Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Abschiebungsandrohung ist auch dann aufzuheben, wenn das Gericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der Klage festgestellt hat, weil dem dortigen Antragsteller unmittelbar ein vorläufiges Bleiberecht gestattet wurde aufgrund fehlerhaften Umsetzens des Art. 46 Abs. 6 lit. a i. V. m. Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes.
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat.
Die Abschiebungsandrohung in Ziff. 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom xx.4.2016 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Der Kläger ist 1978 in Knjazevac (Serbien) geboren, serbischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Roma an. Am xx.8.2015 stellte er in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylfolgeantrag.
3Mit Schreiben vom xx.8.2015, das dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) mit Schreiben vom xx.8.2015 übermittelt wurde, begründete er seinen Antrag im Wesentlichen damit, dass er die Lebensverhältnisse in Serbien für die Angehörigen der Volksgruppe der Roma nicht mehr habe aushalten können.
4Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt am xx.3.2016 gab der Kläger im Wesentlichen an, er sei in die Bundesrepublik Deutschland gekommen, weil er in Serbien keine Arbeit gefunden habe. Man werde als Zigeuner angesehen. Er wolle hier bei seinem Sohn bleiben.
5Mit Bescheid vom xx.4.2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab, erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen, drohte dem Kläger unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Serbien oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, an und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG auf zehn Monate ab dem Tag der Ausreise sowie das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
6Der Kläger hat am xx.4.2016 Klage erhoben und im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen und „das in Ziff. 7 des Bescheides angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot […] auf 0 Tage ab dem Tag der Abschiebung zu befristen“. Das Gericht hat mit Beschluss vom 20.4.2016 - 4 L 574/16.A - festgestellt, dass die Klage aufschiebende Wirkung hat.
7Zu Begründung seiner Klage wiederholt er den Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren.
8Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Klage hinsichtlich der Anträge „das in Ziff. 6 des verfügenden Teils des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge […] angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben sowie die Beklagte im Übrigen unter Aufhebung der in Ziff. 7 des verfügenden Teils des Bescheides für Migration und Flüchtlinge […] angeordneten Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots zu verpflichten, über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden“ zurückgenommen hat, beantragt er,
9die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom xx.4.2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen oder das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG festzustellen.
10Die Beklagte beantragt schriftsätzlich, die Klage abzuweisen.
11Sie bezieht sich zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.
12Aus den Gründen
13Im Umfang der Klagerücknahme war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen.
14Im Übrigen ist die zulässige Klage, über die aufgrund entsprechenden Hinweises in der Ladung auch ohne Teilnahme der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandelt und entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), teilweise begründet. Die Abschiebungsandrohung in Ziff. 5 des Bescheides des Bundesamtes vom xx.4.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Im Übrigen ist der Bescheid des Bundesamtes rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
15I. Rechtsgrundlage der Abschiebungsandrohung des Bundesamtes sind §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG. Danach ist die Abschiebungsandrohung in dem nach § 77 Abs. 1 Hs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig, weil die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von einer Woche fehlerhaft ist.
16Nach § 36 Abs. 1 AsylG beträgt in den Fällen der Unbeachtlichkeit und der offensichtlichen Unbegründetheit die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche. In den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage (§ 38 Abs. 1 AsylG). Hier liegt ein sonstiger Fall im Sinne des § 38 Abs. 1 AsylG vor mit der Folge, dass dem Kläger, weil sein Asylantrag aus den nachfolgenden Gründen keinen Erfolg hat, eine Ausreisefrist von 30 Tagen zu setzen war. Denn das Setzen einer Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG setzt in dem hier vom Bundesamt angenommenen Fall der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages voraus, dass der Antrag nicht nur teilweise, sondern insgesamt als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird. Das ist hier nicht geschehen. Der Asylantrag des Klägers hätte vom Bundesamt auch hinsichtlich des Antrags auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden müssen, um die Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG zu rechtfertigen. Der Asylantrag des Klägers umfasst nämlich gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzes.
