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Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Die Klägerin ist selbstständige Steuerberaterin.
3Sie wurde dem Gesundheitsamt der Stadt Köln am 22. Juli 2022 als „nachweislich mit COVID-19 infiziert“ gemeldet durch Nachweis mittels PCR-Test.
4In der damals geltenden Fassung von § 8 der Verordnung zur Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 und zur Regelung von Absonderungen nach § 30 des Infektionsschutzgesetzes (CoronaTestQuarantäneVO) vom 4. Mai 2022 (GV.NRW. S. 583a, ber. 714), geändert durch Verordnung vom 1. Juni 2022 (GV. NRW. S. 736a), in Kraft getreten am 3. Juni 2022; Artikel 2 der Verordnung vom 17. Juni 2022 (GV. NRW. S. 764a), in Kraft getreten am 21. Juni 2022; Artikel 2 der Verordnung vom 29. Juni 2022 (GV. NRW. S. 778a), in Kraft getreten am 30. Juni 2022 war zur Isolierung bei Nachweis einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus Folgendes geregelt:
5§ 8 Isolierung bei Verdacht und Nachweis einer Infektion
6(...)
7(2) Ist das Ergebnis eines PCR-Tests positiv oder nimmt eine durch einen Coronaschnelltest positiv getestete Person keinen PCR-Kontrolltest vor, ist die betreffende Person verpflichtet, sich unverzüglich und auf direktem Weg in Isolierung zu begeben. Eine gesonderte Anordnung der Behörde ist für die Isolierung nicht erforderlich. Für die Geltendmachung von Ansprüchen nach § 56 des Infektionsschutzgesetzes gegenüber den insoweit durchführungsverantwortlichen Behörden genügt der positive Testnachweis. Auch das Ende der Isolierung bedarf keiner behördlichen Anordnung, sondern erfolgt selbstständig nach den folgenden Regelungen.
8(3) Die Isolierung endet grundsätzlich nach zehn Tagen ab dem Tag des erstmaligen Auftretens von Symptomen (insbesondere Atemnot, neu auftretendem Husten, Fieber und Geruchs- oder Geschmacksverlust), wenn zwischen erstem Symptombeginn und Vornahme des ersten positiven Tests maximal 48 Stunden liegen, oder der Vornahme des ersten positiven Tests (PCR-Test oder vorheriger Schnelltest).
9Die Klägerin stellte bei dem Beklagten unter dem 6. September 2023 einen „Antrag auf Ausgleich des Verdienstausfalls aufgrund eines behördlich angeordneten Tätigkeitsverbots oder einer Absonderung nach § 56 Abs. 1 IfSG“. Sie gab in dem Antragsformular an, dass vom 22. Juli 2022 bis zum 5. August 2022 ein Tätigkeitsverbot bestanden habe.
10Während des Tätigkeitsverbots bzw. der Absonderung habe keine Möglichkeit bestanden, ihre Arbeit zur Gänze von zu Hause aus auszuüben. Sie sei vom 22. Juli 2022 bis zum 5. August 2022 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und habe kein Kinderkrankengeld nach § 45 SGB V erhalten.
11Sie gab für die Monate Juli und August 2022 jeweils einen Bruttoeinkommensausfall von 3.780,00 Euro auf der Grundlage der möglichen Arbeitstage und Aufwendungen zur sozialen Sicherung in Höhe von 698,88 Euro an. Zur Erläuterung des Einkommensausfalls gab sie ferner an, dass der gesamte Betrieb 14 Tage geschlossen gewesen sei; es sei in dieser Zeit kein Umsatz generiert worden. Mitarbeiter seien beurlaubt gewesen. Ferner bestätigte sie, dass sie über das angegebene Einkommen hinaus kein zusätzliches Nettoeinkommen aus Ersatztätigkeiten bezogen habe. Als Nachweise fügte sie u.a. als Einkommensnachweis des Vorjahres eine Betriebswirtschaftliche Auswertung für das Jahr 2021 bei.
