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1. Wird in einer straßenrechtlichen Umstufungsverfügung entgegen der Vorschrift in § 8 Abs. 5 Satz 1 StrWG NRW ein Zeitpunkt für das Wirksamwerden nicht bestimmt, führt dies dazu, dass eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Eintritt der Wirksamkeit der Umstufung seitens der Behörde nachgeholt werden muss. Die Rechtmäßigkeit der Umstufungsverfügung im Übrigen wird hierdurch nicht berührt.
2. Eine die Umstufung einer öffentlichen Straße rechtfertigende Änderung der Verkehrsbedeutung i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW liegt jedenfalls dann vor, wenn die bestehende Einstufung der Straße ihrer tatsächlichen, im Zeitpunkt der Umstufungsverfügung bestimmten Verkehrsbedeutung nicht mehr entspricht.
3. Wann die Änderung der Verkehrsbedeutung eingetreten ist, ist rechtlich nicht relevant, da der Gesetzeswortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW ("bei Änderung der Verkehrsbedeutung") weit zu verstehen ist, so dass eine Umstufung nicht nur in unmittelbarem oder engerem zeitlichen Zusammenhang mit dem Eintritt der Änderung der Verkehrsbedeutung möglich ist.
4. Eine nachträgliche Umstufung mit Wirkung für die Zukunft (sog. "berichtigende Umstufung") ist selbst dann möglich, wenn die ursprüngliche Einstufung einer öffentlichen Straße in eine der Straßengruppen des § 3 StrWG NRW unrichtig war. Eines Rückgriffs auf die gesetzlichen Regelungen über die Rücknahme von rechtswidrigen Verwaltungsakten (§ 48 VwVfG) bedarf es in diesen Fällen nicht, da das nordrhein-westfälische Straßenrecht insoweit ein abschließendes und die Interessen des betroffenen Straßenbaulastträgers hinreichend berücksichtigendes Regelungsregime bietet.
Die Umstufungsverfügung des beklagten Landes vom 17.12.2019 wird hinsichtlich des südlichen Teilabschnittes der L 546N vom Netzknoten 3719055O (Kreuzung mit der früheren L 546, jetzt K 7 „X1.----straße “) bis zum südlichen Netzknoten 3819065O (Kreuzung mit der B 514) aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 2/3 und das beklagte Land zu 1/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin kann die Vollstreckung des beklagten Landes durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Abstufung zweier Teilstrecken der L 546N, einer klassifizierten Landesstraße, zur Gemeindestraße und damit mittelbar über den Übergang der Straßenbaulast für diese Teilstrecken auf die Klägerin.
3Die L 546N („W2. Straße“) verläuft hinsichtlich der hier streitgegenständlichen Teilabschnitte im Stadtgebiet der Klägerin in Nord-Süd-Richtung vom Netzknoten (im Folgenden: NK) 3718090O (Anschlussstelle Bad Oeynhausen-Ost der BAB A 30) bis zum NK 3719055O (Kreuzung mit der früheren L 546, jetzt K 7 „X1.----straße “) und von dort weiter in südliche Richtung zum NK 3819065O (Kreuzung B 514). Sie wird im Wesentlichen parallel zur A 30 und zur B 514 auf Geländeniveau mit je einer Richtungsfahrspur nach Norden und nach Süden östlich am Autobahnkreuz Bad Oeynhausen vorbei geführt. Im nördlichen Teilabschnitt bis zur Kreuzung mit der K 7 „X1.----straße “ kreuzt die L 546N mehrere Gemeindestraßen. Im südlichen Teilabschnitt ab der Kreuzung „X1.----straße “ bis zur Kreuzung B 514 münden weitere drei Gemeindestraßen auf die L 546N ein. Träger der Straßenbaulast für die genannten Teilabschnitte ist bis dato das beklagte Land.
4Nach Abschluss des Ausbaus der BAB A 30 nördlich des Stadtzentrums der Klägerin (sog. Nordumgehung) und Verkehrsfreigabe im Dezember 2018 nahm der zuständige Landesbetrieb Straßenbau des beklagten Landes eine Neubewertung der Verkehrsbedeutung der Straßen des umliegenden Netzes, darunter der L 546N, vor. Hierbei kam der Landesbetrieb zu dem Ergebnis, dass die hier streitgegenständlichen Teilstrecken der L 546N ihre bisherige Verkehrsbedeutung verloren hätten und zur Gemeindestraße abzustufen seien.
5Mit Schreiben vom 06.02.2019 und 24.09.2019 hörte der Landesbetrieb die Klägerin zur beabsichtigten Abstufung an und wies auf den Übergang der Straßenbaulast auf sie im Falle der Abstufung zur Gemeindestraße hin. Hierzu nahm die Klägerin mit Schreiben vom 17.07.2019 Stellung, indem sie darauf verwies, dass ihre politischen Gremien eine Abstufung der „W2. Straße“ zur Gemeindestraße ablehnten.
6Auf Antrag des Landesbetriebs vom 28.11.2019 erließ das Ministerium für Verkehr des beklagten Landes am 17.12.2019 eine Allgemeinverfügung, wonach die Teilstrecken der L 546N von NK 3718090O nach NK 3719055O (von Station 0,000 nach Station 1,981) und von NK 3719055O nach NK 3819065O (von Station 0,000 nach Station 1,075) zur Gemeindestraße in der Baulast der Klägerin abgestuft werden, und machte diese Allgemeinverfügung am 13.01.2020 im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Detmold bekannt.
