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Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Juli 2022 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Der mittels eines usbekischen Reisepasses ausgewiesene Kläger wurde am 00. Mai 0000 in J. geboren. Seinem eigenen Bekunden zufolge reiste er am 5. April 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 27. April 2022 stellte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag. Dabei gab er an, dass er die Staatsangehörigkeit Usbekistans besitze, zum Volk der Tadschiken gehöre und islamischer Religionszugehörigkeit sei.
3Im Rahmen seines persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 27. April 2022, der Anhörung zur Zulässigkeit seines Asylantrags sowie der Anhörung nach § 25 AsylG, die beide am 20. Mai 2022 beim Bundesamt erfolgten, gab der Kläger im Wesentlichen Folgendes an: Er habe im Alter von acht Jahren, nach dem Tod seines Vaters, mit seiner Familie Usbekistan verlassen und von 2007 bis 2022 in Kasachstan gelebt. Er habe Abitur gemacht und eine IT-Ausbildung absolviert. Im Januar 2022 habe er sich erneut in Usbekistan aufgehalten, wo u.a. noch seine Urgroßmutter und zwei (Halb-)Schwestern von ihm wohnen würden. Von Usbekistan aus sei er mit einem Freund in die Ukraine gereist, wo er als Manager in einer Fußballakademie gearbeitet und Organisationsaufgaben wahrgenommen habe. In den ersten drei Monaten des Aufenthalts in der Ukraine hätten sie keine Aufenthaltsgenehmigung benötigt. Da allerdings etwa eineinhalb Monate nach ihrem Umzug in die Ukraine dort der Krieg ausgebrochen sei, seien sie zu Fuß zum nächsten Grenzübergang gelaufen, in einen dort wartenden Zug gestiegen und hätten die Grenze nach Ungarn überquert. Dort hätten sie versucht, am 4. März 2022 einen Asylantrag zu stellen, allerdings sei ihnen mitgeteilt worden, dass nur Ukrainern Schutz erteilt werde. Ihnen sei daher eine Aufenthaltsgenehmigung für einen Monat erteilt worden, danach hätten sie das Land verlassen müssen. Er, der Kläger, sei deswegen nach Deutschland weitergereist. Da ihm bei einer Rückkehr nach Usbekistan oder Kasachstan eine Festnahme aufgrund früherer Demonstrationsteilnahmen drohe, habe er auch nicht in eines dieser Länder zurückkehren können.
4Am 23. Mai 2022 ersuchte das Bundesamt die ungarischen Behörden um Aufnahme des Klägers nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29. Juni 2013, S. 31-59, sog. Dublin III-Verordnung). Mit Schreiben vom 24. Mai 2022 erklärten sich die ungarischen Behörden zur Aufnahme des Klägers bereit. Dabei bezogen sie sich auf Art. 13 Abs. 1 VO 604/2013 und erklärten überdies, dass der Kläger vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet und am 2. März 2022 in Ungarn angekommen sei. Aus humanitären Gründen sei ihm die Einreise nach Ungarn ermöglicht worden, eine zeitlich befristete Aufenthaltsgenehmigung sei dem Kläger allerdings nicht erteilt worden und er sei in Ungarn auch nicht als Asylantragsteller oder mit einem Antrag auf Gewährung vorübergehenden Schutzes für Geflüchtete aus der Ukraine registriert.
5Mit Bescheid vom 19. Juli 2022, dem Kläger am 18. August 2022 ausgehändigt, lehnte das Bundesamt seinen Asylantrag unter Hinweis auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG als unzulässig ab (Ziffer 1). Zugleich stellte das Bundesamt fest, dass für den Kläger keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2), und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 3). Ferner befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf elf Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
6Am 23. August 2022 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Arnsberg die vorliegende Klage erhoben, die dort unter dem Aktenzeichen 1 K 2789/22.A geführt wurde. Zur Begründung verweist er auf seinen Vortrag im Rahmen des Verwaltungsverfahrens.
7Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
8den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Juli 2022 aufzuheben.
9Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
10die Klage abzuweisen,
11und verweist zur Begründung auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes.
12Mit Beschluss vom 13. September 2022 - 1 L 827/22.A - hat das Verwaltungsgericht Arnsberg die aufschiebende Wirkung der ursprünglich dort unter dem Aktenzeichen 1 K 2789/22.A geführten Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Juli 2022 enthaltene Anordnung der Abschiebung nach Ungarn angeordnet. Aufgrund von § 7 Nr. 52 der Verordnung über die verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten für Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz (AsylZustVO) vom 1. Juli 2024 ist die Zuständigkeit für das vorliegende Klageverfahren mit dem Inkrafttreten der AsylZustVO am 1. August 2024 auf das Verwaltungsgericht Minden übergegangen. Das Verfahren wird beim Verwaltungsgericht Minden unter dem Aktenzeichen 12 K 2146/24.A fortgeführt.
13Das vorliegende Hauptsacheverfahren ist mit Beschluss vom 29. August 2024 der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die elektronisch geführte Gerichtsakte des Verfahrens 12 K 2146/24.A, die vom Verwaltungsgericht Arnsberg beigezogene Gerichtsakte des Verfahrens 1 L 827/22.A (eine Datei) sowie den vom Bundesamt auf elektronischem Weg übermittelten Verwaltungsvorgang (eine Datei) Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16A. Die Einzelrichterin entscheidet gemäß § 77 Abs. 2 AsylG ohne mündliche Verhandlung. Die Voraussetzungen des § 77 Abs. 2 Satz 1 AsylG sind erfüllt; namentlich ist der Kläger anwaltlich vertreten. Nach ordnungsgemäßer Erteilung eines Hinweises gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 AsylG haben die Beteiligten keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt (§ 77 Abs. 2 Satz 2 AsylG).
17B. Die Klage hat Erfolg.
18I. Die Klage ist zulässig. Sie ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere wahrt die am 23. August 2022 erhobene Klage die einwöchige Klagefrist aus §§ 74 Abs. 1 Halbsatz 2, 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG.
19II. Die Klage ist auch begründet. Die in dem Bescheid vom 19. Juli 2022 unter Ziffer 1 bis 4 enthaltenen Verwaltungsakte sind im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
201. Die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig mit Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids kann keinen Bestand haben. Als Rechtsgrundlage für diese Unzulässigkeitsentscheidung kommt allein § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG in Betracht, wonach ein Asylantrag unzulässig ist, wenn für die Durchführung des Asylverfahrens die Zuständigkeit eines anderen Staates nach Maßgabe der hier anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 31, sog. Dublin III-Verordnung) gegeben ist.
21a) Das Bundesamt ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständige Mitgliedstaat ist.
22Art. 3 Abs. 1 Satz 2 VO 604/2013 sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden. Welcher Mitgliedstaat dies ist, bestimmt sich grundsätzlich nach den Kriterien der Art. 8 bis 15 VO 604/2013 und zwar in der Rangfolge ihrer Nummerierung (Art. 7 Abs. 1 VO 604/2013); lässt sich anhand dieser Kriterien nicht bestimmen, welcher Mitgliedstaat zuständig ist, so ist der erste Mitgliedstaat zuständig, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 VO 604/2013). Bei der Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats ist von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt vorlag, zu dem ein Antragsteller zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat (Art. 7 Abs. 2 VO 604/2013).
