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1. § 30 Abs. 3 Nr. 6 AsylG ist nicht aufgrund der Änderung der §§ 53 ff. AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendi-gung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) funktionslos geworden.
2. § 30 Abs. 3 Nr. 6 AsylG ist unionsrechtskonform dahingehend einschränkend aus-zulegen, dass nicht jede vollziehbare Ausweisung die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet rechtfertigt, sondern die Ausweisung aus schwerwiegen-den Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erfolgt sein muss.
3. Aus Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 lit. j Alt. 2 RL 2013/32/EU folgt nicht, dass im asylrechtlichen Verfahren in jedem Einzelfall (nochmals) eine (schwerwiegende) Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Adressaten der Ausweisungsverfügung festgestellt werden muss.
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Antragsteller.
Gründe:
2Der Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen,
4ist zulässig, aber unbegründet.
5I. Der Antrag ist zulässig. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) hat mit Bescheid vom 12. Mai 2021 den Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der gegen diesen Bescheid gerichtete Antrag ist ebenso wie die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage am 18. Mai 2021 und damit innerhalb der einwöchigen Antragsfrist (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG) beim Verwaltungsgericht eingegangen.
6II. Der Antrag ist unbegründet. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen nicht.
7Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG bestimmen, dass die Aussetzung der Abschiebung dann, wenn ein Asylantrag - wie hier - als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass dieser einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. "Angegriffen" i. S. d. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ist im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Abschiebungsandrohung. Gegenstand dieses Verfahrens ist allein die Frage, ob die Abschiebungsandrohung rechtmäßig ist.
8Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93 -, juris Rn. 93 und 99.
9Dies setzt voraus, dass die Voraussetzungen für die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§§ 29a Abs. 1, 30 AsylG) vorliegen, dass der Abschiebung des Asylbewerbers in den in der Abschiebungsandrohung benannten Staat keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG entgegenstehen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist (§§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG), dass der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG) und dass die Abschiebungsandrohung auch sonst nicht zu beanstanden ist.
10Gemessen daran bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der im Bescheid vom 12. Mai 2021 unter Ziffer 5 verfügten Abschiebungsandrohung. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt (1.). Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG stehen der Abschiebung des Antragstellers in den Libanon nicht entgegen (2.). Der Antragsteller ist auch nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels (3.). Die Abschiebungsandrohung entspricht auch ansonsten den rechtlichen Vorgaben (4.).
111. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Ihm steht weder ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (a.), noch ein Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter (b.) oder auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (c.) zu. Ein Grund für die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet liegt vor (d.).
12a. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft steht dem Antragsteller nicht zu. Flüchtling ist, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 AsylG). Dementsprechend ist hier auf die Verhältnisse im Libanon abzustellen. Der Antragsteller besitzt die libanesische Staatsangehörigkeit. Dies ergibt sich aus einer Mitteilung der libanesischen Sicherheitsbehörden vom 30. August 2014 (Bl. 335 Beiakte 2). Im Übrigen hat der Antragsteller gegenüber dem Bundesamt selbst eingeräumt, im Besitz eines libanesischen Reisepasses gewesen zu sein.
13aa. Der Antragsteller hat anlässlich seiner Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragen, dass er mit seinem Bruder an einer Demonstration in Beirut teilgenommen habe. Sie seien mit dem Bus nach Beirut gefahren. Als sie einem Mann geholfen hätten, sein Zelt aufzubauen, seien 10 bis 15 Angehörige der Hisbollah gekommen. Diese hätten entsprechende Aufnäher auf ihrer Kleidung getragen und hätten die Demonstranten aufgefordert, sich zu entfernen. Es sei zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf er einem Angehörigen der Hisbollah ins Gesicht geschlagen habe. Sein Bruder habe den Mann getreten. Dieser sei zu Boden gegangen. Die übrigen Angehörigen der Hisbollah seien auf ihn und seinen Bruder zugekommen. Etwa 15 Soldaten seien dazwischen gegangen, um eine Schlägerei zu verhindern. Daraufhin hätten die Angehörigen der Hisbollah sich entfernt und die Demonstranten hätten demonstriert. Dann seien 100 bis 150 Angehörige der Hisbollah auf Motorrädern erschienen. Sie seien mit Stöcken und Metallketten bewaffnet gewesen. Es habe sich eine Massenschlägerei zwischen den Demonstranten und den Angehörigen der Hisbollah entwickelt. Die Soldaten hätten die beiden Gruppen nicht auseinanderhalten können. Bei der Schlägerei habe er einen Schlag mit einem Stock auf den Arm abbekommen. Sein Bruder habe auf dem Boden gelegen, weil er mit dem Fuß umgeknickt sei. Sie seien gegangen, weil es ernst geworden sei, und seien mit dem Taxi nach Tripolis gefahren. Dort seien sie wegen der Verletzung seines Bruders ins Krankenhaus gegangen. Es sei nichts gebrochen gewesen, sein Bruder habe aber einen Gipsverband tragen müssen. Ein paar Tage später sei ein Bekannter der Familie zu Besuch gekommen. Er habe ihn, den Anttragsteller, und seinen Bruder gewarnt, dass die Hisbollah sie suche. Die Hisbollah habe während der Auseinandersetzungen Fotos von ihm und seinem Bruder gemacht. Aufgrund seines Dialekts wisse die Hisbollah, dass er aus dem Norden des Libanons stamme. Der Bekannte habe gesagt, sie sollten schnell fliehen, solange die Hisbollah ihre Namen noch nicht kenne. Ansonsten liefen sie Gefahr, entführt zu werden. Sie hätten dem Mann, den sie geschlagen hätten, seine Ehre genommen. Von diesem Moment an seien sie zu Hause geblieben. Dann seien sie über den Flughafen Beirut in die Türkei gereist. Die Hisbollah habe zwar auch am Flughafen ihre Leute. Sein Vater und ein Bekannter hätten jedoch Geld gezahlt, damit sie dort nicht aufgehalten würden.
