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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
2Der geborene Kläger steht als L. im Dienst des beklagten Landes. Anlässlich einer Kfz-Tauglichkeitsuntersuchung am 28. Januar 2010 durch den Polizeiarzt Dr. L1. wurde ein Hörschaden beim Kläger festgestellt, von dem der Polizeiarzt nach den Angaben des Klägers annahm, dass er durch ein Trauma entstanden sein müsse. Der Polizeiarzt überwies den Kläger an einen Facharzt, der den Kläger im Februar 2010 untersuchte. In einer Stellungnahme vom 23. Februar 2010 an den Polizeiarzt führte der Facharzt aus, dass es sich nach Befund und Anamnese um eine Lärmschwerhörigkeit (beidseitig) handele und eine Meldung an die Berufsgenossenschaft erfolgen solle.
3Unter dem 25. Mai 2010 beantragte der Kläger, die diagnostizierte Lärmschwerhörigkeit als Dienstunfall oder Berufskrankheit anzuerkennen und verwies darauf, dass der Polizeiarzt schon seit längerer Zeit eine negative Entwicklung der Hörfähigkeit beobachtet habe. Diese habe aus Sicht des Arztes aber zunächst keine krankhaften Ausprägungen gehabt. Anfang des Jahres 2010 sei aber festgestellt worden, dass sich die Befunde pathologisch verschlechtert hätten. Er, der Kläger, habe bereits in den 1970er Jahren, wie es damals üblich gewesen sei, im Rahmen seines Dienstes Schießübungen ohne entsprechenden Gehörschutz absolviert. Die Lärmschwerhörigkeit sei daher auf eine dienstlich veranlasste Tätigkeit zurückzuführen.
4Unter dem 18. Juni 2010 machte der Kläger auf Aufforderung des Polizeipräsidenten eine förmliche Unfallmeldung und gab dabei an, er habe den Unfall bereits am 28. Januar 2010, dem Tag seiner Untersuchung durch den Polizeiarzt, beim Polizeiärztlichen Dienst erstmals gemeldet. Der Hörschaden sei auf das Schießtraining während der Ausbildung in den Jahren 1971 bis 1974 zurückzuführen. Da keine andere Lärmbelastungen als das damalige Schießtraining als Ursache in Betracht komme, sei für ihn ein Trauma durch die Schussgeräusche die einzige Erklärung für den Schaden. Anlässlich der Untersuchung durch den Facharzt sei er erstmals über den Schaden informiert worden. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er über einen Unfall nicht berichten können, da ihm der Sachverhalt unbekannt gewesen sei.
5Die Unfallanzeige wurde dem Polizeiärztlichen Dienst am 1. Juli 2010 zur Stellungnahme zugeleitet. Der zuständige Polizeiarzt Dr. L1. führte dazu am 19. November 2010 aus, die genaue Diagnose laute "beginnende Lärmschwerhörigkeit". Nach der Unfallschilderung und der Art der Verletzung sei jedoch ein ursächlicher Zusammenhang in ärztlich-wissenschaftlicher Hinsicht nicht gegeben. Ein Unfallereignis oder eine Exposition, die eine Berufskrankheit begründen würde, lasse sich nicht eruieren.
6Mit Bescheid vom 18. Januar 2011 lehnte der Beklagte eine Anerkennung als Dienstunfall ab und verwies auf die Stellungnahme des Polizeiarztes. Ein Unfallereignis im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG könne nicht festgestellt werden. Auch ein Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 3 Satz 1 und 3 BeamtVG liege nicht vor. Der Schießlärm, dem der Kläger während seiner Ausbildung ausgesetzt gewesen sei, könne als Ursache seiner Hörminderung nicht nachgewiesen werden. Vielmehr setze die Anerkennung eines Dienstunfalls nach der genannten Vorschrift voraus, dass der Betroffene nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung an Lärmschwerhörigkeit besonders ausgesetzt war. Die Verwendungen, in denen der Kläger im Polizeidienst tätig gewesen sei und noch tätig sei, ergäben aber zu keinem Zeitpunkt aufgrund einer höheren Lärmbelästigung einen Anhalt dafür, dass das Risiko der Erkrankung an Lärmschwerhörigkeit erhöht gewesen sei.