12Mit Bescheid vom 16. Oktober 2023 des Landschaftsverbands Rheinland wurde der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 1.392,56 Euro und Beiträge zur sozialen Sicherung in Höhe von 247,99 Euro, mithin insgesamt 1.640,55 Euro, für den Zeitraum vom 22. Juli 2022 bis zum 1. August 2022 bewilligt. Zur Berechnung nahm der Beklagte als jährliches reguläres Arbeitseinkommen (12 Monate) aus der Betriebswirtschaftlichen Auswertung einen Betrag von 81.149,53 Euro an. Hiervon setzte er Einkommenssteuerabzüge, Solidaritätszuschlag sowie Aufwendungen für soziale Sicherung ab. Im Hinblick auf die Beiträge zur sozialen Sicherung nahm der Beklagte die im Antrag angegebene monatliche Aufwendung für soziale Sicherung und multiplizierte diese mit dem Anteil des monatlichen Brutto-Einkommens, welcher infolge des Tätigkeitsverbots oder der Absonderung entfallen ist.
13Die Klägerin hat am 9. November 2023 Klage erhoben. Es sei fehlerhaft, dass die Nettoumsätze nicht vollständig ersetzt, sondern um Betriebsausgaben gekürzt worden seien. Betriebsausgaben würden aus den Einnahmen bestritten. Der Sinn und Zweck des Gesetzes, den Verdienstausfall zu kompensieren, werde daher bei Selbstständigen nicht erreicht. Der Selbstständige befinde sich daher in einer existenzbedrohenden Lage, weil er die Betriebsausgaben nicht aus den Einnahmen bestreiten könne. Der Gesetzgeber habe die Erstattung der Betriebsausgaben in § 56 Abs. 4 IfSG vorgesehen. Soweit der Beklagte meine, sie habe keinen Antrag auf Ersatz der Betriebsausgaben geltend gemacht, sei dies bereits nicht möglich gewesen, weil hierfür kein anderes Formular in dem allein computergestützten Verfahren zur Verfügung gestanden habe. Des Weiteren werde der zu vergütende Zeitraum beanstandet. Sie sei 14 Tage krank gewesen und das Gesundheitsamt habe sie telefonisch kontaktiert und ihr mitgeteilt, dass sie weiterhin infektiös sei. Sie sei auch nochmal am 5. August 2022 positiv getestet worden, allerdings habe sie keinen Nachweis hierzu erhalten.
14Ursprünglich hat die Klägerin – neben der weiterhin begehrten Erstattung von Betriebsausgaben – beantragt, ihr unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 16. Oktober 2023 eine höhere Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG zu gewähren sowie ihr geleistete Krankenversicherungsbeträge zu erstatten.
15Die Klägerin beantragt nunmehr,
16den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Entschädigung für nicht gedeckte Betriebsausgaben nach § 56 Abs. 4 IfSG in Höhe von 6.000,00 Euro zu gewähren.
17Das beklagte Land beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Klägerin nur eine Entschädigung für den Zeitraum vom 22. Juli 2022 bis zum 1. August 2022 zu gewähren sei. Gemäß § 8 Abs. 3 der CoronaTestQuarantäneVO NRW vom 4. Mai 2022 endete die Isolierung grundsätzlich nach zehn Tagen ab dem Tag des erstmaligen Auftretens von Symptomen. Diese zehn Tage seien der Berechnung zugrunde gelegt worden. Soweit die Klägerin erstmals mit ihrer Klage Betriebsausgaben geltend mache, bestehe hierauf kein Anspruch. Selbstständigen könne zwar gem. § 56 Abs. 4 Satz 2 lfSG neben der Entschädigung ein Ersatzanspruch für weiterlaufende nicht gedeckte Betriebsausgaben gewährt werden. Voraussetzung sei jedoch neben dem Ruhen des Betriebs, dass die in dieser Zeit weiterlaufenden anfallenden Betriebsausgaben nicht mehr durch Einnahmen gedeckt seien, wobei an die fehlende anderweitige Deckungsmöglichkeit durchaus strenge Anforderungen zu stellen seien. Für eine Erstattung von Betriebsausgaben sei zudem eine Existenzgefährdung erforderlich, was sich aus dem Zusammenhang mit § 56 Abs. 4 Satz 1 IfSG ergebe. Diese Voraussetzung habe die Klägerin vorliegend nicht dargetan. Schließlich werde der Ersatz nach § 56 Abs. 4 Satz 2 lfSG nur auf Antrag gewährt. Die Klägerin habe jedoch keinen entsprechenden Antrag gestellt.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
21Entscheidungsgründe
22Das Passivrubrum war von Amts wegen auf das Land Nordrhein-Westfalen als Beklagten umzustellen.
23Gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist das Land, in dem das Verbot erlassen oder die Schließung beziehungsweise das Betretungsverbot veranlasst worden ist, zur Zahlung der Entschädigung nach § 56 IfSG verpflichtet und damit passivlegitimiert.
24Vgl. auch BGH, Beschluss vom 17. September 2008 – III ZR 326/07 –, juris Rn. 7 ff.
25Der Landschaftsverband Rheinland ist gem. § 3 AG SGB XIV NRW (bzw. § 11 IfSBG-NRW a. F. und § 8 ZVO-IfSG a. F.) zuständige Behörde im Sinne der §§ 56 bis 58 des IfSG. Nach § 6 AG SGB XIV NRW nimmt er diese Aufgabe als Pflichtaufgabe nach Weisung wahr. Damit erfolgt keine Übertragung der durch Bundesgesetz den Ländern zugewiesenen Zahlungspflicht. Da nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 VwGO zur Bezeichnung des Beklagten die Angabe der Behörde genügt, war das Rubrum von Amts wegen zu berichtigen.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. März 1989 – 8 C 98.85 –, juris Rn. 12; VG Minden, Urteil vom 19. April 2023 – 16 K 1291/21 –, juris Rn. 21.
27Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Im Übrigen ist die zulässige Klage unbegründet. Der Bescheid vom 16. Oktober 2023 ist insoweit rechtmäßig als damit die Gewährung einer Verdienstausfallentschädigung und von Ausgaben zur sozialen Sicherung über den gewährten Betrag abgelehnt worden ist und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat auch keinen gesonderten Anspruch auf Ersatz ihrer Betriebsausgaben.
28Maßgeblich ist Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens des etwaigen Anspruchs auf Erstattung der gezahlten Verdienstausfallentschädigung.
29Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. März 2023 – 18 A 563/22 –, juris Rn. 42; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Februar 2024 – 1 S 678/23 –, juris Rn. 27.
30Vorliegend findet daher das Infektionsschutzgesetz (IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) in der vom 30. Juni 2022 bis 16. September 2022 gültigen Fassung Anwendung.
31Nach der damals geltenden Fassung des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG (nachfolgend: IfSG a. F.) erhält eine Entschädigung in Geld, wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG a. F. für eine Person, die nach § 30, auch in Verbindung mit § 32, abgesondert wird oder sich auf Grund einer nach § 36 Absatz 8 Satz 1 Nummer 1 erlassenen Rechtsverordnung absondert.
32Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 IfSG a. F. bemisst sich die Entschädigung nach dem Verdienstausfall. Die Berechnung des Verdienstausfalls ist in § 56 Abs. 3 IfSG a. F. geregelt. Nach § 56 Abs. 3 Satz 1 lfSG a. F. gilt als Verdienstausfall das Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zusteht, vermindert um Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung sowie zur Arbeitsförderung oder entsprechende Aufwendungen zur sozialen Sicherung in angemessenem Umfang (Netto-Arbeitsentgelt). Nach § 56 Abs. 3 Satz 5 IfSG a. F. gilt Satz 1 für die Berechnung des Verdienstausfalls bei den in Heimarbeit Beschäftigten und bei Selbständigen entsprechend mit der Maßgabe, dass bei den in Heimarbeit Beschäftigten das im Durchschnitt des letzten Jahres vor Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder vor der Absonderung verdiente monatliche Arbeitsentgelt und bei Selbständigen ein Zwölftel des Arbeitseinkommens (§ 15 des Vierten Sozialgesetzbuches) aus der entschädigungspflichtigen Tätigkeit zugrunde zu legen ist.