17Vgl. auch VG Münster, Urteil vom 7.11.2016 - 4 K 2541/15.A -, n. v., und Beschluss vom 10.11.2016 - 4 L 1175/16.A -, n. v.
18Die Ausreisefrist verlängert sich auch nicht kraft Gesetzes gemäß § 37 Abs. 2 AsylG, weil das Gericht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage festgestellt hat. Nach § 37 Abs. 2 AsylG endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, wenn das Verwaltungsgericht im Falle eines als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrages dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht. Dies ist hier nicht gegeben. Der Asylantrag des Klägers ist nicht vollumfänglich als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden und das Gericht hat „nur“ – zumindest dem Begehren des Klägers entsprechend (vgl. § 88 VwGO) – die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO analog festgestellt. Dieser Fall ist unter Beachtung des Wortlautes als Grenze der Auslegung bereits nicht von dem Regelungsgehalt der Norm umfasst.
19§ 37 Abs. 2 AsylG ist auch nicht analog anwendbar, weil es an den Voraussetzungen für das Vorliegen einer Analogie mangelt. Es liegt keine planwidrige Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage vor.
20Eine planwidrige Regelungslücke ist nicht gegeben. Die Norm des § 37 Abs. 2 AsylG ist als Sonderregelung konzipiert.
21Vgl. Hailbronner, AuslR, 97. Aktualisierung, Stand: August 2016, § 37, Rn. 13.
22Diesem Rechtscharakter wird nicht entsprochen, wenn die Regelung – wie es hier erforderlich wäre – sowohl auf den Fall eines entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO statthaften als auch in der Sache allein aufgrund fehlerhaften Umsetzens des Art. 46 Abs. 6 lit. a i. V. m. Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (im Folgenden: Verfahrensrichtlinie) begründeten Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entsprechend Anwendung findet.
23Es liegt auch keine vergleichbare Interessenlage vor. Die Vorschrift bezweckt in den Fällen, in denen das Offensichtlichkeitsurteil gerichtlich aufgehoben wird, weil diesbezüglich im Sinne von § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen, einen für den sonstigen Fall im Sinne des § 38 Abs. 1 AsylG geltenden Zustand herzustellen. Ein derartiger Fall liegt hier gerade nicht vor. Die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beruht nicht darauf, dass der Offensichtlichkeitsausspruch zu Unrecht ergangen ist. Grundlage für die Feststellung ist der Umstand, dass dem Antragsteller im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unmittelbar ein vorläufiges Bleiberecht aus Art. 46 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU der Verfahrensrichtlinie gestattet wird, weil der Gesetzgeber die Möglichkeit, das Bleiberecht nach Art. 46 Abs. 5 der Verfahrensrichtlinie in Fällen der Ablehnung des Antrags unter anderem als offensichtlich unbegründet auszuschließen, nicht ordnungsgemäß bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist nach dem 20.7.2015 (vgl. Art. 52 Abs. 1 der Verfahrensrichtlinie) ausgeübt hat. Denn nach Art. 46 Abs. 6 lit. a i. V. m. Art. 32 Abs. 2 der Verfahrensrichtlinie war es erforderlich, dass der Antrag insgesamt als offensichtlich unbegründet betrachtet wird. Dies war auf der Grundlage der §§ 29a, 30 AsylG, die keine Ermächtigungsgrundlage für die Ablehnung des Antrages auf Zuerkennung subsidiären Schutzes vorsahen, nicht möglich. In diesen Fällen war das Offensichtlichkeitsurteil in der Sache kein Gegenstand des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass dem Antragsteller in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowohl bei Stattgabe eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO als auch entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO ein vorläufiges Bleiberecht gewährt wird.
24II. Das weitergehende Klagebegehren ist unbegründet. Das Bundesamt hat zu Recht den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes abgelehnt. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Begründung des angegriffenen Bescheides Bezug genommen, der der Kläger weder im Klageverfahren noch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes substantiiert entgegengetreten ist.
25Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.
26Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.