7Mit seinem Widerspruch vom 10. Februar 2011 machte der Kläger unter anderem geltend, dass er von 1971 bis in die Mitte der 1980er Jahre an regelmäßigen Schießübungen habe teilnehmen müssen. Dabei sei eine große Anzahl an Munition ohne Gehörschutz in schneller Folge und ohne ausreichende Pausen verschossen worden. Darüber hinaus sei er als Aufsicht bei Schießübungen eingesetzt gewesen. Dabei habe er sich, ebenfalls ohne Gehörschutz, in unmittelbarer Nähe zu den Schützen aufhalten müssen. Angesichts dieser Umstände sei er nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr einer Lärmschwerhörigkeit besonders ausgesetzt gewesen.
8Der Beklagte beteiligte unter dem 10. März 2011 erneut den Polizeiärztlichen Dienst, der am 10. Juni 2011 Stellung nahm. Nach den Krankenunterlagen sei im Rahmen der Kfz-Tauglichkeitsuntersuchungen in den Jahren 1977, 1982, 1983, 1986, 1988, 1993, 1996 und 1999 das Hörvermögen ohne (pathologischen) Befund gewesen. In den Jahren 1997 und 2000 sei der Kläger auf Tauchtauglichkeit untersucht worden. Die dabei angefertigten Audiogramme seien weitgehend identisch mit den aktuellen Audiometrien. Weitere, ebenfalls identische Audiometrien, seien in den Jahren 2002, 2004, 2007 und 2010 gefertigt und dokumentiert worden. Im Zusammenhang mit Tauch- bzw. Kfz-Tauglichkeitsuntersuchungen in den Jahren 2000 und 2004 sei von der Polizeiärztin Dr. X. die Diagnose "Innenohrschwerhörigkeit bds." auf der Krankenkarte eingetragen worden.
9Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2011 wies das Polizeipräsidium C. den Widerspruch des Klägers zurück. Der behauptete Dienstunfall sei schon nicht fristgerecht gemeldet worden. Die zweijährige Ausschlussfrist beginne bei Berufskrankheiten mit dem Auftreten der Erkrankung bzw. mit dem Zeitpunkt, zu dem sich der Beamte die Erkrankung zugezogen habe. Dies gelte unabhängig davon, ob er erkannt habe oder hätte erkennen können, dass es sich möglicherweise um eine Berufskrankheit handele. Bereits am 9. März 2000 und nochmals im Jahr 2004 habe die Polizeiärztin Dr. X. die Eintragung "Innenohrschwerhörigkeit, bds." in der Krankenakte vorgenommen. Die Erkrankung sei also spätestens im März 2000 aufgetreten mit der Folge, dass die Ausschlussfrist für die Meldung im Jahr 2002 geendet habe. Auch die Nachfrist des § 45 Abs. 2 BeamtVG sei nicht gewahrt. Auch danach hätte die Unfallmeldung spätestens am 9. März 2010 erfolgen müssen. Und selbst wenn die 10-Jahres-Frist eingehalten worden wäre, könnte eine Anerkennung als Dienstunfall wegen der dann greifenden Drei-Monats-Frist aus § 45 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG nicht erfolgen, denn mit der Meldung des Unfalls am 25. Mai 2010 sei diese Frist überschritten worden. Bereits am 28. Januar 2010 sei dem Kläger - nochmals - mitgeteilt worden, dass er an Lärmschwerhörigkeit leide. Im Übrigen sei eine Anerkennung als Dienstunfall auch der Sache nach ausgeschlossen. Ein Beamter sei nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung an einer bestimmten Krankheit besonders ausgesetzt, wenn die konkrete dienstliche Tätigkeit des Beamten ihrer Art nach erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade dieser Erkrankung in sich berge. Anhaltspunkte dafür biete die aus einer Vielzahl von Fällen gewonnene Erfahrung, dass Beamte, die die fragliche Tätigkeit ausüben, unter den gegebenen Umständen dem besonderen Risiko ausgesetzt sind, sich eine bestimmte Krankheit zuzuziehen. Die besondere Gefährdung müsse also unabhängig von der individuellen Veranlagung des einzelnen Beamten für die konkret auszuführende dienstliche Verrichtung unter den gegebenen tatsächlichen Verhältnissen typisch und in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung vorhanden sein. Die Feststellung der erhöhten Wahrscheinlichkeit setze den Nachweis einer Vielzahl von Referenzfällen entsprechender Erkrankungen bei der jeweiligen beruflichen Tätigkeit voraus. Ausweislich der Personalakte des Klägers ergäben sich aus den dienstlichen Verwendungen keine Anhaltspunkte dafür, dass er der Gefahr dieser Erkrankung besonders ausgesetzt gewesen sei.
