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1. Die aufschiebende Wirkung der am 26. Juli 2024 erhobenen Klage des Antragstellers (2 K 1980/24) gegen die in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Juli 2024 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis wird wiederhergestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
2Der sinngemäße Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 2 K 1980/24 gegen die in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Juli 2024 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen,
4hat Erfolg.
5Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gerichtete Antrag ist statthaft, weil die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Entziehungsverfügung im Bescheid vom 19. Juli 2024 angeordnet hat und die aufschiebende Wirkung der hiergegen gerichteten Klage des Antragstellers somit entfallen ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).
6Der auch im Übrigen zulässige Antrag ist begründet.
7Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO ist im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig ist und/oder eine Interessenabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes hinter das Interesse des Adressaten an einem Aufschub des Vollzugs zurücktritt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein vorrangiges öffentliches Interesse bestehen. Umgekehrt ist der Rechtsschutzantrag abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und zusätzlich ein gesteigertes öffentliches Interesse an seiner Vollziehung besteht, welches über das Interesse hinausgeht, das den Erlass des Verwaltungsaktes selbst rechtfertigt. Lässt die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage eine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht zu, so hat das Gericht eine eigenständige, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2016 – 1 B 1375/15 –, juris, Rn. 9.
9Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Denn im Rahmen der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich die Entziehungsverfügung vom 19. Juli 2024 als offensichtlich rechtswidrig.
10Maßgeblich für die Überprüfung fahrerlaubnisrechtlicher Entziehungsverfügungen ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Entscheidung der handelnden Verwaltungsbehörde.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 –, juris, Rn. 11.
12In Ermangelung eines Widerspruchsverfahrens ist dies hier der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ordnungsverfügung am 24. Juli 2024.
13Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 11. März 2022 – 6 L 247/22 –, juris, Rn. 36.
14Die Entziehungsverfügung der Antragsgegnerin vom 19. Juli 2024 kann nicht auf § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes – StVG – i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – gestützt werden. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Ungeeignetheit bzw. fehlende Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV kann sich nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV auch daraus ergeben, dass Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (vgl. § 46 Abs. 3 FeV).
15Als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß den §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auch denjenigen Fahrerlaubnisinhaber ansehen, der sich weigert, bei der Aufklärung zu befürchtender Eignungsmängel mitzuwirken, der insbesondere einer zu Recht ergangenen Aufforderung zur Beibringung des von der Fahrerlaubnisbehörde geforderten Gutachtens nicht nachkommt, indem er sich entweder schon der Begutachtung nicht unterzieht oder aber nach erfolgter Begutachtung das Gutachten nicht fristgerecht vorlegt.
16Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 FeV, auf den die Antragsgegnerin die Annahme fehlender Kraftfahreignung der Antragstellerin gestützt hat, liegen nicht vor.
17Der Antragsteller hat zwar das mit Schreiben vom 10. April 2024 verlangte medizinisch-psychologische Gutachten nicht fristgerecht beigebracht. Im Falle der Nichtvorlage eines Gutachtens kann die Fahrerlaubnisbehörde aber nur dann gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, wenn die Anordnung, das genannte Gutachten beizubringen, rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist, und für die Weigerung, das Gutachten vorzulegen, kein ausreichender Grund besteht.
18Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 C 25.04 –, juris; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 – 3 C 13.01 –, juris; OVG NRW, Beschluss vom 10. November 2009 – 16 B 1181/09 –, n. v.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 47. Auflage 2023, § 11 FeV, Rn. 51 m. w. N.
19Die Gutachtenanordnung erweist sich vorliegend jedenfalls insoweit als rechtswidrig, als die in der Anordnung mitgeteilte Fragestellung
20„Ist zu erwarten, dass der Untersuchte zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis führen wird und/oder liegen als Folge des Konsums von Cannabis Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen?
