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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Dieses Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Klägerin ist auf dem Gebiet des Groß- und Einzelhandels von Waren, insbesondere Lebensmitteln, tätig. Sie beantragte mit am 14. Februar 2019 bei der Beklagten eingegangenem Antrag vom 12. Februar 2019 die Einordnung einer sog. Permanenttragetasche als nicht systembeteiligungspflichtige Verpackung nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 23 Verpackungsgesetz (VerpackG). Die Tasche besteht aus recyceltem Kunststoff (PET) und verfügt über stabile Henkel aus gewebtem Polypropylen. Ihre Maße betragen 45 x 39 x 21 cm, ihre Wandstärke ca. 280 μm, ihre Füllgröße 35 Liter. Die Tasche ist für eine Traglast von 20 kg ausgelegt.
3Die Klägerin fügte dem Antrag die folgend wiedergegebenen Lichtbilder der Tragetasche bei:
4„Bilddarstellungen wurden entfernt“
5Mit Bescheid vom 4. Juli 2019 stellte die Beklagte fest, dass es sich bei der Permanenttragetasche um eine systembeteiligungspflichtige Verpackung im Sinne von § 3 Abs. 8 VerpackG handele.
6Diese sei zunächst als Verpackung einzuordnen.
7Die Tragetasche werde typischerweise dem Endverbraucher kostenpflichtig als Verkaufseinheit aus Ware und Verpackung angeboten, nämlich an der Kasse der Filialen der Klägerin als Tragetasche zum Befüllen mit den auf dem Kassenband befindlichen Waren. In Anlage 1 Nummer 1 Buchstabe b) VerpackG, wie auch schon in der Vorläufervorschrift in Anhang Nummer 2 Buchstabe b) der Verpackungsverordnung (VerpackV), seien als Verpackungen ausdrücklich auch Tragetaschen aus Papier oder Kunststoff aufgeführt. Mit diesen Tragetaschen sei der Prüfgegenstand vergleichbar: Es handele sich um eine Tragetasche aus Kunststoff. Die Permanenttragetasche werde typischerweise an der Kasse mit Waren befüllt. Anschließend diene sie der Handhabung beziehungsweise dem Transport dieser Waren. Dies entspreche der Funktion von Tragetaschen aus Papier oder Kunststoff. Der Hauptzweck der Tragetasche sei der Verpackungszweck. Die möglicherweise mehrfache Verwendung zu anderen Zwecken hindere die Einstufung als Verpackung nicht. Gegenstände gölten als Verpackungen, wenn sie der in § 3 Absatz 1 VerpackG genannten Begriffsbestimmung entsprächen, unbeschadet anderer Funktionen, die die Verpackung möglicherweise ebenfalls erfülle, Anlage 1 Nummer 1 Buchstabe a VerpackG. Erfülle die Permanenttragetasche somit alle Tatbestandsvoraussetzungen, um als Verpackung in Sinne von § 3 Absatz 1 VerpackG zu gelten, so rechtfertige sich eine andere Beurteilung auch nicht etwa deshalb, weil sie als Einkaufstasche, Sammelbehältnis etc. längerfristig sinnvoll weiter benutzt werden könne.
8Für die Eigenschaft als Verpackung sei ein potentieller Zweitnutzen – hier als Sporttasche, Pfandflaschen- oder Aktentransporttasche – grundsätzlich unerheblich. Denn ansonsten würde das abfallwirtschaftliche Ziel des Verpackungsgesetzes bzw. vormals der Verpackungsverordnung unterlaufen, wenn sich der Hersteller durch aufwändigere Gestaltung der Verpackung, wie ein „anspruchsvolles Design“, darauf berufen könnte, dass die Verpackung selbst hochwertig sei und der Produktnutzen der Verpackung über den reinen Verpackungszweck hinausreiche. Eine gegenteilige Einschätzung sei im vorliegenden Fall auch nicht deshalb geboten, weil ein Kaufpreis von einem Euro für den Prüfgegenstand zu zahlen sei. Denn das auf die Tragetasche entfallende Entgelt sei nicht so hoch bemessen, dass nur Käufer auf das Produkt zurückgriffen, die dieses auf jeden Fall dauerhaft weiterverwenden wollten. Auch wenn es für Kunden, die sich in erster Linie für eine einmalig zu nutzende Einkaufstasche interessierten, wirtschaftlich unvernünftig sei, auf die Permanenttragetasche zurückzugreifen, wenn Einkaufstüten aus Kunststoff oder Papier zu einem günstigeren Preis erhältlich seien, so könne ein solches Konsumverhalten keineswegs ausgeschlossen werden. Hierfür spreche auch die stabile und reißfestere Ausgestaltung des Prüfgegenstandes mit einer Traglast von 20 kg, die anders als herkömmliche Plastiktüten oder Papiertragetaschen die Eignung für den Transport auch größerer Mengen oder schwerer Waren ermögliche. Im Vordergrund stehe damit, wie auch die verkaufsstrategische Platzierung an der Kasse zeige, beim Erwerb des Prüfgegenstandes weiterhin und erst recht der Kaufanreiz in Form der besonderen Eignung zur Befüllung mit den im Markt erworbenen Waren und nicht der Erwerb des Prüfgegenstandes als eigenständiges Produkt. Bei dem Prüfgegenstand handele es sich auch um eine Verkaufsverpackung. Die Tasche werde typischerweise dem Endverbraucher beim Letztvertreiber (dem jeweiligen Y.