10Der Kläger hat am 12. Juli 2011 Klage erhoben. Er führt aus, die einzige in Betracht kommende Ursache für eine Lärmschwerhörigkeit in der bei ihm diagnostizierten Art sei in Anbetracht seiner Lebensführung die in seiner Dienstzeit absolvierten Schießübungen. Eine durch Explosionstraumen in jungen Jahren verursachte Lärmschwerhörigkeit trete regelmäßig erst im mittleren Alter zu Tage. Sie würde durch Vernetzung verschiedener Areale des Gehirns zunächst kompensiert, so dass sie zunächst nicht wahrgenommen werde. So habe er erst durch die Mitteilung der Diagnose vom 28. Januar 2010 von seiner Lärmschwerhörigkeit erfahren und davon, dass diese auf ein Trauma zurückgehe. Erst zu diesem Zeitpunkt habe er davon ausgehen können, dass sie im Zusammenhang mit seiner Dienstausübung stehe. Den Befund habe er seinem Dienstvorgesetzten innerhalb der Ausschlussfrist durch schriftliche Unfallmeldung vom 18. Juni 2010 angezeigt. Auf die angeblich bereits seit dem Jahr 2000 durch den polizeiärztlichen Dienst festgestellte beidseitige Innenohrschwerhörigkeit sei er nie hingewiesen worden. Er selbst habe eine Hörminderung nie bewusst wahrgenommen.
11Während der Zeit seiner Ausbildung von 1971 bis 1974 und auch bei der anschließenden Verwendung als Polizeivollzugsbeamter bis Mitte der 1980er Jahre sei er der Gefahr einer Erkrankung an Lärmschwerhörigkeit besonders ausgesetzt gewesen. Zu seinen dienstlichen Verrichtungen habe neben mehreren eigenen Pflichtschießübungen pro Jahr auch die Tätigkeit als Aufsicht bei den Schießübungen seiner Kollegen gehört. Die erhebliche Zahl an Schießübungen ohne jeglichen Gehörschutz sei seinerzeit aufgrund der Bedrohung durch die RAF üblich gewesen. Er sei deshalb mehr als zehn Jahre dieser für sein Hörvermögen schädlichen Praxis ausgesetzt gewesen. Hinzu komme, dass üblicherweise über mehrere Stunden sehr viel Munition verschossen worden sei. Die Teilnehmer seien, wenn sie selbst nicht geschossen hätten, regelmäßig als Standaufsicht eingeteilt worden und hätten so aus dienstlichen Gründen auf der Schießbahn verbleiben müssen. Es sei davon auszugehen, dass das eigentliche Knalltrauma während eines langen Schießtages in den 1970er oder 1980er Jahren entstanden und die Erholung des Hörvermögens beim nächsten Schießen noch nicht abgeschlossen gewesen sei. So sei wohl der zunächst nur temporäre Hörschaden zu einem permanenten geworden. Ein solcher Hörschaden führe später regelmäßig zu einer Erkrankung an Lärmschwerhörigkeit.
12Der Kläger beantragt,
13den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Januar 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2011 zu verpflichten, die Lärmschwerhörigkeit des Klägers als Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 3 Satz 1 und 3 BeamtVG anzuerkennen.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen,
16und wiederholt zur Begründung seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid zur verspäteten Meldung des angeblichen Dienstunfalls. Bei den vom Polizeiärztlichen Dienst durchgeführten Untersuchungen würden die Ergebnisse in aller Regel mit dem betroffenen Beamten besprochen, ohne dass hierüber ein schriftlicher Nachweis in der Krankenakte aufgenommen werde. Die Information sei Teil des Arzt-Patienten-Gespräches. Wenn der Kläger darauf hinweise, er habe erst am 28. Januar 2011 durch Dr. L1. vom Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit erfahren, da er bei den vorhergehenden Untersuchungen nicht auf diese Diagnose hingewiesen worden sei, entspreche dies nicht der beim Polizeiärztlichen Dienst in C. geübten Praxis. Wegen des Fristablaufs könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei der festgestellten Erkrankung um einen Dienstunfall im Sinne der Regelungen des Beamtenversorgungsgesetzes handelt.
