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1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
2. Der Streitwert wird auf 145.500 € festgesetzt.
Gründe
21. Der sinngemäß nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 9 K 2923/25 der Antragstellerin vom 1. April 2025 gegen Ziffer 1 der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 26. März 2025 wiederherzustellen und sie hinsichtlich Ziffer 3 der Ordnungsverfügung anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Der zulässige Antrag ist unbegründet.
6Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt von vornherein kraft bundesgesetzlicher Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–3a VwGO bzw. nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, besonders angeordnet worden ist. Das Gericht der Hauptsache kann allerdings in einem solchen Fall gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen (Var. 1) bzw. wiederherstellen (Var. 2).
7Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist bereits dann aufzuheben, wenn diese formell nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. Im Übrigen hängt die Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO davon ab, ob das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung einer Maßnahme vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Das Aussetzungsinteresse überwiegt, wenn bei summarischer Prüfung Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen. Sind die Erfolgsaussichten offen, so ist dem Antrag stattzugeben, wenn bei einer allgemeinen Abwägung der beiderseitigen Interessen das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollziehungsinteresse überwiegt.
8In formaler Hinsicht genügt die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügung den Maßstäben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Das mit dieser Vorschrift normierte Erfordernis einer schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts soll neben der Information des Betroffenen und des mit einem eventuellen Aussetzungsantrag befassten Gerichts vor allem die Behörde selbst mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG zwingen, sich des Ausnahmecharakters der Vollziehungsanordnung bewusst zu werden und die Frage des Sofortvollzuges besonders sorgfältig zu prüfen. Die Anforderungen an den erforderlichen Inhalt einer solchen Begründung dürfen hierbei aber nicht überspannt werden. Diese muss nur einen bestimmten Mindestinhalt aufweisen. Dazu gehört es insbesondere, dass sie sich – in aller Regel – nicht lediglich auf eine Wiederholung der den Verwaltungsakt tragenden Gründe, auf eine bloße Wiedergabe des Textes des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO oder auf lediglich formelhafte, abstrakte und letztlich inhaltsleere Wendungen, namentlich solche ohne erkennbaren Bezug zu dem konkreten Fall, beschränken darf. Darauf, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen und ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
9Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Mai 2021 – 8 B 1468/20 –, juris Rn. 5 f. und vom 12. Februar 2021 – 8 B 905/20 –, juris Rn. 11 f., m. w. N.
10Diese formalen Anforderungen sind hier erfüllt. Die Antragsgegnerin ist sich des Ausnahmecharakters der Anordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bewusst gewesen und hat diese hinreichend einzelfallbezogen damit begründet, dass es der Nachbarschaft nicht zuzumuten sei, dass diese für den Zeitraum eines gerichtlichen Verfahrens den schädlichen Umwelteinwirkungen weiter ausgesetzt werde. Dies gelte besonders vor dem Hintergrund, dass es sich vor allem um die besonders lärmsensible Nachtzeit handele, in welcher der Lärm auf die Anwohner einwirke. Die Abwehr dieser schädlichen Umwelteinwirkungen und damit die Gefahrenabwehr für die Nachbarschaft könne nur sichergestellt werden, wenn die Antragstellerin unverzüglich den nächtlichen Lieferverkehr des Betriebes einstelle.
11Die Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin fällt zulasten der Antragstellerin aus, da die Ordnungsverfügung nach summarischer Prüfung voraussichtlich rechtmäßig ist.
12Unschädlich ist zunächst, dass die Antragsgegnerin in der Begründung des Bescheids auf eine falsche Ermächtigungsgrundlage abstellt.
13Bei dem Betriebsgrundstück der Antragstellerin handelt es sich um eine Anlage nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 oder Nr. 3 BImSchG,
14vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22. November 2018 – 7 C 7.17 –, juris Rn. 14,
15sodass §§ 24, 22 BImSchG und nicht § 15 Abs. 1 Satz 1 LImSchG als Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen sind.
16Vgl. zum Verhältnis der Normen OVG NRW, Urteil vom 26. November 1999 – 21 A 891/98 –, juris Rn. 13 ff.
17Der lärmverursachende Lieferverkehr ist insbesondere auch der Anlage selbst zuzurechnen, auch wenn die Immissionen etwa durch betriebsfremde Lkw-Fahrer verursacht werden.