7Am 06.02.2020 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung macht sie geltend, dass sich die Verkehrsbedeutung der streitgegenständlichen Teilabschnitte der L 546N weder durch die Eröffnung der Nordumgehung der BAB A 30 noch sonst in der Vergangenheit geändert habe. Weder seien im Zuge der Herstellung der Nordumgehung bauliche Veränderungen auf der L 546N durchgeführt worden noch auf dem parallel westlich verlaufenden Teilabschnitt der BAB A 30 zwischen der Anschlussstelle S1. und dem AK C. P. . Dieser räumliche Bereich sei zudem nicht Teil der Planfeststellung für die Herstellung der Nordumgehung gewesen, so dass diese in keinem Zusammenhang mit der L 546N stehe und die L 546N auch nicht an neue Gegebenheiten angepasst werden müsse. Die L 546N habe weiterhin aufgrund der bestehenden Anschlüsse an die L 772 über die K 7 im Westen und an die B 514 im Süden eine überörtliche Verkehrsbedeutung und sei daher weiterhin als Landesstraße zu klassifizieren. Der Verkehr von und nach Vlotho aus dem südlichen Bereich ihres Stadtgebiets nutze die L 546N. Ebenso nutze der aus Süden kommende Verkehr mit Zielen weiter nördlich im Kreis N1. -M2. die L 546N und nicht die A 30. Im regelmäßig vorkommenden Staufall auf den naheliegenden Autobahnen sei die Straße eine wichtige Umgehungsstraße. Die L 546N sei ferner nur mit Kraftfahrzeugen zu erreichen und nicht an das Rad- oder Fußwegenetz angeschlossen. Ihre Erschließungsfunktion sei untergeordnet. Jedenfalls sei die Straße als Kreisstraße und nicht als Gemeindestraße zu klassifizieren, weil ihre Funktion als zwischenörtliche Verkehrsverbindung dominiere. Zudem werde die Straße im neu aufgestellten Regionalplan OWL weiterhin als Straße mit überregionaler und regionaler Verkehrsbedeutung ausgewiesen. Schließlich habe der Landesbetrieb Straßenbau im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens im Dezember 2020 und im April 2021 in seinen Stellungnahmen noch die Auffassung vertreten, es handele sich bei der L 546N um eine Straße des übergeordneten Straßennetzes. Das nordrhein-westfälische Straßenrecht erlaube zudem keine Umstufung bei fehlender Änderung der Verkehrsbedeutung. Eine von Anfang an falsch vorgenommene Straßeneinstufung könne nicht Jahre später im Wege der Umstufung korrigiert werden.
8Die Klägerin beantragt,
9die Umstufungsverfügung vom 17.12.2019 hinsichtlich der Teilstrecken der L 546N aufzuheben.
10Das beklagte Land beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung führt es aus, dass eine geänderte Verkehrsbedeutung vorliege. Ausschlaggebend seien im vorliegenden Fall die funktionalen Auswirkungen der Freigabe des Lückenschlusses der A 30 nördlich der Kernstadt C. P. auf das gesamte Verkehrsnetz im Umfeld. Für den weiträumigen Verkehr bestehe nunmehr eine durchgehende Autobahnverbindung. Die Verbindungsfunktionen innerhalb des Gemeindegebiets übernähmen nunmehr die zentralen Achsen der L 860 im Südwesten, der L 772 stadtmittig und der ergänzten L 546 nördlich der ehemaligen B 61. Diese bildeten ein zusammenhängendes Gerüst durchgehender Verkehrsverbindungen mit mindestens regionaler Verkehrsbedeutung. Die abgestuften Teilabschnitte der L 546N seien zwar noch als Verlängerung des zur L 546 abgestuften östlichen Abschnitts der früheren B 61 an das überörtliche Straßennetz angebunden, wiesen aber keine eigenständige Verbindungsfunktion mit mindestens regionaler oder auch nur überörtlicher Verkehrsbedeutung mehr auf. Die Abschnitte erschlössen einige Einzelgrundstücke sowie Gewerbebetriebe und schlössen diese über die K 7 an das übergeordnete Straßennetz an. Innerhalb der zentralörtlichen Gliederung erfüllten sie damit überwiegend Aufgaben der innergemeindlichen Versorgung. Dass die Straßenabschnitte nicht unmittelbar in das gemeindliche Straßennetz eingebunden seien, spreche nicht gegen die Einstufung als Gemeindestraße, da eine Netzbindung untereinander bei Gemeindestraßen keine Voraussetzung sei. Bei diesen überwiege die Versorgungsfunktion vor der Verbindungsfunktion. Der Auffassung der Klägerin, die L 546N diene hinsichtlich der streitgegenständlichen Teilabschnitte dem aus Süden kommenden überörtlichen Verkehr, sei unzutreffend. In Süd-Nord-Richtung stünden vielmehr die B 514, die A 30 und die B 61N als leistungsfähige Verkehrsverbindung für den überörtlichen Verkehr mit Zielen außerhalb des Stadt- und Kreisgebiets zur Verfügung. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der überörtliche Verkehr die L 546N wähle. Entscheidend sei, dass nach Lage des Gesamtnetzes die A 30 und die B 514 die prägende überörtliche Verkehrsbedeutung vermittelten. Der Regionalplan OWL stelle alle Landesstraßen und überörtliche Straßen nur nachrichtlich dar. Er bilde den in Folge der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage bestehenden Ist-Zustand ab. Dementsprechend habe auch der Landesbetrieb Straßenbau im Rahmen seiner Stellungnahmen zum Bebauungsplanverfahren „Fährweg“ davon ausgehen müssen, dass es sich bei der L 546N noch um eine klassifizierte Landesstraße handele und seine diesbezüglichen Ausführungen als Träger der Straßenbaulast hieran ausgerichtet.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des beklagten Landes Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15Das Gericht kann ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung in der Sache entscheiden, weil die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 14.11.2022 ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
16Die zulässige Anfechtungsklage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
17Die angefochtene Umstufungsverfügung vom 17.12.2019 ist hinsichtlich der nördlichen Teilstrecke der L 546N von NK 3718090O nach NK 3719055O rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18Die Verfügung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Gemäß § 8 Abs. 3 StrWG NRW war das Ministerium für Verkehr des beklagten Landes für den Erlass der streitgegenständlichen Verfügung zuständig. Nach dieser Vorschrift verfügt die für die Straße höherer Verkehrsbedeutung zuständige Straßenaufsichtsbehörde die Umstufungen. Dies ist für die Ortsdurchfahrt einer Landesstraße, soweit das Land Träger der Straßenbaulast ist, gem. § 54 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StrWG NRW das für das Straßenwesen zuständige Ministerium als oberste Straßenaufsichtsbehörde.
