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Die Ordnungsverfügung vom 25. September 2019 sowie der Änderungsbescheid vom 18. Oktober 2019 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung X.-----straße , Flur 1, Flurstück 117 sowie Flur 2, Flurstücke 4 und 6. Sämtliche Flurstücke befinden sich am X1. „X.-----straße “.
3Bei einer Ortsbegehung am 4. Juli 2019 durch Mitarbeiter des Beklagten und des Beigeladenen wurde festgestellt, dass auf dem Deichkörper und in der Deichschutzzone der oben genannten Flurstücke Zäune und Einfriedungen errichtet sowie ein fest installierter Hochsitz aufgestellt wurden. Ferner sichteten die Mitarbeiter während der Ortsbegehung weidende Rinder, die einen ungehinderten Zugang zum Deich und zur Deichschutzzone hatten. Mit Schreiben vom 8. Juli 2019 hörte der Beklagte die Klägerin zu den getroffenen Feststellungen an und forderte sie auf, die Mängel bis zum 31. August 2019 zu beseitigen. Bei einer weiteren Deichkontrolle am 3. September 2019 wurden keine Veränderungen gegenüber den im Juli 2019 vorgefundenen Mängeln festgestellt. Zudem wurde zum Zeitpunkt dieser Begehung der Deichabschnitt auf dem Flurstück 117, Flur 1 von Pferden beweidet.
4Daraufhin gab der Beklagte der Klägerin mit Ordnungsverfügung vom 25. September 2019 auf, sämtliche auf dem Deichkörper und in der Deichschutzzone von vier Metern Breite zum Deichfuß errichteten Zäune und Einfriedungen unverzüglich, spätestens bis zum Ablauf des 18. Oktober 2019, zu entfernen und beim Rückbau entstehende Löcher fachgerecht mit Boden zu verfüllen und zu verdichten (Ziffer 1.)), den auf der landseitigen Deichböschung auf dem Flurstück 6, Flur 2, Gemarkung X.-----straße errichteten Hochsitz unverzüglich, spätestens bis zum Ablauf des 18. Oktober 2019, zu entfernen und beim Rückbau entstehende Löcher fachgerecht mit Boden zu verfüllen und zu verdichten (Ziffer 2.)) sowie die Beweidung von Pferden und anderen Huftieren, ausgenommen Schafe, ab sofort zu unterlassen (Ziffer 3.)). Zudem drohte der Beklagte der Klägerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung hinsichtlich der Ziffern 1.) - 3.) jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 500,- Euro an. Zur Begründung führte der Beklagte aus, das Errichten von Zäunen und Einfriedungen beeinträchtige die Unterhaltung und die Sicherheit des Deiches. Die Beweidung des Deiches mit Tieren, ausgenommen Schafe, führe zu Trittschäden, welche bei einem Hochwasser ebenfalls die Sicherheit des Deiches gefährden könnten. Die Klägerin verstoße gegen die Schutzbestimmungen des § 82 Abs. 1 LWG NRW. Gemäß § 97 Abs. 2 Satz 3 LWG NRW hätten die Eigentümer und Nutzungsberechtigten der an den Deich angrenzenden Grundstücke alles zu unterlassen, was die Unterhaltung oder Sicherheit des Deiches beeinträchtigen könne.
5Wegen einer von der Klägerin vorgetragenen verzögerten Zustellung dieser Ordnungsverfügung benannte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 18. Oktober 2019 als neue Frist für die der Klägerin aufgegebenen Beseitigungsmaßnahmen den 8. November 2019.
