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Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, dem Antragsteller bis zur Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache einen Betreuungsplatz zur frühkindlichen Förderung mit dem Betreuungsumfang von 45 Stunden wöchentlich in einer Kindertageseinrichtung zur Verfügung zu stellen, die in nicht mehr als 15 Minuten von der Wohnung des Antragstellers erreichbar ist.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e
2Der Antrag,
3der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller einen Betreuungsplatz in einer wohnortnahen städtischen Kindertageseinrichtung zuzuweisen,
4hilfsweise, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller den nächsten verfügbaren Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung, vorzugsweise in der Kindertageseinrichtung „F. - “ zuzuweisen,
5weiter hilfsweise festzustellen, dass die Antragsgegnerin vorläufig verpflichtet ist, erforderliche Aufwendungen für einen selbst beschafften Betreuungsplatz des Antragstellers in einer Kindertageseinrichtung oder in der Kindertagespflege zu übernehmen,
6hat Erfolg. Die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung liegen vor.
7Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies erfordert die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs sowie eines Anordnungsgrundes (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Wird mit der begehrten Regelung – wie hier – die Hauptsache vorweggenommen, gelten gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, in dem ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen muss, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist. Überdies kommt eine Vorwegnahme der Hauptsache nur in Betracht, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Januar 2014
9– 12 B 1422/13 –, juris, mit weiteren Nachweisen.
10Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung ist es hochgradig wahrscheinlich, dass dem Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin ein Anspruch auf Zuweisung eines Betreuungsplatzes zur frühkindlichen Förderung in einer wohnortnahen Kindertageseinrichtung zusteht.
11Dieser Anspruch folgt aus § 24 Abs. 2 SGB VIII. Nach Satz 1 dieser Regelung hat ein Kind, das – wie der am 00.00.0000 geborene Antragsteller – das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Nach § 24 Abs. 2 S. 2, Abs. 1 S. 3 SGB VIII richtet sich der Umfang der täglichen Förderung nach dem individuellen Bedarf.
12Danach hat der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin als sachlich und örtlich zuständige Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe einen Anspruch auf Förderung in einer öffentlich geförderten Tageseinrichtung oder in Tagespflege. Dieser Leistungsanspruch ist rechtlich so ausgestaltet, dass jedem Kind, dessen Eltern einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz wünschen, ein solcher Platz auch zur Verfügung gestellt werden muss. Nach § 24 Abs. 2 SGB VIII besteht diesbezüglich ein einklagbarer Leistungsanspruch, der nicht unter Kapazitätsvorbehalt gestellt ist.
13Vgl. BVerfG, Urteil vom 21. Juli 2015 - 1 BvF 2/13 -, juris, Rn. 43.
14Der Anspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII führt vielmehr zu einer Gewährleistungspflicht, die den Träger der öffentlichen Jugendhilfe unabhängig von der jeweiligen finanziellen Situation der Kommune zur Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots an Betreuungsplätzen zwingt.
15Vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 7. Juni 2017
16– 4 B 100/17 –, juris, Rn. 7, mit weiteren Nachweisen.
17Den danach bestehenden subjektiven Rechtsanspruch des Antragstellers auf frühkindliche Förderung hat die Antragsgegnerin nicht dadurch erfüllt, dass sie unter Hinweis auf die aktuell nicht ausreichende Zahl an Plätzen in den öffentlich geförderten Kindertageseinrichtungen dem Antragsteller bzw. seinen Eltern Möglichkeiten seiner Betreuung in Kindertagespflege („Tagesmutter“) angeboten hat.
18Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 24 Abs. 2 S. 1 SGB VIII werden zwar die frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung und die frühkindliche Förderung in Kindertagespflege als gleich geeignete, mithin gleichwertige Formen der Tagesbetreuung von unter dreijährigen Kindern eingestuft. Beide Betreuungsformen stehen danach in einem gesetzlichen Gleichrangigkeitsverhältnis. Dies hat zur Folge, dass der zuständige Träger der Jugendhilfe seine Verpflichtung zur Förderung von unter dreijährigen Kindern gleichermaßen mit dem Nachweis eines zumutbaren Platzes in einer Kindertagesstätte und mit dem Nachweis eines zumutbaren Platzes in der Kindertagespflege erfüllen kann.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. August 2013
20– 12 B 793/13 –, www.nrwe.de.