21Ist zu erwarten, dass die/der Untersuchte (auch) in Zukunft erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?“
22in Teilen gegen die sich aus § 11 Abs. 6 FeV ergebenden Vorgaben verstößt.
23Nach dieser Vorschrift legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (Satz 1). Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat (Satz 2, Halbsatz 1).
24Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV soll der Betroffene durch die Mitteilung der zu begutachtenden Fragestellung in der an ihn gerichteten Beibringungsanordnung, in der auch die Gründe für die Fahreignungszweifel sowie die für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen anzugeben sind, in die Lage versetzt werden, sich innerhalb der Beibringungsfrist nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV ein Urteil darüber zu bilden, ob die Aufforderung zur Beibringung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. Davon hängt es ab, ob sich der Betroffene dieser Aufforderung verweigern kann, ohne befürchten zu müssen, dass ihm die Fahrerlaubnisbehörde bei nicht fristgerechter Vorlage des Gutachtens unter Berufung auf § 11 Abs. 8 FeV seine Fahrerlaubnis entzieht. Nur bei genauer Kenntnis der Fragestellung kann sich der Betroffene darüber schlüssig werden, ob er sich - unbeschadet der Rechtmäßigkeit der Anordnung - der mit einer Exploration voraussichtlich verbundenen Offenlegung von Details aus seiner Privatsphäre aussetzen will.
25Vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – 3 B 16.14 – juris, Rn. 8, m.w.N.
26Wegen der mit der Begutachtung einhergehenden Eingriffe in die Rechte des Betroffenen gebietet es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass zwischen den Fragestellungen in der Gutachtenanordnung und dem zu Eignungszweifeln Anlass gebenden Ausgangssachverhalt ein hinreichender innerer Zusammenhang bestehen muss; überschießenden Fragestellungen und Untersuchungsvorgaben, die vom Untersuchungsanlass her gesehen nicht erforderlich sind, steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen.
27Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juni 2011 – 10 S 2785/10 – juris, Rn. 5.
28Selbst wenn der erste Teil der ersten Fragestellung aus der Gutachtenanordnung der Antragsgegnerin vom 10. April 2024, welcher auf die Überprüfung der Fähigkeit des Antragstellers gerichtet ist, das Führen von Kraftfahrzeugen und den Konsum von Cannabis sicher zu trennen, noch anlassbezogen und verhältnismäßig und durch hinreichende Anlasstatsachen gerechtfertigt gewesen sein sollte, erweist sich jedenfalls der zweite Teil der ersten Fragestellung aus der Gutachtenanordnung der Antragsgegnerin vom 10. April 2024 („...und /oder liegen als Folge des Konsums von Cannabis Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen?“) als nicht anlassbezogen und damit als unverhältnismäßig.
29Nach § 13a Nr. 2a, 2. Alt. FeV in der hier maßgeblichen Fassung vom 27. März 2024 kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn Tatsachen die Annahme von Cannabismissbrauch begründen.
30Die Vorschrift wurde durch Art. 14 Nr. 1 des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) eingefügt und mittlerweile durch Art. 2 Nr. 1 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 16. August 2024 (BGBl. I Nr. 266) geändert.
31Während nach altem Recht § 14 FeV in der bis zum 1. April 2024 gültigen Fassung Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV a.F.) bzw. eines medizinischen-psychologischen Gutachtens (§ 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F.) war, dürfte der neu eingefügte § 13a FeV als lex specialis zu § 14 FeV diese Aufklärungsmöglichkeiten der Fahrerlaubnisbehörde im Hinblick auf Eignungszweifel aufgrund einer Cannabisproblematik (ausgenommen die Verwendung von Cannabis als Arzneimittel) nunmehr abschließend regeln.
32Vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) vom 21. Februar 2024, BT-Drucks. 10426/29, S. 150 f.
33Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV in der hier anzuwendenden Fassung vom 27. März 2024 liegt ein Cannabismissbrauch vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Cannabiskonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können.