18Vgl. zu nächtlichem Anlieferverkehr eines Großmarkts VG Köln, Urteil vom 21. April 2023 – 9 K 4358/19 –, juris und den Nichtzulassungsbeschluss des OVG NRW vom 13. März 2025 – 8 A 1147/23 –, n. v. und VG München, Beschluss vom 7. November 2012 – M 1 S 12.4465 –, juris (Lieferverkehr eines Supermarkts).
19Die Betriebsorganisation der Antragstellerin ist gerade darauf ausgerichtet, dass ein Lieferverkehr (notwendig) stattfindet. Dabei bestimmt die Antragstellerin als Anlagenbetreiberin darüber, auf welche Art und Weise der Betrieb ausgeübt wird. Anknüpfungspunkt für die Lärmimmissionen ist daher der Betrieb (bzw. das Grundstück) als Anlage.
20Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Juli 2013 – 4 B 193/13 –, juris Rn. 22 (Gaststätte).
21Die Verwaltungsgerichte haben umfassend zu prüfen, ob das materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob ein angegriffener Verwaltungsakt kraft einer anderen als der angegebenen Rechtsgrundlage rechtmäßig ist. Erweist er sich aus anderen als in dem Bescheid angegebenen Gründen als rechtmäßig, ohne dass er durch den Austausch der Begründung in seinem Wesen geändert würde, ist der Verwaltungsakt nicht im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO rechtswidrig.
22Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2019 – 2 B 19.18 –, juris Rn. 24 und Urteil vom 31. März 2010 – 8 C 12.09 –, juris Rn. 16; OVG NRW, Beschluss vom 11. April 2025 – 8 B 238/25 –, Rn. 21 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2023– 5 A 3146/21 –, juris Rn. 58 f. m. w. N.
23Die nachträgliche Heranziehung einer anderen als der im angefochtenen Verwaltungsakt genannten Rechtsgrundlage ist nach den zur Zulässigkeit des Nachschiebens von Gründen entwickelten Grundsätzen nur zulässig und geboten, soweit die anderweitige rechtliche Begründung oder das Zugrundelegen anderer Tatsachen nicht zu einer Wesensveränderung des angefochtenen Bescheides führen würde. Unterscheiden sich die in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen hinsichtlich Struktur und Zweckrichtung grundlegend, scheidet ein Austausch der Ermächtigungsgrundlage aus.
24Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. April 2025 – 8 B 238/25 –, Rn. 23 und Beschluss 29. Mai 2024 – 11 A 119/23 –, juris Rn. 27 ff.
25Vor diesem Hintergrund sind § 24 Satz 1 BImSchG und § 15 Abs. 1 Satz 1 LImSchG austauschbar. Eine Wesensveränderung tritt durch den hier vorzunehmenden Austausch der Rechtsgrundlage nicht ein.
26Vgl. zu diesem Aspekt OVG NRW, Urteil vom 21. November 2022 – 11 A 996/21 –, juris Rn. 33.
27Die Struktur und die Zweckrichtung beider Normen unterscheiden sich nicht grundlegend. Es handelt sich jeweils um Generalklauseln, welche der zuständigen Behörde die Befugnis einräumen, Verstöße gegen immissionsschutzrechtliche Vorschriften abzustellen, wobei § 24 BImSchG insoweit auf die Verhaltenspflichten der Anlagenbetreiber aus § 22 Abs. 1 BImSchG und die Einhaltung der weitergehenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nach § 22 Abs. 2 BImSchG abstellt, während § 15 Abs. 1 Satz 1 LImSchG diesem Gesetz oder den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften widersprechende Zustände betrifft. Sowohl das BImSchG als auch das LImSchG dienen dabei der Vermeidung von schädlichen Umwelteinwirkungen (vgl. § 1 Abs. 1 BImSchG und § 3 Abs. 1 LImSchG).
28Der Austausch der Normen lässt den Tenor der Grundverfügung, die Untersagung des nächtlichen Lieferverkehrs, unberührt und zieht zur Begründung keinen anderen Sachverhalt heran. Er erfordert auch keine wesentlich anderen oder zusätzlichen Ermessenserwägungen.
