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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Dieses Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Klägerin ist eine Konzerngesellschaft der N., einem weltweit tätigen Hersteller von Pflanzenschutzmitteln. Auf die Klägerin sind in der Europäischen Union zahlreiche Pflanzenschutzmittel zugelassen, darunter ein unter dem Handelsnamen „G.“ vertriebenes Herbizid.
3Das Mittel „G.“, das mit Zulassungsnummer N01 des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Deutschland zugelassen ist, vertrieb die Klägerin in der Zeit vom 26. März bis zum 27. April 2021 unter anderem an die I. (nunmehr D., im Folgenden S.). Im Rahmen einer von der Stadt Hamburg beauftragten Untersuchung einer Charge des Mittels „G.“, stellte das Prüflabor des BVL im Mai 2021 Abweichungen zwischen der überprüften Charge und der Zulassung fest. So wies die betreffende Charge eine zu geringe Konzentration der Beistoffsubstanz 2-Ethyl 1-Hexanol und eine zu hohe Konzentration des Fremdstoffs Iso-Butanol auf. Hinsichtlich der Einzelheiten des Untersuchungsergebnisses zum Mittel „G.“ wird auf den als Anlage K6 eingereichten Prüfbericht des BVL (Bl. 62 der Akte) Bezug genommen.
4Auch mehrere Chargen der Pflanzenschutzmittel „Y.“ und „P.“ der Klägerin wiesen nach im Frühjahr 2021 durchgeführten Analysen des Prüflabors des BVL Abweichungen von der Zulassung des Mittels auf.
5Mit Bescheid vom 9. Juni 2021 untersagte der Beklagte der S. das Inverkehrbringen und das sonstige Verbringen des Pflanzenschutzmittels „G.“ mit der Zulassungsnummer „N01“ ohne seine vorherige schriftliche Zustimmung. Der Beklagte begründete den Bescheid unter Bezugnahme auf die Untersuchung des BVL mit der fehlenden Verkehrsfähigkeit des Pflanzenschutzmittels. Die bei der S. vorgefundenen Bestände des Mittels wurden versiegelt.
6Mit Bescheid vom 28. Juni 2021 ordnete der Beklagte sodann „unter Abänderung des Bescheides vom 9. Juni 2021“ in Ziffer 1 gegenüber der S. die Entsorgung des Pflanzenschutzmittels „G.“ mit der Zulassungsnummer N01, Chargennummer N02, unverzüglich nach Bestandskraft des Bescheides, spätestens jedoch drei Wochen nach Bestandskraft an. Weiter ordnete der Beklagte in Ziffer 2 des Bescheides an, dass die Entsorgung des Mittels nur nach vorheriger Absprache mit der Möglichkeit der Begleitung durch den Pflanzenschutzdienst erfolgen dürfe. Zudem enthielt der Bescheid die „Auflage“, dass die unter Ziffer 1 angeordnete Entsorgung „auch unter Bezug auf Ziffer 2“ einem regionalen Entsorger zugeführt werden solle. Zur Begründung führte der Beklagte ebenfalls die fehlende Verkehrsfähigkeit des Mittels nach dem Untersuchungsbericht des BVL an. Vor diesem Hintergrund sei es erforderlich, das Pflanzenschutzmittel zu entsorgen und nicht an die Klägerin zurückzuführen, da wirksam verhindert werde müsse, dass nicht verkehrsfähige Ware in Deutschland oder in der EU erneut in Verkehr gebracht werde. Die Klägerin sei innerhalb kurzer Zeit mit nicht der Zulassung entsprechenden Pflanzenschutzmitteln aufgefallen, weshalb Unsicherheiten über die Zuverlässigkeit der Klägerin bestünden, sodass durch behördliche Maßnahmen sicherzustellen sei, dass ihre Produkte nicht wieder in den Markt gelängen. Es müsse die Gefahr ausgeschlossen werden, dass mit einer Rückführung an die Klägerin ein erneutes Inverkehrbringen, unter Umständen auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten, erfolge. Eine Rückführung in einen Drittstaat käme nicht als milderes Mittel in Betracht, da weitere Vertriebswege und das Bestimmungsland der nicht genehmigungskonformen Ware für die zuständigen Behörden in der Gemeinschaft nicht überprüfbar seien. Ein Nachweis über eine zulassungskonforme Aufarbeitung oder rechtskonforme Verwendung des Pflanzenschutzmittels in einem Drittstaat sei seitens der Klägerin nicht erbracht worden. Aus diesen Gründen sei die Entsorgung verhältnismäßig.
