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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Die Klägerin stellt in ihrem Betrieb in W. Fleischerzeugnisse her, die sie über den Lebensmitteleinzelhandel bundesweit vertreibt. Davon umfasst ist unter anderem das nachfolgend abgebildete Erzeugnis „Geflügel Salami“. Die Bezeichnung befindet sich auf der transparenten Vorderseite der Fertigpackung, die in den Verkaufsregalen der Einzelhändler ohne Herausnahme der Packung zu sehen ist und die aufgefächerte Salamischeiben erkennen lässt (Abb. 1). Ansonsten befindet sich auf dieser Seite der Verpackung nur noch ein Logo der Klägerin („X. N. H. “). Auf der Rückseite der Verpackung (Abb. 2) findet sich – über der Zutatenliste – die fettgedruckte Bezeichnung „Geflügel-Salami“ und darunter in kleinerer Schriftgröße und ohne Fettdruck der Zusatz „mit Schweinespeck". Die Zutatenliste umfasst 13 Zutaten. An zweiter Stelle – nach Putenfleisch – ist Schweinespeck aufgeführt. An die Zutatenliste anschließend findet sich der Hinweis: „100 g Salami, hergestellt aus 124 g Putenfleisch und 13 g Schweinespeck.“ Auf der Rückseite befinden sich ferner weitere Angaben zu dem Lebensmittel, beispielsweise zu Nährwerten und der Mindesthaltbarkeit (vgl. auch die folgenden Abbildungen).
3Abbildung 1
4Abbildung 2
5In der Zeit vom 13. Februar 2017 bis zum 29. Juni 2017 gingen bei dem Beklagten insgesamt vier Beanstandungen des Erzeugnisses ein. Das g. Landeslabor H1. rügte in seinem Prüfbericht vom 21. Oktober 2016 die Verwendung unterschiedlicher Verkehrsbezeichnungen auf der Verpackung. Dadurch sei es dem Verbraucher nicht möglich, die Art des Produktes zweifelsfrei zu erkennen und anhand der Produktbezeichnung eine sachkundige Wahl zu treffen. Die Verwendung unterschiedlicher Verkehrsbezeichnungen sei als irreführend und zur Täuschung geeignet zu beurteilen (Bl. 21 BA 002). Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt P. -M. (P.) führte in seinen Prüfberichten vom 23. Mai 2017 sowie vom 9. Juni 2017 aus, die unterschiedlichen Bezeichnungen widersprächen sich und seien damit irreführend. Bei der Bezeichnung „Geflügel Salami“ erwarte der Verbraucher nicht die Verwendung von Schweinespeck, die im Rahmen der anderen Bezeichnung beschrieben werde (Bl. 28 und 65 BA 002).
6Der Beklagte wurde zudem von dem Verbraucherzentrale O. e.V. über eine Verbraucherbeschwerde hinsichtlich des oben genannten Erzeugnisses informiert. Der Verbraucher habe sich dadurch getäuscht gesehen, dass auf der Sichtseite der Verpackung keinerlei Anhaltspunkte für die Verwendung von Schweinefleisch enthalten seien. Dieser Bewertung schloss sich der Verein an (Bl. 52 ff. BA 002). Eine ähnliche Beschwerde lag auch bei dem Verbraucherzentrale I. e.V. vor (Bl. 58 BA 002).
7Mit Schreiben vom 29. September 2017 wandte sich der Beklagte an die Klägerin und leitete gegen die drei Geschäftsführer der Komplementär-GmbH unter Bezugnahme auf die oben genannten Beanstandungen ein Ordnungswidrigkeitenverfahren ein. Neben dem oben genannten Produkt betraf das Ordnungswidrigkeitenverfahren auch das Produkt „Bio Geflügelsalami“/„Bio Geflügelsalami mit Pflanzenfett“. Die widersprüchlichen Verkehrsbezeichnungen auf der Vorder- und Rückseite der Fertigpackung seien zur Irreführung des Verbrauchers geeignet. Daher sei ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission (Lebensmittelinformationsverordnung – LMIV) i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB gegeben.
8Unter dem 21. November 2017 beantragte die Klägerin gegenüber dem Beklagten die Aussetzung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens aufgrund einer beim erkennenden Gericht erhobenen Klage. Der Beklagte kam diesem Begehren nach und setzte das Ordnungswidrigkeitenverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aus.
9Die Klägerin hat am 24. November 2017 Klage erhoben.
10Zur Begründung führt sie aus, die Klage sei als Feststellungsklage zulässig. Durch die Einleitung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens lägen eine hinreichend verdichtete und streitige Rechtsbeziehung ebenso wie das erforderliche Feststellungsinteresse vor. Es sei als schutzwürdig anzuerkennen, dass sie den fachspezifischen Verwaltungsrechtsweg einschlagen wolle, obwohl die zu prüfende lebensmittelrechtliche Fragestellung auch im Bußgeldverfahren zu behandeln sei.