14bb. Aufgrund dieser Angaben steht dem Antragsteller kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm im Falle seiner Rückkehr in den Libanon dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
15- zur Anwendbarkeit dieses Maßstabs vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377, Rn. 18 ff., und vom 1. März 2012 - 10 C 7.11 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 43 (juris Rn. 12); OVG NRW, Urteil vom 2. Juli 2013 - 8 A 2632/06.A -, juris Rn. 255 ff. -
16Verfolgung droht.
17(1) Die Angaben des Antragstellers sind nicht glaubhaft. Es obliegt dem Antragsteller, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
18(a) Die Angaben des Antragstellers sind in einem wichtigen Aspekt detailarm und nicht belastbar. Zwar sind die Angaben zum eigentlichen Kerngeschehen, der Teilnahme an einer Demonstration, ausreichend detailliert. Jedoch fehlt es an jeglichen belastbaren Angaben in zeitlicher Hinsicht. Der Antragsteller konnte weder zum Datum seiner Ausreise aus dem Libanon noch zur Dauer seines Aufenthalts in der Türkei, in Griechenland oder in Italien hinreichend zuverlässige Angaben machen; zu sämtlichen dieser vagen Angaben fügte er hinzu, dass er es nicht genau wisse oder er keine Ahnung habe. Vor allem aber ist er nicht in der Lage, das von ihm geschilderte Verfolgungsgeschehen - die Teilnahme an einer Demonstration - zuverlässig zeitlich einzuordnen. Auf die Frage, wann dies gewesen sei, antwortete der Antragsteller anlässlich seiner Anhörung vor dem Bundesamt zunächst:
19"… das war ungefähr nach dem Ramadan. Ramadan 2019. Wann war das? Es war nicht im Winter. Es war auch nicht zu warm. Ich glaube das war so August, September, ich vermute sowas."
20Auf die Nachfrage, ob es kurz nach dem Ramadam gewesen sei, entgegnete der Antragsteller ausweichend:
21"Ich denke, es war nach dem Ramadam."
22Auf die Nachfrage, wann genau es gewesen sei, führte der Antragsteller aus:
23"Ich überlege die ganze Zeit, ob es nach oder kurz vor dem Ramadam war. Es war nicht so warm. Im Ramadam ist es sehr warm."
24Auf den Hinweis, dass der Ramadam 2019 im Mai gewesen sei, ergänzte der Antragsteller:
25"Dann war es nach dem Ramadam."
26Diese Angaben lassen noch nicht einmal den Monat erkennen, in dem der Antragsteller an der Demonstration teilgenommen haben will. Dies ist angesichts der gravierenden Folgen, die die Teilnahme an dieser Demonstration für ihn gehabt haben soll, schwer erklärlich.
27Die Angaben zum Zeitraum zwischen der Teilnahme an der Demonstration und der Ausreise aus dem Libanon sind ebenfalls vage. Auf Nachfrage hierzu gab der Antragsteller an:
28"Es war über einen Monat. Ein Monat ungefähr. Schreiben sie ungefähr über einen Monat."
29Auf nochmalige Nachfrage ergänzte er:
30"Zwischen einem und zwei Monaten."
31Dies ist ebenfalls wenig präzise und angesichts dessen, dass der Antragsteller in diesem Zeitraum seinen Angaben zufolge in höchster Gefahr geschwebt haben soll, ebenfalls nicht nachvollziehbar.
32Hinzu kommt, dass seine zeitlichen Angaben nicht zueinander passen. Ausgehend davon, dass der Antragsteller seinen eigenen Angaben zufolge Ende 2019 oder Anfang 2020 den Libanon verlassen haben will und dies ein oder zwei Monate nach der Teilnahme an der Demonstration erfolgt sein soll, hätte diese Demonstration im Oktober oder November 2019 stattgefunden. Dies widerspricht jedoch seinen Angaben, die Demonstration habe im August oder September 2019 stattgefunden. Diese zeitliche Einordnung des Antragstellers dürfte allerdings schon deshalb unzutreffend sein, weil die Abfolge von großen Demonstrationen, die bis heute im Libanon stattfinden, überhaupt erst am 17. Oktober 2019 begann.
33Vgl. Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), Breaking the Barriers: One year of Demonstrations in Lebanon, 27. Oktober 2020, S. 1; Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, 4. Januar 2021, S. 5; Commissariaat General voor de Vluchtelingen en de Staatlozen des Königreichs Belgien (CGVS), Libanon - Veiligheidssituatie, 19. Januar 2021, S. 8.
34(b) Die Angaben des Antragstellers sind auch ansonsten nicht frei von Widersprüchen. Der Antragsteller hat anlässlich seiner Anhörung vor dem Bundesamt betont, dass die Hisbollah nur ein Foto von ihm und seinem Bruder gehabt, nicht aber ihre Namen gekannt habe. Aufgrund dieses Umstands hätten sie auch über den Flughafen Beirut ausreisen können. Dagegen heißt es in der schriftlichen Aussage einer im Libanon lebenden Person, Herrn C. F. L. , die sich der Antragsteller mit der Antragsschrift zu eigen gemacht hat, dass zwei Mitglieder des Geheimdiensts der Hisbollah "nach beide Jugendliche L1. F. L. und L2. T. F. L. gefragt" hätten. Danach waren die Namen des Antragstellers und seines Bruders der Hisbollah bereits bekannt. Zudem hat der Antragsteller angegeben, dass die Hisbollah sich an einen Bekannten seines Vaters namens L2. F. L. gewandt habe, der daraufhin seinen Neffen namens C1. F. L. und dieser wiederum den Antragsteller und seinen Bruder informiert habe. Abgesehen von der Abweichung der Vornamen ("C. " - "C1. ") widerspricht auch dies der vom Antragsteller ins Verfahren eingeführten schriftlichen Aussage, wonach sich die Hisbollah direkt an die Person gewandt haben soll, die den Antragsteller und seine Familie gewarnt haben will.
