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Der Beklagte wird verpflichtet, der Beigeladenen ab zehn Wochen nach Eintritt der Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung die Nutzung des Gebäudes XE. auf dem Grundstück W.-straße, J. (Gemarkung KI., Flur 00, Flurstück 00) als Stall für die Aufzucht von Ferkeln zu untersagen.
Der Beklagte trägt die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, bauaufsichtlich gegen den Ferkelaufzuchtbetrieb der Beigeladenen einzuschreiten.
3Der Kläger ist Eigentümer des im Außenbereich gelegenen Grundstücks F.-straße, J. (Gemarkung KI., Flur 00, Flurstück 00). Das Grundstück, eine ehemalige landwirtschaftliche Hofstelle, ist mit einem Gebäude bebaut, in welchem der Kläger seit 1957 lebt. Für dieses Gebäude erteilte der Beklagte dem Kläger am 17. Januar 2013 eine Baugenehmigung für den Dachgeschossausbau zur Errichtung einer zweiten Wohneinheit und für die Nutzungsänderung im Erdgeschoss zu einer gewerblichen Nutzung. Von dieser Baugenehmigung hat der Kläger seinen Angaben zufolge bisher keinen Gebrauch gemacht.
4Etwa 70 m östlich des klägerischen Wohnhauses befindet sich auf dem Grundstück C.-straße, J. (Gemarkung KI., Flur 00, Flurstück 00) die Hofstelle X. Auf diesem Grundstück hält der Vertreter der Beigeladenen in einem eigenständigen Betrieb 170 Zuchtsauen. Das in seinem Eigentum stehende Gebäude XE. (das auf der Hofstelle am nördlichsten gelegene Gebäude) verpachtet er an die 2008 ins Handelsregister eingetragene Beigeladene, deren einziger Komplementär er ist. Die Beigeladene zieht in diesem Gebäude derzeit bis zu 900 Ferkel auf. Eine Baugenehmigung hierfür existiert nicht.
51925 wurde das Gebäude XE. als Wagenremise genehmigt. Nach den Angaben des Vertreters der Beigeladenen wurde es in den 60er Jahren erstmals zum Schweinestall umgenutzt und anschließend nach und nach mit immer mehr Tieren bestückt. 1967 seien ca. 50 Mastschweine und 80 bis 90 Ferkel eingestallt worden. In den 70er Jahren seien dort ca. 90 weitere Ferkel, Ende der 80er Jahre 120 bis 130 weitere Ferkel und in den 90er Jahren ca. 300 weitere Ferkel untergebracht worden. Ende der 2000er seien die Mastschweine durch ca. 110 weitere Ferkel ersetzt worden. Seit Ende der 2000er Jahre habe sich der Bestand nicht mehr verändert. Es würden dauerhaft nicht mehr als ca. 750 Ferkel gehalten werden. Diese Angaben bezögen sich auf ein Durchschnittsgewicht von 20 bis 25 kg. Sofern Ferkel mit einem geringeren Gewicht eingestallt würden, könnten sich auch mehr Ferkel im Gebäude XE. befinden. Der Bestand dort schwanke derzeit zwischen 600 und 900 Ferkeln. Ansonsten würden auf der Hofstelle X. keine Ferkel gehalten.
6In der Umgebung der Hofstelle X. befinden sich mehrere (inzwischen) landwirtschaftsunabhängige Wohngebäude, weitere landwirtschaftliche Hofstellen mit Tierhaltung sowie vereinzelte gewerbliche Nutzungen. Der Flächennutzungsplan der Gemeinde SV. weist das Grundstück der Hofstelle X. sowie die umliegenden Grundstücke als Fläche für die Landwirtschaft aus.
7Unter dem 2. August 2013 beantragte der Vater des Vertreters der Beigeladenen, beim Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Sauenstalls, eines Futtersilos und eines Güllehochbehälters sowie für den Umbau der beiden vorhandenen Sauenställe. Im September 2013 beschwerte sich der Kläger beim Beklagten über die auf sein Grundstück einwirkenden Geruchsbelästigungen.
8Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens fiel dem Beklagten auf, dass für die Ferkelaufzucht im Gebäude XE. keine Baugenehmigung existiert. Unter dem 15. November 2013 beantragte die Beigeladene beim Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die nachträgliche Legalisierung der Ferkelaufzucht im Gebäude XE.. Ausweislich der von der Beigeladenen mit dem Bauantrag eingereichten Betriebsbeschreibung war der Antrag auf die Legalisierung von 1.100 Ferkelplätzen für Ferkel mit einem Gewicht von 8 bis 28 kg gerichtet. Im Laufe des Genehmigungsverfahrens wurde die Betriebsbeschreibung zweimal geändert.
9Am 16. Juli 2015 erteilte der Beklagte die Baugenehmigung für den Neubau eines Sauenstalls, eines Futtermittelsilos und eines Güllehochbehälters sowie für den Umbau der beiden vorhandenen Sauenställe. Auf die Klage des Klägers hat das erkennende Gericht diese Genehmigung in der Fassung der 3. Nachtragsbau-genehmigung vom 30. Januar 2018 durch Urteil vom 17. April 2018 - 1 K 2220/15 - aufgehoben. Die zu erwartenden Geruchsimmissionen seien dem Kläger nicht zumutbar. Ausweislich der im Verwaltungsverfahren vorgelegten und im gerichtlichen Verfahren ergänzten Geruchsprognose der Landwirtschaftskammer NRW betrage die Vorbelastung für das klägerische Grundstück 16,2 %. In diesem Wert seien sämtliche Anlagen auf der Hofstelle X. nicht einbezogen. Die gegen dieses Urteil gerichteten Anträge auf Zulassung der Berufung hat das Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 24. April 2019 - 2 A 1906/18 - abgelehnt.
10Im Mai 2019 erkundigte sich der Kläger beim Beklagten nach dem Sachstand des Genehmigungsverfahrens bezüglich der Ferkelaufzucht im Gebäude XE.. Im Juni 2019 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Beigeladene aufgefordert worden sei, ein neues Geruchsgutachten beizubringen, da sich das Gutachten der Landwirtschaftskammer NRW, welches auch für das neue Genehmigungsverfahren zugrunde gelegt werden sollte, als untauglich erwiesen habe. Mit Schreiben vom 20. Februar 2020 beantragte der Kläger bei dem Beklagten, bauaufsichtlich gegen die Ferkelaufzucht im Gebäude XE. einzuschreiten. Diesen Antrag hat der Beklagte bisher nicht beschieden.
11Am 18. Juni 2020 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung seiner Klage macht er im Wesentlichen geltend: Er habe einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, weil der Ferkelaufzuchtbetrieb der Beigeladenen formell und materiell illegal sei. Die Beigeladene habe für ihren Betrieb keine Genehmigung. Die Genehmigungsfähigkeit des Betriebs sei fraglich. In diesem Zusammenhang werde die Nachbarrechtswidrigkeit eines Vorhabens vermutet, wenn durch das Vorhaben die Nachbarn mit Immissionen konfrontiert werden, deren Ausmaß ungeprüft ist und die objektiv erkennbar das Potenzial der Rücksichtslosigkeit in sich tragen. Dies sei hier der Fall, weil das Geruchsgutachten der Landwirtschaftskammer NRW für das klägerische Grundstück eine Vorbelastung von 16,2 % der Jahresgeruchsstunden festgestellt habe. Durch ihre Ferkelaufzucht trage die Beigeladene zusätzlich zur Verschlechterung der Geruchssituation bei. Ein Geruchsgutachten, das die immissionsschutzrechtliche Unbedenklichkeit der Ferkelaufzucht belege, sei bisher nicht vorgelegt worden. Im Übrigen sei es nach den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast nicht Sache des Klägers, das Überschreiten der maßgeblichen Geruchsschwelle zu beweisen.
12Der Kläger beantragt,
13den Beklagten zu verpflichten, gegen den Ferkelaufzuchtbetrieb der Beigeladenen auf dem Grundstück C.-straße, J., bauordnungsrechtlich einzuschreiten.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
17Beklagter und Beigeladene machen im Wesentlichen geltend: Das Vorhaben der Beigeladenen sei allenfalls formell illegal. Das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt, weil die über Jahrzehnte gewachsene und unveränderte Geruchssituation dem Kläger zumutbar sei. Für die Bestimmung der Zumutbarkeit reiche allein der Verweis auf die Belastung des klägerischen Grundstücks von 16,2 % der Jahresgeruchsstunden nicht aus. Im Übrigen gelte seit dem 1. Dezember 2021 Nr. 3.1 des Anhangs 7 zur TA Luft, die im Außenbereich nunmehr für den Regelfall eine zulässige Geruchsbelastung von 20 % und in begründeten Ausnahmefällen eine Geruchsbelastung von bis zu 25 % der Jahresgeruchsstunden vorsehe. Der Kläger habe schon nicht dargelegt, dass die Geruchsbelastung auf seinem Grundstück 20 % der Jahresgeruchsstunden übersteige. Zudem spreche für das Vorliegen eines begründeten Ausnahmefalls, dass in der näheren Umgebung schon seit langem Tierhaltung betrieben werde und auf dem Grundstück des Klägers einst selbst Tiere gehalten worden seien. Das dem Beklagten zustehende Ermessen sei auch nicht zugunsten eines Eingreifens auf Null reduziert, weil sich zu ergreifende Maßnahmen auch gegen andere Emissionsquellen in der Umgebung richten könnten. Ferner genieße der Ferkelaufzuchtbetrieb der Beigeladenen Bestandsschutz. Die Ferkelaufzucht wäre "seinerzeit" gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB genehmigungsfähig gewesen, weil damals in der Rechtsprechung im Außenbereich noch deutlich höhere Immissionsbelastungen als zumutbar angesehen worden seien. Dies habe insbesondere für Wohnnutzungen gegolten, die - wie die dem Kläger 2013 genehmigte Wohnnutzung - nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB zugelassen wurden. Der Bestandsschutz sei auch nicht nachträglich wieder entfallen, weil das Gebäude bereits seit über 30 Jahren vorhanden sei und auch relevante Grundrissänderungen nicht erkennbar seien. Auch die Nutzung des Gebäudes als Ferkelstall sei weder aufgegeben noch unterbrochenoder geändert worden. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass die variierende Anzahl der gehaltenen Ferkel mit deren unterschiedlichem Gewicht zu erklären sei. Außerdem habe der Kläger - insbesondere auch vor dem Hintergrund der von ihm im Jahr 2013 beantragten Nutzungsänderung - seine Nachbarrechte verwirkt. Die Geruchssituation bestehe schon seit vielen Jahren. Schließlich sei der Kläger mit seinem Sachvortrag ab dem Schriftsatz vom 2. November 2020 gemäß § 6 UmwRG ausgeschlossen.
18Darauf hat der Kläger im Wesentlichen entgegnet: Bei den in Nr. 3.1 des Anhangs 7 zur TA-Luft genannten Werten für den Außenbereich sei zu berücksichtigen, dass es sich lediglich um Orientierungswerte handele. Ein "Regelfall" in dem dort genannten Sinne liege nicht vor, weil in der näheren Umgebung seit Jahrzehnten ein Strukturwandel stattfinde, durch den die ursprüngliche landwirtschaftliche Prägung an Bedeutung verliere. Außerdem sei nicht gewährleistet, dass die für den Regelfall vorgesehene Belastung von maximal 20 % der Jahresgeruchsstunden nicht überschritten werde. Auf Bestandsschutz könne sich die Beigeladene nicht berufen, weil die Ferkelaufzucht zu keinem Zeitpunkt formell legal gewesen sei. Im Übrigen sei für die Annahme von Bestandsschutz der Sachverhalt nicht hinreichend ausermittelt. Aber selbst wenn im vorliegenden Fall zunächst Bestandsschutz angenommen werden würde, habe hier eine derart umfangreiche Nutzungsintensivierung stattgefunden, dass ein etwaiger früherer Bestandsschutz wieder entfallen wäre. Darüber hinaus stünde ein etwaiger Bestandsschutz nur einer Nutzungsuntersagung oder einer Beseitigungsverfügung entgegen, nicht aber einem sonstigen bauaufsichtlichen Einschreiten, insbesondere der Anordnung des Einreichens von Bauvorlagen. Der Kläger habe seinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten auch nicht verwirkt, denn er habe sich seit 2013 wiederholt gegen die formell illegale Tierhaltung der Beigeladenen gewendet und dies mit der steigenden Geruchsbelastung begründet. § 6 UmwRG komme hier schon deshalb nicht zum Tragen, weil der nachfolgende Vortrag lediglich vertiefender Natur sei. Außerdem sei § 6 UmwRG nicht ohne Weiteres auf Verpflichtungssituationen anwendbar, in denen das Gericht im Regelfall die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zugrunde lege.