-Markt) als Verkaufseinheit aus Ware und Verpackung, nämlich zur eigenständigen Befüllung mit den erworbenen Waren, angeboten. Sie sei damit eine Serviceverpackung. Soweit im Einzelfall eine abweichende Praxis des Inverkehrbringens erfolge und zum Beispiel der Endverbraucher die Permanenttragetasche ausnahmsweise nicht zur Befüllung mit Waren erwerbe, sei dies für die Einordnungsentscheidung unerheblich. Nach dem Verpackungsgesetz sei bei der Einordnung einer Verpackung als Verkaufsverpackung eine abstrakte Zuordnung nach der „typischen“ Verwendung vorgesehen. Maßgeblich sei daher die Betrachtung, ob die Verkaufseinheit aus Verpackung (Permanenttragetasche) und Ware (Verbrauchsgüterkauf) typisch sei. Ein anderweitiges Inverkehrbringen stelle demgegenüber keine typische Verwendung dar und sei für die Einordnung insoweit unbeachtlich. Schließlich handele es sich bei dem Prüfgegenstand um eine Verkaufsverpackung, die nach Gebrauch typischerweise beim privaten Endverbraucher als Abfall anfalle. Die Permanenttragetasche falle nahezu ausschließlich im privaten Endverbrauch als Abfall an, sei es nach unmittelbarer Entsorgung oder der von der Klägerin vorgebrachten Zweitnutzung. Die Tragetasche sei auch keine Mehrwegverpackung. Entscheidend sei eine bereits vor dem Inverkehrbringen vorliegende Zweckbestimmung zur mehrfachen Wiederverwendung. Außerdem müsse die Wiederverwendung zum gleichen Zweck wie die erstmalige Verwendung erfolgen. Eine Wiederverwendbarkeit in diesem Sinne sei für den Prüfgegenstand nicht anzunehmen. Zwar trage die Klägerin vor, dass die Permanenttragetasche diverse Funktionen erfüllen könne, zum Beispiel als Einkaufstasche, Sammelbehältnis oder auch Sporttasche. Das sei aber nicht ausreichend. Denn die Wiederverwendung müsse zum gleichen Zweck wie die erstmalige Verwendung, das heißt zur Umschließung und zum Transport von Verbrauchs- und Gebrauchsgütern, erfolgen. Soweit die Permanenttragetasche als Sammelbehältnis oder Sporttasche genutzt werde, sei das allenfalls eine Weiter- und nicht eine Wiederverwendung. Darüber hinaus fehle es an einer konkreten Rückgabemöglichkeit.
9Am 1. August 2019 erhob die Klägerin Widerspruch, welchem die Beklagte nicht abhalf. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2020 – der Klägerin am 16. Juli 2020 zugestellt – wies das Umweltbundesamt den Widerspruch unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des Bescheides vom 4. Juli 2019 zurück.
10Am 4. August 2020 hat die Klägerin Klage bei dem Verwaltungsgericht Osnabrück erhoben.
11Bei der streitgegenständlichen Permanenttragetasche handele es sich nicht um eine Verpackung, sondern um ein eigenständiges Produkt, nämlich um eine Allzwecktasche. In dieser Funktion sei sie von Verpackungen zu unterscheiden, da sie einen gegenüber dem sekundären Verpackungszweck vorrangigen und darüber hinausreichenden Produktzweck bzw. Gebrauchswert habe. Eine solche Abgrenzung zwischen Produkt und Verpackung habe der Verordnungsgeber bereits im Rahmen der Novelle der Verpackungsverordnung aus dem Jahr 1998 vorgesehen, dieser Grundsatz gelte auch für das Verpackungsgesetz fort. Für die Produkteigenschaft der Allzwecktasche spreche, dass sie ohne Füllgut und nicht im Zusammenhang mit einer Ware vertrieben werde. Wesensmerkmal der Verpackungen nach dem Verpackungsgesetz sei indes eine dienende Funktion der Verpackung im Verhältnis zur Ware.
12Die auf eine dauerhafte Nutzung angelegte Reißfestigkeit und Stabilität einer Allzwecktasche ermögliche dem Verbraucher, diese Beschaffenheit nicht nur zum Heimtransport von Einkäufen, sondern auch in anderen Alltagssituationen, z. B. als Sammelbehälter für Altglas und Pfandflaschen oder als Freizeittasche für Sport und Urlaub zu nutzen. Um den Mehrwert der Allzwecktasche zu nutzen, erwerbe der Kunde die im Vergleich zu einfachen Einweg-Plastiktüten deutlich teurere Allzwecktasche. Dies werde auch durch Verbraucherumfragen belegt. Würde für den Verbraucher die Verpackungsfunktion in Form einer einfachen Tragehilfe überwiegen, würde er auf eine deutlich günstigere Alternative aus einfachem, dünnem Kunststoff oder Papier zurückgreifen. Die Produkteigenschaft der hier in Rede stehenden Allzwecktasche werde zudem bei einem Vergleich mit anderen Erzeugnissen, wie z. B. Stoffbeuteln und Einkaufskörben, deutlich, denen in der Kommentarliteratur in Abgrenzung zur Verpackung eine eigenständige, über den Verpackungszweck hinausgehende Gebrauchsfunktion zugeschrieben werde. Die Klägerin erziele auch einen nicht unerheblichen Umsatz mit Allzwecktaschen, was für die Eigenschaft als Produkt spreche. Auch aus Sicht des Verbrauchers erfolge dieses Angebot eindeutig als Produktangebot. Die streitgegenständliche Tasche sei nicht mit den in Anlage 1 Nr. 2 VerpackG unter dem Punkt „Beispiele für Kriterium Buchstabe b)“ genannten „Tragetaschen aus Papier oder Kunststoff“ vergleichbar. Eine systematische Auslegung mit den weiteren in Anlage 1 Nr. 2 VerpackG aufgelisteten Beispielen verdeutliche, dass alle Beispiele im Sinne von Einwegartikeln zu verstehen seien. Dies gelte auch für die Eigenschaft als Serviceverpackung. Eine Serviceverpackung setze ohnehin zunächst das Vorliegen einer Verpackung voraus. Die Einordnung des streitgegenständlichen Produktes als Verpackung laufe überdies den abfallwirtschaftlichen Zielen des § 1 VerpackG und der Richtlinie 94/62/EG zuwider. Die streitgegenständliche Tasche, deren Wandstärke 280 μm betrage, werde gerade nicht von den Regelungen der Richtlinie 2015/720/EU erfasst, die ausweislich ihrer Überschrift nur leichte Kunststofftragetaschen zum Gegenstand habe. Auch ergebe sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht, dass die Permanenttragetasche als Verpackung einzustufen sei.