35(c) Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Antragstellers ist auch sein Verhalten vor seiner Abschiebung in den Libanon im Juli 2016 zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass dem Antragsteller bekannt war, dass seine Eltern sich und ihre Kinder bei ihrer erstmaligen Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im März 1998 unter falscher Identität (z.B. Bl. 4 Beiakte 2) wahrheitswidrig als staatenlose Palästinenser aus dem Libanon ausgegeben hatten, er diese Falschangaben aber auch nach dem Erreichen der Volljährigkeit im September 2014 gegenüber den zuständigen Behörden nicht richtig gestellt hat. Dass dem Antragsteller seine wahre Identität bekannt war, schließt das Gericht daraus, dass er unter dem Namen L2. L. bei Facebook registriert war (Bl. 545 Beiakte 2). Zudem hat er es nach Aufdeckung der Identitätstäuschung über einen längeren Zeitraum pflichtwidrig unterlassen bei der Beschaffung von Passersatzpapieren mitzuwirken (z.B. Bl. 360, 366, 466/467, 489, 503 Beiakte 2).
36Bei einer Gesamtwürdigung der vorstehend dargelegten Umstände kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Angaben des Antragstellers nicht glaubhaft sind. Seine Angaben zum Kerngeschehen widersprechen den Angaben in der von ihm vorgelegten schriftlichen Erklärung des Herrn C. F. L. , auf deren Inhalt sich der Antragsteller zur Glaubhaftmachung seiner Angaben stützt. Belastbare Angaben zum zeitlichen Ablauf des berichteten Geschehens fehlen völlig; sämtliche Angaben hierzu sind vage, teilweise sind sie auch in sich widersprüchlich. Hinzu kommt das Verhalten des Antragstellers vor seiner Abschiebung in den Libanon im Juli 2016. Aus diesem Verhalten schließt das Gericht, dass der Antragsteller bereit ist, die Unwahrheit zu sagen, um seinen Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Aufgrund dessen, den aufgezeigten Widersprüchen und den vagen, nicht belastbaren Angaben zum zeitlichen Ablauf des berichteten Geschehens gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass der Antragsteller bewusst die Unwahrheit gesagt hat, um nicht erneut in den Libanon abgeschoben zu werden.
37(2) Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet aber auch dann aus, wenn das Vorbringen des Antragstellers - entgegen der Würdigung unter (1) - hinsichtlich der Teilnahme an einer Demonstration in Beirut und der Teilnahme an körperlichen Auseinandersetzungen mit Angehörigen der Hizbollah als wahr unterstellt wird. Ausgehend davon gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass dem Antragsteller zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus dem Libanon keine Gefahr seitens der Hisbollah oder eines anderen Akteurs drohte, und schließt aus, dass ihm im Falle seiner Rückkehr in den Libanon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG durch die Hizbollah oder einen anderen Akteur droht.
38Die schiitische Hisbollah ist sowohl eine politische Partei, die seit 2005 regelmäßig an der libanesischen Regierung beteiligt ist, als auch eine Miliz. Mit geschätzt bis zu 45.000 Kämpfern und einem Arsenal von rund 100.000 Raketen ist sie der libanesischen Armee militärisch überlegen. Außerdem betreibt die Hisbollah - ebenso wie andere religiöse Gruppierungen im Libanon - ein soziales Netzwerk mit Schulen, Krankenhäusern, Pflegeheimen und Unternehmen, das der Unterstützung von Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft dient und ihr die Zustimmung vieler libanesischer Schiiten sichert. Die Hochburgen der Hisbollah liegen in den südlichen Vororten von Beirut, der im Osten des Landes an der Grenze zu Syrien gelegenen Bekaa-Ebene und dem Süden des Landes. In diesen Gebieten bildet die Hisbollah eine Art Staat im Staat und nimmt dort neben sozialen und politischen Aufgaben faktisch auch die Funktionen einer Sicherheitsbehörde wahr.
39Eines der wichtigsten innenpolitischen Ziele der Hisbollah besteht darin, den erneuten Ausbruch eines Bürgerkriegs zu vermeiden. Dementsprechend setzt sie ihre Kämpfer grundsätzlich nicht in innenpolitischen Konflikten ein. Etwas anderes gilt aber dann, wenn ihre militärische Kapazität in Frage gestellt wird. Die Hisbollah wird zudem verdächtigt, in politische Morde, insbesondere die Ermordung des ehemaligen Premierministers S. I1. (2005) sowie des Hisbollah-Kritikers M. T1. , (Anfang 2021) verwickelt zu sein. Allerdings konnte der für den Fall I1. gegründete Sondergerichthof für den Libanon in seinem im August 2020 ergangenen Urteil keine Beweise für eine Urheberschaft der Hisbollah für die Ermordung I2. finden.
40Vgl. ZDFheute, Wie die Hisbollah den Libanon dominiert, 18. August 2020; AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, 4. Januar 2021, S. 7 f. und 17; CGVS, Libanon - Veiligheidssituatie, 19. Januar 2021, S. 15 f.; Reporter ohne Grenzen (RoG), Lebanese journalist found shot dead in car, 4. Februar 2021; Congressional Research Service der USA (CRS), Lebanon, 21. April 2021, S. 19 ff.
