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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein fleischverarbeitender Betrieb mit Sitz in S. , in welchem bereits zerlegtes Geflügelfleisch zu Endprodukten verarbeitet wird.
3Im Mai und Juni 2020 kam es zu mehreren Infektionsereignissen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in Betrieben der Fleischindustrie.
4Erstmals mit Allgemeinverfügung vom 26. Juni 2020 (MBl. NRW. 2020 S. 321), berichtigt am 1. Juli 2020 (MBl. NRW. 2020 S. 331a), sowie sodann mit Allgemeinverfügung vom 1. Juli 2020 (MBl. NRW 2020 S. 328b), die die Allgemeinverfügung vom 26. Juni 2020 aufhob und ersetzte, ordnete das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) des beklagten Landes verschiedene Schutzmaßnahmen zur Vermeidung weiterer Infektionsgeschehen in Großbetrieben der Fleischwirtschaft an. Die Schutzmaßnahmen sahen u.a. vor, dass in der Produktion von Schlachthöfen, Zerlegebetrieben und anderen vorwiegend fleischverarbeitenden Betrieben nur Personen eingesetzt werden durften, die mindestens ein- bzw. zweimal pro Woche auf Kosten des Betriebsinhabers auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV‑2 durch PCR-Verfahren getestet worden waren und dabei ein negatives Testergebnis hatten.
5Mit hier streitgegenständlicher Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 (MBl. NRW. 2020 S. 432a) wurde zur Vermeidung weiterer Infektionsgeschehen in Schlacht-, Zerlege- und Fleischverarbeitungsbetrieben, Wildbearbeitungsbetrieben sowie sonstigen Betrieben, die Lebensmittel aus unverarbeitetem Fleisch herstellen oder behandeln, unter Ziffer 1. i.V.m. Ziffer 1.1. angeordnet, dass solche Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten an einem räumlich zusammenhängenden Standort - unabhängig davon, ob es sich um eigene Beschäftigte oder solche von im Betrieb tätigen Werkvertragsnehmern handelt - nur Personen in der Produktion einsetzen dürfen, die mindestens zweimal pro Woche auf Kosten des Betriebsinhabers auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 durch PCR-Verfahren getestet werden und dabei ein negatives Testergebnis haben. Bei Betrieben mit weniger als 100 Beschäftigten in der Produktion war ein Test pro Woche ausreichend. In Betrieben mit 100 und mehr Beschäftigten in der Produktion war ebenfalls eine Testung pro Woche ausreichend, wenn und solange die letzten zwei Testungen ausschließlich negative Testergebnisse erbracht hatten und zugleich Personen, die mehr als 5 Tage nicht im Betrieb tätig gewesen waren vor dem (Wieder-)Eintritt in den Betriebsablauf gesondert getestet worden waren. Die Testergebnisse waren an das Landesinstitut für Arbeitsgestaltung zu melden. Unter Ziffer 1.2. ordnete das MAGS an, dass Beschäftigte ausdrücklich darüber zu informieren seien, dass sie mit Erkältungssymptomen nicht arbeiten dürften, sondern mit einem Anspruch auf Lohnfortzahlung der Arbeit fernbleiben müssten. Außerdem seien sie über die allgemeinen Hygienemaßnahmen, über die richtige Verwendung und die maximale Tragdauer der Mund-Nasen-Bedeckung hinzuweisen, wobei die Information in der Muttersprache zu erfolgen habe. Unter Ziffer 1.3. verfügte das MAGS, dass die Namen und Wohn-/Aufenthaltsadressen sämtlicher auf dem Betriebsgelände anwesender Personen jederzeit und mit aktuellem Stand verfügbar sein müssten und für einen Zeitraum von vier Wochen nach dem jeweiligen Erhebungsdatum aufzubewahren seien. In Ziffer 3 wurde die Geltungsdauer der Allgemeinverfügung auf den 31. August 2020 befristet. Zudem wurde bestimmt, dass die Allgemeinverfügung vom 1. Juli 2020 (MBl. NRW. 2020 S. 328b) durch diese Allgemeinverfügung ersetzt wird. Zur Begründung der Allgemeinverfügung hieß es, aufgrund von verschiedenen massiven Infektionsgeschehen in Schlachthöfen und fleischverarbeitenden Betrieben müsse davon ausgegangen werden, dass größere Betriebe dieser Branche aufgrund der Mitarbeiterstruktur, der Arbeitsorganisation und der Arbeitssituation in der Produktion ein erhebliches Risiko für massenweise auftretende Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 innerhalb der Belegschaft bergen würden. Gerade anhand eines Ausbruchsgeschehens im Kreis H. und erster hierzu vorliegender wissenschaftlicher Einschätzungen zu möglichen Ursachen sei davon auszugehen, dass u.a. die Belüftungsanlagen im Zusammenspiel mit der für diese Betriebe typischerweise erforderlichen Luftkühlung ein nicht unerhebliches Infektionsrisiko bergen würden. Da zudem noch nicht eindeutig geklärt sei, welche betriebsorganisatorischen oder technischen Gründe ggf. zusätzlich das Infektionsgeschehen begünstigen würden, müsse alles getan werden, um schon den Eintrag möglicher Viren in die Betriebe so weit wie möglich zu unterbinden. Deshalb müssten die Beschäftigten in der Produktion regelmäßig getestet werden und dürften bei Erkältungssymptomen keinesfalls auf das Betriebsgelände gelangen. Nach der erstmaligen Anordnung entsprechender Testungen habe das zuständige Ministerium die Umsetzung und das Infektionsgeschehen laufend überwacht. Gerade ein aktueller weiterer Ausbruch in einem Geflügelschlachtbetrieb in Niedersachsen zeige, dass die vorsorglichen Sicherungsmaßnahmen nach wie vor geboten seien. Aufgrund des unterschiedlichen Verbreitungsrisikos erfolge weiterhin eine differenzierte Vorgabe für Betriebe mit weniger bzw. mehr als 100 Beschäftigten in der Produktion. Zusätzlich werde der Anwendungsbereich im Hinblick auf die besonders infektionsgefährdenden Produktionsbedingungen auf die Betriebe eingeschränkt, die mit unverarbeitetem Fleisch umgingen und deshalb auf die entsprechenden Produktionsbedingungen angewiesen seien.
6Gegen die Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 hat die Klägerin am 31. Juli 2020 zunächst eine Anfechtungsklage erhoben. Nachdem die Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 mit Allgemeinverfügung vom 28. August 2020 (MBl. NRW. 2020 S. 468b) aufgehoben worden war, beantragt die Klägerin nunmehr,
7gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO festzustellen, dass die Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 über die Vermeidung weiterer Infektionsgeschehen in Großbetrieben der Fleischwirtschaft (CoronaAVFleischwirtschaft) rechtswidrig war,
8hilfsweise zusätzlich,
9das beklagte Land gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, die Vollziehung der Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 über die Vermeidung weiterer Infektionsgeschehen in Großbetrieben der Fleischwirtschaft (CoronaAVFleischwirtschaft) rückgängig zu machen und an sie 109.902,50 € zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
10hilfsweise,
11das beklagte Land zu verpflichten, an sie 109.902,50 € zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12Zur Begründung des Hauptantrags führt die Klägerin aus, streitgegenständlich sei die Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020, soweit unter Ziffer 1. i.V.m. Ziffer 1.1. eine Testpflicht auf Kosten des Betriebsinhabers angeordnet worden sei. Die insoweit streitgegenständliche Allgemeinverfügung sei rechtswidrig gewesen. Die Klage sei zulässig, weil sie ein Interesse an einer Feststellung der Rechtswidrigkeit habe. Sie habe im Verfügungszeitraum für die Tests insgesamt 109.902,50 € aufwenden müssen und beabsichtige, diese Kosten im Wege der Vollzugsfolgenbeseitigung sowie gegebenenfalls hilfsweise im Wege der Staatshaftung geltend zu machen. Ihr seien zudem auch in weiteren Zeiträumen Testkosten entstanden. Auch insoweit beabsichtige sie, die Kosten bei dem beklagten Land geltend zu machen. Ein feststellendes Urteil würde auf den Ausgang solcher Prozesse erhebliche Indizwirkung haben. Aufgrund des Kostenrisikos sei die vorherige Stellung eines Eilantrages nicht Voraussetzung für die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs. Auch sei die Schuldhaftigkeit einer Amtspflichtverletzung nicht offensichtlich ausgeschlossen. Erst bei Abfassung der Verordnung vom 28. August 2020 und nicht bereits bei der gegenständlichen Allgemeinverfügung habe das beklagte Land sich an dem Gutachtenentwurf von Prof. F. orientiert. Abgesehen davon könne sie ihr Begehren auch auf den Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch sowie auf einen Anspruch aus § 39 OBG NRW stützen, die ein Verschulden des Amtsträgers nicht voraussetzten. Zumindest § 39 Abs. 1 lit. b) OBG NRW sei auch neben Anspruchsgrundlagen aus dem IfSG anwendbar, da diese nur bei rechtmäßigem Verwaltungshandeln eingreifen würden. Überdies bestehe ein Feststellunginteresse auch deshalb, weil die Feststellung der Rechtswidrigkeit zu einem Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch führe. Das Feststellungsinteresse ergebe sich schließlich auch aus einer Wiederholungsgefahr, da nicht ausgeschlossen sei, dass das beklagte Land eine extensive Testverpflichtung angesichts von Virus-Mutationen wieder aufnehme und dabei weiterhin die Kosten auf die Betriebsinhaber abwälze.
13Ihre Klage sei auch begründet.
14Die gegenständlichen Regelungen hätten schon nicht durch Allgemeinverfügung ergehen dürfen. Das beklagte Land habe sich der Rechtsform der Verordnung bedienen müssen. Dies betreffe insbesondere die Regelung zu den verpflichtenden Tests. Das Ministerium habe die Allgemeinverfügung in Reaktion auf ein konkretes Infektionsgeschehen in einem Schlachtbetrieb erlassen. Die Testpflicht stütze sich daher nur in Bezug auf Schlachtbetriebe auf einen konkreten Einzelfall, nicht jedoch in Bezug auf geflügelfleischverarbeitende Betriebe. Überdies müssten im Zweifel aus staatsorganisatorischer Sicht wegen der Notwendigkeit einer hinreichend bestimmten formellen gesetzlichen Verordnungsermächtigung (Art. 80 Abs. 1 GG) landesweit geltende Regelungen als Verordnung erlassen werden. Andernfalls läge eine „Flucht in den Verwaltungsakt“, mit welcher die besonderen Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 GG umgangen würden, vor.
15Zudem habe es an einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage für die verfügte Testpflicht gefehlt. Der Gesetzgeber sei seiner Gestaltungspflicht nicht rechtzeitig nachgekommen, sodass die streitgegenständlichen Regelungen nicht mehr auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG hätten gestützt werden können. Daher werde angeregt, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 28 Abs. 1 GG zum Zeitpunkt des Erlasses der gegenständlichen Allgemeinverfügung dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG vorzulegen. Bei den angeordneten PCR-Tests handele es sich darüber hinaus um körperliche Untersuchungen, die mit Eigriffen in die körperliche Unversehrtheit einhergingen. Zu solchen Eingriffen habe § 28 Abs. 1 IfSG in der im streitgegenständlichen Zeitraum vom 20. Juli 2020 bis zum 28. August 2020 geltenden Fassung jedoch nicht ermächtigt. Diese dürften gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG nur aufgrund einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage und nicht durch die Generalklausel § 28 IfSG angeordnet werden. Überdies habe § 28 IfSG in der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung Art. 2 Abs. 2 GG nicht als eingeschränktes Grundrecht genannt. Darüber hinaus sei § 29 IfSG gegenüber § 28 IfSG lex specialis für die gegenständliche Anordnung von Reihentestungen, da diese nämlich der Beobachtung von Infektionen bei ihren Mitarbeitern gedient habe. Jedoch sei diese Vorschrift nur an Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider adressiert. Diese habe es in den fleischverarbeitenden Betrieben nicht gegeben.
16Die Allgemeinverfügung sei auch formell rechtswidrig gewesen, da das beklagte Land nicht begründet habe, warum die Betriebe die Kosten der Testung zu tragen hätten. Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit dieser Kostenverteilung fehlten. Auch sei nicht dargelegt worden, warum das Land diese Kosten nicht übernehmen könne. Der Umstand, dass im Verwaltungsverfahren über die Kostentragungspflicht gesprochen worden sei, entbinde die Behörde nicht von ihrer Begründungspflicht. Entgegen der Ansicht des beklagten Landes sei § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW nicht einschlägig. Diese Vorschrift beziehe sich auf Allgemeinverfügungen, bei denen eine Begründung typischerweise mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sei, wie z.B. Straßenschilder. Vorliegend sei jedoch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten entweder eine teleologische Reduktion des § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW vorzunehmen oder eine Verpflichtung zur Begründung aus § 37 Abs. 2 VwVfG NRW analog aufgrund eines berechtigten Interesses an einer Begründung anzunehmen, da nur so die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs eingeschätzt werden könnten. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass § 28a Abs. 5 IfSG nunmehr ein Begründungserfordernis sogar für Rechtsverordnungen vorsehe.
17Die fehlende Begründung der Kostentragungspflicht führe auch zur materiellen Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung, da § 28 Abs. 1 IfSG eine Ermessensvorschrift sei und im Hinblick auf die Kostentragungspflicht Ermessensnichtgebrauch vorliege.
18Überdies seien die getroffenen Anordnungen unverhältnismäßig und somit materiell rechtswidrig.
19Dabei sei zunächst zu berücksichtigten, dass das beklagte Land nur einen sehr geringen Einschätzungsspielraum habe, da es sich der Rechtsform der Allgemeinverfügung bedient habe und nicht auf gesetzesvertretende Verordnungen gemäß Art. 80 Abs. 4 GG zurückgegriffen habe.
20Soweit die Testpflicht auch genesene Personen umfasst habe, sei sie schon nicht geeignet, den Gesundheitsschutz zu erreichen, da Genesene nach wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht relevant zur Verbreitung des Infektionsgeschehens beitragen würden.
21Überdies seien die getroffenen Anordnungen für ihren Betrieb, in welchem bereits zerlegtes Fleisch lediglich verarbeitet werde, nicht erforderlich gewesen, da bei höheren Temperaturen und unter deutlich weniger körperlichen Anstrengungen gearbeitet werde als in Schlacht- und Zerlegebetrieben. Insoweit sei auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster vom 6. August 2020 - 5 L 596/20 - zu verweisen. Auch ein Ausbruchsgeschehen in einem fleischverarbeitenden Betrieb, bei welchem die Quote der infizierten Beschäftigten nicht bestimmt werden könne, lasse nicht den Schluss zu, dass es typischerweise in allen Betrieben der Branche zu einem Ausbruchsgeschehen kommen könne. Insoweit habe es sich auch um einen Einzelfall handeln können, bei dem die Infektionen auf betriebsinterne Fehler zurückzuführen seien. Zudem widerspreche das Gutachten von Prof. F. , welches dem beklagten Land bereits am 24. Juni 2020 in der Entwurfsfassung vorgelegen habe, der Annahme, dass sich in einem fleischverarbeitenden Betrieb eine hohe Quote von Mitarbeitern infiziert habe. Hinzu komme, dass sie - die Klägerin - eine Außenluftanlage betreibe. Durch diese würden sämtliche Produktionsräume ständig mit 100% Außenluft versorgt. Dies ergebe sich aus einem Gutachten des Dr. Ing. C. . Die Luft in den Räumen werde drei- bis viermal pro Stunde vollständig ausgetauscht. Im Gegensatz zu einer Umluftanlage, die zu einem erhöhten Infektionsrisiko führe, minimiere die Außenluftanlage das Infektionsrisiko in ihrem Betrieb erheblich. Ausnahmetatbestände, die individuelle betriebliche Besonderheiten wie eine Frischluftzufuhr berücksichtigt hätten, seien in der gegenständlichen Allgemeinverfügung nicht vorgesehen gewesen, obwohl das Gutachten von Prof. F. sogar empfohlen habe, den Räumen nur noch Frischluft zuzuführen. Angesichts der erheblichen Unterschiede zu Schlacht- und Zerlegebetrieben sei bereits fraglich, ob infektionsrechtliche Maßnahmen überhaupt erforderlich gewesen seien - so habe es für Betriebe mit vergleichbaren Arbeitsbedingungen wie Molkereien und Feinkostherstellern keine entsprechenden Anordnungen gegeben -, jedenfalls hätte das beklagte Land mildere Mittel, wie etwas anlassbezogene Tests im geringeren Umfang, ergreifen können. Schon vor Erlass der gegenständlichen Allgemeinverfügung habe sie in ihrem Betrieb ein Multi-barrierensystem bestehend aus Frischluftzufuhr und einem strengen Hygienekonzept, welches zu Beginn der Pandemie verschärft worden sei, etabliert. Sie habe ihre Mitarbeiter angewiesen, auf ihren Arbeitsplätzen den Mindestabstand von 1,5m einzuhalten und dort, wo dies nicht möglich gewesen sei, Trennscheiben installiert. Zusätzlich hätten alle Mitarbeiter mindestens zwei Mund-Nasen-Schutz-Masken pro Tag erhalten. Auch habe es anlassbezogene Testungen gegeben. Die angeordneten Testungen seien zur Unterbrechung einer Infektionskette auch nicht erforderlich gewesen. Die bloße Aufdeckung einer Infektion führe nicht dazu, dass Übertragungen vollständig verhindert würden. Auch PCR-Testungen würden nicht den ganzen Zeitraum der Infektiosität einer Person erfassen. Zudem lägen deren Ergebnisse erst einen Tag nach der Testung vor. Überdies zeige die vom beklagten Land übermittelte Auflistung der Testung, dass es in fleischverarbeitenden Betrieben nur ganz vereinzelnd Infektionen im zweistelligen Bereich pro Woche gegeben habe. In ihrem Betrieb habe es in einer Woche sechs und in einer Woche fünf Infektionen gegeben. In den anderen Wochen seien zumeist ein bis zwei Infektionen aufgetreten. Diese Zahlen sprächen dafür, dass die Infektionen unabhängig voneinander von außen in den Betrieb gebracht worden seien, sich dort aber nicht verbreitet hätten. Die von dem beklagten Land durchgeführten Auswertungen der Infektionen in einzelnen Betrieben seien rechnerisch falsch. So werde zunächst behauptet, dass 34 positive Testungen von fleischverarbeitenden Betrieben übermittelt worden seien, und sodann behauptet, dass 64 positive Testergebnisse den fleischverarbeitenden Betrieben zuzuordnen seien. Abgesehen davon würden Informationen über das Verhältnis von Tests, die in fleischverarbeitenden bzw. schlachtenden und zerlegenden Betrieben getätigt worden seien, fehlen. Die Behauptung, dass circa ein Drittel der Beschäftigten in den fleischverarbeitenden Betrieben tätig gewesen sei, sei bereits unsubstantiiert und sage auch nichts über die Anzahl der tatsächlich durchgeführten Tests aus.