19Die Klägerin ist vor Erlass der Umstufungsverfügung angehört worden. Dass die Anhörung nicht unmittelbar durch das die Umstufungsverfügung erlassende Ministerium erfolgt ist, ist hier unschädlich, da das Gesetz in § 8 Abs. 3 Satz 2 StrWG NRW im Ausgangspunkt nur vorschreibt, dass überhaupt eine Anhörung zu erfolgen hat.
20Zwar ist im Grundsatz die für die Sachentscheidung zuständige Behörde auch zur Durchführung der Anhörung verpflichtet.
21Vgl. zu § 28 VwVfG: BVerwG, Urteil vom 20.12.2013 – 7 B 18.13 –, juris, Rn. 12; OVG Sachsen, Urteil vom 25.06.1997 – 2 S 102/95 –, juris; Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 28 Rn. 46; Schneider, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 3. EL August 2022, § 28 VwVfG Rn. 38.
22Dieses Verständnis entspricht auch am Ehesten dem allgemeinen Grundsatz im Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes und auch der Länder, einem Beteiligten, in dessen Rechte durch einen Verwaltungsakt eingegriffen wird, vor Erlass desselben die Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, was im Regelfall nur möglich ist, wenn auch die letztlich sachentscheidende Behörde die Anhörung durchführt.
23Dieser Vorgabe wurde vorliegend genügt. Der Landesbetrieb Straßenbau ist nach § 14a Abs. 1 LOG NRW ein rechtlich unselbständiger, organisatorisch abgesonderter Teil der Landesverwaltung, der nach § 14a Abs. 2 LOG NRW hoheitliche Aufgaben wahrnehmen kann. Er hat eine eigene Behördeneigenschaft im verwaltungsverfahrensrechtlichen Sinne also nur insoweit, als ihm hoheitliche Aufgaben übertragen worden sind. Ihm sind im Zusammenhang mit der Umstufung von Landesstraßen indes keine hoheitlichen Aufgaben übertragen worden. Nach § 2 Nr. 2 der Betriebssatzung für den Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen – Runderlass des Runderlass des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr – I.4-03.01 – vom 03.03.2016 erbringt der Landesbetrieb Straßenbau Leistungen für die Verkehrsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen mit dem Ziel, Mobilität und Sicherheit im Straßenverkehr weiter zu fördern. Dazu gehört insbesondere Planung, Bau und Betrieb der Landesstraßen einschließlich des Um- und Ausbaus nach dem Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen. Er ist daher hier als unselbständiger Teil der Landesverwaltung ohne eigenen behördlichen Charakter tätig geworden, indem er dem unmittelbar zuständigen Landesministerium lediglich zugearbeitet, den Entscheidungsstoff gesammelt und die Unterlagen dem Ministerium zur endgültigen Entscheidung übersandt hat. Dem Gericht liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Inhalt des Schreibens der Klägerin vom 17.07.2019 und seiner Anlagen, wonach diese die Abstufung der L 546N zur Gemeindestraße aus „verkehrspolitischen Gründen“ ablehne, nicht vollständig bei der Entscheidungsfindung des beklagten Landes berücksichtigt und damit der Zweck der Anhörung unterlaufen worden wäre.
24Mit Blick auf die Bekanntmachung der Allgemeinverfügung im Amtsblatt der Bezirksregierung Detmold am 13.01.2020 ist die Umstufung auch rechtzeitig drei Monate vorher angekündigt worden (§ 8 Abs. 5 Satz 1 StrWG NRW). Dass nicht ausdrücklich ein Wirksamwerden der Umstufung zum Beginn eines bestimmten Haushaltsjahres angeordnet wurde, ist ebenfalls unschädlich, weil es sich bei diesem gesetzlichen Erfordernis lediglich um eine Soll-Vorschrift handelt (vgl. ebenfalls § 8 Abs. 5 Satz 1 StrWG NRW). Die Bestimmung und Anordnung eines Wirksamkeitszeitpunktes und die Verfügung der Umstufung als solche sind rechtlich nicht dergestalt miteinander verknüpft, dass sie gemeinsam stehen und fallen. Eine Umstufungsverfügung behält ihre Rechtswirksamkeit auch dann, wenn die Fristregelungen in § 8 Abs. 5 Satz 1 StrWG NRW nicht beachtet worden sind.
