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Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, den Antragsteller vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die von ihm erhobene Hauptsacheklage 1 K 2731/23 mit allen Rechten und Pflichten eines Fraktionsmitglieds zur Fraktionsarbeit in der CDU-Fraktion im Rat der Gemeinde N. (Antragsgegnerin) zuzulassen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
2A. Der nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässige (sinngemäße) Antrag des Antragstellers,
3der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, ihn vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die von ihm erhobene Hauptsacheklage 1 K 2731/23 mit allen Rechten und Pflichten eines Fraktionsmitglieds zur Fraktionsarbeit in der CDU-Fraktion im Rat der Gemeinde N. (Antragsgegnerin) zuzulassen,
4ist begründet.
5Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt in beiden Fällen voraus, dass der zugrunde liegende materielle Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen sind (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO). Das grundsätzliche Verbot einer hier begehrten Vorwegnahme der Hauptsache steht einer einstweiligen Anordnung nicht entgegen, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist.
6Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 -, juris, Rn. 22; BVerfG, Beschluss vom 15. August 2002 - 1 BvR 1790/00 -, juris, Rn. 18.
7Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsanspruch (I.) als auch einen Anordnungsgrund (II.) glaubhaft gemacht.
8I. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es besteht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass ihm der in materieller Hinsicht geltend gemachte Anspruch auf fortgesetzte uneingeschränkte Partizipation an der Fraktionsarbeit der Antragsgegnerin zusteht.
9Diesen Anspruch kann der Antragsteller aller Voraussicht nach aus seiner ursprünglich gemäß § 2 Abs. 1 der zu Beginn der Wahlperiode in der konstituierenden Sitzung am 30. September 2020 beschlossenen Geschäftsordnung der Antragsgegnerin (im Folgenden: GeschO) begründeten Mitgliedschaft in der Antragsgegnerin bzw. einer entsprechenden Fraktionsabsprache ableiten. Der Beschluss der Antragsgegnerin vom 25. Januar 2023, mit der sie den Antragsteller aus der Fraktion ausgeschlossen hat, ist – nach hier allein möglicher und gebotener summarischer Prüfung – voraussichtlich rechtswidrig.
10Als Rechtsgrundlage für den Fraktionsausschluss des Antragstellers kommt allein § 14 GeschO in Betracht. Nach § 14 Abs. 1 GeschO können Mitglieder, die den Bestimmungen dieser Geschäftsordnung zuwiderhandeln, zur Verantwortung gezogen werden. Gemäß § 14 Abs. 2 GeschO sind Ordnungsmaßnahmen a) Missbilligung (Rüge) eines Verhaltens und b) Ausschluss aus der Fraktion.
11Es kann offenbleiben, ob der Fraktionsausschluss in formeller Hinsicht rechtlich zu beanstanden ist. Denn er ist voraussichtlich zumindest in materieller Hinsicht rechtswidrig. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Antragsteller gemäß § 14 Abs. 1 GeschO Bestimmungen der Geschäftsordnung der Antragsgegnerin zuwidergehandelt und insbesondere – wie es die Antragsgegnerin angenommen hat – gegen § 7 Abs. 1 und 4 GeschO i.V.m. § 1 Abs. 2 lit. c) GeschO verstoßen hat. Denn es fehlt jedenfalls an dem für einen Fraktionsausschluss erforderlichen wichtigen Grund.
12In Bezug auf die materielle Rechtmäßigkeit eines Fraktionsausschlusses gilt das Grundprinzip, dass ein unter der Voraussetzung grundsätzlicher Übereinstimmung der Beteiligten und mit dem Ziel ihrer persönlichen Zusammenarbeit auf längere Dauer eingegangenes Rechtsverhältnis (nur) aus wichtigem Grund beendet werden kann. Die mit der Bildung einer Fraktion verfolgten politischen Zwecke lassen sich nur solange erreichen, wie die Mitglieder der Fraktion zumindest in den Grundsatzfragen einig und in Randfragen zu Kompromissen bereit sind.
13Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2018 - 15 B 19/18 -, juris, Rn. 21 ff., m.w.N.