22Auch sei zu berücksichtigten, dass allein die Übernahme der Testkosten durch das beklagte Land für sie zu einer milderen Maßnahme geführt hätte.
23Die gegenständliche Allgemeinverfügung sei auch nicht angemessen gewesen, da die verfügte Übernahme der Kosten durch die Betriebe aufgrund der gesetzlichen Systematik des IfSG nicht auf § 28 Abs. 1 IfSG habe gestützt werden können. Eine ausdrückliche Regelung wie in § 39 IfSG fehle für den vorliegenden Fall. Auch sei zu berücksichtigten, dass § 56 Abs. 1 IfSG solchen Störern, die tatsächlich ansteckungsverdächtig seien, einen Entschädigungsanspruch für die der jeweiligen infektionsschutzrechtlichen Maßnahme nachgelagerten Schäden gewähre. Wenn aber ein Entschädigungsanspruch für solche Schäden bestehe, dürfte es nicht zulässig sein, einen Nicht-Störer zu einer unmittelbar finanziell aufwendigen Handlung zu verpflichten. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen nach § 28 IfSG sei sogar zu prüfen, ob staatliche finanzielle Mittel zur Kompensation der ökonomischen Folgen der Maßnahme bereitzustellen seien. Aus § 69 IfSG folge zudem, dass - sollte die Reihentestung auf § 29 IfSG zu stützen sein - die Kosten hierfür aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten seien.
24Abgesehen davon sei die Allgemeinverfügung nicht angemessen, weil das beklagte Land ihr als Nichtstörerin die Kosten für die Testungen auferlegt habe. Dies widerspreche allgemeinen ordnungsrechtlichen Grundsätzen sowie der Systematik des IfSG. Die gegenständliche Allgemeinverfügung habe nicht an die Gefahr durch infizierte Personen oder durch den Betrieb, sondern abstrakt an die allgemeine gefährliche Lage in der Corona-Pandemie angeknüpft, so dass sie lediglich Nichtstörerin gewesen sei. Nichtstörer könnten zu einer ordnungsrechtlichen Kostentragung allenfalls dann verpflichtet werden, wenn die die Kosten auslösende Maßnahme in einem inneren Zusammenhang zu der erlaubten Tätigkeit stehe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Bloß mittelbare Ursachen, namentlich die mögliche Ausbreitung einer Infektionskrankheit durch begünstigende Umstände einer erlaubten wirtschaftlichen Tätigkeit, könnten eine Kostentragung nicht begründen. Aber auch bei Annahme einer Zustandsstörereigenschaft könnten ihr nicht die Kosten auferlegt werden, da allenfalls aufgrund eines Gefahrenverdachts Maßnahmen eingeleitet worden seien.
25Die Kostentragungspflicht sei auch deshalb nicht angemessen, weil durch sie erheblich in ihre Grundrechte eingegriffen werde. Die von ihr durchgeführten Tests hätten insgesamt Kosten in Höhe von 109.902,50 € verursacht. Aufgrund der andauernden Testverpflichtung seien laufend weitere Kosten angefallen, die nicht angemessen im Verhältnis zu den Umsätzen stünden und die Gewinne schmälern würden. Es liege daher ein intensiver, tendenziell existenzbedrohender Eingriff vor, der eine Ausgleichspflicht nach sich zu ziehen habe. Daneben liege auch eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 GG vor. Andere industrielle Großbetriebe mit vergleichbaren Bedingungen hätten keiner Testpflicht unterlegen. Selbst für den Fall, dass für ihren Betrieb tatsächlich ein erhöhtes Infektionsrisiko festgestellt werden würde, sei die Kostentragungspflicht nicht gerechtfertigt. Ihr Betrieb habe nämlich eine Sonderlast übernommen, welche dazu beigetragen habe, dass sich die Krankheit nicht weiter ausgebreitet habe und alle Betriebe ihre Tätigkeit hätten fortsetzen können. Zudem sei es nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar gewesen, dass das beklagte Land seinen Bürgern kostenlose Tests zu Urlaubszwecken angeboten habe, jedoch ihr, die lediglich ihre wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe, die Kostenlast aufgebürdet habe. Überdies hätten andere Bundesländer keine verbindlichen Testvorgaben an Betriebe der Fleischwirtschaft getroffen.
26Ihr stehe als Vollzugskostenfolgenbeseitigungsanspruch zudem ein Anspruch auf Ersatz der aufgewendeten Testkosten zu. Zwar könne die Durchführung der Testung nicht rückgängig gemacht werden, jedoch sei dies hinsichtlich der von ihr aufgewendeten Zahlungen möglich. Bei diesem auf eine Geldzahlung gerichteten Anspruch handele es sich jedoch nicht um einen Schadensersatzanspruch, da der für § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Unmittelbarkeitszusammenhang gegeben sei. Dem stehe nicht entgegen, dass sie die Tests aufgrund einer eigenen Entscheidung in Auftrag gegeben habe. Vielmehr habe die Allgemeinverfügung gerade vorgesehen, dass die Tests durch ein „anerkanntes“ Labor durchgeführt würden. Insofern sei ein Unmittelbarkeitszusammenhang gegeben. Entsprechendes habe das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in einem vergleichbaren Fall mit Urteil vom 19. November 2004 - 2 B 7.01 - entschieden. Die Vollzugsfolgekosten in Höhe von 109.902,50 € würden sich zusammensetzen aus den Kosten für die Abstriche sowie den Kosten für die Diagnostik im Labor.
27Für den Fall der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung stehe ihr der mit dem weiteren Hilfsantrag geltend gemachte Erstattungsanspruch aus § 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG analog oder aus § 65 Abs. 1 IfSG analog zu. Die Geltendmachung dieses Anspruchs sei sachdienlich i.S.v. § 91 VwGO. Er stehe auch in Zusammenhang mit dem Feststellungsantrag, § 44 VwGO. Da die Erstattungspflicht grundsätzlich einen Antrag an die Behörde binnen zwei Jahren voraussetze, werde um Hinweis durch das Gericht gebeten, dass über den Hilfsantrag zu entscheiden sei.
28Das beklagte Land beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Die Klage sei mit ihrem Hauptantrag bereits unzulässig, da der Klägerin kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zustehe. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei offensichtlich ungeeignet, um der Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses zu dienen. Es liege auf der Hand, dass ein Schadensersatzanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestehe. Ein Anspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG scheide von vornherein aus, da die Klägerin es entgegen § 839 Abs. 3 BGB versäumt habe, den Schaden durch Stellung eines Eilantrages abzuwenden. Überdies sei - unterstellt die gegenständliche Allgemeinverfügung verstoße gegen höherrangiges Recht - eine etwaige Amtspflichtverletzung jedenfalls nicht schuldhaft erfolgt. Vielmehr hätten sich seine Amtsträger bei ihrer Entscheidung an den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts und des Gutachtensentwurfs von Prof. F. orientiert. Überdies fehle es an einer Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht, so dass eine Schadensersatzklage wegen Amtspflichtverletzung bei der Normsetzung offensichtlich keinen Erfolg habe. Ein Anspruch aus § 39 OBG NRW bestehe wegen der Spezialität der insoweit abschließenden Vorschriften des IfSG nicht. Ein Feststellungsinteresse bestehe auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Die gegenständliche Allgemeinverfügung sei in Reaktion auf das ab Juni 2020 sich abzeichnende Infektionsgeschehen erlassen worden und daher auf die Lage im Juni/Juli 2020 spezifisch zugeschnitten gewesen. Es sei schon ungewiss, ob einem künftigen Vorgehen bei weiteren Ausbrüchen in fleischverarbeitenden Betrieben eine in den Grundzügen vergleichbare Sachlage zugrunde liegen würde. Insbesondere sei mittlerweile der Anteil der vollständig geimpften Personen im Vergleich zum Geltungszeitraum der gegenständlichen Verfügung erheblich gestiegen. Auch ein etwaiges Auftreten einer Mutation des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 verändere die Situation in tatsächlicher Hinsicht. Überdies würden die Anpassungen in der Corona-FleischwirtschaftVO zeigen, dass auch in absehbarer Zeit keine der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung entsprechende Regelung erlassen werde.
31Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei jedenfalls unbegründet, da die streitgegenständliche Allgemeinverfügung rechtmäßig gewesen sei. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit sei eine ex-ante-Beurteilung zu Grunde zu legen. Entscheidend seien daher die Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt des Erlasses der Regelung sowie während deren Geltung, nicht hingegen nachträgliche Erkenntnisse. Ausgehend davon seien die Regelungen rechtmäßig gewesen.
32Die Rechtsform der Allgemeinverfügung sei zu Recht gewählt worden. Konkreter Anlass der Regelung sei die bestehende Corona-Pandemie gewesen. Insbesondere sei auf Infektionsgeschehen in fleischverarbeitenden Betrieben reagiert worden. Insoweit habe es sich um einen einzelnen und konkret erkennbaren Sachverhalt gehandelt. Zudem sei die Allgemeinverfügung von Anfang an befristet gewesen und habe daher an die damals aktuelle Gefahrenlage angeknüpft. Die gegenständlichen Regelungen hätten sich nicht an einen nicht näher bestimmten bzw. bestimmbaren Personenkreis, sondern an nur in Nordrhein-Westfalen ansässige in der Allgemeinverfügung benannte Betriebe gerichtet. Der Wahl der Handlungsform der Allgemeinverfügung habe auch nicht Art. 80 Abs. 1 GG entgegengestanden. Ein Vorrang der Rechtsverordnung vor sonstigen Handlungsformen könne aus dieser Vorschrift nicht hergeleitet werden. Es bestehe auch kein Bedarf für einen solchen Vorrang, da auch außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 80 GG die staatlichen Hoheitsträger an den allgemeinen Gesetzesvorbehalt sowie das Bestimmtheitsgebot gebunden seien.
33Ein Verstoß gegen § 39 Abs. 1 VwVfG NRW sei nicht gegeben. Da eine - wie hier - öffentlich bekanntgegebene Allgemeinverfügung gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW nicht begründet werden müsse, scheide ein Verstoß gegen § 39 Abs. 1 VwVfG NRW von vornherein aus. Für eine restriktive Handhabung von § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW biete der Wortlaut keinen Anhalt. Abgesehen davon habe das MAGS die wesentlichen Umstände dargelegt und begründet, warum den Betrieben eine Testpflicht auferlegt werden müsse. Die dargelegten Erwägungen würden sich auch auf die Kostentragungspflicht beziehen. Zudem sei der Aspekt der Kostentragung auch im Verwaltungsverfahren aufgeworfen und diskutiert worden. Vor diesem Hintergrund scheide - entgegen der Ansicht der Klägerin - Ermessensnichtgebrauch aus. Überdies stelle die Bestimmung über die Kostentragung durch die jeweiligen Betriebsinhaber demgegenüber weder eine eigenständige Verfügung i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG NRW noch eine selbstständige oder unselbstständige Nebenbestimmung dar und habe deshalb nicht gesondert begründet werden müssen.
34Es liege auch kein Verstoß gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) vor. Dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in der bis zum 19. November 2020 geltenden Fassung des § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG nicht zitiert worden sei, sei unschädlich. Es fehle bereits an einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, da nach der gegenständlichen Allgemeinverfügung lediglich die Inhaber von Fleischbetrieben verpflichtet gewesen seien, nur - in bestimmten Abständen - negativ getestet Personen in der Produktion einzusetzen. Eine Pflicht der Beschäftigten, eine etwaige Testung zu dulden, enthalte die Allgemeinverfügung nicht. Auch werde der Arbeitgeber durch sie nicht ermächtigt, gegenüber seinen Beschäftigungen die Nutzung der Tests anzuordnen. Das Zitiergebot sei aber auch selbst bei Annahme eines Eingriffs in das Grundrecht der Beschäftigten auf körperliche Unversehrtheit nicht verletzt. Zwar finde das Zitiergebot auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Anwendung. Es sei aber ein zielgerichteter (finaler) Grundrechtseingriff erforderlich. Daran fehle es vorliegend, da allein die Betriebsinhaber unmittelbarer Regelungsadressat gewesen seien. Die mittelbare Betroffenheit der Beschäftigten durch die Regelung genüge nicht. Überdies könne sich die Klägerin - einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, der das Zitiergebot auslöse, unterstellt - ohnehin nicht auf einen etwaigen Verstoß gegen dieses berufen, da sie nicht Trägerin des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit sei und mithin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt sei.
35Die Verfügung sei auch zu Recht auf § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 IfSBG-NRW a.F. gestützt worden. Diese Ermächtigungsgrundlage sei nicht durch § 29 IfSG verdrängt worden, weil die Beschäftigten in den Fleischbetrieben nicht Regelungsadressat der Allgemeinverfügung gewesen seien und ihnen gegenüber daher keine Anordnung getroffen worden sei. Ohnehin sei in der Allgemeinverfügung niemand der Beobachtung unterworfen gewesen. Es habe auch keine Verpflichtung dahingehend bestanden, die infektionsrechtlichen Maßnahmen unmittelbar an die Beschäftigten der Klägerin zu richten oder abzuwarten, bis die Voraussetzungen von § 29 Abs. 1 IfSG vorgelegen hätten, um sodann auf dieser Grundlage Schutzmaßnahmen zu ergreifen. § 29 IfSG regele die Möglichkeit zur Nutzung von Tests nicht abschließend und sperre insbesondere nicht den Anwendungsbereich des § 28 Abs. 1 IfSG. Vielmehr ergänze die generalklauselartige Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG die speziellen Instrumentarien der §§ 29 bis 31 IfSG, um einer infektionsschutzrechtlichen Gefährdungslage in jedem Fall adäquat begegnen zu können, und ermögliche auch, Maßnahmen gegen Dritte zu richten.
36Im Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung habe § 28 Abs. 1 IfSG der obergerichtlichen Rechtsprechung folgend den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügt.
37Die Klägerin sei auch richtige Adressatin der Verfügung gewesen. Auch Personen, die nicht Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider seien, könnten infektionsschutzrechtliche Gefahrenquellen schaffen und deshalb Anlass für Schutzmaßnahmen geben. Der Begriff des infektionsschutzrechtlichen Nichtstörers, der jedoch zugleich eine infektionsschutzrechtliche Gefahrenquelle eröffnet habe, sei insoweit irreführend.