21Dabei steht allerdings in Anwendung der für sämtliche kinder- und jugendhilferechtlichen Leistungen geltenden Vorschrift des § 5 Abs. 1 S. 1 SGB VIII den Leistungsberechtigten das Recht zu, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern, sofern dies nicht im Sinne des § 5 Abs. 2 SGB VIII mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Das zuständige Jugendamt ist in Ansehung dieses Wunsch- und Wahlrechts verpflichtet, den Leistungsberechtigten auch die ihren Wünschen entsprechende Betreuungsform zu vermitteln. Das Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 Abs. 1 S. 1 SGB VIII findet nur dann seine Grenze, wenn keine Plätze in der gewünschten Betreuungsform (mehr) vorhanden oder verfügbar sind. Stehen nur freie Plätze in Tageseinrichtungen oder bei bestimmten Kindertagespflegepersonen zur Verfügung, beschränkt sich das Wunsch- und Wahlrecht auf diese freien Plätze. Insoweit gilt nichts anderes als im Zusammenhang mit den anderen kinder- und jugendhilferechtlichen Leistungsformen, unter anderem auch mit dem bereits seit langem gesetzlich verankerten Rechtsanspruch von über dreijährigen Kindern auf einen Kindergartenplatz. Hier ist anerkannt, dass das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII keinen Anspruch auf die Schaffung neuer Dienste und Einrichtungen schafft, sondern sich nur auf das tatsächlich vorhandene Angebot, d.h. auf die tatsächlich zur Verfügung stehenden Plätze, beschränkt.
22Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. August 2013, a.a.O.;
23Urteil vom 20. April 2016 – 12 A 1262/14 –, www.nrwe.de; Nieders. OVG, Beschluss vom 6. Oktober 2014 - 4 ME 216/14 -, juris, Rn. 2, Hess. VGH, Beschluss vom 4. Februar 2014 - 10 B 1973/13 -, juris, Rn. 4, 8 f; Sächs. OVG, Beschluss vom 24. November 2014 - 1 B 251/14 -, juris, Rn. 8 f.
24In Anwendung dieser Vorgaben durfte die Antragsgegnerin den Antragsteller bzw. seine Eltern nicht auf eine Betreuung in Kindertagespflege verweisen. Es kann bereits nicht davon ausgegangen werden, dass in der von den Eltern - zumindest vorrangig - gewünschten Form der Betreuung des Antragstellers in einer Kindertageseinrichtung keine Plätze vorhanden oder verfügbar sind. So dürfte die Antragsgegnerin nicht nachgewiesen haben, dass dem Antragsteller wegen Kapazitätserschöpfung gegenwärtig kein Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung zugewiesen werden kann.
25Der Nachweis der Erschöpfung der Kapazitäten setzt voraus, dass ein sachgerecht ausgestaltetes und durchgeführtes Verfahren zur Vergabe der städtischen Kindergartenplätze stattgefunden hat. Der hoheitlichen Vergabe beschränkter Leistungen oder sonstiger Begünstigungen müssen in jedem Fall sachgerechte Entscheidungskriterien zugrunde liegen. Das gilt auch für die Zuweisung der nur in bestimmtem Umfang bereitstehenden Betreuungsplätze in kommunalen Kindertageseinrichtungen. Die Darlegungs- und Beweislast für ein fehlerfreies Vergabeverfahren trägt der betreffende Träger der öffentlichen Jugendhilfe, weil die insoweit maßgeblichen Umstände ersichtlich in seiner Verantwortungs- und Verfügungssphäre liegen.
26Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. April 2016, a.a.O.
27Es kann offen bleiben, ob dieser Nachweis allein für die in kommunaler Trägerschaft betriebenen Kindertageseinrichtungen zu erbringen ist, oder ob er auch hinsichtlich der öffentlich geförderten Kindertageseinrichtungen freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe - etwa deshalb, weil auch mit der Bereitstellung solcher Plätze der Rechtsanspruch gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII erfüllt wird - erbracht werden muss. Denn jedenfalls fehlt es im vorliegenden Fall am Nachweis eines fehlerfreien Vergabeverfahrens schon hinsichtlich der in der Trägerschaft der Antragsgegnerin stehenden Kindertageseinrichtungen. Insoweit ist bereits nicht erkennbar, dass die Betreuungsplätze im Rahmen eines standardisierten Vergabeverfahrens vergeben werden.
28Für die Vergabe der Betreuungsplätze in den öffentlich geförderten Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege hat die Antragsgegnerin zwar das Online-Portal „Kita-Navigator“ eingerichtet.