33Schließlich können nach § 56 Abs. 4 Satz 1 IfSG a. F. bei einer Existenzgefährdung den Entschädigungsberechtigten die während der Verdienstausfallzeiten entstehenden Mehraufwendungen auf Antrag in angemessenem Umfang von der zuständigen Behörde erstattet werden. Gem. § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG a. F. erhalten Selbständige, deren Betrieb oder Praxis während der Dauer einer Maßnahme nach Absatz 1 ruht, neben der Entschädigung nach den Absätzen 2 und 3 auf Antrag von der zuständigen Behörde Ersatz der in dieser Zeit weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenem Umfang.
34Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin keinen Anspruch darauf, dass ihr auf ihren Antrag vom 6. September 2023 eine weitere Entschädigung in Höhe von 6.000,00 Euro für nicht gedeckte Betriebsausgaben auf der Grundlage von § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG a. F. zu gewähren ist. Insoweit fehlt es bereits an dem erforderlichen Antrag (dazu 1). Unabhängig davon liegen auch die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor (dazu 2).
351. Nicht gedeckte Betriebsausgaben können allein auf der Grundlage von § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG a. F. erstattet werden. Ausweislich des ausdrücklichen Wortlauts, der Gesetzessystematik und -genese bedarf es hierzu eines eigenen Antrags auf Ersatz der Mehraufwendungen bzw. der Betriebsausgaben unter Geltendmachung eines Härtefalles, diese können nicht auf der Grundlage eines – hier allein gestellten – Antrags auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG a. F. erstattet werden.
36§ 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG ist ein neben der Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG geltend zu machender eigenständiger Anspruch, der nach § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG ausdrücklich einen entsprechenden Antrag voraussetzt.
37Zwar setzt der Anspruch nach § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG a. F. voraus, dass ein Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung besteht. Er ist jedoch neben dem Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung zu gewähren.
38Vgl. OLG Brandenburg, Urteil vom 1. Juni 2021 – 2 U 13/21 –, juris Rn. 64; Bay. VGH, Urteil vom 7. Dezember 2023 – 20 BV 23.90 –, juris Rn. 11.
39Unabhängig davon, dass es des ausdrücklich normierten Antragserfordernisses nicht bedürfte, wenn es sich allein um eine Berechnungsmodalität handelte, folgt auch aus der Systematik des § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG a. F., dass es sich bei dem Anspruch nach § 56 Abs. 4 IfSG a. F. um einen – neben der Verdienstausfallentschädigung – geltend zu machenden Anspruch und nicht einfach um eine Ergänzung der Berechnung der Verdienstausfallentschädigung für Selbstständige handelt.
40Ausweislich der Konzeption des § 56 IfSG enthält Absatz 1 die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs bei Tätigkeitsverboten oder Absonderung, Absatz 1a diejenigen des Anspruchs wegen Kinderbetreuung, Absatz 2 die Bemessungs- und Absatz 3 die Berechnungsgrundlagen der Ansprüche nach § 56 Abs. 1 und Abs. 1a IfSG a. F. § 56 Abs. 4 IfSG enthält daneben eine Regelung für Härtefalle. Wäre § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG nicht als Härtefallregelung aufzufassen, sondern als allgemeine Erweiterung des Anspruchsumfangs, so wäre er systematisch als den Inhalt des Entschädigungsanspruchs näher bestimmende Vorschrift bei Absatz 3 angefügt worden.
41Vgl. VG Bayreuth, Urteil vom 18. Oktober 2021 – B 7 K 21.292 –, juris Rn. 20 m.w.N.
42Dass § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG eine – eigenständige – Sonderregelung für Härtefälle enthält und keine Erweiterung des Anspruchs auf Verdienstausfallentschädigung, veranschaulicht auch die Genese dieser Vorschrift.
43Bereits ausführlich zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift: VG Bayreuth, Urteil vom 18. Oktober 2021 – B 7 K 21.292 –, juris Rn. 24 ff., allerdings ohne Erwähnung des Gesetzesentwurfs der SPD, FDP-Fraktion, der zuerst eingebracht wurde, vgl. BT-Prot., VI. Wahlperiode, 34. Sitzung v. 26. Februar 1970, S. 1684.