38Die getroffenen Regelungen der Allgemeinverfügung seien zudem verhältnismäßig gewesen. Indem Neuinfektionen möglichst verhindert würden und die Verbreitung des Virus verlangsamt werden sollte, hätten sie dem Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems und damit einem überragenden Gemeinwohlinteresse gedient. Es sei Aufgabe des Staates, die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems durch geeignete Mittel zu gewährleisten. Bei der Aufgabenerfüllung habe dieser einen weiten Gestaltungsspielraum. Ein Mittel sei daher bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden könne. Hinzu komme, dass dem Staat eine Einschätzungsprorogative im Hinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen gewesen sei, da die epidemische Lage durch erhebliche Ungewissheiten und sich ständig weiterentwickelnde fachliche Erkenntnisse geprägt sei. Die gegenständlichen Regelungen seien vor diesem Hintergrund zur Zweckförderung geeignet gewesen. Dass in der Allgemeinverfügung für genesene Beschäftigte keine Ausnahme von der Testpflicht vorgesehen sei, stelle die Eignung der Regelung nicht in Frage. Im Sommer 2020 sei noch völlig unklar gewesen, ob und wie Genesene das Infektionsgeschehen beeinflussten.
39Die mit der gegenständlichen Allgemeinverfügung angeordneten Maßnahmen seien auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Betrieb der Klägerin ein Fleischverarbeitungsbetrieb und nicht ein Schlacht- der Zerlegebetrieb sei, erforderlich gewesen, da die die Fleischindustrie heimsuchenden Infektionsgeschehen mit zahlreichen Infizierten sich nicht auf Schlacht- bzw. Zerlegesbetriebe beschränkt hätten. Sonstige industrielle fleischverarbeitende Betriebe seien ähnlich risikobehaftet; Temperatur- und Lüftungsbedingungen, die Mitarbeiterstruktur, die Arbeitsorganisation und die Arbeitssituation in der Produktion seien in fleischverarbeitenden Betrieben mit den Situationen in Schlacht- und Zerlegungsbetrieben vergleichbar. Es gebe viele Beschäftigte auf engem Raum, bei kühlen Temperaturen und geringer Frischluftzufuhr. Dass sämtliche Produktionsräume der Klägerin ständig mit 100% Außenluft versorgt würden, sei zweifelhaft. Gekühlte Räume in der Fleischindustrie würden generell im Umluftbetrieb heruntergekühlt werden, Frischluft werde nur dazu gemischt. Im Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung seien die Infektionsursachen im Übrigen noch nicht abschließend geklärt gewesen.
40Während des Gültigkeitszeitraums der CoronaAVFleischwirtschaft seien insgesamt 39 positive Testresultate aus Schlacht- und Zerlegungsbetrieben und 34 positive Resultate aus sonstigen Fleischverarbeitenden Betrieben übermittelt worden. Im gesamten Zeitraum seit Juli 2020 seien 541 positive Testresultate aus Schlacht- und Zerlegungsbetrieben und 573 positive Resultate aus sonstigen Fleischverarbeitenden Betrieben übermittelt worden. Die Auswertungen seien auch nicht rechnerisch falsch. Es werde zwischen der Anzahl der Meldungen von Betrieben und der Anzahl der hierin angegebenen positiven Testresultate unterschieden. Insbesondere könne die Zahl der positiven Testresultate höher sein als die Zahl der Meldungen, weil in einer Meldung mehrere positive Testresultate übermittelt werden könnten.
41Da aufgrund der frühen Infektiosität bereits vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen ein hoher Anteil von Übertragungen unbemerkt erfolge, habe durch eine Verhaltensänderung der Betroffenen ohne entsprechende Testungen eine Übertragung nicht verhindert werden können. Risikoerhöhend sei vorliegend die nicht unerhebliche Verweildauer der Beschäftigten in den Betriebsstätten der fleischverarbeitenden Industrie hinzugetreten. Nach neueren Erkenntnissen bestehe nämlich bei einem längeren Verweilen in geschlossenen Räumen ein nicht unbeträchtliches Übertragungsrisiko. Das Robert Koch-Institut habe seiner Zeit schon festgestellt, dass die vorliegenden Studien darauf hinweisen würden, dass SARS-CoV-2-Viren über Aerosole übertragen werden könnten. Auch Schmierinfektionen hätten nach damaliger Erkenntnislage nicht ausgeschlossen werden können. Auch die Installation neuer Kühlanlagen sowie deren Ausstattung mit Filtern hätten die Maßnahmen nicht entbehrlich gemacht. Nach den dem MAGS vorliegenden und durch den Gutachten-Entwurf von Prof. F. bestätigten Feststellungen habe es sich nämlich bei den Ausbrüchen in der Fleischwirtschaft nicht um monokausale Ereignisse gehandelt, die durch singuläre Maßnahmen hätten verhindert werden können. Vielmehr sei im Rahmen des zwingend einzurichtenden „Multibarrierensystems“ ein Infektions- und Hygieneschutzkonzept erforderlich gewesen, welches eine Vielzahl schützender Maßnahnahmen, zu denen im Wesentlichen die Durchführung regelmäßiger Testungen, die ordnungsgemäße Information der Belegschaft und die Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit von Infektionsketten gehört hätten, vorgesehen habe. In Kombination mit stringenten Hygieneschutzmaßnahmen hätten die Testungen die höchstmögliche Sicherheit gewährleistet. Dass andere Bundesländer andere Lösungskonzepte entwickelt hätten, habe keinen Einfluss auf die Erforderlichkeit der gegenständlichen Maßnahmen. Einschätzungen anderer Bundesland zu den für den Infektionsschutz erforderlichen Maßnahmen seien nicht bindend. Vielmehr müsse auf die spezifischen Vorkommnisse innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs reagiert werden. Insoweit sei zu berücksichtigten gewesen, dass es in seinem Zuständigkeitsbereich in der Vergangenheit Infektionsgeschehen in Betrieben, die keine Schlachtung durchführen würden, gegeben habe.
42Um die Erforderlichkeit der Maßnahme sicherzustellen, habe die Allgemeinheit nicht die Kosten der Testungen tragen müssen. Die Klägerin sei Veranlasserin der infektionsschutzrechtlichen Gefahrenquelle in ihrem Betrieb gewesen und habe deshalb die mit der Eindämmung der Gefahrenquelle verbundenen Mehrkosten tragen müssen.
43Schließlich seien die Regelungen unter Abwägung der gegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen angemessen gewesen. Sie hätten für die Betroffenen Belastungen und Unannehmlichkeiten mit sich gebracht, die im Verhältnis zu der hohen Bedrohung durch das Coronavirus SARS-CoV-2 hätten hingenommen werden müssen. Anders als in vielen anderen Betrieben, die während der Krise über lange Zeiträume ihre Tätigkeit hätten einstellen müssen, sei der Klägerin ihre wirtschaftliche Betätigung nicht untersagt worden. Sie habe lediglich bestimmte Hygiene- und Infektionsstandards einhalten müssen. Es seien Regelungen getroffen worden, die sowohl den vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnissen als auch den verbleibenden Restunsicherheiten Rechnung getragen hätten.
44Um die Kosten zu reduzieren, seien ausdrücklich Testungen im sog. Poolverfahren zugelassen worden. Bei den gegenständlichen Anordnungen habe es sich im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG lediglich um Berufsausübungsreglungen gehandelt, die nach der Drei-Stufen-Theorie bereits bei Vorliegen vernünftiger Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt seien. Auch mache die Klägerin - auch mit Blick auf das Recht am eingerichteten Gewerbebetrieb - keine eigentumsfähige Position geltend, die dem Schutz des Art. 14 GG unterfallen könne. Die von der Klägerin geltend gemachten entgangenen Einnahmen seien vom verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums nicht umfasst. Ein Eingriff in die Substanz des Gewerbebetriebs habe nicht vorgelegen, da die Klägerin nicht gehindert gewesen sei, von ihrem Gewerbebetrieb Gebrauch zu machen. Die mit der vorliegenden Maßnahme bezweckte Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens und der Schutz von Leib und Leben vor allem der vulnerabelsten Personengruppen der Gesellschaft hätten herausragende Schutzgüter nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebildet, die den Interessen der Klägerin vorgegangen seien. Die Testregelungen hätten einen angemessenen Ausgleich zwischen der Aufrechterhaltung des Betriebs auf der einen und v.a. dem Bedarf, einem unkontrollierten Anstieg der Fallzahlen entgegenzuwirken, auf der anderen Seite geschaffen. Die geltenden Reglungen seien mit fortschreitendem Kenntnisstand bereits mit Allgemeinverfügung vom 1. Juli 2020 gelockert und durch die gegenständliche Allgemeinverfügung überarbeitet worden, um die aktuellen Entwicklungen zu berücksichtigen. Dass die Allgemeinheit nicht die Kosten der Testungen übernommen habe, sei - auch im Rahmen der Angemessenheit - nicht zu beanstanden. Durch die Testungen hätten die Betriebsinhaber ihre Tätigkeit auch während der schweren Phase der Pandemie durchgängig aufrechterhalten können und auch von der mit der Aufrechterhaltung ihrer Tätigkeit einhergehenden Risikoerhöhung für die Gesundheit der Beschäftigten sowie der allgemeinen Bevölkerung profitiert. Überdies habe sie durch die Testungen die Gesundheit ihrer Beschäftigten geschützt und sei so ihrer Fürsorgepflicht als Arbeitgeberin nachgekommen. Durch die regelmäßigen Testungen hätten Betriebsschließungen, die erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen für die Betriebsinhaber sowie aber auch für die gesamte Gesellschaft nach sich gezogen hätten, frühzeitig verhindert werden können.
45Letztlich habe die Auswertung der regelmäßigen Testung gezeigt, dass auch in fleischverarbeitenden Betrieben Infektionsgeschehen aufgetreten seien, die frühzeitige Gegenmaßnahmen erforderlich gemacht hätten. So sei beispielsweise der Ausbruch in Emsdetten im Rahmen der Routinetestung entdeckt worden.
46Der Angemessenheit der verfügten Maßnahmen stehe nicht die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 3. August 2020 - 1 S 2087/20 - entgegen. Zwar habe dieser festgestellt, dass eine starre und einzelfallunabhängige Pflicht zur Testung zweimal pro Woche zu weitgehend sei. Die im Zeitpunkt dieser Entscheidung zu bewertende Sachlage sei jedoch nicht mit derjenigen im Zeitraum zwischen dem 1. Juli 2020 und dem 20. Juli 2020, in dem es darum gegangen sei, das von der Fleischindustrie ausgehende dynamische Infektionsgeschehen in NRW unter Kontrolle zu bringen, vergleichbar gewesen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 3. August 2020 seien bereits durch die Möglichkeit der Reduktion der Testanzahl und der Nutzung des Pool-Verfahrens Ausnahmen vom Erfordernis der zweimal die Woche zu erfolgenden Testung vorgesehen gewesen. Damit sei den Umständen des Einzelfalls in NRW hinreichend Rechnung getragen worden.
47Der Angemessenheit der verfügten Maßnahmen stehe auch nicht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Münster vom 6. August 2020 - 5 L 596/20 - entgegen. Die Entscheidung basiere auf einer teilweise unzutreffenden Sachverhaltsannahme im Hinblick auf die Infektionsrisiken von sonstigen fleischverarbeitenden Betrieben.
48Schließlich habe die gegenständliche Verfügung, die frühzeitig und fortlaufend unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse auf ihre Angemessenheit überprüft worden sei, nur bis zum 28. August 2020 Bestand gehabt.
49Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sei ebenfalls nicht durch die Regelungen der gegenständlichen Allgemeinverfügung etwa deshalb gegeben, weil sonstige fleischverarbeitende Betriebe ebenso wie Schlacht- und Zerlegungsbetriebe von der Verfügung erfasst gewesen seien. Die in industriellen fleischverarbeitenden Betrieben bestehenden Risikofaktoren (Temperatur- und Lüftungsbedingungen, Mitarbeiterstruktur, Arbeitsorganisation und Arbeitssituation in der Produktion) seien mit den Situationen in Schlacht- und Zerlegungsbetrieben vergleichbar gewesen. Insbesondere sei es auch in sonstigen fleischverarbeitenden Betrieben zu erheblichen Infektionsausbrüchen gekommen. Im Zeitpunkt der Geltung der Regelungen sei überdies wissenschaftlich nicht geklärt gewesen, warum es in fleischverarbeitenden Betrieben immer wieder zu erheblichen Infektionsausbrüchen gekommen sei. Auch sei keine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem anzunehmen, weil fischverarbeitende Betriebe oder sonstige nichtfleischverarbeitende Lebensmittelbetriebe nicht unter den Anwendungsbereich der gegenständlichen Allgemeinverfügung gefallen seien. Mit der gegenständlichen Allgemeinverfügung sei auf die in NRW und in ganz Deutschland insbesondere in fleischverarbeitenden Betrieben wiederholt aufgetretenen Infektionsgeschehen reagiert worden. Derartige Geschehen habe es in sonstigen Lebensmittelbetrieben nicht in vergleichbarer Weise gegeben. Abgesehen davon habe ein sachlicher Grund eine etwaige Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem bzw. Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem gerechtfertigt, da der erhebliche Infektionsausbruch in einem fleischverarbeitenden Betrieb in Moers verdeutlicht habe, dass erhebliche Infektionsgefahren nicht ausschließlich in Schlachthöfen oder Zerlegebetrieben aufgetreten seien.
50Die Klage habe auch mit dem ersten Hilfsantrag keinen Erfolg. Es liege mangels Anfechtungsklage bereits prozessual kein Fall des § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO vor. § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO sei weder direkt noch analog auf die Fortsetzungsfeststellungssituation anwendbar. Da es an einem wirksamen Verwaltungsakt fehle, stehe dieser einer unmittelbaren Rückgängigmachung der Vollzugsfolgen nicht entgegen. Der folglich vorliegenden Klageänderung werde ausdrücklich widersprochen. Überdies lägen die Voraussetzungen des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der allein auf die Beseitigung der unmittelbaren Vollzugsfolgen gerichtet sei, nicht vor. Eine Folgenbeseitigung durch Geldzahlung komme nur in Betracht, wenn die rechtswidrige Folge der Amtshandlung in einem Geldverlust bestehe, was bei einer auf eine Geldzahlung gerichteten Amtshandlung anzunehmen sei. Vorliegend sei unmittelbare Folge der gegenständlichen Allgemeinverfügung die Pflicht, nur Personen in der Produktion einzusetzen, die mindestens ein- bzw. zweimal pro Woche durch ein PCR-Verfahren negativ auf das Coronavirus getestet worden seien. Die dadurch entstandenen Kosten seien keine unmittelbare Folge der Verfügung, weil sie das Ergebnis einer eigenen Entschließung und Handlung der Betriebsinhaber gewesen seien.
51Schließlich habe die Klage mit dem weiteren Hilfsantrag keinen Erfolg. Die Klageerweiterung, der ausdrücklich widersprochen werde, sei bereits unzulässig. Sie sei auch nicht sachdienlich, da sich der Streitstoff durch die Erweiterung der Klage auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen wesentlich verändere. Die Prüfung eines solchen Anspruchs werfe Rechtsfragen auf, die sich wesentlich von den bislang streitgegenständlichen Aspekten unterschien. Der Klage auf Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG (analog) bzw. § 65 IfSG (analog) fehle überdies das Rechtsschutzbedürfnis, da die Klägerin nicht zuvor einen entsprechenden Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt habe. Jedenfalls sei der weitere Hilfsantrag unbegründet, da bereits die Voraussetzungen für eine direkte oder analoge Anwendung von §§ 56, 65 IfSG nicht vorlägen.
52Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des beklagten Landes.
53Entscheidungsgründe:
54Die Klage ist abzuweisen; keiner der gestellten Anträge ist erfolgreich.
55A. Die Klage ist mit ihrem Hauptantrag zwar zulässig, aber unbegründet.
56I. Sie ist als Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) zulässig, insbesondere hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Allgemeinverfügung des beklagten Landes vom 20. Juli 2020, soweit unter Ziffer 1. i.V.m. Ziffer 1.1. angeordnet wurde, nur Personen in der Produktion einzusetzen, die regelmäßig auf Kosten des Betriebsinhabers negativ auf das Corona-Virus SARS-CoV-2 getestet wurden (im Folgenden: mittelbare Testpflicht), rechtswidrig war.
57Die Klägerin hat, nachdem sich ihr ursprüngliches Anfechtungsbegehren mit Aufhebung der hier streitgegenständlichen Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 durch Allgemeinverfügung vom 28. August 2020 nach Klageerhebung gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG NRW erledigt hatte
58- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. November 2021 - 13 B 1758/20 -, juris Rn. 4 ff. -,
59ihre Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO umgestellt. Darin liegt keine Klageänderung i.S.v. § 91 VwGO, sondern eine Einschränkung des Klageantrags gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO.
60Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2014 - 4 C 33.13 -, juris Rn. 11.
61Zulässig ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nur, wenn der Kläger im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung geltend machen kann. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Es besteht typischerweise in den anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses, kann sich aber auch aus anderen besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben, sofern die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die klägerische Position in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern.
62Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2020 - 2 C 5.19 -, juris Rn. 13, und Beschluss vom 17. Dezember 2019 - 9 B 52.18 -, juris Rn. 9, jeweils m.w.N.
63Das Gericht hat das Bestehen eines berechtigten Interesses grundsätzlich von Amts wegen zu ermitteln (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger muss allerdings im Rahmen der gebotenen Mitwirkung diejenigen Umstände darlegen, aus denen sich sein Feststellungsinteresse ergibt.
64Vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, VwGO, 43. EL August 2022, § 113 Rn. 122.
65Erforderlich ist, dass seine Darlegungen so substantiiert sind, dass das Gericht beurteilen kann, welchen Bedeutungsgehalt die begehrte Feststellung für ihn hat. Der Kläger hat die Umstände vorzutragen, aus denen sich sein Feststellungsinteresse ergibt.
66Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 113 Rn. 267.
67Ein berechtigtes Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergibt sich im vorliegenden Fall aus der Absicht der Klägerin, eine zivilrechtliche Amtshaftungs- oder Entschädigungsklage zu führen (Präjudizinteresse). Bei einer Fortsetzungsfeststellungklage, die der Vorbereitung einer zivilrechtlichen Klage auf Schadensersatz oder Entschädigung dienen soll, ist das Feststellungsinteresse dann zu bejahen, wenn ein solcher Prozess bereits anhängig, mit Sicherheit zu erwarten oder ernsthaft beabsichtigt ist, die begehrte Feststellung in diesem Verfahren erheblich und die Rechtsverfolgung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Insoweit bedarf es hinreichender Darlegungen seitens des die Feststellung begehrenden Klägers. Hierzu gehört insbesondere, dass er die Behauptung eines eingetretenen Schadens durch Angaben zur Art des Schadens und zur annähernden Schadenshöhe substantiiert.
68Vgl. etwa OVG NRW, Urteile vom 30. März 2022 - 10 A 668/19 -, juris Rn. 50, und vom 17. April 2018 - 2 A 1387/15 -, juris Rn. 42 ff., jeweils m.w.N.
69Zwar vermögen die von der Klägerin gestellten Hilfsanträge kein berechtigtes Interesse aufgrund der Präjudizialität der gerichtlichen Feststellung zu begründen. Denn insoweit fehlt es an einer rechtswegübergreifenden Bindungswirkung der begehrten verwaltungsgerichtlichen Feststellung und auch prozessökonomisch erscheint die Vorabprüfung nicht sinnvoll, weil das Verwaltungsgericht ohnehin zur Entscheidung über den Folgeprozess berufen wäre.
70Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1981 - 2 C 69.81 -, juris Rn. 24; OVG NRW, Beschluss vom 28. Juni 2021 - 15 A 363/20 -, juris Rn. 14; Saarl. OVG, Beschluss vom 29. September 2015 - 1 A 30/15 -, juris Rn. 12 ff.; OVG Bremen, Urteil vom 25. September 2014 - 2 A 140/12 -, juris Rn. 12 f.
71Dies gilt jedoch nicht für einen Anspruch nach § 839 BGB, da für diesen (weiterhin) die ordentlichen Gerichte zuständig sind (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 3 IfSG).
72Die Klägerin hat ihre ernsthafte Absicht während des Verfahrens mehrfach sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung bekundet. Zur Höhe des Schadens, der ihr durch die in Ziffer 1. i.V.m. Ziffer 1.1. auferlegte Verpflichtung entstanden sein soll, hat die Klägerin mit der Klagebegründung vom 14. September 2021 und der dazugehörigen Anlage K 28 (Bl. 228 GA) hinreichend substantiierte Angaben gemacht.
73Die beabsichtigte zivilrechtliche Klage erscheint auch nicht von vornherein offensichtlich aussichtslos. Eine offensichtliche Aussichtslosigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn ohne eine in die Einzelheiten gehende Prüfung erkennbar ist, dass der behauptete zivilrechtliche Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestehen kann.
74Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 113 Rn. 279.
75Ein für einen Schadensersatzanspruch erforderliches Verschulden erscheint entgegen der Ansicht des beklagten Landes nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings wird in ständiger Rechtsprechung angenommen, dass einen Amtsträger kein Verschulden trifft, wenn ein mit mehreren Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat (sog. „Kollegialgerichts-Richtlinie”).
76Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 113 Rn. 280 mit Hinweis u.a. auf BVerwG, Urteil vom 3. Juni 2003 - 5 C 50.20 -.
77Dies ist im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Bislang war die in Rede stehende Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 - soweit ersichtlich - lediglich Gegenstand von Entscheidungen aus dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, die typischerweise auf einer überschlägigen, summarischen Prüfung beruhen und daher für den offensichtlichen Ausschluss des Verschuldens nicht genügen.
78Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19. März 1991 - 10 S 1128/90 -, juris Rn. 21; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 29. August 2007 - 10 LA 31/06 -, juris Rn. 11; VG Aachen, Urteil vom 27. Januar 2020 - 10 K 4595/17 -, juris Rn. 37.
79Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass das Verschulden offensichtlich ausgeschlossen wäre. Soweit das beklagte Land dazu vorträgt, eine etwaige Amtspflichtverletzung sei - unterstellt die gegenständliche Allgemeinverfügung verstoße gegen höherrangiges Recht - nicht schuldhaft erfolgt, da sich seine Amtsträger bei ihrer Entscheidung an den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts und des Gutachtensentwurfs von Prof. F. orientiert hätten - was die Klägerin bestreitet -, bedarf es jedenfalls einer weiteren, detaillierteren Prüfung, die indes den ordentlichen Gerichten vorbehalten ist.
80Entgegen der Ansicht des beklagten Landes ist des Weiteren nicht offensichtlich, dass es an einem für § 839 BGB erforderlichen Drittbezug einer etwaigen Amtspflichtverletzung,
81vgl. dazu nur: Reinert, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, 65. Edition, Stand 1. Februar 2023, § 839 Rn. 92,
82fehlt. Entsprechendes mag wohl möglich für die Normsetzung anzunehmen sein.
83So jedenfalls: LG Berlin, Urteil vom 13. Oktober 2020 - 2 O 247/20 -, juris Rn. 15; LG Frankfurt, Urteil vom 15. Dezember 2021 - 2-04 O 165/21 -, juris Rn. 66 ff.; Reinert, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, 65. Edition, Stand 1. Februar 2023, § 839 Rn. 138.
84Vorliegend geht es jedoch weder um ein Gesetz noch eine Verordnung, sondern um eine Allgemeinverfügung. Dass es auch bei dieser regelmäßig an einem Drittbezug fehlt, ist nicht offensichtlich ersichtlich.
85Auch vermag vorliegend der Umstand, dass die Klägerin neben der erhobenen Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung keinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO gestellt hat, nicht offensichtlich zum Ausschluss eines etwaigen Schadensersatzanspruchs führen. Zwar kann das schuldhafte Unterlassen, einen Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung oder auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu stellen, nach § 839 Abs. 3 BGB zum Verlust des Amtshaftungsanspruchs führen.
86Vgl. nur: BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 - III ZR 342/02 -, juris Rn. 13 m.w.N.
87Jedoch kann die Ersatzpflicht nach § 839 Abs. 3 BGB nur verneint werden, wenn die Einlegung eines gebotenen Rechtsmittels den Eintritt des Schadens verhindert hätte, wobei der Schädiger für die Kausalität zwischen der Nichteinlegung des Rechtsmittels und dem Schadenseintritt beweispflichtig ist. Bei der Frage, welchen Verlauf die Sache genommen hätte, wenn der Rechtsbehelf eingelegt worden wäre, ist nicht ohne Weiteres zugrunde zu legen, wie über den Rechtsbehelf richtigerweise hätte entscheiden werden müssen. Bei einem Antrag, der zu einer gerichtlichen Entscheidung führen soll, wird die wirkliche Rechtslage grundsätzlich eine größere Rolle spielen. Dennoch muss auch die Rechtspraxis in der in Rede stehenden Frage zu dem Zeitpunkt in Betracht gezogen werden, in dem der Rechtsbehelf hätte angebracht werden müssen, wenn er den Eintritt des Schadens hätte verhindern sollen.
88Vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 - III ZR 342/02 -, juris Rn. 15; OVG NRW, Urteil vom 18. November 2020 - 3 A 1194/18 -, juris Rn. 248.
89Bei Anlegung dieser Maßstäbe kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 16 Abs. 8, 28 Abs. 3 IfSG statthafter Antrag der Klägerin zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Regelungen der Allgemeinverfügung geführt hätte. Entsprechende Eilanträge anderer - auch fleischverarbeitender - Betriebe betreffend die Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 hat die Kammer abgelehnt.
90Vgl. VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 - 7 L 662/20 -, juris.
91II. Die Klage ist mit ihrem Hauptantrag jedoch unbegründet. Die unter Ziffer 1. i.V.m. Ziffer 1.1. der gegenständlichen Allgemeinverfügung angeordnete mittelbare Testpflicht war rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 VwGO).
92Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erledigung.
93Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 113 Rn. 299; Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand 41 EL Juli 2021, VwGO, § 113 Rn. 152.
94Ausgehend davon ist, da die streitgegenständliche mittelbare Testpflicht als Dauerverwaltungsakt sich kontinuierlich zeitabschnittsweise mit ihrem jeweiligen Zeitablauf erledigte, letztlich auf den Zeitraum vom 21. Juli 2020 (vgl. Ziffer 3. Satz 1 der Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020) bis einschließlich zum 28. August 2020 (vgl. Ziffer 3. der Allgemeinverfügung vom 28. August 2020) abzustellen.
95Vgl. VG Minden, Urteil vom 13. Juni 2022 - 7 K 749/20 -, n.V.; so im Ergebnis auch: VG Köln, Gerichtsbescheid vom 7. März 2023 - 7 K 2154/21 -, juris Rn. 56; VG Hamburg, Urteil vom 8. September 2020 - 19 K 1731/20 -, juris Rn. 28, und VG Gera, Urteil vom 10. Juni 2021 - 3 K 1012/20 -, juris Rn. 25.
96In dem so bestimmten maßgeblichen Beurteilungszeitraum beruhte sie auf einer tauglichen Rechtsgrundlage und war formell wie materiell rechtmäßig.
971. Rechtsgrundlage für die verfügte mittelbare Testpflicht war § 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung vom 27. März 2020. Die damalige Fassung regelte:
98„1Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. 2Unter den Voraussetzungen von Satz 1 kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen. 3Eine Heilbehandlung darf nicht angeordnet werden. 4Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden insoweit eingeschränkt.“
99a) Es bestehen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung für den hier relevanten Zeitraum. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG stellte im hier relevanten Zeitraum eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der hier streitgegenständlichen mittelbaren Testpflicht dar.
100aa) Ein Verstoß gegen das Zitiergebot ist nicht anzunehmen. Im Hinblick auf berufsregelnde Gesetze i.S.v. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG findet das Zitiergebot keine Anwendung. Insofern kommt der Gesetzgeber mit der Regelung des § 28 Abs. 1 IfSG dem in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG angelegten Ausgestaltungs- und Regelungsauftrag nach.
101Vgl. dazu ausführlich: OVG NRW, Beschlüsse vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris Rn. 63 ff. und vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris Rn. 73 ff.; OVG Thüringen, Beschluss vom 8. April 2020 - 3 EN 245/20 -, juris Rn. 37; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 S 925/20 -, juris Rn. 34 ff., jeweils m.w.N.
102§ 28 Abs. 1 IfSG schied als Rechtsgrundlage für die gegenüber der Klägerin ergangene Verpflichtung, nur regelmäßig mittels PCR-Verfahren negativ auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteter Personen in der Produktion einzusetzen, auch nicht deshalb von vorneherein aus, weil das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht zu den in § 28 IfSG ausdrücklich aufgeführten Grundrechten gehörte, die durch auf dieser Grundlage ergangene Maßnahmen eingeschränkt werden durften (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG a.F.).
103Die hier streitgegenständliche Regelung vermag keinen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zu begründen. Zwar dürfte die Durchführung eines PCR-Tests grundsätzlich einen Eingriff in diese darstellen.
104Vgl. dahingehend: BAG, Urteil vom 1. Juni 2022 - 5 AZR 28.22 -, juris Rn. 36.
105Adressat der Allgemeinverfügung waren jedoch Betriebe der Fleischbranche. Die Klägerin, die sich als juristische Person ersichtlich nicht auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG berufen kann (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG), unterlag - ebenfalls ersichtlich - keiner Testverpflichtung.
106Auch unterlagen die in der Produktion tätigen Personen aufgrund der Regelung in Ziffer 1. i.V.m. Ziffer 1.1. der Allgemeinverfügung keiner Testverpflichtung. Vielmehr bedurfte es eines weiteren Umsetzungsaktes durch die Klägerin, weil die Sicherstellung der in der Allgemeinverfügung genannten Voraussetzungen den betroffenen Betrieben oblag und die Klägerin daher noch Anordnungen gegenüber ihren Arbeitnehmern bzw. ihren Werksvertragsunternehmern zu treffen hatte. Überdies war die Klägerin aber auch nicht aufgrund der gegenständlichen Allgemeinverfügung verpflichtet, gegenüber den in der Produktion tätigen Personen die Testungen umzusetzen. Dass sie letztlich einseitig (insbesondere) gegenüber ihren Arbeitnehmern entsprechende Testungen durchführen ließ, um ihre Produktion aufrechtzuerhalten, beruhte nicht auf der Anordnung des beklagten Landes, sondern war ihre eigene unternehmerische Entscheidung.
107Dass die Klägerin vor die Wahl gestellt wurde, von ihrem Weisungsrecht als Arbeitnehmerin bzw. von ihren Rechten als Werksbestellerin Gebrauch zu machen oder ihren Betrieb so nicht weiterzuführen, stellt sich allein als ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG dar.
108bb) Auch genügt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot bzw. dem hiermit in enger Beziehung stehenden Vorbehalt des Gesetzes.
109Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt im Hinblick auf Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf. Dabei betrifft die Normierungspflicht nicht nur die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt gesetzlich geregelt sein muss, sondern auch, wie weit diese Regelungen im Einzelnen zu gehen haben (sog. Wesentlichkeitsdoktrin). Inwieweit es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstands ab.
110Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 -, juris, Rn. 39, und Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 -, juris, Rn. 67 f., jeweils m.w.N.
111Die angegriffene Vorschrift genügte nach diesen Maßgaben den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots. Zwar ist § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG als offene Generalklausel ausgestaltet, um den Infektionsschutzbehörden ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen zu eröffnen. Denn der Gesetzgeber ist bei Erlass der (Vorgänger-)Regelung davon ausgegangen, dass sich die Fülle der Schutzmaßnahmen, die bei einem Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht von vornherein übersehen lässt.
112Vgl. zu den Erwägungen des Gesetzgebers zur entsprechenden Regelung im Bundes-Seuchengesetz: BT-Drs. Nr. 8/2468, S. 27; siehe auch BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 -, juris, Rn. 24.
113Allerdings hat er unter anderem bereits mit der nur beispielhaften Aufzählung in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG, wonach unter den Voraussetzungen von Satz 1 Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen von Menschen beschränkt oder verboten und Badeanstalten oder in § 33 IfSG genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon geschlossen werden können, deutlich gemacht, dass in Konkretisierung der mit der Generalklausel eröffneten Handlungsmöglichkeiten auch weitreichende Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit in Betracht kommen. Denn § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2 IfSG stehen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht in einem Spezialitätsverhältnis; vielmehr können alle notwendigen Schutzmaßnahmen auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG gestützt werden. Die in Satz 2 beispielhaft genannten Schutzmaßnahmen werden lediglich gesondert erwähnt, um einerseits ihre erhebliche Bedeutung hervorzuheben und andererseits Verstöße gegen vollziehbare Anordnungen insoweit strafrechtlich ahnden zu können (vgl. § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG).
114Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. August 2022 - 13 D 29/20.NE -, juris, und Beschlüsse vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris Rn. 46, und vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris Rn. 56; Bay. VGH, Beschluss vom 30. März 2020 - 20 CS 20-611 -, juris Rn. 11 ff.
115Dass grundsätzlich auch Betriebszugangsregelungen als eine mögliche Schutzmaßnahme verordnet werden können, ist vor diesem Hintergrund unzweifelhaft.
116Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juli 2020 - 1 S 2087/20 -, juris Rn. 43 ff.; VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 - 7 L 662/20 -, juris Rn. 13 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. August 2020 - 7 L 1564/20 -, juris Rn. 10.
117Schließlich wird das behördliche Ermessen dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige“ Schutzmaßnahmen handeln muss, nämlich um Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind, so dass dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von vornherein Grenzen gesetzt sind.
118Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 -, juris Rn. 24; OVG Bremen, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 B 97/20 -, juris Rn. 30; VG Hamburg, Urteil vom 8. September 2020 - 19 K 1731/20 -, juris Rn. 45.