19Anlässlich eines am 16. August 2023 durchgeführten Ortstermins hat die Berichterstatterin die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll zum Ortstermin verwiesen.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten zum Verfahren 1 K 2220/15 (zwei Hefter) und die Verwaltungsvorgänge (ein Ordner, elf Hefter) Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe:
22Die Klage ist zulässig und begründet.
23A. Die Klage ist zulässig.
24I. Die Klage ist als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) in Form der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) statthaft. Die Frist des § 75 Satz 2 VwGO ist eingehalten. Die am 18. Juni 2020 bei Gericht eingegangene Klage ist erst nach Ablauf von drei Monaten seit der Stellung des Antrags auf bauaufsichtliches Einschreiten bei dem Beklagten am 20. Februar 2020 erhoben worden. Dieser Antrag ist bis heute ohne zureichenden Grund nicht beschieden worden.
25II. Der Antrag des Klägers ist auch hinreichend bestimmt. Das Erfordernis eines bestimmten Klageantrags ist in § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO als bloße Sollvorschrift ausgestaltet; ihm muss aber mit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung (§ 103 Abs. 3 VwGO) genügt werden. In einem bestimmten Antrag, der aus sich selbst heraus verständlich sein muss, sind Art und Umfang des begehrten Rechtsschutzes zu benennen. Damit wird der Streitgegenstand festgelegt und der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis abgesteckt sowie dem Beklagten eine präzise Verteidigung erlaubt. Zudem soll aus einem dem Klageantrag stattgebenden Urteil eine Zwangsvollstreckung möglich sein, die das Vollstreckungsverfahren nicht unter Fortsetzung des gerichtlichen Verfahrens mit Sachfragen überfrachtet. Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen materiellen Rechts und von den Umständen des Einzelfalls ab.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 -, juris Rn. 54; OVG NRW, Urteil vom 28. September 2023 - 8 A 2519/18 -, juris Rn. 55 ff.
27Gemessen daran ist der Antrag des Klägers, den Beklagten zu verpflichten, gegen den Ferkelaufzuchtbetrieb der Beigeladenen auf dem Grundstück C.-straße, J. bauaufsichtlich einzuschreiten, hinreichend bestimmt. Der Kläger war nicht gehalten, im Klageantrag konkrete Maßnahmen zu bezeichnen. Die gewählte Formulierung des Antrags trägt dem dem Beklagten zustehenden Auswahlermessen Rechnung und legt den Streitgegenstand hinreichend fest.
28Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. September 2023 - 8 A2519/18 -, juris Rn. 55 ff.
29Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beigeladenen zitierten Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz. Dieses Urteil bezieht sich auf den hier nicht vorliegenden Fall, dass die baulichen bzw. sonstigen Anlagen, die Gegenstand der Bauordnungsverfügung sein sollen, nicht hinreichend bestimmt sind.
30Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. November 2023 - 8 A 10168/23 -, juris Rn. 86.
31B. Unter Berücksichtigung des vollumfänglich zu berücksichtigenden Vorbringens des Klägers (I.) ist die Klage auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erlass einer Bauordnungsverfügung gegen den Beklagten zu, der Beigeladenen ab zehn Wochen nach Eintritt der Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung die Nutzung des Gebäudes XE. auf dem Grundstück W.-straße, J. (Gemarkung KI., Flur 10, Flurstück 61) als Stall für die Aufzucht von Ferkeln zu untersagen (II.).
32I. Das Vorbringen des Klägers ist vollumfänglich zu berücksichtigen. § 6 UmwRG steht dem nicht entgegen.
331. Die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 6 UmwRG liegen hier schon nicht vor. Dies folgt aus § 6 Satz 1 UmwRG. Danach findet § 6 UmwRG nur auf Klagen gegen eine Entscheidung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 UmwRG oder gegen deren Unterlassung Anwendung. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 UmwRG sind hier nicht einschlägig. Diese Regelungen betreffen Entscheidungen, mit denen ein Bauvorhaben zugelassen wird (Nr. 1, 2 und 5), Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz (Nr. 3) sowie Entscheidungen über die Annahme von Plänen oder Programmen (Nr. 4). Darum geht es hier nicht. Vielmehr macht der Kläger einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten geltend. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG liegen ebenfalls nicht vor. Diese Regelung betrifft Verwaltungsakte über Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 5, die der Einhaltung umweltbezogener Rechtsvorschriften dienen. An einer solchen Entscheidung fehlt es hier bezogen auf das streitgegenständliche Gebäude XE.. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG erfasst keine selbstständigen Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen, also solche Maßnahmen, deren rechtliche Voraussetzungen unabhängig von einer vorangegangenen Entscheidung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 UmwRG sind.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2021 - 4 C 2.19 -, juris Rn. 22; Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: April 2018, § 1 UmwRG Rn. 121.
352. Im Übrigen wäre der Kläger selbst bei Anwendung des § 6 Satz 2 UmwRG nicht mit seinem nach Ablauf der zehnwöchigen Frist zur weiteren Begründung seiner Klage (hier: 27. August 2020) erfolgten Vortrag ausgeschlossen. Denn der Kläger hat mit seiner Klageschrift vom 18. Juni 2020 den wesentlichen Prozessstoff vorgetragen und dargelegt, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten die streitgegenständliche Ferkelaufzucht angegriffen wird. Mit seinem nach Ablauf der Klagebegründungsfrist erfolgten Tatsachenvortrag hat der Kläger seinen bisherigen Vortrag lediglich in zulässiger Weise vertieft.
36Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2022 - 9 B 7.22 -, juris Rn. 11, und Urteil vom 27. November 2018 - 9 A 8.17 -, juris Rn. 14.
37Zudem ist hinsichtlich des erstmals mit Schriftsatz vom 17. Mai 2021 erfolgten Vortrags zur Nutzungsintensivierung der von der Beigeladenen betriebenen Ferkelaufzucht zu berücksichtigen, dass der Kläger in diesem Zusammenhang auf den Vortrag des Beklagten zum Bestandsschutz sowie zur Verwirkung reagiert hat. Insoweit wäre die Anwendung von § 6 UmwRG schon deshalb ausgeschlossen, weil es dem Kläger nicht zumutbar ist, den Vortrag des Beklagten vor Ablauf der Klagebegründungsfrist zu antizipieren.
38Vgl. Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: April 2018, § 6 UmwRG Rn. 65.
39II. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erlass einer Bauordnungsverfügung gegen den Beklagten zu, der Beigeladenen ab zehn Wochen nach Eintritt der Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung die Nutzung des Gebäudes XE. auf dem Grundstück W.-straße, J. (Gemarkung KI., Flur 00, Flurstück 00) als Stall für die Aufzucht von Ferkeln zu untersagen.
40Ein auf die Eingriffsermächtigung der §§ 58 Abs. 2 Satz 2, 82 Abs. 1 BauO NRW gestützter Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine bauliche Anlage setzt voraus, dass das angegriffene Bauvorhaben - wie hier - nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt ist, zu Lasten des Nachbarn gegen Nachbarrechte verstößt (1.) und das behördliche Ermessen im Sinne eines Einschreitens reduziert ist (2.). Zudem darf der Nachbar diesen Anspruch nicht verwirkt haben (3.).
41Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Juli 2023 - 2 A 2535/21 -, juris Rn. 17, und vom 16. März 2009 - 10 A 259/08 -, juris Rn. 5.
42Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
431. Die Ferkelaufzucht der Beigeladenen verstößt zu Lasten des Klägers gegen Nachbarrechte (a.). Bestandsschutz, auf den sich der Beklagte und die Beigeladene berufen, steht dem nicht entgegen (b.).
44a. Die von der Beigeladenen betriebene Ferkelaufzucht verletzt den Kläger in ihn schützenden Nachbarrechten. Bei der Prüfung, ob ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten besteht, ist bereits dann von einer solchen Verletzung auszugehen, wenn ein genehmigungsbedürftiges Vorhaben - wie hier - ungenehmigt in Betrieb geht und dieses Vorhaben den Nachbarn mit Immissionen konfrontiert, deren Ausmaß ungeprüft ist (aa.) und bei typisierender Betrachtung das objektiv erkennbare Potenzial in sich trägt, konkret rücksichtslos zu sein (bb.). Der Vorhabenträger, der sich nicht rechtstreu verhält, soll insofern nicht besser stehen als der Vorhabenträger, der sich rechtmäßig verhält und ein Genehmigungsverfahren durchläuft.
45Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2013 - 2 A 1227/13 -, juris Rn. 14.
46aa. Das Ausmaß der von der Ferkelaufzucht der Beigeladenen verursachten Immissionen ist ungeprüft. Zwar wurde im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zum Neubau eines Sauenstalls u.a. das Gutachten der Landwirtschaftskammer NRW vom 6. Dezember 2016 (ergänzt unter dem 17. Juli 2017) eingeholt, welches auch im Genehmigungsverfahren für die Ferkelaufzucht Verwendung finden sollte. Dieses im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über sechs Jahre alte Gutachten liegt jedoch - wie bereits durch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen festgestellt - nicht auf der sicheren Seite.
47Vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen im Beschluss vom 24. April 2019 - 2 A 1906/18 -, juris Rn. 18 ff. und 25 ff., denen sich die Kammer anschließt.
48Deshalb ist dieses Gutachten auch nicht geeignet, eine dem Kläger gegenüber rücksichtslose Geruchsbelästigung auszuschließen. Im Übrigen geht der Beklagte selbst, wie er dem Kläger mit Schreiben vom 27. Juni 2019 mitgeteilt hat, davon aus, dass für die Ferkelaufzucht ein neues Geruchsgutachten erforderlich ist.
49bb. Die von der Ferkelaufzucht der Beigeladenen verursachten Immissionen tragen bei typisierender Betrachtung das objektiv erkennbare Potenzial in sich, dem Kläger gegenüber konkret rücksichtslos zu sein.
50Ob ein Vorhaben einem Nachbarn gegenüber rücksichtlos ist, richtet sich im Außenbereich nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Diese Norm bestimmt, dass einem Außenbereichsvorhaben öffentliche Belange auch dann entgegenstehen, wenn es schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann. Die Vorschrift verweist auf die Begriffsbestimmung der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 3 Abs. 1 BImSchG, worunter auch Geruchsimmissionen fallen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
51Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2017 - 4 C 3.16 -, juris Rn. 12.
52Dementsprechend ist der Schutz vor Immissionen im Bauplanungsrecht kein anderer und fällt nicht geringer aus als der Schutz vor Immissionen nach dem Bundes-Im-missionsschutzgesetz. Dieses Gesetz und die auf seiner Grundlage erlassenen (Rechts-) Vorschriften legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang ihres Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest.
53Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. September 2022 - 4 C 3.21 -, juris Rn. 13, sowie vom 29. November 2012 - 4 C 8.11 -, juris Rn. 19.
54Ob die Schwelle der Erheblichkeit überschritten wird, richtet sich hier nach Anhang 7 zur Technischen Anleitung Luft [(1)]. Danach ergibt sich für das Grundstück des Klägers ein zumutbarer Immissionswert von 23 % der Jahresgeruchsstunden [(2)]. Der Ferkelaufzuchtbetrieb der Beigeladenen trägt bei typisierender Betrachtung das objektiv erkennbare Potenzial in sich, zur Überschreitung dieser Schwelle beizutragen [(3)].
