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Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 33 Abs. 2 lit. d) RL 2013/32/EU in Verbindung mit Art. 2 lit. q) dieser Richtlinie dahingehend auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach ein in diesem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen ist, wenn ein zuvor in einem anderen Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz von dem anderen Mitgliedstaat bestandskräftig als unbegründet abgelehnt wurde?
G r ü n d e :
21 A. Die Kläger sind staatenlose Palästinenser aus dem Gazastreifen. Ausweislich der von ihnen vorgelegten Geburtsurkunden wurde die Klägerin zu 1. am 00.00.0000 geboren, die Klägerin zu 2. am 00.00.0000 und der Kläger zu 3. am 00.00.0000 0000. Die Kläger reisten ihren Angaben zufolge am 11. November 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein und suchten am 15. November 2019 um Asyl nach. Ihre förmlichen Asylanträge registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 22. November 2019.
32 In ihren Anhörungen gab die Klägerin zu 1. an, sie habe den Gazastreifen 2018 mit ihren Kindern verlassen und sei u.a. über Spanien und Belgien nach Deutschland gereist. Im Gazastreifen seien sie und ihre Kinder aufgrund der politischen Tätigkeit ihres Ehemanns von der Hamas verfolgt worden. Zudem hätten ihre Eltern sie zwingen wollen, ihre Kinder der Familie des Ehemanns zu übergeben und alleine in den elterlichen Haushalt zurückzukehren. In Belgien hätten sie ca. ein Jahr gelebt und Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Ihr Ehemann lebe bereits seit längerem in der Bundesrepublik Deutschland.
43 Der Ehemann der Klägerin zu 1. und Vater der Kläger zu 2. und 3. reiste bereits 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid vom 31. März 2017 unter Androhung der Abschiebung in den Gazastreifen bestandskräftig abgelehnt.
54 Eine Eurodac-Abfrage des Bundesamts ergab Treffer der Kategorie 1 für die Klägerin zu 1. für Spanien und Belgien. Ein Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts an die spanischen Behörden wurde mit Schreiben vom 28. November 2019 abgelehnt. Ein Wiederaufnahmegesuch an die belgischen Behörden wurde nicht gestellt.
65 Ein Informationsersuchen des Bundesamts an die belgischen Behörden beantworteten diese mit Schreiben vom 5. März 2021 dahingehend, dass der Antrag der Klägerin zu 1. auf internationalen Schutz vom 21. August 2018 nach einer Prüfung der Asylgründe am 5. Juli 2019 zurückgewiesen und dagegen kein Rechtsmittel eingelegt worden sei. Ausweislich der dem Bundesamt von den belgischen Behörden übersandten Unterlagen beruhte die Zurückweisung des Antrags u.a. darauf, dass nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass der Klägerin zu 1. in ihrem Herkunftsland eine Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden drohe. Bei ihrer Rückkehr in den Gazastreifen könne sie die Unterstützung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, im Folgenden: UNRWA) in Anspruch nehmen.
76 Mit Bescheid vom 25. Mai 2021 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen und drohte den Klägern die Abschiebung in den Gazastreifen an. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus: Gemäß § 71a Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) sei kein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Das von den Klägern in Belgien betriebene Asylverfahren sei erfolglos abgeschlossen. Wiederaufgreifensgründe gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) lägen nicht vor. Weder habe sich die Sach- und Rechtslage geändert, noch hätten die Kläger neue Beweismittel vorgelegt.