29https:// /
30Hierbei handelt es sich jedoch nicht um ein standardisiertes Vergabeverfahren, sondern lediglich um ein Bewerbungssystem, das den Eltern die Möglichkeit bieten soll, ihr Kind auf die Warteliste der jeweils ausgewählten Kindertagesstätte zu setzen. So heißt es dort unter Nr. 2 der Antworten auf „Häufig gestellte Fragen - Allgemeine Fragen “ ausdrücklich:
31„Der Kita-Navigator ist das zentrale Vormerksystem, an dem sich alle öffentlich geförderten Kindertageseinrichtungen (kurz: Kitas) und Kindertagespflegestellen in N1. beteiligen. Hier werden alle Kinder erfasst, die einen Kita- oder Kindertagespflegeplatz suchen und die Vormerkungen an die jeweiligen Kitas bzw. die Fachberaterinnen der Kindertagespflege weitergeleitet. Dies ist die Voraussetzung für die Vergabe eines Betreuungsplatzes.“
32Zur Vergabe der Betreuungsplätze heißt es unter Nr. 20 der Antworten auf „Häufig gestellte Fragen – Allgemeine Fragen “:
33„Die Eintragung im Kita-Navigator ist lediglich eine Vormerkung und keine Anmeldung. Das heißt, Sie setzen Ihr Kind mit der Vormerkung auf die Warteliste der ausgewählten Kita. Diese Warteliste ist dann die Basis für die Platzvergabe, die nach bestimmten Kriterien bzw. gesetzlichen Bestimmungen durch die jeweilige Kita-Leitung, deren Träger oder die Tagespflegepersonen erfolgt.“
34Dementsprechend hat die Antragsgegnerin in der im vorliegenden Verfahren vorgelegten „Stellungnahme zum Verfahren der Platzvermittlung in Kindertageseinrichtungen“ vom 7. Juli 2017 unter anderem ausgeführt:
35„Für die Platzvergabe ab dem Kita Jahr 2017/2018 werden die Einrichtungen selbstständig und eigenverantwortlich aufgrund der gesetzlich verbrieften Trägerautonomie (§ 4 Abs. 1 SGB VIII) tätig. Um seine Vergabeentscheidungen treffen zu können, gibt sich jeder Träger von Kindertageseinrichtungen einheitliche Kriterien, wie z.B. die Wohnortnähe, Berufstätigkeit der Eltern, Betreuungskontinuität, Geschwisterkinder und das Alter der zu vermittelnden Kinder. Die Träger können diese Vergabekriterien im Kita-Navigator und/oder auf der Trägerhomepage darstellen. Falls keine allgemeine Veröffentlichung vorliegt, sind die Kriterien aber auf Anfrage durch den Träger mitzuteilen.“
36Diesen Hinweisen kann nicht entnommen werden, dass ein sachgerecht ausgestaltetes und durchgeführtes Verfahren zur Vergabe der städtischen Kindergartenplätze im oben genannten Sinn stattgefunden hat. Insbesondere lässt sich in Anbetracht dessen, dass die Vergabeentscheidungen allein durch die jeweilige Kita-Leitung oder deren Träger nach jeweils eigenen Kriterien getroffen werden, nicht feststellen, dass der Vergabe der Betreuungsplätze in jedem Fall sachgerechte Entscheidungskriterien zugrunde liegen. Dabei mögen die von der Antragsgegnerin beispielhaft genannten Kriterien wie etwa Wohnortnähe, Berufstätigkeit der Eltern, Geschwisterkinder oder das Alter der betreffenden Kinder durchaus als sachgerecht zu beurteilen sein. Mangels eines Vergabesystems mit einheitlichen Vorgaben erscheint es jedoch weder transparent, nach welchen Kriterien die Betreuungsplätze vergeben werden, noch erscheint es gewährleistet, dass die Platzvergabe im Einzelfall nach sachgerechten Kriterien erfolgt. Lässt sich mithin eine sachgerechte Platzvergabe jedenfalls in den städtischen Kindertagesstätten nicht nachvollziehen, ist schon deshalb kein Nachweis der Erschöpfung der Kapazitäten im oben genannten Sinn erkennbar.
