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1. Ein Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 BauGB i.S.d. § 217 Abs. 1 Satz 1 BauGB liegt bereits dann vor, wenn ein Vorkaufsrecht gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ausgeübt wird; eine Prüfung der übrigen Tatbestandsmerkmale des § 28 Abs. 4 Satz 1 BauGB ist zur Bestimmung des Rechtswegs nicht erforderlich.
2 Insbesondere liegt ein Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 BauGB unabhängig davon vor, ob sich die zuständige Behörde in ihrem Bescheid auf diese Norm bezieht oder ob sie im angefochtenen Bescheid einen Entschädigungswert bestimmt.
3. Für die Bestimmung des Rechtswegs ist unerheblich, ob der Käufer oder der Ver-käufer sich gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts wendet.
4. Der Rechtsweg ist in den Fällen des § 28 Abs. 3 und Abs. 4 BauGB auch dann ausschließlich zu den Kammern für Baulandsachen eröffnet, wenn sich eine Klage allein gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts dem Grunde nach und nicht auch ge-gen die Bestimmung des Entschädigungswerts richtet.
VG Minden, Beschluss vom 23. Oktober 2023 - 1 K 2236/20
Der Verwaltungsrechtsweg ist nicht gegeben. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Landgericht Detmold, Kammer für Baulandsachen, verwiesen.
G r ü n d e:
2Der Rechtsstreit ist gemäß §§ 173 Satz 1 VwGO, 17a Abs. 2 Satz 1 GVG nach Anhörung der Beteiligten von Amts wegen an das gemäß § 217 Abs. 1 Satz 1 und 4 i.V.m. § 28 Abs. 4 Satz 1 BauGB und § 1 Nr. 2 der Verordnung über die Zusammenfassung der Baulandsachen vom 21 Oktober 1994 (GV NRW S. 961) zuständige Landgericht Detmold, Kammer für Baulandsachen, zu verweisen.
3§ 17a Abs. 2 Satz 1 GVG bestimmt, dass das Gericht, falls der beschrittene Rechtsweg unzulässig ist, dies nach Anhörung der Parteien von Amts wegen ausspricht und den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verweist. Der vom Kläger beschrittene Verwaltungsrechtsweg ist unzulässig. Gemäß § 217 Abs. 1 Satz 1 BauGB können Verwaltungsakte nach § 28 Abs. 4 BauGB nur durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden. Über einen solchen Antrag entscheidet gemäß § 217 Abs. 1 Satz 4 BauGB das Landgericht, Kammer für Baulandsachen. Die Beteiligten wurden hierzu im Erörterungstermin am N02. Oktober 2023 angehört.
4Die Klage richtet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 00. August 0000. Mit diesem Bescheid übt die Beklagte gestützt auf § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ein Vorkaufsrecht für eine ca. 200 m2 große Teilfläche des Flurstücks N01, Flur N02, Gemarkung Y. aus. Bei dieser Entscheidung handelt es sich um einen Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 BauGB. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Beklagte zur Ausübung ihres Vorkaufsrechts nicht auf § 28 Abs. 4 BauGB gestützt hat (1.). Ein Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 BauGB liegt vielmehr bereits dann vor, wenn ein Vorkaufsrecht gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ausgeübt wird; eine Prüfung der übrigen Tatbestandsmerkmale des § 28 Abs. 4 Satz 1 BauGB ist nicht erforderlich (2.). Unabhängig davon wäre der Verwaltungsrechtsweg aber auch dann nicht eröffnet, wenn zur Bestimmung des Rechtswegs sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 28 Abs. 4 Satz 1 BauGB voll durchzuprüfen wären (3.).