25Vgl. Fickert, Straßenrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl. 1989, § 8 StrWG Rn. 30.
26Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen beinhaltet eine Soll-Vorschrift zwar grundsätzlich die Pflicht, nach den entsprechenden gesetzlichen Vorgaben zu handeln, sofern nicht ein besonderer atypischer Sachverhalt ausnahmsweise eine Abweichung gebietet, wofür hier nichts ersichtlich ist. Das Versäumnis des beklagten Landes, in der Umstufungsverfügung vom 17.12.2019 kein Wirksamwerden zum Beginn eines bestimmten Haushaltsjahres angeordnet zu haben, wirkt sich jedoch ausschließlich zugunsten der Klägerin aus. Der vollständige Ermessensausfall des beklagten Landes im Hinblick auf die Bestimmung und Anordnung eines Wirksamkeitszeitpunkts führt dazu, dass eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Eintritt der Wirksamkeit der Umstufung noch nachgeholt werden muss. Keinesfalls kann die Wirksamkeit vor der Unanfechtbarkeit bzw. Bestandskraft der Umstufungsverfügung eintreten.
27Vgl. Majcherek, in: Hengst/Majcherek, StrWG NRW Kommentar, Stand: Oktober 2022, § 8 Rn. 6.3.
28Die vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in einer älteren Entscheidung zum Versäumnis der rechtzeitigen Ankündigung der Umstufung und in Anwendung einer älteren Fassung des StrWG NRW vertretene Auffassung, dass ein Verstoß gegen § 8 Abs. 5 Satz 1 StrWG NRW dazu führe, dass die Umstufungsverfügung insoweit aufzuheben sei, als sie sich Geltung vor dem nächsten in Betracht zu ziehenden Zeitpunkt beimesse,
29vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.01.1991 – 23 A 424/89 –, NWVwBl. 1993, 181,
30kann nicht auf die vorliegende Fallkonstellation des Versäumnisses der Bestimmung und Anordnung eines Wirksamkeitszeitpunktes übertragen werden. Eine derartige Teilaufhebung der angefochtenen Umstufungsverfügung ist nicht möglich, weil der nächste in Betracht zu ziehende Wirksamkeitszeitpunkt nicht durch das Gericht bestimmt und ausgesprochen werden kann, sondern von der Behörde im Rahmen der Nachholung einer ermessensfehlerfreien Entscheidung über den Wirksamkeitspunkt zu bestimmen ist. Jedes andere Verständnis liefe dem Prinzip der Gewaltenteilung zuwider, in dem es die behördliche Verpflichtung zur erstmaligen Ausübung pflichtgemäßen Ermessens auf das Verwaltungsgericht übertrüge.
31Schließlich ist die Umstufungsverfügung, wie gesetzlich vorgeschrieben, mit Rechtsbehelfsbelehrung öffentlich bekannt gemacht worden (§ 8 Abs. 1 Satz 2 StrWG NRW). Dass die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig ist, weil sie auf einen Rechtsbehelf zum nicht existenten Verwaltungsgericht Detmold verweist, schadet der formellen Rechtmäßigkeit der Verfügung nicht.
32Auch in materieller Hinsicht liegen hinsichtlich der nördlichen Teilstrecke der L 546N von NK 3718090O nach NK 3719055O keine durchgreifenden Rechtsfehler vor, die zur Rechtswidrigkeit der auf diese Teilstrecke bezogenen Umstufungsverfügung führen. Sie findet ihre gesetzliche Ermächtigungsgrundlage in § 8 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW. Nach dieser Vorschrift ist eine öffentliche Straße bei Änderung ihrer Verkehrsbedeutung der entsprechenden Straßengruppe zuzuordnen. In welche Gruppe eine Straße nach ihrer Verkehrsbedeutung eingestuft werden muss, ergibt sich aus § 3 StrWG NRW. Danach war jedenfalls die nördliche der hier streitgegenständlichen Teilstrecken der L 546N in die Gruppe der Gemeindestraßen abzustufen, weil sie deren Voraussetzungen erfüllt. Es handelt sich bei der nördlichen Teilstrecke auch nicht um eine Kreisstraße.
33Nach § 3 Abs. 3 StrWG NRW sind Kreisstraßen Straßen mit überörtlicher Verkehrsbedeutung, die den zwischenörtlichen Verkehrsverbindungen dienen oder zu dienen bestimmt sind. Gemeindestraßen sind demgegenüber gemäß § 3 Abs. 4 StrWG NRW Straßen, die vorwiegend dem Verkehr und der Erschließung innerhalb des Gemeindegebietes dienen oder zu dienen bestimmt sind.
34Entscheidend für die Abgrenzung beider Gruppen im Allgemeinen und die Eingruppierung einer Straße im Besonderen ist die Verkehrsbedeutung der Straße. Weil der größte Teil der Straßen eine Vielzahl von Funktionen zu erfüllen hat, ist nicht (allein) auf den jeweiligen Ausbauzustand der Straße oder das tatsächliche Verkehrsaufkommen abzuheben. Vielmehr ist die Straße als funktionaler Teil eines Gesamtnetzes in den Blick zu nehmen und auf die von der Straße vermittelte räumliche Verkehrsbeziehung abzustellen. Maßgeblich ist die prägende Verkehrsfunktion, wie sie sich aus der Lage im Zusammenhang des gesamten Straßennetzes ableiten lässt.