87 Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am 9. Juni 2021 Klage erhoben. Zur Be-gründung führen sie im Wesentlichen aus: Als alleinstehende bzw. geschiedene Frau drohe der Klägerin zu 1. im Gazastreifen eine erhebliche Benachteiligung. Insbesondere sei Gewalt gegen Frauen gesellschaftlich legitimiert und der Zugang zu medizinischer Versorgung bzw. Arbeit eingeschränkt. Abgesehen davon werde es ihnen aufgrund der prekären Zustände im Gazastreifen nicht möglich sein, ihren elementaren Lebensunterhalt sicherzustellen. Erschwerend sei zu berücksichtigen, dass eine familiäre Unterstützung im Gazastreifen nicht bestehe. Eine hinreichende Unterstützung durch das UNRWA sei ebenfalls nicht zu erwarten. Dies sei von den Behörden in Belgien nicht gründlich genug geprüft worden. Unabhängig davon sei es ihnen faktisch nicht möglich, in den Gazastreifen zurückzukehren und sich erneut dem Schutz des UNRWA zu unterstellen. Aufgrund dessen sei ihnen als staatenlosen Palästinensern gemäß § 3 Abs. 3 AsylG und Art. 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (sog. ipso facto-Schutz).
98 Mit Beschluss vom 31. August 2021 (1 L 410/21.A) hat das vorlegende Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung angeordnet und dies im Wesentlichen damit begründet, dass aufgrund der Ausführungen der Europäischen Kommission (im Folgenden Kommission) zum Begriff des Folgeantrags im Verfahren C-8/20, auf die der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) in diesem Verfahren nicht näher eingegangen sei, ernstliche Zweifel bestünden, ob § 71a AsylG mit Unionrecht vereinbar sei.
109 B. Der Rechtsstreit ist auszusetzen und dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV zur Beantwortung der im Tenor wiedergegebenen Frage zu Art. 33 Abs. 2 lit. d) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180, S. 60, sog. Verfahrensrichtlinie II, im Folgenden: RL 2013/32/EU) in Verbindung mit Art. 2 lit. q) dieser Richtlinie vorzulegen. Die vorgelegte Frage ist entscheidungserheblich und bedarf einer Klärung durch den Gerichtshof.
1110 I. Die nationale Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1211 1. Stellt ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten, einen weiteren Asylantrag, spricht das nationale Recht von einem Zweitantrag (§ 71a Abs. 1 AsylG). Die Prüfung eines Zweitantrags erfolgt - ebenso wie die Prüfung eines Folgeantrags (§ 71 Abs. 1 AsylG) - zweistufig: Die erste Stufe betrifft die Frage, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist (§ 71a Abs. 1 AsylG). Die Voraussetzungen, bei deren Vorliegen ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, ergeben sich - soweit hier von Belang - aus § 51 Abs. 1 und 2 VwVfG. Liegt kein Grund für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vor, ist der Zweitantrag als unzulässig abzulehnen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG); die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe, warum er in seinem Herkunftsstaat Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden befürchtet, sind dann abweichend von § 31 Abs. 2 AsylG nicht weiter zu prüfen, wohl aber das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach nationalem Recht (§ 31 Abs. 3 AsylG). Das Zweitantragsverfahren ist damit - vorbehaltlich einer gerichtlichen Überprüfung - abgeschlossen. Liegt dagegen ein Grund für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens vor, ist der Zweitantrag zulässig und die zuständige Behörde hat auf der zweiten Stufe zu prüfen, ob dem Antragsteller internationaler Schutz zuzuerkennen ist.
1312 Der Unterschied zwischen einem Folge- (§ 71 Abs. 1 AsylG) und einem Zweitantrag (§ 71a Abs. 1 AsylG) besteht darin, dass das erste Asylverfahren bei einem Folgeantrag in Deutschland und bei einem Zweitantrag in einem sicheren Drittstaat durchgeführt wurde.
14Vgl. VG Schleswig, Vorlagebeschluss vom 16. August 2021 - 9 A 178/21 -, ECLI:DE:VGSH:2021:0816.9A178.21.00, Rn. 20.
1513 Sinn und Zweck des § 71a AsylG ist es, den Zweitantrag dem Folgeantrag und damit die asylrechtliche Entscheidung des Drittstaats einer asylrechtlichen Entscheidung des Bundesamts gleichzustellen.