51. Ein Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 BauGB liegt unabhängig davon vor, ob sich die zuständige Behörde in ihrem Bescheid auf diese Norm bezieht. Anderenfalls hätte es die zuständige Behörde in der Hand durch eine unbewusst oder bewusst unterlassene Anwendung des § 28 Abs. 4 BauGB den Rechtsweg zu bestimmen und Einfluss auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) zu nehmen. Dies widerspricht dem Grundgedanken des Rechts auf den gesetzlichen Richter, dass dieser nach eindeutigen, objektiven und nicht manipulierbaren Kriterien zu bestimmen ist.
6Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2. Juni 1964 - 2 BvR 498/62 -, juris Rn. 9, und vom 8. April 1997 - 1 PBvU 1/95 -, juris Rn. 25, 29 und 32; Degenhart, in: Sachs, GG, 9. Auflage 2021, Art. 101 Rn. 5 und 14.
7Aus demselben Grund ist es für die Entscheidung über den Rechtsweg unbeachtlich, dass die Beklagte im angefochtenen Bescheid keinen Entschädigungswert bestimmt hat.
8Vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 16. Januar 2017 - 1 W 582/16 -, juris Rn. 13; Stock, in: Ernst u.a., BauGB, § 28 Rn. 110 (Stand: Februar 2021).
92. Ein Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 BauGB i.S.d. § 217 Abs. 1 Satz 1 BauGB liegt bereits dann vor, wenn ein Vorkaufsrecht gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ausgeübt wird; eine Prüfung der übrigen Tatbestandsmerkmale des § 28 Abs. 4 Satz 1 BauGB ist zur Bestimmung des Rechtswegs nicht erforderlich. Die Bestimmung des zulässigen Rechtswegs muss schnell und damit nach einfach handhabbaren Kriterien erfolgen können. Dieses Erfordernis ist bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 BauGB" maßgeblich zu berücksichtigen. Dem steht eine Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals entgegen, wonach die Bestimmung des Rechtswegs eine umfangreiche Prüfung unter weitgehender Vorwegnahme der Prüfung der Begründetheit der Klage erfordert.
10Gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 BauGB bestimmt die Gemeinde in den Fällen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB den zu zahlenden Betrag nach den Vorschriften des Zweiten Abschnitts des Fünften Teils des Baugesetzbuchs, wenn der Erwerb des Grundstücks für die Durchführung des Bebauungsplans erforderlich ist und es nach dem festgesetzten Verwendungszweck enteignet werden könnte. Ob ein Fall des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB vorliegt, lässt sich leicht bestimmen. Nach dieser Norm steht der Gemeinde ein Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken im Geltungsbereich eines Bebauungsplans zu, soweit es sich um Flächen handelt, für die nach dem Bebauungsplan eine Nutzung für öffentliche Zwecke oder für Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich i.S.d. §1a Abs. 3 BauGB festgesetzt ist. Dies ist hier der Fall. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte das Vorkaufsrecht hinsichtlich einer Fläche ausgeübt, welche im maßgeblichen Bebauungsplan N03 "Q.-C.-straße als Straßenverkehrsfläche und damit als eine öffentlichen Zwecken dienende Fläche festgesetzt ist.
11Dagegen bedürfen die beiden anderen Tatbestandsmerkmale des § 28 Abs. 4 Satz 1 BauGB, "Erforderlichkeit für die Durchführung des Bebauungsplans" sowie "Möglichkeit einer Enteignung nach dem festgesetzten Verwendungszweck" abhängig von den Umständen des Einzelfalls gegebenenfalls einer vertieften materiell-rechtlichen Prüfung, die insbesondere hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals "Möglichkeit einer Enteignung" eine umfangreiche Prüfung enteignungsrechtlicher Tatbestände erfordert. Eine solche Prüfung steht der eingangs dargelegten Prämisse einer schnellen und anhand einfach handhabbarer Kriterien durchzuführenden Bestimmung des Rechtswegs entgegen.
12Darüber hinaus spricht für die hier vertretene Lösung auch, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass § 28 Abs. 4 BauGB für den Hauptanwendungsfall der Vorkaufsrechte, nämlich den Erwerb von Flächen für öffentliche Zwecke gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zur Vermeidung von Enteignungen regelmäßig anwendbar ist.