13Die Klägerin beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Juli 2019 und des Widerspruchbescheides vom 14. Juli 2020 zu verpflichten, die im Antrag vom 14. Februar 2019 beschriebene und als Muster vorgelegte Tragetasche als nicht systembeteiligungspflichtige Verpackung im Sinne von § 3 Abs. 8 VerpackG einzuordnen.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Die verfahrensgegenständliche Kunststofftragetasche erfülle unstreitig eine Verpackungsfunktion, da sie jedenfalls der Aufnahme von Waren diene. Sie werde in den Verkaufsstellen der Klägerin den Kunden angeboten. Bereits hieraus folge der Zusammenhang mit Waren, nämlich den hauptsächlich von der Klägerin vertriebenen Lebensmitteln. Ein darüber hinaus reichender Produktzweck bzw. Gebrauchswert schließe die Verpackungseigenschaft nicht aus. Verpackungen müssten auch lediglich eine der in § 3 Absatz 1 Satz 1 VerpackG genannten Verpackungsfunktionen erfüllen. Die von der Klägerin in Bezug genommenen Auslegungshinweise in der Verordnungsbegründung seien nicht (mehr) relevant, da diese ausdrücklich nur von vorläufiger Natur gewesen seien und lediglich für eine Übergangszeit gelten sollten. Auch der Europäische Gerichtshof habe die Verpackungseigenschaft von Kunststofftragetaschen im Sinne der Richtlinie 94/62/EG eindeutig bejaht. Der Europäische Gerichtshof habe sogar klargestellt, dass weitere Umstände, wie insbesondere die Vereinnahmung eines Entgeltes bei Abgabe, grundsätzlich keine Auswirkungen auf diese Einordnung haben könnten, um eine Umgehung der Richtlinie 94/62/EG zu verhindern. Die Systematik und Erwägungsgründe machten unmissverständlich deutlich, dass unter den allgemeinen Begriff der Kunststofftragetasche auch in der Richtlinie 2015/720/EU sowohl diejenigen mit einer Wandstärke unter 50 μm als auch diejenigen Kunststofftragetaschen mit einer höheren Wandstärke fielen. Auch nach Anlage 1 zu § 3 Absatz 1 VerpackG, welche die gesetzlichen Vorgaben des § 3 Absatz 1 VerpackG konkretisiere, sei die verfahrensgegenständliche Kunststofftragetasche als Verpackung einzuordnen. Sie falle sogar unter die Beispiele, die in Anlage 3 (zu § 3 Absatz 1) VerpackG für Gegenstände im Sinne des Buchstaben b) ausdrücklich aufgeführt seien. Die Kunststofftragetaschen seien dazu konzipiert und bestimmt, in der Verkaufsstelle, nämlich an der Kasse, mit Waren befüllt zu werden, um dem Kunden den Schutz und die Handhabung der erworbenen Produkte zu ermöglichen. Eine Beschränkung von Buchstabe 1 b) nebst zugehöriger Beispiele auf „Einwegartikel“ in Anlage 1 (zu § 3 Absatz 1) widerspreche schon dem Wortlaut. Auch die von der Klägerin angeführten verpackungsrechtlichen Zielsetzungen sprächen gegen jegliche Einschränkung des Verpackungsbegriffs. Im Übrigen handele es sich bei Kunststofftragetaschen um Einwegartikel bzw. Einwegverpackungen, weil die Voraussetzungen von § 3 Absatz 3 VerpackG nicht erfüllt seien.
18Mit Beschluss vom 24. Januar 2022 hat das Verwaltungsgericht Osnabrück den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Köln verwiesen.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.
20Entscheidungsgründe
21Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Köln folgt aus dem Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 24. Januar 2022. An den Verweisungsbeschluss ist das erkennende Gericht gebunden, § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG.
22Vgl. zur eigentlich bestehenden Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Osnabrück: BVerwG, Beschluss vom 9. Januar 2023 – 10 AV 1.23 –, juris Rn. 5 ff.
23Die Umstellung des ursprünglich angekündigten Anfechtungsantrags hin zum in der mündlichen Verhandlung gestellten Verpflichtungsantrag ist keine Klageänderung, sondern nur eine Klageerweiterung im Sinne von § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO.
24Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2023 – 8 B 19.23 –, juris Rn. 14.
25Die als Verpflichtungsklage statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet.
26Die Ablehnung der Einstufung der streitgegenständlichen Tragetasche als nicht systembeteiligungspflichtige Verpackung durch Bescheid vom 4. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
27Die Beklagte entscheidet gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 23 VerpackG auf Antrag durch Verwaltungsakt über die Einordnung einer Verpackung als systembeteiligungspflichtig im Sinne von § 3 Absatz 8 VerpackG. Danach sind systembeteiligungspflichtige Verpackungen mit Ware befüllte Verkaufs- und Umverpackungen, die nach Gebrauch typischerweise beim privaten Endverbraucher als Abfall anfallen. Bei der streitgegenständlichen Permanenttragetasche handelt es sich um eine solche systembeteiligungspflichtige Verpackung.