23Mangels vorrangiger Kriterien ist hier für den Kläger das Zuständigkeitskriterium aus Art. 13 Abs. 1 VO 604/2013 einschlägig. Danach ist der Mitgliedstaat für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig, dessen Land-, See-, oder Luftgrenze ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat. Der Kläger ist aus der Ukraine kommend illegal über Ungarn in das Gebiet der Europäischen Union eingereist, bevor er schließlich am 27. April 2022 einen förmlichen Asylantrag in Deutschland stellte. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Rahmen des Eilverfahrens (1 L 827/22.A) darauf verwiesen hat, aus dem Schreiben der ungarischen Dublin-Unit vom 24. Mai 2022 ginge hervor, dass der Kläger am 2. März 2022 legal nach Ungarn eingereist sei und deswegen Art. 13 Abs. 1 VO 604/2013 keine Anwendung finden könne, trifft dies nicht zu. Die ungarischen Behörden teilten in ihrem Schreiben vom 24. Mai 2022 zwar mit, dass dem Kläger aus humanitären Gründen auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine Zutritt zum ungarischen Hoheitsgebiet gewährt wurde, allerdings führt dies nicht dazu, dass die Einreise des Klägers legal erfolgt ist. Denn eine legale Einreise hätte das Vorliegen eines Aufenthaltstitels im Sinne von Art. 2 Buchst. l) VO 604/2013 oder eines Visums im Sinne von Art. 2 Buchst. m) VO 604/2013 vorausgesetzt, worüber der Kläger bei seiner Einreise in das Hoheitsgebiet Ungarns aber gerade nicht verfügte.
24b) Aufgrund dieser Zuständigkeit ist Ungarn gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. a) VO 604/2013 zur Aufnahme des Klägers verpflichtet. Die Pflicht ist auch nicht wegen Verstreichens der maßgeblichen Ersuchens- und Überstellungsfristen erloschen.
25aa) Die hier einschlägige Frist zur Stellung eines Aufnahmegesuchs gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 VO 604/2013 von drei Monaten nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz in der Bundesrepublik Deutschland (Art. 20 Abs. 2 VO 604/2013) ist gewahrt, weil das Bundesamt die ungarischen Behörden bereits am 23. Mai 2022 und damit innerhalb von weniger als drei Monaten nach der erfolgten Antragstellung in Deutschland (hier: 27. April 2022) um Aufnahme des Klägers ersucht hat.
26bb) Ebenso wenig ist die sechsmonatige Frist für die Überstellung des Klägers in den zuständigen Mitgliedstaat (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 VO 604/2013) mit der Folge überschritten, dass die Zuständigkeit für die Durchführung seines Asylverfahrens gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 VO 604/2013 auf die Beklagte übergegangen wäre.
27Gemäß Art. 29 Abs. 1 VO 604/2013 erfolgt die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald sie praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Die sechsmonatige Überstellungsfrist wurde mit der am 24. Mai 2022 beim Bundesamt eingegangenen (mithin binnen der 2-Monatsfrist des Art. 22 Abs. 1 VO 604/2013) erklärten Zustimmung der ungarischen Behörden, den Kläger aufzunehmen, in Gang gesetzt. Allerdings wurde der Fristlauf durch den fristgerecht gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unterbrochen. Aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Juli 2022 enthaltenen Anordnung der Abschiebung nach Ungarn durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 13. September 2022 - 1 L 827/22.A - ist die Frist auch bis zuletzt nicht erneut angelaufen.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2016 - 1 C 15.15 -, NVwZ 2016, 1185 (juris, Leitsatz und Rn. 11 f.); VG Minden, Urteil vom 19. März 2015 - 10 K 311/14.A -, juris Rn. 42 ff. m.w.N.
29c) Im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Gerichts erweist sich die vom Bundesamt nach der Dublin III-Verordnung vorgenommene Bestimmung Ungarns als zuständigen Mitgliedstaat gleichwohl als rechtswidrig. Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013 ist eine Überstellung des Klägers nach Ungarn unmöglich.
30aa) Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013 setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat die Prüfung der in Kapitel III der Dublin III-Verordnung vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedsstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller in den ursprünglich als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) mit sich bringen. Art. 4 GR-Charta, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf, hat gemäß Art. 52 Abs. 3 GR-Charta die gleiche Bedeutung wie Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Die Schwachstellen bzw. Mängel des Asylsystems müssen dabei nicht kumulativ das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen betreffen. Sie können auch alternativ vorliegen.
31Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6/14 -, juris.