11Die Klage sei auch begründet. Die Angabe „mit Schweinespeck“ auf der Rückseite der Verpackung sei kein elementarer Bestandteil der Bezeichnung des Lebensmittels. Es handele sich um eine freiwillige Angabe, zu der keine rechtliche Verpflichtung bestehe. Nach der Verkehrsauffassung, die auch in den aktuellen Leitsätzen für Fleisch und Fleischerzeugnisse des deutschen Lebensmittelbuches beschrieben werde, sei bei Fleischerzeugnissen, in deren Bezeichnung des Lebensmittels – wie hier – auf die Verwendung von Geflügel hingewiesen werde, ein Hinweis auf die Verwendung anderer Tierarten - auf die Verwendung des Schweinespecks - in der Bezeichnung des Erzeugnisses nicht grundsätzlich erforderlich. Nur bei der Verwendung von „Fleisch" anderer Tierarten im Sinne von Skelettmuskulatur mit anhaftendem oder eingelagertem Fett- und Bindegewebe sowie eingelagerten Lymphknoten, Nerven, Gefäßen und Schweinespeicheldrüsen sei ein entsprechender Hinweis in die Bezeichnung des Erzeugnisses aufzunehmen. Sofern das Erzeugnis nicht unter der Verwendung von „Fleisch“ in diesem Sinne, sondern – wie hier – lediglich von sonstigen genusstauglichen Teilen anderer Tierarten hergestellt werde, sei ein Hinweis in der Bezeichnung nicht erforderlich. Dies sei nach den oben genannten Leitsätzen auch hinsichtlich Rinder- und Schweinefleischerzeugnissen der Fall. Lediglich dann, wenn derartige Erzeugnisse als „rein“ oder mit vergleichbaren Hinweisen, wie beispielsweise „100 % …fleisch“ vertrieben würden, dürfe ausschließlich das in der Angabe genannte Fleisch verwendet werden. In diesem Fall könne z.B. ein Geflügelfleischerzeugnis wie ein Geflügel Wiener Würstchen nicht in einen Schafsaitling gefüllt werden. Sofern eine derartige Auslobung nicht erfolge, sei dies aber möglich, weshalb auch hier der Schweinespeck ohne besonderen Hinweis in der Bezeichnung zur Herstellung des streitgegenständlichen Erzeugnisses verwendet werden dürfe. Dies sähen auch Mitglieder der Lebensmittelbuch-Kommission, Sachkenner aus den Fachausschüssen der Lebensmittelbuch-Kommission, die die Beschlüsse der Kommission vorbereitet hätten, sowie weitere Sach- und Rechtskundige so. Zudem verfolge der Beklagte seine gegenteilige Auffassung nicht konsequent, da in seinem Zuständigkeitsbereich andere vergleichbare Produkte unbeanstandet geblieben seien. Selbst wenn die Angabe „mit Schweinespeck“ unerlässlicher Teil der Verkehrsbezeichnung sei, komme es zu keiner Irreführung. Es existiere keine Verpflichtung, die Verkehrsbezeichnung auf zwei Seiten der Verpackung einheitlich anzugeben. Sie – die Klägerin - erfülle die ihr obliegenden Informationspflichten auf der Lebensmittelverpackung. Sofern die Bezeichnung eines Lebensmittels unter bestimmten Voraussetzungen zu ergänzen sei, beispielsweise durch die Angabe „aufgetaut“, reiche es aus, wenn dieser Hinweis auf der Verpackungsrückseite angebracht sei. Dafür spreche auch der Wortlaut der entsprechenden Vorschrift, da die Bezeichnung des Lebensmittels „an einer gut sichtbaren Stelle deutlich, gut lesbar und gegebenenfalls dauerhaft anzubringen“ sei. Diese Verpflichtung könne auch auf der Rückseite der Verpackung erfüllt werden. Es könne vom Verbraucher erwartet werden, dass er nicht nur das Schauetikett isoliert betrachte, sondern auch das Rückseitenetikett in Augenschein nehme. Sofern sich der Verbraucher für die Zusammensetzung des Produkts interessiere, sei es ihm zuzumuten, in das Zutatenverzeichnis zu schauen. Dort – und bereits über dem Zutatenverzeichnis als freiwillige Angabe – finde sich ebenfalls der Hinweis auf den verwendeten Schweinespeck. Die Bezeichnung des Lebensmittels müsse auch nicht im Hauptsichtfeld - verstanden als die Packungsvorderseite - erscheinen. Sie habe auch keine üblicherweise verwendete Zutat ersetzt. Da es sich bei einer Salami um ein eher fettreiches Fleischerzeugnis handele und Geflügelfleisch nicht den erforderlichen Fettgehalt aufweise, müsse einer Geflügelsalami gesondert Fett zugesetzt werden. Dies mache eine Geflügelsalami jedoch nicht zu einem Imitat eines traditionellen Erzeugnisses.
12Die Klägerin beantragt,
13festzustellen, dass das Erzeugnis „Geflügel Salami“ / „Geflügelsalami mit Schweinespeck“, das Gegenstand der Beanstandung des Beklagten vom 29. September 2017 ist, in objektiver Hinsicht nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 i.V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB verstößt.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Es seien auf der Vorder- und Rückseite des Erzeugnisses zwei unterschiedliche Verkehrsbezeichnungen gegeben, was wegen der widersprüchlichen Bezeichnungen geeignet sei, den Verbraucher irrezuführen. Dies hätten auch die beanstandenden Untersuchungseinrichtungen so gesehen. Auch nach der Einleitung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens habe es in dieser Hinsicht mehrere Beanstandungen des Erzeugnisses gegeben. Im Hauptsichtfeld der Verpackung könne der Verbraucher nicht erkennen, dass die Salami nicht ausschließlich aus Geflügelfleisch und Geflügelfett bestehe. Dies könne er erst nach Herausnahme aus dem Verkaufsregal und nach dem Umdrehen der Verpackung. Die Klägerin treffe hier die Pflicht zur Erweiterung der Verkehrsbezeichnung, da sie vor allem über die Zusammensetzung des Lebensmittels informieren müsse. Da hier eine Zutat, von der der Verbraucher erwarte, dass sie normalerweise verwendet werde, durch eine andere Zutat ersetzt worden sei, sei zusätzlich zum Zutatenverzeichnis dieser Umstand in unmittelbarer Nähe zum Produktnamen kenntlich zu machen. Die Irreführung ergebe sich daraus, dass der Verbraucher die Verwendung der Zutat Schweinespeck nicht erwarte. Dabei komme den Leitsätzen des deutschen Lebensmittelbuches eine hohe Relevanz zu. Die Vorgaben dort seien so eindeutig, dass es keiner Auslegung bedürfe. Fleischerzeugnisse und Erzeugnisse mit einem Zusatz von Fleisch oder Fleischerzeugnissen, in deren Bezeichnung des Lebensmittels auf die Verwendung von Geflügel hingewiesen werde, würden ausschließlich aus Teilen der Tierart Huhn und/oder Pute (= Truthahn) hergestellt. Würden Geflügelfleischerzeugnisse unter Mitverwendung von anderen Tierarten hergestellt, werde auf diese Tierart in der Bezeichnung des Lebensmittels hingewiesen. Dieser Hinweis müsse im Hauptsichtfeld, welches die Vorderseite der Verpackung darstelle, angebracht sein. Der Hinweis auf der Rückseite sei nicht gesetzlich verpflichtend. Da sich die Klägerin aber entschieden habe, die Verkehrsbezeichnung auf der Vorder- und Rückseite der Verpackung anzubringen, müssten diese identisch sein.
17Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten.
18Entscheidungsgründe:
19Die Feststellungsklage ist zulässig, aber unbegründet.
20A) Die Feststellungsklage ist gemäß § 43 VwGO zulässig.
21Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage unter anderem die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können, § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
22Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer (natürlicher oder juristischer) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft derer eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht. Rechtliche Beziehungen eines Beteiligten zu einem anderen haben sich dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist.
23Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 20. November 2014 - 3 C 26.13 -, juris Rn. 12 m.w.N.
24Von einer derartigen Verdichtung ist hier auszugehen. Der Beklagte betreibt ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Klägerin und macht dabei einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) LMIV wegen des im Klageantrag benannten Erzeugnisses geltend.
25Das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse ist wegen des bereits eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahren geben. Unter diesen Umständen hat die Klägerin ein schutzwürdiges Interesse daran, die streitige Frage in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu klären.
26Vgl. OVG O. , Urteil vom 31. Januar 1996 - 13 A 6644/95 -, juris Rn. 3 ff.; VG Minden, Urteil vom 29. August 2006 - 6 K 1126/05 -, juris Rn. 15; VG Osnabrück, Urteil vom 11. Dezember 2018 - 3 A 213/17 -, S. 5 f. d. amtl. Abdrucks, n.v.; VG Minden, Urteil vom 13. Mai 2019 - 7 K 2453/17 - S. 7 f. d. amtl. Abdrucks, n.v.
27Die Feststellungsklage ist nicht durch § 43 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen, weil der Beklagte bisher keine verwaltungsrechtlichen Maßnahmen ergriffen hat, gegen die eine Anfechtungsklage der Klägerin möglich wäre. Auch die Möglichkeit einer vorrangigen Verpflichtungsklage ist nicht ersichtlich.
28Vgl. VG Minden, Urteil vom 29. August 2006 - 6 K 1126/05 -, juris Rn. 17; VG Osnabrück, Urteil vom 11. Dezember 2018 - 3 A 213/17 -, S. 6 d. amtl. Abdrucks, n.v.; VG Minden, Urteil vom 13. Mai 2019 - 7 K 2453/17 - S. 8 d. amtl. Abdrucks, n.v.
29B) Die Klage ist unbegründet. Das im Klageantrag bezeichnete Erzeugnis verstößt gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) LMIV, weshalb der Klägerin kein Anspruch auf die begehrte Feststellung zusteht.
30Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung.
31Bei der Beurteilung, ob Informationen über Lebensmittel irreführend sind, ist auf die mutmaßliche Erwartung eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen, die dieser in Bezug auf den Ursprung, die Herkunft und die Qualität des Lebensmittels hegt, wobei es hauptsächlich darauf ankommt, dass der Verbraucher nicht irregeführt und nicht zu der irrtümlichen Annahme verleitet wird, dass das Erzeugnis einen anderen Ursprung, eine andere Herkunft oder eine andere Eigenschaft als in Wirklichkeit hat.
32Vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 - C-195/14 -, juris Rn. 36; BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2012 - 3 B 87.11 -, juris, Rn. 4.
33Hinsichtlich der Irreführungsgefahr kommt es darauf an, wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die fragliche Angabe wahrscheinlich auffassen wird. Maßgeblich ist damit die Verkehrsauffassung. Diese kann vom Gericht auch in eigener Sachkunde beurteilt werden, wenn es sich um einen Begriff handelt, dessen Verständnis in einem bestimmten Sinn einfach und naheliegend ist, die Richter selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören und sich die Angabe auf Gegenstände des allgemeinen Bedarfs bezieht.
34Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 11. Mai 2017 - 20 B 16.203 -, juris Rn. 44 m.w.N.
35Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
36Des Weiteren ist festzuhalten, dass das Zutatenverzeichnis Aufklärung bewirken und Irrtümer vermeiden kann, wenn es zur Kenntnis genommen wird. Dabei ist davon auszugehen, dass Verbraucher, die sich in ihrer Kaufentscheidung nach der Zusammensetzung der Erzeugnisse richten, zunächst das Zutatenverzeichnis lesen.
37Vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 - C-195/14 -, juris Rn. 37 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 2000 - 1 B 45.00 -, juris Rn. 8.
