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Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. September 2020 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin wurde am 1. Mai 1982 in B. (Ägypten) geboren und ist ägyptische Staatsangehörige. Sie reist am 30. Dezember 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27. Februar 2020 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (künftig: Bundesamt) einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 2. März 2020 gab sie an, sie sei ursprünglich muslimischen Glaubens gewesen und habe aber ab 2008 den christlichen Glauben studiert und sich im Februar 2010 in der Kirche in H. heimlich taufen lassen. Ihre Familie wisse davon nichts. Von 2010 bis 2019 habe sie größtenteils in F. gelebt und dort auch an christlichen Gottesdiensten teilgenommen. Dort habe sie sich auch mit ihrem späteren Ehemann, dem Kläger im Verfahren 10 K 3158/20.A, im Mai 2019 verlobt. Bereits im Januar 2019 sei sie von Sicherheitsleuten zehn Stunden im Flughafen in N. festgehalten worden, wobei man ihr Gepäck nach religiösen Inhalten durchsucht habe. Auch im Jahr 2009 hatte man sie schon verhört gehabt. Im Juli 2019 sei ihr Verlobter von ihrem Bruder bedroht worden. Im November 2019 habe ihr Verlobter Drohanrufe erhalten. Nachdem ihre beiden Brüder ihr gedroht hätten, sie aus F. abzuholen und in Ägypten zu verheiraten, habe sie sich zur Ausreise nach Deutschland entschieden. Ihren Verlobten habe sie kirchlich am 13. Januar 2020 in W. geheiratet, die standesamtliche Trauung stehe noch aus. Bei einer Rückkehr nach Ägypten befürchte sie massive Probleme aufgrund ihrer Konversion und Eheschließung mit einem Christen. Sie befürchte, von ihrer Familie umgebracht zu werden. Sie habe lediglich sporadisch Kontakt zu ihrer Mutter, zu den übrigen Familienmitgliedern habe sie den Kontakt abgebrochen.
3Mit Bescheid vom 4. September 2020, zugestellt am 9. September 2020, lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf Zuerkennung subsidiären Schutzes ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
4Ferner forderte es die Klägerin auf, die Bundesrepublik innerhalb von 30 Tagen nach
5Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte ihr für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist die Abschiebung nach Ägypten an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
6Am 23. September 2020 hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben, welches mit Beschluss vom 3. Dezember 2020 das Verfahren an das Verwaltungsgericht Minden verwiesen hat.
7Am 23. August 2021 hat die standesamtliche Trauung zwischen der Klägerin und dem Kläger im Verfahren 10 K 3158/20.A stattgefunden.
8In den mündlichen Verhandlungen am 24. Mai 2022 und 28. Juli 2022 hat die Klägerin unter Vertiefung ihrer Ausführungen beim Bundesamt vorgetragen, sie habe im Jahr 2001 ihr Abitur gemacht und im selben Jahr mit ihrem Studium der Verwaltung, Handel und Management in H. begonnen, welches sie im Jahr 2006 abgeschlossen habe. Ihre Familie sei muslimischen Glaubens und habe sie auch dementsprechend erzogen. Im Jahr 2008 habe sie einen christlichen Mann kennengelernt, der sie zum Nachdenken über den Islam gebracht habe. Nachdem sie online die Bibel studiert gehabt habe, sei sie überzeugt gewesen, Christin werden zu wollen. Von Januar 2010 bis zum 17. Februar 2010, dem Tag ihrer Taufe, habe sie regelmäßig einen Priester namens C. G. von der Kirche des Märtyrers U. in H. aufgesucht. Im Mai 2010 sei sie aus beruflichen Gründen nach F. gegangen. Dort habe sie regelmäßig die Gottesdienste der St. J. besucht und zumeist Kontakt mit Vater X. gehabt. In der Kirche in F. sei sie unter ihrem Taufnamen R. bekannt gewesen. Unter diesem Namen habe sie sich auch den Priestern vorgestellt gehabt. Im Jahr 2019 habe sie in F. auf Vermittlung der Priester auch ihren späteren Ehemann, den ägyptischen Staatsangehörigen Y. I. M., geb. 29. August 1988, der seit seiner Geburt christlichen Glauben sei, kennengelernt. Im Oktober 