44§ 56 Abs. 4 IfSG entspricht inhaltlich dem § 49 Abs. 3a des Bundes-Seuchengesetzes (BSeuchG), der mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes vom 25. August 1971 (BGBl. I S. 1401) eingeführt wurde.
45Die beiden Entwürfe eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesseuchengesetzes der Fraktionen der SPD, FDP (BT-Drs. VI/387) und der Fraktion der CDU/CSU (BT Drs. VI/1562) hatten (u. a.) die Beseitigung der Höchstgrenze für die Verdienstausfallentschädigung von damals 660 DM nach § 49 Bundesseuchengesetz zum Gegenstand.
46Während der Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD, FDP für die Berechnung des Verdienstausfalls bei Selbstständigen eine Berechnung ähnlich der später verabschiedeten und heute geltenden Berechnung auf der Grundlage eines Zwölftels des letzten beim Finanzamt nachgewiesenen Arbeitseinkommen vorsah,
47vgl. BT-Drs. VI/387, S. 1,
48sah der CDU/CSU-Entwurf für die Berechnung des Verdienstausfalls bei Selbstständigen vor, dass auch die während der Verdienstausfallzeiten weiterlaufenden Betriebsausgaben oder die aus demselben Grund entstehenden Mehrkosten erstattet werden.
49Vgl. BT Drs. VI/1562, S. 1.
50Im schriftlichen Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes (BT-Drs. VI/2176), deren Berichterstatter einer der Autoren des CDU/CSU-Gesetzesentwurfes war, findet sich die Empfehlung, dass a) den durch die Vorschrift erfassten Personen künftig während der ersten sechs Wochen voller Ersatz des Verdienstausfalles (...) zu gewähren und b) für den Fall, dass durch die angeordneten Maßnahmen (Berufsverbot oder Absonderung) die wirtschaftliche Existenz gefährdet werde, in einer Härteklausel Ersatz der Betriebsausgaben oder Werbungskosten in angemessenem Umfang vorzusehen sei.
51Vgl. BT Drs. VI/2176, S. 1.
52Der Ausschuss schlug vor, § 49 BSeuchG dergestalt zu ändern, dass in einem Absatz 2 die Bemessung der Entschädigung nach dem Verdienstausfall geregelt werde und in einem Absatz 3 die Berechnung des Verdienstausfalls nach dem Arbeitsentgelt. Die vorgeschlagene Berechnung der Verdienstausfallentschädigung für Selbstständige entspricht dabei inhaltlich dem Vorschlag des Gesetzesentwurfes der SPD, FDP-Fraktionen. Ferner sollte folgender Abs. 3a eingefügt werde: „Bei einer Existenzgefährdung können den Entschädigungsberechtigten die während der Verdienstausfallzeiten entstehenden Mehraufwendungen auf Antrag in angemessenem Umfang von der zuständigen Behörde erstattet werden“.
53Vgl. BT Drs. VI/2176, S. 6 f.
54Der Ausschuss nahm damit eine systematische Trennung der Anspruchsinhaltsbestimmung der Verdienstausfallentschädigung (Abs. 2 und 3) und einer Härtefallregelung (Abs. 3a, nunmehr: § 56 IfSG Abs. 4) vor. Mit der Einfügung eines Absatzes 3a sollte offenkundig die Empfehlung b) umgesetzt werden, dass für den Fall, dass durch die angeordneten Maßnahmen (Berufsverbot oder Absonderung) die wirtschaftliche Existenz gefährdet werde, eine Härtefallklausel vorzusehen sei.
55Durch einen interfraktionellen Änderungsantrag fand § 49 Abs. 3a BSeuchG seine endgültige Fassung, in der an § 49 Abs. 3a BSeuchG, wie er vom Ausschuss vorgeschlagen worden war, folgender Satz angefügt wurde: „Selbstständige, deren Betrieb oder Praxis während ihrer Absonderung ruht, erhalten neben der Entschädigung nach Absätzen 2 und 3 auf Antrag von der zuständigen Behörde Ersatz der während der Absonderung weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenem Umfang“.
56BT-Prot., VI. Wahlperiode, 129. Sitzung v. 18. Juli 1971, S. 7476 – Anlage 3.