35Vgl. OVG NRW, Urteile vom 02.02.1996 – 23 A 3150/94 –, n. v., S. 12 d. Urteilsabdrucks, und vom 16.01.1991 – 23 A 424/89 –, NWVwBl. 1993, 181; Majcherek, in: Hengst/Majcherek, StrWG NRW Kommentar, Stand: Oktober 2022, § 8 Nr. 2.2; Herber, in: Kodal, Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, S. 413 ff., m. w. N.
36Hieran gemessen dient die nördliche Teilstrecke der L 546N von NK 3718090O nach NK 3719055O vorwiegend noch dem Verkehr und der Erschließung innerhalb des Gemeindegebietes. Eine überörtliche oder gar regionale Verkehrsbedeutung kommt ihr nicht zu. Die nördliche Teilstrecke vermittelt mit Blick auf ihre Funktion im Gesamtnetz ganz vorwiegend nur noch eine örtliche Verkehrsbeziehung, die für dieses Teilstück zugleich prägend ist. Die bestehenden Anschlüsse an die L 546 und die BAB A 30 im Norden sowie an die K 7 und ein weiteres Teilstück der L 546N im Süden führen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dazu, dass der nördlichen Teilstrecke der L 546N eine mindestens überörtliche Verkehrsbedeutung zukommt. Diese Anschlüsse generieren nämlich keinen prägenden überörtlichen Durchgangsverkehr. Dem überörtlichen Verkehr aus dem nördlichen Gebiet des Kreises N. -M. in die Kernstadt der Klägerin und in die südlich angrenzenden Orte W. , M1. und I. sowie dem weiträumigen Verkehr darüber hinaus dienen ganz vorwiegend in der Nord/Süd-Achse die B 61, BAB A 30 und die B 514 im östlichen Bereich sowie die B 611, L 860 und L 772 im Westen. In der West/Ost-Achse dienen dem überörtlichen und weiträumigen Verkehr die BAB A 2 und A 30, die B 61, die L 546 sowie die L 777. Es gibt keinen erkennbaren Anlass, warum der überörtliche und regionale Verkehr die nördliche Teilstrecke der L 546N dergestalt nutzen sollte, dass dieser Teilstrecke eine entsprechende diese prägende Verkehrsbedeutung zukäme. Auch der überörtliche Verkehr aus dem nördlichen W. wird, wenn er die Bundesautobahn meiden und in die südliche Kernstadt der Klägerin gelangen möchte, allenfalls durch die B 514 und den südlichen Teilabschnitt der L 546N bis zum Anschluss an die K 7 bedient, von wo aus er dann über die K 7 in westliche Richtung gelangt.
37Die streitgegenständliche nördliche Teilstrecke der L 546N dient damit lediglich noch dem Ziel- und Quellverkehr in Bezug auf das unmittelbar an sie angrenzende und durch sie erschlossene Gemeindegebiet und die auf sie einmündenden Gemeindestraßen. Sie vermittelt diesen Straßen Anschlüsse an die K 7 im Süden und an die BAB A 30 sowie die L 546 im Norden. Eigene Verkehrsverbindungen in andere Orte werden über dieses Teilstück nicht vermittelt. Es mag zwar sein, dass ein gewisser „Schleichverkehr“ in der Nord/Süd-Achse aus dem nördlichen Kreis N. -M. oder aus W. kommend das Teilstück benutzt, um unter Umgehung der Bundesautobahnen und der Innenstadt der Klägerin zu überörtlichen Zielen zu gelangen. Dieser Schleichverkehr prägt aber die funktionalen Verkehrsbeziehungen und die Netzbedeutung der Straße nicht, sondern findet im Gegenteil im Widerspruch zu diesen statt. Ebenso wenig kann der durch einen Verkehrsstau auf den angrenzenden Bundesautobahnen verursachte Ausweichverkehr der Straße eine prägende überörtliche oder regionale Verkehrsbedeutung vermitteln. Ausweichverkehr benutzt die umliegenden Straßen niedrigerer Kategorie nicht, um zu überörtlichen oder regionalen Zielen zu gelangen, sondern vielmehr um nach Umfahrung des Verkehrshindernisses möglichst schnell wieder auf die Straße höherer Kategorie zu gelangen. Hierbei handelt es sich um einen Sondereffekt, der jederzeit unvorhersehbar in der Nähe von Straßen mit höherer Verkehrsbedeutung auftreten kann und daher den umliegenden Ausweichstraßen ihrerseits nicht den Charakter von Straßen höherer Kategorie vermittelt. Nach der durch die Lage im Netz vermittelten Verkehrsbeziehung hat die Straße nunmehr die Funktion einer Zubringerstraße i. S. v. § 3 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StrWG NRW, die vorwiegend dem Verkehr innerhalb des Stadtgebietes der Klägerin dient.
38Vgl. VG N. , Urteil vom 03.12.1998 – 1 K 5331/97 –, n. v., S. 6 f. d. Urteilsabdrucks; siehe zur Problematik von Schleichverkehren auch Majcherek, in: Hengst/Majcherek, StrWG NRW Kommentar, Stand: Oktober 2022, § 8 Nr. 2.2.