16Vgl. BT-Drs. 12/4450, S. 27; BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, ECLI:DE:BVerwG:2016:141216U1C4.16.0, Rn. 30.
1714 Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs steht fest, dass § 71a Abs. 1 AsylG keine Anwendung findet, wenn es sich bei dem Drittstaat nicht um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union handelt
18- vgl. EuGH, Urteil vom 20. Mai 2021 - C-8/20 -, ECLI:EU:C: 2021:404, Rn. 31 ff. (von Norwegen abgelehnter Asylantrag) -
1915 oder es sich bei diesem zwar um einen Mitgliedstaat handelt, dieser aber nicht an die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (ABl. L 337, S. 9, sog. Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: RL 2011/95/EU) gebunden ist.
20Vgl. EuGH, Urteil vom 22. September 2022 - C-497/21 -, ECLI: EU:C:2022:721, Rn. 36 ff. (von Dänemark abgelehnter Asylantrag).
2116 Dagegen hat der Gerichtshof die Frage, ob der Begriff "Folgeantrag" in Art. 2 lit. q) und Art. 33 Abs. 2 lit. d) RL 2013/32/EU mitgliedstaatsübergreifend angewendet werden kann, bisher ausdrücklich offengelassen.
22Vgl. EuGH, Urteile vom 20. Mai 2021 - C 8/20 -, ECLI:EU:C: 2021:404, Rn. 30 und 40, sowie vom 22. September 2022- C-497/21 -, ECLI:EU:C:2022:721, Rn. 36 und 46.
2317 Diese Frage stellt sich in zwei unterschiedlichen Fallkonstellationen: Bei der ersten Fallkonstellation hat die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats den dort gestellten Asylantrag in der Sache geprüft und bestandskräftig abgelehnt. Diese Konstellation ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Bei der zweiten Fallkonstellation hat die zuständige Behörde des anderen Mitgliedstaats entschieden, das dort geführte Asylverfahren einzustellen, weil der Antragsteller dieses Verfahren nicht weiter betrieben hat. Diese Fallkonstellation ist Gegenstand eines weiteren Verfahrens, das das vorlegende Gericht dem Gerichtshof noch zur Vorabentscheidung vorlegen wird.
2418 2. Die einschlägigen nationalen Normen lauten:
2519 § 26a AsylG (Sichere Drittstaaten)
2620 […]
27(2) Sichere Drittstaaten sind außer den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die in Anlage I bezeichneten Staaten. […]
2821 § 29 AsylG (Unzulässige Anträge)
2922 (1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn
3023 […]
3124 5. im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
3225 […]
3326 § 31 AsylG (Entscheidungen des Bundesamts über Asylanträge)
3427 […]
3528 (2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Abs. 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. […]
3629 (3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. […]
3730 § 71 AsylG (Folgeantrag)
3831 (1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. […]
3932 § 71a AsylG (Zweitantrag)
4033 (1) Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
4134 […]
4235 § 51 VwVfG (Wiederaufgreifen des Verfahrens)
4336 (1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn
4437 1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
4538 2. neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
4639 3. […]
4740 (2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
4841 II. Die aus dem Tenor ersichtliche Frage ist klärungsbedürftig und hinsichtlich der Klägerin zu 1. entscheidungserheblich. Bezüglich der Kläger zu 2. und 3. hat das Bundesamt bisher nicht ermittelt, ob sie in Belgien ebenfalls Asylanträge gestellt haben und ob diese ggf. ebenfalls abgelehnt wurden. Dies wird im nationalen Verfahren aufzuklären sein.
4942 Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand liegen die Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 AsylG für die Ablehnung des Asylantrags der Klägerin zu 1. als unzulässig vor (1.). Die aufgeworfene Frage kann auch nicht als acte claire beantwortet werden (2.). Dementsprechend wäre die Klage gegen Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids hinsichtlich der Klägerin zu 1. auf Grundlage des nationalen Rechts abzuweisen. Dagegen wäre der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Klägerin zu 1. aufzuheben, wenn § 71a Abs. 1 AsylG nicht mit Unionsrecht zu vereinbaren wäre und folglich unangewendet bleiben müsste. In diesem Fall müsste das Bundesamt von Amts wegen prüfen, ob der Klägerin zu 1. internationaler Schutz zuzuerkennen ist.
