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1. Die private Haltung von Waschbären ist in Nordrhein-Westfalen abweichend vom in Art. 7 Abs. 1 lit. b) VO (EU) 1143/2014 statuierten Haltungsverbot invasiver ge-bietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung im Rahmen von Management-maßnahmen i.S.d. Art. 19 VO (EU) 1143/2014 gestattet.
2. Eine private Waschbärenhaltung mit 19 Waschbären ist einem sonstigen Gewer-bebetrieb i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO gleichzusetzen, da sie sich von der Inan-spruchnahme des Bodens und den Auswirkungen auf die Umgebung nicht we-sentlich von einer gewerblich betriebenen Tierpension unterscheidet.
3. In einem Dorfgebiet müssen die von nicht land- oder forstwirtschaftlichen Gewer-bebetrieben ausgehenden Störungen, die nicht wesentlich sind, hingenommen werden, wobei nachts oder auch an Sonn- oder Feiertagen ein höherer Schutz der Wohnruhe zugrunde zu legen ist.
4. Die Haltung von 19 Waschbären in einem auch nachts geöffneten Außengehe-ge ist in einem Dorfgebiet gebietsunverträglich, weil sie bezogen auf den Gebiets-charakter eines Dorfgebiets aufgrund ihrer typischen Nutzungsweise störend wirkt.
5. Bei einer baulichen Anlage zur Unterbringung von 19 Waschbären handelt es sich in Bezug auf ein Wohnhaus nicht um eine Nebenanlage i.S.d. § 14 Abs. 1 BauNVO.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten und der Beigeladenen zu 1. Der Beigeladene zu 2. trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldnerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheids für die Waschbärenhaltung auf ihrem Grundstück.
3Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks R.-straße, I. (Gemarkung G01). Auf diesem Grundstück befindet sich ein von ihr und ihrer Familie bewohntes Wohnhaus. Auf der nordwestlichen Seite dieses Wohnhauses befinden sich zwei kleinere Anbauten. In dem östlichen Anbau befindet sich ein ehemaliger Stall, der zum Teil in das eigentliche Hauptgebäude übergeht. Nordwestlich des Wohnhauses befindet sich zudem eine ursprünglich als Pferdestall genutzte Scheune. Das westlich an das Grundstück der Klägerin angrenzende Grundstück steht im Eigentum des Beigeladenen zu 2.
4Derzeit hält die Klägerin auf ihrem Grundstück 26 Waschbären, von denen zwölf in der Scheune, sieben im Stall am Wohnhaus und sieben im eigentlichen Wohnbereich des Wohnhauses untergebracht sind. Für jeden Waschbären besitzt sie einen Impfausweis sowie die Freigabe des Jagdpächters. Ferner sind sämtliche Waschbären gechipt oder tätowiert und mit Ausnahme von zwei separat gehaltenen weiblichen Waschbären auch kastriert.
5Der Flächennutzungsplan der W. weist sowohl das streitgegenständliche als auch die umliegenden Grundstücke als Dorfgebiet aus. Ein Bebauungsplan existiert nicht. In der näheren Umgebung des Grundstücks befinden sich mehrere landwirtschaftliche Betriebe mit Tierhaltung sowie Gewerbe- und Handwerksbetriebe. Insoweit wird auf die von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben sowie die von dem Beklagten erstellte Auflistung (Bl. 130-132 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
6Als die Klägerin 2015 das streitgegenständliche Grundstück erwarb, hielt sie ausschließlich Waschbären. In der Folgezeit kamen weitere Tiere hinzu (Minischwein, Füchse, Nasenbären). Der Waschbärenbestand vergrößerte sich auf ca. 47 Waschbären bis der Beklagte mit einem an die Klägerin adressierten Bescheid vom 00. Dezember 0000 einen Aufnahmestopp verfügte. Mit demselben Bescheid gab der Beklagte der Klägerin außerdem auf, die von ihr errichteten Tiergehege so auszugestalten, dass sie bestimmten tierschutzrechtlichen Mindestanforderungen genügen. Insbesondere sei bei der Berechnung der Größe des Außengeheges von 30 m² für zwei Waschbären und für jedes weitere Tier von weiteren 2 m² bei einer Höhe von 3 m auszugehen.
7Mit ihrem am 0. März 0000 beim Beklagten eingegangenen Bauantrag beantragte die Klägerin die Erteilung einer Baugenehmigung für eine „Nutzungsänderung Pferdehaltung zu Waschbärenhaltung“. Aus der mit diesem Bauantrag eingereichten Vorhabenbeschreibung geht hervor, dass die im Stall am Wohnhaus und in der Scheune vorhandenen Innengehege mit einem Außengehege verbunden werden sollen. Zusammen mit dem Bauantrag beantragte die Klägerin mit einem an die Abteilung Veterinärdienst des Beklagten adressierten Antrag die Erteilung einer Genehmigung für die Errichtung eines Tiergeheges nach § 56 LNatSchG NRW für 26 Waschbären, zwei Nasenbären, zwei Füchsen und einem Minischwein mit einer Gesamtfläche von 70 m².
8Mit einer an den Beklagten gerichteten Stellungnahme vom 00. März 0000 verweigerte die Beigeladene zu 1. das für die Erteilung der Baugenehmigung erforderliche gemeindliche Einvernehmen mit der Begründung, dass es sich bei dem geplanten Vorhaben weder um eine in einem Dorfgebiet zulässige Nutzung i.S.d. § 5 BauNVO noch um eine als Annex zum Wohnen zulässige Nutzung nach § 14 Abs. 1 BauNVO handele. Mit interner Stellungnahme vom 00. März 0000 erklärte der zuständige Sachbearbeiter der Abteilung Umweltschutz und Abfallwirtschaft des Beklagten, dass aus immissionsschutzrechtlicher Sicht erhebliche Bedenken gegen das Vorhaben bestünden. Mit Schreiben vom 00. März 0000 forderte der Beklagte die Klägerin zur Beibringung eines Geruchs- und Lärmschutzgutachtens auf. Daraufhin übermittelte die von der Klägerin beauftragte Olfasense GmbH ein von ihr erstelltes Geruchsgutachten vom 0. Oktober 0000.