119Zweifel an der grundsätzlichen Anwendbarkeit der offenen Generalklausel wegen der Auswirkungen auf die Berufsfreiheit oder ggf. Eigentumsgarantie - der parlamentarische Gesetzgeber hat zwar die Entscheidung über ihre grundsätzliche Zulässigkeit getroffen, die Maßnahmen selbst aber hat er weder tatbestandlich (etwa für Fälle epidemischer Notlagen von nationaler Tragweite i. S. v. § 5 Abs. 1 und 2 IfSG) noch auf Rechtsfolgenseite (durch eine zeitliche Beschränkung) genauer umgrenzt -,
120vgl. vertiefend dazu: OVG NRW, Beschlüsse vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris Rn. 57 f., und vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris Rn. 67 f., jeweils m.w.N.
121führten jedenfalls im maßgeblichen Entscheidungszeitraum nicht zu ihrer Unanwendbarkeit.
122In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es im Rahmen unvorhergesehener Entwicklungen aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls geboten sein kann, nicht hinnehmbare gravierende Regelungslücken für einen Übergangszeitraum insbesondere auf der Grundlage von Generalklauseln zu schließen und auf diese Weise selbst sehr eingriffsintensive Maßnahmen, die an sich einer besonderen Regelung bedürfen, vorübergehend zu ermöglichen.
123Vgl. dazu erneut: OVG NRW, Beschlüsse vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE -, juris Rn. 59 f., und vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris Rn. 69 f., jeweils m.w.N.
124Dauern grundrechtsintensive Maßnahmen aber nicht nur kurzfristig an, reduziert sich der Handlungsspielraum der Behörden. Aus diesem Grund ist der Gesetzgeber in der Folge schließlich tätig geworden und in Folge dessen § 28a IfSG am 19. November 2020 in Kraft getreten.
125So auch: VG Gera, Urteil vom 10. Juni 2021 - 3 K 1012/20 -, juris Rn. 30 m.w.N.
126Ausgehend von alledem lagen die Voraussetzungen für eine grundsätzliche Anwendbarkeit der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel zur Vermeidung nicht mehr vertretbarer Schutzlücken im entscheidungserheblichen Zeitraum, Mitte Juli bis Ende August 2020, vor. Ein Übergangszeitraum - die grundsätzliche Notwendigkeit einer näheren Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterstellt - war im Zeitraum der Geltung der streitgegenständlichen mittelbaren Testverpflichtung noch nicht überschritten.
127Zwar hatte der Bundesgesetzgeber das Infektionsschutzgesetz seit Beginn der Corona-Pandemie im Sommer 2020 bereits mehrfach weiterentwickelt und präzisiert. Angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens, das sich zudem je nach Örtlichkeit wesentlich unterscheiden konnte, waren dem Bundesgesetzgeber vorausschauend alle Konstellationen erfassende gesetzliche Regelungen aber kaum möglich. Auch der nordrhein-westfälische Verordnungsgeber hatte die Schutzmaßnahmen im Sommer 2020 immer wieder an das aktuelle Infektionsgeschehen anpassen müssen und dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen ergriffen. Zudem konnte den Entwicklungen durchaus mit unterschiedlichen Maßnahmen begegnet werden, wie die im Einzelnen variierenden landesrechtlichen Regelungen zeigten. Angesichts dessen drang sich ein unmittelbar bestehender Handlungsbedarf des Bundesgesetzgebers im Sommer 2020 nicht auf.
128Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. August 2020 - 13 B 847/20.NE -, juris Rn. 83 f., und vom 23. Juni 2020 - 13 B 695/20.NE -, juris Rn. 46.
129Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der erstmals im Sommer 2020 massenhaft aufgetretenen Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bei Beschäftigten in den Großbetrieben der Fleischindustrie.
130b) Der Anwendungsbereich des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG war eröffnet. Für die Anordnung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen ist es nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine übertragbare Krankheit aufgetreten ist, deren Weiterverbreitung verhindert werden soll.
131Vgl. dazu ausführlich: OVG NRW, Urteil vom 25. August 2022 - 13 D 33/20.NE -, juris Rn. 61 ff.
132Dies war vorliegend der Fall, da in allen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, auch in Nordrhein-Westfalen, eine Vielzahl von Infektionsfällen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 bestätigt wurden.
133Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), 20. Juli 2020, S. 13, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-07-20-de.pdf?__blob=publicationFile.
134Dass das beklagte Land die angefochtene Regelung wegen einer darin enthaltenen Testpflicht auf den in der Präambel nicht zitierten § 29 IfSG hätte stützen müssen und auch hat stützten wollen, ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil etwaige Testungen einer weiteren, freiwilligen Umsetzung durch die Klägerin bedurft haben (s.o.). und entsprechend die betroffenen Personen schon keiner Beobachtung unterworfen wurden. Überdies wurde auch durch die gegenständliche Regelung keine Testpflicht im Rechtssinne statuiert, weil nach dem Wortlaut die Erfüllung der Testung nicht vom beklagten Land erzwungen werden konnte.
135Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. April 2021 - 13 B 559/21.NE -, juris Rn. 21 f.; Bayerischer VGH, Beschluss vom 28. Juli 2021 - 25 NE 21.1962 -, juris RN. 57 f., jeweils mit weiteren Nachweisen.
1362. Gegen die formelle Rechtsmäßigkeit der mit Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 verfügten mittelbaren Testpflicht bestehen keine Bedenken.
137a) Das beklagte Land durfte die streitgegenständliche Anordnung im Wege der Allgemeinverfügung treffen. Anhaltspunkte für einen Formenmissbrauch sind nicht ersichtlich.
138Vgl. zu den generellen Voraussetzungen einer Allgemeinverfügung ausführlich: VG Minden, Urteil vom 18. November 2022 - 7 K 168/21 -, n.v., S. 16 ff. des Urteilsabdrucks.
139Insoweit hat die Kammer,
140vgl. Beschluss vom 24. August 2020 - 7 L 662/20 -, juris Rn. 42 ff.
141ausgeführt:
142„Die Rechtsformenwahl einer Allgemeinverfügung im Sinne von § 35 Satz 2 VwVfG NRW begegnet ebenfalls keinen Bedenken.
143Vgl. bereits VG Minden, Beschuss vom 17. April 2020 - 7 L 300/20 -; VG Münster, Beschluss vom 6. August 2020 - 5 L 596/20 -, juris Rn. 10.
144Die Verordnungsermächtigung des § 32 IfSG schließt den Erlass von Schutzmaßnahmen in anderer Rechtsform als der Rechtsverordnung nicht aus.
145Vgl. VG München, Beschluss vom 24. März 2020 - M 26 S 20.1252 -, juris Rn. 22; VG Berlin, Beschluss vom 07. Mai 2020 - 3 L 167/20 -, juris Rn. 25
146Mit den getroffenen Anordnungen überschreitet der Antragsgegner noch nicht die Grenze zu einer abstrakt-generellen Regelung. Insofern ist es unzutreffend, dass der Antragsgegner eine Entscheidung hinsichtlich eines gesamten unternehmerischen Zweiges getroffen hätte. Denn die Allgemeinverfügung adressiert insofern nur Großbetriebe mit mehr als 100 Beschäftigten. Unschädlich ist dabei, dass sich die Allgemeinverfügung an einen sehr breiten Personenkreis richtet, der außerdem nicht konkret bestimmt ist (vgl. insoweit § 35 Satz 2 Var. 1 VwVfG NRW). Entscheidend ist, dass der Anlass der Allgemeinverfügung ein konkreter Einzelfall ist und diese damit ungeachtet des weiten Personenkreises weiterhin die Merkmale eines Verwaltungsaktes erfüllt. Nicht die Unbestimmtheit des Personenkreises, sondern die Konkretheit des geregelten Sachverhalts unterscheidet die personenbezogene Allgemeinverfügung von der Rechtsnorm.
147Vgl. VG des Saarlandes, Beschluss vom 30. März 2020 - 6 L 340/20 -, juris Rn. 7; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Aufl.2019, § 35 VwVfG Rn. 162.
148Der Antragsgegner hat keine abstrakte Anweisung für einen „gedachten Fall“ getroffen. Vielmehr hat er auf ein konkretes Infektionsgeschehen in Großbetrieben der Fleischindustrie reagiert, weil nach seiner Einschätzung erhebliche Anhaltspunkte für die Annahme vorlagen, die Besonderheiten in diesem Wirtschaftszweig würden ein derartiges Geschehen begünstigen.
149Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1961 - I C 54.57 -, juris Rn. 41 ff.
150Wenn wie hier von einer derartig konkreten Gefahr eines erheblichen Infektionsgeschehens ausgegangen wird – siehe sogleich folgenden Ausführungen zu der anzunehmenden Gefährdungslage –, kann die Behörde jedenfalls die Rechtsform einer Allgemeinverfügung bemühen.“
151Daran hält die Kammer in Ansehung des Vortrags der Klägerin weiterhin fest.
152b) Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt auch keine Verletzung der Begründungspflicht nach § 39 VwVfG NRW vor. Gemäß § 39 Abs. 1 VwVfG NRW ist ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben (Satz 2). Die Begründung von Ermessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (Satz 3). Das Begründungserfordernis verlangt dabei nicht, schriftliche Verwaltungsakte in allen Einzelheiten zu begründen. Welchen Inhalt und Umfang die Begründung eines Bescheides haben muss, richtet sich nach den Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes und nach den Umständen des Einzelfalles.
153Vgl. st. Rspr. d. BVerwG, Urteil vom 27. November 2014 - 4 C 31.13 -, juris Rn. 8 m.w.N.
154Da das Begründungserfordernis formaler Art ist, gebietet es nicht, dass die behördlich angeführten Gründe sich inhaltlich als richtig und tragfähig erweisen.
155Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. Februar 2020 - 20 A 875/17 -, juris Rn. 27 m.w.N.
156Gemessen daran war der gegenständlichen Allgemeinverfügung - auch im Hinblick auf die mittelbare Testpflicht - eine Begründung beigefügt, die den Anforderungen des § 39 Abs. 1 VwVfG NRW entsprach. Das beklagte Land legt in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung u.a. unter Verweis auf massive Infektionsgeschehen in Schlachthöfen und fleischverarbeitenden Betrieben, die dortige Mitarbeiterstruktur, Arbeitsorganisation und Arbeitssituation, bisherige wissenschaftliche Einschätzungen sowie noch bestehende Unsicherheiten betreffend die Begünstigung von Infektionsgeschehen dar, dass schon der Eintrag möglicher Viren in die genannten Betriebe so weit wie möglich zu unterbinden sei und daher die Beschäftigten in der Produktion regelmäßig getestet werden müssten. Auch wird u.a. dargelegt, dass eine generalisierende Betrachtungsweise aufgrund ähnlicher Produktionssituationen und Mitarbeiterstrukturen erforderlich sei sowie die Vorgaben den Weiterbetreib der Unternehmen ermöglichen würden und angesichts der erheblichen Gesundheitsgefahren für eine Vielzahl von Beschäftigten auch verhältnismäßig seien. Die gegebene Begründung gibt, was bezogen auf § 39 VwVfG NRW entscheidend ist, hinreichend Aufschluss über die tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die aus der seinerzeitigen Sicht des beklagten Landes - vornehmlich - die verfügte mittelbare Testpflicht gerechtfertigt haben, und lässt darüber hinaus die wesentlichen Gesichtspunkte der Ermessensentscheidung erkennen. Entgegen der Auffassung der Klägerin bedurfte es einer expliziten Begründung zu der unter Ziffer 1.1. gewählten Formulierung „auf Kosten des Betriebsinhabers“ nicht.
157Ob eine Begründung im Hinblick auf § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW ohnehin nicht erforderlich war, weil danach eine - wie hier - öffentlich bekannt gegebene Allgemeinverfügung schon keiner Begründung bedarf, oder ob § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW, wie teilweise vertreten
158- vgl. VG Berlin, Beschluss vom 21. September 2020 - 4 L 350/20 -, juris Rn. 21; Stelkens, in: Bonk/Sachs/Stelkens, 9. Auflage 2018, VwVfG § 39 Rn. 106; Schuler-Harms, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 3. EL August 2022, § 39 VwVfG Rn. 95 -
159dahingehend restriktiv auszulegen ist, dass die Begründung nur dann entfallen kann, wenn und soweit die Allgemeinverfügung aus sich heraus verständlich ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
1603. Die verfügte mittelbare Testpflicht war auch materiell rechtmäßig.
161a) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG lagen - wie bereits ausgeführt - im relevanten Zeitraum vor.
162b) Die mittelbare Testpflicht ist auch auf Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden.
163Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG vor, ist der Antragsgegner zum Handeln verpflichtet (gebundene Entscheidung). Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen - „wie“ des Eingreifens - ist der Behörde allerdings Ermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.
164Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 -, juris Rn. 23 f.
165Das Auswahlermessen ist nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO daraufhin überprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und vom Ermessen in zweckentsprechender Weise Gebrauch gemacht wurde.
166Im vorliegenden Fall kam dem beklagten Land im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr ein weiter Ermessensspielraum zu, da zum damaligen Zeitpunkt auf unsicherer Entscheidungsgrundlage eine dringliche Entscheidung geboten war.
167Sind wegen Unwägbarkeiten der Erkenntnislage die Möglichkeiten begrenzt, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung darauf, ob die handelnde Behörde eine sachgerechte und vertretbare Beurteilung der ihr verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten vorgenommen hat. Bei den zur Gefahrenabwehr erforderlichen prognostischen Entscheidungen kann die Beurteilung der Ermessensentscheidung nicht nach der tatsächlichen späteren Entwicklung, sondern lediglich danach erfolgen, ob die Behörde aus ihrer damaligen Sicht (ex ante) auf Grundlage der verfügbaren Erkenntnisse davon ausgehen durfte, dass die Prognose sachgerecht und vertretbar war. Allerdings hat die Behörde in einem solchen Fall die getroffenen Schutzmaßnahmen regelmäßig zu überprüfen bzw. zeitlich zu befristen, damit sich Unklarheiten nicht einseitig zu Lasten der Betroffenen auswirken.
168Vgl. VG München, Urteil vom 16. November 2022 - M 26b K 20.1221 -, juris Rn. 52 m.w.N.; Gerhard, in: ders., IfSG, 6. Auflage 2022, § 28 Rn. 19 ff.;
169Daran gemessen sind Ermessensfehler nicht ersichtlich.
170aa) Zunächst ist es auf Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden, dass die Klägerin als Nichtstörerin Adressatin der Allgemeinverfügung war.
171Vgl. erneut: VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 - 7 L 622/20 -, juris Rn. 40 unter Verweis auf OVG NRW, Beschluss vom 7. August 2020 - 13 B 785/20.NE -, juris Rn. 64 ff. m.w.N. und VG Minden, Beschluss vom 21. April 2020 - 7 L 299/20 - Rn. 27 m.w.N.
172Entsprechendes wird von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
173bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es auch grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass (mittelbar) den Betriebsinhabern die Kosten der Infektionsschutzmaßnahme nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG auferlegt wurden.
174Eine gesetzliche Regelung, wer die Kosten für Maßnahmen nach § 28 IfSG zu tragen hat, ist dem IfSG nicht zu entnehmen. Ebenso wenig lassen die im IfSG ausdrücklich getroffenen Kostenregelungen generelle Rückschlüsse auf die Kostentragungspflicht bei Maßnahmen nach § 28 IfSG zu.
175A.A. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juli 2020 - 1 S 2087/20 -, juris Rn. 65, wonach unter Berücksichtigung der Regelung des § 69 IfSG aus der Gesetzessystematik folge, dass Kosten für nach § 28 IfSG angeordnete Schutzmaßnahmen, wenn sie nicht zugleich unter einen der geregelten Kostentatbestände fielen, grundsätzlich von dem Adressaten der Maßnahme zu tragen seien.
176Das IfSG kennt sowohl die Kostentragungspflicht des Adressaten einer Maßnahme (§ 39 Abs. 1 IfSG) als auch die Bestreitung der Kosten aus öffentlichen Mitteln (§ 69 IfSG). Insofern lässt § 39 Abs. 1 IfSG nicht den Schluss zu, dass die Kostentragungspflicht des Adressaten einer Maßnahme stets einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedarf. Konsequenterweise müsste dann aus § 69 IfSG der entsprechende Schluss, dass die Kostentragungspflicht aus öffentlichen Mitteln ebenfalls stets ausdrücklich zu regeln ist, gezogen werden.
177Dass das IfSG für Maßnahme nach § 28 IfSG keine ausdrückliche Regelung zur Kostentragungspflicht enthält, ist vielmehr dem Umstand geschuldet, dass entsprechende Maßnahmen mannigfaltig sind und daher eine einzelfallgerechte Lösung zu finden ist. Etwaige wirtschaftliche Auswirkungen auf die von der Schutzmaßnahme Betroffenen sind bei der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme in den Blick zu nehmen.
178Vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 7 B 1657/21 -, juris Rn. 54; VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Dezember 2020 - 29 L 2547/20 -, juris Rn. 40; VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 - 7 L 662/20 -, juris Rn. 51
179cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin war nicht von einem Ermessensnichtgebrauch bzw. -ausfall auszugehen.
180Von Ermessensnichtgebrauch bzw. -ausfall ist auszugehen, wenn die Behörde den ihr zustehenden Handlungsfreiraum nicht erkannt und dementsprechend überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat. Ein gewichtiges Indiz hierfür stellt die Begründung des Verwaltungsaktes dar. Fehlen Ausführungen zum Ermessen vollständig, spricht a priori alles für einen Ermessensausfall.
181Vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. EL August 2022, § 114 VwGO Rn. 60; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 114 Rn. 114a f.
182Davon ist offensichtlich nicht auszugehen. Das beklagte Land hat das ihm nach dem Vorstehenden zustehende Auswahlermessen in sachlicher und adressatenbezogener Hinsicht als solches zutreffend erkannt und auch betätigt.
183Für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung ist es erforderlich, dass die Behörde unter Darlegung und Abwägung der aus ihrer Sicht betroffenen gegenläufigen Belange im Einzelnen begründet, warum sie sich gerade für die getroffene Maßnahme entschieden hat.
184Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 2014 - 6 B 46.13 -, juris Rn. 11 und Urteil vom 5. September 2006 - 1 C 20.05 -, juris Rn. 19.
185Im Rahmen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist somit darzulegen, warum die Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Das beklagte Land hat danach das ihm zustehende Auswahlermessen ausgeübt. Aus der umfassenden Begründung der Allgemeinverfügung ergibt sich, aus welchen Gründen es u.a. die hier gegenständliche mittelbare Testpflicht angeordnet hat. Dabei trifft das beklagte Land eine Folgenabwägung der aus seiner Sicht gegenläufigen Interessen (vgl. Seite vier der Allgemeinverfügung ab „Aufgrund der Erheblichkeit ...“). Ungeachtet der Frage, ob eine gesonderte Begründung i.o.g.S. für die getroffene Kostenregelung ebenfalls erforderlich war, hat das beklagte Land auch insoweit die Vor- und Nachteile abgewogen und dabei insbesondere die wirtschaftlichen Belange der betroffenen Unternehmen miteinbezogen. Dazu heißt es in der Begründung der Allgemeinverfügung:
186„Die Vorgaben ermöglichen den Weiterbetrieb der Unternehmen und sind angesichts der erheblichen Gesundheitsgefahren für eine Vielzahl von Beschäftigten auch verhältnismäßig. Dies gilt umso mehr, da ohne eine bestmögliche Infektionsvorbeugung der Weiterbetrieb der Unternehmen gefährdet ist.“
187Dazu passen die im Verwaltungsvorgang dokumentierten Erwägungen (vgl. Bl. 24 d. BA 001):
188„Da die Testungen vor allem auch im Interesse der Betriebe an der Aufrechterhaltung des Betriebsablaufs sind, ist es angemessen, dass diese auch die Kosten tragen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Kosten durch die Möglichkeit zur Pooltestung und den individuellen Massenverträgen mit Laboren deutlich niedriger liegen, als bei normalen Testungen. Uns wurden hier schon Beträge von sehr deutlich unter 50 € genannt.“
189Auch solche sind geeignet, Anhalt für eine erfolgte Ermessensausübung zu geben.
190Vgl. Bamberger, in: Wysk, VwGO, 3. Auflage 2020, § 114 Rn. 18.
191Unter Berücksichtigung dieser umfassenden Erwägungen kann ein Ermessensnichtgebrauch bzw. -ausfall ausgeschlossen werden.
192dd) Die in Ziffer 1.1. angeordnete mittelbare Testpflicht erweist sich nicht als unverhältnismäßig. Die Regelung war zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen.
193(1.) Das beklagte Land verfolgte einen legitimen Zweck, nämlich die Verhinderung der weiteren Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und der damit einhergehen Gefahren für die Bevölkerung.
194Vgl. dazu ausführlich: OVG NRW, Urteil vom 22. September 2022 - 13 D 38/20.NE -, juris Rn. 193, 195, und Beschluss vom 22. Juli 2020 - 13 B 886/20.NE -, juris Rn. 45.
195Das Robert-Koch-Institut führte in seinem täglichen Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 20. Juli 2020,
196abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-07-20-de.pdf?__blob=publicationFile,
197zur allgemeinen derzeitigen Lage, zu Ausbrüchen und zur Risikobewertung u.a. aus:
198„Die kumulative Inzidenz der letzten 7 Tage lag deutschlandweit bei 3,1 Fällen pro 100.000 Einwohner und ist damit auf niedrigem Niveau leicht angestiegen. Aus 109 Landkreisen wurden in den letzten 7 Tagen keine Fälle übermittelt. In weiteren 240 Landkreisen liegt die 7- Tagesinzidenz unter 5,0/100.000 Einwohner. In den Bundesländern Bayern, Berlin, Hessen liegt die 7-Tagesinzidenz knapp und in Bremen und Nordrhein-Westfalen deutlich über dem bundesweiten Durchschnittswert. Insgesamt wurden in Deutschland 201.823 laborbestätigte COVID-19-Fälle an das RKI übermittelt, darunter 9.086 Todesfälle in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen. In einem fleischverarbeitenden Betrieb in Niedersachsen kam es zu einer Häufung von COVID-19 Fällen. Es treten darüber hinaus vereinzelt in verschiedenen Settings COVID-19-bedingte Ausbrüche auf, wie u.a. Alters- und Pflegeheimen und Krankenhäusern sowie in Zusammenhang mit Familienfeiern und religiösen Veranstaltungen oder in Einrichtungen für Asylbewerber und Geflüchtete.
199[…]
200Im Landkreis Vechta wurde eine hohe 7-Tage-Inzidenz mit über 25 Fällen/ 100.000 Einwohner beobachtet (siehe Abbildung 2). In Folge einer Reihentestung bei >1000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen eines fleischverarbeitenden Betriebes wurde eine Häufung von COVID-19 Fällen bekannt. Auch benachbarte Landkreise sind betroffen. Weitere COVID-19-bedingte Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern, Flüchtlingseinrichtungen, Familienfeiern, Kindertagesstätten und religiösen Gemeinschaften werden vereinzelt berichtet.
201[…]
202Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Anzahl der neu übermittelten Fälle ist in Deutschland seit etwa Mitte März rückläufig. Viele Kreise übermitteln derzeit nur sehr wenige bzw. keine Fälle an das RKI. Es kommt aber immer wieder zu einzelnen Ausbruchsgeschehen. Das Robert Koch-Institut schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit weiterhin insgesamt als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. Diese Einschätzung kann sich kurzfristig durch neue Erkenntnisse ändern.“
203Nach der Einschätzung des Robert Koch-Instituts bestand auch noch zum Zeitpunkt, als die hier streitgegenständliche Maßnahme ausgelaufen ist, weiterhin für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland eine hohe bzw. für Risikogruppen eine sehr hohe Gefährdung.
204Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), 28. August 2020, S. 13, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-08-28-de.pdf?__blob=publicationFile.
205Ausgehend davon beruhte die Annahme des beklagten Landes einer ernst einzuschätzenden Gefahrenlage auf hinreichend tragfähigen Erkenntnissen.
206(2.) Die mittelbare Testpflicht in Form einer seriellen Testung war auch ein geeignetes Mittel, diesen Zweck zu erreichen. Eine Maßnahme ist geeignet, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Erfolg zumindest gefördert werden kann. Es ist nicht notwendig, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht wird oder jedenfalls erreichbar ist; die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt.
207Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. April 1997 - 2 BvL 45/92 -, juris Rn. 61 m.w.N.
208Maßgeblich ist bei der Beurteilung allein die ex-ante-Sicht.
209Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 1.21 -, juris Rn. 57; OVG NRW, Urteile vom 25. August 2022 - 13 D 33/20.NE -, juris Rn. 236, und vom 22. September 2022 - 13 D 238/20.NE -, juris Rn. 241; VG Köln, Gerichtsbescheid vom 21. Dezember 2022 - 7 K 2647/21 -, juris Rn. 60.
210Eine Behörde verletzt ihren Einschätzungsspielraum grundsätzlich nicht dadurch, dass sie bei mehreren vertretbaren Auffassungen einer den Vorzug gibt, solange sie dabei nicht feststehende, hiermit nicht vereinbare Tatsachen ignoriert.
211Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Juni 2020 - 13 B 779/20.NE -, juris, Rn. 68 f., m. w. N, vom 22. Januar 2021 - 13 B 47/21.NE -, juris, Rn. 72 f., und vom 22. April 2021 - 13 B 610/21 -, juris Rn. 22.
212Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes war anzunehmen, dass die verfügte serielle Testung trotz der damit verbundenen Nachteile
213- vgl. dazu ausführlich: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juli 2020 - 1 S 2087/20 -, juris Rn. 51 ff.; VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 - 7 L 662/20 -, juris Rn. 64 ff.; VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 25. August 2020 - 7 L 1564/20 -, juris Rn. 45 ff., und vom 22. Dezember 2020 - 29 L 2547/20 -, juris Rn. 63, und VG Oldenburg, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 7 B 1657/21 -, juris Rn. 36 ff. -
214es ermöglichte, frühzeitig infizierte, möglicherweise (noch) keine Symptome aufweisende Personen zu identifizieren, sodass sodann gezielt Maßnahmen ergriffen werden konnten, um eine weitere Verbreitung des Corona-Virus zu verhindern.
215Ausgehend davon vermag der Vortrag der Klägerin, die bloße Aufdeckung einer Infektion führe nicht zu einer vollständigen Verhinderung der Infektion, die Geeignetheit der angeordneten Maßnahme nicht in Frage zu stellen. Nichts Anderes gilt für den von ihr vorgetragenen Einwand, dass eine PCR-Testung, deren Ergebnis zudem erst einen Tag nach der Testung vorliege, nicht den gesamten Zeitraum der Infektiosität einer Person erfasse.
216Dass eine Weiterverbreitung des Virus auch durch die angeordnete Maßnahme nicht vollends ausgeschlossen werden konnte, führt - wie sich aus dem obigem Maßstab ergibt - nicht zur Ungeeignetheit der Maßnahme. In jedem Fall wird das Ziel, infizierte Personen zu identifizieren und das Infektionsgeschehen dadurch zu kontrollieren, durch diese gefördert.
217Der Umstand, dass Personen, die bereits eine Infektion mit dem Sars-CoV-2 Virus durchgemacht haben, von der mittelbaren Testpflicht/angeordneten Betriebszugangsregelung nicht ausgenommen waren, vermag auch nicht (insoweit) zu einer fehlenden Geeignetheit führen. Im maßgeblichen Zeitraum sowie auch noch deutlich später
218- vgl. dazu: VG Regensburg, Beschluss vom 11. November 2020 - RN 14 E 20.2714 -, juris Rn. 25 ff. unter Bezug auf den SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) des RKI, Stand 30. Oktober 2020; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. November 2020 - 3 R 220/20 -, juris Rn. 131 ff. unter Bezug auf den SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) des RKI, Stand 13. November 2020; VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 20. Januar 2021 - 1 S 4025/20 -, juris Rn. 35 ff. unter Bezug auf den SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) des RKI, Stand 8. Januar 2021, sowie vom 18. März 2021 - 1 S 774/21 -, juris Rn. 16 unter Bezug auf den SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) des RKI, Stand 1. Februar 2021 -
219fehlten aufgrund der Neuartigkeit des Erregers wissenschaftlich hinreichend fundierte Erkenntnisse zur erneuten Infizierbarkeit von Genesenen sowie zur Ansteckungsfähigkeit (sog. Kontagiosität), die von ihnen im Falle einer Reinfektion ausgeht.
220In Übereinstimmung dazu heißt es in dem ab dem 24. Juni 2020 dem beklagten Land vorliegenden Gutachtenentwurf der hygienisch-medizinischen Risikoeinschätzung und Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle von COVID-19-Infektionen bei der Firma U. in S1. -X. zur Unterstützung der Abteilung Gesundheit des Kreises H. von Prof. Dr. med. Dr. h. c. M. F. (S. 25):
221„Inwieweit Genesende ohne Risiko eingesetzt werden können, ist derzeit nicht abschließend zu beurteilen, weswegen auch Genesene unter den gleichen Bedingungen wie bisher eingesetzt werden sollen.“
222Worauf die Klägerin die Annahme stützt, schon nach den seinerzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen würden Genesene nicht mehr relevant zur Verbreitung des Infektionsgeschehens beitragen, lässt sie bezeichnenderweise offen.
223Ausgehend davon war - aus der insoweit maßglichen ex-ante-Perspektive - im Hinblick auf die Geeignetheit nicht zu beanstanden, dass sich die mittelbare Testpflicht auch auf etwaige Genesene bezog.
224Abgesehen davon hat die Klägerin nicht ansatzweise substantiiert vorgetragen, dass sie während des Geltungszeitraums der gegenständlichen Allgemeinverfügung aufgrund dieser Personen, die bereits eine Infektion mit dem Corona-Virus Sars-CoV-2 durchgemacht haben, habe testen lassen.
225(3.) Unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit war die Maßnahme ebenfalls nicht zu beanstanden. Aufgrund der im Sommer 2020 verfügbaren Erkenntnislage durfte das beklagte Land davon ausgehen, dass ein milderes, aber gleich wirksames Mittel zur Vermeidung eines weiteren erheblichen Verbreitungsgeschehens durch Großbetriebe der Fleischwirtschaft nicht in Betracht kam.
226Solange eine epidemische Lage durch erhebliche Ungewissheiten und sich ständig weiterentwickelnde fachliche Erkenntnisse geprägt ist, ist dem Verfügenden eine entsprechende Einschätzungsprärogative im Hinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen, soweit sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen. Gravierende Unsicherheiten bei der prognostischen Bewertung des weiteren Ausbruchsverlaufs können es - auch mit Blick auf künftig auftretende sogenannte Superspreading-Events - dabei rechtfertigen, eine stärker typisierende Betrachtung (verbleibender) Risikotatbestände anzulegen und stärker generalisierende Regelungen zu treffen.
227Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. August 2022 - 13 D 29/20.NE -, juris Rn. 203 ff.; Beschlüsse vom 6. Juli 2020 - 13 B 940/20.NE -, juris Rn. 54, und vom 29. April 2020 - 13 B 512/20.NE -, juris Rn. 48 ff.; VG Minden, Urteil vom 18. November 2022 - 7 K 168/21 -, n.v., S. 26 f. des Urteilsabdrucks.
228Nach diesen Maßgaben war die von dem beklagten Land auferlegte mittelbare Testverpflichtung nicht zu beanstanden.
229Die Annahme des beklagten Landes, dass von den von der Allgemeinverfügung erfassten Großbetrieben der Fleischwirtschaft ein erhebliches Risiko für eine weitreichende Verbreitung des Virus SARS-CoV-2 durch sog. Superspreading-Events ausging, begegnet trotz Unsicherheiten hinsichtlich der genauen Ursachen unter Berücksichtigung des damaligen Erkenntnisstandes keinen durchgreifenden Bedenken.
230(a) Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass vor allem Schlacht- und Zerlegebetriebe sog. Hotspots für ein Infektionsgeschehen waren und es sich bei der Klägerin jedoch (nur) um einen fleischverarbeitenden Betrieb handelt. Der Vortrag der Klägerin dazu, wie sich ihr Betrieb von einem Schlacht- und Zerlegebetrieb unterscheide, vermag die Erforderlichkeit der Maßnahme - betrachtet aus der ex-ante Sicht des beklagten Landes - nicht in Abrede zu stellen.
231Das beklagte Land legte der streitgegenständlichen Maßnahme gemäß der Begründung der Allgemeinverfügung nachvollziehbar die auf wissenschaftliche Erkenntnisse fundierte Annahme zugrunde, dass multiple - für die Fleischwirtschaft typische - Risikofaktoren, wie z.B. Belüftungsanlagen im Zusammenspiel mit der für diese Betriebe typischerweise erforderlichen Luftkühlung, die Mitarbeiterstruktur, die Arbeitsorganisation und die Arbeitssituation in der Produktion die Verbreitung fördern.