29Vgl. zu diesen Aspekten BVerwG, Urteil vom 31. März 2010– 8 C 12.09 –, juris Rn. 16; OVG NRW, Beschluss vom 5. August 2015 – 5 A 990/14 –, Rn. 6.
30Gestützt auf § 24 BImSchG bleibt das Verbot des nächtlichen Lieferverkehrs wie nach § 15 Abs. 1 LImSchG eine Maßnahme, die der Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen dient und die im Ermessen der Beklagten steht. Insbesondere bleibt der Regelungsgehalt der angegriffenen Ordnungsverfügung unverändert, wenn sie hinsichtlich der Überschreitung der Lärmgrenzwerte der TA Lärm gem. § 24 BImSchG auf einen Verstoß gegen eine Betreiberpflicht aus § 22 BImSchG abstellt und sie nicht mit einem gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 und § 9 Abs. 1 LImSchG abzustellenden Verstoß gegen den Schutz der Nachtruhe begründet würde.
31Ist die beklagte Behörde – wie hier – für beide Ermächtigungsgrundlagen zuständig, wäre ein „Austausch“ der Ermächtigungsgrundlage nur dann unzulässig, wenn die nach der (als unzutreffend erkannten) Norm getroffene Ermessensentscheidung nicht dem „normspezifischen Zuschnitt“ der (richtigen) Ermessensnorm entspräche. Bestehen insoweit keine wesentlichen Unterschiede, wird durch Aufrechterhaltung eines Bescheides mit einer anderen Ermächtigungsgrundlage das „Wesen“ der getroffenen Ermessensentscheidung nicht verändert.
32Vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 31. Januar 2025 – 8 B 29/24 –, juris Rn. 64 und Urteil vom 26. Mai 2009 – 1 LB 38/08 –, Rn. 37, juris.
33Ausreichend ist bei Ermessensverwaltungsakten, wenn die Normen demselben Zweck dienen und die Ermessenserwägungen die Verfügung auch nach der zutreffenden Vorschrift tragen.
34Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2025 – 13 B 1141/24 –, juris Rn. 30.
35Die bei beiden Generalklauseln anzustellenden Ermessenserwägungen sind vor dem Hintergrund der Zielrichtung beider Gesetze und ihres Charakters als Generalklausel gleichgelagert. Insbesondere bedingt die Ausrichtung auf anlagenbezogenen Lärm einerseits und verhaltensbezogenen Lärm andererseits keine andersartige Ausübung des Ermessens. Die zuständige Behörde muss jeweils entscheiden, ob und mit welchen Mitteln sie gegen schädliche Umwelteinwirkungen vorgeht und bei mehreren Störern (mehrere Anlagenbetreiber oder Verursacher) eine Auswahl des Pflichtigen treffen.
36Die tatbestandliche Nähe der beiden Ermächtigungsgrundlagen wird schließlich auch dadurch unterstrichen, dass in § 15 Abs. 2 LImSchG die entsprechende Anwendung der Vorschriften der § 24 bis 26, des § 29 Abs. 2, des § 30 Satz 2 und des § 31 BImSchG zum Schutz vor anderen Immissionen als Luftverunreinigungen und Geräuschen für nicht genehmigungsbedürftige Anlagen, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und die nicht im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden, angeordnet wird.
37Die Ordnungsverfügung ist zunächst formell rechtmäßig ergangen. Insbesondere wurde die Antragstellerin gem. § 28 VwVfG NRW angehört. Anders als die Antragstellerin meint, war auch eine Zustellung an ihren Prozessbevollmächtigten gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 LZG NRW zulässig. Der jetzige Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hatte sich für diese bereits im Verwaltungsverfahren bestellt. Seine per E-Mail übersandte Vollmacht (vgl. Bl 19 f. des Verwaltungsvorgangs) entsprach zwar nicht der Schriftform, sodass eine Zustellung an ihn nicht gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 LZG NRW zwingend war,
38vgl. dazu, dass die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht erfordert, dass das betreffende Schriftstück im Original vorgelegt wird OVG NRW, Beschluss vom 29. Januar 2013 – 4 B 897/12 –, juris Rn. 18,
39dies schließt jedoch eine Zustellung an den Bevollmächtigten nicht aus.