9Mit Schreiben vom 00. Januar 0000 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er beabsichtige, den Bauantrag abzulehnen, und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Bescheid vom 0. April 0000 lehnte der Beklagte den Bauantrag ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Maßgeblich für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit sei § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. der BauNVO, weil die Eigenart der näheren Umgebung einem Dorfgebiet entspreche. Die Voraussetzungen des hier für Nebenanlagen maßgeblichen § 14 Abs. 1 BauNVO lägen jedoch nicht vor. Die von der Klägerin geplante Waschbärenhaltung sei keine Kleintierhaltung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Hiervon erfasst seien nur Tiere, die in dem jeweiligen Baugebiet üblich und ungefährlich seien. Die von der Klägerin geplante Waschbärenhaltung sei aber - gerade auch mit Blick auf ihren Umfang - in dem betreffenden Baugebiet nicht üblich. Außerdem könne die Waschbärenhaltung auch nicht als eine im Rahmen der Wohnnutzung zu erwartende Freizeitbetätigung angesehen werden. Ferner lägen auch die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht vor. Das klägerische Vorhaben ordne sich nicht der Hauptanlage unter. Auch diene das Vorhaben nicht dem Nutzungszweck des streitgegenständlichen Grundstücks. Dieser Nutzungszweck sei durch das Wohnen gekennzeichnet, die Waschbärenhaltung diene aber nicht dem Wohnen und auch nicht einer im Rahmen der Wohnnutzung üblichen Freizeitbetätigung. Darüber hinaus widerspreche das Vorhaben der Eigenart des Baugebiets. Die geplante Waschbärenhaltung sei in einem Dorfgebiet nicht üblich und stelle vielmehr einen „Fremdkörper“ dar.
10Gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten hat die Klägerin am 00. April 0000 Klage erhoben. Zur Begründung ihrer Klage macht sie im Wesentlichen geltend: Der Ablehnungsbescheid sei rechtswidrig. Sie sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Ihr hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, sich zu den Beschwerden der Nachbarn zu äußern. Ferner habe sie einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung. Auch bei Waschbären handele es sich um Kleintiere i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Der Unterschied zu gewöhnlichen Haustieren wie Hunden oder Katzen bestehe nur darin, dass Waschbären nicht heimisch seien. Die von Waschbären ausgehenden Einwirkungen auf die Umwelt seien aber verglichen mit diesen Tierarten weniger belastend. Darüber hinaus lägen auch die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO vor. Ihr Vorhaben ordne sich der Hauptnutzung unter. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Waschbärenhaltung um ihr Hobby handele. Ferner widerspreche ihr Vorhaben auch nicht der Eigenart des Baugebiets. Eine Waschbärenhaltung sei ortsüblich, weil von ihr keine wesentlichen Auswirkungen auf die Umgebung ausgingen. Die Waschbären hätten grundsätzlich keine Möglichkeit zu entkommen. Dies sei in der Vergangenheit nur einmal passiert. Ferner seien Waschbären weder gefährlich noch gingen von ihnen beachtenswerte Lärm- oder Geruchsbelästigungen aus. Außerdem seien Tiergerüche in der Gegend durchaus üblich. Auch das Außengehege sei unauffällig. Im Übrigen sei die Ablehnung des Antrags gerade mit der von dem Beklagten angeführten Begründung unzulässig, weil der von der Klägerin gestellte Bauantrag zuvor mit ihm abgesprochen gewesen sei. Außerdem habe der Beklagte seine Pflicht verletzt, zunächst offensichtliche Unzulässigkeitsgründe zu prüfen bevor er die Einholung eines Geruchs- und Lärmschutzgutachtens verlange.
11Die Klägerin hat ursprünglich beantragt,
12den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 0. April 0000 zu verpflichten, ihr eine Baugenehmigung, wie am 00. Februar 0000 beantragt, zu erteilen.
13Nachdem die Klägerin die Haltung des Minischweins und der Füchse sowie die Haltung der Nasenbären aufgegeben hat, hat sie ihren Antrag mit Schriftsatz vom 00. Juni 0000 auf die Haltung von Waschbären beschränkt und mitgeteilt, dass die Umnutzung der Garage entfalle. Das Außengehege solle zudem nur noch in zwei Teile aufgeteilt werden, wobei die in der Skizze zur Gehegegenehmigung eingezeichneten Flächen von 10 und 26 m² zusammengeführt werden sollen. Mit Schriftsatz vom 8. September 2023 hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie nur noch die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheids begehrt.
14Nach erneuter Anpassung des Antrags in der mündlichen Verhandlung beantragt die Klägerin nunmehr,
15den Beklagten zu verpflichten, ihr einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid zur Art der baulichen Nutzung des ehemaligen Stalls am Wohnhaus sowie der Scheune auf dem Grundstück R.-straße, I. (Gemarkung G01) für die Haltung von bis zu 19 Waschbären sowie für die Errichtung eines Außengeheges auf diesem Grundstück für bis zu 19 Waschbären unter Ausklammerung des Rücksichtnahmegebots zu erteilen.
16Der Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Zur Begründung bezieht er sich zunächst auf die Stellungnahme der Beigeladenen zu 1. vom 00. März 0000, mit der diese das gemeindliche Einvernehmen nicht erteilt hat, und wiederholt anschließend seine Argumentation aus dem angegriffenen Ablehnungsbescheid. Ergänzend führt er aus, dass auch viel dafür spreche, dass es sich bei der näheren Umgebung um ein allgemeines Wohngebiet i.S.d. § 4 BauNVO handele, in welchem das Vorhaben der Klägerin nicht zulässig sei. Im Übrigen habe der Bauantrag auch deshalb abgelehnt werden müssen, weil die Voraussetzungen für die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nicht vorgelegen hätten.
19Die Beigeladene zu 1. beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Zur Begründung ihres Antrags schließt sie sich den Ausführungen des Beklagten an.
22Der Beigeladene zu 2. hat keinen Antrag gestellt.
23Anlässlich eines am 0. Mai 0000 durchgeführten Ortstermins haben der Vorsitzende und die Berichterstatterin die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Zudem hat die Kammer Herrn Dr. H., Biologe, mit der Erstellung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens beauftragt. Hinsichtlich des Inhalts dieses Gutachtens wird auf Bl. 204 bis 213 der Gerichtsakte Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht den Sachverständigen ergänzend befragt.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (eine Datei) und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen (zwei Hefter).
25Entscheidungsgründe:
26Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
27A. Die mehrfach umgestellte Klage ist zulässig. Gegenstand der von der Klägerin erhobenen Verpflichtungsklage ist der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag (I.). Für diese Klage besteht auch ein Sachbescheidungsinteresse (II.).
28I. Gegenstand der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag. Die Umstellung der Klage auf Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheids ist ebenso wie die nachträgliche Einschränkung des Bauvorhabens als Klageänderung zulässig.
29Bei der Umstellung der Klage auf die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheids sowie dessen Begrenzung auf die Art der baulichen Nutzung und die Ausklammerung des Rücksichtnahmegebots sowie die Verringerung der Anzahl der gehaltenen Waschbären handelt es sich um Klageänderungen, nicht um teilweise Klagerücknahmen.
30Vgl. zur Umstellung von Baugenehmigung auf Vorbescheid OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2019 - 10 A 2815/17 -, juris Rn. 20, und OVG Niedersachsen, Urteil vom 9. Juli 2020 - 1 LB 79/18 -, juris Rn. 21. Zur nachträglichen Begrenzung eines ursprünglich beantragten uneingeschränkten bauplanungsrechtlichen Vorbescheids vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Januar 1997 - 7 A 2233/96 -, juris Rn. 27 ff.