38Ein Zutatenverzeichnis kann jedoch für sich allein nicht ausschließen, dass die Informationen über ein Lebensmittel auf dessen Verpackung und die Art und Weise, in der sie dort angebracht sind, geeignet sein können, den Käufer irrezuführen. In der Praxis kommt es vor, dass einige der verschiedenen Informationen über Lebensmittel unwahr, falsch, mehrdeutig, widersprüchlich oder unverständlich sind. Ist dies der Fall, kann das Verzeichnis der Zutaten, auch wenn es richtig und vollständig ist, in bestimmten Fällen gleichwohl nicht geeignet sein, einen falschen oder missverständlichen Eindruck des Verbrauchers bezüglich der Eigenschaften eines Lebensmittels zu berichtigen, der sich aus den anderen Elementen der auf der Verpackung befindlichen Informationen über dieses Lebensmittels ergibt. Bei der Prüfung einer Irreführung sind daher unter anderem die verwendeten Begriffe und Abbildungen sowie Platzierung, Größe, Farbe, Schriftart, Sprache, Syntax und Zeichensetzung der verschiedenen Elemente auf der Verpackung des Lebensmittels zu berücksichtigen.
39Vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 - C-195/14 -, juris Rn. 38 ff., zur Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür.
40Nach diesen Maßstäben sind die auf der Verpackung des streitgegenständlichen Erzeugnisses befindlichen Informationen nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) LMIV irreführend – wobei hier unterstreitig ein Lebensmittel im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) LMIV i.V.m. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (Basis-VO) vorliegt und damit in den Angaben auf der Verpackung auch „Informationen über Lebensmittel“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a) LMIV zu sehen sind.
41Die Bezeichnung des Lebensmittels „Geflügel Salami“ ist fehlerhaft, da der Verbraucher in nicht zutreffender Weise erwartet, das Produkt enthalte nur Geflügel (I.). Durch die Platzierung dieser fehlerhaften Bezeichnung des Lebensmittels im Hauptsichtfeld der Verpackung und den Widerspruch zu den korrekten Informationen über das Lebensmittel auf der Rückseite der Verpackung ist eine Irreführung der Verbraucher über die Eigenschaften des Lebensmittels gegeben (II.). Dass möglicherweise andere vergleichbare Produkte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten bislang unbeanstandet geblieben sind, verhilft der Klage nicht zum Erfolg (III).
42I. Durch die Bezeichnung des Lebensmittels als „Geflügel Salami“ ohne den nur auf der Rückseite befindlichen Zusatz „mit Schweinespeck“ wird die Klägerin den Anforderungen der LMIV nicht gerecht. Insbesondere handelt es sich bei dem Zusatz nicht nur um eine freiwillige Angabe.
43Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) LMIV sieht vor, dass nach Maßgabe der Art. 10 bis 35 LMIV und vorbehaltlich etwaiger Ausnahmen des Kapitels IV LMIV die Angabe der Bezeichnung des Lebensmittels verpflichtend ist. Gemäß Art. 17 Abs. 1 LMIV wird ein Lebensmittel mit seiner rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung bezeichnet. Fehlt eine solche, so wird das Lebensmittel mit seiner verkehrsüblichen Bezeichnung oder, falls es keine verkehrsübliche Bezeichnung gibt oder diese nicht verwendet wird, mit einer beschreibenden Bezeichnung bezeichnet. Eine rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. n) LMIV ist nicht ersichtlich, weshalb vorrangig auf die verkehrsübliche Bezeichnung nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. o) LMIV zurückzugreifen ist. Nach dieser Vorschrift ist die verkehrsübliche Bezeichnung eine Bezeichnung, die von den Verbrauchern in dem Mitgliedstaat, in dem das Lebensmittel verkauft wird, als Bezeichnung dieses Lebensmittel akzeptiert wird, ohne dass eine weitere Erläuterung notwendig wäre.
44Eine wesentliche Auslegungshilfe zur Ermittlung dieser Verbrauchererwartung sind die im Deutschen Lebensmittelbuch niedergelegten Leitsätze nach § 15 LFGB, hier die Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse, Neufassung vom 25. November 2015, zuletzt geändert durch die Bekanntmachung vom 17. April 2019 (abrufbar unter https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ernaehrung/Lebensmittelbuch/LeitsaetzeFleisch.pdf?__blob=publicationFile; zuletzt aufgerufen am 22. Januar 2020; im Folgenden: Leitsätze). Diese Leitsätze sind keine Rechtsnormen und daher als solche nicht rechtsverbindlich; sie sind „Sachverständigengutachten von besonderer Qualität“ und wesentliche Hilfen zur Feststellung einer bestehenden allgemeinen Verkehrsauffassung und damit auch einer Verbrauchererwartung. Als solche begründen sie eine Vermutungswirkung dafür, was der Verbraucher von einem nach Herstellung, Beschaffenheit und sonstigen Merkmalen in den Leitsätzen beschriebenen Lebensmittel erwartet.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 3 C 18.87 -, juris Rn. 34; OVG O. , Beschluss vom 16. November 2010 - 13 A 2109/10 -, juris Rn. 13 m.w.N.; VG Minden, Urteil vom 13. Mai 2019 - 7 K 2453/17 - S. 14 d. amtl. Abdrucks, n.v.; Grube, in: Voit/Grube, LMIV, 2. Auflage 2016 Art. 17 Rn. 73.
46Unter I.2.11.4 der Leitsätze wird ausgeführt:
47„Fleischerzeugnisse und Erzeugnisse mit einem Zusatz von Fleisch oder Fleischerzeugnissen, in deren Bezeichnung des Lebensmittels auf die Verwendung von Geflügel hingewiesen wird, werden ausschließlich aus Teilen der Tierarten Huhn und/oder Pute (= Truthuhn) hergestellt. Hühnerfleisch und Putenfleisch sind gegeneinander austauschbar, soweit sich aus den Leitsätzen nichts Gegenteiliges ergibt.
