen wird.
61Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2015 - 6 C 1.14 -, juris, Rn. 17.
62b. Hiernach ist die an Tatsachen anknüpfende Prognose des Beklagten, der Kläger werde mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig und sachgemäß umgehen, nicht zu beanstanden. Wie vorstehend im Einzelnen dargelegt, ist der Kläger bereits in der Vergangenheit wiederholt nicht vorsichtig und sachgemäß mit Waffen umgegangen, indem er jedenfalls mehrfach jeweils mindestens eine Waffe unbeaufsichtigt im Hausflur bzw. Treppenhaus hat stehen lassen. Dieses Verhalten trägt bereits für sich ohne Weiteres den Schluss des Beklagten, der Kläger werde auch in Zukunft Waffen oder Munition nicht sorgfältig verwahren.
63II. Dass die übrigen in dem Bescheid des Polizeipräsidiums vom 19. Januar 2021 getroffenen Regelungen unabhängig von dem ausgesprochenen Widerruf der Waffenbesitzkarte rechtswidrig sind, hat der Kläger nicht geltend gemacht und ist auch sonst im Ergebnis nicht ersichtlich.
64B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 809 Satz 2 ZPO.
65B e s c h l u s s
66Der Streitwert wird auf 8.000 Euro festgelegt (vgl. Ziffer 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).