2019 habe ihr Ehemann die Taufbescheinigung der Kirche in H. besorgt. Ursprünglich habe sie bereits nach ihrer Taufe im Jahr 2010 eine Bescheinigung hierüber haben wollen. Der Priester habe die Ausstellung einer solchen Bescheinigung damals jedoch abgelehnt, da dies seiner Auffassung nach zu gefährlich gewesen wäre. Im Dezember 2019 sei sie in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ihre kirchliche – christliche – Eheschließung habe am 13. Januar 2020 in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden. Am 23. August 2021 habe sie ihren Ehemann standesamtlich geheiratet. Von ihrer Konversion vom Islam zum Christentum wisse in Ägypten offiziell niemand. Auch von ihrer Eheschließung wisse niemand. Sie habe insbesondere den Eintrag ihrer Religion im Personalregister bzw. ihrem Personalausweis nicht ändern lassen. Sie sei allerdings u.a. im Januar 2019 von Sicherheitsbehörden mehrere Stunden bei ihrer Einreise nach Ägypten im Flughafen festgehalten und befragt worden. Einer ihrer Brüder vermute zudem, dass sie zum Christentum konvertiert sein könnte und habe sie deshalb geschlagen und bedroht. Auch hätten ihre Brüder sie mit einem islamischen Mann verheiraten wollen, weshalb ihr Ende 2019 letztlich nur die Möglichkeit der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland geblieben sei. Bei einer Rückkehr nach Ägypten drohten ihr erhebliche Gefahren. So sei davon auszugehen, dass sie dort die Ehe mit ihrem christlichen
9Ehemann nicht leben dürfe. Ihre Konversion zum Christentum werde entweder nicht
10anerkannt, so dass sie weiter als Muslima gelte und deshalb nicht mit einem Christen
11verheiratet sein dürfe, oder es drohten ihr und ihrem Mann mit Blick auf die Konversion
12furchtbare Nachteile bis hin zur Zwangsscheidung und sogar dem möglichen Tod.
13Mit Beweisbeschluss vom 12. Oktober 2022 hat das erkennende Gericht an das Auswärtige Amt ein Auskunftsersuchen gerichtet, welches es mit Schreiben vom 26. Juni 2023 und 8. April 2024 beantwortet hat.
14In der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2024 hat die Klägerin ferner vorgetragen, sie habe Kontakt nur mit ihrer Mutter, und zwar einmal bzw. zweimal wöchentlich. Bei diesen Gelegenheiten führe sie über Messenger einen sog. Voicecall durch. Sie habe keinen Kontakt zu ihren männlichen Verwandten. Ihr Bruder sei immer noch erfolgreich im Showgeschäft in Ägypten tätig, er werde z. B. bei staatlichen Veranstaltungen als Künstler gebucht. Ihre Ehe sei weiterhin ein großes Geheimnis. Ihre Mutter denke, dass sie allein in S. lebe und dorthin übergesiedelt sei, nachdem sie F. verlassen gehabt habe. Sie habe ihre Mutter angelogen und gesagt, sie lebe in Sydney. Sie habe deswegen S. gewählt, weil S. so weit weg sei und es schwierig sei, für S. ein Visum zu bekommen. Auf diese Weise solle ein Besuch ihrer Mutter vermieden werden. Dies erleichtere aber auch ihre Ausrede, nicht nach Hause zu kommen, aufgrund der weiten Entfernung. Wenn ihre Verwandten von der Eheschließung erfahren würden, hätten sie wirklich große Probleme, sogar in Deutschland. Problematisch sei in diesem Zusammenhang auch, dass sich ein Visum für den Schengenraum viel einfacher erhalten lasse, als beispielsweise ein Visum für S.. Die Ägypter in Deutschland seien sehr gut vernetzt, so dass ihr Aufenthaltsort schnell bekannt würde. Für ihre männlichen Verwandten sei das auf jeden Fall eine Sache der Ehre, die u. U. auch mit ihrem Tod einhergehen würde. Die große Ehrverletzung liege darin, dass sie ohne das Einverständnis der Familie einfach einen Christen geheiratet habe und sich auch noch vom Islam abgewandt habe. Sie besuche regelmäßig mit ihrem Mann die kirchliche Gemeinde in T.. Immer sonntags sei der Gottesdienst. Dieser dauere von 9.30 Uhr bis rund 13.00 Uhr. Die Gemeinde habe 250 Mitglieder. Sie unterrichte mit großer Freude in der Sonntagsschule. Dort würden den Kindern nach einem Plan aus Ägypten bestimmte religiöse Lektionen erteilt werden. Die besten und fleißigsten Kinder würden