5043 1. Die Voraussetzungen der §§ 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2, 71a Abs. 1 AsylG für die Ablehnung des Asylantrags der Klägerin zu 1. als unzulässig liegen vor. Es liegt ein in einem anderen Mitgliedstaat erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren vor, weil die belgischen Behörden den Asylantrag der Klägerin zu 1. mit Bescheid vom 5. Juli 2019 abgelehnt haben und sie gegen diesen Bescheid kein Rechtsmittel eingelegt hat. Das Bundesamt hat mit der Entscheidung, den Asylantrag der Kläger zu bescheiden, von seinem Selbsteintrittsrecht (Art. 17 Abs. 1 VO 604/2013) Gebrauch gemacht; spätestens hierdurch ist die Beklagte für die Durchführung ihrer Asylverfahren zuständig geworden.
5144 Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht vor. Insbesondere hat sich die Sach- und Rechtslage nicht maßgeblich zugunsten der Klägerin zu 1. geändert. Eine solche Änderung ist in unionsrechtskonformer Auslegung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG anzunehmen, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zu Tage getreten oder vorgetragen worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Klägerin zu 1. internationaler Schutz zuzuerkennen ist.
52Vgl. VG Minden, Urteil vom 21. Juni 2022 - 1 K 2351/20.A -, ECLI:DE:VGMI:2022:0621.1K2351.20A.00, juris Rn. 31 f.; VG Köln, Beschluss vom 3. August 2022 - 20 L 800/22.A -, ECLI:DE:VGK:2022:0803.20L800.22A.00, juris Rn. 18 ff.
5345 "Neu" i.S.d. Art. 33 Abs. 2 lit. d) RL 2013/32/EU sind nicht nur solche Elemente oder Erkenntnisse, die nach dem rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den früheren Antrag auf internationalen Schutz eingetreten sind, sondern auch solche Elemente oder Erkenntnisse, die bereits vor Abschluss dieses Verfahrens existierten, aber vom Antragsteller damals nicht geltend gemacht wurden.
54Vgl. EuGH, Urteil vom 9. September 2021 - C-18/20 -, ECLI:EU: C:2021:710, Rn. 44.
5546 Neue Erkenntnisse und Elemente sind jedoch nur zu berücksichtigen, wenn ein Asylantragsteller ohne grobes Verschulden außerstande war, diese Erkenntnisse oder Elemente im Erstverfahren oder einem sich daran anschließenden gerichtlichen Verfahren geltend zu machen. Dies folgt aus der ausdrücklichen Verweisung in § 71 Abs. 1 AsylG auf § 51 Abs. 2 VwVfG, mit der der nationale Gesetzgeber in unionsrechtskonformer Weise von dem ihm durch Art. 40 Abs. 4 RL 2013/32/EU eröffneten Regelungsermessen Gebrauch gemacht hat.
56Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Januar 2022 - 1 L 34/22.A -, ECLI:DE:VGD:2022:0124.1L34.22A.00, juris Rn. 6 f.; VG Minden, Urteil vom 21. Juni 2022 - 1 K 2351/20.A -, ECLI: DE:VGMI:2022:0621.1K2351.20A.00, juris Rn. 34 ff.
5747 §§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG, 51 Abs. 2 VwVfG stehen auch ansonsten mit Unionsrecht in Einklang. Dass § 51 Abs. 2 VwVfG ("grobes Verschulden") im Wortlaut von Art. 40 Abs. 4 RL 2013/32/EU ("eigenes Verschulden") abweicht, steht dem nicht entgegen. Erstere Regelung begünstigt Asylantragsteller und ist deswegen unionsrechtlich nicht zu beanstanden (Art. 5 RL 2013/32/EU).