41Angesichts der vorstehend beschriebenen Rolle der Hisbollah im Libanon ist nicht ersichtlich, welches Interesse die Hisbollah an einer Tötung des Antragstellers haben sollte. Dass die Hisbollah dem Antragsteller - wie von ihm behauptet - wegen seiner Verwicklung in eine Schlägerei mit einem ihrer Mitglieder nach dem Leben trachtet, hält das Gericht auf Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel für ausgeschlossen. Dazu ist der Antragsteller in den Augen der Hisbollah viel zu unbedeutend. Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Hisbollah Personen töten lässt, die in eine Schlägerei mit einem ihrer Mitglieder verwickelt waren oder die an den regierungskritischen Demonstrationen im Libanon teilgenommen haben. Dementsprechend schließt das Gericht es aus, dass der Hisbollah-Geheimdienst oder andere Angehörige der Hizbollah den Antragsteller vor seiner Ausreise aus dem Libanon im Namen der Hisbollah gesucht haben oder ihn im Falle seiner Rückkehr in den Libanon dort nach ihm suchen werden.
42Soweit der Antragsteller einen persönlichen Racheakt der Person fürchtet, die er bei einer Demonstration geschlagen haben will, ist das Gericht davon überzeugt, dass ihm seitens dieser Person weder vor seiner Ausreise noch im Falle seiner Rückkehr in den Libanon mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr für Leib und Leben drohte bzw. droht. Nach den dem Gericht zum Libanon vorliegenden Unterlagen kann der Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure in der Regel durch Verlegung des Wohnorts außerhalb des Einflussbereichs dieser Akteure entgangen werden.
43Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon vom 4. Januar 2021, S. 17.
44Eine Verlegung seines Wohnorts im Libanon war bzw. ist beim Antragsteller noch nicht einmal erforderlich. Der Antragsteller stammt seinen eigenen Angaben zufolge aus der Gegend um die im Norden des Libanons gelegene Stadt Tripolis. Dort ist der Einfluss der Hisbollah und ihrer Mitglieder sehr gering
45- vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon vom 4. Januar 2021, S. 17 -,
46so dass nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund dem Antragsteller dort eine Gefahr seitens eines Hisbollah-Mitglieds, die er bei einer Demonstration geschlagen haben will, drohte bzw. drohen soll.
47b. Ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter steht dem Antragsteller ebenfalls nicht zu. Art. 16a AsylG bestimmt, dass politisch Verfolgte Asylrecht genießen. Der Begriff "politische Verfolgung" i.S.d. Art. 16a GG stimmt weitgehend mit dem Begriff "Verfolgung" in § 3 Abs. 1 AsylG überein. Eine solche Verfolgung ist nicht glaubhaft gemacht. Auf die Ausführungen unter a. wird Bezug genommen.
48Ein Anspruch des Antragstellers auf Anerkennung als Asylberechtigter ist zudem schon gemäß Art. 16a Abs. 2 GG und § 26a Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylG ausgeschlossen. Danach wird nicht als asylberechtigt anerkannt, wer aus einem sicheren Drittstaat i.S.d. Art. 16a Abs. 2 GG in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Sichere Drittstaaten sind gemäß Art. 16a Abs. 2 GG und § 26a Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage 1 zum Asylgesetz die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Norwegen und die Schweiz. Der Antragsteller hat anlässlich seiner Anhörung durch das Bundesamt angegeben, er sei über die Mitgliedstaaten Griechenland und Italien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
49c. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Subsidiär schutzberechtigt ist, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Als ernsthafter Schaden gelten gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). §§ 3c bis 3e AsylG gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG).
50Ein derartiger Schaden droht dem Antragsteller im Libanon nicht. Das ihm im Libanon die Todesstrafe droht, hat der Antragsteller selbst nicht vorgetragen. Die von ihm geltend gemachte unmenschliche oder erniedrigende Behandlung seitens der Hisbollah bzw. seitens einer Person, mit der er anlässlich einer Demonstration eine körperliche Auseinandersetzung gehabt haben will, ist - wie bereits unter a. dargelegt - nicht glaubhaft gemacht. Schließlich liegt im Libanon kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor, der durch einen derart hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet ist, dass im Falle der Rückkehr des Antragstellers dorthin von diesem Konflikt eine ernsthafte individuelle Gefahr für ihn ausgeht.
51Vgl. zum insoweit anzulegenden Maßstab z.B. VG Minden, Urteil vom 3. August 2020 - 1 K 664/18.A -, juris Rn. 66 ff.
52Anhaltspunkte dafür, dass der dafür erforderliche Grad willkürlicher Gewalt im Libanon auch nur ansatzweise erreicht wird, ergeben sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen nicht.
53So im Ergebnis auch VG Berlin, Urteil vom 29. August 2018 - 34 K 345.16 A -, juris Rn. 33; VG Trier, Urteil vom 28. November 2018 - 1 K 6228/17.TR -, juris Rn. 64 ff.; VG Köln, Urteil vom 11. Oktober 2019 - 20 K 11730/17.A -, juris Rn. 66 ff.; VG Göttingen, Urteil vom 30. Januar 2020 - 1 A 34/18 -, juris Rn. 37; VG Potsdam, Urteil vom 18. Juni 2020 - 8 K3961/17.A -, juris Rn. 45 f.; VG Ansbach, Urteil vom 18. August 2020 - AN 17 K 20.30137 -, juris Rn. 37 ff.; VG Bremen, Beschluss vom 8. Dezember 2020 - 1 V 1087/20 -, juris Rn. 36 ff.; VG Hamburg, Urteil vom 19. Februar 2021 - 14 A 3392/17 -, juris Rn. 33 ff.
54Ein Übergreifen des Syrienkonflikts, in welchem die Hisbollah-Milliz seit Frühjahr 2013 auf Seiten des syrischen Regimes kämpft, auf libanesisches Territorium konnte in den vergangenen Jahren weitgehend unterbunden werden. Bis August 2017 befanden sich in der Gegend um den Grenzort Arsal aus Syrien eingedrungene Kämpfer auf libanesischem Staatsgebiet. Nach länger andauernden Kämpfen, an denen sich die Hisbollah-Miliz auf Seiten der libanesischen Armee beteiligte, verließen die eingekesselten IS-Kämpfer mit ihren Familien im Rahmen einer Waffenstillstandsvereinbarung mit Bussen die umkämpfte Gegend.