39Entgegen der Auffassung der Klägerin fällt demgegenüber nicht entscheidend ins Gewicht, dass im Zuge der Herstellung und Verkehrsfreigabe der Nordumgehung keine baulichen Veränderungen auf der L 546N durchgeführt wurden. Der zweispurige Ausbauzustand der Straße mit je einer Richtungsfahrspur und einem abgesetzten Fahrrad-/Fußgängerweg auf der östlichen Straßenseite steht nicht im Widerspruch zur Verwendung der Straße als Gemeindestraße. Dass die Straße selbst nicht an das Rad- oder Fußwegenetz angeschlossen sei, wie die Klägerin geltend macht, ist rechtlich ohne Relevanz, solange die Straße auch für diese Verkehre gewidmet und diesen grundsätzlich zugänglich ist. Dies ist hier der Fall. Im Übrigen erscheint das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin mit Blick auf die Einmündung bzw. die Kreuzung mit den Gemeindestraßen T.------weg und L1.----straße , die jeweils über Bürgersteige und damit über Fußwege verfügen, wenig nachvollziehbar.
40Dass die Straße im Regionalplan OWL weiterhin als Straße mit überregionaler und regionaler Verkehrsbedeutung ausgewiesen ist und der Landesbetrieb Straßenbau im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens im Dezember 2020 und im April 2021 in seinen Stellungnahmen noch die Auffassung vertreten hat, es handele sich bei der L 546N um eine Straße des übergeordneten Straßennetzes, verhilft der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg. Das beklagte Land hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Regionalplan OWL alle Landesstraßen und überörtlichen Straßen nur nachrichtlich darstellt und dieser im Übrigen den in Folge der aufschiebenden Wirkung der vorliegenden Anfechtungsklage bestehenden Ist-Zustand abbildet. Dass der Landesbetrieb Straßenbau im Rahmen seiner Stellungnahmen zum Bebauungsplanverfahren „G.---weg “ davon ausgehen musste, dass es sich bei der L 546N noch um eine klassifizierte Landesstraße handele, ist aus dem gleichen Grund zutreffend und für das Gericht nachvollziehbar.
41Aus allem Vorstehenden folgt, dass entgegen der Auffassung der Klägerin auch eine i. S. v. § 8 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW tatbestandliche „Änderung der Verkehrsbedeutung“ vorliegt. Denn – wie oben festgestellt – dient die nördliche Teilstrecke der L 546N von NK 3718090O nach NK 3719055O vorwiegend noch dem Verkehr und der Erschließung innerhalb des Gemeindegebietes und ist daher als Gemeindestraße (§ 3 Abs. 4 Satz 1 StrWG NRW) einzustufen. Die vor der streitgegenständlichen Umstufungsverfügung bestehende Einstufung als Landesstraße entsprach daher den tatsächlichen Gegebenheiten nicht mehr. Der Gesetzeswortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW („bei Änderung der Verkehrsbedeutung“) ist nicht so zu verstehen, dass eine Umstufung nur in unmittelbarem oder engerem zeitlichen Zusammenhang mit dem Eintritt der Änderung der Verkehrsbedeutung einer Straße möglich ist. Ein solches Verständnis der Vorschrift würde erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage hervorrufen, bis zu welchem Zeitpunkt eine Umstufung noch möglich ist. Der reine Wortlaut gibt hierfür nichts her. Eine „Änderung der Verkehrsbedeutung“ hat es jedenfalls immer dann gegeben, wenn die tatsächliche Verkehrsbedeutung einer Straße nicht mehr der ihrer aktuellen Einstufung entspricht. Die Präposition „bei“ im Wortlaut der Vorschrift ist in zeitlicher Hinsicht ambivalent. Sie kann sich sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Zukunft beziehen, ohne etwas Näheres darüber auszusagen, wie eng oder weit der zeitliche Zusammenhang beschaffen sein muss. Auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm lässt sich insoweit nichts herleiten. Sie spricht eher für ein weites Verständnis und eine möglichst einfache Umstufungsmöglichkeit. Der aktuelle Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW geht auf die Novellierung der Vorgängervorschrift – § 8 Abs. 1 des Landesstraßengesetzes (LStrG) vom 28.11.1961 (GV. NW. S. 305) – durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Landesstraßengesetzes (2. LStrÄndG) vom 05.07.1983 (GV. NW. S. 240) zurück. Der ursprüngliche Wortlaut („Hat sich die Verkehrsbedeutung einer Straße geändert, so ist sie in die entsprechende Straßengruppe umzustufen“) wurde geändert, um die strenge Fixierung auf Änderungen in der Vergangenheit aufzuheben und um auch zukünftig erst absehbare oder durch die Umstufung erstmals eintretende Änderungen der Verkehrsbedeutung diese bereits rechtfertigen zu lassen. Das Umstufungsverfahren sollte ausdrücklich vereinfacht und eine möglichst gerechte Dotation der verschiedenen Straßenbaulastträger erreicht werden.
42Vgl. LT-Drs. 9/860, S. 58; Walprecht/Neutzer/Wichary, in: Walprecht/Cosson, StrWG NRW Kommentar, 2. Aufl. 1986, § 8 Rn. 74; Fickert, Straßenrecht in Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 3. Aufl. 1989, § 8 StrWG NRW Rn. 4; Hengst/Majcherek, in: Hengst/Majcherek, StrWG NRW Kommentar, Stand: Oktober 2022, § 8 Nr. 2.2.