281. Die Tragetasche ist zunächst eine (Verkaufs-) Verpackung.
29Das Verpackungsgesetz gilt nur für Verpackungen (vgl. § 2 Abs. 1 VerpackG). Der Begriff der Verpackung ist in § 3 Abs. 1 VerpackG legaldefiniert, wobei das Verpackungsgesetz zwischen Verkaufsverpackungen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), Umverpackungen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) und Transportverpackungen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3) unterscheidet.
30Bezüglich der hier streitgegenständlichen Tragetasche kommt eine Einordnung unstreitig nur als Verkaufsverpackung, im Sinne einer Serviceverpackung, nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) VerpackG in Betracht. Danach sind Verpackungen aus beliebigen Materialien hergestellte Erzeugnisse zur Aufnahme, zum Schutz, zur Handhabung, zur Lieferung oder zur Darbietung von Waren, die vom Rohstoff bis zum Verarbeitungserzeugnis reichen können, vom Hersteller an den Vertreiber oder Endverbraucher weitergegeben werden und typischerweise dem Endverbraucher als Verkaufseinheit aus Ware und Verpackung angeboten werden (Verkaufsverpackungen); als Verkaufsverpackungen gelten auch Verpackungen, die erst beim Letztvertreiber befüllt werden, um die Übergabe von Waren an den Endverbraucher zu ermöglichen oder zu unterstützen (Serviceverpackungen).
31Gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 VerpackG wird die Begriffsbestimmung für Verpackungen durch die in der Anlage 1 genannten Kriterien ergänzt; die dort aufgeführten Gegenstände sind Beispiele für die Anwendung dieser Kriterien.
32Die Verpackungsdefinition setzt sich aus einer einleitenden, allgemeinen Verpackungsdefinition und einem besonderen Definitionsteil, der die typische Funktion und Verwendung der jeweiligen Verpackungsart (Verkaufsverpackungen, wozu auch Serviceverpackungen und Versandverpackungen zählen, Umverpackungen und Transportverpackungen) beschreibt, zusammen. Bei den Verpackungsdefinitionen erfolgt unter Berücksichtigung des durch die Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle (VerpackungsRL) vorgegebenen Rahmens eine stärkere Berücksichtigung der von den Inverkehrbringern intendierten Bestimmung.
33Vgl. die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/11274, S. 81.
34Das Vorliegen einer der in § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VerpackG aufgeführten allgemeinen Verpackungsfunktionen ist zunächst Anknüpfungspunkt für die Unterscheidung von Verpackung und Ware. Erfüllt ein Gegenstand eine der genannten Verpackungsfunktionen, so handelt es sich sodann um eine Verpackung, wenn auch eine der besonderen Verpackungsdefinitionen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Nr. 1–3 VerpackG erfüllt ist.
35Vgl. Konzak/Körner in: Landmann/Rohmer, UmweltR, 105. EL September 2024, VerpackG § 3 Rn. 6; Wüstenberg, LMuR 2020, 141, 142 f.
36Die hier streitgegenständliche Tragetasche erfüllt die allgemeine Verpackungsfunktion (dazu a)) und fällt unter die besondere Verpackungsdefinition der Verkaufsverpackung (dazu b)).
37a) Allen Verpackungen ist gemein, dass sie aus beliebigen Materialien hergestellte Erzeugnisse zur Aufnahme, zum Schutz, zur Handhabung, zur Lieferung oder zur Darbietung von Waren sind, die vom Rohstoff bis zum Verarbeitungserzeugnis reichen können, und vom Hersteller an den Vertreiber oder Endverbraucher weitergegeben werden.
38Diese allgemeine Verpackungsdefinition entspricht derjenigen der Vorgängerregelung in § 3 Abs. 1 VerpackV, die allerdings anstatt des Begriffs des „Erzeugnisses“ vom „Produkt“ sprach. Auch ist sie weitgehend identisch mit der Definition in Art. 3 Nr. 1 VerpackungsRL, die Verpackungen als aus beliebigen „Stoffen“ hergestellte „Produkte“ definiert.
39Die streitgegenständliche Tragetasche ist ein Erzeugnis, das vom Hersteller an den Vertreiber oder Endverbraucher weitergegeben wird.
40In der allgemeinen Verpackungsdefinition ist mit den darin beschriebenen Verpackungsfunktionen (Aufnahme, Schutz, Handhabung, Lieferung oder Darbietung von Waren) zugleich die Abgrenzung zur Ware bzw. – insoweit synonym – dem Erzeugnis oder Produkt integriert, die nach dem Gesetz ausschließlich anhand der Legaldefinition der Verpackung in § 3 Abs. 1 VerpackG erfolgt.