48Die ausschließliche oder teilweise Verwendung von Teilen anderer Vögel als Huhn und Pute wird in der Bezeichnung des Lebensmittels angegeben, z. B. ‚Straußenlyoner‘, ‚Geflügellyoner mit 5 % Straußenfleisch‘, ‚Geflügellyoner mit Entenfleisch‘ oder ‚Geflügellyoner mit 8 % Entenfleisch‘.
49Werden Geflügelfleischerzeugnisse unter Mitverwendung von anderen Tierarten hergestellt, wird auf diese Tierart in der Bezeichnung des Lebensmittels hingewiesen, z.B. ‚Geflügel-Wiener Würstchen mit Rindfleisch‘, ‚Puten-Leberwurst mit 20 % Schweinefleisch‘.“
50Da das hier streitgegenständliche Lebensmittel unter Mitverwendung von anderen Tierarten als Geflügel im Sinne von Huhn bzw. Pute hergestellt wurde – nämlich 13 g Schweinespeck – ist in die Bezeichnung des Lebensmittels ein dies zum Ausdruck bringender Hinweis aufzunehmen. Dabei kann angenommen werden, dass der Zusatz „mit Schweinespeck“ der Hinweispflicht nach I.2.11.4 Abs. 3 der Leitsätze genügt. Weil der entsprechende Zusatz aber auf der Vorderseite der Verpackung fehlt, ist die dortige Bezeichnung – noch ungeachtet der unten behandelten Frage, inwieweit die insofern unterschiedlichen Angaben auf Vorder- und Rückseite zulässig sind – im Hinblick auf die Verkehrsauffassung und die Verbrauchererwartung unzureichend.
51Die von der Klägerin vorgebrachten Einwendungen gegen diese Sichtweise greifen nicht durch. Die Ausführungen in den Leitsätzen sind so zu verstehen, dass bei Geflügelfleischerzeugnissen, in deren Bezeichnung auf die Verwendung von Geflügel hingewiesen wird, auf die Verwendung sämtlicher genusstauglicher Teile anderer Tierarten entsprechend I.2.11.4 Abs. 3 der Leitsätze hinzuweisen ist. Zutreffend ist, dass die Leitsätze unterschiedliche Definitionen von Fleisch beinhalten. Nach I.1 Abs. 1 der Leitsätze sind „Fleisch“ alle Teile von geschlachteten oder erlegten warmblütigen Tieren, die zum Genuss für Menschen bestimmt sind. Nach I.1.1 Abs. 1 der Leitsätze werden bei der gewerbsmäßigen Herstellung von Fleischerzeugnissen unter „Fleisch“ nur Skelettmuskulatur mit anhaftendem oder eingelagertem Fett- und Bindegewebe sowie eingelagerten Lymphknoten, Nerven, Gefäßen und Schweinespeicheldrüsen verstanden. Ebenfalls zutreffend ist, dass I.2.11.4 der Leitsätze keine ausdrückliche Bezugnahme auf eine der beiden Definitionen enthält.
52Schon der Wortlaut von I.2.11.4 Abs. 1 der Leitsätze legt allerdings nahe, auf die Definition in I.1 Abs. 1 der Leitsätze abzustellen. In beiden Fällen wird explizit von „Teilen“ gesprochen.
53Auch die von der Klägerin vorgebrachten teleologischen Erwägungen stützen nicht die Annahme, nur bei einer Bezeichnung eines Geflügelfleischerzeugnisses als „rein“ oder „100 % ...-fleisch“ scheide die Verwendung genusstauglicher Teile anderer Tierarten aus. Zwar gestattet I.2.11.3 der Leitsätze eine derartige Bezeichnung nur, wenn ausschließlich Fleisch (I.1) der angegebenen Tierart verwendet wird. Für Geflügelfleischerzeugnisse, in deren Bezeichnung auf die Verwendung von Geflügel hingewiesen wird, ist jedoch in I.2.11.4 der Leitsätze darüber hinausgehend eine besondere Verkehrserwartung beschrieben, nämlich die ausschließliche Verwendung von Teilen zweier Tierarten (Huhn und Pute), wenn in der Bezeichnung des Lebensmittels auf die Verwendung von Geflügel hingewiesen wird. Mithin werden zweierlei Besonderheiten der Verkehrsauffassung hinsichtlich Geflügelfleischerzeugnissen zum Ausdruck gebracht: Erstens, welche Tierarten unter Geflügel zu verstehen sind, und zweitens, dass eine auf die Verwendung von Geflügel hinweisende Bezeichnung bereits beinhaltet, dass – vorbehaltlich eines besonderen Hinweises – ausschließlich genusstaugliche Teile der genannten Tierarten zur Herstellung verwendet wurden. Ob diese besondere Verkehrsauffassung durch eine weitere Verkehrsauffassung zu der Verwendung von Wursthüllen aus Teilen anderer Tierarten zu modifizieren ist (vgl. I.2.11.2 der Leitsätze, wonach die Verwendung von Därmen anderer Tierarten als Wursthülle oder von Wursthüllen aus Zutaten anderer Tierarten als durch die Bezeichnung des Lebensmittels ausgedrückt, verkehrsüblich ist, sofern nicht für einzelne Erzeugnisse andere Regelungen getroffen sind), mag Gegenstand lebensmittelrechtlicher Erörterungen unter Beteiligung der von der Klägern zitierten Sachkenner aus der Lebensmittelbuch-Kommission sein, ist jedoch für das hier streitgegenständliche Lebensmittel irrelevant. Denn hier geht es nicht um die Wursthülle, die in I.2.11.2 der Leitsätze eine besondere Beachtung erfahren hat, sondern um Schweinespeck, der an zweiter Stelle des 13 Zutaten umfassenden Zutatenverzeichnisses aufgeführt und damit als eine der Hauptzutaten des Lebensmittels anzusehen ist (vgl. Art 18 Abs. 1 Satz 2 LMIV, wonach im Zutatenverzeichnis sämtliche Zutaten des Lebensmittels in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils zum Zeitpunkt ihrer Verwendung bei der Herstellung des Lebensmittels aufzuzählen sind). Geht es wie hier nicht um die gesondert geregelte Verkehrsauffassung zu der Wursthülle, sondern um eine der Hauptzutaten, ist nicht erkennbar, warum von der ausdrücklich bestimmten Verkehrsauffassung in I.2.11.4 der Leitsätze abgewichen werden sollte, wonach bei Geflügelfleischerzeugnissen, in deren Bezeichnung auf die Verwendung von Geflügel hingewiesen wird, die Verwendung solcher Hauptzutaten von anderen Tierarten nicht zu erwarten ist.