232Diese Annahme stützte es im Wesentlichen auf den ab dem 24. Juni 2020 vorliegenden Entwurf der hygienisch-medizinischen Risikoeinschätzung und Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle von COVID-19-Infektionen bei der Firma U. in S1. -X. zur Unterstützung der Abteilung Gesundheit des Kreises H. von Prof. Dr. med. Dr. h. c. M. F. (S. 22 ff.),
233vgl. Darlegung des Ministerialrats U1. vom 20. Oktober 2021 (Bl. 387 der GA),
234wonach Risikofaktoren für die leichte Übertragbarkeit von SARS-CoV-2, die nach einem Massenausbruch in einem Schlacht- und Zerlegebetrieb festgestellt wurden, harte körperliche Arbeit, fehlende Möglichkeit der Abstandswahrung, fehlende Möglichkeit, Barrieren zwischen Mitarbeitern zur Verhinderung einer direkten Tröpfchenübertragung umzusetzen, ein hoher Lärmpegel, der lautes Sprechen erforderlich macht, Bedarf trotz harter körperlicher Arbeiten kontinuierlich einen Mundschutz zu tragen, niedrige Temperaturen zwischen 8-10°C, wobei die Überlebensbedingungen sowohl auf der Schleimhaut von Menschen als auch ggf. im Aerosol hierdurch begünstig werden, niedrige Luftfeuchtigkeit, die zur Verhinderung von Listerien jedoch erforderlich ist, starke Umluftbewegungen der Raumluft ohne entsprechende Aufbereitung und niedrige Luftwechselraten von weniger als einmaliger Umwälzung pro Stunde sind.
235Für das beklagte Land musste sich nicht aufdrängen, dass diese Erkenntnisse grob falsch waren. Vielmehr spiegelten sich diese Erkenntnisse im Wesentlichen auch in der im maßgeblichen Zeitraum verfügbaren sonstigen wissenschaftlichen Literatur wider.
236Vgl. Günther T., Czech-Sioli M., Daniela Indenbirken D. et al. (2020) Investigation of a superspreading event preceding the largest meat processing plant-related SARSCoronavirus 2 outbreak in Germany, S. 4; abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3654517; n.b.: Die auf den genannten Preprint-Server veröffentliche Studie hatte im relevanten Zeitraum noch kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen.
237Zwar bezogen sich die o.g. wissenschaftlichen Erkenntnisse vor allem auf Schlacht- und Zerlegebetriebe. Jedoch ist weder die Annahme des beklagten Landes, dass die benannten Risikofaktoren (teilweise) auch in fleischverarbeitenden Betrieben vorliegen, noch der daraus gezogene Schluss, dass von solchen Betrieben ebenfalls eine ähnliche Gefahr bzgl. der Verbreitung des Virus ausgeht, zu beanstanden.
238Im maßgeblichen Zeitraum war jedenfalls nicht hinreichend gesichert, dass eine Gefährdung trotz Erfüllung einiger Risikofaktoren nicht auch von fleischverarbeitenden Betreiben ausging.
239Angesichts der hohen Fragilität der Lage und der fortbestehenden gravierenden Unsicherheiten war - unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 28 IfSG - nicht erforderlich, dass eine Gefährdung auch durch die fleischverarbeitenden Betriebe feststand. Vielmehr rechtfertigen diese Umstände eine generalisierende Betrachtungsweise.
240Vgl. VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 - 7 L 662/20 -, juris Rn. 70, 77 ff.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. August 2020 - 7 L 1565/20 -, juris Rn. 65 ff.; a.A. VG Münster, Beschluss vom 6. August 2020 - 5 L 596/20 -, juris Rn. 21 ff.
241Ausgehend davon war aus der ex-ante Perspektive entgegen der Ansicht der Klägerin nicht anzunehmen, dass von ihrem Betrieb - anders als von Schlachthöfen und Zerlegebetrieben - keine Gefahr ausging, weil die Produktionsräume mit 100% Frischluft versorgt würden, die zu verrichtende Arbeit weniger anstrengend sei, bei höheren Temperaturen gearbeitet werde und Mindestabstände von 1,5m eingehalten würden und - wo dies nicht möglich sei - Trennscheiben installiert worden seien.
242Zunächst ist festzuhalten, dass diese Umstände - soweit ersichtlich - erst im gerichtlichen Verfahren mit der Klagebegründung, die unter dem 14. September 2021 erfolgte, bzw. der Replik vom 2. Februar 2022 vorgetragen wurden. Insoweit hat sich aus der ex-ante Sicht dem beklagten Land nicht aufdrängen müssen, dass im konkreten Einzelfall der Klägerin eine Erforderlichkeit der Maßnahme nicht bestanden haben könnte. Bei den dargelegten Umständen handelt es sich insbesondere um solche, die individuelle betriebsinterne Abläufe der Klägerin betreffen, von denen das beklagte Land nicht ohne weiteres Kenntnis haben konnte. Im Übrigen stammen die von der Klägerin vorgelegten Untersuchungen zu Zuluft-Messungen in den verschiedenen Betriebsteilen ihrer Produktion allesamt von Dezember 2021 und vermögen damit keine fundierte Aussage über die Verhältnisse im Sommer 2020 zu treffen.
243Abgesehen davon konnte unter Berücksichtigung der obigen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Klägerin - erst im Nachhinein - geltend gemachten Produktionsbedingungen ausreichend waren, um das Verbreitungsrisiko sicher auszuschließen. Vielmehr fehlte es an gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, unter welchen technischen bzw. organisatorischen Bedingungen die Gefahr der Verursachung eines erheblichen Verbreitungsgeschehens durch einen Betrieb der Fleischwirtschaft sicher gebannt war. Insofern stellte sich eine Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nicht als gleich geeignet dar. Auch im konkreten Fall der Klägerin konnte - auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen Produktionsbedingungen (s.o.) - nicht ausgeschlossen werden, dass von ihrem Betrieb kein Verbreitungsrisiko ausging. Insbesondere ist unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin nicht ersichtlich, dass sich die Temperatur in ihren Produktionsräumen wesentlich von der als Risikofaktor festgestellten Temperatur von acht bis 10 Grad Celsius (s.o.) unterschied. Vielmehr trägt die Klägerin vor, ihr sei es nicht möglich gewesen, die mittlere Raumtemperatur auf nicht weniger als 10 Grad Celsius zu regulieren (vgl. Bl. 53 f. d. GA). Daneben fehlen Angaben zur Höhe der Luftfeuchte in den Produktionsräumen.
244Darüber hinaus schied eine Einzelfallbetrachtung der jeweiligen Betriebe unter Berücksichtigung der Kapazitäten der zuständigen Kontrollbehörden sowie der Erforderlichkeit einer schnellen Reaktion auf das jedenfalls aus ex-ante Sicht erhebliche Infektionspotential der Großbetriebe der Fleischindustrie aus. Unter diesen Umständen erschien es nahezu ausgeschlossen, dass eine Ausnahmeprüfung im Einzelfall tatsächlich umgesetzt werden konnte.
245Vgl. VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 - 7 L 662/20 -, juris Rn. 89.
246Soweit die Klägerin rügt, die in der zeitlich späteren, der Allgemeinverfügung entsprechenden Verordnung geregelten Ausnahmetatbestände seien praktisch nicht erfüllbar gewesen, kann sie damit im hier vorliegenden Verfahren, welches die Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 betrifft, nicht gehört werden.
247Im Übrigen sah die streitgegenständliche Allgemeinverfügung in Ziffer 1. i.V.m. Ziffer 1.1. - anders als die vom VGH Baden-Württemberg im Beschluss vom 30. Juli 2020 - 1 S 2087/20 - bewertete Rechtsverordnung - auch nicht (mehr) eine starre Pflicht zur Durchführung von zweimal wöchentlichen Reihentestungen von Mitarbeitern vor.
248Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. August 2020 - 7 L 1564/20 -, juris Rn. 70.
249Bei Betrieben mit mehr als 100 Beschäftigten insgesamt, von denen aber weniger als 100 Beschäftigte in der Produktion arbeiteten, war ein Test pro Woche ausreichend. In Betrieben mit 100 und mehr Beschäftigten in der Produktion war ebenfalls eine Testung pro Woche ausreichend, wenn und solange die letzten zwei Testungen ausschließlich negative Testergebnisse erbracht hatten und zugleich Personen, die mehr als 5 Tage nicht im Betrieb tätig waren (Urlaub, Neueintritt etc.) vor dem (Wieder-)Eintritt in den Betriebsablauf gesondert getestet wurden.
250(b) Es ist nicht ersichtlich, dass ein gleich wirksames, weniger beschränkendes Mittel zur Verfügung gestanden hätte.
251Das ist nicht der Fall, wenn ein anderes, gegenüber dem Adressaten milderes Mittel zur Verfügung steht, das ebenso wirksam wäre und Dritte sowie die Allgemeinheit nicht stärker belastet.
252Vgl. st. Rspr. BVerfG, Beschlüsse vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 -, juris Rn. 203 und vom 21. März 2018 - 1 BvF 1/13 -, juris Rn. 47 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1994 - 4 C 11.94 -, juris Rn. 22.
253Insbesondere die im eigenen Hygienekonzept der Klägerin enthaltenen Maßnahmen (z. B. Mindestabstand bzw. Trennscheiben, Mund-Nasen-Schutz) hatten für sich genommen nicht die gleiche Wirkung. Jedenfalls konnten sie selbst bei konsequenter Anwendung nicht verhindern, dass infizierte Personen in die Produktionsstätten gelangten. Auch soweit die Klägerin bereits von sich aus anlassbezogene Testungen durchführen ließ, ist dies nicht in gleicher Weise wirksam wie die wöchentliche Testung aller in der Produktion beschäftigten Mitarbeiter.
254Vgl. ebenso: VG Oldenburg, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 7 B 1657/21 -, juris Rn. 48.
255Auch ist - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht darauf abzustellen, ob auch eine andere Finanzierung denkbar gewesen wäre. Diese stellte kein milderes Mittel dar, sondern hätte allenfalls den Belastungstatbestand auf eine andere Gruppe oder den Steuerzahler verlagern können.
256Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2006 - 6 C 10.06 -, juris Rn. 73.
257(c) Soweit die Klägerin vorträgt, die Auswertung der insgesamt durchgeführten Tests habe gezeigt, dass es in fleischverarbeitenden Betrieben nur ganz vereinzelnd Infektionen im zweistelligen Bereich pro Woche gegeben habe, verkennt sie bereits den vorliegend anzulegenden Prüfungsmaßstab aus der ex-ante Sicht. Ungeachtet dessen können daraus keine belastbaren Rückschlüsse auf die Erforderlichkeit der Maßnahme gezogen werden. Ob das spätere Ausbleiben eines Masseninfektionsgeschehens in fleischverarbeitenden Betrieben letztlich auf den dortigen Bedingungen oder auf der vom beklagten Land angeordneten regelmäßigen Testung beruhte, kann nicht mehr eruiert werden.
258(4.) Die Regelung war auch angemessen. Angemessen, d.h. verhältnismäßig im engeren Sinne, ist eine freiheitseinschränkende Regelung, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht. Hierbei ist eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, deren Wahrnehmung der Eingriff in Grundrechte dient, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter der davon Betroffenen notwendig. Die Interessen des Gemeinwohls müssen umso gewichtiger sein, je empfindlicher der Einzelne in seiner Freiheit beeinträchtigt wird. Zugleich wird der Gemeinschaftsschutz umso dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können.
259St. Rspr., vgl. etwa: BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 - 2 BvR 2347/15 -, juris Rn. 265, m.w.N.
260(a) Zwar griff die gegenständliche Regelung in die Berufsfreiheit der Klägerin gemäß Art. 12 Abs. 1 GG ein. Die Intensität des Eingriffs ist jedoch als vergleichsweise gering anzusehen, weil er lediglich auf Ebene der Berufsausübung erfolgte. Die Anordnung in Ziffer 1. i.V.m. Ziffer 1.1. der Allgemeinverfügung verbot der Klägerin nicht die Fortführung ihrer Tätigkeit als solche, sondern legte ihr nur eine besondere Schutzmaßnahme auf.
261Zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit müssen lediglich vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls vorliegen.
262Vgl. Bay.VGH, Beschluss vom 13. August 2020 - 20 CS 20.1821 -, juris Rn. 84 m. w. N.
263Diese Voraussetzungen sind hier angesichts des mit der Allgemeinverfügung bezweckten Schutzes von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) erfüllt.
264Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die in der gegenständlichen Allgemeinverfügung vorgesehene mittelbare Testpflicht von Anfang an auf einen überschaubaren Zeitraum, nämlich bis zum 31. August 2020, befristet war. Zudem hat das beklagte Land die angeordneten Verpflichtungen fortlaufend an weitere Erkenntnisgewinne angepasst und die gegenständliche Verfügung bereits vor Ablauf der zeitlichen Befristung der Allgemeinverfügung mit weiterer Allgemeinverfügung vom 28. August 2020 aufgehoben. Zwar erließ das beklagte Land in der Folgezeit im Verordnungswege Nachfolgeregelungen, wonach der Einsatz von Personen in der Produktion von negativen Testnachweisen abhing. Ob diese Regelungen in ihrer konkreten Ausgestaltung rechtmäßig, insbesondere weiterhin angemessen waren, ist indes nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
265Dass der Klägerin die Kosten der Testungen auferlegt wurden, stellte sich nicht als unangemessen dar. Soweit die Klägerin vorträgt, die Kostentragung zu ihren Lasten sei bereits deshalb unangemessen, weil sie lediglich Nichtstörerin gewesen sei, verkennt sie, dass das Infektionsschutzgesetz im Rahmen der gesetzlich geregelten Kostentragungsregelungen eine Differenzierung nach Störereigenschaft oder auch nach Verschulden nicht vornimmt. Vielmehr verdeutlicht die Regelung des § 39 Abs. 1 IfSG, dass es für die Kostentragungspflicht auch auf die Schaffung einer potentiellen Gefahrenquelle ankommen kann, ohne dass sich die Gefahr jemals verwirklichen muss. Der Allgemeinverfügung lag eine die jeweiligen Belange der Betriebe angemessen berücksichtigende Regelung zugrunde. Sie berücksichtigte die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Betriebe und zugleich auch das von ihnen jeweils ausgehende Infektionspotenzial. So differenzierte die Regelung zwischen der Größe der Betriebe anhand der Beschäftigtenzahl sowie der Anzahl der in der Produktion tätigen Personen. Kleinere Betriebe, von denen - wie das beklagte Land annahm - angesichts der kleineren Belegschaft auch eine geringere Infektionsgefahr ausging, waren bereits von der mittelbaren Testpflicht ausgenommen. Insoweit berücksichtigte das beklagte Land den organisatorischen Aufwand - insbesondere auch den finanziellen Aufwand -, der mit den Testungen einherging und für kleinere Betriebe, die im Gegensatz zu größeren Betrieben regelmäßig weniger Umsätze generieren dürften, schwerer zu bewältigen war. Für Betriebe mit weniger als 100 Beschäftigten in der Produktion sah die Allgemeinverfügung überdies eine niedrigere Testfrequenz vor. Dieser Differenzierung lag die - angesichts der bereits dargelegten Erkenntnisse aus der ex-ante Sicht auch nachvollziehbare - Annahme des beklagten Landes zu Grunde, dass von Betrieben mit weniger als 100 Beschäftigten auch ein geringeres Verbreitungsrisiko für mögliche Infektionen ausging. Aber auch für Betriebe mit 100 oder mehr Beschäftigten in der Produktion galt unter bestimmten Voraussetzungen, die für ein geringes Infektionsrisiko sprachen, eine niedrigere Testfrequenz. Zudem mildert die in der Allgemeinverfügung vorgesehene Möglichkeit, Testungen im „Pool-Verfahren“ durchführen zu lassen, die wirtschaftlichen Auswirkungen ab. Dass die Kosten für die Maßnahme für sich genommen geeignet waren, den Betrieb der Klägerin existenziell zu bedrohen, ist nicht vorgetragen und auch sonst über zwei Jahre nach Aufhebung der gegenständlichen Allgemeinverfügung nicht ersichtlich.
266Auch dass die Klägerin, um angesichts der angeordneten Betriebszugangsregelung ihren Betrieb weiter aufrechterhalten zu können, jedenfalls in ihrer Funktion als Arbeitgeberin gegenüber ihren Arbeitnehmern PCR-Tests hat anordnen müssen, stellte sich ihr gegenüber nicht als unangemessenen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG dar. Insbesondere kann in der letztlich von der Klägerin angeordneten Testung ihrer Arbeitnehmer keine Verletzung der ihr obliegenden Fürsorgepflicht (vgl. § 618 BGB) liegen, obwohl PCR-Testungen mit einem - wenn auch nur geringfügigen - Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ihrer Arbeitnehmer einhergingen. Denn insoweit war zu berücksichtigen, dass - jedenfalls aus der ex-ante Sicht - die Tätigkeit der in der Produktion tätigen Arbeitnehmer mit einer erhöhten Infektionsgefahr verbunden war und es ihr vielmehr im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht nach § 618 Abs. 1 BGB oblag, ihre Arbeitnehmer davor zu schützen, dass diese durch Ansteckungen anderer Arbeitnehmer in ihrer Gesundheit gefährdet werden, entsprechend also das Ansteckungsrisiko bei der Arbeit möglichst gering zu halten.