6Gegen diese Bescheide hat die Klägerin am 8. November 2019 Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen geltend macht, zutreffende Ermächtigungsgrundlage sei § 100 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. WHG, da vorrangig die Sicherstellung der Erfüllung der aus § 82 Abs. 1 und § 97 Abs. 2 Satz 3 LWG NRW folgenden landesrechtlichen Verpflichtungen im Blickfeld sei. Die landesrechtlichen Schutzbestimmungen in Bezug auf Deiche seien hier jedoch nicht anwendbar, da es sich bei dem X1. „X.-----straße “ wie auch beim X1. „H. O. “ um keinen Deich im Sinne des LWG NRW handele. Es sei auch nicht klar, welche Gebäude durch den hier betreffenden Deich im Falle eines Hochwasserereignisses geschützt werden sollen. Es sei ein aufgedrängter Schutz und wesentliche Werte, die durch den Deich geschützt würden, seien nicht ersichtlich. Die zu entfernenden Anlagen seien nicht verbotswidrig errichtet worden, da die Anlagen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift am 11. Mai 2005 bereits bestanden hätten. Der Beigeladene sei Unterhaltsverpflichteter und habe für den Deich und die Gefahrbeseitigung zu sorgen. Es sei keine hinreichende Gefahr für den Deich oder den Hochwasserschutz in Bezug auf den hiesigen Einzelfall dargelegt, um die getroffenen Maßnahmen zu rechtfertigen. Darüber hinaus fehle in der Ordnungsverfügung die erforderliche Ermessensausübung. Der Bescheid sei wegen Ermessensnichtgebrauchs aufzuheben. Insbesondere fehlten Ausführungen zur Gebotenheit der Maßnahme, wenn der Beigeladene den Hochwasserschutz durch andere Maßnahmen gewährleisten wolle und beabsichtige den Deich aufzugeben. Auch die nachgeschobenen Ermessenserwägungen seien fehlerhaft. Während der Hochsitz auf der Binnenseite des Deiches abgebaut werden solle, bleibe der Baum- und Strauchbewuchs unangetastet. Die damit verbundene Durchwurzelung des Deiches als ungleich größere Gefahr für den Deich werde hingenommen.
7Die Klägerin beantragt,
8die Ordnungsverfügung vom 25. September 2019 sowie den Änderungsbescheid vom 18. Oktober 2019 aufzuheben.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Zur Begründung führt der Beklagte aus, die Klage sei hinsichtlich der Ziffern 1.) und 3.) der angegriffenen Ordnungsverfügung mangels Klagebefugnis und Rechtsschutzinteresse der Klägerin bereits unzulässig, da die Klägerin die Zäune nach einem gemeinsamen Ortstermin mit dem Beklagten versetzt habe. Die Anordnungen zu Ziffern 1.) und 3.) seien daher als erfüllt zu betrachten und der Rechtsstreit habe sich insoweit erledigt. Bezüglich des Hochsitzes (Ziffer 2.)) bestehe er jedoch fort. Die genaue Benennung der expliziten einschlägigen Alternative der drei Eingriffskonstellationen der Ermächtigungsgrundlage des § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG sei zu vernachlässigen. Die erste und zweite Tatbestandsvariante reichten in den dritten Anwendungsfall hinein. Der X1. „X.-----straße “ sei als Deich ausgebildet und die Kronenhöhe sei deutlich über dem HW 100 und damit die Hochwasserschutzfunktion vorhanden. Die Klägerin sei über die Deicheigenschaft in 2012/2016 und 2018 wiederholt unterrichtet worden. Der Deich „H. O. “ habe hingegen seine hochwasserrelevante Schutzfunktion verloren und sei daher kein Deich mehr, §§ 78, 77 S. 3 LWG NRW. Es werde nicht nach der Werthaltigkeit der durch den Deich geschützten Güter unterschieden. Die Schutzbestimmung des § 82 Abs. 1 LWG NRW greife mit Blick auf den Sinn und Zweck der Norm (Erosionsschutz/Standsicherheit) auch bei Bestandsanlagen. Die Störerauswahl sei ermessensfehlerfrei erfolgt. Zwar sei der Beigeladene als Deichunterhaltungspflichtiger ebenfalls Störer. Nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht habe sich die Störerauswahl an der Effektivität der Gefahrenabwehr zu orientieren. Da die Klägerin Eigentümerin der betreffenden Deichflächen ist, hätte sonst zusätzlich eine Duldungsanordnung ihr gegenüber ergehen müssen. Ferner sei die Ordnungsverfügung ermessensfehlerfrei ergangen. Er, der Beklagte, habe erkannt, dass es sich bei der Ermächtigungsgrundlage des § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG um eine Ermessensvorschrift handele. Dies ergebe sich aus der Formulierung des ersten Satzes in den Ordnungsverfügungen vom 25. September 2019 und vom 18. Oktober 2019. Im vorliegenden Fall sei das Entschließungs- und Auswahlermessen auf Null reduziert, da die Verbotstatbestände klar gesetzlich definiert seien und jede andere Entscheidung der Bezirksregierung ermessensfehlerhaft wäre. Dessen