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Das einzelne an der Bundesstraße liegende Grundstück von der Bundesstraße angefahren werden können und durch diese tatsächlich erschlossen werden, genügt allein nicht, um die Verkehrsfunktion der Bundesstraße zu unterbrechen und eine Erschließungsfunktion anzunehmen.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, welche nicht erstattungsfähig sind.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin, eine Unternehmerin der Außenwerbung, begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer doppelseitigen, beleuchteten Werbeanlage mit einer Höhe von 5,41 m, einer Breite von 3,90 m und einer Plakatfläche von 3,589 m x 2,549 m.
3Die Werbeanlage soll auf dem südöstlichen Teil des Grundstücks Gemarkung P. , Flur 00, Flurstück 000 (postalische Anschrift: M. 00, 00000 P. ) errichtet werden. Das Vorhabengrundstück liegt an der von Süden nach Nordosten führenden Bundesstraße 00 (U. – H. ). Das Grundstück selbst ist mit zwei KFZ-Gewerbebetrieben bebaut. Ein Bebauungsplan für diesen Bereich besteht nicht.
4Aus Südwest-Richtung kommend führt die B 00 zunächst durch einen Kreisverkehr, welcher den Ort P. angliedert, und verläuft sodann weiter in Richtung Osten. Nördlich der B 00 befinden sich mehrere mit Gewerbebetrieben bebaute Grundstücke – darunter auch das Vorhabengrundstück – sowie einzelne Freiflächen. Die Grundstücke werden durch einen parallel zur B 00 verlaufenden, durch einen Grünstreifen von der Fahrbahn abgesetzten, Fuß- und Radweg von der Bundesstraße getrennt. Südlich der B 00 befinden sich vereinzelt Wohngebäude und eine Tankstelle, welche durch die B 00 angefahren werden können.
5Wegen der Lage des Vorhabengrundstücks sowie der umliegenden Gegebenheiten wird auf den Auszug aus dem amtlichen Liegenschaftskataster verwiesen:
6Quelle: www.tim-online.nrw.de
8Unter dem 18. Februar 2019 beantragte die Klägerin die Erteilung der entsprechenden Baugenehmigung.
9Mit Schreiben vom 10. April 2019 versagte die Gemeinde P. ihr Einvernehmen, da das Vorhaben mit der geplanten Höhe von 5,41 m ihrer Gestaltungssatzung widerspreche.
10Der Beigeladene versagte mit Schreiben vom 22. Mai 2019 seine straßenrechtliche Zustimmung. Zur Begründung führte er aus: Aufgrund der Örtlichkeit und der Geschwindigkeit sei durch die ablenkende Wirkung der geplanten Werbetafel die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erheblich beeinträchtigt. Die Errichtung sei zudem aufgrund des Anbauverbotes nach § 9 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 FStrG unzulässig. Eine Ausnahme nach § 9 Abs. 8 FStrG erteilte er nicht.
11Mit Bescheid vom 30. Juli 2019 lehnte der Beklagte den Antrag nach vorheriger Anhörung ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Das Vorhaben verstoße aufgrund der geplanten Höhe von 5,41 m gegen die Gestaltungssatzung der Gemeinde P. , welche Werbeanlagen lediglich bis zu einer Höhe von 5 m zulasse. Die Gemeinde habe einer Abweichung nach § 69 BauO NRW nicht zugestimmt und darüber hinaus ihr Einvernehmen versagt. Zudem verstoße das Vorhaben gegen § 16 Abs. 2 BauO NRW. Der Beigeladene habe die erforderliche straßenrechtliche Zustimmung versagt.
12Gegen den Ablehnungsbescheid hat die Klägerin am 27. August 2019 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus: Die Beschränkungen der Werbeanlagen in der Gestaltungssatzung seien unwirksam, da durch diese branchentypische Werbeanlagen ausgeschlossen würden. Die Errichtung des Vorhabens führe auch nicht zu einer Gefährdung des Straßenverkehrs. Werbeanlagen könnte – unter Zugrundelegung eines verantwortungsbewussten, durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers – nur ausnahmsweise eine Ablenkungswirkung und eine dadurch hervorgerufene Verkehrsgefährdung beigemessen werden. Das sei vorliegend nicht der Fall, insbesondere finde kein automatischer Plakatwechsel statt. Die konkrete Verkehrssituation sei vollkommen überschaubar und beinhalte kein besonderes Gefahrenpotential.
13Die Klägerin beantragt,
14den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Juli 2019 zu verpflichten, ihr die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Stellungnahme des Beigeladenen vom 22. Mai 2019 und trägt ergänzend vor: Durch das Vorhaben würde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Verkehrsunfall verursacht und der Verkehr in seinem Ablauf behindert. Es bestehe eine qualifizierte Gefahrenlage unter anderem für Abbiegevorgänge auf das bzw. von dem Vorhabengrundstück, für welche keine eigene Abbiegespur bestehe. Zudem würde dieser Verkehr einen Fuß- und Radweg kreuzen. Auch der Kreisverkehr sowie die Herabsenkung der Geschwindigkeit auf 50 km/h unmittelbar vor der Abbiegung fordere die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer.