41Vgl. zur Notwendigkeit dieser Abgrenzung explizit die Gesetzesbegründung zum Entwurf des Ersten Gesetzes zur Änderung des Verpackungsgesetzes hinsichtlich der Beschränkung des Inverkehrbringens von Kunststofftragetaschen durch § 5 Abs. 2 VerpackG in BT-Drs. 578/19, S. 12:
42„Aus dem Regelungsstandort im Verpackungsgesetz, dessen Anwendungsbereich sich nach seinem § 2 Absatz 1 auf Verpackungen beschränkt, folgt, dass das Inverkehrbringen solcher leichten Kunststofftragetaschen nach dieser Regelung nur dann verboten ist, wenn die Kunststofftragetaschen Verpackungen im Sinne des § 3 Absatz 1 des Verpackungsgesetzes darstellen. Das Inverkehrbringen von Kunststofftragetaschen als eigenständige Ware ist damit nicht untersagt, zumal solche Tragetaschen auch nicht zur Befüllung in der Verkaufsstelle bestimmt sind.“
43Die streitgegenständliche Tragetasche erfüllt gleich mehrere der in der allgemeinen Verpackungsdefinition genannten Verpackungsfunktionen. Der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 1 VerpackG („Erzeugnisse zur Aufnahme, zum Schutz, zur Handhabung, zur Lieferung oder zur Darbietung von Waren“) zeigt, dass zur Einstufung als Verpackung (der objektiv zu bestimmende) Einsatzzweck des jeweiligen Gegenstands auf mindestens eine dieser Funktionen gerichtet sein muss. Dies ist hier der Fall, denn die streitgegenständliche Tasche dient der Aufnahme, dem Schutz und der Handhabung von Waren.
44Dies bestreitet auch die Klägerin nicht, welche die streitgegenständliche Tasche in ihrem Einstufungsantrag u. a. als „Einkaufstasche für Supermarkt, Baumarkt, Gartencenter etc.“ bezeichnet hat und sie so auch im Internet anpreist,
45vgl. https:// „Bezugsquelle wurde entfernt“.
46Der unbestrittene mögliche Zweitnutzen der Permanenttragetasche ändert an der Erfüllung der Verpackungsdefinition nichts. Unerheblich ist auch, dass nach Angaben der Klägerin der Großteil der von ihr befragten Kunden die Tasche mit dem Ziel der mehrfachen Verwendung kauft und auch, dass es durchaus denkbar ist, dass Kunden die Tragetasche als Handelsware um ihrer selbst willen erwerben, um sie beispielsweise als Strandtasche zu verwenden. Dies macht sie nicht zum Produkt im Sinne des Verpackungsgesetzes.
47Für eine derart losgelöste (vor- oder nachgelagerte) Prüfung im Hinblick auf einen „überwiegenden Produktnutzen“ lässt der Gesetzeswortlaut keinen Raum. Auch die Systematik der Norm des § 3 Abs. 1 VerpackG spricht dagegen. Die Begriffsbestimmung für Verpackungen wird gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 VerpackG durch die in der Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 VerpackG genannten Kriterien „ergänzt“; sie sind damit Teil der Legaldefinition. Hieran zeigt sich, dass die Abgrenzung zur Ware bereits in die Subsumtion unter die Legaldefinition integriert ist.
48So stellt Nr. 1 lit. a) der Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 VerpackG klar, dass Gegenstände als Verpackungen gelten, wenn sie der in § 3 Absatz 1 genannten Begriffsbestimmung entsprechen und zwar unbeschadet anderer Funktionen, die die Verpackung möglicherweise ebenfalls erfüllt. Eine Abgrenzung dergestalt, dass die „anderen Funktionen“ einer Verpackung die Verpackungseigenschaft ausschließen, ist hier gerade nicht angelegt. Eine Rückausnahme wird insoweit – trotz Erfüllung einer Verpackungsfunktion – nur für Gegenstände gemacht, die integraler Teil eines Produkts sind, der zur Umschließung, Unterstützung oder Konservierung dieses Produkts während seiner gesamten Lebensdauer benötigt wird, und alle Komponenten für die gemeinsame Verwendung, den gemeinsamen Verbrauch oder die gemeinsame Entsorgung bestimmt sind.
49Die Gleichstellung von „Gegenständen“ und „Einwegartikeln“ in Nr. 1 lit. b) Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 VerpackG zeigt überdies, dass es auf eine Wiederverwendbarkeit der Verpackung nicht ankommt. Die von der Klägerin vorgetragene Auslegung, wonach sich Nr. 1 lit. b) der Anlage nur auf Einwegartikel beziehe, weil die unter Nr. 2 genannten Beispiele dazu (abgesehen von den Tragetaschen) ausschließlich Einwegartikel beträfen, verfängt nicht. In Nr. 1 lit. b) der Anlage werden „Gegenstände, die dafür konzipiert und bestimmt sind, in der Verkaufsstelle gefüllt zu werden“ und „Einwegartikel, die in gefülltem Zustand verkauft oder dafür konzipiert und bestimmt sind, in der Verkaufsstelle gefüllt zu werden“ separat aufgeführt. Eine solche Trennung wäre bei einer beabsichtigten Beschränkung auf Einwegartikel widersinnig, da die Nennung der „Gegenstände“ dann schlicht redundant wäre, worauf die Beklagte zu Recht hinweist.
50Soweit die Klägerin auf die Begründung zur ursprünglichen Fassung der VerpackungsV aus dem Jahr 1998 verweist, wonach eine Verpackung dann nicht vorliegen soll, wenn der Produktnutzen gegenüber der Verpackungsfunktion überwiegt,
51vgl. BT-Drs. 13/10943, S. 23,
52verkennt sie, dass dieser „für eine Übergangszeit“ geltende Auslegungshinweis schon durch die Neufassung der VerpackV im Jahr 2006 obsolet geworden ist, worauf die Beklagte zutreffend hinweist. Mit dieser Neufassung der VerpackV hatte der Verordnungsgeber einen neuen Anhang V hinzugefügt, welcher der heutigen Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 VerpackG entsprach. Damit sollte der entsprechenden Einführung eines gleichlautenden Anhangs I in die Verpackungsrichtlinie durch die RL 2004/12/EG Rechnung getragen werden, womit der Verpackungsbegriff der Verpackungsrichtlinie präzisiert worden ist (Erwägungsgrund 2 der RL 2004/12/EG).