58Vgl. VG Minden, Urteile vom 10. Februar 2022 - 2 K 41/19.A -, ECLI:DE:VGMI:2022:0210.2K41.19A.00, juris Rn. 45 f., und vom 21. Juni 2022 - 1 K 2351/20.A -, ECLI:DE:VGMI:2022: 0621.1K2351.20A.00, juris Rn. 34 ff.
5948 Ausgehend davon hat die Klägerin zu 1. keine neuen Elemente oder Erkenntnisse vorgetragen, die zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen. Soweit sie sich zur Begründung ihres Asylantrags auf tatsächliche Geschehnisse vor ihrer Ausreise aus dem Gazastreifen bezieht, ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen sie ohne grobes Verschulden daran gehindert war, diese Umstände im Rahmen des in Belgien durchgeführten Asylverfahrens oder einem sich an dieses anschließenden Gerichtsverfahren vorzubringen. Soweit die Klägerin zu 1. die Stellung von Frauen im Gazastreifen, die dortigen Lebensbedingungen, die Fähigkeit des UNRWA zur Unterstützung der dortigen Bevölkerung sowie die Möglichkeit zur Rückkehr in den Gazastreifen thematisiert, ist nicht ersichtlich, dass sich die Sachlage diesbezüglich zwischenzeitlich geändert hat. Bezüglich der geltend gemachten Scheidung der Klägerin zu 1. von ihrem Ehemann (und Vater der Kläger zu 2. und 3.) ist nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht erkennbar, inwieweit dieser Umstand erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beiträgt, dass der Klägerin zu 1. internationaler Schutz zuzuerkennen ist.
6049 2. Die aufgeworfene Frage kann jedenfalls nach Bekanntwerden der Ausführungen der Kommission im Verfahren C-8/20 nicht (mehr) als acte claire beantwortet werden.
61Zutreffend OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Dezember 2021- 17 B 1728/21.A -, ECLI:DE:OVGNRW:2021:1209.17B1728.21 A.00, juris Rn. 6, und vom 31. März 2022 - 1 B 375/22.A -,ECLI:DE:OVGNRW:2022:0331.1B375.22A.00, juris Rn. 7 ff.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 22. Juni 2022 - 8 MC 74/22 -, ECLI:DE:OVGNI:2022:0622.8MC74.22.00, juris Rn. 9; a.A. OVG Bremen, Urteil vom 3. November 2020 - 1 LB 28/20 -, ECLI:DE:OVGHB:2020:1103.1LB28.20.00, juris Rn. 45 ff.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 28. Dezember 2022- 11 LA 280/21 -, ECLI:DE:OVGNI:2022:1228.11LA280.21.00, juris Rn. 53.
6250 In dem vorstehend bezeichneten Verfahren hat die Kommission die Ansicht vertreten, dass das Unionsrecht einer mitgliedstaatsübergreifenden Anwendung des Folge-antragskonzepts entgegenstehe. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass die mitgliedstaatsübergreifende Anwendung dieses Konzepts ein gewisses Maß an gegenseitiger Anerkennung negativer Asylentscheidungen bedeute und eine solche im gegenwärtigen Asylrecht der Union grundsätzlich nicht vorgesehen sei. Es spreche viel für die Annahme, dass ein solcher Schritt in Richtung gegenseitiger Anerkennung vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich und in hinreichender Klarheit beschlossen werden müsse, zumal die Folgen der Einstufung eines Antrags als Folgeantrag für Asylantragsteller beträchtlich seien.
63Vgl. Schriftsatz vom 20. Mai 2020, Rn. 34 f., abgerufen unter https://ec.europa.eu/dgs/legal_service/submissions/c2020-8-obs _de.pdf.
6451 Ein acte claire liegt vor, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt.
65Vgl. EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1982 - 283/81 -, ECLI:EU: C:1982:335, Rn. 16, sowie vom 6. Oktober 2021 - C-561/19 -, ECLI:EU:C:2021:799, Rn. 33 und 39 ff.