55(1) Ob die Schwelle der Erheblichkeit der Geruchsimmissionen überschritten wird, richtet sich hier nach Anhang 7 zur am 1. Dezember 2021 in Kraft getretenen Neufassung der Ersten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissions-schutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA Luft) vom 18. August 2021 (GMBl. 2021, Nr. 48-54, S. 1050).
56(a) Bei der Technischen Anleitung Luft handelt es sich um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift, der eine auch in gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zukommt.
57Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 2023 - 7 B 5.23 -, juris Rn. 19, Urteil vom 21. Juni 2001 - 7 C 21.00 -, juris Rn. 9, und Beschluss vom 10. Januar 1995 - 7 B 112.94 -, juris Rn. 4 ff.
58Die durch die Technische Anleitung Luft erfolgende Konkretisierung betrifft den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG). Dies gilt auch für die von ihr erfassten Gerüche. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Gerüchen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmten Gebietsarten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmte Immissionswerte zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung von Geruchsimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der Technischen Anleitung Luft nur insoweit Raum, als es selbst - z.B. durch Kann-Vorschriften oder Bewertungsspannen - Spielräume eröffnet.
59Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. November 2012 - 4 C 8.11 -, juris Rn. 19, vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 -, juris Rn. 12 (jeweils zur TA Lärm), sowie vom 21. Juni 2001 - 7 C 21.00 -, juris Rn. 11 (zu Emissionsgrenzwerten nach der Technischen Anleitung Luft).
60(b) Dass es sich bei der streitgegenständlichen Ferkelaufzucht nicht um eine nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungsbedürftige Anlage (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i.V.m. der 4. BImSchV) handelt, steht der Anwendbarkeit der Technischen Anleitung Luft nicht entgegen. Nr. 1 Abs. 6 TA Luft sieht ausdrücklich vor, dass die in Nr. 4 TA Luft festgelegten Grundsätze zur Ermittlung und Maßstäbe zur Beurteilung von schädlichen Umwelteinwirkungen herangezogen werden sollen, soweit im Hinblick auf Pflichten der Betreiber von nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BImSchG zu beurteilen ist, ob schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen vorliegen. Für die Prüfung baurechtlicher Vorschriften - hier des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB - misst sich die an die Immissionsschutzbehörden gerichtete Verwaltungsvorschrift zwar keine Geltung bei. Dass sie auch insoweit zu beachten ist, ergibt sich jedoch aus dem Baurecht selbst, das mit dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen - wie bereits dargelegt - das Immissionsschutzrecht in Bezug nimmt.
61Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 2007 - 4 C 2.07 -, juris Rn. 14 zur Technischen Anleitung Lärm.
62(c) Die Übergangsregelung in Nr. 8 TA Luft steht der Anwendung der Neufassung der Technischen Anleitung Luft ebenfalls nicht entgegen. Danach sollen Genehmigungsverfahren nach den Vorgaben der Technischen Anleitung Luft von 2002 zu Ende geführt werden, wenn vom Vorhabenträger vor dem 1. Dezember 2021 ein vollständiger Genehmigungsantrag gestellt wurde. Im vorliegenden Fall geht es schon nicht um ein Genehmigungsverfahren; vielmehr macht der Kläger einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten geltend. Darüber hinaus lag vor dem 1. Dezember 2021 auch kein vollständiger Genehmigungsantrag für die Ferkelaufzucht der Beigeladenen vor, weil bisher von der Beigeladenen - auch aus Sicht des Beklagten als Genehmigungsbehörde - kein taugliches Geruchsgutachten vorgelegt worden ist.
63(2) Nach den Vorgaben der Technischen Anleitung Luft ergibt sich für das Grundstück des Klägers ein zumutbarer Immissionswert von 23 % der Jahresgeruchsstunden. Mit Anhang 7 zur Technischen Anleitung Luft wurden wesentliche Teile der Geruchsimmissions-Richtlinie - GIRL - (MBl. NRW 2009, S. 533) in die Technische Anleitung Luft übernommen.
64Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. August 2023 - 7 B 5.23 -, juris Rn. 19; Grimm, Agrar- und Umweltrecht 2021, 446, 447.
65Mit der Übernahme dieser Vorgaben in eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift wurde deren Verbindlichkeit - wie bereits dargelegt - erhöht. Die Vorgaben der Geruchsimmissions-Richtlinie waren nicht rechtssatzartig im Sinne einer Grenzwertregelung anzuwenden, sondern "nur" als Orientierungshilfe im Rahmen einer umfassenden Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
66Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. September 2022 - 4 C 3.21 -, juris Rn. 11 und 14, und vom 27. Juni 2017 - 4 C 3.16 -, juris Rn. 15.
67Gemäß Nr. 4.3.2 TA Luft i.V.m. Nr. 3.1 Unterabs. 3 Satz 2 des Anhangs 7 zur TA Luft ist es bei der Geruchsbeurteilung im Außenbereich unter Prüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalls möglich, Werte von 0,20 (Regelfall) bis 0,25 (begründete Ausnahmen) für Tierhaltungsgerüche heranzuziehen. Entgegen der Ansicht des Klägers ist der zumutbare Immissionswert innerhalb dieser Spanne festzusetzen; die Festsetzung eines niedrigeren Immissionswerts ist ausgeschlossen [(a)]. Der innerhalb dieser Spanne für das Grundstück des Klägers festzusetzende Immissionswert liegt unter Berücksichtigung und Gewichtung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalls für Tierhaltungsgerüche bei 23 % der Jahresgeruchsstunden [(b)]. Die Nebenbestimmung M02 zu der dem Kläger erteilten Baugenehmigung vom 17. Januar 2013 steht dem nicht entgegen [(c)].
68(a) Bei den in Nr. 3.1 Unterabs. 3 Satz 2 des Anhangs 7 zur TA Luft genannten Werten für Tierhaltungsgerüche von 20 % und 25 % der Jahresgeruchsstunden handelt es sich um die Unter- sowie die Obergrenze zur Bestimmung der zulässigen Geruchsbelastung. Dies schließt sowohl die Festsetzung eines niedrigeren als auch die Festsetzung eines höheren Immissionswerts aus. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut von Nr. 3.1 Unterabs. 3 Satz 2 des Anhangs 7 zur TA Luft. Dieser eröffnet nur innerhalb einer Bewertungsspanne von 0,20 (Regelfall) bis 0,25 (begründete Ausnahme) einen Spielraum für den Rechtsanwender, nicht aber unterhalb oder oberhalb dieser Spanne. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang ausführt, dass angesichts des in der näheren Umgebung stattfindenden Strukturwandels ein Regelfall im Sinne der Nr. 3.1 Unterabs. 3 Satz 2 des Anhangs 7 zur TA Luft nicht angenommen werden könne, ist dieser Aspekt bei der Bestimmung der zulässigen Geruchsbelastung innerhalb der vorgegebenen Spanne zu berücksichtigen.
69(b) Der zwischen 20 % und 25 % der Jahresgeruchsstunden festzusetzende Immissionswert liegt hier unter Berücksichtigung und Gewichtung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalls für Tierhaltungsgerüche bei 23 % der Jahresgeruchsstunden.
70(aa) Bei der Prüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalls stellt das Gericht auf die in der Rechtsprechung zur Geruchsimmissions-Richtlinie entwickelten Kriterien zur Bestimmung der zumutbaren Geruchsbelastung im Außenbereich - Ortsüblichkeit und Siedlungsstruktur, Nutzung des betreffenden Gebäudes, historische Entwicklung und besondere Ortsgebundenheit von Immissionsquellen - ab.
71Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. September 2022 - 4 C 3.21 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 1. Juni 2015 - 8 A1577/14 -, juris Rn. 84 ff. und 95 ff.
72Diese Kriterien wurden zur Beantwortung der Frage entwickelt, ob und ggf. inwieweit Tierhaltungsgerüche von mehr als 15 % der Jahresgeruchsstunden auf im Außenbereich gelegenen Grundstücken zumutbar sind. Diese Frage ist mit der hier zu klärenden Frage, ob ein Richtwert von mehr als 20 % der Jahresgeruchsstunden festzusetzen ist, weitgehend deckungsgleich. Der Unterschied liegt allein beim Ausgangswert (15 bzw. 20 % der Jahresgeruchsstunden). Dass der unterschiedliche Ausgangswert bei der Ermittlung der Zumutbarkeitsgrenze im konkreten Einzelfall die Berücksichtigung unterschiedlicher Kriterien verlangt, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
73(bb) Die vorstehend aufgeführten Kriterien sind wie folgt zu konkretisieren:
74Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Juni 2015 - 8 A 1577/14 -, juris Rn. 95 ff.
75Für die Frage, ob und ggf. wie weit der Immissionswert bis zu einem Wert von 25 % der Jahresgeruchsstunden zu erhöhen ist, kommt es zunächst maßgeblich auf die Ortsüblichkeit im Sinne einer Vorprägung der maßgeblichen Umgebung an. Weist die Umgebung, in der die betreffende Anlage sowie der Immissionsort liegen, eine Prägung durch landwirtschaftliche Nutzungen - zum Beispiel durch das Vorhandensein mehrerer Betriebe auf engem Raum - auf, müssen dort wohnende Personen Gerüche etwa aus der Tierzucht in höherem Umfang hinnehmen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich aufgrund der historischen Entwicklung landwirtschaftliche Prägungen über einen langen Zeitraum entwickeln und sich in der Folge auch nur allmählich verändern oder abschwächen. In einem derartigen Umfeld bedarf auch die Siedlungsstruktur der Berücksichtigung. Einzelnen Wohnnutzungen im Außenbereich kommt - losgelöst von den nachfolgenden Faktoren - ein geringeres Gewicht zu als etwa Wohnbebauung unterhalb der planungsrechtlichen Schwelle des § 34 Abs. 1 BauGB beispielsweise in Form von sog. Weilern, Straßendörfern oder Streusiedlungen.
76Darüber hinaus kann Wohnnutzungen im Außenbereich, die im Zusammenhang mit Tierhaltungsanlagen stehen, ein geringerer Schutzanspruch zukommen. Insoweit ist - generalisierend - davon auszugehen, dass eine wechselseitige Rücksichtnahme im Hinblick auf die Geruchssituation im Sinne eines "Gebens und Nehmens" erfolgt und eine Hinnahme der Gerüche anderer Tierhaltungen in dem Wissen erfolgt, dass auch umgekehrt geruchliche Belastungen hingenommen werden. Reinen Wohnnutzungen ohne diese wechselbezügliche Belastung kann mithin ein höherer Schutzanspruch gegenüber Tiergerüchen zukommen.
77Im Sinne einer historischen Betrachtung ist dabei nicht nur der jetzige Zustand in die Wertung einzubeziehen, sondern auch die Nutzung in der Vergangenheit. Einem Gebäude, das auch in der Vergangenheit stets nur zu Wohnzwecken ohne besondere Zweckbestimmung gedient hat, kann ein höherer Schutzanspruch zukommen als solchen Wohnhäusern, die zwar heute nur noch Wohnzwecken dienen, aber ursprünglich Teil einer landwirtschaftlichen Hofstelle mit Tierhaltung waren, auch wenn diese aufgegeben worden ist. Diese nehmen dabei jedenfalls regelmäßig im Fall der Aufgabe der Landwirtschaft die Privilegierung des § 35 Abs. 4 Satz 1 BauGB in Anspruch, so dass sich ihr Vorhandensein von der bisherigen Landwirtschaft ableitet. In welchem Umfang und wie lange ein geringerer Schutzanspruch nachwirkt, bedarf der Bewertung im Einzelfall, wobei der Umfang der jeweiligen Tierhaltung und die damit einhergehende Geruchsbelastung ebenso Berücksichtigung finden können wie die weitere Entwicklung der Umgebung. Solange die Umgebung weiterhin von landwirtschaftlicher Nutzung geprägt ist und insoweit die Wechselbezüglichkeit grundsätzlich fortbesteht, kann auch ein höheres Maß an Geruchsimmissionen hinzunehmen sein.