43In der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ist damit schon eine Entkopplung von strengen zeitlichen Vorgaben bei der Umstufung und eine Vereinfachung in der Anwendung enthalten. Der Wille des Gesetzgebers war es, ein Instrumentarium zu schaffen, mit dem die Ordnung des Straßennetzes entsprechend den Begriffsdefinitionen des § 3 Abs. 2 bis 4 StrWG NRW zur eindeutigen Einstufung der Straßen aufgrund ihrer Verkehrsbedeutung in die jeweilige Straßengruppe ermöglicht wird. Es sollten die Voraussetzungen für alle Fälle einer erforderlich werdenden Umstufung geschaffen werden.
44Vgl. Fickert, Straßenrecht in Nordrhein-Westfalen, Kommentar, 3. Aufl. 1989, § 8 StrWG NRW Rn. 1, 4.
45Dementsprechend ist auch in der oben dargestellten Definition des Rechtsbegriffs der „Verkehrsbedeutung“ keine zeitliche Komponente enthalten, sondern es kommt allein an auf die Betrachtung des „Ist-Zustands“ in Gestalt der prägenden Verkehrsfunktion, wie sie sich aus der Lage im Zusammenhang des gesamten Straßennetzes ableiten lässt.
46Dem nordrhein-westfälischen Straßenrecht lässt sich bei einer Gesamtbetrachtung der Vorschriften in §§ 3, 6, 7 und 8 StrWG NRW das klare Regelungsziel entnehmen, dass öffentliche Straßen stets ihrer Verkehrsbedeutung entsprechend in die Straßengruppen des § 3 Abs. 2 bis 4 StrWG NRW einzustufen sind (vgl. § 6 Abs. 3 StrWG NRW), diese Einstufung fortlaufend zu überprüfen ist, Änderungen der Verkehrsbedeutung anzuzeigen sind (vgl. § 8 Abs. 2 StrWG NRW) und die Zuordnung zur Straßengruppe erforderlichenfalls durch Umstufung aktuell zu halten ist (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW). Die behördlichen Entscheidungen sind dabei jeweils als gebundene Entscheidungen ohne Ermessensspielraum ausgestaltet, was die Bedeutung der Korrektheit der Einstufung für den Gesetzgeber unterstreicht. Von Rechts wegen einen Befund dauerhaft hinzunehmen, wonach die aktuelle Einstufung einer öffentlichen Straße nicht mehr ihrer objektiven Verkehrsbedeutung entspricht, ist dem nordrhein-westfälischen Straßenrecht fremd. Umstufungen können daher auch bei länger zurückliegenden Änderungen der Verkehrsbedeutung und auch dann, wenn der genaue Zeitpunkt der Änderung in der Verkehrsbedeutung nicht mehr sicher bestimmt werden kann, jederzeit noch für die Zukunft erfolgen.
47Dies gilt zur Überzeugung des Gerichts selbst dann, wenn die ursprüngliche Einstufung einer öffentlichen Straße unzutreffend war, weshalb vorliegend keine Feststellungen zu der Frage getroffen zu werden brauchten, ob ein solcher Fall einer ursprünglichen Fehleinstufung hier gegeben ist. Der hierzu in Rechtsprechung und Literatur – allerdings ohne nähere Begründung – vertretenen Gegenauffassung, wonach die Berichtigung einer von Anfang an unzutreffenden Einstufung nur nach den Regeln des Verwaltungsverfahrensgesetzes über die Rücknahme von rechtswidrigen Verwaltungsakten (§ 48 VwVfG) möglich sei,
48vgl. in diesem Sinne: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.06.1983 – 5 S 2785/82 –, juris; Herber, in: Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, Kap. 9 Rn. 28; Sauthoff, in: Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 236; Walprecht/Neutzer/Wichary, in: Walprecht/Cosson, StrWG NRW Kommentar, 2. Aufl. 1986, § 8 Rn. 73,
49schließt sich das erkennende Gericht ausdrücklich nicht an. Ein Rekurs auf § 48 VwVfG bzw. § 48 VwVfG NRW zur Berichtigung einer von Anfang an unzutreffenden Straßeneinstufung wäre systemfremd und mit dem soeben dargestellten Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen des nordrhein-westfälischen Straßenrechts nicht zu vereinbaren. Die Anwendung von § 48 VwVfG NRW führte bereits im Ansatzpunkt zu der Schwierigkeit, die fehlerhafte Einstufungsentscheidung in die Kategorie der begünstigenden oder belastenden Verwaltungsakte einordnen zu müssen, um die weiteren Voraussetzungen der Norm bestimmen zu können. Ginge man davon aus, dass die fehlerhafte Einstufung im Verhältnis zum rechtswidrig übergangenen Straßenbaulastträger ein begünstigender Verwaltungsakt wäre – wofür indes wenig spricht, weil es sich bei der begünstigenden Wirkung eher um einen Rechtsreflex handeln dürfte –, käme es zur Anwendung von § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG NRW. Die Anwendung dieser Vorschriften wäre indes nicht interessengerecht, denn diese zielen in erster Linie auf Vertrauensschutz und den Ausgleich enttäuschten Vertrauens ab. Es existiert aber kein rechtlich anerkennenswertes und damit schutzwürdiges Vertrauen einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft, vor der Übernahme einer Straßenbaulast hinsichtlich in ihrem Gemeindegebiet gelegener öffentlicher Straßen verschont zu bleiben. Unabhängig von der Frage, ob eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts gegenüber staatlichen Behörden überhaupt Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen kann,
50vgl. dies verneinend: BVerwG, Beschluss vom 29.04.1999 – 8 B 87.99 –, juris, Rn. 4; OVG Lüneburg, Beschluss vom 31.03.2013 – 8 LA 22/13 –, juris, Rn. 6,
51sind die Interessen des aufnehmenden Straßenbaulastträgers bereits im Straßenrecht durch § 8 Abs. 5 Satz 1 StrWG NRW berücksichtigt und geschützt, wonach eine Umstufung nur zum Beginn eines Haushaltsjahres wirksam und mindestens drei Monate vorher angekündigt werden soll. Mit dieser Regelung soll es dem betroffenen Straßenbaulastträger ermöglicht werden, seinen Haushaltsplan entsprechend aufzustellen. Im Übrigen sind die betroffenen Straßenbaulastträger gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 StrWG NRW vorher zu hören, so dass sichergestellt ist, dass Einwände im Verfahren Berücksichtigung finden. Mit diesen Regelungen erschöpft sich der Vertrauensschutz im Hinblick auf den Fortbestand einer einmal vorgenommenen Einstufung.