14Der danach notwendige Grundkonsens wird weder durch jede Meinungsverschiedenheit der Fraktionsmitglieder noch durch jedes abweichende Verhalten Einzelner bei Abstimmungen im Rat oder in dessen Ausschüssen in Frage gestellt. Der Sinn der fraktionsinternen Meinungsbildung besteht gerade darin, unterschiedliche Auffassungen nach Möglichkeit miteinander in Einklang zu bringen, setzt aber nicht voraus, dass dies immer und ausnahmslos gelingt. Hieraus folgt, dass nicht jeder Dissens einen die Ausschließung einzelner Fraktionsmitglieder rechtfertigenden Grund darstellt, sondern nur solche Umstände, die das Vertrauensverhältnis nachhaltig und derart stören, dass eine weitere Zusammenarbeit den übrigen Fraktionsmitgliedern nicht zugemutet werden kann. Ob dies der Fall ist, ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Wege der Abwägung zwischen dem Status des Ratsmitglieds und dem Zweck der praktischen, politischen Arbeitsfähigkeit der Fraktion festzustellen.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2018 - 15 B 19/18 -, juris, Rn. 23 ff., m.w.N.
16Die materielle Beweislast für einen wichtigen, den Fraktionsausschluss rechtfertigenden Grund liegt im Hauptsacheverfahren bei der Fraktion. Dies kann sich bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zugunsten des jeweiligen Antragstellers auswirken, wenn die Fraktion schon ihrer Darlegungslast nicht genügt. In einer derartigen Situation muss vorläufig – bis zum eventuellen Beweis des Gegenteils im Hauptsacheverfahren – von der Unwirksamkeit des Fraktionsausschlusses ausgegangen werden. Andernfalls müsste das von der Ausschließung betroffene Fraktionsmitglied gewissermaßen auf eine bloße, unter Umständen nicht weiter zu erhärtende Verdächtigung hin die Folgen des Fraktionsausschlusses schutzlos hinnehmen. Erfüllt die Fraktion ihre Darlegungslast, indem sie gewichtige Anhaltspunkte für das Vorliegen eines wichtigen Grunds für den Ausschluss beibringt, ist jedoch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache von der Wirksamkeit des Fraktionsausschlusses auszugehen. Ansonsten hätte es das von dem Ausschluss betroffene Fraktionsmitglied in der Hand, den Eintritt der an den Fraktionsausschluss geknüpften Folgen durch bloßes Bestreiten des ihm in substantiierter Form zu Last gelegten Fehlverhaltens für die oftmals erhebliche Dauer des Hauptsacheverfahrens hinauszuschieben oder sogar zu vereiteln.
17Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2018 - 15 B 19/18 -, juris, Rn. 27 ff., m.w.N.
18Nach diesen Maßgaben liegt kein wichtiger Grund vor, der den Fraktionsausschluss des Antragstellers rechtfertigt.