78Schließlich kann auch die besondere Ortsgebundenheit der Anlage Eingang in die Bewertung finden. Ist eine solche Anlage Teil eines landwirtschaftlichen Betriebs im Sinne des § 201 BauGB, ist zu berücksichtigen, dass dieser mit der Hofstelle und den zu ihr gehörenden landwirtschaftlichen Flächen besonders verbunden ist. Die bodenbezogene Urproduktion auf diesen Flächen, die die Tierhaltung auf der Basis überwiegend eigener Futtergrundlage erst ermöglicht, setzt eine angemessene Berücksichtigung der besonderen betrieblichen Belange voraus. Die Standortwahl für betriebsbezogene Gebäude muss sich dabei maßgeblich an Zweckmäßigkeitserwägungen einer sachgerechten landwirtschaftlichen Betriebsführung ausrichten. Hierzu gehört auch eine räumliche Nähe zwischen den eigenen landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden und der Hofstelle, welche etwa die Versorgung des Tierbestands mit selbst produziertem Futter maßgeblich erleichtert. Derartige Belange kann eine im Außenbereich allein aufgrund der von ihr ausgehenden nachteiligen Wirkung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert zulässige gewerbliche Tierhaltung nicht für sich in Anspruch nehmen, da eine Bindung an landwirtschaftliche Produktionsflächen nicht besteht. Allein die Tatsache, dass etwa Eigentumsflächen im Außenbereich vorhanden sind, oder sonstige betriebliche Vorteile wie die Nähe zu einem zugehörigen Wohnhaus stehen dem nicht gleich.
79(cc) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist bezogen auf das Grundstück des Klägers für Tierhaltungsgerüche von einem Immissionswert von 23 % der Jahresgeruchsstunden auszugehen. Der im Regelfall anzunehmende Immissionswert von 20 % der Jahresgeruchsstunden ist hier schon angesichts des nicht unerheblich landwirtschaftlich geprägten Umfelds zu erhöhen. In der maßgeblichen Umgebung sowohl des Betriebs der Beigeladenen als auch der ehemaligen Hofstelle des Klägers stellen sich von der Tierhaltung ausgehende Gerüche auch heute noch als ortsüblich dar. Die maßgebliche Umgebung ist bereits seit langer Zeit durch landwirtschaftliche Nutzung und verschiedene Tierhaltungsbetriebe geprägt. Auch heute noch befinden sich auf engem Raum, nämlich in einer Entfernung von weniger als 200 m von der ehemaligen Hofstelle des Klägers, drei landwirtschaftliche Hofstellen mit umfangreichem Tierbestand. Dabei handelt es sich um die Hofstellen X. (170 Sauen sowie der streitgegenständliche Ferkelstall), die südlich der ehemaligen Hofstelle des Klägers gelegene Hofstelle Y. mit umfangreicher Sauen-, Ferkel- und Hühnerhaltung (vgl. Bl. 163R der Beiakte 1) sowie die nordöstlich der ehemaligen Hofstelle des Klägers gelegene Hofstelle O., auf der einige Rinder sowie in großem Umfang Sauen und Mastschweine (vgl. Bl. 163R der Beiakte 1) gehalten werden. In der mündlichen Verhandlung waren sich die Beteiligten darüber einig, dass auf diesen Hofstellen weiterhin in erheblichem Umfang Tiere gehalten werden. Hinzu kommen einige Pferde auf der etwa 600 m östlich der ehemaligen Hofstelle des Klägers gelegenen Hofstelle Z. Zudem werden die umliegenden Flächen - wie die von der Kammer eingesehenen Luftbilder (www.tim-online.nrw.de) zeigen - fast ausschließlich landwirtschaftlich genutzt.
80Andererseits lässt sich in der maßgeblichen Umgebung auch ein gewisser Strukturwandel feststellen, der bereits in den 60er Jahren eingesetzt hat. Nach den Angaben des Klägers wurde die Tierhaltung auf den ehemaligen Hofstellen A. und D. inzwischen aufgegeben. Zudem gibt es in der näheren Umgebung einige Gewerbebetriebe. Hier sind insbesondere das etwa 550 m von der Hofstelle des Klägers entfernte, bereits seit den 60er Jahren bestehende Reise- und Speditionsunternehmen M., der etwa in gleicher Entfernung von der Hofstelle des Klägers entfernt liegende Handwerksbetrieb C. sowie der etwa 900 m von der Hofstelle des Klägers entfernt liegende Limousinenservice N., in dessen Betriebsräumen sich bereits seit Ende der 50er Jahre ein Tiefkühlunternehmen befand, zu nennen. Hinzu kommen einige in der näheren Umgebung befindliche Wohnnutzungen, die allerdings zum Teil noch mit einem landwirtschaftlichen Betrieb verbunden sind. Insgesamt vermag der beginnende Strukturwandel die landwirtschaftliche Prägung der näheren Umgebung aber nur etwas abzuschwächen.
81Die Siedlungsstruktur stellt sich als äußerst zersiedelt dar; (ehemalige) Einzelhöfe, größtenteils mit Wirtschaftsgebäuden, dominieren die nähere Umgebung. Eine größere Ansammlung von etwa zehn Wohnhäusern befindet sich erst in einer Entfernung von rund 750 m in südwestlicher Richtung an der Straße "OK.-straße".
82Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass auch auf dem klägerischen Grundstück Tiere gehalten wurden. Jedoch wurde die nach den nicht angegriffenen Angaben des Klägers erheblich geringere Tierhaltung (sieben Milchkühe und zwölf Zuchtsauen nebst Nachzucht), von der keine vergleichbar hohe Geruchsbelastung ausging wie von den in der Nähe befindlichen Betrieben, bereits 1988 und damit vor mehr als 35 Jahren aufgegeben. Aufgrund des erheblich geringen Umfangs dieser Tierhaltung und der damit verbundenen niedrigeren Geruchsbelastung sowie der zeitlichen Komponente besteht hier im Verhältnis des Klägers zu den in der Umgebung befindlichen Tierhaltungsbetrieben keine Pflicht zur wechselseitigen Rücksichtnahme mehr.
83Eine ins Gewicht fallende Ortsgebundenheit der streitgegenständlichen Ferkelaufzucht vermag das Gericht ebenfalls nicht festzustellen. Zwar ist die Ferkelaufzucht der Beigeladenen in die Betriebsabläufe der von der Beigeladenen betriebenen Schweinemast und die vom Vertreter der Beigeladenen auf der Hofstelle X. betriebenen Sauenhaltung eingegliedert und gehört die streitgegenständliche Ferkelaufzucht zu einem landwirtschaftlichen Betrieb i.S.d. § 201 BauGB. Der Beigeladenen ist zuletzt 2018 von der Landwirtschaftskammer NRW (Bl. 221 Beiakte 1) bescheinigt worden, dass sie über die für eine Einstufung als landwirtschaftlicher Betrieb erforderlichen Flächen verfügt. Es ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass sich die damals von der Landwirtschaftskammer zugrundegelegten Tierplatzzahlen wesentlich geändert haben. Im Vergleich zu damals (59,02 ha) verfügt die Beigeladene nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Vertreters der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung jedoch nunmehr mit 82 ha um eine etwa ein Viertel größere landwirtschaftliche Nutzfläche.
84Eine ins Gewicht fallende Ortsbindung ist aber deshalb zu verneinen, weil sich die von der Beigeladenen betriebenen Ställe für die Schweinmast und die Ferkelaufzucht bereits jetzt auf mehrere, nicht in unmittelbarer Nähe zueinander liegende Hofstellen verteilen. Die Beigeladene betreibt Ställe auf den bereits genannten Hofstellen X. und Y. sowie auf der in SV.-EB. gelegenen Hofstelle Z. Zwar liegen die Hofstellen X. und Y. nur etwa 250 m auseinander, die Entfernung zur Hofstelle Z. beträgt aber über zwei Kilometer. Angesichts dieser Umstände tritt die für die Standortwahl eines landwirtschaftlichen Betriebsgebäudes maßgebliche Nähe zur Hofstelle, welche insbesondere die Versorgung des Tierbestands mit selbst produziertem Futter maßgeblich erleichtert, für den landwirtschaftlichen Betrieb der Beigeladenen in den Hintergrund.
85Bei einer Gesamtwürdigung der vorstehend dargelegten Umstände - mehrere Tierhaltungsbetriebe mit beträchtlichem Tierbestand innerhalb kurzer Entfernung von der ehemaligen Hofstelle des Klägers, Siedlungsstruktur geprägt durch (ehemalige) Einzelhöfe, größtenteils mit Wirtschaftsgebäuden, seit den 60er Jahren einsetzender Strukturwandel, der die landwirtschaftliche Prägung der näheren Umgebung etwas abschwächt, erheblich geringere Tierhaltung auf der ehemaligen Hofstelle des Klägers, die zudem bereits 1988 aufgegeben wurde und resultierend daraus keine fortbestehende Verpflichtung des Klägers zur gegenseitigen Rücksichtnahme, keine ins Gewicht fallende Ortsgebundenheit der streitgegenständlichen Ferkelaufzucht - kommt das Gericht für das Grundstück des Klägers zu einem Immissionswert von 23 % der Jahresgeruchsstunden.
86(c) Die Nebenbestimmung M02 zu der dem Kläger erteilten Baugenehmigung vom 17. Januar 2013 steht dem nicht entgegen. Diese Nebenbestimmung sieht vor, dass die dorfgebietstypischen Immissionen, ausgehend von den umliegenden landwirtschaftlichen Betrieben, von den zukünftigen Bewohnern hinzunehmen sind und dass Einschränkungen bzw. Einsprüche gegen die Betriebe der Umgebung daher ausgeschlossen sind, so lange eine ordnungsgemäße Betriebsführung nach dem Stand der Technik erfolgt. Diese Nebenbestimmung ist schon nicht dahingehend zu verstehen, dass der - grundsätzlich sowohl gemäß Nr. 3.1 GIRL als auch gemäß Nr. 3.1 des Anhangs 7 zur TA Luft - vorgesehene Immissionswert von 15 % der Jahresgeruchsstunden für Dorfgebiete als für das Grundstück des Klägers maßgeblicher Immissionswert festgesetzt werden sollte.
87A.A. wohl OVG NRW, Urteil vom 24. April 2019 - 2 A 1906/18 -, juris Rn. 28 ff.