55Vgl. CGVS, Libanon - Veiligheidssituatie, 27. März 2020, S. 8 f., und vom 19. Januar 2021, S. 7 f.
56In dem von der Hisbollah kontrollierten Grenzgebiet zu Israel blieb es in der jüngeren Vergangenheit weitgehend ruhig. Gegenseitiger Artilleriebeschuss Ende 2019 führte zu keiner allgemeinen Bedrohung der dortigen Bevölkerung. Die UN-Resolution 1701 vom August 2006, die zur Beendigung der damaligen Kämpfe zwischen der Hisbollah und Israel führte, wird weitgehend eingehalten.
57Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon vom 24. Januar 2020, S. 8, und vom 4. Januar 2021, S. 8; CGVS, Libanon - Veiligheidssituatie, 19. Januar 2021, S. 17 und 41; United Nations Security Council (UNSC), Implementation of Security Council Resolution 1701 (2006) during the period from 21 October 2020 to 19 February 2021, S. 1 ff.
58In den von Palästinensern bewohnten Lagern und Ansiedlungen kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen, bei denen in jüngerer Zeit aber nur noch vereinzelt Tote zu beklagen sind.
59Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon vom 24. Januar 2020, S. 8, und vom 4. Januar 2021, S. 8; CGVS, Libanon - Veiligheidssituatie, 19. Januar 2021, S. 30 ff. und 40; UNSC, Implementation of Security Council Resolution 1701 (2006) during the period from 21 October 2020 to 19 February 2021, S. 6.
60Auch gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Milizen politischer Parteien fordern vereinzelt Todesopfer. Bei Konflikten zwischen rivalisierenden Familienclans, bei denen es meist um Anteile am Drogengeschäft geht, kamen im Zeitraum Januar 2020 bis April 2021 etwa 25 Personen ums Leben.
61ACLED, A New Season of Unrest in Lebanon, 12. Mai 2021, S. 4.
62Große terroristische Anschläge, zumeist mit Autobomben, bei denen in den Jahren 2013 bis 2014 etwa 100 Personen getötet und etwa 900 Personen verletzt wurden, sind aktuell nicht mehr zu verzeichnen. Den libanesischen Sicherheitskräften gelang es, weitere Anschläge dieser Größenordnung zu verhindern. Auch wenn landesweit weiterhin mit Attentaten terroristischer Gruppen gerechnet werden muss, stehen diese Gruppen unter hohem Verfolgungsdruck der Sicherheitskräfte. Es kommt immer wieder zu Verhaftungen von Mitgliedern dieser Gruppen.
63AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon vom 24. Januar 2020, S. 8, und vom 4. Januar 2021, S. 8; CGVS, Libanon - Veiligheidssituatie, 19. Januar 2021, S. 6 f. und 41; UNSC, Implementation of Security Council Resolution 1701 (2006) during the period from 21 October 2020 to 19 February 2021, S. 6.
64Aufgrund der seit Jahren bestehenden gegenseitigen Blockade der politischen Akteure im Libanon und der sich zunehmend verschlechternden wirtschaftlichen und sozialen Lage hat sich seit Oktober 2019 eine konfessionsübergreifende Protestbewegung ("al thawra"- "Die Revolution") gebildet. Die zunächst überwiegend friedlichen Demonstrationen verliefen im Laufe des Jahres 2020 zunehmend gewalttätig. Zudem gingen die staatlichen Sicherheitskräfte immer härter gegen Demonstranten vor. Im Zeitraum von Januar bis März 2021 wurden rund 700 friedliche und rund 350 gewalttätig verlaufene Demonstrationen gezählt. Schätzungen zufolge wurden 2020 bei gewalttätig verlaufenen Demonstrationen vier Personen getötet und rund 1.000 Personen verletzt.
65CGVS, Libanon - Veiligheidssituatie, 19. Januar 2021, S. 10 f., S. 8, 10 f., 40 und 41; Insecurity Insight (InIn), Lebanon: Vigil InSight Situation Report, 13. Mai 2021, S. 4; UNSC, Implementation of Security Council Resolution 1701 (2006) during the period from 21 October 2020 to 19 February 2021, S. 8; ACLED, A New Season of Unrest in Lebanon, 12. Mai 2021, S. 2
66Insgesamt sollen im Libanon 2019 bei 544 gewaltsamen Vorfällen 20 Personen und im Zeitraum vom 1. Januar bis 12. Dezember 2020 bei 538 gewaltsamen Vorfällen 38 Personen ums Leben gekommen sein. Diese Vorfälle verteilten sich über das gesamte Land; der Anteil der zivilen Opfer liegt Erhebungen zufolge bei etwas unter 50 %.
67Vgl. CGVS, Libanon - Veiligheidssituatie, 19. Januar 2021, S. 19 ff. und 39.
68Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es in den letzten Jahren weder zu großflächigen Kampfhandlungen noch zu großen Anschlägen gekommen ist, die geeignet sind, viele Opfer unter der Zivilbevölkerung zu fordern. Derartige Ereignisse sind auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse auch in Zukunft nicht zu erwarten; eine Rückkehr zum Bürgerkrieg, der im Libanon von 1975 bis 1990 herrschte, ist derzeit nicht zu befürchten.
69Vgl. CGVS, Libanon - Veiligheidssituatie, 19. Januar 2021, S. 41; InIn, Lebanon: Vigil InSight Situation Report, 13. Mai 2021, S. 5.
70Die Explosion im Hafen von Beirut Anfang August 2020 hat nicht zu einer wesentlichen Verschlechterung der Sicherheitslage geführt.