6652 Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Stellungnahmen der Kommission zur Auslegung des Unionsrechts kommen aufgrund ihrer Stellung als "Hüterin der Verträge", der u.a. auch die Überwachung der Einhaltung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten obliegt (s. u.a. Art. 258 AEUV), ein hoher Stellenwert zu. Die Argumentation der Kommission ist zudem - unabhängig davon, ob man ihr in der Sache folgt - nicht offensichtlich zurückzuweisen. Schließlich ist die Argumentation der Kommission auch nicht durch die Ausführungen des Generalanwalts widerlegt.
67So aber Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 28. Dezember 2022 - 11 LA 280/21 -, ECLI:DE:OVGNI:2022:1228.11LA 280.21.00, juris Rn. 54.
6853 Diese Argumentation verkennt die Stellung des Generalanwalts. Diesem obliegt als "Vordenker" des Gerichtshofs die Vorlage von begründeten Schlussanträgen (Art. 252 Abs. 2 AEUV); die endgültige Entscheidung über die Auslegung des Unionsrechts obliegt allein dem Gerichtshof (Art. 267 AEUV).
6954 III. Zu der aufgeworfenen Frage nimmt das vorlegende Gericht wie folgt Stellung:
7055 Das vorlegende Gericht plädiert in Übereinstimmung mit den Schlussanträgen des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe vom 18. März 2021 im Verfahren C-8/20(ECLI:EU:C:2021:221) dafür, die Frage dahingehend zu beantworten, dass Art. 33 Abs. 2 lit. d) RL 2013/32/EU in Verbindung mit Art. 2 lit. q) dieser Richtlinie dahingehend auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach ein in diesem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen ist, wenn ein zuvor in einem anderen Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz von dem anderen Mitgliedstaat bestandskräftig als unbegründet abgelehnt wurde. Diese Rechtsauffassung entspricht auch der weitgehend einhelligen nationalen Rechtsprechung vor Bekanntwerden der Position der Europäischen Kommission.
71Vgl. z.B. Sächsisches OVG, Beschluss vom 27. Juli 2020 - 5 A 638/19.A -, ECLI:DE:OVGSN:2020:0727.5A638.19.A.00, juris Rn. 12 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Oktober 2018 ‑ OVG 12 N 70.17 -, ECLI:DE:OVGBEBB:2018: 1022.OVG12N70.17.00, juris Rn. 7; VG Minden, Urteil vom 9. Dezember 2019 - 10 K 995/18.A -, ECLI:DE:VGMI:2019: 1209.10K995.18A.00, juris Rn. 34 f.; VG Cottbus, Urteil vom 14. Mai 2020 - 8 K 1895/18.A -, ECLI:DE:VGCOTTB:2020: 0514.8K1895.18.A.00, juris Rn. 21; s. aber auch BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, BVerwGE 157, 18 Rn. 26 (offen gelassen).
7256 Zur weiteren Begründung wird vollumfänglich auf die Ausführungen des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe vom 18. März 2021 im Verfahren C-8/20 (Rn. 49 bis 86), insbesondere auf die Ausführungen zum Wortlaut des Art. 2 lit. q) RL 2013/32/EU (Rn. 75) sowie den Ausführungen zur Verhinderung von Sekundärmigration (Rn. 77 ff.) Bezug genommen. Ergänzend weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Art. 40 Abs. 1 RL 2013/32/EU zu keinem anderen Ergebnis führt. Der dort verwendete Begriff des Folgeantrags, der voraussetzt, dass "in demselben Mitgliedstaat" weitere Angaben vorgebracht werden oder ein Folgeantrag gestellt wird, enthält ausgehend von der Definition des Begriffs "Folgeantrag" in Art. 2 lit. q) RL 2013/32/EU ebenso wie Art. 41 Abs. 1 lit. b) RL 2013/32/EU eine Sonderregelung für eine Untergruppe von Folgeanträgen, nämlich solchen, die in demselben Mitgliedstaat gestellt werden.
73Vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 27. Juli 2020 - 5 A 638/19.A -, ECLI:DE:OVGSN:2020:0727.5A638.19.A.00, juris Rn. 18 ff.; VG Minden, Beschluss vom 31. Juli 2017 - 10 L 109/17.A -, ECLI:DE:VGMI:2017:0731.10L109.17A.00, juris Rn. 22 f.
7457 Außerdem sei darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof zu Art. 25 der Richtlinie 2005/85/EU des Rates vom 1. Dezember 2005 (ABl. L 326, S. 13, sog. Verfahrensrichtlinie I, im Folgenden: RL 2005/85/EU) bereits von einer mitgliedstaatsübergreifenden Anwendung des Folgeantragskonzepts ausgegangen ist.
75Vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 2013 - C-648/11 -, ECLI:EU:C: 2013:367, Rn. 63 f.
7658 Dort heißt es (Hervorhebungen durch das vorlegende Gericht):
77"63. Außerdem bedeutet eine solche Auslegung … nicht, dass der unbegleitete Minderjährige, dessen Asylantrag schon in einem ersten Mitgliedstaat in der Sache zurückgewiesen wurde, anschließend einen anderen Mitgliedstaat zur Prüfung eines Asylantrags zwingen könnte.
7864. Aus Art. 25 der Richtlinie 2005/85 geht nämlich hervor, dass zusätzlich zu den Fällen, in denen ein Asylantrag nach Maß-gabe der Verordnung Nr. 343/2003 nicht geprüft wird, die Mitgliedstaaten die Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers nicht zu prüfen haben, wenn ein Antrag insbesondere deshalb als unzulässig betrachtet wird, weil der Asylbewerber nach einer gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Entscheidung einen identischen Antrag gestellt hat."
7959 Diese Ausführungen beziehen sich auf Art. 25 Abs. 2 lit. f) RL 2005/85/EU, dem Vor-gänger des Art. 33 Abs. 2 lit. d) RL 2013/32/EU.
8060 Schließlich sei noch auf die Einschätzung des Generalanwalts Bot verwiesen, wo-nach "sich die Mitgliedstaaten … darin einig" sind, "die von anderen Mitgliedstaaten erlassenen Asylentscheidungen anzuerkennen, sofern diese negativ sind."
81Vgl. Schlussanträge vom 13. Juni 2018 in der RechtssacheC-213/17, ECLI:EU:C:2018:434, Rn. 107.
8261 Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass die von der Kommission verfolgte Änderung des asylrechtlichen Sekundärrechts
83- vgl. Art. 42 Abs. 1 des Vorschlags für eine Verordnung zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens zur Gewährung internationalen Schutzes in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU (KOM(2016)467 final) vom 13. Juli 2016 -
8462 lediglich der Klarstellung dient. Eine mitgliedstaatsübergreifende Anwendung des Folgeantragskonzepts ist bereits nach dem derzeit geltenden Unionsrecht zulässig.
8563 IV. Ausgehend davon, dass im vorliegenden Verfahren weder die Voraussetzungen des Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs für eine Entscheidung durch Beschluss noch die Voraussetzungen des Art. 105 der Verfahrensordnung für die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens vorliegen, regt das vorlegende Gericht an, dass der Präsident des Gerichtshofs anordnet, das vorliegende Verfahren gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung mit Vorrang zu entscheiden. Zudem wird der Gerichtshof um Prüfung gebeten, ob auf einzelne Verfahrensschritte, insbesondere eine mündliche Verhandlung (Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung) sowie die Vorlage von Schlussanträgen (Art. 20 Abs. 5 der Satzung des Gerichtshofs) verzichtet werden kann.