88Vielmehr ist diese Nebenbestimmung aus Sicht eines objektiven Dritten in der Position des Adressaten dieser Baugenehmigung
89- vgl. allgemein zur Auslegung von Verwaltungsakten BVerwG, Urteil vom 19. März 2013 - 5 C 16.12 -, juris Rn. 10, und zur Auslegung von Nebenbestimmungen BSG, Urteil vom 11. Juni 1987 - 7 Rar 105/85 -, juris Rn. 23; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 24. Auflage 2023, § 36 Rn. 52 -
90unabhängig davon, ob eine solche Nebenbestimmung rechtlich zulässig ist, so zu verstehen, dass die von den umliegenden landwirtschaftlichen Betrieben ausgehenden und für eine dörfliche Umgebung typischen Emissionen von den zukünftigen Bewohnern hingenommen werden müssen. Ausweislich des zweiten Satzes dieser Nebenbestimmung war es das Ziel des Beklagten, mit dieser Nebenbestimmung zu verhindern, dass gegen die umliegenden landwirtschaftlichen Betriebe wegen der von ihnen ausgehenden Emissionen vorgegangen wird. Dieses Verständnis hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
91Darüber hinaus gilt die Nebenbestimmung M02 nicht länger fort, da sie zwischenzeitlich zusammen mit der Baugenehmigung, zu der sie erteilt wurde, erloschen ist. § 75 Abs. 1 BauO NRW bestimmt, dass eine Baugenehmigung erlischt, wenn innerhalb von drei Jahren nach ihrer Erteilung mit der Ausführung des Bauvorhabens nicht begonnen oder die Bauausführung länger als ein Jahr unterbrochen worden ist. Diese Fristen galten auch schon gemäß § 77 Abs. 1 BauO NRW in der Fassung durch Bekanntmachung vom 1. März 2000 (GV NRW S. 256). Danach ist die Baugenehmigung inzwischen erloschen, weil der Kläger das genehmigte Vorhaben seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge nicht umgesetzt hat. Dass die vorstehend genannten Fristen gemäß § 75 Abs. 2 BauO NRW über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg mehrfach um ein Jahr verlängert wurden, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
92(3) Der Ferkelaufzuchtbetrieb der Beigeladenen trägt bei typisierender Betrachtung das objektiv erkennbare Potenzial in sich, auf dem Grundstück des Klägers zur Überschreitung des dort maßgeblichen Immissionswerts von 23 % der Jahresgeruchsstunden beizutragen. Dies lässt sich angesichts des Umstands, dass sich - wie bereits dargelegt - in einer Entfernung von weniger als 200 m vom Grundstück des Klägers drei landwirtschaftliche Hofstellen mit umfangreichem Tierbestand befinden, ohne Durchführung eines Genehmigungsverfahrens und der Einholung eines aktuellen Geruchsgutachtens nicht mit der erforderlichen Sicherheit ("auf der sicheren Seite") ausschließen. Dementsprechend soll die Vorbelastung auf dem Grundstück des Klägers ohne Berücksichtigung sämtlicher Anlagen auf der Hofstelle X. ausweislich eines Gutachtens der Landwirtschaftskammer NRW vom 6. Dezember 2016 (Bl. 182R Beiakte 1) bereits bei 16,2 % der Jahresgeruchsstunden liegen. Dies ist unabhängig davon, ob dieses Gutachten seinerseits auf der sicheren Seite liegt, ein weiteres gewichtiges Indiz dafür, dass die Frage, ob der Immissionswert von 23 % der Jahresgeruchsstunden auf dem Grundstück des Klägers sicher eingehalten wird, nicht ohne ein neues Geruchsgutachten beurteilt werden kann.
93b. Der vom Beklagten und der Beigeladenen geltend gemachte Bestandsschutz steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen.
94aa. Der Beklagte und die Beigeladene können sich schon deshalb nicht mit Erfolg auf Bestandsschutz berufen, weil sich der aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 hergeleitete Bestandsschutz für genehmigungsbedürftige bauliche Anlagen nur auf den genehmigten Bestand und die genehmigte Nutzung erstreckt. Verfassungsrechtlichen Schutz genießt eine Eigentumsposition im Bereich des Baurechts nur im Rahmen der mit ihr zulässigerweise verbundenen gesetzlichen Befugnisse.
95Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1998 - 4 C 10.97 -, juris Rn. 25 ff.
96Inhalt und Schranken des Eigentums werden aber auch durch gesetzliche Genehmigungspflichten bestimmt. Daher können nur eine formell baurechtmäßige Anlage und eine formell baurechtmäßige Nutzung gegenüber Änderungen der Baurechtsordnung in ihrem Bestand geschützt sein. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG setzt danach voraus, dass das Vorhaben sowohl formell als auch materiell rechtmäßig ist, um Bestandsschutz genießen zu können.
97Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. März 2022 - 2 A 515/21 -, juris Rn. 25 ff.; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 17. Dezember 2021 - 1 LA 91/20 -, juris Rn. 27; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 9. November 2020 - 3 S 2590/18 -, juris Rn. 84 ff.; Bayerischer VGH, Urteil vom 17. Oktober 2006 - 1 B 05.1429 -, juris Rn. 62 und 87 ff.; Decker, in: Busse/Kraus, BayBO, Art. 76 Rn. 117 (Stand: Oktober 2009).
98Gemessen daran genießt die Ferkelaufzucht der Beigeladenen im Gebäude XE. schon deshalb keinen Bestandsschutz, weil sie unstreitig zu keinem Zeitpunkt von einer Baugenehmigung gedeckt war.
99bb. Der Beklagte und die Beigeladene könnten sich aber auch dann nicht mit Erfolg auf Bestandsschutz berufen, wenn es - wie in Rechtsprechung und Literatur zum Teil weiterhin angenommen wird - für die Annahme von Bestandsschutz ausreichen würde, dass die betreffende bauliche Anlage im Zeitpunkt ihrer Errichtung bzw. später während eines nennenswerten Zeitraums materiell mit dem geltenden Baurecht übereingestimmt hat.
100Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. April 2022 - 1 BvL 2/17 u.a. -, juris Rn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 25. April 2023 - 10 A 1450/22 -, juris Rn. 13; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24. August 2023 - 1 MB 15/23 -, juris Rn. 32; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11. Juli 2023 - 2 M 36/23 -, juris Rn. 23; Hellhammer-Hawig/Grüner, in: Schönenbroicher u.a., BauO NRW, 2. Auflage 2022, § 74 Rn. 92, Fn. 195 (jeweils ohne Auseinandersetzung mit der vorstehend zitierten Rechtsprechung); Johlen, in: Gädtke, BauO NRW, 14. Auflage 2023, § 74 Rn. 177 f.
101Allerdings entfällt ein unter diesen Voraussetzungen einmal entstandener materieller Bestandsschutz wieder, wenn die Nutzung zu einem späteren Zeitpunkt quantitativ oder qualitativ wesentlich intensiviert wurde. Eine solche Nutzungsintensivierung liegt vor, wenn durch sie die bei der Zulässigkeit der Nutzung zu berücksichtigenden Entscheidungsparameter ergebnisrelevant verändert werden.
102Vgl. für formell bestandsgeschützte Nutzungen BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1995 - 4 C 20.94 -, juris Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 11. Februar 2014 - 2 D 15/13.NE -, juris Rn. 137; siehe für formell oder materiell bestandsgeschützte Nutzungen auch Reidt, in: Battis u.a., BauGB, 15. Auflage 2022, § 29 Rn. 18; Hellhammer-Hawig/Grüner, in: Schönenbroicher u.a., BauO NRW, 2. Auflage 2022, § 74 Rn. 92, Fn. 197.
103Die Beweislast dafür, dass die Nutzung einer baulichen Anlage Bestandsschutz genießt, trägt derjenige, der sich auf den Bestandsschutz beruft.
104Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1979 - 4 C 86.76 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 1999 - 10 B 1687/99 -, juris Rn. 10; Sächsisches OVG, Beschluss vom 18. April 2023 - 1 A 333/22 -, juris Rn. 9.
105Gemessen daran sind der Beklagte und die Beigeladene den Nachweis dafür, dass die Ferkelaufzucht der Beigeladenen über einen nennenswerten Zeitraum in der Vergangenheit genehmigungsfähig war, schuldig geblieben. Dahingestellt bleiben kann, ob die Ferkelaufzucht vor den 90er Jahren genehmigungsfähig war. Denn mit der Erhöhung des Bestands um 300 Ferkel in den 90er Jahren wurde die Nutzung des Gebäudes XE. so stark intensiviert, dass ein zu diesem Zeitpunkt möglicherweise bestehender Bestandsschutz wieder erloschen wäre. Dass die Ferkelaufzucht der Beigeladenen zu diesem oder zu einem späteren Zeitpunkt genehmigungsfähig war, haben weder der Beklagte noch die Beigeladene hinreichend dargelegt und erst recht nicht bewiesen. So fehlt es bereits an Angaben darüber, wie sich die maßgebliche Umgebung des Vorhabens und die von anderen Hofstellen ausgehende Geruchsbelastung zu diesem Zeitpunkt dargestellt haben. In Anbetracht dessen ist es schon im Ansatz nicht möglich, zu überprüfen, ob die Ferkelaufzucht schon zu diesem Zeitpunkt schädliche Umwelteinwirkungen i.S.d. auch schon damals geltenden § 35 Abs. 3 BauGB hervorgerufen hat und daher nicht genehmigungsfähig war. Im Übrigen schützt der materielle Bestandsschutz ohnehin nur vor Änderungen der Rechtslage und nicht - wie der Beklagte meint - auch vor einer Änderung der Rechtsprechung, so dass der Einwand des Beklagten, in der früheren Rechtsprechung seien im Außenbereich noch deutlich höhere Immissionsbelastungen als zumutbar angesehen worden, ins Leere geht.
106Vgl. Hellhammer-Hawig/Grüner, in: Schönenbroicher u.a., BauO NRW, 2. Auflage 2022, § 74 Rn. 92.
107Zudem wurde die Nutzung des Gebäudes XE. nach 2010 noch einmal wesentlich intensiviert. Davon ist das Gericht aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen, insbesondere den aus den Betriebsbeschreibungen der Beigeladenen hervorgehenden Angaben zum Tierbestand überzeugt (s. ausführlich dazu unter 3. b.). Dementsprechend wäre auch ein in den 90er Jahren bestehender Bestandsschutz wieder erloschen. Wie bereits dargelegt, tragen der Beklagte und die Beigeladene die Beweislast für das Bestehen von Bestandsschutz.
1082. Das dem Beklagten eingeräumte Ermessen ist auf Null reduziert. Dies gilt sowohl für das Entschließungsermessen (a.) als auch für das Handlungsauswahlermessen (b). Ein Störerauswahlermessen steht dem Beklagten nicht zu (c.).
109a. Das behördliche Entschließungsermessen ist auf Null reduziert. Eine Ermessensreduzierung auf Null erfordert, dass sich unter mehreren grundsätzlich in Betracht kommenden Maßnahmen nur eine einzige Maßnahme als ermessensfehlerfrei erweist.
110Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Dezember 1993 - 11 C 46.92 -, juris Rn. 18; OVG NRW, Urteil vom 19. November 2019 - 13 A 1326/17 -, juris Rn. 95; Wolff, in: Sodan/Ziekow, 5. Auflage 2018, § 114 Rn. 128.
111Das auf den Erlass einer bauaufsichtlichen Verfügung gerichtete Entschließungsermessen ist in aller Regel dann auf Null reduziert, wenn die Baurechtswidrigkeit einer Anlage auch auf der Verletzung von nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Rechts beruht. In solchen Fällen muss dem rechtswidrigen Zustand grundsätzlich abgeholfen werden, wenn einem Einschreiten nicht ausnahmsweise besondere Gründe entgegenstehen. Solche Gründe liegen insbesondere dann vor, wenn eine Befreiung oder eine Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften in Betracht kommt, übergeordnete, sich aus der Sache selbst ergebende öffentliche Interessen einem Einschreiten entgegenstehen oder sich die Abweichung von der nachbarschützenden Vorschrift im Bagatellbereich hält. Der Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist ferner eingeschränkt, soweit dem Einschreiten durch den Beklagten seinerseits rechtliche Schranken (etwa im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) entgegenstehen. Der subjektive Anspruch des Nachbarn kann nicht weitergehen als die objektive Pflicht der Bauaufsichtsbehörde.
112Vgl. OVG NRW, Urteile vom 25. Oktober 2010 - 7 A 290/09 -, juris Rn. 28, und vom 12. November 2003 - 7 A 3663/99 -, juris Rn. 54; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. September 2023- 8 A 10168/23 -, juris Rn. 112.
113Danach ist das Entschließungsermessen des Beklagten auf Null reduziert. Wie bereits unter 1. a. dargelegt, ist hier von einem Nachbarrechtsverstoß auszugehen, weil die Ferkelaufzucht der Beigeladenen den Kläger Immissionen aussetzt, deren Ausmaß ungeprüft ist und die bei typisierender Betrachtung das objektiv erkennbare Potenzial in sich tragen, konkret rücksichtslos zu sein. Dass besondere Gründe einem bauordnungsrechtlichen Einschreiten des Beklagten entgegenstehen, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
114b. Das Handlungsauswahlermessen des Beklagten ist dahingehend auf Null reduziert, dass der Beklagte der Beigeladenen die Nutzung des Gebäudes XE. für die Ferkelaufzucht zu untersagen hat (aa.). Diese Maßnahme verstößt der Beigeladenen gegenüber nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (bb).