mit Preisen geehrt. Die Kinder besuchten ungefähr ab der 5. Klasse bis zum Abitur diese Sonntagsschule. Hierzu gebe es bestimmte Veranstaltungen, bei denen die Kinder dann ausgezeichnet würden. Das sei jedes Mal ein großes Ereignis. Es seien z. B. Goldanhänger mit Namensprägung verteilt worden. Bei dem Anhänger habe es sich um ein Kreuz gehandelt. Bischof A. könne die Echtheit ihrer Taufe bestätigen. Zu diesem Zwecke habe er bestimmt Kontakt mit Ägypten aufgenommen, und zwar sei der Kontakt mit dem Priester zustande gekommen, der sie auch getauft habe. Wenn sie mit ihrem Ehemann nach Ägypten zurückkehren würde, wäre schon die Anmietung einer gemeinsamen Wohnung unmöglich. Denn bei der Anmietung einer Wohnung in Ägypten müssten sie ihre Heiratsurkunde vorlegen. Da in der Heiratsurkunde ihr voller Name genannt sei, würde dem Vermieter gleich auffallen, dass dort ein christlicher Mann und eine muslimische Frau auf dem Papier stünden. Es sei so, dass sie und ihr Ehemann jeweils eine Vier-Namens-Kette hätten. Alle ihre vier Namen zeugten von einer muslimischen Herkunft und alle vier Namen ihres Ehemannes von einer christlichen Herkunft. Es sei sogar anzunehmen, dass aufgrund dieser detaillierten Namenskette, ein Vermieter aus ihrem Namen die Verwandtschaft zu dem Fernsehstar herleiten könnte. So sei eine Identifizierung ganz leicht möglich. Es sei auch denkbar, dass der Vermieter gleich die Polizei alarmieren würde. Es sei ihr auch nicht möglich und zuzumuten, mit ihrem Ehemann unter einer falschen Identität zu leben. Dies sei allenfalls denkbar, wenn man auf dem Land lebe, wo vielleicht Lohnzahlungen noch in bar geleistet würden. Wenn man aber in großen Städten einer Arbeitstätigkeit nachgehe, sei davon auszugehen, dass dort dann auch die Gehaltszahlung auf das Konto gebucht würde. Hierzu müsste dann der Personalausweis vorgelegt werden, um die Identität festzustellen. Der Personalausweis müsse auch für Krankenhausbesuche und Arztbesuche vorgelegt werden. Es sei also nicht ohne Weiteres möglich, unter einer falschen Identität zu leben.
15Die Klägerin beantragt,
16die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 4. September 2020 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise, festzustellen, dass die Voraussetzungen des subsidiären Schutzstatus gem. § 4 AsylG vorliegen; weiterhin hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
17Die Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Sie macht geltend, dass trotz der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2024 nicht davon auszugehen sei, dass die Klägerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfülle. Die Klägerin sei schon nicht vorverfolgt aus Ägypten ausgereist. Die geschilderten Übergriffe und Verhöre in den Jahren 2009 und 2019 reichen hierfür nicht aus. Sie habe überdies die behauptete Taufe im Jahr 2010 nicht nachgewiesen, da sich die Echtheit der Taufbescheinigung nicht habe bestätigen lassen. Es sei ihr zuzumuten, sich in den Metropolen P. und N. niederzulassen und so internen Schutz zu erlangen. Eine Konversion sei nicht strafbewehrt in Ägypten, sodass ihr auch kein subsidiärer Schutz zustehe.
20Die Klägerin ist in den mündlichen Verhandlungen vom 24. Mai 2022, 28. Juli 2022 und 11. November 2024 zu ihren Asylgründen befragt worden. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf die jeweiligen Sitzungsniederschriften und wegen der übrigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Gerichtsakte, die Verfahrensakte 10 K 3158/20.A, die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes (2 Hefter) und die beim Kreis Lippe über die Klägerin geführte Ausländerakte Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe:
22Die Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig, sie ist zudem begründet. Der ablehnende Bescheid des Bundesamtes vom 4. September 2020 ist, soweit er angefochten worden ist, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn die Klägerin hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG.
23Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG setzt voraus, dass der Ausländer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet. Gemäß § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
24Als Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder der Ausländer von einem Zusammentreffen unterschiedlicher Maßnahmen in ähnlich gravierender Weise betroffen ist.
25In § 3b AsylG werden die flüchtlingsschutzrelevanten Verfolgungsgründe abschließend beschrieben. Eine politische Überzeugung als Anknüpfungspunkt einer Verfolgung i.S.d § 3 Abs. 1 AsylG liegt insbesondere dann vor, wenn der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 3c AsylG).
26Vor Rechtsverletzungen, die ihm nicht gezielt in Anknüpfung an persönliche, flüchtlingsschutzrelevante Merkmale zugefügt werden, sondern ihn als Folge der allgemein im Herkunftsstaat herrschenden Zustände treffen, wie etwa in Folge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer wirtschaftlichen Notlage oder bei politischen Unruhen, Revolutionen oder (Bürger-)Krieg, schützt ihn weder das nationalrechtliche Asylrecht gem. Art. 16a GG noch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
27Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86,2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 –, juris Rn. 43; st. Rspr. des BVerwG, z.B. Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, juris Rn. 32 m. w. N.
28Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin „wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten.
29Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 –, a.a.O. Rn. 44 und vom20. Dezember 1989 – 2 BvR 958/86 –, juris Rn. 22.
30Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
31Die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU). Eine bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss.
32Vgl. zur Vorgängervorschrift in Art. 4 Abs. 4 der RL 2004/83/EG BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 – 10 C 24.08 –, juris Rn. 14, m.w.N.
33Hat der Schutzsuchende seinen Heimatstaat dagegen unverfolgt verlassen, so kann sein Begehren nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von beachtlichen Nachfluchttatbeständen politische bzw. sonstige flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung droht.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 –, juris; OVG NRW, Urteile vom 22. September 2010 – 3 A 1379/09.A – und vom 24. August 2010 – 3 A 1170/09.A –, jew. n.v.
35Für die danach anzustellende Prognose gilt im Rahmen der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG – unabhängig davon, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist – der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die zum Asylgrundrecht entwickelten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe finden unter Geltung der RL 2011/95/EU, wie auch unter Geltung der Vorgängerrichtlinie 2004/83/EG, keine Anwendung.
36Vgl. BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, juris Rn. 21 ff., und vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, juris,Rn. 19 und 32.
37Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der in dem Tatbestandsmerkmal „… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung …“ in Art. 2 lit. d) RL 2011/95/EU und dem nachfolgend in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG angelegt ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –, a.a.O., Rn. 32, m.w.N.
39Hierbei ist die Regelung in Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zu beachten, die den Asylantragsteller durch eine Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung privilegiert, indem sie in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beimisst. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Die Vermutung kann allerdings dadurch widerlegt werden, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 –, a.a.O,zu Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG.
41Aus der in Art. 4 Abs. 1 und 2 RL 2011/95/EU geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheit des Asylantragstellers folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben der Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Es ist daran festzuhalten, dass er dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern hat, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische bzw. flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung abgibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.
42Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 1989 – 9 B 239.89 –, vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405.89 –, und vom 3. August 1990 – 9 B 45.90 –, jew. juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Januar 2016 – 13 A 1868/15.A –, juris, und vom 27. Januar 2015 – 11 A 166/14.A –, n.v.
43Bei der Prüfung ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkret Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist. Unzumutbar kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falls die "reale Möglichkeit" einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnenen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert. Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z.B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen. Für die Beurteilung sind alle Akte zu berücksichtigen und einzustellen, denen der Ausländer ausgesetzt war oder die ihm gedroht hatten, um festzustellen, ob unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände diese Handlungen als Verfolgung im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG gelten können. Zur Erstellung der erforderlichen Prognose sind objektiviert die Prognosetatsachen nach den allgemeinen Maßstäben des verwaltungsverfahrensrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Regelbeweismaßes der Überzeugungsgewissheit zu ermitteln und festzustellen. Diese Tatsachen liegen regelmäßig teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Sie müssen sodann in einer Gesamtschau verknüpft und gewissermaßen in die Zukunft projiziert werden. Auch wenn insoweit - wie sich bereits aus dem Gefahrbegriff ergibt - eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ausreicht und deshalb ein "voller Beweis" nicht erbracht werden kann, ändert dies nichts daran, dass das Gericht von der Richtigkeit seiner verfahrensfehlerfrei gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle Überzeugung gewonnen haben muss.
44Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 3. November 2016 - A 9 S 303/15 -, juris, Rn. 32 ff. m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 21. September 2015 - 9 LB 20/14 -, juris, Rn. 30 m.w.N.; VG Düsseldorf, Urteil vom 1. Juli 2024 – 12 K 4963/24.A –, juris Rn. 45f.
45Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten der Flüchtlinge kann aber schon allein der eigene Tatsachenvortrag zur Anerkennung bzw. Feststellung des begehrten Anspruchs führen, sofern das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände von der Wahrheit des geschilderten Verfolgungsschicksals überzeugt ist. Hierbei darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind.
46Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Mai 1996 – 9 B 273.96 –, juris, und Urteil vom 16. April 1985 – 9 C 109.84 –, juris;OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Januar 2016 – 13 A 1868/15.A –, a.a.O., und vom 6. August 2012 – 13 A1118/12.A –, juris.
47Gemessen an diesen Voraussetzungen hat die Klägerin einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Auch wenn die Klägerin praktisch unverfolgt aus ihrem Herkunftsland ausgereist ist, droht ihr im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung in Anknüpfung an ihre Religionszugehörigkeit. Die Klägerin hat insbesondere in den stattgefundenen mündlichen Verhandlungen glaubhaft ihren Wechsel vom Islam zum Christentum dargetan. Das Gericht ist ferner davon überzeugt, dass die Konversion der Klägerin auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruht und dass der neue Glaube ihre religiöse Identität prägt und sie in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund regelmäßiger Gottesdienstbesuche und ihres Engagements bei der Unterrichtung von Kindern im Rahmen der Sonntagsschule diesen Glauben aktiv praktiziert. Zwar konnte das Auswärtige Amt ausweislich seiner Auskunft vom 8. April 2024 an das erkennende Gericht keine Erkenntnisse dazu gewinnen, dass die Klägerin tatsächlich am 17. Februar 2010 in H. christlich getauft wurde. Das Auswärtige Amt konnte ausweislich seiner Stellungnahme vom 26. Juni 2023 jedoch die Echtheit der Bescheinigung vom 27. Dezember 2019 feststellen, wonach die Klägerin während ihres langjährigen Aufenthaltes in F. regelmäßig die St. J. besucht hat. Ferner hat die Klägerin nach koptisch-orthodoxem Ritus den Kläger im Verfahren 10 K 3158/20.A geheiratet. Das Gericht folgt nach Überprüfung den Ausführungen des VG Berlin, Urteil vom 1. Juli 2021 – VG 32 K 781.17.A –, juris, und des VG Trier, Urteil vom 3. November 2022 – 5 K 2396/22.TR –, juris, wonach nach der aktuellen Erkenntnislage davon auszugehen ist, dass Menschen, die vom islamischen Glauben zum Christentum konvertiert sind, in Ägypten Verfolgung droht. Die Religionsfreiheit ist eingeschränkt. Der Islam ist Staatsreligion und die Scharia die Hauptquelle der Verfassung. Konvertiten haben mit gesellschaftlicher Ächtung und massiver Repression durch Dritte zu rechnen. Es drohen willkürliche Inhaftierungen, lange Gefängnisstrafen wegen Blasphemievorwürfen sowie Gewaltakte durch staatliche und nicht-staatliche Akteure, häufig auch durch Familienmitglieder. Eine inländische Fluchtalternative bietet allenfalls vorübergehend eine Verbesserung der Situation. Der ägyptische Staat ist dabei grundsätzlich nicht bereit, einen effektiven Schutz vor Übergriffen bereitzustellen.
48Dies deckt sich auch mit der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2024, das in seiner Stellungnahme an das erkennende Gericht u.a. ausführt:
49„Den Erfahrungen des Auswärtigen Amtes zur Folge kehren betroffene Frauen (sowie Männer) in der Regel nicht nach EGY zurück, da mit massiven Problemen im alltäglichen Leben zu rechnen ist. Das betrifft unter anderem die berufliche Tätigkeit, Religionsausübung sowie andere alltägliche Bereich. Der größte Risikofaktor sind dabei meist die Familien, die die Konvertierung nicht anerkennen. Teilweise werden Betroffene in psychologische Einrichtungen eingewiesen. In vielen Fällen kommt es zur Anzeige und entsprechend Verhaftung und Misshandlung durch die Sicherheitsdienste.