18Der vormalige Berichterstatter hat mit dem Beklagten und dem Beigeladenen am 23. September 2022 den Sach- und Streitstand an Ort und Stelle erörtert. Wegen des Inhalts wird auf das Protokoll Bezug genommen.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21I. Die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung sowie durch die Berichterstatterin (§ 87a Abs. 2, 3 VwGO) entscheidet, hat keinen Erfolg.
22II. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung. Insofern erweist sich der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 30. Juli 2019 als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
23Dem Vorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, vgl. § 74 Abs. 1 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NRW).
241. Das Vorhaben verstößt gegen das Anbauverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 des Bundesfernstraßengesetztes (FStrG). Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FStrG dürfen längs der Bundesfernstraßen nicht errichtet werden: Hochbauten jeder Art in einer Entfernung bis zu 40 Meter bei Bundesautobahnen und bis zu 20 Meter bei Bundesstraßen außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten, jeweils gemessen vom äußeren Rand der befestigten Fahrbahn. Nach § 9 Abs. 6 Satz 1 FStrG stehen Anlagen der Außenwerbung Hochbauten des Absatzes 1 gleich.
25Der Standort der geplanten Werbeanlage liegt in einer Entfernung von nur 12 Metern zum Fahrbahnrand außerhalb eines zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teils einer Ortsdurchfahrt der B 00, sodass dem Bauvorhaben § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FStrG entgegensteht.
26Eine Ortsdurchfahrt ist nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FStrG der Teil einer Bundesstraße, der innerhalb der geschlossenen Ortslage liegt und auch der Erschließung der anliegenden Grundstücke oder der mehrfachen Verknüpfung des Ortsstraßennetzes dient. Geschlossene Ortslage ist der Teil des Gemeindebezirks, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist (§ 5 Abs. 4 Satz 2 FStrG). Einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung unterbrechen den Zusammenhang nicht (§ 5 Abs. 4 Satz 3 FStrG).
27Zwar spricht vorliegend viel dafür, dass es sich bei dem für den Vorhabenstandort maßgeblichen Streckenabschnitt der B 00 ausgehend von dem Kreisverkehr im Westen bis zu der Abzweigung der L 000 im Osten von P. um eine geschlossene Ortslage handelt. Dies kann jedoch dahinstehen, da die B 00 in diesem Bereich jedenfalls nicht zur Erschließung der anliegenden Grundstücke i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FStG bestimmt ist.
28Ob die Straße zur Erschließung bestimmt ist, ist vorrangig nach straßenrechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Schutzgut des § 9 Abs. 1 FStrG ist die Sicherheit und die Leichtigkeit des Straßenverkehrs. In deren Interesse liegt es, die Bundesfernstraßen von Sichtbeeinträchtigungen freizuhalten, Ablenkungen des fließenden Verkehrs durch Werbeanlagen oder durch andere bauliche Anlagen zu vermeiden und die Straßen außerhalb der zur Erschließung bestimmten Teile der Ortsdurchfahrt vor störenden Zufahrten oder Zugängen freizuhalten.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. November 1984 – 4 C 2/82 –, juris Rn. 12.
30Entscheidend für die Funktion der Bundesstraße sind die tatsächlichen Verhältnisse und die Frage, ob die vorhandene Straße den bebauten Grundstücken die Qualität der verkehrlichen Erschließung vermittelt. Tatsächliche Umstände von indizierendem Gewicht sind neben der vorhandenen Bebauung auch der Ausbauzustand der Bundesfernstraße und die Zugänglichkeit zu den anliegenden Grundstücken. Hierzu zählen etwa Zufahrten oder Zugänge. Andererseits können Leitplanken die Zugänglichkeit ausschließen. Ähnliches gilt für Grünstreifen, Zäune und Buschwerk.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. November 1984 – 4 C 2/82 –, juris Rn. 15; OVG NRW, Urteil vom 28. Mai 2021 – 11 A 2926/18 –, juris Rn. 56 ff.
32Von der Bundesstraße nicht getrennte Geh- und Radwege legen die Erschließungsfunktion nahe.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Mai 2021 – 11 A 2926/18 –, juris Rn. 60.
34Die B 00 ist nach diesen Maßstäben in dem maßgeblichen Bereich nicht zur Erschließung der an ihr gelegenen un-/ bebauten Grundstücke bestimmt, sondern es steht weiterhin ihre Verkehrsfunktion im Vordergrund.