32Gleichgültig ist dabei, ob eine Verletzung nach Art. 4 GR-Charta zum Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss droht. Unter Art. 4 GR-Charta fallen aber systemische, allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen nur dann, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt.
33Der Europäische Gerichtshof
34- vgl. dessen Urteile vom 19. März 2019 - C-163/17 (Jawo) und C-297/17 (Ibrahim) -, juris -
35hat die Maßstäbe - aufgrund des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 GR-Charta für Asylbewerber und anerkannte Schutzberechtigte in gleicher Weise - für Rückführungen im Dublinraum präzisiert. Danach darf ein Asylbewerber aufgrund des fundamental bedeutsamen Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens prinzipiell in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin III-Verordnung eigentlich für die Bearbeitung seines Antrags zuständig ist oder ihm bereits Schutz gewährt hat. Nach dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Diese Vermutung ist allerdings nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt es den nationalen Gerichten zu prüfen, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für die Annahme gibt, der Asylbewerber würde nach einer Rückführung ausnahmsweise aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der voraussichtlichen Lebensumstände aufgrund der Aufnahmebedingungen in dem jeweils zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) in die Gefahr geraten, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
36Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C -411/10 und C-493/10 -, juris Rn. 106 ff.
37Die Annahme eines solchen Verstoßes gegen Art. 4 GR-Charta setzt aber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs voraus, dass aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles asylrelevante Schwachstellen oder andere Umstände eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Die Vermutung ist nicht bereits bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen eines zuständigen Mitgliedstaates widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen.
38Systemische Mängel des Asylverfahrens liegen vor, wenn der grundsätzliche Zugang zum Verfahren zur Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht gewährleistet ist oder das Asylverfahren selbst so ausgestaltet ist, dass eine inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens nicht gewährleistet ist und diese Mängel den Antragsteller im Falle einer Überstellung in den entsprechenden Mitgliedstaat auch selbst treffen könnten.
39Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 -, juris Rn. 33 ff., 39; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris Rn. 87 ff.
40Die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens setzt nicht voraus, dass in jedem Falle das gesamte Asylsystem schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die im System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie sich nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern objektiv voraussehbar auswirken. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft, sondern müssen sich aus Sicht deutscher Behörden und Gerichte aufgrund ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren lassen. Ein systemischer Mangel kann daneben auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem - mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis - faktisch in weiten Teilen funktionslos wird.
41Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris Rn. 5 ff.; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris Rn. 89 ff.
42Unter Berücksichtigung des in Deutschland geltenden Untersuchungsgrundsatzes im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 86 Abs. 1 VwGO muss sich das erkennende Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Überzeugungsgewissheit i.S.d. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verschaffen, dass der Asylbewerber in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
43bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe und nach Auswertung der aktuellen Erkenntnisquellen droht dem Kläger im Falle einer Überstellung nach Ungarn dort aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens zur Überzeugung des erkennenden Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine den europäischen Asylstandards widersprechende und damit im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes unmenschliche und erniedrigende Behandlung.
44Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln wird solchen Asylbewerbern voraussichtlich kein Zugang zum Asylverfahren in Ungarn gewährt, die dort bislang keinen Asylantrag gestellt haben. Es droht ihnen vielmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit entgegen dem in Art. 33 Abs. 1 GFK und Art. 3 EMRK verankerten Grundsatz der Nichtzurückweisung (Refoulement-Verbot) eine Abschiebung in das Herkunftsland ohne vorherige Entscheidung über den Asylantrag. Art. 33 Abs. 1 GFK enthält das Verbot, einen Flüchtling im Sinne des Art. 1 GFK „auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde“. Im Kontext des Refoulement-Verbots des Art. 33 Abs. 1 GFK umfasst der Flüchtlingsbegriff nicht nur diejenigen, die bereits als Flüchtling anerkannt worden sind, sondern auch diejenigen, die die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Flüchtling erfüllen. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich zur Vermeidung einer Verletzung der in der Grundrechtecharta gewährleisteten Rechte auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist.
45Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris Rn. 75 und vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 -, juris Rn. 47.
46Dementsprechend verpflichtet auch Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie) die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, den Grundsatz der Nichtzurückweisung in Übereinstimmung mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen zu achten.
47Der Kläger hat in Ungarn bislang keinen Asylantrag gestellt. Dies wird neben den eigenen Angaben des Klägers auch durch die Angaben der ungarischen Behörden im Schreiben vom 24. Mai 2022 bestätigt. Nach der aktuellen Gesetzeslage in Ungarn werden Personen, die zuvor keinen Asylantrag gestellt haben, wie Asylerstantragsteller behandelt. Wird eine Person, die noch keinen Asylantrag in Ungarn gestellt hat, entsprechend der Dublin III-Verordnung zurückgeführt, müsste sie bei Rückkehr (erstmalig) Asyl beantragen. Die derzeit geltenden Rechtsvorschriften lassen diese Möglichkeit indes nicht zu. In Ungarn gilt nach wie vor eine Art Ausnahmezustand, die sog. „Krisensituation wegen Massenimmigration“, die durch Regierungserlass maximal sechs Monate für bestimmte Bezirke oder das ganze Land angeordnet werden kann. Erstmalig wurde dieser Ausnahmezustand im März 2016 für das gesamte Staatsgebiet Ungarns erklärt und seither immer wieder verlängert, zuletzt bis einschließlich zum 31. Dezember 2024. Während der „Krisensituation wegen Massenmigration“ gelten besondere Regeln für illegal eingereiste und/oder aufhältige Drittstaatsangehörige in Ungarn und Asylsuchende. Nachdem der Europäische Gerichtshof die Unterbringung von Asylsuchenden in Transitzonen an der ungarischen Grenze für rechtwidrig erklärt hatte
48- vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2020 - C-924/19 PPU und C-925/19 PPU -, juris -,
49erließ die ungarische Regierung zunächst einen Erlass, mit dem sie ein neues Asylsystem einführte, ohne jedoch die vom Europäischen Gerichtshof als unionsrechtswidrig gerügten Vorschriften aufzuheben. Damit sind seit Mai/Juni 2020 neue Asylbestimmungen in Ungarn in Kraft, die inzwischen in ein Gesetz (Gesetz LVIII, sog. Transitional Act) übernommen wurden. Diese Asylbestimmungen enthalten u.a. als Kernstück das sogenannte „Botschaftsverfahren“. Diesem zufolge müssen Personen, die in Ungarn Asyl suchen, zunächst zwingend persönlich eine ohne Dolmetscher oder Rechtsbeistand auf Englisch oder Ungarisch auszufüllende „Absichtserklärung“ („Declaration of intent“ - DoI) bei der ungarischen Botschaft in Belgrad/Serbien oder Kiew/Ukraine abgeben. Mit Ausnahme weniger Fallgruppen (siehe dazu weiter unten) müssen Personen, die in Ungarn Asyl beantragen wollen, nach diesem neuen System im Einzelnen folgende Schritte durchlaufen, bevor sie ihren Asylantrag registrieren lassen können:
50- Persönliche Einreichung eines „DoI“ bei der ungarischen Botschaft in Belgrad/Serbien oder Kiew/Ukraine.
51- Weiterleitung des „DoI“ an die Asylbehörde NDGAP (National Directorate-General for Aliens Policing), die es innerhalb von 60 Tagen prüft.
52- Die NDGAP schlägt der Botschaft vor, eine spezielle, einmalige Einreiseerlaubnis für die Einreise nach Ungarn zum Zwecke der Stellung eines Asylantrags zu erteilen.
53- Wird die Erlaubnis erteilt, muss die Person allein nach Ungarn reisen und sich nach ihrer Ankunft sofort bei den Grenzbeamten melden.
54- Die Grenzbeamten müssen die Person dann der NDGAP vorstellen.