17Auf Veranlassung des Beklagten ist im Februar 2012 ein fachärztliches Gutachten in Auftrag gegeben worden unter anderem zur Klärung der Fragen, ob beim Kläger gegebenenfalls eine anlagebedingte Schwerhörigkeit bzw. eine degenerative Veränderung der Gehörstrukturen für das jetzige Krankheitsbild ursächlich ist. Das Gutachten ist unter dem 16. März 2012 von Dres. med. Oliver und Matthias Essing erstellt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 81 ff. der Akte verwiesen.
18Dr. Matthias Essing ist in der mündlichen Verhandlung am 8. November 2012 als Sachverständiger ergänzend gehört worden. Insoweit wird auf die Niederschrift der Verhandlung Bezug genommen.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des dazu vorgelegten Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe:
21Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
22Der die Anerkennung eines Dienstunfalls ablehnende Bescheid des Beklagten vom 18. Januar 2011 und der dazu ergangene Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2011 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -). Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der bei ihm festgestellte Hörschaden als Dienstunfall anerkannt wird.
23Die Anerkennung eines Dienstunfalls ist in § 45 Abs. 3 Satz 2 Beamtenversorgungsgesetz - BeamtVG - geregelt. Danach entscheidet die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle, ob ein Dienstunfall vorliegt.
24Ein Dienstunfall ist nach der Legaldefinition des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Als Dienstunfall gilt es aber auch, wenn ein Beamter, der nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung an bestimmten Krankheiten besonders ausgesetzt ist, an einer solchen Krankheit erkrankt, es sei denn, dass der Beamte sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat (§ 31 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG).
25Die Voraussetzungen für eine positive Entscheidung über das Vorliegen eines Dienstunfalls liegen hier nicht vor.
26In Ermangelung eines plötzlichen Ereignisses im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG kommt allein das Vorliegen einer (Berufs)Krankheit in Betracht, die unter den Voraussetzungen des § 31 Abs. 3 Satz 1 und 3 BeamtVG als Dienstunfall gilt. Die Anerkennung eines Dienstunfalls setzt insoweit voraus, dass der Betroffene (1) an einer Krankheit leidet, die von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung als in Betracht kommende Krankheit bestimmt ist, dass er (2) nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung an dieser Krankheit besonders ausgesetzt (gewesen) ist, und dass er (3) die Erkrankung fristgerecht gemeldet hat. Zudem darf er sich - was hier nicht relevant ist - die Krankheit nicht außerhalb des Dienstes zugezogen haben.
27Es lässt sich hier bereits nicht feststellen, dass der Kläger an einer in Betracht kommenden (Berufs)Krankheit leidet.
28Gemäß § 31 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG bestimmt die Bundesregierung die für die Anerkennung eines Dienstunfalls nach Satz 1 in Betracht kommenden Krankheiten durch Rechtsverordnung. Nach § 1 Verordnung zur Durchführung des § 31 des Beamtenversorgungsgesetzes (Bestimmung von Krankheiten für die beamtenrechtliche Unfallfürsorge) vom 20. Juni 1977 (BGBl. I S. 1004) gilt: Als Krankheiten im Sinne des § 31 Abs. 3 BeamtVG werden die in der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vom 8. Dezember 1976 (BGBl. S. 3329) in der jeweils geltenden Fassung genannten Krankheiten mit den dort im einzelnen bezeichneten Maßgaben bestimmt. In der genannten Anlage ist unter Nr. 2301 bei den durch physikalische Einwirkungen verursachten Krankheiten die Lärmschwerhörigkeit mit aufgeführt.
29Die Lärmschwerhörigkeit ist eine (Schallempfindungs)Schwerhörigkeit, die durch eine chronische Lärmeinwirkung verursacht worden ist. Auch eine Vielzahl von kurzfristig hohen Lärmpegeln bzw. Spitzenpegel von > 137 dB, wie sie etwa beim Abfeuern von Handwaffen, Gewehren und militärischen Geschossen entstehen, können sich zu einer chronischen Lärmbelastung summieren.
30Vgl. etwa Merkblatt zu der Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung: Lärmschwerhörigkeit; Bek. des BMAS vom 1. Juli 2008 - IV a 4-45222-2301, GMBl Nr. 39 vom 5. August 2008, S. 798 - 800.
31Erforderlich ist also die Feststellung zunächst einer Schwerhörigkeit und sodann der Kausalität einer besonderen Lärmeinwirkung.
32Beim Kläger kann - was im Übrigen auch seiner subjektiven Wahrnehmung entspricht - schon keine relevante Schwerhörigkeit festgestellt werden.