31Diese Klageänderungen sind sachdienlich i.S.d. § 91 Abs. 1 VwGO. Wesentliche bauplanungsrechtliche Fragen, die schon seit dem Genehmigungsverfahren zwischen den Beteiligten in Streit stehen, können (nach wie vor) endgültig geklärt werden. Auch stellen sich keine neuen und erst recht keine weitergehenden Fragen. Dementsprechend bleibt der Streitstoff im Wesentlichen unverändert, es geht nach wie vor um die Klärung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens der Klägerin.
32Vgl. zur Sachdienlichkeit einer Änderung des Klagebegehrens von der Erteilung einer Baugenehmigung hin zur Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheids OVG NRW, Urteile vom 6. Februar 2015 - 2 A 1395/13 -, juris Rn. 39, und vom 9. Dezember 2019 - 10 A 2815/17 -, juris Rn. 21 ff.; OVG Niedersachsen, Urteil vom 9. Juli 2020 - 1 LB 79/18 -, juris Rn. 21. Zur Sachdienlichkeit der nachträglichen Begrenzung eines ursprünglich beantragten uneingeschränkten bauplanungsrechtlichen Vorbescheids vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Januar 1997 - 7 A 2233/96 -, juris Rn. 33.
33Der Sachdienlichkeit dieser Klageänderungen steht nicht entgegen, dass die nunmehr gestellte Bauvoranfrage noch nicht in einem Verwaltungsverfahren entschieden wurde. Der Beklagte und die Beigeladene zu 1. haben sich bereits im Baugenehmigungsverfahren eingehend mit der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens beschäftigt und diese verneint. Daran haben sie im vorliegenden Verfahren festgehalten. Angesichts dessen würde die nochmalige Durchführung eines die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens betreffenden Verwaltungsverfahrens nur zu Verzögerungen führen, die durch die Regelung des § 91 Abs. 1 VwGO gerade verhindert werden soll.
34Vgl. hierzu auch OVG Niedersachsen, Urteil vom 9. Juli 2020 - 1 LB 79/18 -, juris Rn. 23.
35II. Für die geänderte Klage besteht ein Sachbescheidungsinteresse. Der Umstand, dass die Klägerin weder eine tierschutzrechtliche Erlaubnis noch eine naturschutzrechtliche Gehegegenehmigung besitzt, lässt ihr Sachbescheidungsinteresse nicht entfallen (1.). Dasselbe gilt - unabhängig davon, ob im baurechtlichen Genehmigungsverfahren auch das unionsrechtliche Haltungsverbot von Waschbären zu prüfen ist - mit Blick auf dieses Haltungsverbot (2.).
36Einem Kläger fehlt das Sachbescheidungsinteresse für eine Bauvoranfrage mit der Folge der Unzulässigkeit der Klage, wenn offensichtlich ist, dass eine für das Vorhaben erforderliche Erlaubnis oder Genehmigung nicht erteilt werden kann oder dem Vorhaben sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen.
37Vgl. OVG NRW, Urteile vom 30. März 2022 - 10 A 668/19 -, juris Rn. 35, und vom 11. September 2003 - 10 A 4694/01 ‑, juris Rn. 109.
38Dies gilt indes nur für vorhabenbezogene Erlaubnisse oder Genehmigungen bzw. Vorschriften, die Teil des Baunebenrechts sind und daher auch der endgültigen Erteilung der Baugenehmigung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW entgegenstehen können.
39Vgl. Schulte, in: Schulte u.a., BauO NRW, § 74 Rn. 129 ff. (Stand: Mai 2022).
401. Dass der Klägerin eine etwaig erforderliche tierschutzrechtliche Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 TierSchG sowie eine naturschutzrechtliche Gehegegenehmigung nach § 43 Abs. 1 und 5 BNatSchG i.V.m. § 56 Abs. 1 LNatSchG NRW schlechthin nicht erteilt werden könnte, ist hier nicht offensichtlich, sondern bedarf näherer Prüfung in dem dafür vorgesehenen Verfahren. Die diese Erlaubnis bzw. Genehmigung regelnden Vorschriften dürften aufgrund ihrer Anlagenbezogenheit zu dem im Rahmen eines Verfahrens zur Erteilung eines Vorbescheids oder einer Baugenehmigung zu beachtenden Baunebenrecht gehören.
412. Auch ist nicht offensichtlich, dass dem Vorhaben der Klägerin das in Art. 7 Abs. 1 lit. b) VO (EU) 1143/2014 i.V.m. Art. 4 dieser Verordnung und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2016/1141 (Liste invasiver gebietsfremder Arten von unionsweiter Bedeutung) normierte Haltungsverbot von Waschbären entgegensteht. Denn abweichend von diesem Haltungsverbot ist die private Haltung von Waschbären in Nordrhein-Westfalen unter bestimmten Voraussetzungen gestattet. Diese Abweichung erfolgt auf der Grundlage des Art. 19 VO (EU) 1143/2014, nach dem die Mitgliedstaaten Managementmaßnahmen für bestimmte invasive gebietsfremde Arten von unionsweiter Bedeutung verfügen sollen, sowie § 40e BNatSchG. In diesem Zusammenhang hat die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Naturschutz ein Management- und Maßnahmenblatt für den Umgang mit Waschbären,
42abrufbar unter https://mediathek.naturschutzinformationen.nrw. de/mediathek/files/23/86/17/03/227b846103bdcf0dd36b08f144513fc654fc3002.pdf
43entworfen, das den Bundesländern als Grundlage für den Erlass von Managementmaßnahmen dienen soll, wobei die Priorisierung, Umsetzung und abschließende Festlegung der konkreten Maßnahmen aber dem jeweiligen Bundesland obliege (S. 8).
44Ausweislich des Punkts M 6 dieses Managements- und Maßnahmenblatts soll die Haltung von Waschbären unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein (Haltung unter Verschluss, Vermehrung durch Kastration oder Sterilisierung ausgeschlossen). Auf Nachfrage des Gerichts teilte das zuständige Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen mit, dass im Rahmen der Managementmaßnahmen die Privathaltung von Waschbären in Nordrhein-Westfalen unter bestimmten Voraussetzungen (Ausbruchssicherheit des Geheges, tierschutzgerechte Ausgestaltung des Geheges, bestimmte Dokumentationspflichten, Kastration oder Sterilisation, Kennzeichnung mittels Chip, Einhaltung der Aneignungsrechte) gestattet sei (vgl. Bl. 114 f. der Gerichtsakte).