55- Die Person kann dann ihren Asylantrag bei der NDGAP formell registrieren lassen und damit das offizielle Asylverfahren einleiten.
56Im Falle der Genehmigung des „DoI“ erhält der potenzielle Asylbewerber eine spezielle Reiseerlaubnis ausgestellt, die es ihm ermöglicht, nach Ungarn zu reisen und einen Asylantrag zu stellen. In der Phase des „Botschaftsverfahrens“ haben Antragsteller keinen Anspruch auf Einhaltung der in der Richtlinie 2013/33/EU (sog. Aufnahmerichtlinie) geregelten (Mindest-)Bedingungen für die Aufnahme Asylsuchender und sie genießen keinen Schutz. In der Folge bedeutet dies, dass sie z.B. von den serbischen Behörden inhaftiert, ausgewiesen oder abgeschoben werden können.
57Ausgenommen von der Anwendung des „Botschaftsverfahrens“ sind nur folgende Fallgruppen:
581. Personen, denen subsidiärer Schutz gewährt wird und die sich in Ungarn aufhalten,
2. Familienangehörige von Flüchtlingen und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die sich in Ungarn aufhalten und
3. Häftlinge, die nicht auf illegale Weise eingereist sind.
Dublin-Rückkehrer unterfallen nicht diesen Ausnahmetatbeständen, bei deren Vorliegen innerhalb des ungarischen Hoheitsgebiets Asyl beantragt werden darf.
65Vgl. zu allem: Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Hungary, 2022 Update, S. 49 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformation der Staatendokumentation: Ungarn, Version 2 vom 12. April 2022, S. 3 ff.; U.S. Department of State (USDOS), Hungary: 2021 Human Rights Report, 12. April 2022, S. 22 ff.; Hungarian Helsinki Committee (HHC), Submission by the Hungarian Helsinki Committee and Menedek Association for Migrants, 25. März 2021, S. 7 ff.; HHC, Hungary de facto removes itself from the Common European Asylum System (CEAS), 12. August 2020, S. 2 ff.; Human Rights Watch (HRW), Hungary. Events of 2020, 24. Juli 2020, S. 4 f.; zur Verlängerung der sog. „Krisensituation wegen Massenmigration“ und der Gültigkeit des hierfür maßgeblichen Art. 267 des Gesetzes LVIII/2020 bis zum 31. Dezember 2024: https://njt.hu/jogszabaly/2020-58-00-00 (abgerufen am 19. Juli 2024).
66Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid unter Bezugnahme auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle (Saale),
67vgl. Beschluss vom 19. April 2021 - 4 B 254/21 HAL -, juris,
68weiterhin die Auffassung vertritt, der erschwerte Zugang zum Asylverfahren in Ungarn habe keine Auswirkungen auf den Kläger als Rückkehrenden im Dublin-Verfahren, wird dies durch die vorstehenden Erkenntnisse widerlegt. Der vom Bundesamt zitierte Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle (Saale) stützt sich maßgeblich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Ungarn des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich vom 26. Februar 2020 sowie den Country Report Hungary von AIDA, Update 2019, die das erst im Mai/Juni 2020 erstmals in Kraft getretene „Botschaftsverfahren“ noch gar nicht berücksichtigen konnten.
69Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19. April 2023 - 18a K 4243/22.A -, juris Rn. 84 ff.; VG Aachen, Urteil vom 21. Juli 2022 - 5 K 644/22.A -, juris Rn. 90 ff. und Beschluss vom 24. März 2022 - 5 L 199/22.A, juris Rn. 86 ff.