115aa. Das Handlungsauswahlermessen des Beklagten ist bereits deshalb zugunsten einer Nutzungsuntersagung auf Null reduziert, weil es schon an einer anderen Maßnahme fehlt, die der Beklagte ergreifen könnte, um die festgestellte Verletzung von Rechten des Klägers zu beseitigen.
116Die vom Kläger angesprochene Alternative, die Verpflichtung des Beklagten, die Beigeladene zur Stellung eines Bauantrags oder zur Einreichung von Bauvorlagen zu verpflichten, ist rechtlich nicht zulässig. Auch § 58 Abs. 2 BauO NRW ermächtigt die Bauaufsichtsbehörde nicht, einem Bauherrn, der formell baurechtswidrig eine bauliche Anlage errichtet oder mit ihrer Errichtung begonnen hat, aufzugeben, für diese bauliche Anlage einen Bauantrag zu stellen, um auf diese Weise die Durchführung eines förmlichen Baugenehmigungsverfahrens zu erzwingen. Ebenso wenig ist die Bauaufsichtsbehörde in einem solchen Fall befugt, den Bauherrn mit einer Ordnungsverfügung zu zwingen, Erklärungen abzugeben, die - wie die Einreichung von Bauvorlagen - der Stellung eines Bauantrags gleichkämen. Ob der Bauherr einen Bauantrag stellt, entscheidet er seinem Willen entsprechend allein. Er trägt, wenn er sich gegen einen Bauantrag entscheidet, das Risiko, dass die Bauaufsichtsbehörde die Verwirklichung oder die Nutzung eines genehmigungsbedürftigen aber nicht genehmigten Vorhabens durch eine Ordnungsverfügung unterbindet bis er einen Bauantrag zur Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit des Vorhabens vorlegt und ihm eine entsprechende Baugenehmigung erteilt wird. Stellt der Bauherr keinen Bauantrag, kann die Bauaufsichtsbehörde von ihm auf der Grundlage des § 58 Abs. 2 BauO NRW lediglich die Unterlagen verlangen, die sie braucht, um mögliche Gefahren ermitteln zu können, die von dem Vorhaben ausgehen und ein Einschreiten erfordern könnten, und die sich nicht auf andere Weise oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand ermitteln lassen.
117Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1. März 2022 - 10 B1212/21 -, juris Rn. 9 f., sowie vom 30. Oktober 2018 - 7 A 1418/17 -, juris Rn. 7.
118Danach scheidet die Verpflichtung der Beigeladenen zur Stellung eines Bauantrags oder zur Einreichung von Bauvorlagen hier aus. Die Einreichung von Bauvorlagen ist nicht erforderlich, um mögliche Gefahren ermitteln zu können. Dass die Nutzung des Gebäudes XE. für die Ferkelaufzucht das Grundstück des Klägers ungeprüft Immissionen aussetzt, deren Ausmaß bei typisierender Betrachtung das objektiv erkennbare Potenzial in sich trägt, konkret rücksichtslos zu sein, wurde bereits unter 1. a. bb. festgestellt.
119Dass außer einer Nutzungsuntersagung andere Maßnahmen in Betracht kommen, um die festgestellte Verletzung von Rechten des Klägers zu beseitigen, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
120bb. Die Untersagung der Nutzung des Gebäudes XE. für die Ferkelaufzucht ist der Beigeladenen gegenüber verhältnismäßig.
121Nach dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sind staatliche Maßnahmen darauf zu überprüfen, ob sie geeignet, erforderlich und angemessen (proportional) sind. Geeignet ist eine Maßnahme, wenn sie die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der mit ihr angestrebte Erfolg eintritt. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn kein milderes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks zur Verfügung steht. Angemessen ist eine Maßnahme, wenn die durch sie verursachten Beeinträchtigungen nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen.
122Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. Februar 2008 -1 BvR 370/07 u.a. -, juris Rn. 218, und vom 19. Oktober 1982 - 1 BvL 34/80 u.a. -, juris Rn. 23; Sachs, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, Art. 20 Rn. 145 ff.
123Danach wahrt die Untersagung der Nutzung des Gebäudes XE. für die Ferkelaufzucht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Maßnahme ist geeignet, das mit der Maßnahme verfolgte Ziel einer Absenkung der potenziell den einschlägigen Immissionswert übersteigenden Geruchsbelastung auf dem Grundstück des Klägers zu erreichen. Dass dieses Ziel mit einem milderen Mittel erreicht werden kann, ist - wie bereits unter aa. ausgeführt - weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich.
124Die Nutzungsuntersagung steht zum angestrebten Ziel einer Verringerung der Geruchsbelastung auf dem Grundstück des Klägers auch nicht außer Verhältnis. Zwar ist diese Maßnahme für die Beigeladene abhängig von der Verfügbarkeit eines Ersatzgebäudes geeignet, zu empfindlichen wirtschaftlichen Einbußen zu führen. Auf der anderen Seite ist das Grundstück des Klägers seit vielen Jahren einer potenziell den einschlägigen Immissionswert übersteigenden Geruchsbelastung ausgesetzt. Seit dem Abschluss des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen 2 A 1906/18 mit Beschluss vom 24. April 2019 steht fest, dass die bis dahin vorgelegten Geruchsgutachten nicht geeignet sind, um eine Überschreitung des einschlägigen Immissionswerts auf dem Grundstück des Klägers hinreichend sicher ("auf der sicheren Seite") auszuschließen. Dem hat sich der Beklagte ausweislich seines Schreibens an den Kläger vom 27. Juni 2019 angeschlossen und die Beigeladene aufgefordert, ein neues Geruchsgutachten vorzulegen. Dies ist bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht erfolgt; aus dem Vortrag des Beklagten in der mündlichen Verhandlung geht vielmehr hervor, dass er noch nicht einmal ernsthaft mit der für die Erstellung eines neuen Geruchsgutachtens erforderlichen Ermittlung der rechtlich bestandskräftig genehmigten Tierplätze begonnen hat. Zudem ist zu Lasten der Beigeladenen zu berücksichtigen, dass diese und ihre Rechtsvorgänger die Ferkelaufzucht im Gebäude XE. entgegen gesetzlicher Vorgaben ohne die erforderliche Genehmigung aufgenommen, in der Folgezeit mehrfach erweitert und über viele Jahre fortgeführt haben. Schließlich ist aufgrund der bisherigen Verfahrensdauer, der bisherigen schleppenden Vorgehensweise des Beklagten und der vom Beklagten vorgetragenen Schwierigkeiten bei der Ermittlung der bestandskräftig genehmigten Tierplätze, insbesondere auch bei der Prüfung, ob entsprechende Baugenehmigungen zwischenzeitlich erloschen sind, nicht damit zu rechnen, dass die Vorlage eines neuen Geruchsgutachtens umgehend erfolgen wird. Eine Gesamtwürdigung aller dieser Umstände ergibt, dass das Interesse des Klägers an einer auf der sicheren Seite liegenden Einhaltung des einschlägigen Immissionswerts für Gerüche auf seinem Grundstück schwerer wiegt als die durch die über Jahrzehnte unterlassene Stellung von Bauanträgen selbst verschuldete Gefährdung der wirtschaftlichen Interessen der Beigeladenen.
125c. Ein Störerauswahlermessen steht dem Beklagten nicht zu. Ein solches Ermessen besteht nur, wenn mindestens zwei Personen als Verantwortliche i.S.d. §§ 17 oder 18 OBG NRW in Betracht kommen.
126Vgl. Maske/Smith, in: Schönenbroicher u.a., BauO NRW, 2. Auflage 2022, § 58 Rn. 32.
127Dass neben der Beigeladenen noch weitere Personen als Störer in Betracht kommen, wurde nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Allein der Verweis auf weitere Emissionsquellen in der näheren Umgebung reicht hierfür nicht aus. Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass insbesondere von der ca. 160 m südlich des klägerischen Grundstücks gelegenen Hofstelle ebenfalls Emissionen ausgingen, die den Kläger angesichts der dort vorherrschenden Hauptwindrichtung deutlich mehr belasten würden, vermögen allein diese Umstände die Störereigenschaft des dortigen Betriebsinhabers nicht zu begründen. Hierzu hätte es vielmehr der weiteren Darlegung bedurft, dass ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen diesen Betriebsinhaber möglich ist. Dies ist hier nicht der Fall; der Beklagte und die Beigeladene haben noch nicht einmal ansatzweise vorgetragen, dass die dortige Tierhaltung ohne Baugenehmigung betrieben wird.
1283. Der Kläger hat seinen gegen die Ferkelaufzucht der Beigeladenen gerichteten Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten auch nicht verwirkt.
129a. Der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch im öffentlichen Recht anwendbar. Für eine Verwirkung kommt es darauf an, ob der Berechtigte während eines längeren Zeitraums ein ihm zustehendes Recht nicht geltend macht, obwohl er hierfür Anlass hat, und ob sein Verhalten geeignet ist, bei dem Verpflichteten den Eindruck zu erwecken, der Berechtigte werde sein Recht nicht (mehr) ausüben. Die Verwirkung eines Rechts setzt außer der Untätigkeit des Berechtigten während eines längeren Zeitraums (sog. Zeitmoment) ferner voraus, dass besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (sog. Umstandsmoment). Was die Länge der Zeit betrifft, während der ein Recht nicht ausgeübt worden ist, obwohl dies dem Berechtigten möglich gewesen wäre, lassen sich grundsätzlich keine allgemeingültigen Bemessungskriterien nennen. Die Dauer des Zeitraums der Untätigkeit des Berechtigten, von der an im Hinblick auf die Gebote von Treu und Glauben von einer Verwirkung die Rede sein kann, hängt entscheidend von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Die Untätigkeit des Berechtigten während eines längeren Zeitraums verstößt insbesondere dann gegen Treu und Glauben, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Im Rahmen des Rechtsinstituts der Verwirkung kommt dem Umstandsmoment nach dem Verstreichenlassen eines Zeitraums, nach dem mit einem Tätigwerden schlechthin nicht mehr zu rechnen war, gegenüber dem Zeitmoment kein maßgebliches Gewicht mehr zu. Maßgeblich sind auch insoweit die konkreten Umstände des Einzelfalls.
130Vgl. OVG NRW, Urteile vom 4. Dezember 2020 - 2 A 560/17 -, juris Rn. 60 ff. m.w.N., und vom 6. Juni 2014 - 2 A 2757/12 -, juris Rn. 132 ff.
131Ein einmal verwirktes Abwehrrecht lebt mit jeder wesentlichen Änderung der Betriebsabläufe wieder auf. Keine wesentliche Änderung sind betriebliche Schwankungen, die typischerweise bei dem jeweiligen Betriebstyp zu erwarten sind. Darüber hinaus ist erforderlich, dass mit der wesentlichen Änderung eine negative Betroffenheit desjenigen verbunden ist, der sich auf das Abwehrrecht beruft.
132Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2015 - 2 A1403/15 -, juris Rn. 12 ff.; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 18. Januar 2023 - 1 LA 4/18 -, juris Rn. 16; Bayerischer VGH, Urteil vom 31. Juli 2020 - 15 B 19.832 -, juris Rn. 30.
133b. Gemessen daran ist der Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten nicht verwirkt. Offen bleiben kann, ob der Kläger diesen Anspruch zunächst verwirkt hatte, indem er über einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht gegen die Ferkelaufzucht der Beigeladenen vorgegangen ist. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang entgegen der Ansicht des Klägers aber, dass er erst 2013 erfahren haben will, dass für das Gebäude XE. keine Baugenehmigung existiert. Denn für das die Verwirkung auslösende Zeitmoment reicht es aus, dass der Nachbar von den tatsächlichen Umständen seiner Betroffenheit Kenntnis hatte.