13Vgl. BT-Drs. 10/4630, S. 56; Kronisch, in: Brügelmann, BauGB, § 28 Rn. 152 (Stand: Januar 2017); Paetow, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 28 Rn. 40 (Stand: Oktober 2008).
14Auch dies spricht dafür bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Verwaltungsakt nach § 28 Abs. 4 BauGB" für die Bestimmung des Rechtswegs allein darauf abzustellen, dass die zuständige Behörde ein Vorkaufsrecht gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ausübt.
15Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, dass hier der Käufer und nicht der Verkäufer gegen den angefochtenen Bescheid klagt.
16Der Gegenmeinung, wonach im Falle der Anfechtung der Ausübung eines Vorkaufsrechts gemäß § 28 Abs. 4 BauGB durch den Käufer der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein soll
17- referiert bei VG München, Urteil vom 13. Mai 2013 - M 8 K 12.3486 -, juris Rn. 67 -,
18schließt sich das erkennende Gericht nicht an. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass der Rechtsweg in den Fällen des § 28 Abs. 3 und Abs. 4 BauGB auch dann ausschließlich zu den Kammern für Baulandsachen eröffnet ist, wenn sich der Adressat eines Vorkaufsrechts allein gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts dem Grunde nach und nicht auch gegen die Bestimmung des Entschädigungswerts wendet. Hintergrund hierfür ist, dass es sich in diesen beiden Fällen um einen nicht teilbaren Verwaltungsakt handelt.
19Vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 5. Juli 2001 - 1 BaulW 2/01 -, juris Rn. 7 f.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 15. April 2013 - 3 O 80/12 -, juris Rn. 4; VG Augsburg, Beschluss vom 1. August 2014 - Au 4 K 14.870 -, juris Rn. 8; VG Ansbach, Beschluss vom 4. März 2020 - AN 17 K 19.02488 -, juris Rn. 14 (sämtlich zu § 28 Abs. 3 BauGB); Kronisch, in: Brügelmann, BauGB, Vor §§ 24-28 Rn. 110 (Stand: Juli 2016); Scharmer, in: Brügelmann, BauGB, § 217 Rn. 7 (Stand: September 2012); Stock, in: Ernst u.a., BauGB, § 28 Rn. 110 (Stand: Februar 2021).
20Angesichts dessen und im Interesse einer klaren und einfach handhabbaren Bestimmung des Rechtswegs besteht kein Anlass, den Rechtsweg für den hier vorliegenden Fall, dass der Käufer gegen die Ausübung eines Vorkaufsrechts klagt, abweichend zu bestimmen. Hinzu kommt, dass die Gegenansicht dazu führen würde, dass dann, wenn Käufer und Verkäufer die Ausübung eines Vorkaufsrechts anfechten, für die Klage des Käufers die Verwaltungsgerichte und für die Klage des Verkäufers die Kammern für Baulandsachen zuständig wären.
213. Unabhängig von den Ausführungen unter 2. wäre der Verwaltungsrechtsweg aber auch dann nicht eröffnet, wenn zur Bestimmung des Rechtswegs sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 28 Abs. 4 Satz 1 BauGB voll durchzuprüfen wären; diese liegen hier vor.
22Dass hier ein Fall des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB vorliegt, wurde bereits unter 2. dargelegt. Zudem ist der Erwerb des Grundstücks für die Durchführung des Bebauungsplans erforderlich. Dies setzt voraus, dass der Erwerb des Eigentums an dem Grundstück durch die Gemeinde aus sachlichen Gründen zur Verwirklichung der festgesetzten Nutzung zweckmäßiger Weise geboten ist. In dem hier vorliegenden Fall einer Nutzung für öffentliche Zwecke ist diese Anforderung in aller Regel erfüllt.