33Nach der vom Sachverständigen referierten Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt eine Schwerhörigkeit vor, wenn der mittlere Hörverlust aus dem Tonschwellenaudiogramm bei 0,5, 1, 2 und 4 kHz die Schwelle von 25 dB überschreitet.
34Vgl. dazu auch Zahnert, Differenzialdiagnose der Schwerhörigkeit, Deutsches Ärzteblatt 2011, 433, Diagramm auf Seite 434. Für den Mittleren Hörverlust werden für jedes Ohr getrennt die Mittelwerte des Hörverlustes aus den Frequenzen 500 Hz, 1000 Hz, 2000 Hz und 4000 Hz ermittelt.
35Dieser Wert ist beim Kläger nicht erreicht. Nach den Feststellungen des Sachverständigen beträgt der Mittlere Hörverlust hier 22,5 dB auf dem rechten und 21,25 dB auf dem linken Ohr und überschreitet damit nicht die Schwelle von 25 dB. Der Kläger gilt deshalb nach der Definition der WHO noch als "normalhörig".
36Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass die damals zuständige Polizeiärztin bereits in den Jahren 2000 und 2004 die Diagnose "Innenohrschwerhörigkeit bds." in den Krankenakten vermerkt hat und auch die Ärzte Winkler und Dr. L1. von einer "Lärmschwerhörigkeit bds." bzw. einer beginnenden Lärmschwerhörigkeit sprechen. Alle diese Diagnosen sind nicht durch entsprechende Messungen belegt. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass diese Ärzte nach der unstreitig beim Kläger vorliegenden sog. Hochtonsenke ihren Verdacht auf eine Innenohr- bzw. Lärmschwerhörigkeit zum Ausdruck bringen wollten. Eine Lärmschädigung macht sich zuerst in Form einer Senke der Hörschwellenkurve bei etwa 4000 Hz bemerkbar ("c5-Senke"). Wird eine solche Senke festgestellt, liegt der Verdacht auf eine Lärmschwerhörigkeit nahe und muss ggf. dem Unfallversicherungsträger angezeigt werden. Dem Verdacht ist dann näher nachzugehen, denn nicht jede "c5-Senke" ist zwingend auf eine Lärmexposition zurück zu führen. Sie kann auch auf eine Altersschwerhörigkeit hindeuten oder auf andere Formen der Innenohrschwerhörigkeit. Jedenfalls bedeutet eine festgestellte Hochtonsenke allein noch keine Schwerhörigkeit im Sinne der WHO-Definition.
37Selbst wenn man die Schwelle zur Schwerhörigkeit niedriger ansetzen wollte und bereits die Werte ausreichen lassen wollte, bei denen der behandelnde HNO-Arzt gehalten wäre, einen Verdacht auf Lärmschwerhörigkeit zu melden,
38nach den Feststellungen des Sachverständigen sind diese Werte beim Kläger mit einem Hörverlust rechts von 40 dB und 55 dB links bei 3000 Hz erreicht,
39könnte hier keine Lärmschwerhörigkeit bejaht werden, weil die Kausalität einer Lärmexposition nicht nachgewiesen ist.
40Für das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit müssen nach dem vom Sachverständigen zitierten einschlägigen Werk von Feldmann,
41Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 6. Aufl. 2006; ebenfalls in Bezug genommen vom VG Neustadt, Urteil vom 25. Oktober 2011 - 1 K 432/11.NW -, juris,
42sechs Kriterien erfüllt sein, darunter die adäquate Lärmexposition und die Entwicklung der Schwerhörigkeit während der Lärmarbeit. Beides kann hier nicht (mehr) festgestellt werden. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass im Aktenmaterial keine Lärmexposition und Lärmexpositionszeiten zu finden sind. Deshalb könne eine ausreichende Lärmexposition nicht abgeschätzt bzw. könnten die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen für eine chronische Lärmschwerhörigkeit nicht plausibel gemacht werden. Ausschlaggebend ist aber, dass kein Tonschwellenaudiogramm aus den 1970er oder 1980er Jahren vorliegt und damit keine Hörminderung in den Jahren der größten Lärmbelastung durch das Schießtraining nachgewiesen ist. Weil sich eine Lärmschwerhörigkeit in der Zeit der Lärmbelastung einstellt und sie sich danach in aller Regel nicht mehr verschlechtert, hätte sie hier schon um 1980 gemessen werden können und müssen, um auf das ungeschützte Schießtraining als Ursache für den Hörschaden schließen zu können. An einem solchen Nachweis fehlt es.