37Einen derartigen Nachweis ist die Antragsgegnerin auch insofern schuldig geblieben, als sie nicht dargetan hat, welche (städtischen) Kindertageseinrichtungen sie vor ihrer Entscheidung, die Eltern des Antragstellers auf die Tagespflege zu verweisen, in den Blick genommen hatte. Nach der „Stellungnahme zum Verfahren der Platzvermittlung in Kindertageseinrichtungen“ vom 7. Juli 2017 hat die Antragsgegnerin lediglich festgestellt, dass dem Antragsteller kein Platz in einer der von seinen Eltern im Kita-Navigator vorgemerkten Kindertageseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden könne. Ob und ggf. welche weiteren Einrichtungen die Antragsgegnerin für den Antragsteller etwa als wohnortnah in Betracht gezogen hat, ergibt sich weder aus den vorgelegten Verwaltungsakten noch aus ihrem Vorbringen. Der Kita-Navigator weist für den Bereich im Umkreis von 2 km um die Wohnung des Antragstellers und seiner Eltern insgesamt 49 Kindertageseinrichtungen aus, darunter drei städtische Einrichtungen (Städtische Kindertageseinrichtung I. , Städtische Kindertageseinrichtung B. , Städtische Kindertageseinrichtung und Familienzentrum S. ). Die Antragsgegnerin hat jedoch ihrem Aktenvermerk vom 7. Juli 2017 zufolge lediglich bei elf Einrichtungen freier Träger Nachforschungen über die Platzvergabe angestellt. Erkenntnisse über die Belegungssituation der übrigen Kindertageseinrichtungen, insbesondere der genannten städtischen Einrichtungen, liegen dagegen nicht vor.
38Die Antragsgegnerin durfte den Antragsteller aber auch deshalb nicht auf die Kindertagespflege verweisen, weil die dem Antragsteller bzw. seinen Eltern angebotenen (drei) Tagespflegestellen nicht als für sie zumutbare Betreuungseinrichtungen anzusehen sind.
39Dem ist zugrunde zu legen, dass der betreffende Betreuungsplatz hinsichtlich der Qualität, des zeitlichen Umfangs der Förderung und der Entfernung zum Wohnort anspruchserfüllend sein muss.
40Vgl. Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 24 Rn. 23.
41Dies dürfte hinsichtlich der angebotenen Plätze in der Tagespflege N. und in der Tagespflege T. schon deshalb nicht der Fall sein, weil die hier möglichen Betreuungszeiten von jeweils 7:30 Uhr bis 16:15 Uhr die Arbeitszeiten der Eltern des Antragstellers von 8:00 Uhr bis 16:30 Uhr (in I1. ) bzw. 8:00/9:00 Uhr bis 18:00 Uhr (in N1. ) jedenfalls unter Berücksichtigung ihrer berufsbedingten Anfahrzeiten nicht abdeckten. Dabei kann den Eltern des Antragstellers nicht angesonnen werden, ihre Vollzeitbeschäftigungen in zeitlicher Hinsicht an die genannten Betreuungszeiten anzupassen. Soweit die Antragsgegnerin geltend macht, es bestehe kein Anspruch auf einen Betreuungsplatz von einem solchen zeitlichen Umfang und Anfangs- und Endterminen, dass die Eltern problemlos Vollzeitbeschäftigungen mit langen Anfahrzeiten oder ungewöhnlichen Arbeitszeiten nachgehen könnten, ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Zweck der Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII, den Eltern dabei zu helfen, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander vereinbaren zu können, auch unter Berücksichtigung der unter Kindeswohlgesichtspunkten hinnehmbaren Obergrenze für eine Fremdbetreuung von Kindern unter drei Jahren von 45 Stunden wöchentlich,
42vgl. hierzu: OVG NRW, Beschluss vom 14. August 2013, a.a.O.; VG München, Urteil vom 13. Juli 2016 – M 18 K 14.3284 -, juris, mit weiteren Nachweisen.
43der – auch im vorliegenden Fall in Rede stehende – elterliche Wunsch nach einer Betreuungszeit von 9 Stunden täglich nicht abgeschlagen werden kann.