19Die Antragsgegnerin begründet den Fraktionsausschluss ausweislich ihres an den Antragsteller gerichteten Schreibens vom 30. Januar 2023 (vgl. Bl. 49 der Gerichtsakte [GA]) damit, dass dieser im Rahmen eines privaten Bauprojekts in einer für ein Ratsmitglied unzulässigen Weise versucht habe, Bürgerinnen und Bürger unter Androhung von Konsequenzen unter Druck zu setzen. Durch dieses nicht akzeptable Vorgehen habe der Antragsteller dem Ansehen der gesamten CDU-Fraktion erheblichen Schaden zugefügt. Aus Sicht der Fraktionsmitglieder sei ein gemeinsames politisches Arbeiten und eine einheitliche Willensbildung mit anschließendem geschlossenen Auftreten im Rat und in der Öffentlichkeit mit dem Antragsteller zukünftig ausgeschlossen. Das Vertrauensverhältnis sei unwiderruflich zerrüttet. Hintergrund dieser Vorwürfe ist ein von den Eheleuten M. an den Bürgermeister der Gemeinde N. und die Vorsitzenden der Ratsfraktionen gerichtetes Schreiben vom 21. November 2022 (vgl. Bl. 40 f. GA). In diesem Schreiben informieren die Eheleute M. darüber, dass der Antragsteller die Nachbarn Z., G. und E. mit fragwürdigen Äußerungen dazu habe bewegen wollen, der Errichtung eines Mehrparteienhauses mit sechs Wohneinheiten zuzustimmen. Als Gegenleistung sei den betreffenden Nachbarn in Aussicht gestellt worden, dass der Antragsteller und sein Bruder sich darum bemühen würden, dass der von ihnen zuvor gestellte Antrag auf Ausweitung des Bebauungsplans nicht zum Tragen komme. Außerdem habe der Antragsteller ergänzt, dass man sich ansonsten nicht wundern dürfe, wenn als Konsequenz „problematisches Klientel“ als Mieter ausgewählt würde. Das Schreiben wurde von den Eheleuten M. unterzeichnet und der vorgetragene Sachverhalt mit den Unterschriften der Nachbarn Z., G. und E. „bestätigt“. In einem daraufhin zwischen dem Vorstand der Antragsgegnerin und den Nachbarn am 21. Dezember 2022 geführten Gespräch (vgl. Bl. 90 GA) haben die Nachbarn angegeben, dass ihnen auch auf Nachfrage nicht klar gewesen sei, ob der Antragsteller als Ratsmitglied oder als Privatmann aufgetreten sei. Der Antragsteller habe angegeben, dass es ihm ausschließlich um die Bebauung seines Grundstücks gehe. Der Antragsteller ist diesen Vorwürfen entgegengetreten. In einem Gespräch mit dem Vorstand der Antragsgegnerin und der Gemeindeverbandsvorsitzenden am 11. Januar 2023 (vgl. Bl. 90 GA) hat er angegeben, dass er in den Gesprächen mit den Nachbarn weder als Ratsmitglied aufgetreten sei noch mit Konsequenzen gedroht habe. In einer schriftlichen Stellungnahme (vgl. Bl. 46 ff. GA) führte er unter anderem aus, dass es ihm in den Gesprächen darum gegangen sei, sein Bauvorhaben zu erläutern und etwaige falsche Vorstellungen zu beseitigen. Sein Ziel sei es gewesen, zur Deeskalation beizutragen. Rückblickend betrachtet sei sein gutgemeinter Besuch kontraproduktiv gewesen und habe für Missstimmung gesorgt. Sofern er einem der beteiligten Menschen in jedweder Art zu nahegetreten sein sollte, bedauere er dies zutiefst. Von Beginn seiner politischen Tätigkeit an habe er seine privaten Angelegenheiten konsequent von den Tätigkeiten als Ratsmitglied getrennt.
20Nicht nur nach dem Vorbringen des Antragstellers, sondern auch bei Zugrundelegung der Angaben der Eheleute M. und der übrigen Nachbarn vermag die Vorsprache des Antragstellers bei den Nachbarn Z., G. und E. keinen wichtigen Grund darzustellen, der seinen Fraktionsausschluss rechtfertigt.
21Dies gilt auch dann, wenn der Antragsgegnerin hinsichtlich des Vorliegens eines wichtigen Grundes ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zustehen sollte. Denn die dem Antragsteller zur Last gelegten Verhaltensweisen sind – falls die Vorwürfe der Nachbarn zutreffen sollten – aus den nachfolgend dargelegten Gründen nach keiner von einem etwaigen Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin umfassten Betrachtungsweise geeignet, eine unwiderrufliche Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Antragsteller und den übrigen Fraktionsmitgliedern zu begründen, sodass die Annahme eines wichtigen Grundes durch die Antragsgegnerin einen etwaigen Beurteilungsspielraum jedenfalls überschreitet.
22Die Frage der gerichtlichen Kontrolldichte offenlassend OVG NRW, Beschlüsse vom 15. März 2018 - 15 A 1211/16 -, juris, Rn. 30 ff., und vom 21. November 1988 - 15 B 2380/88 -, juris, Rn. 26 ff.