70Auch der Verweis des Bundesamtes in dem streitgegenständlichen Bescheid auf die Stellungnahme des NDGAP gegenüber dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office - EASO -, heute: EUAA) führt zu keinem anderen Ergebnis. Das NDGAP hat gegenüber EASO im Bericht von 2021 angegeben, dass das Asylverfahren von Dublin-Rückkehrenden in der Praxis durchgeführt werde, nachdem diese bei ihrer Ankunft ihre Absicht für die Aufrechterhaltung ihres Asylverfahrens erklärt hätten. Dieser Stellungnahme lassen sich jedoch keine konkreten Aussagen zum Ablauf des Verfahrens nach Rückkehr der Betroffenen entnehmen. Vielmehr bestätigt sie zunächst, dass die gesetzlichen Tatbestände, in denen abweichend vom Botschaftsverfahren eine Asylantragstellung in Ungarn direkt möglich sein soll, Dublin-Rückkehrende nicht erfassen. Darüber hinaus bleibt völlig offen, wie das Verfahren nach erfolgter Überstellung in der Praxis weitergeführt wird; insbesondere verhält sich die Stellungnahme nicht zu den näheren Umständen der geforderten „Absichtserklärung“ oder bei welcher Stelle die Dublin-Rückkehrer ihren Asylantrag stellen könnten. Es kann schließlich nicht davon ausgegangen werden, dass ungarische Behörden die für sie geltenden Gesetze nicht anwenden.
71Vgl. BayVGH, Beschluss vom 8. März 2023 - 24 ZB 22.50039 -, juris Rn. 14.
72Aus den dem Gericht vorliegenden und ausgewerteten Erkenntnismitteln ergibt sich auch keine von diesen gesetzlichen Vorgaben abweichende, verlässliche Praxis der ungarischen Behörden in den vergangenen Jahren. Daraus ist vielmehr ersichtlich, dass unter den genannten gesetzlichen Regelungen in Ungarn dem Hungarian Helsinki Committee lediglich in einem Einzelfall einer Überstellung einer syrischen Staatsangehörigen im Rahmen des Dublin-Verfahrens aus Deutschland nach Ungarn bekannt geworden ist, dass eine Asylantragstellung in Ungarn selbst möglich war.
73Vgl. AIDA, Country Report: Hungary, 2022 Update, S. 50.
74Aus dem von der ungarischen Dublin Coordination Unit mit Schreiben vom 24. Mai 2022 erklärten Einverständnis zur Überstellung des Klägers folgt vorliegend ebenfalls keine abweichende Einschätzung. Es handelt sich dabei nicht um eine individuelle Zusicherung, dass der Kläger in Ungarn einen Asylantrag stellen könnte und dieser unter Einhaltung der einschlägigen europarechtlichen Regelungen während seines Aufenthalts in Ungarn geprüft würde, sondern sie beinhaltet lediglich das Einverständnis für die Überstellung zur Feststellung des Asylgesuchs bzw. die Verantwortung für die Übernahme des Klägers.
75Ob dem Kläger darüber hinaus aufgrund der in Ungarn herrschenden Aufnahmebedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 Abs. 2 VO 604/2013 nach Überstellung drohen könnte, bedarf angesichts der vorstehenden Ausführungen keiner näheren Betrachtung.
762. Die unter Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides getroffene Feststellung des Fehlens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist bei Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung aus Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides jedenfalls verfrüht ergangen.
77Vgl. zu entsprechenden Fällen BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 21.
783. Die in Ziffer 3 des Bundesamtsbescheides vom 19. Juli 2022 enthaltene Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Sätze 1 und 3 AsylG ist ebenfalls rechtswidrig. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt u.a. dann, wenn ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abgeschoben werden soll, ohne vorherige Androhung und Fristsetzung die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
79Wie bereits ausgeführt, ist Ungarn vorliegend nicht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Aus diesen Gründen kann auch die Abschiebungsanordnung nicht auf § 34a Abs. 1 AsylG gestützt werden.
804. Die in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides enthaltene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist infolge der Aufhebung der Abschiebungsanordnung ebenfalls gegenstandslos geworden und aufzuheben.
81Vgl. VG Minden, Urteil vom 13. November 2019 - 10 K 2275/19.A -, juris Rn. 150; VG Augsburg, Urteil vom 3. Januar 2017 - Au 7 K 16.32192 -, juris Rn. 27.
82C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.