44Ebenso wenig handelt es sich bei dem von der Antragsgegnerin angeführten Betreuungsplatz in der Kindertagespflege in N1. -O. um ein für den Antragsteller bzw. seinen Eltern zumutbares, den Anspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII erfüllendes Angebot. Die dort möglichen Betreuungszeiten von jeweils 7:00 Uhr bis 17:00 Uhr deckten zwar die Arbeitszeiten jedenfalls der Mutter des Antragstellers ab. Das Angebot ist jedoch für den Antragsteller bzw. seinen Eltern im Hinblick auf die Erreichbarkeit nicht zumutbar. Dabei kann entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin nicht davon ausgegangen werden, dass der Vater des Antragstellers seinen Arbeitsplatz in N1. -O. hat. Vielmehr hat die Mutter des Antragstellers der Antragsgegnerin nach deren Vermerk vom 23. März 2012 (vgl. „Protokollübersicht zur nachfolgenden Bedarfsmeldung“) telefonisch mitgeteilt, der Vater des Antragstellers habe sich beruflich verändert, er sei jetzt im Wohnumfeld, im C. und I2. - und G. sowie tageweise in M. tätig. Danach können die Eltern des Antragstellers den angebotenen Betreuungsplatz in N1. -O. nicht in zumutbarer Zeit erreichen. Nach dem Routenplaner Google Maps lässt sich N1. -O. von der Wohnung der Eltern des Antragstellers mit öffentlichen Verkehrsmitteln in 37 Minuten und mit einem Kraftfahrzeug - je nach dem Zeitpunkt der Eingabe - in „schätzungsweise“ 16 bis 24 Minuten (für eine Strecke von 9,6 km) erreichen. Diese Anfahrzeiten sind unabhängig von der Frage, von welchem Elternteil das Bringen bzw. Abholen des Antragstellers erwartet werden kann und welches Verkehrsmittel dafür zur Verfügung steht, nicht mehr als zumutbar anzusehen. Zwar wird die Zumutbarkeitsgrenze für die Erreichbarkeit eines Betreuungsplatzes in der Rechtsprechung zum Teil mit maximal 30 Minuten bemessen.
45Vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 7. Juni 2017, a.a.O;
46VG München, Urteil vom 13. Juli 2016, a.a.O., mit weiteren Nachweisen.
47Dies wird jedoch etwa mit den Verhältnissen in einer Großstadt begründet, in der „Flächen für Kitas mit den für diese erforderlichen Freiflächen gerade im Zentrum und den unmittelbar angrenzenden Stadtteilen“ fehlten und „die Bewältigung kurzer Strecken mit dem öffentlichen Personennahverkehr trotz des relativ gut ausgebauten Verkehrsnetzes sehr schnell eine Zeit von insgesamt 30 Minuten in Anspruch nimmt“.
48Vgl. zu München: VG München, Urteil vom 13. Juli 2016, a.a.O., juris, Rn 48.
49Eine derartige Situation findet sich in N1. nicht. Ausweislich des Kita-Navigators bestehen in N1. insgesamt 180 Kindertageseinrichtungen und ca. 290 Angebote der Kindertagespflege, wovon sich mindestens 50 im Innstadtbereich (etwa im Bereich von 2 km um den E.--platz ) befinden. Angesichts dessen kann jedenfalls für den Innenstadtbereich N1. davon ausgegangen werden, dass hier in der Regel eine fußläufige Erreichbarkeit der Betreuungsplätze in Kindertageseinrichtungen bzw. in Kindertagespflege gegeben ist, ein Betreuungsplatz jedenfalls in nicht mehr als 15 Minuten erreicht werden kann. Dieser - hier grundsätzlich als zumutbar anzusehende - Zeitaufwand würde im Fall einer Betreuung des Antragstellers in der Kindertagespflege in N1. -O. zum Teil erheblich überschritten.
50Durften die Eltern des Antragstellers mithin das Angebot der Antragsgegnerin eines Betreuungsplatzes in der Kindertagespflege ablehnen, verbleibt es bei dem unbedingten Anspruch des Antragstellers gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII auf Bereitstellung eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung, die entsprechend dem oben Ausgeführten von der Wohnung seiner Eltern in nicht mehr als 15 Minuten zu erreichen sein muss.
51Der Antragsteller hat auch den nach den eingangs genannten Vorschriften erforderlichen besonderen Grund für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes, insbesondere für die Vorwegnahme der Hauptsache, glaubhaft gemacht. Der nach dem eingangs Ausgeführten hierfür erforderliche schwere und unzumutbare Nachteil für den Antragsteller liegt in der irreversiblen Nichterfüllung seines unaufschiebbaren Anspruchs auf frühkindliche Förderung in einer Kindertageseinrichtung. Diese Förderung lässt sich für die vergangene Zeit nicht nachholen, weshalb sich der Anspruch des Antragstellers mit jedem Tag erledigt, an dem die Antragsgegnerin ihrer Gewährleistungspflicht aus § 24 Abs. 2 SGB VIII nicht nachkommt.
52Vgl. hierzu: Sächs. OVG, Beschluss vom 7. Juni 2017, a.a.O., Rn 10, mit weiteren Nachweisen.
53Diese Nachteile könnten wegen des Zeitablaufs durch eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden, weshalb dem Antragsteller ein Abwarten der Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache nicht zuzumuten ist.
54Die Antragsgegnerin hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen ist. Gemäß § 188 S. 2 VwGO werden Gerichtskosten nicht erhoben.