71Ausgehend von dieser Erkenntnislage fehlt es im Libanon schon an einem internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Unabhängig davon erreicht die Sicherheitslage im Libanon hinsichtlich Intensität und Schwere offensichtlich auch nicht den nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erforderlichen Grad, der für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson erforderlich ist. Der Libanon verfügt über eine Bevölkerung von etwa 6,9 Millionen Einwohnern, darunter bis zu 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge und bis zu 200.000 palästinensische Flüchtlinge.
72Vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon vom 4. Januar 2021, S. 5.
73Im Vergleich hierzu ist die Anzahl der Personen, die im Rahmen bewaffneter Konflikte getötet oder verletzt wird, relativ gering. Dabei geht das Gericht von den vorstehend referierten Zahlen für 2019 und 2020 und zusätzlich davon aus, dass auf einen registrierten Toten zehn nicht registrierte Tote oder Verletzte kommen. Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Antragstellers oder sonstige Umstände, die wie z.B. die geografische Verteilung, die Intensität und die Dauer bewaffneter Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der beteiligten Streitkräfte oder der Grad der Aggression gegen die Zivilbevölkerung
74- vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juni 2021 - C-901/19 (CF u.a.) -, www.curia.europa.eu, Rn. 43 f. -,
75dazu führen, dass sich die von der Sicherheitslage im Libanon ausgehende allgemeine Gefahr in der Person des Antragstellers zu einer individuellen Gefahr verdichtet, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Dazu wäre erforderlich, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Antragsteller bei seiner Rückkehr in den Libanon allein durch seine Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt zu sein.
76Vgl. EuGH, Urteile vom 17. Februar 2009 - C-465/07 (Elga-faji) -, NVwZ 2009, 705, Rn. 35 und 39, vom 30. Januar 2014 - C-285/12 (Diakité) -, NVwZ 2014, 573, Rn. 30 f. (jeweils zu Art. 15 RL 2004/83/EG), und vom 10. Juni 2021 - C-901/19 (CF u.a.) -, www.curia.europa.eu, Rn. 28; BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 1 C 11.19 -, InfAuslR 2020, 363, Rn. 21.
77Dies ist hier aufgrund der geschilderten Umstände ersichtlich nicht der Fall.
78d. Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet ist ebenfalls rechtmäßig. Das Bundesamt kann sich für die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet auf § 30 Abs. 3 Nr. 6 AsylG stützen. Diese Norm bestimmt, dass ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn der Antragsteller nach §§ 53, 54 AufenthG vollziehbar ausgewiesen wurde.
79aa. § 30 Abs. 3 Nr. 6 AsylG findet weiterhin Anwendung. Die Norm ist entgegen einer in der Kommentarliteratur vertretenen Ansicht
80- vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 30 Rn. 17; Funke-Kaiser, in: GK-AsylR, § 30 Rn. 139 (Stand: Oktober 2017) -
81nicht aufgrund der Änderung der §§ 53 ff. AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) funktionslos geworden. § 30 Abs. 3 Nr. 6 AsylG enthält eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Fassung der §§ 53, 54 AufenthG.
82Vgl. Marx, AsylG, 10. Auflage 2019, § 30 Rn. 63; Schröder, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 30 AsylVfG Rn. 35.
83Zwar hat das Gesetz vom 27. Juli 2015 dem Ausweisungsrecht eine neue Struktur gegeben. Jedoch enthält § 54 AufenthG n.F. weiterhin Ausweisungstatbestände, die denen gemäß §§ 53, 54 AufenthG a.F. weitgehend gleichen. Allerdings hat sich die Funktion dieser Tatbestände verändert: Anders als vor der Gesetzesänderung geben die Ausweisungstatbestände nicht mehr vor, ob eine Person zwingend (§ 53 AufenthG a.F.) oder in der Regel (§ 54 AufenthG a.F.) auszuweisen ist, sondern bestimmen diese Ausweisungstatbestände das Gewicht des öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG n.F). Ein Grund dafür, warum an die "neuen" Ausweisungstatbestände über § 30 Abs. 3 Nr. 6 AsylG nicht genauso angeknüpft werden kann, wie an die "alten" Ausweisungstatbestände, ist nicht ersichtlich.
84Wie hier Schröder, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 30 AsylVfG Rn. 35.
85Unionsrecht steht dem nicht entgegen. Ob der im jeweiligen Einzelfall von der Ausländerbehörde in Bezug genommene Ausweisungstatbestand den unionsrechtlichen Vorgaben (dazu sogleich) genügt, hat das Bundesamt im jeweiligen Verfahren gesondert zu prüfen.
86bb. § 30 Abs. 3 Nr. 6 AsylG steht auch mit Unionsrecht in Einklang. Die Norm lässt sich auf Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 lit. j Alt. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Verfahrensrichtlinie, im Folgenden: RL 2013/32/EU) stützen. Nach diesen Normen können die Mitgliedstaaten einen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ablehnen, wenn der Antragsteller aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung nach nationalem Recht zwangsausgewiesen wurde. Dementsprechend ist § 30 Abs. 3 Nr. 6 AsylG unionsrechtskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass nicht jede vollziehbare Ausweisung die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet rechtfertigt, sondern die Ausweisung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung erfolgt sein muss.
87Vgl. Schröder, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 30 AsylVfG Rn. 35.
88Hierbei hat sich das Bundesamt an dem in der Ausweisungsverfügung angeführten Ausweisungsinteresse zu orientieren. Maßgeblich ist die Rechtsgrundlage, auf die die Ausweisung gestützt ist, eine eigene ausländerrechtliche Beurteilung ist dem Bundesamt verwehrt.
89Vgl. Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Mai 2021, § 30 AsylG, Rn. 97; Marx, AsylG, 10. Auflage 2019, § 30 Rn. 63; Schröder, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 30 AsylVfG Rn. 35.