45Die Legalisierung der Haltung von Waschbären im Rahmen von Managementmaßnahmen ist zulässig. Zwar widerspricht dies auf den ersten Blick der ausdrücklichen, keine Ausnahme zulassenden Regelung in Art. 7 Abs. 1 lit. b) VO (EU) 1143/2014. Jedoch ergibt sich aus Art. 19 VO (EU) 1143/2014, dass den Mitgliedstaaten im Umgang mit invasiven gebietsfremden Arten von unionsweiter Bedeutung ein gewisser Spielraum eingeräumt wird. Insbesondere umfassen gemäß Art. 19 Abs. 2 VO (EU) 1143/2014 Managementmaßnahmen auch Maßnahmen zur Populationskontrolle oder zur Eindämmung einer Population. Dies wird auch durch eine ausbruchssichere Haltung invasiver Tierarten, bei der eine Fortpflanzung ausgeschlossen ist, gewährleistet. Dass die Haltung von invasiven Tierarten im Rahmen von Managementmaßnahmen gestattet werden kann, ergibt sich auch aus einer Stellungnahme der EU-Kommission.
46Zitiert in BT-Drs. 18/11554, S. 8 f. und den Vorläufigen Hinweisen der Expertengruppe „invasive Arten“ im Rahmen des StA „Arten- und Biotopschutz“ zu ausgewählten Vollzugsfragen zur VO (EU) 1143/2014, S. 8 (Bl. 124 der Gerichtsakte).
47B. Die Klage ist jedoch unbegründet.
48Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Vorbescheids. Gemäß §§ 74 Abs. 1, 77 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW ist ein Vorbescheid zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben hinsichtlich der mit dem Antrag auf Erteilung des Vorbescheids unterbreiteten Fragen zur Genehmigungsfähigkeit keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Dies ist hier nicht der Fall. Zwar ist die Bauvoranfrage bescheidungsfähig (I.) und auch die Bauvorlagen sind hinreichend bestimmt (II.). Allerdings steht dem Vorhaben der Klägerin bauplanungsrechtliche Vorschriften entgegen (III.).
49I. Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung des begehrten Vorbescheids scheitert nicht bereits daran, dass die Bauvoranfrage nicht bescheidungsfähig wäre. Für die Bescheidungsfähigkeit ist erforderlich, dass die zur Bescheidung gestellte Frage einer selbstständigen Beurteilung zugänglich ist. Aus der Fragestellung dürfen keine Teile ausgeklammert werden, deren Kenntnis zur Beantwortung der gestellten Frage unerlässlich ist.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2018 - 2 A 2177/17 -, juris Rn. 11 ff.; VG Minden, Urteil vom 9. Juni 2020 ‑ 1 K 4101/16 -, Abdruck, S. 8 f.
51Ausgehend davon ist die Bauvoranfrage der Klägerin bescheidungsfähig, weil sie trotz der Ausklammerung des Gebots der Rücksichtnahme selbstständig prüffähig ist. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens seiner Art nach ist im Kern nach städtebaulichen Kriterien zu beurteilen. Diese Beurteilung erfolgt auf einer anderen Ebene als die Beurteilung der Zulässigkeit eines Vorhabens nach dem nachbarschützenden Rücksichtnahmegebot.
52Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2008 ‑ 4 B 60.07 ‑, juris Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 31. Oktober 2012 - 10 A 912/11 -, juris Rn. 36 ff; a.A. Thüringer OVG, Urteil vom 11. August 2021 - 1 KO 214/19 -, juris Rn. 20.
53II. Der Erteilung des begehrten Vorbescheids steht auch nicht entgegen, dass die von der Klägerin eingereichten Bauvorlagen zu unbestimmt wären. Für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens seiner Art nach ist es grundsätzlich ausreichend, wenn das Vorhaben nur in groben Umrissen bestimmt ist. Insoweit kommt es für die hinreichende Bestimmtheit der Bauvorlagen nur darauf an, ob auf ihrer Grundlage die Beantwortung der auf die Art der baulichen Nutzung beschränkten Bauvoranfrage möglich ist.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Oktober 2013 - 2 A 204/12 -, juris Rn. 43 ff.; Thüringer OVG, Urteil vom 17. April 2007 ‑ 1 KO 1127/03 -, juris Rn. 39 ff.
55Vor diesem Hintergrund sind die von der Klägerin eingereichten Bauvorlagen hinreichend bestimmt. Für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des klägerischen Vorhabens seiner Art nach und unter Ausklammerung des Gebots der Rücksichtnahme ist es jedenfalls ausreichend, wenn sich - wie hier - aus den Bauvorlagen ergibt, wo ungefähr sich das Vorhaben (insbesondere das Außengehege) befinden soll und welche ungefähre Größe es hat. Soweit die Bauvorlagen keine Beschränkungen namentlich hinsichtlich der Betriebszeiten enthalten, ist grundsätzlich von einem umfassenden Betrieb (insbesondere tags- und nachtsüber) auszugehen. Die für die Bauvoranfrage relevante Frage nach Tierart und Anzahl der Tierplätze hat die Klägerin bestimmt.
56III. Das Vorhaben der Klägerin ist seiner Art nach bauplanungsrechtlich unzulässig. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 34 Abs. 2 BauGB. Diese Norm bestimmt, dass sich die Zulässigkeit eines im unbeplanten Innenbereich gelegenen Vorhabens nach seiner Art dann, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht, allein danach beurteilt, ob es nach dieser Verordnung in dem betreffenden Baugebiet allgemein zulässig wäre. Daran gemessen ist das Vorhaben der Klägerin unzulässig. Die Eigenart der näheren Umgebung des Vorhabens entspricht einem Dorfgebiet (1.). Das Vorhaben der Klägerin ist in einem Dorfgebiet gebietsunverträglich (2.). Darüber hinaus steht auch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO der Zulässigkeit des Vorhabens der Klägerin entgegen. (3.). Die Zulässigkeit des Vorhabens folgt auch nicht aus § 14 Abs. 1 BauNVO (4.).
571. Die Eigenart der näheren Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks entspricht einem Dorfgebiet i.S.d. § 5 BauNVO. Gemäß § 5 Abs. 1 BauNVO dienen Dorfgebiete der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben. Die nähere Umgebung erfasst hier - angesichts seiner geringen Größe und seiner einheitlichen Siedlungsstruktur - den gesamten Ortsteil Haarbrück. Ausweislich des zur Verfügung stehenden Kartenmaterials sowie der unwidersprochen gebliebenen Angaben des Beigeladenen zu 2. in der mündlichen Verhandlung handelt es sich bei diesem Ortsteil um ein Dorfgebiet. In diesem Ortsteil befindet sich überwiegend Wohnbebauung, die zu einem nicht unerheblichen Anteil mit Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Betriebe (Hofstelle F. B., S.-straße 17; Hofstelle H. H., S.-straße 2; Hofstelle J. B., M.-straße 8; Hofstelle Sa., S.-straße 7; Hofstelle Sp., S.-straße 6; Hofstelle W., N.-straße 5: Hofstelle K., T.-straße 23) und mit nicht störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben (etwa Schlauchboot-Reparatur-, Fahrzeugaufbereitungs- und Reifenservicebetrieb, T.-straße 2; Bäckerei, B.-straße 8; Restaurant, T.-straße 24; Lohndreschunternehmen, M.-straße 8) durchsetzt ist. Der Einordnung der näheren Umgebung als dörfliches Wohngebiet i.S.d. § 5a BauNVO steht § 245d Abs. 1 BauGB entgegen, der die Annahme eines faktischen dörflichen Wohngebiets ausschließt.