57Diese Änderung lässt die vom Ausschuss vorgeschlagene Systematik unberührt und auch die Einordnung des Abs. 3a als Härtefallklausel. Auch aus den mündlichen Begründungen in den Plenarsitzungen des Bundestages zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Bundesseuchengesetzes ergibt sich, dass der geänderte Abs. 3a weiterhin als Härtefallklausel für den Fall einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung verstanden wurde.
58BT-Prot., VI. Wahlperiode, 129. Sitzung v. 18. Juli 1971, S. 7460 (Äußerung des Abgeordneten Glombig) und BT-Prot., VI. Wahlperiode, 133. Sitzung, S. 7753 (Mündlicher Bericht des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes durch die Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus).
59Vorliegend fehlt es an dem nach oben Gesagten erforderlichen Antrag auf Ersatz der ungedeckten Betriebsausgaben im Verwaltungsverfahren. Die Klägerin hat allein einen Antrag auf Ersatz des Verdienstausfalls nach § 56 Abs. 1 IfSG geltend gemacht und einen diesbezüglichen Antrag gestellt. Der gestellte Formularantrag ist überschrieben mit „Antrag auf Ausgleich des Verdienstausfalls (...) nach § 56 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)“ und fragt nach dem „Einkommensausfall (brutto) infolge des Tätigkeitsverbots bzw. der Absonderung“ (vgl. Seite 4 des Antrags, Bl. 4 BA) sowie nach einem „Einkommensnachweis des Vorjahres“ (Seite 5 des Antrags, Bl. 5 BA). Danach war bereits ohne weiteres erkennbar, dass sich der Antrag nicht auf einen Ersatz der Betriebsausgaben bezog. Soweit die Klägerin meint, dass ein nicht formularmäßiger Antrag zurückgewiesen worden wäre, ist dieses Argument schon nicht geeignet, über die Tatsache hinwegzuhelfen, dass kein Antrag gestellt worden ist.
60Zwar hat die Klägerin sich mit der Klageschrift auf die Vorschrift des § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG zur Begründung ihres Antrages bezogen und auch die nicht gedeckten Betriebsausgaben verlangt. Allerdings kann regelmäßig nicht in der gerichtlichen Geltendmachung des Begehrens ein verwaltungsverfahrensrechtlich notwendiger Antrag gesehen werden. Ein solcher Antrag ist unmittelbar an die Verwaltungsbehörde zu richten. Solange das nicht geschehen ist, kann der Antrag in der Sache keinen Erfolg haben. Diese Zulässigkeitsvoraussetzung ergibt sich für die Verpflichtungsklage aus § 68 Abs. 2, § 75 Satz 1 VwGO („Antrag auf Vornahme“). Sie stellt neben dem Schutz der Gerichte vor unnötiger Inanspruchnahme eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung dar, demzufolge es zunächst Sache der Verwaltung ist, sich mit Ansprüchen zu befassen, die an sie gerichtet werden.
61Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 6 B 54.19 –, juris Rn. 23 m.w.N.
622. Unabhängig davon fehlt es an den Anspruchsvoraussetzungen des § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG a.F. Selbst wenn man das Erfordernis der vorherigen Antragstellung nicht als Zulässigkeits‑, sondern als bloße Sachurteilsvoraussetzung, die erst im Zeitpunkt der abschließenden gerichtlichen Entscheidung vorliegen muss, einordnen würde und die Möglichkeit einer Antragstellung in an das Gericht gerichteten Schriftsätzen wegen der gerichtlichen Übermittlungspflicht nach § 86 Abs. 4 Satz 3 VwGO bejahen würde,
63vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 6 C 40.07 –, juris Rn. 17 ff.; BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1993 – 11 C 16.92 –, juris,
64und die insoweit erhobene Klage – als Untätigkeitsklage unter den Voraussetzungen des § 75 VwGO – als zulässig erachten würde, fehlt es für einen Anspruch in der Sache auch an der erforderlichen Voraussetzung einer „Existenzgefährdung“ der Klägerin, die § 56 Abs. 4 Satz 2 IfSG a. F. als Härtefallregelung voraussetzt.