43Der Kläger war darüber hinaus aber auch nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung an Lärmschwerhörigkeit nicht besonders ausgesetzt.
44Ein Beamter ist nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung an einer bestimmten Krankheit "besonders ausgesetzt", wenn die konkrete dienstliche Tätigkeit des Beamten ihrer Art nach erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade dieser Erkrankung in sich birgt. Anhaltspunkte dafür bietet die aus einer Vielzahl von Fällen gewonnene Erfahrung, dass Beamte, die die fragliche Tätigkeit ausüben, unter den gegebenen Umständen dem besonderen Risiko ausgesetzt sind, sich eine bestimmte Krankheit zuzuziehen. Die besondere Gefährdung muss also unabhängig von der individuellen Veranlagung des einzelnen Beamten für die konkret auszuführenden dienstlichen Verrichtungen unter den gegebenen tatsächlichen Verhältnissen typisch und in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung vorhanden sein. Die Feststellung der erhöhten Wahrscheinlichkeit setzt den Nachweis einer Vielzahl von Referenzfällen entsprechender Erkrankungen bei der jeweiligen beruflichen Tätigkeit voraus.
45OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Mai 2009 - 3 LB 20/08 -, juris, Rdn. 34 m.w.N.
46Der Kläger hat nicht nachgewiesen, wegen der Teilnahme an Schießübungen - als Schütze und als Aufsicht - ohne Gehörschutz in den 1970er und ggf. auch zu Beginn der 1980er Jahre der Gefahr der Erkrankung an Lärmschwerhörigkeit besonders ausgesetzt gewesen zu sein. Nach seinen Angaben hat er in den Jahren 1971 bis 1974 zunächst wöchentlich, später zweiwöchentlich, jeweils über mehrere Stunden an Schießübungen teilgenommen, immer ohne Gehörschutz. Ab 1974 sei er ca. einmal im Monat zwischen 30 und 50 Minuten bei Schießübungen dabei gewesen. Das Gericht kann nicht feststellen, dass aufgrund der berufsbedingten Teilnahme an Schießübungen in dem genannten Umfang erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade der Erkrankung an Lärmschwerhörigkeit zu bejahen ist. Der Kläger selbst konnte - abgesehen von wenigen Einzelfällen im Bekanntenkreis - keine Referenzfälle entsprechender Erkrankungen benennen, schon gar nicht die erforderliche Vielzahl. Auch dem Vertreter des Beklagten und dem Sachverständigen waren keine Statistiken bekannt, nach denen Polizeibeamte, die vor dem verpflichtenden Tragen von Gehörschutz ihre Ausbildung durchlaufen haben und auch in den ersten Jahren ihrer Tätigkeit ungeschützt an Schießübungen teilnehmen mussten, in signifikantem Maße häufiger an Lärmschwerhörigkeit erkrankt sind als der Durchschnitt der Bevölkerung. Das Gericht geht davon aus, dass, wenn es eine entsprechende Häufung an Erkrankung geben würde, diese Zahlen von den Interessenvereinigungen der Polizeibeamten erhoben worden und dort bekannt wären. Das Fehlen solcher Statistiken lässt darauf schließen, dass eine besondere Gefahr der Erkrankung an Lärmschwerhörigkeit für Polizisten nicht gegeben ist.
47Schließlich müsste auch bei Bejahung der beiden vorgenannten Voraussetzungen das Begehren des Klägers daran scheitern, dass die vermeintliche Berufskrankheit nicht fristgerecht gemeldet worden ist.
48Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG sind Unfälle, aus denen Unfallfürsorgeansprüche nach dem BeamtVG entstehen können, innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalles bei dem Dienstvorgesetzten des Verletzten zu melden. Nach Ablauf der Ausschlussfrist wird Unfallfürsorge nur gewährt, wenn seit dem Unfall noch nicht zehn Jahre vergangen sind und gleichzeitig glaubhaft gemacht wird, dass mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorge begründenden Folge des Unfalles nicht habe gerechnet werden können oder dass der Berechtigte durch außerhalb seines Willens liegende Umstände gehindert worden ist, den Unfall zu melden. Die Meldung muss, nachdem mit der Möglichkeit einer den Anspruch auf Unfallfürsorge begründenden Folge des Unfalles gerechnet werden konnte oder das Hindernis für die Meldung weggefallen ist, innerhalb dreier Monate erfolgen (§ 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 BeamtVG).