34Ein solcher Verstoß gegen das sog. Trennungsgebot liegt vor, wenn Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Ergebnis nicht in der gebotenen Weise voneinander getrennt wird. Unerheblich ist, ob die unterbliebene Trennung darauf zurückzuführen ist, dass der Betroffene nicht in der Lage war zu trennen („Trennen-Können“ oder „Trennungsvermögen“) oder dass ihm die Bereitschaft zum Trennen von Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs fehlte („Trennungsbereitschaft“).
35Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. April 2019 – 3 C 13.17 –, juris, Rn. 19 und – 3 C 14.17 –, juris, Rn. 19.
36Schon vor Inkrafttreten des CanG zum 1. April 2024 und der damit einhergehenden Änderung der Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV galt, dass nicht jede bei einem Kraftfahrzeugführer festgestellte THC-Konzentration die Annahme fehlender Trennung im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV rechtfertigte. Die Rechtsprechung nahm in Ermangelung eines normativ festgelegten Grenzwertes auch in Anbetracht der Empfehlung der Grenzwertkommission zur Feststellung des Trennvermögens von Cannabiskonsum und Fahren einen Risikogrenzwert von 1,0 ng/ml Blutserum an, nachdem sie den schon seinerzeit zu Grunde gelegten Grenzwert von 1,0 ng/ml Blutserum einer umfassenden und kritischen Prüfung unterzogen hatte.
37Zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 –, juris, Rn. 23-30; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 – 16 A 432/16 –, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20. Januar 2016 – 9 K 1253/15 –, juris, Rn. 41 ff. und Beschluss vom 25. August 2020 – 9 L 1013/20 –, juris, Rn. 46.
38Es handelte sich dabei um einen „Risikogrenzwert“, also eine Konzentration von THC im Blutserum, ab der eine verkehrssicherheitsrelevante Beeinträchtigung der Fahrsicherheit möglich oder - anknüpfend an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
39- vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 –1 BvR 2062/96 – NJW 2002, 2378, 2380 -
40nicht ausgeschlossen war.
41Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 – 3 C 14.17 –, BVerwGE 165, 215-235 = juris, Rn. 23.
42Der Antragsteller hat – auch unter Berücksichtigung des aktuellen Rechtszustandes – wenigstens einmal gegen das Trennungsgebot verstoßen.
43Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller damit bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13a Nr. 2a, 2. Alt. FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV in der hier anzuwendenden Fassung vom 27. März 2024 erfüllt, indem er unter Berücksichtigung der Verkehrsunfallanzeige des Polizeipräsidiums Bielefeld vom 19. Juli 2023 am 17. Juni 2023 gegen 2.00 Uhr als Führer eines Kraftfahrzeugs polizeilich kontrolliert wurde und in der dem Antragsteller daraufhin am selben Tag um 3:08 Uhr entnommenen Blutprobe ausweislich des Befundberichts der Forensisch Toxikologischen Centrum GmbH München vom 27. Juni 2023 ein THC-Wert von 2,8 ng/ml und ein THC-COOH-Wert von 37,7 ng/ml festgestellt wurde, wobei der Befundbericht ausdrücklich feststellt, dass durch die vorgenommenen chemisch-toxikologischen Untersuchungen ein Cannabiskonsum nachgewiesen wurde und in der Serumprobe THC und THC-COOH in Konzentrationen aufgefunden worden seien, die dafür sprechen, dass zum Zeitpunkt der Blutentnahme von einer akuten Wirkung auszugehen sei und die Aufforderung zur Beibringung des von der Fahrerlaubnisbehörde geforderten Gutachtens daher zu Recht ergangen ist.
44Denn jedenfalls der zweite Teil der ersten Fragestellung aus der Gutachtenanordnung der Antragsgegnerin vom 10. April 2024 („...und/oder liegen als Folge des Konsums von Cannabis Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen?“) erweist sich als nicht anlassbezogen und damit als unverhältnismäßig.