40Die Ordnungsverfügung ist auch materiell rechtmäßig.
41Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (Nr. 1) und nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden (Nr. 2).
42Die Antragsgegnerin ist zu Recht davon ausgegangen, dass schädliche Umwelteinwirkungen vorliegen, da eine Überschreitung der maßgeblichen Immissionsrichtwerte der TA Lärm durch den Betrieb der Antragstellerin zu besorgen ist.
43Schädliche Umwelteinwirkungen sind nach § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Wann Geräusche die Schwelle schädlicher Umwelteinwirkungen überschreiten, unterliegt weitgehend tatrichterlicher Wertung und ist damit eine Frage der Einzelfallbeurteilung. Diese richtet sich insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit, wobei wertende Elemente wie die Herkömmlichkeit, die soziale Adäquanz und die allgemeine Akzeptanz mitbestimmend sind.
44Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. April 1988 – BVerwG 7 C 33.87 –, juris Rn. 16 m.w.N. und vom 30. April 1992 – 7 C 25.91 –, juris Rn. 11.
45Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu.
46Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 2013 – 4 B 23.12 –, juris Rn. 5; BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 4 C 8.11 –, juris Rn. 18; OVG NRW, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 21 A 2723/01 –, juris Rn. 5 f. m.w.N.
47Nach Nr. 6.1 Satz 1 TA Lärm sind die einzuhaltenden Immissionsrichtwerte von dem Charakter des Gebietes abhängig, in dem sich der Immissionsort befindet.
48Vorliegend hat die Antragsgegnerin Messungen in dem Wohnhaus mit der Anschrift J.-straße 000 als maßgeblichem Immissionsort durchgeführt, das sich im Bereich des Bebauungsplans Nr. 00000/00 der Antragsgegnerin befindet, der das Gebiet, in dem sich das betroffene Grundstück befindet, als allgemeines Wohngebiet (WA) ausweist. Die Immissionsrichtwerte für den Beurteilungspegel betragen für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden gem. Nr. 6.1 lit. e) TA Lärm in allgemeinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten nachts 40 dB(A). Nach Nr. 6.2 Satz 2 TA Lärm dürfen einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen die Immissionsrichtwerte in der Nacht um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten. Die Nachtzeit dauert dabei gem. Nr. 6.4 TA Lärm von 22.00 bis 06.00 Uhr und entspricht damit der von § 9 Abs. 1 LImSchG geschützten Nachtruhe, die die Antragsgegnerin zur Begründung der geschützten Zeiten angeführt hat.
49Aus dem im Verwaltungsvorgang (Bl. 109 ff.) enthaltenen Messbericht der Antragsgegnerin ergibt sich, dass am Messort der Beurteilungspegel (Lr) außen zur Nachtzeit 65,8 dB(A) beträgt. Die Antragsgegnerin hat hiervon gemäß Nr. 6.9 der TA Lärm weitere 3 dB(A) abgezogen. Die lauteste vom Anlieferverkehr ausgehende kurzzeitige Geräuschspitze (LAFmax) betrug danach 79,8 dB(A).
50Der Messbericht der Antragsgegnerin ist nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Er entspricht den Vorgaben nach Nr. A.3.5 des Anhangs zur TA Lärm. Danach sind die Geräuschmessungen in einem Bericht darzustellen, der die erforderlichen Angaben enthält, um die Durchführung der Ermittlung und die Darstellung der Ergebnisse nachvollziehen sowie die Qualität der Ergebnisse einschätzen zu können. In der streitgegenständlichen Untersuchung sind insbesondere eine Bezeichnung der Anlage, die Aufgabenstellung, das verwendete Verfahren, der Lageplan, aus dem die Anordnung der Anlage, der relevanten Schallquellen und der maßgeblichen Immissionsorte zu ersehen ist, sowie Ort und Zeit der Messungen und Schallausbreitungsbedingungen enthalten. Darüber hinaus werden die Beurteilungspegel, Maximalpegel sowie die zugehörigen Bestimmungsgrößen, angegeben, und eine Aussage zu der Qualität der Ergebnisse getroffen. Aus dem Messbericht geht auch hervor, dass die streitgegenständlichen Immissionen dem Betrieb der Antragstellerin und nicht etwa – wie von der Antragstellerin vorgetragen – der Autobahn A 559, dem Flughafen Köln/Bonn oder anderen Betrieben in der Nachbarschaft zuzuordnen sind.