582. Das Vorhaben der Klägerin ist nicht nach § 5 BauNVO zulässig. Das Vorhaben ist einem sonstigen Gewerbebetrieb gleichzusetzen (a.). Es ist allerdings in einem Dorfgebiet gebietsunverträglich (b.).
59a. Das Vorhaben der Klägerin ist einem sonstigen Gewerbebetrieb i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO gleichzusetzen, da es sich von der Inanspruchnahme des Bodens und den Auswirkungen auf die Umgebung nicht wesentlich von einer gewerblich betriebenen Tierpension unterscheidet.
60Vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11. Dezember 2020 - 3 LZ 128/19 OVG -, juris Rn. 14 ff.; s. auch Bayerischer VGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 - 1 ZB 04.3549 -, juris Rn. 22.
61Planungsrechtlich sind Betriebsform und Gewinnerzielungsabsicht keine unabdingbare Voraussetzung für das Vorliegen eines Gewerbebetriebs.
62Vgl. Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 16. Februar 2001 - 1 L 35/01 -, juris Rn. 8.
63Eine Einordnung als Anlage für soziale Zwecke i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO scheidet demgegenüber aus.
64Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Dezember 1994 - 8 S 3216/94 -, juris Rn. 4.
65b. Das Vorhaben der Klägerin ist in einem Dorfgebiet gebietsunverträglich, weil es bezogen auf den Gebietscharakter eines Dorfgebiets aufgrund seiner typischen Nutzungsweise störend wirkt.
66aa. Das ungeschriebene Erfordernis der Gebietsverträglichkeit eines Vorhabens im Hinblick auf die Art der Nutzung rechtfertigt sich aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung. Der Verordnungsgeber will durch die Zuordnung von Nutzungen zu den näher bezeichneten Baugebieten die vielfältigen und oft gegenläufigen Ansprüche an die Bodennutzung zu einem schonenden Ausgleich im Sinne überlegter Städtebaupolitik bringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die vom Verordnungsgeber dem jeweiligen Baugebiet zugewiesene allgemeine Zweckbestimmung den Charakter des Gebiets eingrenzend bestimmt.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2022 - 4 C 6.20 -, juris Rn. 12, Beschluss vom 28. Februar 2008 - 4 B 60.07 -, juris Rn. 6, und Urteil vom 21. März 2002 - 4 C 1.02 -, juris Rn. 12.
68Dorfgebiete dienen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ist auf die Belange der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe einschließlich ihrer Entwicklungsmöglichkeiten vorrangig Rücksicht zu nehmen.
69bb. Aus dieser Zweckbestimmung folgt zugleich, dass sich die Gebietsunverträglichkeit für § 5 BauNVO in erster Linie nach dem Kriterium der gebietsunüblichen Störung richtet.
70Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. März 2022 - 4 C 6.20 -, juris Rn. 13, und vom 21. März 2002 - 4 C 1.02 -, juris Rn. 15 (jeweils für ein allgemeines Wohngebiet).
71§ 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO bestimmt, dass ein Dorfgebiet nur der Unterbringung von Gewerbebetrieben dient, die nicht wesentlich störend sind. Der danach zulässige Störgrad wird ausgehend von den in einem Dorfgebiet zulässigen Nutzungen bestimmt. Neben den nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sind dies die weiteren in § 5 BauNVO genannten Nutzungen. Zu beachten ist dabei, dass die in § 5 Abs. 1 Satz 2 BauNVO genannten land- und forstwirtschaftlichen Betrieben privilegiert werden mit der Folge, dass die von diesen Anlagen ausgehendenden Immissionen grundsätzlich gebietstypisch sind.
72Für den Schutz der in einem Dorfgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung bedeutet dies, dass - wie in Mischgebieten auch - die namentlich von Gewerbebetrieben ausgehenden Störungen, die nicht wesentlich sind, hingenommen werden müssen, wobei nachts oder auch an Sonn- und Feiertagen ein höherer Schutz der Wohnruhe zugrunde zu legen ist. Anders beurteilt sich dies für die von den Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe ausgehenden Immissionen insoweit, als sie zeitlichen Begrenzungen nicht zugänglich sind. Dies gilt namentlich für landwirtschaftstypische Arbeiten wie Erntearbeiten, die saisonbedingt auch nachts und an Sonn- und Feiertagen stattfinden.
73Vgl. OVG LSA, Urteil vom 4. September 2019 - 2 K 14/18 -, juris Rn. 83 (für ein Mischgebiet); Söfker, in: Ernst u.a., BauGB, Stand: August 2019, § 5 BauNVO Rn. 13; zur Bedeutung der ungestörten Nachtruhe siehe OVG NRW, Beschluss vom 4. März 2024 - 7 B 1244/23 -, juris Rn. 9.
74cc. Bei der Ermittlung, ob ein Vorhaben in gebietsunverträglicher Weise stört, ist die „typische Nutzungsweise“ des Vorhabens zugrunde zu legen. Ausgangspunkt und Gegenstand dieser typisierenden Betrachtungsweise ist das jeweils zur Genehmigung gestellte Vorhaben. Zu fragen ist, ob ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, namentlich das Wohnen in einem Dorfgebiet zu stören. Gegenstand der Betrachtung sind die Auswirkungen, die typischerweise von einem Vorhaben der beabsichtigten Art, insbesondere nach seinem räumlichen Umfang und der Größe seines betrieblichen Einzugsbereichs, der Art und Weise der Betriebsvorgänge, dem vorhabenbedingten An- und Abfahrtsverkehr sowie der zeitlichen Dauer dieser Auswirkungen und ihrer Verteilung auf die Tages- und Nachtzeiten, ausgehen. Nicht entscheidend ist, ob die mit der Nutzung verbundenen immissionsschutzrechtlichen Lärmwerte eingehalten werden. Die in einem Dorfgebiet geschützte Wohnruhe ist nicht gleichbedeutend mit einer immissionsschutzrechtlichen Lärmsituation. Bei dem Kriterium der Gebietsverträglichkeit geht es um die Vermeidung als atypisch angesehener Nutzungen, die den Dorfgebietscharakter als solchen stören.
75Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2022 - 4 C 6.20 -, juris Rn. 13, und Beschluss vom 28. Februar 2008 - 4 B 60.07 -, juris Rn. 11.