65Vgl. ausführlich: VG Bayreuth, Urteil vom 18. Oktober 2021 – B 7 K 21.292 –, juris Rn. 19 ff.; VG Freiburg, Urteil vom 17. Mai 2022 – 10 K 368/21 – juris Rn. 20 ff.
66Denn unter Berücksichtigung der Konzeption von Abs. 4 als Härtefallregelung kann nicht jede erhebliche Vermögensbelastung zu einem Anspruch auf Mehraufwendungen führen soll. Ein Härtefall im Sinne einer Existenzgefährdung wird vielmehr regelmäßig erst dann gegeben sein, wenn der Betroffene in seiner konkreten Situation in einem solchen Maße finanziell belastet ist, dass ihn diese Belastung nicht nur bloß vorübergehend seiner wirtschaftlichen Daseinsgrundlage beraubt.
67Vgl. Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 56 Rn. 23; Kießling/Kümper, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 56 Rn. 41.
68Eine Existenzgefährdung der Klägerin im maßgeblichen Zeitraum der Isolierung ist nicht erkennbar. Sie erscheint schon deshalb fernliegend, weil sie den Antrag erst über ein Jahr nach ihrer Isolierung gestellt hat. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung darauf abgestellt hat, dass es durch den Ausfall von Aufträgen zum Verlust von Einnahmen komme, stellt dies allein eine Beschreibung des Regelfalls dar, erläutert jedoch nicht annähernd, warum die Klägerin meint, individuell besonders und andauernd finanziell belastet gewesen zu sein.
69Unabhängig davon mangelt es an jeder Substantiierung der geltend gemachten Betriebsausgaben in Höhe von 6.000,00 Euro. Angesichts dessen, dass die vorgelegte Betriebswirtschaftliche Auswertung/Kurzfristige Erfolgsrechnung für Dezember 2022 Ausgaben von insgesamt 87.371,81 Euro ausweist, was durchschnittliche monatliche Betriebskosten von 7.280,98 Euro bedeutet, würde dies selbst bei Zugrundelegung der von der Klägerin angesetzten 15 Tage allenfalls einen möglichen Anspruch von 3.523,06 Euro (7.280,98 Euro: 31 × 15) bedeuten. Hinzu tritt, dass im Dezember 2022 überdurchschnittlich hohe Kosten aufgeführt waren und naturgemäß nicht sämtliche in der BWA aufgeführten Kosten (z.B. nicht-laufende Kosten) für das gesamte Jahr einfach durchschnittlich angesetzt werden können. Diesbezüglich hätte es der Klägerin oblegen, zur Geltendmachung eines Anspruchs ihre nicht gedeckten Betriebsausgaben im Isolierungszeitraum substantiiert darzulegen. Die vorgelegte kurzfristige Erfolgsrechnung reicht hierzu keinesfalls aus, weil diese nur die Jahreskosten und die konkreten Ausgaben für Dezember – nicht aber den Isolierungszeitraum – beinhaltet. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das Gericht nach der mündlichen Verhandlung auch erhebliche Zweifel an den Angaben der Klägerin hat, die sich daraus ergeben, dass sie im gerichtlichen Verfahren angegeben hat, die für 2022 zugrunde zu legenden Einkünfte, die nach ihrem Vortrag für die Verdienstausfallentschädigung anzuerkennen seien, würden 94.999,33 Euro betragen. Der in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Einkommenssteuerbescheid für 2022 wies jedoch nur Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 33.441 Euro – somit etwa nur ein Drittel der angegebenen Einkünfte – aus. Auch die im Steuerbescheid angesetzten Kranken- einschließlich Pflegeversicherungsbeiträge von insgesamt 7.080 Euro (monatlich 590 Euro) entsprechen nicht der Angabe der Klägerin, sie zahle monatlich Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 698,88 Euro.
70Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 155 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 ZPO, 711 ZPO.
71Rechtsmittelbelehrung
72Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
73Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
74Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
75Ferner ergeht – ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter – der folgende
76Beschluss
77Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
786.000,- Euro
79festgesetzt.
80Gründe
81Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 GKG. Der festgesetzte Wert entspricht der beantragten Geldleistung.
82Rechtsmittelbelehrung
83Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.