53Vgl. BT-Drs. 16/66, S. 9.
54Die Ergänzung der Verpackungsdefinition durch die Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 VerpackG lässt jedoch – wie gezeigt – keinen Raum mehr für den Ausschluss der Verpackungseigenschaft bei einem „Überwiegen“ des Produktnutzens.
55A.A. wohl Häberle in: Erbs/Kohlhaas/Häberle, 254. EL Oktober 2024, VerpackG § 3 Rn. 6; Bartholmes in: Schmehl/Klement, GK-KrWG, 2. Auflage 2019, § 3 VerpackG Rn. 8.
56Vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 2. März 2006 – 12 U 83/05 –, Rn. 33, das aber ersichtlich von dem Verpackungsbegriff der Ursprungsfassung der VerpackV ausgeht, weil es der Entscheidung die am 28. August 1998 in Kraft getretene Verpackungsverordnung 1998 vom 21. August 1998 zugrunde legt (Rn. 30).
57Im Übrigen läge ein „Überwiegen“ des Produktnutzens hier auch nicht vor. Abgesehen davon, dass hierfür brauchbare Bewertungskriterien nicht unmittelbar greifbar sind,
58vgl. OLG Köln, Urteil vom 10. Juli 2001 – 15 U 215/00 –, juris Rn. 42 ff.,
59spricht für die Kammer auch die von der Klägerin herangezogene „Verkehrsauffassung“ nicht für die Einstufung der Tasche als Produkt. Die streitgegenständliche Tasche ist eine mit Werbung bedruckte Plastiktasche, die im Kassenbereich angeboten wird, um zuvörderst die Übergabe der erworbenen Waren an die Kunden zu ermöglichen bzw. zu unterstützen, die keine eigenen Erzeugnisse zum Transport der Waren mitgebracht haben. Auch aus der von der Klägerin angeführten Verbraucherumfrage ergibt sich dabei für die Kammer, dass die Verbraucher die Tasche wohl primär für eine – ggfs. mehrfache – Verwendung als Einkaufstasche erwerben und sie damit in Erfüllung ihrer Verpackungsfunktion nutzen.
60Diese Auslegung des Begriffs der Verpackung folgt auch aus der im Hinblick auf die mit dem Verpackungsgesetz verfolgte Umsetzung der Verpackungsrichtlinie (vgl. § 1 Abs. 4 VerpackG) gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Verpackungsgesetzes. Die Definition der Verpackung in § 3 VerpackG ist derjenigen des Art. 3 Nr. 1 VerpackungsRL nachgebildet.
61Insoweit hat der EuGH explizit entschieden, dass den Kunden in einem Geschäft überlassene Kunststofftragetaschen Verpackungen im Sinne von Artikel 3 Nummer 1 VerpackungsRL sind. Sie seien dazu bestimmt, vom Kunden mit gekauften Waren befüllt zu werden, diese Waren zu schützen und ihre Beförderung vom Geschäft zum Ort des Verbrauchs zu erleichtern. Ein Ausschluss der Kunststofftragetaschen vom Begriff „Verpackung“ liefe einer gebotenen weiten Auslegung des Verpackungsbegriffs zuwider. Die Frage, ob der Kunde die Tragetasche selbst kauft oder ob der Händler sie ihm unabhängig von dessen Verlangen überlässt und befüllt, sowie die Frage, ob ihm diese Tasche unentgeltlich überlassen wird oder nicht, könnten keine Auswirkung auf diese Beurteilung haben.
62Vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 – C-341/01 –, juris Rn. 47 ff.
63Dabei ist diesem Urteil nicht zu entnehmen, dass es sich ausschließlich auf „Einweg-“ Kunststofftragetaschen bezieht. Soweit der EuGH in Rn. 52 des zitierten Urteils ausführt, dass die dort streitgegenständlichen Kunststofftragetaschen nach ihrer Verwendung „gewöhnlich – leer oder mit Abfällen gefüllt – weggeworfen“ würden, ergibt sich daraus nichts anderes. Der EuGH spricht in dem Urteil ansonsten durchgehend und ohne Einschränkung von „Kunststofftragetaschen“, was auch der Vorlagefrage entspricht, nämlich, ob „aus Kunststoff hergestellte Tragetaschen“ Verpackungen im Sinne der Verpackungsrichtlinie seien.
64Vgl. EuGH, Urteil vom 29. April 2004 – C-341/01 –, juris Rn. 23.
65Eine andere Auslegung würde auch dem mit der Verpackungsrichtlinie verfolgten Ziel widersprechen, die Auswirkungen von Verpackungen und Verpackungsabfällen in allen Mitgliedstaaten sowie in dritten Ländern auf die Umwelt zu vermeiden bzw. diese Auswirkungen zu verringern und so ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen (vgl. Art. 1 Abs. 1 VerpackungsRL). Dieses Ziel bedingt eine weite Auslegung des Begriffs der Verpackung.
66Vgl. EuGH, Urteil vom 10. November 2016 – C-313/15 und C-530/15 –, Rn. 23 und Urteil vom 29. April 2004 – C-341/01 –, juris Rn. 56 f.
67Soweit die Klägerin vorträgt, dass eine Einstufung der streitgegenständlichen Tasche als Verpackung diesem Ziel zuwiderliefe, weil durch die Nutzung von Permanenttragetaschen die Vermeidung von Verpackungsabfällen gefördert werde, überzeugt dies nicht. Auch Permanenttragetaschen werden in großer Stückzahl verkauft und fallen als Abfall an.
68Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die heutige Fassung der Verpackungsrichtlinie auch die „leichten“ (Art. 3 Nr. 1c VerpackungsRL) und „sehr leichten“ (Art. 3 Nr. 1d VerpackungsRL) Kunststofftragetaschen kennt, die jedoch sämtlich Kunststofftragetaschen (Art. 3 Nr. 1b VerpackungsRL) sind. Insoweit hat der Unionsgesetzgeber in Erwägungsgrund 1 der Richtlinie (EU) 2015/720 vom 29. April 2015 zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG betreffend die Verringerung des Verbrauchs von leichten Kunststofftragetaschen explizit ausgeführt, dass Kunststofftragetaschen eine Verpackung im Sinne der VerpackungsRL darstellen. Vor diesem Hintergrund lässt sich, anders als die Klägerin meint, aus der Überschrift der Richtlinie („…betreffend die Verringerung des Verbrauchs von leichten Kunststofftaschen“) gerade nicht schließen, dass diese bzw. die geänderte Verpackungsrichtlinie nur leichte Kunststofftaschen betreffen sollte. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass diese Überschrift aus dem Umstand folgt, dass die Richtlinie (EU) 2015/720 vorrangig ergänzende Pflichten für leichte Kunststofftragetaschen eingeführt hat. Dabei zeigen die auf „Kunststofftragetaschen“ im Allgemeinen zielenden Erwägungsgründe 1–3 der Richtlinie, dass der Unionsgesetzgeber mit ihr gerade keine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Verpackungsrichtlinie bewirken, sondern im Gegenteil den Verbrauch von Kunststofftragetaschen insgesamt weiter verringern wollte.
69bb) Die Permanenttragetasche ist auch eine Verkaufsverpackung. Zwar erfüllt sie nicht die besondere Definition der Verkaufsverpackung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 VerpackG, da sie nicht typischerweise dem Endverbraucher als Verkaufseinheit aus Ware und Verpackung angeboten wird. Gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 lit. a) VerpackG gelten als Verkaufsverpackungen indes auch Verpackungen, die erst beim Letztvertreiber befüllt werden, um die Übergabe von Waren an den Endverbraucher zu ermöglichen oder zu unterstützen (Serviceverpackungen). Dies trifft – wie gezeigt – auf die streitgegenständliche Tasche zu, wobei ausweislich der Gesetzesbegründung Beispiele für typische Serviceverpackungen unter Nummer 2 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 VerpackG aufgeführt sind, worunter auch die „Tragetaschen aus Papier oder Kunststoff“ fallen.
70Vgl. BT-Drs. 18/11274, S. 81.
71Die jeweiligen Verpackungsfunktionen müssen sich nicht auf eine bestimmte, konkret vorab feststehende Ware beziehen. Der Warenbezug kann vielmehr auch ad hoc durch den Endkunden oder Vertreiber hergestellt werden.
72Nach Nr. 1 lit. b) der Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 VerpackG gelten Gegenstände, die dafür konzipiert und bestimmt sind, in der Verkaufsstelle gefüllt zu werden, und „Einwegartikel“, die in gefülltem Zustand verkauft oder dafür konzipiert und bestimmt sind, in der Verkaufsstelle gefüllt zu werden, als Verpackungen, sofern sie eine Verpackungsfunktion erfüllen. Der Zusatz „sofern sie eine Verpackungsfunktion erfüllen“ stellt dabei lediglich klar, dass eine Verpackungsfunktion neben anderen Funktionen erfüllt sein muss, um ein Erzeugnis als Verpackung ansehen zu können. Dies ist bei der streitgegenständlichen Permanenttragetasche der Fall, wie auch die Nennung von „Tragetaschen aus Papier oder Kunststoff“ in Nr. 2 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 VerpackG als Beispiel für Verpackungen nach Nr. 1 lit. b) der Anlage zeigt. Die Tasche ist typischerweise darauf ausgelegt, noch im Geschäft mit Waren befüllt zu werden.
73Dies wird durch den Internetauftritt der Klägerin unterstrichen, in dem es heißt:
74„Keine Tragetasche dabei? An unseren Kassen warten verschiedene Mehrweg-Tüten, Stoffbeutel und -Boxen auf dich. Für alle Lebensmittel und jede Einkaufsgröße.“
75Vgl. https:// „Bezugsquelle wurde entfernt“.
76Mithin ist unerheblich, dass die Tasche isoliert betrachtet ohne Füllgut und nicht im Zusammenhang mit einer Ware vertrieben wird.
77Hier liegt nach Ansicht der Kammer auch die Abgrenzung zu Gegenständen wie Einkaufskörben oder Einkaufstrolleys, die zwar für den gleichen Umgang mit Waren wie die streitgegenständliche Tasche eingesetzt werden können und damit Verpackungsfunktionen erfüllen, jedoch typischerweise nicht „dazu konzipiert und bestimmt sind, in der Verkaufsstelle gefüllt zu werden“, auch wenn dies im Einzelfall vorkommen mag.
78Ebenfalls ist hier unerheblich, ob die Tasche entgeltlich und mit dem Ziel, Umsatz zu generieren, an die Kunden abgegeben wird.