76dd. Im Rahmen dieser Beurteilung der Gebietsverträglichkeit eines Vorhabens kommt es nicht auf die konkrete Bebauung in seiner Nachbarschaft an. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass im Geltungsbereich eines ausgewiesenen oder faktischen Baugebiets im Grunde auf jedem Baugrundstück die nach dem Katalog der Nutzungsarten der jeweiligen Baugebietsvorschrift (§§ 2 bis 9 BauNVO) zulässige Nutzung in Betracht soll kommen können. Das Korrektiv des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, für das die örtlichen Verhältnisse in der näheren Umgebung des beabsichtigten Vorhabens maßgeblich sind, greift auf dieser Ebene der Zulässigkeitsprüfung noch nicht ein. Der in § 15 Abs. 1 BauNVO geregelte Schutz der Nachbarschaft besitzt eine andere Aufgabe. Die Vorschrift ermöglicht es, die Genehmigung solcher Vorhaben zu versagen, die zwar nach Art, Größe und störenden Auswirkungen generell (typischerweise) den Gebietscharakter nicht gefährden, jedoch nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung angesichts der konkreten Verhältnisse an Ort und Stelle der Eigenart des Baugebiets widersprechen bzw. für die Nachbarschaft mit unzumutbaren Belästigungen oder Störungen verbunden sind.
77Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2008 - 4 B 60.07 -, juris Rn. 12.
78ee. Ausgehend von den in aa. bis dd. genannten Grundsätzen ist das Vorhaben der Klägerin in einem Dorfgebiet gebietsunverträglich. Das Vorhaben ist seiner Art nach generell geeignet, den in einem Dorfgebiet zulässigen Störgrad - unabhängig von den örtlichen Verhältnissen in der näheren Umgebung - zu überschreiten. Namentlich die Auswirkungen, die typischerweise von einem Außengehege der beabsichtigten Art und Größe ausgehen, sind geeignet, die in einem Dorfgebiet nachts einzuhaltende Wohnruhe zu stören.
79Das Außengehege ist ausweislich der Vorhabenbeschreibung nicht auf bestimmte Betriebszeiten beschränkt; eine Beschränkung (etwa auf die Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr) wäre nach den Angaben des Sachverständigen im Übrigen auch nicht tierschutzgerecht (Bl. 6 des Protokolls). Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass das Außengehege rund um die Uhr zugänglich ist. Dies hat zur Folge, dass sich dort während der gesamten Tag- und Nachtzeit bis zu 19 Waschbären aufhalten könnten.
80Die von einem solchen Außengehege ausgehenden Immissionen stören die dorfgebietstypische Nachtruhe. Zwar hat der Sachverständige sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch in der mündlichen Verhandlung die Geräusche von Waschbären hinsichtlich ihrer Lautstärke mit denen von Katzen oder Mardern verglichen (vgl. Bl. 5 des Gutachtens, Bl. 11 des Protokolls). Er hat ferner angegeben, dass verglichen mit der Haltung anderer Tierarten (z.B. von Hunden, Pferden, Kühen usw.) die von Waschbären ausgehenden Geräusche deutlich unauffälliger und die Lautäußerungen meistens bereits vom Nachbargrundstück aus nicht mehr wahrnehmbar seien (Bl. 5 des Gutachtens). Außerdem handele es sich in der Aktion mit der Gruppe um eher leise Geräusche. (Bl. 11 des Protokolls).
81Auch wenn demnach die von einem einzigen Waschbären von sich gegebenen Laute nicht in erheblicher Weise störend sein dürften, ist jedoch zu beachten, dass es sich hier um insgesamt 19 Waschbären handelt. Dabei gilt, dass jedenfalls eine Verzehnfachung der Geräuschquelle dazu führt, dass die Geräuschquelle als doppelt so laut wahrgenommen wird.
82Vgl. S. 2 des Informationsblatts des Bayerischen Landesamts für Umwelt, abrufbar unter https://www.lfu.bayern.de/buerger/ doc/uw_34_laerm_messen_bewerten.pdf.
83Zu berücksichtigen ist auch, dass sich die Waschbären nicht - etwa wie streunende Katzen - zwischen einzelnen Häusern umher bewegen, sondern konzentriert an einem Ort gehalten werden mit der Folge, dass sich die Geräuschbelästigung dort erheblich verstärkt.
84Außerdem sind nicht nur die Laute, die die Waschbären selbst von sich geben, sondern auch die Geräusche zu berücksichtigen, die die grundsätzlich nachaktiven Tiere in einem tierschutzgerecht ausgestalteten Außengehege verursachen. Auch wenn der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass den Waschbären eine höhere Tagaktivität angewöhnt werden kann (Bl. 8 des Protokolls), hat er auch erklärt, dass die Waschbären in einem tierschutzgerecht ausgestalteten Gehege sich über mehrere Stunden mit der Futtersuche und der Interaktion mit Artgenossen beschäftigen. Darüber hinaus gibt es Spielphasen. Nach Schlafphasen treten Waschbären erneut in Nahrungssuche- und Spielphasen ein (Bl. 10 des Protokolls). Dies zugrunde gelegt, ist davon auszugehen, dass bereits ein einzelner Waschbär namentlich durch die Inanspruchnahme von Spielgeräten und die Aufnahme von Futter die Nachtruhe der Umgebung störende Geräusche verursachen kann. Dies gilt für 19 Waschbären erst recht.
85Die vorstehenden Ausführungen sind nicht auf Waschbären begrenzt. In einem Dorfgebiet wäre auch ein rund um die Uhr geöffnetes Außengehege für Katzen nicht gebietsverträglich. Zwar ist das von einer einzigen Katze ausgehende Schnurren für sich genommen nicht so laut, dass es geeignet wäre, die Nachtruhe zu stören. Anders verhält es sich aber mit den Geräuschen, die 19 Katzen beim Spielen und bei der Interaktion mit Artgenossen verursachen. Bei all dem ist zu berücksichtigen, dass der ungestörten Nachtruhe im Hinblick auf die Gesundheit der Bevölkerung - wie bereits dargelegt - ein hohes Gewicht zu kommt. An die generelle Eignung eines Vorhabens, die Nachtruhe zu stören, dürfen daher nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden.
86Unbeachtlich in diesem Zusammenhang ist, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass sich die von ihr aktuell gehaltenen Waschbären kaum in dem an die Scheune angebauten Käfig aufhalten würden (Bl. 110 der Gerichtsakte). Dieser Umstand verfängt schon deshalb nicht, weil dieser relativ kleine Käfig von seiner Attraktivität für Waschbären her nicht mit einem tierschutzgerecht eingerichteten Außengehege vergleichbar ist. Außerdem bezieht sich der Vorbescheid nicht ausschließlich auf die Haltung der aktuell von der Klägerin gehaltenen Waschbären. Vielmehr würde der streitgegenständliche Vorbescheid - sofern die Anzahl von 19 nicht überschritten wird - auch die Aufnahme weiterer Waschbären umfassen. Im Übrigen ist bei der Prüfung der Gebietsverträglichkeit von einer typisierenden Betrachtungsweise auszugehen, sodass auch aus diesem Grund nicht auf konkrete Waschbären abgestellt werden kann.