ungeachtet habe er, der Beklagte, auch entsprechende Ermessenserwägungen angestellt, die zu Lasten der Klägerin ausgefallen seien. Dies ergebe sich aus dem der Ordnungsverfügung vom 25. September 2019 angefügten Vermerk im Verwaltungsvorgang. Das Wort „beschränken“ mache bereits deutlich, dass Bewusstsein über das zustehende Ermessen bestanden habe. Die Erläuterungen zum Absehen von der Anordnung zur Entfernung der Pappeln innerhalb des Vermerks stellten ebenfalls Ermessenserwägungen dar. Die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erfolgten Ermessenserwägungen seien also nicht erstmalig erfolgt, sondern lediglich ergänzend. Darüber hinaus seien der Klägerin die gesetzlichen Vorgaben und die sich daraus ergebende Auffassung des Beklagten über die Sach- und Rechtslage seit 2012 bekannt. Insoweit bedürfe es nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW einer Begründung nicht. Dessen unbenommen könne der Beklagte etwaige Ermessenserwägungen und Begründungsmängel gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG NRW bis zum Abschluss der ersten Instanz nachholen. Die Ermessensgründe würden vor diesem Hintergrund noch einmal dargestellt und der Klägerin hiermit bekannt gegeben. Mit Blick auf die Aufrechterhaltung der Wehrfähigkeit des Deiches müsse das Weideinteresse hinter dem Hochwasserschutz zurücktreten.
12Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
13Anlässlich eines am 22. Juni 2021 durchgeführten Orts- und Erörterungstermins hat die Berichterstatterin die Örtlichkeit in Augenschein genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Terminsniederschrift verwiesen.
14Mit Beschluss vom 23. Juni 2021 ist das Verfahren nach § 6 Abs. 1 VwGO der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, Var. 1 VwGO) ist zulässig. Insbesondere ist sie auch hinsichtlich der Ziffern 1.) und 3.) der Ordnungsverfügungen vom 25. September 2019 und vom 18. Oktober 2019 zulässig, da sich das Verfahren diesbezüglich nicht tatsächlich erledigt hat.
18Kann der Kläger das Rechtsschutzziel nicht mehr erreichen, weil er es bereits außerhalb des Prozesses erreicht hat oder weil es – sei es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen – überhaupt nicht mehr erreichbar ist, und ist die Klage deshalb unzulässig oder unbegründet geworden, so ist die Hauptsache erledigt.
19Vgl. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 100 m.w.N.
20Die bloße Erfüllung oder sonstige Vollziehung eines Verwaltungsakts führt grundsätzlich noch nicht zu dessen Erledigung.
21Vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Werkstand: 40. EL Februar 2021, § 113 Rn. 119.
22Abgesehen davon, dass mangels Versetzung aller streitgegenständlichen Zäune im Hinblick auf Ziffer 1.) schon keine vollständige Erfüllung bezüglich Ziffer 1.) eingetreten ist, führt die hier erfolgte Erfüllung nach den oben genannten Maßstäben zu keiner tatsächlichen Erledigung des Verwaltungsakts. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist vorliegend nicht erkennbar. Insbesondere ist die Erreichung des Rechtsschutzziels für die Klägerin nicht unmöglich geworden. Die Zäune lassen sich auch wieder versetzen bzw. anders anordnen. Ein irreversibler Zustand ist nicht geschaffen worden.
23Die Anfechtungsklage ist auch begründet.
24Die Ordnungsverfügungen vom 25. September 2019 und vom 18. Oktober 2019 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
25Rechtsgrundlage für die Ordnungsverfügung ist § 100 Abs. 1 Satz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG). Danach ordnet die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen an, die im Einzelfall notwendig sind, um Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu vermeiden oder zu beseitigen oder die Erfüllung von Verpflichtungen sicherzustellen, die nach oder auf Grund von Vorschriften dieses Gesetzes, nach auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen oder nach landesrechtlichen Vorschriften bestehen. Welche konkrete Variante der Ermächtigungsgrundlage vorliegend einschlägig ist, kann offen bleiben, denn selbst wenn der Beklagte fehlerhaft von einer unzutreffenden Variante ausgegangen sein sollte, wäre ungeachtet dessen ein Austausch einer etwaig von dem Beklagten fehlerhaft benannten Ermächtigungsgrundlage durch das Gericht hier zulässig,
26vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Dezember 2015 – 15 A 121/15 –, juris, Rn. 10,
27weil der Bescheid dadurch nicht in seinem Wesen verändert und die Klägerin nicht in ihrer Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird.