51Es kann dahinstehen, ob die Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert anzuheben sind, weil eine Gemengelage gemäß Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm vorliegt. Eine solche Gemengelage ist gegeben, wenn gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte und zum Wohnen dienende Gebiete aneinandergrenzen.
52Für den Bereich, in dem das Betriebsgrundstück der Antragstellerin liegt, ist ein besonderes Wohngebiet im Sinne von § 4a BauNVO festgesetzt. Diese Gebietsart ist jedoch in Nr. 6.1 Satz 1 TA Lärm nicht explizit aufgeführt und ihr ist damit kein bestimmter Immissionsrichtwert zugeordnet, da der Gebietscharakter und die daraus folgende Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit nicht wie bei den anderen Gebietsarten typisiert werden kann. Charakteristisch für ein nach § 4a BauNVO festgesetztes besonderes Wohngebiet sind besondere tatsächliche Verhältnisse, die eine anderweitige Festsetzung des Gebiets, beispielsweise als allgemeines Wohngebiet, gerade nicht erlauben; mithin kommt auch eine regelmäßige Gleichsetzung eines besonderen Wohngebiets mit einem allgemeinen Wohngebiet hinsichtlich der Beurteilung von zumutbaren Lärmbelastungen ebenso wenig in Betracht wie eine generalisierende Behandlung eines derartigen Gebiets als Mischgebiet. Zu betrachten sind daher die charakteristischen tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall. Welcher Lärm zumutbar ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit.
53Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 1992 – 4 B 228/91 –, juris Rn. 5; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2024 – 6 S 2828/19 –, juris Rn. 81; Bay. VGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 1 ZB 14.301 –, juris Rn. 3.
54Da die von der Antragsgegnerin festgestellten Geräuschimmissionen die gem. Nr. 6.1 lit. d) TA Lärm für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete geltenden Immissionsgrenzwerte von 45 dB(A) nachts überschreiten, schließt auch ein etwaig zu bildender Zwischenwert eine schädliche Umwelteinwirkung nicht aus.
55Die Antragsgegnerin hat das ihr eingeräumte Ermessen fehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO, § 40 VwVfG NRW) ausgeübt. Angesichts der vorliegenden Nachbarbeschwerden hat die Antragsgegnerin ihr Entschließungsermessen ausgeübt und sich zu Recht für ein Einschreiten entschieden.
56Die Untersagung des nächtlichen Lieferverkehrs ist auch nicht unverhältnismäßig. Sie dient dem legitimen Zweck des Gesundheitsschutzes der Anwohner und ist zur Zweckerreichung geeignet. Es sind keine milderen, gleich geeigneten Mittel ersichtlich. Die Antragsgegnerin verweist hinsichtlich der von der Antragstellerin angeführten baulichen Maßnahmen zu Recht darauf, dass bauliche Lärmschutzmaßnahmen, wie z. B. das Errichten einer Schallschutzwand, nicht zielführend sind, da der An- und Ablieferungsverkehr nicht nur auf dem Betriebsgrundstück der Antragstellerin, sondern bereits im Bereich des öffentlichen Straßenlandes erhebliche Überschreitungen der Immissionsrichtwerte hervorruft. Auch eine Verpflichtung der Antragstellerin, die Immissionsrichtwerte zur Nachtzeit einzuhalten, ist nicht gleich geeignet. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin dies trotz ihrer gesetzlichen Verpflichtung bislang nicht getan hat, gehen die grenzwertüberschreitenden Immissionen nach den Messungen der Antragsgegnerin allein von den nächtlichen Liefertätigkeiten der Antragstellerin aus und anderweitige lärmmindernde Schutzmaßnahmen sind – wie oben dargelegt – nicht ersichtlich. Eine derartige Anordnung wäre für die Antragsgegnerin auch nur wesentlich schwerer durchzusetzen, da Verstöße im Einzelfall nur durch Messungen ermittelt werden könnten. Schon aus diesem Grund war die Antragsgegnerin auch nicht gehalten, gegen die Antragstellerin nur im Rahmen von Bußgeldverfahren (§ 17 Abs. 1 lit. e LImSchG) vorzugehen.