873. Darüber hinaus steht auch § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO der Zulässigkeit des Vorhabens entgegen. Der Klageantrag schließt die Prüfung des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht aus. Zwar hat die Klägerin die Prüfung des Gebots der Rücknahme - wie bereits dargelegt - zulässigerweise von der gerichtlichen Prüfung ausgenommen. Bei § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO handelt es sich jedoch nicht um eine Ausprägung des Gebots der Rücksichtnahme. Ein Verstoß gegen dieses Gebot liegt nur dann vor, wenn ein Vorhaben konkret schutzwürdige Interessen des Eigentümers eines Grundstücks verletzt. Ein aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO folgendes Abwehrrecht besteht nach der in der Rechtsprechung wohl herrschenden Meinung ebenso wie ein Gebietserhaltungsanspruch unabhängig davon, ob ein unzulässiges Vorhaben in unzumutbarer Weise konkret schutzwürdige Interessen des Eigentümers eines Grundstücks verletzt und wird deshalb auch als Gebietsprägungserhaltungsanspruch bezeichnet).
88Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Mai 2002 - 4 B 86.01 -, BauR 2002, 1499 (juris Rn. 7: "… aus dem Anspruch auf Aufrechterhaltung der gebietstypischen Prägung hergeleitet hat, dem § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ebenfalls zu dienen bestimmt ist"); Bayerischer VGH, Beschluss vom 4. November 2009 - 9 CS 09.2422 -, juris Rn. 11 f.; OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2017 - 2 B 1369/17 -, juris Rn. 32; a.A. wohl Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschluss vom 8. Januar 2018 - 1 MB 23/17 -, juris Rn. 7, offen gelassen: Bayerischer VGH, Beschluss vom 15. Oktober 2019 - 15 ZB 19.1221 -, BayVBl. 2020, 273 (juris Rn. 8 ff.).
89a. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, der auch im faktischen Baugebiet Anwendung findet
90- vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 4 B 68.08 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Urteil vom 10. April 2003 - 10 A 4726/00 -, juris Rn. 70 f.; Söfker, in: Ernst u.a., BauGB, § 15 BauNVO Rn. 8 a.E. (Stand: August 2022) -
91und der sich entsprechend seiner systematischen Stellung im ersten Abschnitt der Baunutzungsverordnung allein auf die Art der baulichen Nutzung bezieht
92- vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 1995 - 4 C 3.94 -, juris Rn. 15 ff.; Söfker, in: Ernst u.a., BauGB, § 15 BauNVO Rn. 8 (Stand: August 2022) -,
93bestimmt, dass die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig sind, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen.
94Die Eigenart des Baugebiets bestimmt sich dabei in erster Linie nach dem in dem jeweiligen Abs. 1 der §§ 2 bis 9 BauNVO zum Ausdruck kommenden Gebietscharakter sowie den diesen ggf. modifizierenden Festsetzungen. Dabei können auch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung Einfluss auf die Eigenart des Baugebiets haben. Bei einem faktischen Baugebiet, bei dem keine die Eigenart mitbestimmenden Festsetzungen vorliegen, ist ergänzend vor allem auf den sich aus den örtlichen Verhältnissen ergebenden besonderen Charakter des konkreten Baugebiets abzustellen.
95Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 1991 - 4 B 40.91 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Urteil vom 25. März 2014 - 2 A 2679/12 -, juris Rn. 85 ff.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 26. Mai 2008 - 1 CS 08.881 u.a. -, juris Rn. 45; Söfker, in: Ernst u.a., BauGB, § 15 BauNVO Rn. 10a (Stand: August 2022).
96Die Eigenart des Baugebiets kann dabei jedenfalls durch alle Merkmale konkretisiert werden, die Gegenstand von Festsetzungen sein können.
97In räumlicher Hinsicht muss sich der Widerspruch nicht zwingend auf das gesamte Baugebiet beziehen. Denn das Baugebiet soll hinsichtlich seiner Eigenart in allen seinen Teilen geschützt werden. Räumlicher Prüfungsgegenstand kann daher auch ein Teilgebiet mit abgrenzbarer spezifischer Nutzung sein, die die Eigenart entsprechend bestimmt. Denkbar ist auch, dass die räumlichen Auswirkungen des Vorhabens im Widerspruch zur Eigenart des Baugrundstücks selbst oder der benachbarten Grundstücke stehen.
98Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2008 - 4 B 60.07 -, juris Rn. 12; Söfker, in: Ernst u.a., BauGB, § 15 BauNVO Rn. 13 (Stand: August 2022).
99Für die Annahme eines Widerspruchs ist erforderlich, dass sich das Vorhaben in Bezug auf die einzelnen Merkmale des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO im Vergleich zu den die Eigenart des Baugebiets (mit-)bestimmenden Faktoren als städtebaulicher Missgriff darstellt. Ein an sich seiner Art nach bauplanungsrechtlich zulässiges Vorhaben kann danach im Einzelfall unzulässig sein, wenn es in einer städtebaulichen Situation verwirklicht werden soll, in der es städtebaulich nicht mehr verträglich ist und die Umgebung es nicht (mehr) aufnehmen kann. Ein solcher Widerspruch muss sich offensichtlich aufdrängen; dass ein Vorhaben nicht in jeder Hinsicht mit der vorhandenen Bebauung übereinstimmt, reicht nicht aus.
100Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2017 - 2 B 1369/17 -, juris Rn. 34 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 15. Oktober 2019 - 15 ZB 19.1221 -, juris Rn. 10.
101b. Das hier in den Blick zu nehmende Teilgebiet erfasst die Grundstücke, die entlang der Z.-straße, des Höhenwegs und der von dort aus in nordöstliche Richtung verlaufenden Q.-straße bzw. Klingelburgstaße bis zur Einmündung der L.-straße in die T.-straße liegen. Die in diesem Teilgebiet vorhandene Bebauung ist in erster Linie durch Wohnnutzung geprägt. Die dortige Tierhaltung ordnet sich dieser Wohnnutzung deutlich unter. Dies gilt nicht nur für den besonders nah am Vorhabengrundstück gelegenen Bereich zwischen L.-straße und Q.-straße (L.-straße 1: ein Hund), sondern auch für die umliegenden Grundstücke (L.-straße 4: zwei Pferde, L.-straße 6: ein Hund, L.-straße 12: zwei Rinder und drei Kälber; Q.-straße 1: ein Hund, T.-straße 7: ein Hund und eine nicht näher bestimmbare Anzahl von Katzen). Auch die Pferde-, Rinder- und Kälberhaltung tritt hinter der auf diesen Grundstücken vorhandenen Wohnnutzung deutlich zurück. Sie erreicht nach ihrem Umfang bei weitem nicht das für eine landwirtschaftliche Hofstelle übliche Maß.