23Vgl. Kronisch, in: Brügelmann, BauGB, § 28 Rn. 150 (Stand: Januar 2017); Stock, in: Ernst u.a., BauGB, § 28 Rn. 79a (Stand: Oktober 2021).
24Der Erwerb der streitgegenständlichen Fläche ist zur Verwirklichung der in dem Bebauungsplan N03 "Q.-C.-straße festgesetzten Nutzung als öffentliche Straße geboten. § 11 Abs. 1 BauGB sieht vor, dass der Träger der Straßenbaulast das Eigentum an den der Straße dienenden Grundstücken erwerben soll. Anhaltspunkte dafür, dass dies im vorliegenden Fall nicht erforderlich ist, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Zudem ermöglicht erst die im Bebauungsplan für die streitgegenständliche Fläche vorgesehene Straße die Erschließung der noch unbebauten Flurstücke zwischen D.-C.-straße. Die Erschließung dieser Grundstücke ist notwendig, um die im Bebauungsplan festgesetzten Wohngebiete realisieren zu können.
25Schließlich könnte das Grundstück auch nach dem festgesetzten Verwendungszweck enteignet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass bereits im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts feststeht, dass ein zulässiger Enteignungszweck gegeben ist, die Überführung des Grundstücks in kommunales Eigentum jedenfalls zu einem späteren Zeitpunkt zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich sein wird und der Zweck nicht auf andere zumutbarer Weise erreicht werden kann. Die Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 BauGB müssen nicht erfüllt sein.
26Vgl. Kronisch, in: Brügelmann, BauGB, § 28 Rn. 151 (Stand: Januar 2017); Paetow, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 28 Rn. 39 f. (Stand: Oktober 2008).
27Auch diese Voraussetzungen liegen hier vor. Ein zulässiger Enteignungszweck im Sinne des § 85 Abs. 1 Nr. 1 BauGB (Nutzung eines Grundstücks entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder Vorbereitung einer solchen Nutzung) ist gegeben. Auch ist die Überführung des Grundstücks in kommunales Eigentum zum Wohl der Allgemeinheit erforderlich. Dies setzt voraus, dass bezogen auf das konkrete Grundstück ein gesteigertes kommunales Erwerbsinteresse besteht, dass das Interesse des Eigentümers, sein Grundstück weiterhin zu nutzen, überwiegt. Allerdings dürfen an das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Denn der Gesetzgeber ist davon ausgegangen ist, dass § 28 Abs. 4 BauGB für den Hauptanwendungsfall der Vorkaufsrechte, nämlich den Erwerb von Flächen für öffentliche Zwecke gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 BauGB zur Vermeidung von Enteignungen regelmäßig anwendbar ist. Deshalb ist ein gesteigertes kommunales Erwerbsinteresse beim Erwerb von Flächen, die für öffentliche Zwecke festgesetzt sind, grundsätzlich zu bejahen.
28Vgl. Kronisch, in: Brügelmann, BauGB, § 28 Rn. 151 f. (Stand: Januar 2017); Paetow, in: Berliner Kommentar zum BauGB, § 28 Rn. 40 (Stand: Oktober 2008).
29In Anbetracht dessen liegt für die streitgegenständliche Fläche, die als Straßenverkehrsfläche und damit für einen öffentlichen Zweck festgesetzt ist, ein gesteigertes kommunales Erwerbsinteresse vor. Anhaltspunkte dafür, dass ein solches Interesse im vorliegenden Einzelfall angesichts der von der Beklagten im Erörterungstermin berichteten Nachfrage nach Bauland hier nicht vorliegt, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Auch die Beklagte ist im Erörterungstermin davon ausgegangen, dass eine Enteignung grundsätzlich möglich wäre; der rechtsanwaltlich vertretene Kläger hat dem nicht widersprochen. Schließlich ist auch weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, wie der Enteignungszweck auf andere zumutbare Weise erreicht werden könnte.
30Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten (§§ 173 Satz 1 VwGO, 17b Abs. 2 Satz 1 GVG).