57Die Ordnungsverfügung ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Es ist angesichts der deutlichen Überschreitung der Immissionsrichtwerte, welche jenseits von 60 dB(A) bereits zu einer Gesundheitsgefahr für die Anwohner führen dürften,
58vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 28. September 2023 – 8 A 2519/18 –, juris Rn. 161 ff.,
59nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin den nächtlichen Lieferverkehr untersagt hat. Dies gilt auch, wenn man der Angabe der Antragstellerin folgt, dass ihr aufgrund dieser Anordnung ein Gewinnrückgang von 291.000 Euro pro Jahr drohe. Insoweit ist dem Gesundheitsschutz der Anwohner der Vorrang einzuräumen. Es besteht eine aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht der Antragsgegnerin, welche die Ergreifung von Maßnahmen zum Schutz vor gesundheitsschädigenden und gesundheitsgefährdenden Auswirkungen von Lärm umfasst.
60Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. September 2023 – 8 A 2519/18 –, juris Rn. 154 mit Verweis auf BVerfG, Beschlüsse vom 20. Februar 2008 – 1 BvR 2722/06 –, juris Rn. 66, 78 und vom 30. November 1988 – 1 BvR 1301/84 –, juris Rn. 57, 80 ff. und BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 – 4 C 9.95 –, juris Rn. 35 ff.
61Demgegenüber muss das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an einer Fortführung des nächtlichen Lieferverkehrs zurückstehen, zumal jedenfalls nach Angaben der Antragsgegnerin für die derzeitige Nutzung des Betriebsgrundstücks keine Baugenehmigung vorliegt und zudem für die Kammer auch nicht ersichtlich ist, warum die Antragstellerin ihre Betriebsabläufe nicht dergestalt organisieren kann, dass ein Lieferverkehr zur Nachtzeit nicht mehr erforderlich ist.
62Vor diesem Hintergrund wäre die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin auch unterhalb der Grenze der Gesundheitsgefahr nicht zu beanstanden.
63Vgl. zur erforderlichen Interessenabwägung OVG NRW, Urteil vom 28. September 2023 – 8 A 2519/18 –, juris Rn. 357 f.
64Die gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 112 JustG NRW sofort vollziehbare Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 der angefochtenen Verfügung beruht auf den §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 VwVG NRW und trifft auf keine rechtlichen Bedenken. Insbesondere können gem. § 57 Abs. 3 Satz 2 VwVG NRW bei Erzwingung einer Duldung oder Unterlassung die Zwangsmittel für jeden Fall der Nichtbefolgung festgesetzt und entsprechend angedroht werden.
65Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
662. Der festgesetzte Wert entspricht der Bedeutung der Sache (§§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG). Nach Nr. 19.1.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai und 1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen kann für die Bedeutung eines Verfahrens, in dem sich der Kläger gegen eine immissionsschutzrechtliche Betriebsuntersagung wendet, der entgangene (Jahres-)Gewinn herangezogen werden. Zwar handelt es sich bei der streitgegenständlichen Anordnung nicht um eine vollständige Betriebsuntersagung, sondern nur um ein Verbot des nächtlichen Lieferverkehrs. Doch auch insoweit erscheint es angebracht, auf den aufgrund des Verbots entgangenen (Jahres-) Gewinn abzustellen.
67Vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 22. Januar 2025 – 12 E 3972/24 –, juris Rn. 57.
68Die Antragstellerin hat angegeben, dass ihr aufgrund der Ordnungsverfügung ein Gewinnrückgang von 291.000 Euro pro Jahr drohe. Dieser Wert ist gem. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.
69Rechtsmittelbelehrung
70Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Verwaltungsgericht Köln (Appellhofplatz, 50667 Köln oder Postfach 10 37 44, 50477 Köln) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist eingeht bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
71Die Beschwerde ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
72Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist nicht selbstständig anfechtbar.
73Gegen die Festsetzung des Streitwerts kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem diese Entscheidung Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln (Appellhofplatz, 50667 Köln oder Postfach 10 37 44, 50477 Köln) schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Hierfür besteht kein Vertretungszwang. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.