23Auf der Grundlage des Vorbringens der Eheleute M. und der übrigen Nachbarn liegen bereits keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller im Rahmen seiner Gespräche mit den Nachbarn Z., G. und E. seine privaten Interessen als Bauherr und seine Funktion als Rats- und Fraktionsmitglied in unzulässiger Weise miteinander vermischt hat. Dass der Antragsteller gegenüber den Nachbarn ausdrücklich als Ratsmitglied aufgetreten ist, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ausgehend von dem von der Antragsgegnerin zugrunde gelegten Sachverhalt ist auch nicht erkennbar, dass der Antragsteller durch sein Handeln gegenüber den Nachbarn den Eindruck erweckt hat, seine privaten Interessen unter Ausnutzung seiner Stellung als Ratsmitglied durchsetzen zu wollen. Zwar haben die Nachbarn im Gespräch mit dem Vorstand der Antragsgegnerin angegeben, dass ihnen auch auf Nachfrage nicht klar gewesen sei, in welcher Eigenschaft der Antragsteller aufgetreten sei. Was der Antragsteller auf die entsprechende Nachfrage erwidert haben soll, ist aber nicht erkennbar, sodass eine missverständliche Interpretation der Situation durch die Nachbarn nicht ausgeschlossen werden kann. Die Ankündigung, „problematisches Klientel“ als Mieter auszuwählen, falls der Errichtung eines Wohnhauses mit sechs Wohneinheiten nicht zugestimmt werde, weist keinen Bezug zum Ratsmandat des Antragstellers auf. Soweit der Antragsteller den Nachbarn darüber hinaus in Aussicht gestellt haben soll, sich gemeinsam mit seinem Bruder darum zu bemühen, dass der Antrag auf Ausweitung des Bebauungsplans nicht zum Tragen komme, kann hieraus ohne weitere Anhaltspunkte ebenfalls nicht auf eine unzulässige Vermischung der privaten Interessen und des politischen Amts geschlossen werden. Die Aussage des Antragstellers kann auch dahingehend verstanden werden, dass die Brüder den von dem Bruder des Antragstellers gestellten Antrag auf Änderung des Bebauungsplans zurücknehmen und gegenüber der Gemeinde erklären wollen, dass eine Weiterverfolgung der von ihnen zunächst (zulässigerweise) angestoßenen Pläne zur Bebauungsplanänderung aus ihrer (privaten) Sicht nicht mehr erforderlich ist, ohne dabei auf die dem Antragsteller als Ratsmitglied ggf. zur Verfügung stehenden besonderen politischen Einwirkungsmöglichkeiten zurückzugreifen.
24Ein den Fraktionsausschluss rechtfertigender wichtiger Grund läge aber auch dann nicht vor, wenn der Antragsteller im Rahmen der Vorsprache bei den Nachbarn sein privates Anliegen nicht hinreichend von seinem politischen Amt getrennt haben sollte. Hierin liegt nach keiner von einem etwaigen Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin umfassten Betrachtungsweise ein hinreichender Grund für eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Antragsteller und den übrigen Fraktionsmitgliedern, der erwarten lassen würde, dass den übrigen Fraktionsmitgliedern eine weitere Zusammenarbeit mit dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann. Insofern ist zu berücksichtigen, dass es sich – soweit ersichtlich – um den ersten Fall handelt, in welchem dem Antragsteller ein derartiges Verhalten im Außenverhältnis zur Last gelegt wird. Zudem wird dem Antragsteller kein ausdrückliches Auftreten als Ratsmitglied, sondern ein ggf. missverständliches Verhalten vorgeworfen. Darüber hinaus hat der Antragsteller in seiner schriftlichen Stellungnahme klargestellt, dass ein etwaiges missverständliches Auftreten von ihm nicht beabsichtigt gewesen und die Abgrenzung der amtlichen Tätigkeit als Ratsmitglied von der privaten Tätigkeit als natürliche Person für ihn selbstverständlich sei. Dafür, dass es in Zukunft erneut zu vergleichbaren Vorfällen kommen könnte, bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dem von der Antragsgegnerin befürchteten Verlust des Ansehens der Fraktion in der Öffentlichkeit hätte durch die Verhängung einer milderen Ordnungsmaßnahme in Form einer (ggf. öffentlich bekannt gemachten) Missbilligung (Rüge) des Verhaltens des Antragstellers (§ 14 Abs. 2 lit. a GeschO) effektiv begegnet werden können.