35Der Streckenabschnitt vermittelt aus Sicht eines objektiven Verkehrsteilnehmers trotz der anliegenden Bebauung den Eindruck einer „freien Fahrt“. Die nördlich angrenzende Bebauung wird überwiegend durch die rückwärtigen Ortsstraßen und nicht über die B 00 erschlossen. Diese Bebauung nördlich der B 00 wird durch einen ausladenden Grünstreifen, der teilweise mit Bäumen bepflanzt ist, und einen separaten Fuß- und Fahrradweg deutlich von der Fernstraße separiert. Dieser Eindruck von „freier Fahrt“ wird dadurch noch verstärkt, dass die Fahrbahn durchgängig von Leitpfosten gesäumt wird.
36Zwar können die südlich der B 00 gelegenen Grundstücke, ebenso wie einzelne nördlich gelegene Grundstücke – darunter das Vorhabengrundstück – von der Bundesstraße aus angefahren werden, sodass deren tatsächliche Erschließung durch die Bundesstraße erfolgt. Das genügt indes nicht, um die Verkehrsfunktion der B 00 zu unterbrechen und eine Erschließungsfunktion in diesem Bereich anzunehmen.
37Einer straßenrechtlich nicht zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Bundesfernstraße kann eine Erschließungsfunktion außerhalb einer Festsetzung nach § 9 Abs. 7 FStrG nicht durch die vorhandene oder entstehende Randbebauung „aufgedrängt“ werden. Erst wenn die Verkehrsfunktion der Bundesfernstraße bereits erkennbar zugunsten der Erschließung der anliegenden Grundstücke faktisch eingeschränkt ist, entfällt der innere Grund, nach wie vor mit Hilfe des Anbauverbots die Sicherheit und die Leichtigkeit des Straßenverkehrs gewährleisten zu wollen.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. November 1984 – 4 C 2/82 –, juris Rn. 13 f.; OVG NRW, Urteil vom 28. Mai 2021 – 11 A 2926/18 –, juris Rn. 52, 54.
39Bei der südlich des B 00 gelegenen Bebauung handelt es sich überwiegend um (ehemalige) Hofstellen. Durch diese schon lange vorhandene Bebauung kann der B 00 die Erschließungsfunktion nicht aufgedrängt werden. Aus dem Umstand, dass die anliegenden südlichen Grundstücke auf die Erschließung durch die Bundesstraße angewiesen sind, folgt rechtlich nicht umgekehrt, dass die Bundesstraße gleichzeitig die planerische Aufgabe besitzt, die ihr "anliegenden Grundstücke" auch zu erschließen.
40Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 1997 – 4 B 91/97 –, juris Rn. 6.
41Gleiches gilt für die Erschließung der Tankstellen. Diese sind zwar auf die vorhandene Erschließung über die Bundesstraße gerade angewiesen, zugleich jedoch an Fernstraßen derart üblich, dass sei dem Verkehrsteilnehmer keine Einschränkung der Verkehrsfunktion vermitteln. Der Grund des Anbauverbotes – die Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs – entfällt hierdurch nicht.
42Dass die Erschließung der vorgenannten Grundstücke nicht den Gesamteindruck einer freien Fahrt vermindert und die B 00 in dem maßgeblichen Bereich weiterhin auf das zügige Fortkommen angelegt ist, wird auch durch ihren Ausbauzustand bestätigt. Die Fahrstreifen sind einspurig ausgebaut und durch einen Mittelstreifen getrennt. Im nördlichen Bereich ist die Bebauung – wie bereits ausgeführt – deutlich von der Straße abgerückt. Auch die südlich gelegene Bebauung ist jedenfalls durch einen schmalen Grünstreifen von der Straße getrennt. Der zügige Verkehr wird in diesem Bereich auch im Übrigen nicht wesentlich gehindert. Ampelanlagen oder Kreuzungen sind nicht vorhanden. Der westlich gelegene Kreisverkehr dient ebenfalls einer zügigen Verkehrsabwicklung und dem Eindruck einer „freien Strecke“. In Richtung H. besteht ununterbrochen die Möglichkeit zur freien Fahrt.
432. Der Beigeladene hat auch keine Ausnahme von dem Anbauverbot erteilt. Ob ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von dem Verbot gemäß § 9 Abs. 8 Satz 1 FStrG besteht, bedarf keiner Prüfung. Insoweit wurde seitens der Klägerin weder ein Antrag auf Erteilung der Ausnahme gestellt, noch ist der Beklagte für die Erteilung der Ausnahme zuständig. Diese ist vielmehr selbstständig bei der zuständigen Straßenbaubehörde zu erwirken (§ 74 Abs. 3 Satz 2 BauO NRW).
443. Aufgrund des Verstoßes gegen die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 9 FStrG kann dahinstehen, ob die geplante Werbeanlage darüber hinaus gegen weitere Vorschriften verstößt, wie die Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs (vgl. §§ 16 Abs. 2, 10 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW) und das Verunstaltungsverbot (vgl. §§ 9, 10 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW). Ebenso kann dahinstehen, ob die Gestaltungssatzung der Gemeinde P. wirksam ist und ob das Vorhaben gegen diese verstößt.