49Bei diesen Fristen handelt es sich um (echte) Ausschlussfristen. Sie sind nicht nur auf Dienstunfälle im Sinne von § 31 Abs. 1 BeamtVG, sondern auch auf die gleichgestellten Ereignisse im Sinne von § 31 Abs. 3 BeamtVG anzuwenden.
50BVerwG, Urteil vom 28. April 2011 - 2 C 55.09 -, juris, Rdn. 28.
51Der Dienstherr hat in beiden Fallkonstellationen gleichermaßen ein Interesse daran, die tatsächlichen Umstände der Schädigung seines Beamten zeitnah aufzuklären und gegebenenfalls präventive Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Schäden bei diesem oder bei anderen Betroffenen zu ergreifen. Dies gilt für Berufskrankheiten sowohl dann, wenn sie auf ein zeitlich eingrenzbares Ereignis, etwa eine Infektion, zurückzuführen sind, als auch dann, wenn es sich um Krankheiten handelt, die durch kumulativ wirkende schädliche Einwirkungen hervorgerufen und allmählich oder in Schüben erkennbar werden. Denn auch in dem letztgenannten Fall sollen die Ausschlussfristen den Nachweis der Kausalität und - erst recht - die präventive Wirkung einer zeitnahen Klärung des Sachverhalts sicherstellen.
52BVerwG, a.a.O.
53Beide Fristen, die Zwei- und die Zehn-Jahres-Frist, beginnen nach dem Wortlaut der Vorschrift mit dem "Unfall" bzw. dem "Eintritt des Unfalls" zu laufen. Diese für einen Dienstunfall im Sinne des § 31 Abs. 1 BeamtVG als einem plötzlichen, örtlich und zeitlich bestimmbaren Ereignis einleuchtende Festlegung gilt entsprechend auch für Berufskrankheiten. Bei Infektionskrankheiten ist danach der Infektionszeitpunkt maßgeblich, weil der Beamte in diesem Zeitpunkt einen Gesundheitsschaden erleidet, mag sich der Schaden später durch Ausbruch der Krankheit auch noch ausweiten. Bei Krankheiten, die infolge fortlaufender kumulativer schädlicher Einwirkung auf den Beamten ausgelöst werden, ist demnach der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Zustand des Beamten Krankheitswert erreicht, in dem also die Krankheit sicher diagnostiziert werden kann. Denn vorher ist der Beamte zwar gefährdet, aber noch nicht krank.
54BVerwG, Urteil vom 28. April 2011, a.a.O., Rdn. 29.
55Für den Fristablauf gilt: Der Ablauf der Zweijahresfrist nach § 45 Abs. 1 BeamtVG kann hinausgeschoben werden, solange eine Erkrankung noch nicht als Folge eines Dienstunfalls bemerkbar ist - solange also der Beamte die Ursächlichkeit der schädigenden Einwirkung nicht erkennen kann -, während die Zehnjahresfrist des § 45 Abs. 2 BeamtVG unabhängig davon abläuft, ob der Betroffene erkannt hat, dass er sich eine Berufskrankheit zugezogen hat.
56BVerwG, a.a.O., mit Verweis auf Urteile vom 21. September 2000 - 2 C 22.99 -, juris, und vom 28. Februar 2002 - 2 C 5.01 -, juris, und auf Beschluss vom 15. September 1995 - 2 B 46.95 -, juris.
57Erforderlich ist demnach die Feststellung, wann die Krankheit sicher diagnostizierbar bzw. ausgeprägt vorhanden war. In dem Moment wird die Ausschlussfrist von zehn Jahren ausgelöst.
58Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2011, a.a.O., Rdn. 30.
59Sofern hier die Teilnahme an Schießübungen ohne Gehörschutz eine Lärmschwerhörigkeit des Klägers verursacht hätte, wäre diese Krankheit spätestens Mitte der 1980er Jahre ausgeprägt vorhanden und sicher diagnostizierbar gewesen. Damit ist die Zehn-Jahres-Frist spätestens Mitte der 1990er Jahre abgelaufen, unabhängig davon, ob der Kläger damals schon erkannt hat oder hätte erkennen können, dass er sich durch die Teilnahme an den Schießübungen eine Berufskrankheit zugezogen hatte.
60Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.