25Sofern der Antragsteller versucht haben sollte, die Nachbarn zu einer Zustimmung für ein Mehrparteienhaus mit sechs Wohneinheiten zu bewegen und ihnen andernfalls die Auswahl „problematischen Klientels“ als Mieter in Aussicht gestellt haben sollte, vermag dies den Fraktionsausschluss auch für sich genommen nicht zu rechtfertigen. Dem Antragsteller steht als Vermieter die Auswahl seiner Mieter frei. Ob die dem Antragsteller vorgeworfene Verknüpfung zwischen der Mieterauswahl und der Zustimmung zur Errichtung eines Sechsparteienhauses bei Würdigung aller Gesamtumstände eine strafbare versuchte Nötigung (§ 240 StGB) darstellt, kann – unabhängig davon, dass der Antragsteller eine entsprechende Aussage substantiiert bestritten hat (vgl. S. 2 f. des Schriftsatzes vom 10. November 2023, Bl. 125 f. GA) – offenbleiben. Denn auch insofern würde es sich jedenfalls um ein einmaliges und minderschweres Verhalten in einem privaten Konflikt ohne hinreichende Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr handeln, welches einen unmittelbaren Fraktionsausschluss ohne vorherige Verhängung einer milderen Ordnungsmaßnahme entsprechend den Erwägungen des vorstehenden Absatzes nicht zu rechtfertigen vermag.
26Ein wichtiger Grund für den Fraktionsausschluss kann schließlich auch nicht daraus hergeleitet werden, dass der Antragsteller nach Darstellung der Antragsgegnerin im Vorfeld der am 19. Oktober 2022 abgehaltenen Fraktionssitzung auf mehrere Fraktionsmitglieder zugegangen sein soll, um für die von seinem Bruder angeregte Änderung des Bebauungsplans zu werben. Denn nach der in dem Schreiben vom 30. Januar 2023 enthaltenen Begründung lag dieser Umstand dem Beschluss der Antragsgegnerin über den Ausschluss nicht zugrunde. Zudem konnte der Antragsteller sich hierzu im Ausschlussverfahren nicht äußern.
27Vgl. zu diesen Voraussetzungen OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2018 - 15 A 1211/16 -, juris, Rn. 14 ff., m.w.N.
28Die Antragsgegnerin hat – losgelöst von der Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Gründe für einen Fraktionsausschluss nachgeschoben werden können – den Fraktionsausschluss auch nicht nachträglich auf dieses Verhalten gestützt. Unabhängig davon ist dieses lediglich fraktionsinterne Verhalten des Antragstellers weder für sich betrachtet noch in der Gesamtschau mit den von den Eheleuten M. erhobenen Vorwürfen geeignet, einen unmittelbaren Fraktionsausschluss des Antragstellers zu rechtfertigen. Dies gilt umso mehr als, die von dem Antragsteller unterstützte Änderung des Bebauungsplanes offenbar nicht nur im Partikularinteresse des Antragstellers und seines Bruders lag, sondern ausweislich der mehrheitlichen Zustimmung innerhalb der CDU-Fraktion und innerhalb des Planungsausschusses auch darüber hinaus überwiegend für politisch sinnvoll gehalten wurde.
29II. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
30Der Ausschluss aus der Fraktion bedeutet, dass dem Antragsteller die Partizipation an den den Fraktionen in der Gemeindeordnung zugewiesenen besonderen Kompetenzen (vgl. etwa §§ 47 Abs. 1 Satz 4, 48 Abs. 1 Satz 2, 55 Abs. 4 Satz 1, 56 Abs. 3 Satz 1 GO NRW) und die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Willensbildung innerhalb der Fraktion vorenthalten wird. Dies führt dazu, dass der Antragsteller als fraktionsloses Ratsmitglied weit geringere Einwirkungsmöglichkeiten im politischen Geschehen der Gemeinde besitzt als dies innerhalb der Fraktion und bei der Beteiligung an deren Arbeit der Fall ist.
31Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 21. November 1988 - 15 B 2380/88 -, juris, Rn. 34 ff., m.w.N.
32Der Antragsteller kann die ihm danach durch den Fraktionsausschluss erwachsenden Nachteile voraussichtlich auch nicht im Hauptsacheverfahren abwenden, da eine rechtskräftige Entscheidung vor Ablauf der Amtszeit des Rates im Herbst 2025 und der damit einhergehenden Beendigung sowohl des Mandates des Antragstellers als auch der rechtlichen Existenz der Antragsgegnerin unwahrscheinlich ist.
33Dem Erlass der von dem Antragsteller beantragten einstweiligen Anordnung steht auch nicht entgegen, dass damit eine Entscheidung in der Hauptsache faktisch vorweggenommen wird.
34Zwar kann in einem Organstreit wie dem vorliegenden eine Vorwegnahme der Hauptsache nur in seltenen Ausnahmefällen gerechtfertigt werden. Dort ist im Gegensatz zum Außenrechtsstreit nicht über Individualrechte, sondern über innerorganisatorische Kompetenzen zu entscheiden. Diese sind dem Antragsteller nicht um seiner selbst willen, sondern im Interesse der Gemeinde zugewiesen und daher weder aus den Grundrechten herzuleiten noch im Schutzbereich der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) angesiedelt. Gemessen daran kommt es für den Anordnungsgrund in einem Organstreit nicht auf die subjektive Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers, sondern darauf an, ob die einstweilige Anordnung im Interesse der Körperschaft objektiv notwendig bzw. – bei einer Vorwegnahme der Hauptsache – unabweisbar erscheint. Entscheidend für die Vorwegnahme der Hauptsache ist neben der Bedeutung der konkreten Angelegenheit für die Gemeinde vor allem der Rang des Rechtssatzes, dessen Verletzung durch die einstweilige Anordnung abgewendet werden soll. Ausgehend davon kommt auch beim Streit um einen Fraktionsausschluss die Vorwegnahme der Hauptsache durch eine einstweilige Anordnung nur ausnahmsweise in Betracht.
35Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2018 - 15 B 19/18 -, juris, Rn. 42, m.w.N.
36Gemessen daran ist die Vorwegnahme der Hauptsache im vorliegenden Fall gerechtfertigt. Der streitgegenständliche Fraktionsausschluss verstößt – unabhängig davon, dass der Sachverhalt im Eilverfahren nicht vollständig aufgeklärt und eine Unrichtigkeit der von den Nachbarn gegenüber dem Antragsteller erhobenen Vorwürfe nicht ausgeschlossen werden kann – mit hoher Wahrscheinlichkeit mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes jedenfalls gegen das rechtsstaatliche Grundprinzip der Verhältnismäßigkeit und damit gegen einen Rechtssatz von Verfassungsrang. Die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegt ebenso wie die effektive Wahrnehmung des Ratsmandats durch die Ratsmitglieder im Funktionsinteresse der Gemeinde. Dies gilt umso mehr, als bis zu den nächsten Kommunalwahlen im Herbst 2025 noch ein nicht nur unerheblicher Zeitraum von knapp zwei Jahren verbleibt und der Fraktionsausschluss des Antragstellers Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse im Rat hat (vgl. zu den Auswirkungen des Fraktionsausschlusses auf die Mehrheitsverhältnisse im Rat etwa Bl. 113 ff. GA).
37B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
38Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Hiernach setzt das Gericht bei einem Streit über die Rechtmäßigkeit eines Fraktionsausschlusses im Anschluss an die Streitwertpraxis des zuständigen Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
39vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2018 - 15 B 19/18 -, juris, Rn. 46 ff., m.w.N.,
40entsprechend der Empfehlung in Nr. 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit einen Streitwert von 10.000 Euro an und sieht gemäß Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs mit Blick auf die begehrte Vorwegnahme der Hauptsache von einer Halbierung dieses Betrages ab.