54Vgl. i.Ü. auch Fleischwirtschaft 05/2016 S. 96, 100 f. zu der Bezeichnung eines Cordon bleu aus Hähnchenschnitzel und Kochschinken vom Schwein.
55Soweit der Unterschied zwischen der in den Leitsätzen niedergelegten allgemeinen Verkehrsauffassung und der nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. o) LMIV relevanten Akzeptanz der Verbraucher ohne weitere Erläuterungen betont und daher eine weitere Einzelfallbetrachtung für erforderlich gehalten wird,
56vgl. Meisterernst, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Werkstand: 174. EL Juli 2019, LMIV, Art 17 Rn. 31 sowie Art. 2 Rn.107 ff.,
57führt diese hier dazu, die Bezeichnung nur als „Geflügel-Salami“ mit Blick auf den verwendeten Schweinespeck nicht als verkehrsübliche Bezeichnung im Sinne der LMIV anzusehen. Denn die Bezeichnung „Geflügel Salami“ ohne entsprechenden Hinweis auf die Verwendung von Schweinespeck wird von den Verbrauchern beanstandet. Auf der anderen Seite liegen keine positiven Anhaltspunkte für eine Verbraucherakzeptanz vor. Dem Verwaltungsvorgang des Beklagten sind zwei Verbraucherbeschwerden bezüglich der Bezeichnung „Geflügel Salami“ zu entnehmen, die den fehlenden Hinweis auf die Verwendung von Schweinespeck rügen. Der Verbraucherzentrale O1. -X1. e.V. – ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben es gehört, Interessen der Verbraucher durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung und Beratung wahrzunehmen – hat sich der bei ihm eingegangen Beschwerde ebenfalls angeschlossen. Sofern die Bezeichnung eines Lebensmittels durch einen derartigen Verein beanstandet wird, spricht bereits viel dafür, dass keine Akzeptanz der Verbraucher im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. o) LMIV vorliegt. Denn der Gesetzgeber spricht solchen Vereinen ein besonderes Vertrauen hinsichtlich des Verbraucherschutzes aus. Außerdem erwarten auch die zur Entscheidung berufenen Richter als potentielle Verbraucher der Salami und damit als Teil des angesprochen Verkehrskreises bei einer derartigen Bezeichnung nicht die Verwendung von Schweinespeck. Schließlich finden sich im hier vorliegenden Einzelfall keine konkreten positiven Anhaltspunkte für eine bewusste Akzeptanz der Bezeichnung „Geflügel Salami“ durch die Verbraucher. Zwar kann die Klägerin für sich beanspruchen, dass das Erzeugnis millionenfach an „zufriedene Kunden“ verkauft wurde (vgl. Bl. 59 BA 002), es mithin wohl nicht zu häufigen Beschwerden gegen die Bezeichnung gekommen ist. Dies allein ist jedoch keine hinreichende Bedingung für die geforderte Verbraucherakzeptanz. Denn es ist durch die (erfolgreiche) Vermarkung nicht sicher feststellbar, in welchem Bewusstsein – Ablehnung oder Akzeptanz – die Verbraucher ihre Kaufentscheidung getroffen haben. Es ist auch nicht sicher feststellbar, ob flächendeckenden Kundenbeanstandungen mangels beanstandungsbedürftiger Umstände oder aufgrund des damit einhergehenden Aufwandes unterbleiben. Außerdem könnte die Vermarktung des Produktes grade deshalb erfolgreich verlaufen, weil die Verbraucher aufgrund der Aufmachung der Verpackung falsche Vorstellungen von dem Erzeugnis haben.
58II. Steht danach fest, dass die Bezeichnung lediglich als „Geflügel Salami“ nicht zulässig ist, weil sie der Verbrauchererwartung nicht entspricht, sind die Lebensmittelinformationen auf der Verpackung des Lebensmittels hinsichtlich der Eigenschaften des Lebensmittels irreführend im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) LMIV. Dies ist maßgeblich auf die Verwendung einer nicht im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. o) LMIV verkehrsüblichen Bezeichnung im Hauptsichtfeld des Produktes zurückzuführen, die auch den Angaben auf der Rückseite der Verpackung wiederspricht (1.). Dabei kann sich die Klägerin nicht darauf zurückziehen, dass sie auf der Rückseite der Verpackung die korrekte Bezeichnung angibt und – soweit ersichtlich – alle sonstigen erforderlichen Angaben macht (2.). Auf Ausführungen zu einer Irreführung durch eine möglicherweise erfolgte Ersetzung von üblicherweise enthaltenen Zutaten ohne entsprechenden Hinweis kommt es danach nicht mehr an (3.).