267Vgl. Legleitner, in: Herberger/Martinek/u.a., jurisPK-BGB, 10. Auflage, Stand: 11. April 2023, § 618 BGB Rn. 11 f.
268Auf der anderen Seite war zu berücksichtigten, dass die Testverpflichtung durch die Möglichkeit einer frühzeitigen Identifizierung von Infizierten auf die Abwehr erheblich ins Gewicht fallender Gefahren für Leben, Gesundheit und Freiheit Aller sowie der Funktionsweise staatlicher und gesellschaftlicher Einrichtungen abzielte.
269Vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 7 B 1657/21 -, juris Rn. 55; VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Dezember 2020 - 29 L 2547/20 -, juris Rn. 84.
270Insoweit war neben dem Gesundheitsschutz auch zu beachten, dass erhebliche Verbreitungsgeschehen aufgrund der gegebenenfalls erforderlichen weiteren infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen auch massive wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen in der betroffenen Region hätten haben können.
271Vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 7 B 1657/21 -, juris Rn. 55; VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 - 7 L 662/20 -, juris Rn. 93.
272(b) Ein Eingriff in das Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbetriebs (Art. 14 Abs. 1 GG) lag schon nicht vor.
273Denn jedenfalls werden eingeschränkte Umsatz- und Gewinnchancen oder tatsächliche Gegebenheiten von der Eigentumsgarantie nicht erfasst.
274Vgl. dazu ausführlich: OVG NRW, Urteil vom 25. August 2022 - 13 D 33/20.NE -, juris Rn. 275 ff. m.w.N.
275Der konkrete Bestand an Rechten und Gütern war durch die Betriebszugangsregelung in Form einer mittelbaren Testverpflichtung in Großbetrieben der Fleischwirtschaft nicht betroffen.
276Selbst wenn man einen Eingriff in das Recht des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs ausnahmsweise bei längerfristigen und existenzgefährdenden Maßnahmen annähme,
277offengelassen: BVerfG, Beschlüsse vom 10. Februar 2022 - 1 BvR 1073/21 -, juris Rn. 11, sowie vom 29. April 1981 - 1 BvL 11/78 -, juris Rn. 28,
278wäre das Eigentumsrecht vorliegend nicht betroffen gewesen. Denn die gegenständliche mittelbare Testverpflichtung für Großbetriebe der Fleischwirtschaft war nicht so gravierend, dass es für diese typsicherweise existenzgefährdend war und damit in die Substanz des Betriebes eingegriffen hätte. Insbesondere war die Maßnahme befristet und berührte damit einhergehend nur die zeitweiligen Umsatz- und Gewinnchancen. Zwar erließ das beklagte Land - wie bereits dargelegt - in der Folgezeit im Verordnungswege Nachfolgeregelungen; diese sind jedoch nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Insofern bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob - wie die Klägerin meint - die aufgrund der weiter andauernden mittelbaren Testverpflichtung anfallenden Kosten nicht angemessen im Verhältnis zu den Umständen stünden und die Gewinne schmälern würden, was auf lange Sicht zu einer Existenzbedrohung führe.
279ee) Schließlich verstieß die angegriffene Regelung nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
280Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierende Regelungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angemessen sind.
281St. Rspr., vgl. etwa: BVerfG, Beschluss vom 24. März 2015 - 1 BvR 2880/11 -, juris Rn. 38 f. m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 - 8 C 6.15 -, juris Rn. 76.
282Soweit die Klägerin darauf verweist, dass das beklagte Land seinen Bürgern nach Urlaubsrückkehr kostenlose Tests angeboten habe, vermag die Kammer schon nicht zu erkennen, warum Urlaubsrückkehrer und Großbetriebe der Fleischwirtschaft als wesentlich gleich anzusehen sind.
283Dass nach dem Vortrag der Klägerin andere Bundesländer ähnliche mittelbare Testverpflichtungen nicht erließen, stellte sich ebenfalls nicht als einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz dar. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebot es nicht, dass die Behörden des beklagten Landes - hier das MAGS - das ihnen im Rahmen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zustehende Ermessen so handhaben, wie es Behörden anderer Bundesländer zu tun pflegten.
284Ein Anspruch auf Gleichbehandlung steht dem Einzelnen stets nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt zu. Eine divergierende Verwaltungspraxis unterschiedlicher Träger öffentlicher Gewalt verletzt Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich nicht.
285Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 2008 - 1 WB 19.07 -, juris Rn. 36; Urteil vom 6. November 2012 - 5 A 2.12 -, juris Rn. 17; BVerfG, Beschlüsse vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 -, juris Rn. 151 und vom 21. Dezember 1966 - 1 BvR 33/64 -, juris Rn. 35; OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2022 - 1 A 392/18 -, juris Rn. 63; VG Frankfurt, Beschluss vom 1. April 2021 - 5 L 817/21.F -, juris Rn. 30.
286Ungeachtet dessen kann auch nicht von wesentlich gleichen Sachverhalten ausgegangen werden, da die Dynamik des Infektionsgeschehens örtlich jeweils erheblich divergierte.
287Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, dass andere Großbetriebe der Lebensmittelindustrie in NRW, welche nicht der Fleischwirtschaft zuzuordnen waren, keiner mittelbaren Testverpflichtung unterlagen. Insbesondere das deutschlandweit seinerzeit zu beobachtende vermehrte Auftreten von Superspreading-Events bei unklarer Ursache in den von der Allgemeinverfügung erfassten Betrieben stellte einen sachlichen Grund für die Differenzierung zu anderen Großbetrieben der Lebensmittelindustrie, in denen in der Vergangenheit ebenfalls solche Infektionsgeschehen aufgetreten waren, dar.
288Vgl. dahingehend bereits: VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 – 7 L 662/20 -, juris Rn. 95; VG Düsseldorf, Beschluss vom 25. August 2020 - 7 L 1564/20 -, juris Rn. 82
289B. Über den erst während des anhängigen Klageverfahrens erhobenen, unter der innerprozessualen Bedingung des (teilweise) Erfolges des Hauptantrags gestellten Hilfsantrag (sog. uneigentliche Eventualklagehäufung), das beklagte Land zu verpflichten, die Vollziehung der Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 über die Vermeidung weiterer Infektionsgeschehen in Großbetrieben der Fleischwirtschaft (CoronaAVFleischwirtschaft) rückgängig zu machen und an die Klägerin 109.902,50 € zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, war nach Erfolglosigkeit des Hauptantrages - Nichteintritt der Bedingung - nicht zu entscheiden. Überdies wäre die Klage insoweit auch unbegründet, da in der Sache Vollzugsfolgenbeseitigung ausscheidet.
290Dabei lässt die Kammer dahinstehen, ob neben der Fortsetzungsfeststellungsklage zugleich ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch geltend gemacht werden kann.
291So jedenfalls: BVerwG, Urteil vom 2. Oktober 2008 - 2 B 12.08 -, juris Rn. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 16. September 1977 - VII C 13.76 -, juris Rn. 14; a.A. dahingehend, dass keine Erledigung eintritt, solange ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch geltend gemacht werden kann, und daher weiterhin die Anfechtungsklage statthaft ist: BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 - 7 C 5.08 -, juris Rn. 13, und Beschluss vom 17. November 1998 - 4 B 100.98 -, juris Rn. 9; OVG NRW, Urteil vom 22. September 2016 - 13 A 2448/15.A -, juris Rn. 28; Thüringer OVG, Urteil vom 23. Mai 2007 - 1 KO 1299/05 -, juris Rn. 21; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. November 1996 - 8 A 13546/95 -, juris Rn. 28; VG Magdeburg, Urteil vom 24. April 2018 - 1 A 94/15 -, juris Rn. 14; VG Aachen, Urteil vom 28. Juni 2005 - 2 K 1548/02 -, juris Rn. 24.
292Ein Anspruch nach § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO setzt das Vorliegen eines durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht geschaffenen, noch andauernden rechtswidrigen Zustands voraus und ist allein auf die Wiederherstellung des ursprünglichen, d.h. im Zeitpunkt des Eingriffs gegebenen Zustands gerichtet.
293Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, Rn. 210 ff.; Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, VwGO, 43. EL August 2022, § 113 Rn. 90.
294Der Folgenbeseitigungsanspruch kann dem Betroffenen dementsprechend nur das geben, was dieser schon vor dem Eingriff hatte, und nicht zu einem darüber hinaus gehenden Erfolg führen. Er ist kein Schadensersatzanspruch und daher nicht auf einen Ausgleich von Schäden gerichtet, die durch rechtswidriges Verwaltungshandeln verursacht worden sind. Nicht ersatzfähig sind deshalb auch bloß mittelbare Folgen eines hoheitlichen Eingriffs, namentlich solche, die erst durch ein Verhalten verursacht worden sind, das auf einem eigenen Entschluss des Betroffenen beruht.
295Vgl. OVG NRW, Urteile vom 13. August 2019 - 1 A 2231/16 -, juris Rn. 36, und vom 9. Dezember 2015 - 6 A 1040/12 -, juris Rn. 132, jeweils m.w.N.
296Nach Maßgabe dieser Grundsätze scheidet ein Folgenbeseitigungsanspruch von vornherein aus. Das Begehren der Klägerin ist auf den Ersatz eines Vermögensschadens gerichtet, der nicht unmittelbar auf der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung beruht, sondern auf dem Entschluss der Klägerin, ihre Produktion unter den von dem beklagten Land geforderten Bedingungen fortzuführen und die entsprechenden Testkosten auf sich zu nehmen. Soweit die Klägerin unter Verweis auf eine Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg, wonach auch die Kosten, die der Betroffene für die Beauftragung eines Fachunternehmens mit der Entsorgung besonders überwachungsbedürftigen Abfalls hatte, zu deren Beseitigung er rechtswidrig verpflichtet wurde, Gegenstand eines Folgenbeseitigungsanspruchs sein können, meint, sie habe der sich aus der Allgemeinverfügung ergebenden Verpflichtung nicht durch eigenes Handeln nachkommen können, da die Allgemeinverfügung selbst die Beauftragung der Testung durch externe Labore gefordert habe, verkennt sie, dass sie - anders als in der o.g. Entscheidung - gerade nicht verpflichtet wurde, einen bestimmten Erfolg, wie die regelmäßige Testung aller in der Produktion tätigen Personen auf das Corona-Virus SARS-CoV-2, herbeizuführen, sondern ihr lediglich aufgegeben wurde, nur Personen in der Produktion einzusetzen, die regelmäßig negativ auf das Corona-Virus SARS-CoV-2 getestet wurden. Die von der Klägerin getroffene Entscheidung, ihre Produktion unter den von dem beklagten Land geforderten Bedingungen fortzuführen, unterbricht den Unmittelbarkeitszusammenhang. Dass aus unternehmerischer Sicht möglicherweise nur die Fortführung der Produktion unter den von dem beklagten Land geforderten Bedingungen sinnvoll erschien, vermag nicht zu einer anderen juristischen Betrachtung führen.
297C. Der erst während des anhängigen Klageverfahrens erhobene weitere Hilfsantrag, das beklagte Land zu verpflichten, an die Klägerin 109.902,50 € zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, über welchen aufgrund der Erfolglosigkeit des Hauptantrags zu entscheiden ist, ist unzulässig. In der nachträglichen Erhebung liegt eine Klageänderung gemäß § 91 Abs. 1 VwGO, deren Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht gegeben sind.
298Die von der Klägerin erst nachträgliche Einbeziehung dieses zusätzlichen Klagebegehrens, durch die ersichtlich ein weiterer Streitgegenstand in das Verfahren eingebracht wird, stellt eine grundsätzlich zulässige objektive Klagehäufung im Sinne des § 44 VwGO dar. Da die Klägerin den Streitgegenstand nach Rechtshängigkeit verändert hat, liegt zugleich eine Klageänderung im Sinne des § 91 VwGO vor.
299Vgl. nur: BVerwG, Urteil vom 31. August 2022 - 6 A 9.20 -, juris Rn. 25 ff.; Bayerischer VGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - 7 B 21.1315 -, juris Rn. 21; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. September 2022 - 10 S 3406/21 -, juris Rn. 6.
300Die Voraussetzungen des § 91 Abs. 1 VwGO sind aber nicht gegeben. Das beklagte Land hat der Klageänderung mit Schriftsatz vom 10. November 2021 (Bl. 286 d. GA) ausdrücklich widersprochen. Die Einbeziehung des zusätzlichen Klagebegehrens ist auch nicht sachdienlich.
301Eine Klageänderung ist in der Regel als sachdienlich anzusehen, wenn sie der endgültigen Beilegung des sachlichen Streits zwischen den Beteiligten im laufenden Verfahren dient und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt.
302Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 2022 - 6 A 9.20 -, juris Rn. 29 m.w.N. zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung.
303Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
304Die geänderte Klage wäre schon nicht geeignet, den Streitstoff zwischen den Beteiligten auszuräumen, da sie - jedenfalls bzgl. eines etwaigen Anspruchs aus § 56 IfSG - bereits unzulässig ist.
305Vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - 7 B 21.1315 -, juris Rn. 46; sächsisches OVG, Urteil vom 2. Dezember 2022 - 4 A 566/20 -, juris Rn. 19, jeweils mit Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1987 - 4 C 12.84 -, juris Rn. 7.
306Für dieses erst nachträglich einbezogene Begehren fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da die Klägerin bislang unstreitig keinen nach § 56 Abs. 5 IfSG erforderlichen und gemäß § 56 Abs. 11 IfSG an eine Frist von zwei Jahren gebundenen vorherigen Antrag bei dem beklagten Land gestellt hat. Ein entsprechender Hinweis der Kammer gemäß § 86 Abs. 3 VwGO dahingehend, dass der Hauptantrag erfolglos sein wird und daher über den Hilfsantrag zu entscheiden sein wird, war nicht geboten. Das Recht auf rechtliches Gehör begründet keine Pflicht des Gerichts, die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die mögliche Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Einschätzung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Entscheidungsfindung ergibt. Eine gerichtliche Hinweispflicht - zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung - besteht nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht mit einer bestimmten Bewertung seines Sachvortrags durch das Verwaltungsgericht zu rechnen braucht.
307Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. März 2022 - 4 B 1520/21 -, juris Rn. 3 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 26.4.2018 - 5 C 4.17 -, juris Rn. 22 m.w.N., und BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2021 - 1 BvR 2356/19 -, juris Rn. 13.
308Nach diesen Maßstäben ist das gerichtliche Vorgehen, nach Erfolglosigkeit des Hauptantrags den bereits gestellten eigentlichen Hilfsantrag zu prüfen, nicht überraschend, sondern entspricht vielmehr dem Begehren der Klägerin.
309Überdies ändert sich der Streitstoff des zunächst anhängig gemachten Verfahrens, welches die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 zum Gegenstand hatte, wesentlich, da sich bei der nunmehr auch begehrten Prüfung von Erstattungsansprüchen bedeutend andere tatsächliche und rechtliche Fragen stellen.
310Darüber hinaus ist die Klage mit dem weiteren Hilfsantrag, für den im Hinblick auf § 68 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG mit Ausnahme von Ansprüchen wegen Entschädigung für Enteignung und Amtshaftung (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 3 IfSG) mittlerweile der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist,
311vgl. Kruse, in: Eckart/Winkelmüller, BeckOK Infektionsschutzrecht, 16. Edition, 8. April 2023, § 68 Rn. 10h,
312unbegründet.
313Die Entschädigungsbestimmungen in §§ 56, 65 IfSG sind im Ergebnis weder unmittelbar noch analog anwendbar. Die Klägerin macht nicht geltend, als infektionsschutzrechtliche Störerin im Sinne von § 56 Abs. 1 IfSG in Anspruch genommen worden zu sein, sodass eine direkte Anwendbarkeit dieser Norme ausscheidet; davon geht auch die Klägerin aus. Auch macht sie nicht geltend, infolge einer behördlichen Maßnahme zur Verhütung übertragbarer Krankheiten nach § 16 oder § 17 IfSG einen Vermögensnachteil im Sinne von § 65 Abs. 1 IfSG erlitten zu haben. Eine analoge Anwendung der o.g. Anspruchsgrundlagen kommt mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht.
314Vgl. dazu ausführlich: BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2022 - 3 B 29/21 -, juris Rn. 11 ff.
315Ein Entschädigungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 39 Abs. 1 OBG NRW. Der Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts ist angesichts der bereits festgestellten Rechtmäßigkeit der in Ziffer 1. i.V.m. Ziffer 1.1. angeordneten Maßnahme wegen der Spezialität des besonderen Gefahrenabwehrrechts im IfSG ausgeschlossen
316Vgl. dazu ausführlich: BGH, Urteil vom 17. März 2022 - III ZR 79/21 -, juris Rn. 49 ff.
317Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.