134Vgl. OVG NRW, Urteile vom 4. Dezember 2020 ‑ 2 A 560/17 -, juris Rn. 76 und 90 ff., und vom 10. August 2020 - 10 A 3633/18 -, juris Rn. 37.
135Ein etwa verwirkter Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten ist jedenfalls deshalb wieder aufgelebt, weil die Beigeladene die Nutzung des Gebäudes XE. nach 2010 durch Unterbringung zusätzlicher Ferkel intensiviert hat (aa.). Diese Intensivierung beeinträchtigt die Rechtsposition des Klägers (bb). Nach dem Wiederaufleben des Anspruchs des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten sind die Voraussetzungen für eine Verwirkung nicht (erneut) erfüllt (cc.).
136aa. Die Beigeladene hat die Nutzung des Gebäudes XE. nach 2010 durch Unterbringung zusätzlicher Ferkel intensiviert.
137(1) Aufgrund der insoweit glaubhaften Angabe des Vertreters der Beigeladenen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Ende der 2000er Jahre 720 Ferkel im Gebäude XE. untergebracht waren. Dies ergibt sich aus den Angaben des Vertreters der Beigeladenen im Ortstermin. Dort hat er plastisch und nachvollziehbar geschildert, wie sich die Zahl der im Gebäude XE. gehaltenen Tiere zwischen den 60er Jahren und dem Ende der 2000er Jahre entwickelt hat. Eine Addition der von ihm angegebenen, im Tatbestand auf S. 3 wiedergegebenen Zahlen ergibt für Ende der 2000er Jahre einen Bestand von 720 Ferkeln. Dieser Bestand bezog sich nach den Angaben des Vertreters der Beigeladenen auf ein Gewicht von 20 bis 25 kg. Bei Einstallung von Ferkeln mit einem geringeren Gewicht, könnten sich auch mehr Ferkel im Gebäude XE. befinden.
138(2) Nach dem Ende der 2000er Jahre, also ab 2010 hat die Beigeladene die Zahl der im Gebäude XE. gehaltenen Ferkel zunächst auf 1.100 aufgestockt, um sie in der Folgezeit erst auf 900 und in einem zweiten Schritt auf 750 zu verringern. Zwar hat der Vertreter der Beigeladenen im Ortstermin angegeben, dass sich der Tierbestand seit Ende der 2000er Jahre nicht mehr erhöht habe. Dies widerspricht jedoch offensichtlich den der Beigeladenen zuzurechnenden Angaben zum Tierbestand im Gebäude XE., die sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen ergeben, so dass das Gericht dieser Behauptung des Vertreters der Beigeladenen nicht folgt. Im Einzelnen liegen folgende der Beigeladenen zuzurechnende Angaben zum Tierbestand vor:
139- Gutachten Landwirtschaftskammer NRW, 19. April 2013: "Ist-Zustand": 1.100 Ferkel (Bl. A24R Beiakte 1), dem wiedersprechend in Anhang 2: "Berechnung IST01": 900 Ferkel (Großvieheinheit 0,03) (Bl. A53R Beiakte 1),
140- Betriebsbeschreibung, 15. November 2013: "Ist": 1.100 Ferkel, Gewicht 8 bis 28 kg (Bl. A9R Beiakte 1),
141- Zwischenmitteilung der Landwirtschaftskammer NRW, 18. Dezember 2013: "Im Betrieb werden 1.100 Aufzuchtferkel gehalten" (Bl. 16 Beiakte 1),
142- Stellungnahme der Landwirtschaftskammer NRW, 15. Januar 2014: "Bezogen auf den angegebenen Tierbestand von 1.100 …" (Bl. 20 Beiakte 1),
143- Gutachten Landwirtschaftskammer NRW, 9. Mai 2014: "Stallgebäude der Beigeladenen mit insgesamt 900 Ferkelaufzuchtplätzen" (Bl. 34R Beiakte 001), ebenso Anhang 2: "Berechnung Ist03": 900 Ferkel (Großvieheinheit 0,02) (Bl. 69 Beiakte 1)
144- E-Mail der Landwirtschaftskammer NRW, 31. Juli 2014: "… ohne die Berücksichtigung des z.Z nicht genehmigten Tierbestands der Beigeladenen (900 Ferkelaufzuchtplätze)" (Bl. 83 Beiakte 1),
145- Gutachten Landwirtschaftskammer NRW, 5. Mai 2015: "Ist-Zustand": 900 Ferkel (Bl. III/6R Beiakte 10), ebenso Anhang 3a: "Berechnung Ist03": 900 Ferkel (Großvieheinheit 0,02) (Bl. III/35 Beiakte 10),
146- Betriebsbeschreibung, Datum unbekannt, fälschlicherweise auf den 15. November 2013 datiert: "Ist": 750 Ferkel, Gewicht: 8 bis 18 kg (Bl. 125R Beiakte 1),
147- Gutachten Landwirtschaftskammer NRW, 6. Dezember 2016: "Stallgebäude der Beigeladenen mit insgesamt 750 Ferkelaufzuchtplätzen" (Bl. 156R Beiakte 1), ebenso Anhang 3a: "Berechnung Ist-Zustand": 750 Ferkel (Großvieheinheit 0,03) (Bl. 156R Beiakte 1),
148- Vermerk Beklagter, 4. Januar 2017: "Tierplatzzahl mit 1.100 (750 Ferkel Legalisierung und 350 Ferkelaufzuchtplätze Neubau)" (Bl. 130 Beiakte 1),
149- Betriebsbeschreibung, 1. September 2017: "Ist": 750 Ferkel, Gewicht: 8 bis 15 kg (193R Beiakte 1).
150(3) Aufgrund der vorstehenden Aufstellung kommt das Gericht zu folgender Überzeugung: Zumindest bis Januar 2014 hielt die Beigeladene im Gebäude XE. 1.100 Ferkel. Zwischen Januar 2014 und Mai 2014 wurde die Anzahl der Ferkel auf 900 abgesenkt. Eine weitere Absenkung auf 750 Ferkel erfolgte nach Mai 2015. Aus den vorliegenden Unterlagen ergeben sich bezogen auf den Tierbestand drei Blöcke: Die von April 2013 bis Januar 2014 datierenden Unterlagen geben den Ferkelbestand jeweils übereinstimmend mit 1.100 an, die von Mai 2014 bis Mai 2015 datierenden Unterlagen mit 900 und die ab 2016 datierenden Unterlagen mit 750. Diese Angaben sind der Beigeladenen zum Teil schon deshalb zuzurechnen, weil sie sich aus den in ihrem Auftrag erstellten Betriebsbeschreibungen (Bl. 125R, 193R und A9R Beiakte 1) ergeben. Soweit sich diese Angaben aus Gutachten der Landwirtschaftskammer NRW (Bl 34 R, 69, 156R, 181, A24R und A53R Beiakte 1 sowie Bl. III/6R und III/35 Beiakte 10), anderen von dieser erstellten Unterlagen (Bl. 16, 20 und 83 Beiakte 1) oder dem Vermerk des Beklagten vom 4. Januar 2017 (Bl. 130 Beiakte 1) ergeben, sind sie der Beigeladenen ebenfalls zuzurechnen. Es widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein Gutachter oder der Beklagte sich derartige Angaben "ausdenken". Aus diesem Grund ist das Gericht davon überzeugt, dass diese Angaben auf Mitteilungen der Beigeladenen beruhen. Dafür spricht auch, dass die Angaben, die sich in von der Landwirtschaftskammer oder dem Beklagten erstellten Unterlagen befinden, mit den von der Beigeladenen eingereichten Betriebsbeschreibungen jeweils übereinstimmen.
151Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben in den Betriebsbeschreibungen tatsachenwidrig zu hoch angegeben wurden, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Eine Erhöhung des Tierbestands nach Ende der 2000er Jahre ist vor dem Hintergrund des stetigen Anpassungsdrucks auf die Landwirtschaft plausibel und entspricht dem allgemeinen Trend. Zudem wurde die Anzahl der im Gebäude XE. gehaltenen Ferkel - wie sich den auf S. 3 des Tatbestands wiedergegebenen Angaben entnehmen lässt - seit 1960 im Durchschnitt alle 10 Jahre wesentlich erhöht. Die Verringerung des Tierbestands ab 2014 ist ebenfalls plausibel; damals ergaben sich Probleme bei der Genehmigung eines neuen Sauenstalls auf der Hofstelle X. Aus diesem Grund ist es plausibel, dass in diesem Zeitraum der Bestand zweimal verringert wurde, um eine Genehmigung des neuen Sauenstalls zu ermöglichen. Dazu passt, dass in den Betriebsbeschreibungen nicht nur die Anzahl, sondern auch das Gewicht der im Gebäude XE. gehaltenen Ferkel verringert wurde (vgl. Bl. 125R, 193R und A9R Beiakte 1). Diese Gewichtsreduzierung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Ferkel mit einem geringeren Gewicht bei der Ermittlung der von einer Tierhaltungsanlage ausgehenden Geruchsbelastung mit einem geringeren Faktor angesetzt werden.
152Vgl. Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Merkblatt Geruchsimmissionsprognosen bei Tierhaltungsanlagen, 2013, S. 6 ff.
153(4) Den vorstehenden Ausführungen steht nicht entgegen, dass sich in Beiakte 1 zwei auf den 15. November 2013 datierte Betriebsbeschreibungen (Bl. 125 und A9 Beiakte 1) befinden. Die Betriebsbeschreibung auf Bl. A9 Beiakte 1 datiert tatsächlich vom 15. November 2013. Dies ergibt sich daraus, dass es sich bei dieser Betriebsbeschreibung zweifelsfrei um eine Anlage zum Bauantrag selbigen Datums (Bl. A3 Beiakte 1) handelt. Dagegen ist das Gericht davon überzeugt, dass die Betriebsbeschreibung auf Bl. 125 Beiakte 1 irrtümlich auf den 15. November 2013 datiert wurde und tatsächlich erst 2016 erstellt wurde. Dafür, dass diese Betriebsbeschreibung nicht vom 15. November 2013 datiert, spricht, dass diese Betriebsbeschreibung sich ebenso wie die Betriebsbeschreibung vom 1. September 2017 (Bl. 193 Beiakte 1) nicht wie die Betriebsbeschreibung auf Bl. A9 der Beiakte 1 im Abschnitt "Antragsunterlagen" der Beiakte 1, sondern im Abschnitt "Schriftverkehr" der Bauakte 1 befindet. Dafür, dass die Betriebsbeschreibung auf Bl. 215 der Beiakte 1 2016 erstellt wurde, spricht, dass die Unterlagen vor (Bl. 123 und 124 Beiakte 1) und nach (Bl. 127 bis 129 Beiakte 1) dieser Betriebsbeschreibung im September bzw. Oktober 2016 erstellt wurden. Dieser Schluss ist zum einen deshalb zulässig, weil der Abschnitt "Schriftverkehr" der Beiakte 1 mit Ausnahme von Bl. 83 bis 92 und 218 bis 228 chronologisch geordnet ist. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die Betriebsbeschreibung auf Bl. 125 Beiakte 1 nicht nur in Bezug auf die Angaben zu Tierbestand und Gewicht, sondern auch in Bezug auf die Angaben zu den Betriebsflächen (Bl. 125 Beiakte 1) und zur Bodennutzung (Bl. 125R Beiakte 1) von der Betriebsbeschreibung auf Bl. A9 der Beiakte 1 abweicht. Die Angaben zu den Betriebsflächen auf Bl. 125 Beiakte 1 stimmen bis auf 1,16 ha mit den Angaben zu den Betriebsflächen in der Aufstellung "Pachtverträge" vom 19. September 2016 (Bl. 123 Beiakte 1) überein. Dagegen liegen die Angaben zu den Betriebsflächen auf Bl. A9 Beiakte 1 18,41 ha unter den Angaben im Vermerk "Pachtverträge" vom 19. September 2016.