102Die Eigenart dieses näher zu betrachtenden Teilgebiets zeichnet sich demnach vor allem durch Wohnnutzung aus, der für ein Dorfgebiet typische Nutzungsmix zwischen Wohnen und der Unterbringung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe ist hier nicht (mehr) vorhanden. Außerdem ist der Bereich zwischen L.-straße und Q.-straße durch vergleichsweise kleine Grundstücke mit sehr dichter Bebauung gekennzeichnet. Dieser Umstand kann auch maßgeblich zur Bestimmung der Eigenart beitragen, weil die Grundflächenzahl auch als Bestimmung zum Maß der baulichen Nutzung in einem Bebauungsplan festgesetzt werden könnte (§ 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO).
103Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 26. Mai 2008 - 1 CS 08.881 u.a. -, juris Rn. 45; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juni 1990 - 3 S 2655/89 -, juris Rn. 22.
104Das Vorhaben der Klägerin steht nach seiner Lage und nach seinem Umfang offensichtlich im Widerspruch zur Eigenart des maßgeblichen Teilgebiets. Die von der Klägerin geplante Haltung von Waschbären, die - wie unter 2. ee. dargestellt - rund um die Uhr Zugang zum Außengehege haben sollen, ist angesichts seines geplanten Standorts und Umfangs von 19 Waschbären nicht mit der dort vorzufindenden dichten Wohnbebauung in Einklang zu bringen. An dem vorgesehenen Standort sind 19 Waschbären angesichts des unter 2. ee. beschriebenen Störpotenzials und der dichten Bebauung der Umgebung geeignet, die Nachtruhe erheblich zu stören.
1054. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist das Vorhaben auch nicht nach § 14 Abs. 1 BauNVO zulässig. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind außer den in den §§ 2 bis 13 BauNVO genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen oder Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Bei dem Vorhaben der Klägerin handelt es sich schon nicht um eine untergeordnete Nebenanlage.
106Nebenanlagen können grundsätzlich nur Anlagen sein, die nicht Bestandteil der (Haupt-) Anlage sind. Zur Abgrenzung einer Nebenanlage vom Teil einer Hauptanlage können funktionelle und räumliche Gesichtspunkte herangezogen werden. Von dieser Abgrenzung zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Nebenanlage untergeordnet ist. Hierzu gehört insbesondere, dass sie nicht nur in ihrer Funktion, sondern auch räumlich-gegenständlich dem primären Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke (oder dem Baugebiet selbst) sowie der diesem Nutzungszweck entsprechenden Bebauung dienend zu- und untergeordnet ist. Von der funktionellen Zu- bzw. Unterordnung ist auszugehen, wenn zwischen der Haupt- und Nebenanlage ein spezieller Funktionszusammenhang besteht. Die Nebenanlage muss gleichsame eine von der Hauptanlage „ausgelagerte“ Nutzungsweise bleiben.
107Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Dezember 2017 - 4 C 9.16 -, juris Rn. 8, und vom 28. April 2004 - 4 C 12.03 -, juris Rn. 24, und Beschluss vom 5. Juli 2011 - 4 B 20.11 -, juris Rn. 6.
108Ausgehend hiervon ist das Vorhaben der Klägerin nicht als Nebenanlage einzuordnen. Hierbei sind der Stall am Wohnhaus, die Scheune und das Außengehege als einheitliche bauliche Anlage in den Blick zu nehmen. Dies folgt daraus, dass diese Bestandteile sowohl räumlich als auch funktionell miteinander verbunden sind. Die Waschbären sollen sowohl vom Stall am Wohnhaus als auch von der Scheune aus in das Außengehege gelangen können. Das Außengehege bildet sowohl mit dem Stall als auch mit der Scheune eine untrennbare Einheit, weil der Zugang zum Außengehege aus tierschutzrechtlicher Sicht zwingend erforderlich ist.
109Der Betrachtung als einheitliche bauliche Anlage steht auch nicht entgegen, dass der Stall am Wohnhaus räumlich jedenfalls teilweise in das Wohnhaus einbezogen ist. Denn bei isolierter Betrachtung nur des Stalls wäre dieser - in Abweichung von dem oben genannten Grundsatz - nicht als Teil der Hauptanlage, sondern vielmehr als (selbstständige) Nebenanlage einzustufen. Dies folgt daraus, dass sich die Funktion des Stalls (Unterbringung von Tieren) auf diesen Bereich beschränkt und deutlich vom Wohnzweck des übrigen Hauses unterscheidet.
110Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Januar 2014 - 2 B 1196/13 -, juris Rn. 8 ff.
111Diese aus Stall am Wohnhaus, Scheune und Außengehege bestehende bauliche Anlage ordnet sich weder in räumlich-gegenständlicher Hinsicht noch in ihrer Funktion der Wohnnutzung auf dem Grundstück der Klägerin unter. Schon allein der Scheune (ca. 146 m²) würde es für sich genommen aufgrund ihrer Größe an einer räumlich-gegenständlichen Unterordnung zum Wohnhaus (ca. 220 m²) fehlen. Auf das Lichtbild auf Bl. 108 der Gerichtsakte unten wird zusätzlich Bezug genommen. Erst recht gilt dies für die gesamte Gehegeanlage unter Einbeziehung des Stalls am Wohnhaus und des Außengeheges, deren addierten Grundflächen - ohne dass es auf konkrete Angaben zur Größe des Außengeheges ankäme - in etwa der Grundfläche des Wohnhauses entspricht. Im Übrigen kommt der geplanten Haltung von 19 Waschbären neben der auf dem streitgegenständlichen Grundstück vorhandenen Wohnnutzung ein so hohes Eigengewicht zu, dass von einer den Wohnbedürfnissen dienenden Funktion keine Rede mehr sein kann. Allein aufgrund der Anzahl der gehaltenen Tiere stellt sich die Waschbärenhaltung gerade nicht als eine vom Wohnhaus „ausgelagerte“ Nutzung dar. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass die in einem Dorfgebiet gelegenen Grundstücke gemäß § 5 Abs. 1 BauNVO grundsätzlich auch der Unterbringung von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie Gewerbe- und Handwerksbetrieben dienen.
112Da es sich bei dem Vorhaben der Klägerin nicht um eine untergeordnete Nebenanlage i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO handelt, kommt auch eine Zulässigkeit nach § 14 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nicht in Betracht. Auch diese Vorschrift setzt das Vorliegen einer untergeordneten Nebenanlage voraus.
113Vgl. Stock, in: Ernst u.a., BauGB, Stand: Februar 2022, § 14 Rn. 53a.
114Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. trägt, weil sich diese - anders als der Beigeladene zu 2. - durch Stellung eines Sachantrags einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
115Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.