591. Nach der eingangs zitierten Rechtsprechung des EuGH,
60vgl. EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 - C-195/14 -, juris Rn. 38 ff.,
61ist bei der Beurteilung einer Irreführung unter anderem die Platzierung der verschiedenen Elemente – also auch der verwendeten Begriffe – relevant. Die hier gewählte Verpackungsgestaltung führt beim Verbraucher zu der Fehlvorstellung, das Lebensmittel enthalte keine Teile anderer Tierarten als Huhn bzw. Pute.
62Dabei geht es – wie die Klägerin zutreffend festgestellt hat – nicht um die Frage, ob die Klägerin durch die Gestaltung der Verpackung gegen die ausdrücklich geregelten Vorgaben der LMIV hinsichtlich des Sichtfeldes bzw. Hauptsichtfeldes verstößt (vgl. insb. Art. 13 Abs. 5 und Art. 34 LMIV). Die Einhaltung dieser Vorschriften führt nicht dazu, dass die Gestaltung der Verpackung des Lebensmittels – insbesondere hinsichtlich des Hauptsichtfeldes – keinen weiteren Einschränkungen unterliegt. Die Relevanz des Hauptsichtfeldes bezüglich eventueller Fehlvorstellungen des Verbrauchers erkennt der Vorordnungsgeber durch die oben genannte Reglung gerade an, insbesondere, wenn sich Lebensmittelinformationen sowohl im Hauptsichtfeld auf der Packungsvorderseite, als auch auf der Rückseite befinden (vgl. Erwägungsgrund 41 LMIV). Eine abschließende Regelung hinsichtlich des (Haupt-) Sichtfeldes ist damit jedoch erkennbar nicht verbunden. In dieser Hinsicht trifft das Irreführungsverbot die weitere Regelung, dass durch die Gestaltung der Verpackung kein falscher Eindruck über die Lebensmitteleigenschaften beim Verbraucher erweckt werden darf. Dabei kommt dem Hauptsichtfeld angesichts seiner Definition in Art. 2 Abs. 2 Buchst. l) LMIV als das Sichtfeld einer Verpackung, das vom Verbraucher beim Kauf höchstwahrscheinlich auf den ersten Blick wahrgenommen wird und ihm ermöglicht, die Beschaffenheit oder die Art und gegebenenfalls die Handelsmarke eines Produkts sofort zu erkennen, eine besondere Relevanz zu.
63Da ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher durch die Verpackungsgestaltung des Hauptsichtfeldes – hier zweifellos Abb.1 – zunächst nahezu ausschließlich mit der Bezeichnung „Geflügel Salami“ konfrontiert ist, löst dies bei ihm nach den obigen Ausführungen zu der Verbrauchererwartung die Fehlvorstellung aus, das Produkt enthalte nur Teile der Tierarten Huhn oder Pute. Damit betrifft die Fehlvorstellung auch eine irreführungsrelevante Eigenschaft im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) LMIV, wobei offen bleiben kann, ob dies nur die Zusammensetzung oder auch vorrangig die Art und Identität des Lebensmittels betrifft.
64So wohl Grube, in: Voit/Grube, LMIV, 2. Auflage 2016, Art. 7 Rn. 61 ff.
65Nimmt der oben beschriebene Verbraucher nun auch die Rückseite der Verpackung zur Kenntnis, ist er dort mit der widersprüchlichen Information konfrontiert, dass das Lebensmittel auch Schweinespeck enthält und dort auch anders bezeichnet ist. Bei solchen widersprüchlichen oder missverständlichen Angaben ist regelmäßig von einer Irreführung auszugehen.
66Vgl. Rathke, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 174. EL Juli 2019, LMIV, Art. 7 Rn. 108.
67Hinzu kommt hier, dass die Angaben auf der Rückseite der zuvor durch das Hauptsichtfeld maßgeblich geprägten Erwartungshaltung der Verbraucher in erheblichem Maße zuwiderlaufen. Unter diesen Umständen sind in dem vorliegenden Einzelfall die – soweit ersichtlich – vollständigen und richtigen Angaben auf der Rückseite der Verpackung nicht geeignet, den falschen Eindruck des Verbrauchers bezüglich der Art und Identität bzw. der Zusammensetzung des Lebensmittels wirksam zu berichtigen. Denn der Verbraucher erwartet die dortigen Angaben zu der Verwendung des Schweinespecks nicht und kann sie, wenn er sie noch zur Kenntnis nimmt, nur unter der Aufgabe seiner zuvor geweckten Erwartungshaltung als korrekt erkennen.
682. Mag es in der LMIV keine ausdrückliche Verpflichtung geben, die Bezeichnung des Lebensmittels auf der Verpackung einheitlich anzugeben, können unterschiedliche Angaben auf verschiedenen Stellen der Verpackung zur Irreführung des Verbrauchers führen – insbesondere, wenn sie wie oben gezeigt widersprüchlich sind und eine falsche Verbrauchererwartung wecken.