52Vgl. zum sächsischen Straßenrecht: OVG Sachsen, Urteil vom 17.03.2016 – 3 A 150/15 –, juris, Rn. 33.
53Ferner würde der Ablauf der Frist in § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG NRW dazu führen, dass eine Rücknahme der Einstufung endgültig nicht mehr möglich wäre. Dass ein solches Ergebnis den Regelungszielen des nordrhein-westfälischen Straßenrechts zuwider liefe, wurde oben bereits erwähnt. Das Straßenrecht bildet daher in Nordrhein-Westfalen in Bezug auf berichtigende Umstufungen ein abschließendes, die Anwendung des § 48 VwVfG NRW ausschließendes, spezielleres Regelungsregime.
54Die Interessen der Klägerin sind bei der hier vertretenen Auffassung, wonach eine berichtigende Umstufung jederzeit noch möglich ist, zudem bereits dadurch geschützt, dass die Umstufung nur für die Zukunft möglich ist und sie daher im vorliegenden Fall über einen nicht mehr näher bestimmbaren, aber längeren Zeitraum von der Straßenbaulast und den sich daraus ergebenden Verpflichtungen verschont geblieben ist.
55Allerdings erweist sich die angefochtene Umstufungsverfügung vom 17.12.2019 hinsichtlich der südlichen Teilstrecke der L 546N vom NK 3719055O bis zum NK 3819065O (Kreuzung mit der B 514) als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
56Die südliche Teilstrecke entspricht in ihrer aus der Lage im Zusammenhang des gesamten Straßennetzes abgeleiteten prägenden Verkehrsfunktion nicht einer Gemeindestraße, da sie – jedenfalls nicht vorwiegend – nur noch dem Verkehr und der Erschließung innerhalb des Gemeindegebietes dient. Zwar hat auch die südliche Teilstrecke eine klare Erschließungsfunktion und eine damit einhergehende rein örtliche Verkehrskomponente. Diese prägt die südliche Teilstrecke aber nicht vorwiegend. Ebenso prägend ist eine sich aus der Lage im Straßennetz ergebende zumindest überörtliche Verkehrsbedeutung. Sie dient nämlich aufgrund des nördlichen Anschlusses an die K 7 („X.----straße “) und des südlichen Anschlusses an die B 514 auch einer zwischenörtlichen Verbindung für Verkehre aus dem Südosten (W. , L2. , F1. ), die über die K 7 in den südlichen Innenstadtbereich der Klägerin gelangen wollen. Das Gericht geht insoweit davon aus, dass die zahlreichen Kureinrichtungen und Kliniken im südlichen Innenstadtbereich der Klägerin sowie die an der K 7 liegenden Gewerbegebiete hinreichende Verkehre auch aus südöstlich gelegenen, weiter entfernten Ortschaften generieren. Diese Verkehre nähern sich über die B 514 der Innenstadt der Klägerin an und es hat für diese dann keinen Sinn, der B 514 weiter über die BAB A 30 in nördliche Richtung bis zur nächstmöglichen Ausfahrt, der Anschlussstelle C. P. -Ost, zu folgen. Hiermit wäre ein erheblicher Umweg verbunden. Die genannten überörtlichen Verkehre werden vielmehr aus Südosten kommend an der Kreuzung mit der „W1. Straße“ die B 514 verlassen und auf die südliche Teilstrecke der L 546N wechseln, um anschließend auf die K 7 abzubiegen und die Ziele in westlicher Richtung anzusteuern.
57Die Lage der K 7 im Netz ergäbe im Übrigen in dieser Form keinen Sinn mehr, wenn die hier streitgegenständlichen Teilstrecken der L 546N beide zu Gemeindestraßen abgestuft werden würden. Die K 7 schlösse dann im Westen an die L 772 und im Osten an eine Gemeindestraße an, ohne dabei das Gemeindegebiet der Klägerin zu verlassen. Wie der K 7 dann noch eine ihrer Einstufung als Kreisstraße entsprechende überörtliche Verkehrsbedeutung mit zwischenörtlichen Verkehrsverbindungen zukommen sollte, erschließt sich für das Gericht nicht. Die Bedeutung und Lage der K 7 im Straßennetz gibt daher zugleich für die südliche Teilstrecke der L 546N eine mindestens überörtliche Verkehrsfunktion vor.
58Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1 und 2 sowie 711 Satz 1 und 2 ZPO.