8664 Aus Sicht des vorlegenden Gerichts liegen besondere Umstände vor, die eine vorrangige Entscheidung rechtfertigen: Die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage betrifft eine Grundfrage des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, nämlich die mitgliedstaatsübergreifende Anwendung des Folgeantragskonzepts und damit indirekt die gegenseitige Anerkennung von (ablehnenden) Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten über Asylanträge. Die aufgeworfene Frage betrifft zumindest in Deutschland eine beträchtliche Anzahl von Asylverfahren. 2020 wurden in Deutschland 4.110 und 2021 3.166 Zweitanträge als unzulässig abgelehnt.
8765 Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass viele deutsche Gerichte nach Bekanntwerden der Position der Kommission im 2. Halbjahr 2020 in Verfahren, in denen das Bundesamt einen Asylantrag gestützt auf §§ 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2, 71a Abs. 1 AsylG als unzulässig abgewiesen hat, die aufschiebende Wirkung der Klagen angeordnet und die Klageverfahren bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt haben.
88Vgl. z.B. OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Dezember 2021 - 17 B 1728/21.A -, ECLI:DE:OVGNRW:2021:1209.17B1728.21A.00, vom 31. März 2022 - 1 B 375/22.A -, ECLI:DE:OVGNRW:2022: 0331.1B375.22A.00, und vom 10. Januar 2023 - 19 B 1030/ 22.A -, ECLI:DE:OVGNRW:2023:0110.19B1030.22A.00; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 22. Juni 2022 - 8 MC 74/22 -, ECLI:DE:OVGNI:2022:0622.8MC74.22.00; VG Minden, Beschluss vom 31. August 2021 - 1 L 547/21.A -, ECLI:DE:VG MI:2021:0831.1L547.21A.00; VG Wiesbaden, Beschluss vom 16. März 2022 - 1 L 226/22.WI.A -, ECLI:DE:VGWIESB:2022: 0316.1L226.22.WI.A.00.
8966 Da der Gerichtshof die aufgeworfene Frage - wie bereits dargelegt - sowohl im Verfahren C-8/20 als auch im Verfahren C-497/21 offen gelassen hat, steht eine Klärung dieser für die nationale Asylpraxis wichtigen Frage nunmehr bereits seit mehr als zwei Jahren aus. Dadurch wird eine abschließende Entscheidung über eine Vielzahl von Asylanträgen weiter verzögert. Dies dürfte mit dem Grundanliegen der Richtlinie 2013/32/EU, über Asylanträge so rasch wie möglich zu entscheiden (vgl. Art. 31 RL 2013/32/EU sowie Erwägungsgrund 18 zu dieser Richtlinie), kaum zu vereinbaren sein.
9067 Die Anregung, den Verzicht auf einzelne Verfahrensschritte zu prüfen, begründet sich wie folgt: Die zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage war - wie bereits dargelegt - schon Gegenstand der Verfahren C-8/20 und C-497/21. Im Verfahren C-8/20 hatte die Kommission diese Frage mit Schriftsatz vom 20. Mai 2020 (Rn. 23 ff.) aufgeworfen, im Verfahren C-497/21 das vorlegende Gericht.
91Vgl. VG Schleswig, Vorlagebeschluss vom 16. August 2021 - 9 A 178/21 -, ECLI:DE:VGSH:2021:0816.9A178.21.00, Frage 1.
9268 Der Generalanwalt hat - wie bereits dargelegt - in seinen Schlussanträgen im Verfahren C-8/20 zu der aufgeworfenen Frage bereits ausführlich Stellung genommen (Rn. 49 bis 86). Neue, bisher unberücksichtigte Aspekte zu dieser Frage sind für das vorlegende Gericht nicht ersichtlich. Nicht zuletzt aus diesem Grund dürfte im Verfahren C-497/21 sowie im Verfahren C-364/22, das ebenfalls an die Schlussanträge des Generalanwalts im Verfahren C-8/20 anknüpft, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die (erneute) Vorlage von Schlussanträgen des Generalanwalts verzichtet worden sein.