90Dagegen folgt aus Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 lit. j Alt. 2 RL 2013/32/EU nicht, dass im asylrechtlichen Verfahren in jedem konkreten Einzelfall (nochmals) eine (schwerwiegende) Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Adressat der Ausweisungsverfügung festgestellt werden muss. Der abweichenden Ansicht von Funke-Kaiser
91- vgl. GK-AsylG, § 30 Rn. 138 (Stand: Oktober 2017) -
92ist nicht zu folgen. Diese Einschränkung findet schon keine Stütze im Wortlaut des Art. 31 Abs. 8 lit. j Alt. 2 RL 2013/32/EU, wonach es allein darauf ankommt, dass der Antragsteller "aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung nach nationalem Recht zwangsausgewiesen wurde". Anhaltspunkte für die Erforderlichkeit einer (nochmaligen) Prüfung des Ausweisungsgrundes durch die für den Vollzug des Asylrechts zuständige Behörde lassen sich dem nicht entnehmen. Gegen die von Funke-Kaiser vertretene Ansicht spricht zudem der systematische Vergleich mit Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 lit. j) Alt. 1 RL 2013/32/EU. Nach diesen Normen können die Mitgliedstaaten einen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ablehnen, wenn es schwerwiegende Gründe für die Annahme gibt, dass der Antragsteller eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des Mitgliedstaats darstellt. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat die für den Vollzug des Asylrechts zuständige Behörde eigenständig zu prüfen. Der Grund für den Unterschied zwischen den beiden Tatbestandsalternativen des Art. 31 Abs. 8 lit. j) RL 2013/32/EU liegt darin, dass im Falle der Alt. 2 - anders als im Falle der Alt. 1 - die Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder die öffentliche Ordnung bereits von einer anderen Behörde, nämlich der für den Erlass der Ausweisungsverfügung zuständigen Ausländerbehörde geprüft wurde, gegen deren Entscheidung gesondert gerichtlicher Rechtsschutz erlangt werden kann.
93cc. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 6 AsylG liegen hier vor.
94(1) Die Ausländerbehörde der Stadt N. hat den Antragsteller mit Bescheid vom 10. Oktober 2019 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Dieser Bescheid ist dem Antragsteller gegenüber wirksam geworden (Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG); insbesondere ist dieser Bescheid dem Antragsteller ordnungsgemäß durch öffentliche Zustellung bekannt gegeben worden (Art. 41 Abs. 1 und 5 BayVwVfG i.V.m. Art. 15 BayVwZVG). Die öffentliche Zustellung ist entsprechend den Vorgaben des Art. 15 Abs. 2 BayVwVZG erfolgt; diesbezüglich wird auf Bl. 1369 der Beiakte 2 Bezug genommen. Die Ausländerbehörde durfte eine öffentliche Zustellung sowohl auf Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 als auch auf Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BayVwZVG stützen. Danach kann die Zustellung u.a. dann durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist (Nr. 1) oder die Zustellung im Fall des Art. 14 (Zustellung im Ausland) nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht (Nr. 4).
95Der Ausländerbehörde lag zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausweisungsbescheids vom 10. Oktober 2019 keine aktuelle Anschrift des Antragstellers vor. Zudem hatte er weder einen Familienangehörigen oder eine andere Person als Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten benannt und hatten die vom Antragsteller früher mit seiner Vertretung bevollmächtigten Rechtsanwaltskanzleien kurz vor Erlass des Ausweisungsbescheids auf Anfrage der Ausländerbehörde erklärt, dass das Mandat beendet sei (Bl. 1325 und 1334 Beiakte 2). Da der Ausländerbehörde keine aktuelle Anschrift des Antragstellers im Libanon vorlag, war eine Zustellung im Ausland schon aus diesem Grund nicht möglich.
96Mit Schreiben vom 3. März 2015 (Bl. 324 Beiakte 2) teilte der damalige Bevollmächtigte des Antragstellers der Ausländerbehörde unter dem Betreff "F. -L. L2. T. " u.a. mit:
97"Die Adresse lautet F. L. , B. . in U. -F. N1. "
98Um was für eine Adresse es sich hierbei handelt, lässt sich dem Schreiben nicht entnehmen. Die Ausländerbehörde ging im Mai 2016 (Bl. 506 Beiakte 2) davon aus, dass es sich bei dieser Adresse um die letzte Wohnanschrift des Antragstellers im Heimatland handelte. Da der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt noch in Deutschland lebte, ging die Antragsgegnerin somit davon aus, dass es sich bei dieser Adresse um die Adresse handelte, unter der die Eltern des Antragstellers mit diesem und seinen Geschwistern vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im März 1998 im Libanon wohnten. Zu dieser Annahme bestand deshalb Anlass, weil der Antragsteller im Februar 2015 in einem Selbstauskunftsbogen "OO-N2. , Libanon" als letzte Wohnanschrift im Heimatland angegeben hatte (Bl. 332 Beiakte 2).
99Am 17. August 2017 teilte Rechtanwalt Sch., N. , auf Nachfrage der Ausländerbehörde mit, dass er die Schwester des Antragstellers nach dessen Adresse gefragt habe. Diese habe ihm nicht geantwortet, er glaube auch nicht, dass er weitergehende Informationen erhalten werde (Bl. 646 Beiakte 2). Mitte Juni 2018 zeigte Rechtsanwalt B., N. , bei der Ausländerbehörde an, das er "Herrn L1. F. L. , L3. /Libanon" vertrete (Bl. 655 Beiakte 2).