50Die Intensität von Schikane und Belästigungen hängt dabei stark von spezifischen sozialen Umfeld ab. Je eher der Fall als Risiko für den sozialen Zusammenhalt der Gemeinschaft gewertet wird, desto größer das Risiko einer Verhaftung.
51Es sind mehrere Fälle bekannt, bei denen Frauen mit gefälschter Identität ihr Leben weiterführen. (…)
52Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts werden entsprechende Ehen in Ägypten nicht anerkannt. Fälle von Zwangsscheidungen sind jedoch nicht bekannt. Sofern ein solches Ehepaar die Registrierung/Anerkennung der Ehe bei den zuständigen ägyptischen Behörden beantragt, kann es nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts zur Einleitung eines Strafverfahrens kommen. Tatvorwurf wäre sodann nicht die Eheschließung selbst, sondern die „Beleidigung des Islams“ als Blasphemie-Tatbestand, welche in Ägypten unter Strafe steht. (…)
53Nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wird eine entsprechende Konversion
54grundsätzlich nicht anerkannt. Es muss mit Einleitung eines Strafverfahrens gerechnet werden (siehe Frage g). Ausnahmen bestehen lediglich für Personen, die vom Christentum zum Islam konvertiert sind und anschließend wieder zum Christentum konvertieren wollen. Dies ist in Ägypten möglich. (…)
55Bestehenden Erfahrungswerten nach zeigt sich der Staat nicht schutzbereit und lässt Straftaten im Regelfall ungeahndet geschehen.“
56Zwar geht das Gericht davon aus, dass die von der Klägerin geschilderten Vorfälle im Zusammenhang mit Befragungen durch ägyptische Staatsbedienstete in den Jahren 2009 und 2019 noch keine Verfolgung im obigen Sinne dargestellt haben und auch die Bedrohungen und Misshandlungen durch Familienangehörige in Gestalt ihrer Brüder noch nicht als Verfolgung anzusehen war. Selbst unter der Annahme, dass die Klägerin (noch) unverfolgt aus Ägypten ausgereist wäre, ist ihr allerdings Flüchtlingsschutz zuzuerkennen. Denn das Gericht ist auch unabhängig von einer etwaigen Vorverfolgung überzeugt, dass ihr bei einem Verbleib in Ägypten dem Schutzbereich des § 3 AsylG unterfallende Rechtsverletzungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gedroht hätten bzw. ihr im Fall einer freiwilligen oder zwangsweisen Rückkehr drohen, zumal sie nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland die Ehe mit dem Kläger im Verfahren 10 K 3158/20.A, einem Christen, geschlossen hat. Die Klägerin hat auch insoweit in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargetan, dass sie durch ein Bekanntwerden dieser Eheschließung nunmehr der Verfolgung durch ihre Familie ausgesetzt wäre, so dass sie auch nicht auf inländische Fluchtalternativen zu verweisen ist.
57Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der Klägerin nicht etwa entgegengehalten werden kann, dass sie die Gefahr der Verfolgung und Bestrafung dadurch verringern kann, dass sie ihre christliche Religion nicht offen auslebt und auch auf ein Zusammenleben mit ihrem christlichen Ehemann verzichtet. Von der schutzsuchenden Asylbewerberin kann nicht verlangt werden, dass sie ihre Religion in ihrem Herkunftsland geheim hält oder zur Vermeidung von Verfolgung Zurückhaltung beim Ausleben ihrer Religion übt bzw. sich von ihrem christlichen Ehemann trennt. Auch kann der schutzsuchenden Asylbewerberin nicht zugemutet werden, ein Leben unter gefälschter Identität zu führen. Hinzu kommt, dass ein Leben unter falscher Identität gerade in den Großstädten Ägyptens mit Blick auf das Erfordernis der Vorlage von Personalpapieren beispielsweise für den Banktransfer von Arbeitslöhnen sowie bei Krankenhausbesuchen sowie Arztkonsultationen nur schwerlich möglich ist.
58Einer Entscheidung über die hilfsweise gestellten Anträge auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG sowie auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedurfte es nicht mehr, da die Beklagte zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG verpflichtet wurde.
59Die Kostentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
60Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und Satz 2, 709 Satz 2 ZPO.