28Der Beklagte hat aufgrund von ihm angenommener Verstöße gegen § 82 des Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LWG NRW) die streitgegenständlichen Ordnungsverfügungen erlassen. Über den Erlass von Ordnungsverfügungen ist ausweislich der Ermächtigungsgrundlage des § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG nach Ermessen zu entscheiden.
29Das ihr eingeräumte Ermessen hat die Behörde pflichtgemäß,
30vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1962 - 1 BvR 301/59 -, juris, Rn. 31,
31d.h. nach § 40 VwVfG NRW entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Die danach geforderte Interesseabwägung umfasst sowohl die Ermessensausübung auf der Ebene des Entschließungsermessens, d.h. ob überhaupt eine Ordnungsverfügung erlassen wird, als auch die Betätigung auf der Ebene des Auswahlermessens hinsichtlich der Art der geforderten Maßnahmen („wie“).
32Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Mai 2016 - 1 L 176/15 -, juris, Rn. 22; VG Minden, Urteil vom 21. Februar 2017 - 4 K 3301/13 -, juris, Rn. 20.
33Dabei ist die Überprüfung einer Ermessensentscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch § 114 Satz 1 VwGO auf die Feststellung etwaiger Ermessensfehler beschränkt. Das Gericht hat, abgesehen von den allgemeinen Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts, lediglich zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebraucht gemacht wurde. Stellt sich dabei allerdings heraus, dass der Verwaltungsakt ermessensfehlerhaft ergangen ist, so hat das Gericht ihn aufzuheben.
34Vgl. Decker, in: BeckOK VwGO, 58. Edition, Stand: 1. Juli 2021, § 114 Rn. 26.
35Hier hat der Beklagte das ihm zustehende Ermessen nicht ausgeübt, was einen der gerichtlichen Überprüfung unterliegenden Ermessensfehler (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) in Form des Ermessensausfalls bzw. des Ermessensnichtgebrauchs darstellt.
36Ob von einer Ermessensermächtigung Gebrauch gemacht wurde, ist anhand aller erkennbaren Umstände zu beurteilen.
37Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO Kommentar, 5. Aufl. 2018 § 114 Rn. 114b.
38Dies ist maßgeblich aber nicht ausschließlich anhand einer Auslegung des Bescheides zu ermitteln.
39Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 1988 - 7 B 182.87 -, juris, Rn. 7; Rennert, in: Eyermann, VwGO Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 18.
40Die nach § 39 Abs. 1 VwVfG NRW verlangte Ermessensbegründung hat ausschließlich verfahrensrechtlichen Charakter, gibt also für die materielle Frage, ob ein von Gesetzes wegen eingeräumtes Ermessen überhaupt oder missbräuchlich ausgeübt und seine Grenzen eingehalten worden sind, nur Anhaltspunkte, denen andere Belege gleich stehen.
41Vgl. Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs, VwVfG Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 28.
42Daher kann sich auch dann, wenn die Behörde in der Begründung des jeweils streitgegenständlichen Bescheids keine Ermessenserwägungen mitgeteilt hat, aus dem Gesamtzusammenhang dennoch ergeben, dass sie eine Ermessensentscheidung getroffen und welche Ermessenserwägungen sie angestellt hat. Anhaltspunkte hierfür können sich aus den im Verwaltungsvorgang dokumentierten Begleitumständen ergeben, die zum Erlass des Verwaltungsakts geführt haben.
43Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 1988 - 7 B 182./87 -, juris Rn. 7; Rennert, in: Eyermann, VwGO Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 18.
44Das Fehlen einer Ermessensbegründung ist jedoch ein starkes Indiz für einen materiellen Ermessensausfall.
45Vgl. Stelkens, in: ders./Bonk/Sachs, VwVfG Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 28.