79Vgl. zur Abgabe gegen Entgelt: EuGH, Urteil vom 29. April 2004 – C-341/01 –, juris Rn. 58: „Wären diese Umstände zu berücksichtigen, läge es im Übrigen nahe, dass die Marktteilnehmer versuchen würden, sich den aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen u. a. dadurch zu entziehen, dass sie auf den fraglichen Taschen einen Nominalpreis anbringen.“
80Auch kommt es nicht entscheidend darauf an, an welchem Ort (Kassenbereich, Haushaltswarenabteilung, Online-Shop) die Tasche dargeboten wird. Letztlich entscheidend ist, dass sie ihre Verpackungsfunktion dadurch erfüllt, dass sie seitens des Inverkehrbringers an den Endverbraucher typischerweise dazu angeboten wird, um noch im Geschäft mit Waren befüllt zu werden. Die Tatsache, dass die Klägerin die Taschen typischerweise im Kassenbereich, wo es zu einem Verpacken der Waren kommt, vorhält, veranschaulicht hier jedoch, dass die Klägerin die Taschen für ihre Kunden gerade in der Verwendungsfunktion als Serviceverpackung anbietet.
812. Die Verpackung ist auch systembeteiligungspflichtig. Nach § 3 Absatz 8 VerpackG sind systembeteiligungspflichtige Verpackungen mit Ware befüllte Verkaufs- und Umverpackungen, die nach Gebrauch typischerweise beim privaten Endverbraucher als Abfall anfallen.
82Die Permanenttragetasche – die als Verkaufsverpackung gilt – fällt nach Gebrauch typischerweise beim privaten Endverbraucher als Abfall an. Dabei ist davon auszugehen, dass grundsätzlich jede Verpackung früher oder später einmal als Abfall anfallen wird. Eine zwischenzeitliche, auch längerfristige Weiterverwendung durch den privaten Endverbraucher befreit insofern nicht von der Systembeteiligungspflicht.
83Vgl. BT-Drs. 18/11274, S. 84.
84Die streitgegenständliche Tragetasche ist auch eine „mit Ware befüllte“ Verkaufsverpackung. Hierfür ist ausreichend, dass die Permanenttragetasche als Serviceverpackung erst in der Verkaufsstelle gefüllt wird. Dies unterstreicht § 7 Abs. 2 VerpackG, wonach ein Hersteller von systembeteiligungspflichtigen Serviceverpackungen von den Vorvertreibern dieser Serviceverpackungen verlangen kann, dass sie sich hinsichtlich der von ihnen gelieferten unbefüllten Serviceverpackungen an einem oder mehreren Systemen beteiligen. Diese Regelung setzt demnach voraus, dass es sich auch bei Serviceverpackungen um systembeteiligungspflichtige Verpackungen handelt, wenn sie nach Gebrauch typischerweise beim privaten Endverbraucher als Abfall anfallen.
85Vgl. Konzak/Körner in: Landmann/Rohmer, UmweltR, 105. EL September 2024, VerpackG § 3 Rn. 78.
86Auf die Frage, ob es sich bei der Verpackung um eine Mehrwegverpackung (§ 3 Abs. 3 VerpackG) handelt, für welche Abschnitt 2 des VerpackG nur teilweise gilt (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 VerpackG), kommt es nicht an, da sich diese Feststellung (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 24 VerpackG) zwar in der Begründung des Bescheids vom 4. Juli 2019 und des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2020 wiederfindet, sich der Tenor jedoch jeweils nur auf die Feststellung nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 23 VerpackG bezieht. Die Klägerin hat auch keine entsprechende Verpflichtung der Beklagten zu dieser Einordnung beantragt.
87Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
88Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 709 Satz 2 ZPO.
89Die Sprungrevision und die Berufung waren zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, §§ 134 Abs. 2 Satz 1, 132 Abs. 2 Nr. 1, 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die in dieser Rechtssache konkret aufgeworfene und entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob die streitgegenständliche Permanenttragetasche auch im Hinblick auf ihre vielfache anderweitige Verwendbarkeit eine Verpackung im Sinne des Verpackungsgesetzes ist, ist verallgemeinerungsfähig und ihre Klärung im Revisions- oder Berufungsverfahren kann dazu dienen, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Eine höchstrichterliche Klärung des Begriffs der Verpackung im Sinne des § 3 Abs. 1 VerpackG liegt noch nicht vor. Beim Umweltbundesamt sind derzeit neun Widerspruchsverfahren hinsichtlich der Einstufung gleich ausgestalteter Tragetaschen als systembeteiligungspflichtige Verpackung anhängig, die ohne eine solche grundsätzliche Klärung absehbar zu verwaltungsgerichtlichen Verfahren führen werden, für welche das Verwaltungsgericht Osnabrück und nicht das erkennende Gericht zuständig sein wird.
90Rechtsmittelbelehrung
91Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn die Klägerin und die Beklagte der Einlegung der Sprungrevision schriftlich zustimmen. Die Zustimmung zu der Einlegung der Sprungrevision ist der Revisionsschrift beizufügen.
92Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln oder bei dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig schriftlich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten einzulegen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besondere Regelung in § 67 Abs. 4 Sätze 5, 6 und 8 VwGO wird hingewiesen.
93Die Revision muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Sie ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils durch einen Bevollmächtigten mit der genannten Qualifikation gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.
94Die Einlegung der Revision gilt als Verzicht auf die Berufung.
95Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich Berufung eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
96Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Mün-ster schriftlich einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
97Die Berufung ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
98Ferner ergeht – ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter – der folgende
99Beschluss
100Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
1012.333.333,00 Euro
102festgesetzt.
103Gründe
104Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai und 1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen. Die Kammer geht hier von einem wirtschaftlichen Interesse der Klägerin in Höhe ihrer jährlichen Kostenbelastung in Anlehnung an den nach Nr. 2 des Streitwertkatalogs grundsätzlich heranzuziehenden „Jahresnutzwert“ aus. In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Klägerin unwidersprochen vorgetragen, dass die Klägerin durch die Systembeteiligungspflicht seit 2022 ca. 7.000.000,00 Euro habe aufwenden müssen.
105Rechtsmittelbelehrung
106Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.