45Insbesondere stellt sich dieser Teil der Fragestellung, für dessen Auslegung der objektive Empfängerhorizont maßgeblich ist,
46vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 26. Oktober 2022 – 5 MB 22/22 –, juris, Rn. 27,
47nicht als bloße Konkretisierung oder Präzisierung des ersten Teils der Fragestellung („Ist zu erwarten, dass der Untersuchte zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis führen wird…“) dar. Dem steht schon die Verknüpfung der beiden Frageteile durch die „und/oder“-Konjunktion entgegen, denn damit wird bei objektivierter Betrachtung zum Ausdruck gebracht, dass sich der zweite Teil der Fragestellung auf einen möglichen Fahreignungsmangel bezieht, der kumulativ oder alternativ zu dem mit dem ersten Teil der Fragestellung angesprochenen fehlenden Trennungsvermögen vermutet wird.
48Die vorliegende Fragestellung orientiert sich offenbar an vergleichbaren Fragestellungen in Gutachtenanordnungen, die die Abklärung einer Alkoholproblematik zum Gegenstand haben. In derartigen Fällen finden sich ähnliche zweiteilige Fragestellungen, die im ersten (medizinischen) Teil auf die Abklärung der Fähigkeit gerichtet ist, einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum und das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr sicher zu trennen, und im zweiten, häufig ebenfalls mit einer „und/oder“-Konjunktion verbundenen (psychologischen) Teil das Vorliegen von Beeinträchtigungen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges in Zweifel ziehen, als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums als klärungsbedürftig bezeichnen. Auch hinsichtlich solcher kombinierter Fragestellungen ist anerkannt, dass sie auf verschiedene Untersuchungsgegenstände gerichtet sind, nämlich das fehlende Trennungsvermögen einerseits und verkehrsrelevante alkoholkonsumbedingte Leistungsbeeinträchtigungen (vgl. auch Nr. 3.13.1 d) der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 [Verkehrsblatt S. 110] in der Fassung vom 17. Februar 2021 [Verkehrsblatt S. 198]) andererseits, und auch insofern differenzierte tatsächliche Voraussetzungen haben, als die erste Frage bei einer zweimaligen Trunkenheitsfahrt gerechtfertigt ist, die zweite Frage aber tatsächliche Anhaltspunkte für einen unkontrollierten, normabweichenden Alkoholkonsum voraussetzt.
49Vgl. etwa VG Karlsruhe, Urteil vom 6. April 2016 – 11 K 1290/15 –, juris, Rn. 36; VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 12. Dezember 2023 – 6 L 351/23 –, juris, Rn. 10.
50Auch vorliegend zielen beide Teile der Fragestellung inhaltlich auf unterschiedliche Untersuchungsgegenstände ab, denn ein fehlendes Trennungsvermögen ist nicht (stets) eine das sichere Führen von Kraftfahrzeugen ausschließende Folge des (gelegentlichen) Cannabiskonsums. Ein fehlendes Trennungsvermögen kann, wie ausgeführt, auch auf fehlender „Trennungsbereitschaft“ beruhen, die Ausdruck von Sorglosigkeit im Umgang mit Cannabis und mangelndem Verantwortungsbewusstsein bei der Verkehrsteilnahme sein kann, nicht aber durch den Konsum von Cannabis überhaupt erst hervorgerufen wird.
51Dauerhafte fahreignungsausschließende Leistungsmängel als Folge des Cannabiskonsums, also solche jenseits der akuten Rauschwirkung, die hier aber ersichtlich nicht Gegenstand der verlangten Begutachtung sein sollen, können sich nach der Wertung des Verordnungsgebers nur bei regelmäßigem Konsum (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV a.F.) oder einer Cannabisabhängigkeit (Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV a.F.) ergeben, wobei schon fraglich ist, ob Nr. 9.3 der Anlage 4 zur FeV a.F. überhaupt auf einen Fall des Cannabiskonsums anwendbar ist oder selbst bei einem sehr intensiven Gebrauch nur eine regelmäßige Einnahme von Cannabis nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV a.F. angenommen werden kann.
52Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 24. Juli 2015 – 11 CS 15.1203 –, juris, Rn. 20.
53Bei gelegentlichem Cannabiskonsum dagegen besteht in aller Regel kein Anlass, eine permanente fahreignungsrelevante Absenkung der körperlich-geistigen Leistungsfähigkeit zu befürchten.
54Vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 – 1 BvR 2062/96 –, juris, Rn. 44.
55Für einen regelmäßigen Cannabiskonsum oder eine Cannabisabhängigkeit des Antragstellers sind der Gutachtenanordnung – und auch dem sonstigen Akteninhalt – jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte zu entnehmen, sodass eine darauf gerichtete Fragestellung hier nicht anlassbezogen und somit unverhältnismäßig ist.
56Vgl. VG Minden, Beschluss vom 10. Mai 2024 – 2 L 252/24 –.
57Im Übrigen wäre zur Abklärung solcher Konsummuster auch die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens unverhältnismäßig und somit rechtswidrig. Dient eine Fahreignungsbegutachtung dazu, in Erfahrung zu bringen, ob eine Person überhaupt regelmäßig Cannabis konsumiert oder cannabisabhängig ist, darf zu diesem Zweck gemäß § 14 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 FeV a.F. lediglich die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens verlangt werden.
58Vgl. für Cannabisabhängigkeit: Sächs. OVG, Beschluss vom 8. November 2001 – 3 BS 136/01 –, juris, Rn. 4; für regelmäßigen Konsum: BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1993 – 1 BvR 689/92 –, BVerfGE 89, 69, 88; VG Oldenburg, Beschluss vom 4. Februar 2003 – 7 B 142/03 –, ZfSch 2003, 323 f.
59Die demnach zu weit gefasste Fragestellung erfährt auch durch die in der Gutachtenanordnung verlautbarten Gründe für die Eignungszweifel der Antragsgegnerin keine hinreichende Eingrenzung.
60Zwar lässt sich allgemein nicht ausschließen, dass sich die vom Gutachter zu klärende Frage, selbst wenn sie nicht konkret ausformuliert ist, dennoch mit hinreichender Deutlichkeit den Gründen entnehmen lassen kann, mit denen die Behörde ihre Eignungsbedenken dargelegt hat. Unter welchen Voraussetzungen das anzunehmen ist, bestimmt sich nach den jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten.
61Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – 3 B 16.14 –, juris, Rn. 9; OVG NRW, Beschluss vom 4. Juni 2020 – 16 B 672/20 –, juris, Rn. 13 f. m.w.N; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 10 S 77/15 –, juris, Rn. 46 f.
62Hier ist aber auch der Begründung der Gutachtenanordnung nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass sich auch der zweite Teil der ersten Frage – wie der erste Teil der Frage – nur auf ein (fehlendes) künftiges Führen eines Kraftfahrzeuges unter dem Einfluss von Cannabis (und dessen Nachwirkungen) beziehen soll (und insofern redundant wäre). Zwar thematisiert die Begründung der Gutachtenanordnung allein einen gelegentlichen Cannabiskonsum des Antragstellers und das diesbezügliche fehlende Trennen durch Führen eines Kraftfahrzeugs am 17. Juni 2023. Dies ändert aber nichts an dem eindeutigen Wortlaut des zweiten Teils der ersten Frage, die aus den genannten Gründen eine nicht erforderliche, von dem ersten Teil der ersten Frage eindeutig zu unterscheidende Fragestellung aufwirft. Dass eine Gutachtenanordnung keine Tatsachen benennt, die die Gutachtenfrage rechtfertigen würden, hat ihre formelle Rechtswidrigkeit wegen eines Begründungsmangels zur Folge. Die Gutachtenanordnung muss aus sich heraus verständlich sein. Der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermögen.
63Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2001 – 3 C 13.01 –, juris, Rn. 25; OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2013 – 16 B 1146/13 –, juris, Rn. 9, m.w.N.
64Die fehlende Begründung führt indes nicht umgekehrt dazu, dass die Gutachtenfrage als ins Leere gehend und daher nicht gestellt zu betrachten wäre. Dabei ist im vorliegenden Fall auch in den Blick zu nehmen, dass die Antragsgegnerin in der Gutachtenanordnung zunächst den Sachverhalt beschreibt und nachfolgend die Fragestellung formuliert. Durch diese Abfolge wird der Eindruck erweckt bzw. verstärkt, dass aus Sicht der Antragsgegnerin aus den von ihr genannten Tatsachen die anschließende Fragestellung folgt, also in Ansehung des aufgezeigten Cannabiskonsums und fehlenden Trennens nicht nur zu prüfen ist, ob ein zukünftiges fehlendes Trennen in Bezug auf Cannabis zu erwarten ist, sondern auch, ob darüberhinausgehende (permanente) cannabisbedingte Beeinträchtigungen der Fahreignung vorliegen.
65Die fehlende Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit des zweiten Teils der ersten Fragestellung führt zur Rechtswidrigkeit der Gutachtenanordnung insgesamt und betrifft insbesondere auch die zweite Frage („Ist zu erwarten, dass der/die Untersuchte (auch) in Zukunft erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?“). Denn zum einen ist nicht klar ersichtlich, auf welchen Sachverhalt genau die zweite Frage abzielen soll, ob auch ein zukünftiges fehlendes Trennen in Bezug auf Cannabis sowie darüberhinausgehende (permanente) cannabisbedingte Beeinträchtigungen der Fahreignung entsprechend der ersten Frage mit „zukünftigen, erheblichen Verstößen gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen“ gemeint sein sollen, und sich insoweit der Fehler des zweiten Teils der ersten Frage fortsetzt oder ob der zweiten Fragestellung eine – davon unabhängige – eigenständige Bedeutung in Bezug auf die Gefährdung des Straßenverkehrs zukommen soll bezogen auf die Flucht des Antragstellers vor der Polizei mit stark überhöhter Geschwindigkeit und das hierin zum Ausdruck kommende vorsätzliche und rücksichtslose Hinwegsetzen über die Verkehrsvorschriften ohne Berücksichtigung der Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer. Auch insoweit gehen Zweifel und Unklarheiten in Bezug auf die Fragestellung der Gutachtenanordnung zu Lasten der Antragsgegnerin. In einer solchen Konstellation kann dem Adressaten nicht angesonnen werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und letztlich klüger und präziser sein zu müssen als die Fachbehörde. Ihm kann insbesondere nicht zugemutet werden, dem Gutachter verständlich zu machen, dass entgegen dem behördlichen Gutachtenauftrag nur bestimmte Teile der Fragestellungen zulässigerweise zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden dürften. Es gilt auch in diesem Zusammenhang der Grundsatz, dass Unklarheiten zu Lasten der Verwaltung gehen.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Juni 2020 – 16 B 672/20 –, juris, Rn. 19, m.w.N.; Bay. VGH, Beschluss vom 22. Januar 2024 – 11 AS 23.2111 –, juris, Rn. 22, m.w.N.
67Sonstige Gründe, aus denen hier das Suspensivinteresse des Antragstellers trotz voraussichtlicher Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entziehungsverfügung hinter das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin zurücktreten müsste, sind nicht ersichtlich.
68Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
69Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG –. Dabei legt die Kammer hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung den Auffangstreitwert zugrunde und reduziert diesen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in Anwendung der Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 auf die Hälfte.