154(5) Der Versuch des Vertreters der Beigeladenen, seine Behauptung, nach Ende der 2000er Jahre habe sich die Anzahl der im Gebäude XE. untergebrachten Ferkel nicht mehr erhöht, unter Hinweis auf das unterschiedliche Gewicht der Ferkel zu erklären, überzeugt das Gericht nicht. Insoweit hat der Vertreter der Beigeladenen erklärt, dass die Anzahl der eingestallten Ferkel mit deren jeweiligem Gewicht korrespondiere. Je geringer das Gewicht der Ferkel, desto mehr Ferkel befänden sich im Stall. Als Beispiel hat der Vertreter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass der tatsächliche Bestand bei 750 Tierplätzen zwischen 600 und 900 Ferkeln schwanke.
155Diese Ausführungen überzeugen das Gericht nicht. Da sich die Anzahl der Tierplätze nach den Angaben des Vertreters der Beigeladenen seit Ende der 2000er Jahre nicht über 750 hinaus erhöht haben soll, sind seine Ausführungen schon nicht geeignet zu erklären, aus welchen Gründen in der Betriebsbeschreibung vom 15. November 2013 (Bl. A9R Beiakte 1) ein Ist-Bestand von 1.100 Ferkeln angegeben wurde. Zudem würde der Erklärungsversuch des Vertreters der Beigeladenen implizieren, dass die Angaben in den Betriebsbeschreibungen sich jeweils auf den zum Datum der Erstellung der Betriebsbeschreibung aktuellen Ferkelbestand beziehen. Das ist nicht glaubhaft. Für einen Bauantrag kommt es nicht auf den an einem bestimmten Tag vorhandenen Bestand, sondern auf den höchstens zulässigen Bestand und damit die Zahl der Tierplätze an. Dass der von der Beigeladenen beauftragte Architekt, der sämtliche Betriebsbeschreibungen unterschrieben hat, abweichend davon den Bestand an einem bestimmten, willkürlich gewählten Stichtag angegeben hat, ist nicht glaubhaft.
156Bei der Beurteilung des Erklärungsversuchs des Vertreters der Beigeladenen berücksichtigt das Gericht auch, dass dieser seit 2008 als Hauptverantwortlicher für die Beigeladene das Gebäude XE. ohne Baugenehmigung betrieben hat. Der Vertreter der Beigeladenen hat den Umstand, dass im Gebäude XE. über Jahrzehnte hinweg "schwarz" eine Ferkelaufzucht betrieben wurde, auch nicht selbst beim Beklagten angezeigt. Dies wurde vielmehr im Genehmigungsverfahren für einen Sauenstall auf der Hofstelle X. vom Beklagten aufgedeckt und dem Vater des Vertreters der Beigeladenen mit Schreiben vom 16. Oktober 2013 mitgeteilt.
157(6) Schriftliche Unterlagen, die geeignet sind, die Behauptung des Vertreters der Beigeladenen, nach Ende der 2000er Jahre habe sich die Anzahl der im GebäudeXE. gehaltenen Ferkel nicht mehr erhöht, zu beweisen, hat die Beigeladene trotz Aufforderung des Gerichts nicht vorgelegt. Die von der Beigeladenen in Form einer Tabelle vorgelegten Stichtagsmeldungen für den Zeitraum 2009 bis 2023 (Bl. 150 Gerichtsakte) erbringen den entsprechenden Nachweis nicht. Das Gericht lässt offen, welcher Beweiswert diesen Meldungen, die allein auf den Angaben der Beigeladenen beruhen und zudem nur einen Stichtag betreffen, überhaupt zukommt. Für den vorliegenden Fall ist maßgeblich, dass der Vertreter der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung selbst ausgeführt hat, dass sich der Ferkelbestand für den streitgegenständlichen Stall erst ab 2021 aus den Stichtagsmeldungen ergibt, da vorher sämtliche auf der Hofstelle X. gehaltenen Ferkel (abgesetzte Ferkel und Saugferkel) unter einer Betriebsnummer geführt wurden und die Zahlen für vor 2021 den Gesamtferkelbestand auf dieser Hofstelle enthalten. Bestandsbücher hat die Beigeladene dem Gericht trotz Nachfrage nicht vorgelegt.
158bb. Die Erhöhung des Ferkelbestands beeinträchtigt die Rechtsposition des Klägers. Eine Erhöhung des Bestands von 720 auf 1.100 entspricht einer Erhöhung um rund 50 %. Eine derartig umfangreiche Erhöhung beeinträchtigt aufgrund der mit ihr verbundenen Zunahme der Geruchsbelastung die Rechtsposition der Nachbarn. Dasselbe gilt im Übrigen auch bei einer Erhöhung auf "nur" 900 Ferkel.
159cc. Nach dem Wiederaufleben des verwirkten Anspruchs des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten sind die Voraussetzungen für eine Verwirkung nicht (erneut) erfüllt.
160Der Kläger hat sich erstmals im September 2013 über die von der Hofstelle X. ausgehende Geruchsbelastung beim Beklagten beschwert. Zudem hat der Kläger im August 2015 Klage gegen die Baugenehmigung für einen Sauenstall auf der Hofstelle X. erhoben. Nach Abschluss dieses Verfahrens im April 2019, bei dem es aufgrund der Überprüfung der vorgelegten Geruchsgutachten indirekt auch um die Zulässigkeit der Ferkelhaltung im Gebäude XE. ging, hat sich der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten im Mai 2019 und im Januar 2020 erneut beim Beklagten gegen die Ferkelhaltung im Gebäude XE. gewendet und im Februar 2020 einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gestellt.
161Das Verhalten des Klägers nach der Erhöhung des Ferkelbestands von 720 auf 1.100 und dem damit verbundenen Wiederaufleben des Anspruchs des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten ist nicht geeignet, den Eindruck zu erwecken, er werde sich nicht wegen der Ferkelhaltung im Gebäude XE. an den Beklagten wenden und dessen bauaufsichtliches Einschreiten verlangen. Der reine Zeitablauf von höchstens drei Jahren ist nicht ausreichend, um ein solches Vertrauen zu begründen. Dies gilt angesichts des Umfangs der Vergrößerung des Ferkelbestands um rund 50 % auch angesichts der Tatsache, dass der Kläger in der Vergangenheit nie gegen die Haltung von Schweinen auf der Hofstelle X. vorgegangen ist.
162Dass sich der Kläger ausweislich der dem Gericht vorliegenden Unterlagen erst im Mai 2019 erneut in Sachen Ferkelhaltung an den Beklagten gewendet hat, reicht ebenfalls nicht aus, um eine erneute Verwirkung seines Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten zu bewirken. Insofern ist zu beachten, dass der Kläger im August 2015 Klage gegen den auf der Hofstelle X. genehmigten Sauenstall erhoben hat und dieses Verfahren erst im April 2019 endete. Mit Erhebung der Klage hatte der Kläger deutlich gemacht, dass er nicht bereit ist, die von der Hofstelle X. ausgehenden Gerüche weiter hinzunehmen. Der Kläger durfte auch den Ausgang dieses Verfahrens abwarten, bevor er weitere Schritte unternahm. Denn in diesem Verfahren ging es - wie bereits dargelegt - zumindest indirekt auch um die Rechtsmäßigkeit der nunmehr streitgegenständlichen Ferkelhaltung im Gebäude XE.
163Unschädlich ist auch, dass sich der Kläger im September 2013 zunächst über die von der gesamten Schweinehaltung auf der Hofstelle X. ausgehenden Geruchsbelästigung beschwert hat, ohne dabei zwischen den beiden verschiedenen auf diesem Grundstück ansässigen Betrieben - Sauenhaltung des Vaters des Vertreters der Beigeladenen und Ferkelhaltung der Beigeladenen - zu differenzieren. Entscheidend ist, dass sich diese Beschwerde auch gegen die Ferkelhaltung richtet, zumal Außenstehende nicht erkennen können, von wem die verschiedenen auf der Hofstelle X. vorhandenen Stallgebäude betrieben werden.
164Die dem Kläger am 17. Januar 2013 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer (weiteren) Wohneinheit im Dach- und die Aufnahme einer gewerblichen Nutzung im Erdgeschoss ist ebenfalls nicht geeignet, die Erwartung zu begründen, der Kläger werde nicht weiter gegen die Ferkelhaltung vorgehen. Zum einen ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass die Beigeladene von dieser Baugenehmigung vor Erhebung der Klage des Klägers im August 2015 erfahren hat, sich also aufgrund dieser Baugenehmigung bei ihr ein Vertrauen gebildet hat. Und zum anderen kann aus der Beantragung und der Entgegennahme einer Baugenehmigung nicht geschlossen werden, dass eine vom Nachbargrundstück ausgehende Geruchsbelastung akzeptiert wird. Vielmehr könnte aus der Erteilung einer Baugenehmigung genauso gut die Befürchtung des emittierenden Nachbarn erwachsen, dass nunmehr erst recht gegen die Geruchsbelastung vorgegangen wird, damit sich die Errichtung einer zweiten Wohneinheit und die gewerbliche Nutzung auch wirtschaftlich lohnen.
165Schließlich ist der Abwehranspruch des Klägers nicht dadurch erneut untergegangen, dass der Ferkelbestand sich - wie bereits unter 3. b. aa. (3) dargelegt - nach 2014 in zwei Schritten wieder auf 750 verringert hat. Lebt ein verwirkter Abwehranspruch - wie hier - aufgrund einer späteren Nutzungsintensivierung wieder auf, tritt eine erneute Verwirkung nur ein, wenn die vorstehend unter 3. a. dargelegten Voraussetzungen vorliegen. Dies ist hier - wie den vorstehenden Ausführungen zu entnehmen ist - nicht der Fall.
166C. Die im Tenor gesetzte Frist gewährleistet eine tierschutzgerechte Ausstallung der Ferkel. Eine zehnwöchige Frist ist hierfür ausreichend. Der Vertreter der Beigeladenen hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass ein Mastzyklus im Gebäude XE. acht Wochen dauert.
167D. Das Gericht sieht davon ab, eine Verpflichtung zur Androhung eines Zwangsgeldes durch den Beklagten gegenüber der Beigeladenen in den Tenor aufzunehmen. Die dem Beklagten auferlegte Verpflichtung zum Erlass einer Nutzungsuntersagung beinhaltet auch die Pflicht, diese Anordnung erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzen. Auch diese Pflicht kann unter den Voraussetzungen des § 172 VwGO durch das Gericht vollstreckt werden.
168Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 1992 - 10 E 1357/92 -, juris Rn. 5 ff.; Sächsisches OVG, Beschluss vom 22. Februar 2022 - 1 E 79/21 -, juris Rn. 6; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Juni 2018 - OVG 10 S59/17 -, juris Rn. 5; a.A. z.B. Kopp/Schenke, VwGO, 29. Auflage 2023, § 113 Rn. 189.
169Die Vollstreckung aus dem vorliegenden Urteil kann erfolgen, ohne dass gegen den Verpächter des streitgegenständlichen Gebäudes eine Duldungsverfügung zu erlassen ist.
170Vgl. Wenzel, in: Gädtke, BauO NRW, 14. Auflage 2023, § 58 Rn. 56 m.w.N.
171Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, nicht auf § 161 Abs. 3 VwGO. Diese Norm gilt nur für den Fall, dass der beantragte Verwaltungsakt nach Erhebung der Untätigkeitsklage erlassen oder dem Widerspruch nach Erhebung einer solchen Klage stattgegeben wurde. Entscheidet dagegen - wie hier - dass Gericht über das Begehren des Klägers, richtet sich die Kostenentscheidung nach § 154 Abs. 1 VwGO.
172Vgl. R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 29. Auflage 2023, § 161 Rn. 35; s.a. Clausing, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Juli 2019, § 161 VwGO Rn. 40 m.w.N.
173Die Beigeladene ist weder an den Gerichtskosten noch an den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu beteiligen, weil sie keinen Antrag gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Erstattung ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten scheidet bereits deshalb aus, weil sie materiell im Lager des unterlegenen Beklagten steht.
174Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus §§ 167 Satz 1 VwGO, 709 ZPO.