100Damit lag der Ausländerbehörde im Oktober 2019 keine aktuelle Anschrift des Antragstellers vor. Es lag ihr lediglich eine Anschrift vor, unter der der Antragsteller mutmaßlich zuletzt 1998 gewohnt hatte. Anhaltspunkte dafür, dass er nach seiner Abschiebung im Juli 2016 wieder unter dieser Adresse wohnte, lagen der Ausländerbehörde nicht vor. Vielmehr wies das anwaltliche Schreiben von Mitte Juni 2018 darauf hin, dass er an einem anderen Ort im Libanon ("L3. ") wohnen könnte. Für diesen Ort lag der Ausländerbehörde aber keine vollständige Adresse vor (Straße, ggf. Hausnummer o.ä.) vor, allein der Ort, zudem ohne Postleitzahl oder Region, reicht als Anschrift nicht aus. Die Ausländerbehörde war auch nicht zu weiteren Erkundigungen verpflichtet. Insbesondere war sie nicht verpflichtet sich diesbezüglich an seine in Deutschland lebenden Verwandten zu wenden. Dies hatte sie - wie bereits dargelegt - schon im August 2017 ohne Erfolg versucht.
101(2) Die Ausweisung ist vollziehbar. Der Antragsteller hat gegen die ihm ordnungsgemäß bekannt gegebene Ausweisung keine Klage erhoben. Er wurde auch aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgewiesen. Die Ausländerbehörde hat die Ausweisung u.a. auf § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gestützt (Bl. 1336 ff. Beiakte 2). Nach dieser Norm wiegt das Ausweisungsinteresse besonders schwer, wenn ein Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist u.a. auch dann auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat. Dieser Ausweisungsgrund stellt einen schwerwiegenden Grund i.S.d. Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 8 lit. j Alt. 2 RL 2013/32/EU dar. Ob die Voraussetzungen des von der Ausländerbehörde in Bezug genommenen Ausweisungsgrundes vorliegen ist - wie bereits dargelegt - im asylrechtlichen Verfahren nicht weiter zu prüfen. Dadurch wird der Antragsteller nicht rechtsschutzlos gestellt, da er Rechtsmittel gegen die Ausweisungsverfügung einlegen konnte.
1022. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG stehen der Abschiebung des Antragstellers in den Libanon nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller im Libanon landesweit
103- vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 1 C 3.11 -, juris Rn. 34, sowie Beschluss vom 15. September 2006 - 1 B 116.06 -, juris Rn. 4 -
104eine Verletzung seiner durch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198; Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) geschützten Rechte oder eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht.
105a. Insbesondere ist das Gericht davon überzeugt, dass es dem Antragsteller im Libanon - wie bereits in den Jahren vor seiner Ausreise - ungeachtet der dort derzeit bestehenden Wirtschaftskrise gelingen wird, sein wirtschaftliches Existenzminimum zu sichern. Der Antragsteller, seine Eltern und zwei Geschwister von ihm haben seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt zufolge im Libanon von finanziellen Zuwendungen weiterer Geschwister gelebt. Anhaltspunkte dafür, dass diese die Unterstützung ihrer Eltern und Geschwister in Zukunft einstellen werden, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
106Darüber hinaus kann der Antragsteller im Falle seiner freiwilligen Rückkehr in den Libanon über das Government Assisted Repatriation Programme (GARP) eine Starthilfe von 1.000,- € erlangen.
107Vgl. Bundesamt, Freiwillige Rückkehr mit REAG/GARP (Stand: Januar 2020) abrufbar unter https://files.returningfromgermany. de/files/200213_REAG_GARP_deutsch.pdf (abgerufen am 30. April 2021).
108b. Gesundheitliche Gründe für die Feststellung eines Abschiebungsverbots liegen ebenfalls nicht vor. Der Antragsteller ist seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt zufolge nicht ernsthaft erkrankt, insbesondere benötigt er seinen Angaben zufolge keine Medikamente. Die weltweite COVID-19-Pandemie führt zu keinem anderen Ergebnis. Die 7-Tage-Inzidenz betrug für den Libanon am 18. Juni 2021 10,4
109- vgl. https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/libanon/ -;
110dies liegt nur unwesentlich über dem am selben Tag für Deutschland registrierten Wert von 10.
111Vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Corona virus/Fallzahlen.html.
112Bei einer Infektionsrate wie derzeit im Libanon ist es zudem nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sich der Antragsteller in absehbarer Zeit mit dem Virus ansteckt. Des Weiteren gehört der knapp 25-jährige Antragsteller nicht zur Gruppe der Personen, die nach bisherigen Erkenntnissen ein höheres Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Krankheitsverlauf haben, so dass eine mögliche Infektion bei ihm zum allgemeinen Lebensrisiko gehört.
113c. Etwaige familiäre Bindungen des Antragstellers in Deutschland führen ebenfalls nicht zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG. Es ist höchstrichterlich geklärt, dass das Bundesamt und anknüpfend daran auch die gerichtliche Überprüfung der Entscheidung des Bundesamts auf die Prüfung und Feststellung sog. zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkt sind und dass die Prüfung sog. inlandsbezogener Abschiebungsverbote, zu denen auch die rechtliche Zulässigkeit der Trennung von Familienangehörigen gehört, der Ausländerbehörde obliegt.
114Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 -, BVerwGE 109, 305 (juris Rn. 14 f.); OVG NRW, Urteile vom 26. Februar 2013 - 9 A 1413/06.A -, juris Rn. 106, und vom 23. April 2021 - 19 A 810/16.A -, juris Rn. 92 ff..
1153. Ein Aufenthaltstitel steht dem Antragsteller schon deshalb nicht zu, weil sämtliche ggf. früher bestehenden Aufenthaltstitel mit seiner Ausweisung gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG erloschen sind.
1164. Die Abschiebungsandrohung ist auch ansonsten nicht zu beanstanden, insbesondere sind die formellen Voraussetzungen der §§ 34 AsylG, 59 und 60 Abs. 10 AufenthG gewahrt. Den unionsrechtlichen Vorgaben, die der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner "Gnandi"-Entscheidung vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - aufgestellt hat, ist die Antragsgegnerin durch die Aussetzung der Vollziehung bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht nachgekommen.
117Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 - 1 C 19.19 -, Inf-AuslR 2020, 297, Rn. 54 ff.
118Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
119Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).