69a) Dem steht der von der Klägerin vorgelegte Beschluss des OVG Hamburg,
70Beschluss vom 16. Mai 2017 - 5 Bs 61/17 - juris,
71nicht entgegen. Im Unterschied zu dem hier vorliegenden Fall hatte sich das OVG Hamburg nicht mit unterschiedlichen Bezeichnungen des Lebensmittels auseinanderzusetzen, sondern mit der Frage, ob Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Abs. VI Teil A Nr. 2 LMIV so zu verstehen ist, dass der danach erforderliche Hinweis „aufgetaut“ an sämtlichen Stellen der Verpackung zu geben ist, an denen auch die Bezeichnung des Lebensmittels erfolgt. Dies hat das OVG Hamburg mit der Begründung verneint, die LMIV sehe es nur vor, dass verpflichtende Informationen „an einer gut sichtbaren Stelle deutlich, gut lesbar und gegebenenfalls dauerhaft anzubringen“ seien (Art. 13. Abs. 1 LMIV), wobei diese Informationen auch „auf einem an [der Verpackung] befestigten Etikett“ (Art. 12 Abs. 2 LMIV) angebracht werden könnten (Betonung jeweils durch das OVG Hamburg). Daher genügten verpflichtende Angaben an einer Stelle. Unabhängig davon, ob diese Begründung überzeugt – was mit Blick auf den Umstand, dass es sich bei den betonten Begriffen erkennbar nicht um eine zahlenmäßige Beschränkung, sondern um unbestimmte Artikel handelt,
72vgl. insoweit auch die englische Fassung der LMIV: „mandatory food information shall be marked in a conspicuous place“ (Betonung durch die Kammer),
73lässt sich das Ergebnis nicht auf die hier zu entscheidende Konstellation übertragen. Denn bei der Entscheidung des OVG Hamburg tauchte im Gegensatz zu der hier vorliegenden Konstellation – soweit ersichtlich – die gleiche verkehrsübliche Bezeichnung des Lebensmittels mehrfach auf der Verpackung des Lebensmittels auf. Es ging lediglich um die Frage, wie mit dem nach Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Abs. VI Teil A Nr. 2 LMIV erforderlichen Zusatz zu dieser Bezeichnung umzugehen ist. Die Frage, ob die Verwendung unterschiedlicher Bezeichnungen im engeren Sinne – also unabhängig von gegebenenfalls erforderlichen Zusätzen – zur Irreführung geeignet sind, stellte sich nicht. Zudem hat auch das OVG Hamburg angenommen, dass eine Irreführung bei Einhaltung der besonderen Vorgaben über verpflichtende Informationen über Lebensmittel möglich ist, diese allerdings nur mangels tauglicher Begründung durch die Lebensmittelüberwachungsbehörde verneint.
74Vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 16. Mai 2017 – 5 Bs 61/17 –, juris Rn. 12 ff.
75Nach den obigen Ausführungen zu der Widersprüchlichkeit der Angaben auf Vorder-und Rückseite und der damit einhergehenden Verbrauchererwartung ist in dem hier vorliegenden Fall allerdings eine Irreführung trotz möglicherweise korrekter Angaben auf der Rückseite der Verpackung gegeben.
76b) Auch aus der vorgelegten Entscheidung des Bay. VGH,
77Urteil vom 11. Mai 2017 - 20 B 16.203 -, juris,
78kann die Klägerin keine andere Bewertung herleiten. Zwar hat der Bay. VGH festgestellt, dass gesetzlich erforderliche Angaben grundsätzlich auch (erst) auf der Verpackungsrückseite eines Lebensmittels (dort Wein) angegeben werden können. Er hat aber ebenfalls ausgeführt, dass
79„im Einzelfall durch die Nennung der Lage unter dem Hinweglassen der Ortsbezeichnung auf dem Vorderetikett eine Täuschung des Verbrauchers hinsichtlich der genauen Herkunft des Weines entstehen kann. Dies ist aber eine Frage des Einzelfalles und von den besonderen örtlichen Verhältnissen und der Gestaltung der Etikettierung im Einzelfall abhängig.“
80Auch hier werden insofern die Bedeutung der Vorderseite der Verpackung bei der Erzeugung einer Fehlvorstellung und das Erfordernis einer Einzelfallbetrachtung betont, was den oben genannten Anforderungen des EuGH entspricht. Im Unterschied zu der hier streitgegenständlichen Konstellation waren in dem dort zu entscheidenden Fall keine Angaben auf dem Vorderetikett vorhanden, die den Verbraucher zu nicht zutreffenden Annahmen hätten verleitet können. Mit Blick auf die oben beschriebene Verbrauchererwartung zu einem als „Geflügel Salami“ bezeichneten Lebensmittel ist dies hier jedoch anders und führt nach der bereits vorgenommenen Einzelfallbetrachtung trotz der Angaben auf der Verpackungsrückseite zu einer Irreführung der Verbraucher.
813. Soweit die Beteiligten darüber streiten, ob auch ein von der Beklagten vorgebrachter Verstoß gegen die Vorschrift des Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Anhang VI Teil A) Nr. 4 LMIV, wonach bei der Ersetzung von zu erwartenden Zutaten eine zusätzliche Hinweispflicht besteht, zu der Annahme einer Irreführung führt, braucht dem nicht weiter nachgegangen werden. Denn ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) LMIV steht nach den obigen Ausführungen unabhängig von der Beantwortung dieser Frage fest.
82III. Soweit die Klägerin geltend macht, vergleichbare Produkte blieben im Zuständigkeitsbereich des Beklagten unbeanstandet, kann sie daraus hinsichtlich der begehrten Feststellung ebenfalls nichts zu ihren Gunsten herleiten. Denn sie hat im Falle einer – unterstellt – rechtswidrigen Verwaltungspraxis des Beklagten nach dem Grundsatz „keine Gleichheit im Unrecht“ jedenfalls keinen Anspruch auf Gleichbehandlung.
83Vgl. nur VG Minden, Urteil vom 16. September 2014 - 1 K 3832/13 -.
84Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.