46Weder die angefochtenen Ordnungsverfügungen noch der beigezogene Verwaltungsvorgang lassen erkennen, dass der Beklagte sein Ermessen hinsichtlich der angeordneten Maßnahmen ausgeübt hat. Den Ausführungen des Beklagten im Bescheid lassen sich derartige Erwägungen an keiner Stelle entnehmen. Allein die Wiedergabe des Gesetzestextes im ersten Satz der Begründung der Bescheide „nach pflichtgemäßen Ermessen“ reicht dafür nicht aus, denn allein das Zitat des Wortlauts des § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG impliziert nicht, dass der Beklagte das ihm zustehende Ermessen tatsächlich ausgeübt hat. Vielmehr fällt auf, dass in der weiteren Begründung der Bescheide mit keinem Wort mehr auf das Ermessen bzw. eine pflichtgemäße Ermessensausübung eingegangen wird. Dasselbe gilt auch für den Verwaltungsvorgang. Insbesondere lassen sich auch aus dem der Ordnungsverfügung vom 25. September 2019 angefügten Vermerk ebenfalls keine Ermessenserwägungen in Bezug auf die angeordneten Maßnahmen ableiten. Sofern sich dem Vermerk entnehmen lässt, dass der Beklagte ein Einschreiten bezüglich der Pappeln für unverhältnismäßig gehalten hat, lassen sich daraus jedoch keine Ermessenserwägungen in Bezug auf das angeordnete Beweidungsverbot und die Beseitigungsverfügungen im Hinblick auf die Zäune und den Hochsitz erkennen. Eine Ermessensausübung in Bezug auf die nach § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG ergriffenen Maßnahmen lässt sich aus allen erkennbaren Umständen nicht feststellen. Vielmehr wird unmittelbar aus den ermittelten Verstößen gegen die Verbotstatbestände des § 82 LWG NRW eine Verpflichtung zum Handeln abgeleitet. Etwas anderes ergibt sich namentlich auch weder aus dem die Deichschau vom 20. September 2018 betreffenden Protokoll vom 27. Mai 2019 noch aus dem Ergebnisprotokoll vom 15. Oktober 2019 der Besprechung bei dem beigeladenen Wasserverband Weserniederung.
47Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass sich das dem Beklagten eingeräumte Ermessen ausnahmsweise auf Null reduziert hat.
48Vgl. dazu Rennert, in: Eyermann, VwGO Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 19 und 32.
49Zwar liegt kein Ermessensfehler vor, wenn die Verwaltung das Vorliegen einer Ermessensnorm übersehen, aber die Rechtsfolge gewählt hat, die aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null die einzig rechtlich zulässige war.
50Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO Kommentar, 5. Aufl. 2018 § 114 Rn. 136.
51Eine Ermessensreduzierung auf Null ist jedoch lediglich in den wenigen Ausnahmefällen anzunehmen, in welchen jede andere Entscheidung des Beklagten ermessensfehlerhaft wäre.
52Vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG Kommentar, 9. Aufl. 2018, § 40 Rn. 102a; Riese, in Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 40. EL Februar 2021, § 114 Rn. 39; Rennert, in: Eyermann, VwGO Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 32.
53Dies ist vorliegend jedoch nicht erkennbar. Würde jeder Verstoß gegen eine geltende Norm des Wasserrechts den Beklagten zu einem Einschreiten verpflichten, wäre der Hinweis auf das „pflichtgemäße Ermessen“ in § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG überflüssig. Darüber hinaus sieht § 82 LWG NRW unter bestimmten engen Voraussetzungen in Absatz 2 selbst Befreiungstatbestände vor. Ferner ist auch keine derartige Gefahrenlage für die Standsicherheit des Deiches dargelegt worden oder ersichtlich, die jede andere Entscheidung des Beklagten ermessensfehlerhaft sein ließe. Mit dieser Argumentation setzt der Beklagte sich zudem selbst in Widerspruch zu den bisher von ihm getroffenen Maßnahmen, denn wenn von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen wäre, hätte der Beklagte schon früher einschreiten müssen und hätte zur Beseitigung der Gefahr der mangelnden Standsicherheit des Deiches auch in Bezug auf die Pappeln Maßnahmen treffen oder zumindest ein Konzept für eine schrittweise Beseitigung der Gefahrenlage erstellen müssen mit einer entsprechenden Gefahreneinschätzung, welche Gefahr wie lange noch hingenommen werden kann.
54Die fehlerhaft unterbliebene Ermessensausübung konnte auch nicht nachträglich durch die im Schriftsatz vom 17. September 2020 nachgeholten Ermessenserwägungen behoben werden. § 114 Satz 2 VwGO schafft lediglich die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzt, nicht hingegen, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt.
55Vgl. st. Rspr. des BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2011 – 1 C 14.10 –, juris Rn. 9 m.w.N.
56Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Danach trägt der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst, da er keinen Antrag gestellt hat und sich demnach auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
57Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.