7Mit Bescheid vom 4. August 2021 untersagte der Beklagte sodann erneut gegenüber der S. das Inverkehrbringen und das sonstige Verbringen des Pflanzenschutzmittels „G.“ mit der Zulassungsnummer „N01“ ohne seine vorherige schriftliche Zustimmung und verwies abermals auf die fehlende Verkehrsfähigkeit des streitgegenständlichen Pflanzenschutzmittels. Die Festsetzung sei weiter auch ermessensgerecht, da Pflanzenschutzmittel, die nicht ihrer Zulassung entsprächen, nicht in den Handel gebracht werden dürften. Von diesen Mitteln könnten schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze ausgehen. Da die Herstellerfirma – die Klägerin – durch nicht rechtskonformes Verhalten aufgefallen sei, sei auch die sonstige Verbringung zu untersagen, um ein erneutes Inverkehrbringen – auch durch die Herstellerin – auszuschließen. Gleich geeignete, mildere Mittel seien nicht ersichtlich. In Ziffer 3 dieses Bescheids heißt es: „Im Übrigen bleiben mein Änderungsbescheid vom 28. Juni 2021 und mein Ausgangsbescheid vom 9. Juni 2021 vollumfänglich bestehen.“
8Mit Schriftsatz vom 31. August 2024 hat die Klägerin Klage gegen die an die S. gerichteten Bescheide vom 9. Juni 2021, vom 28. Juni 2021 und vom 4. August 2021 erhoben.
9Zur Begründung führt sie aus, dass die streitgegenständlichen Bescheide die Klägerin und die S. daran hinderten, die beabsichtigte Rückabwicklung des Kaufvertrages durchzuführen und es der Klägerin infolgedessen auch nicht möglich sei, den beabsichtigten Export nach Großbritannien und die Rückgabe an die J.. durchzuführen. Bei Umsetzung der Entsorgungsverfügung würde ihr dies nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch unmöglich gemacht. Die Klägerin habe aber einen Anspruch auf den beabsichtigten Drittstaatenexport.
10Die Unter- bzw. Überschreitung der maßgeblichen Bei- und Fremdstoffkonzentrationen beim Mittel „G.“ sei auf ein Versehen im Rahmen der Formulierung zurückzuführen, welche im Auftrag der Klägerin durch die Firma J.. durchgeführt worden sei. Die J.. habe statt des Lösungsmittels Rhodacal60/BE versehentlich Rhodacal60/B verwendet, welches nicht im Zulassungsdossier für das Mittel „G.“ angegeben sei.
11Nach Bekanntwerden der Untersuchungsergebnisse habe die Klägerin den Vertrieb des Mittels „G.“ in der Bundesrepublik Deutschland eingestellt und bundesweit sämtliche bereits an ihre Kunden ausgelieferte Chargen zurückgerufen. Hiervon seien auch die an die S. ausgelieferten Chargen betroffen. Die S. und die Klägerin hätten sich darauf geeinigt, den abgeschlossenen Kaufvertrag rückabzuwickeln und im Zuge dessen die Rückübereignung der gelieferten Chargen an die Klägerin gegen Gutschrift des Kaufpreises vereinbart. Die Klägerin plane, die Chargen des Mittels „G.“ nach Rückerhalt entsprechend ihres Vorgehens im Zusammenhang mit dem Mittel „Y.“ ebenfalls nach Großbritannien zu exportieren und dort an die J.. zurückzugeben.
12Die Klage sei zulässig. Insbesondere sei die Klägerin auch klagebefugt. Auch wenn sie nicht unmittelbare Adressatin der Bescheide sei, werde sie durch diese gleichwohl in ihren Rechten verletzt. So sei die Klägerin sowohl in Art. 12 GG und Art. 14 GG verletzt. Art. 14 GG schütze auch privatrechtliche Ansprüche und damit auch den zivilrechtlichen Herausgabeanspruch der Klägerin gegenüber der S., welcher aus ihrem zwischenzeitlich zurückerlangten Eigentum und dem zivilrechtlichen Rückgewährschuldverhältnis aufgrund der vereinbarten Rückabwicklung des Kaufvertrages folge. Die Klägerin und die S. hätten nach der Rüge der fehlenden Verkehrsfähigkeit des Produktes in Deutschland den Rückkauf dahingehend vereinbart, dass die S. den zuvor gezahlten Kaufpreis im Wege einer Gutschrift zurückerhalte und die Klägerin ihrerseits das Eigentum mit Übermittlung der Gutschrift zurückerhalte. Die Abwicklung sei am 27. September 2021 mit Übermittlung einer Gutschrift über 13.851,60 Euro erfolgt. Zudem hätten die S. und die beteiligten Unternehmen des C. Konzerns mit Vereinbarung vom 29. Juli bzw. 28. August 2022 nochmals die Rückabwicklung des Kaufvertrages und Übereignung des Produktes an die Klägerin bestätigt.
13Art. 12 GG schütze zudem die konkrete Berufsausübung der Klägerin und hier namentlich die unternehmerische Entscheidung, wie sie mit dem streitgegenständlichen Pflanzenschutzmittel weiter verfahre. In diese greife der Beklagte mit der Festsetzung und der Anordnung der Entsorgung der Wirtschaftsgüter der Klägerin ein.
14Weiter stützt die Klägerin ihre Klagebefugnis und den geltend gemachten Anspruch auch auf Art. 28 Abs. 1 und 2 lit d) VO (EG) Nr. 1107/2009 i. V. m. § 903 BGB bzw. Art. 14 GG. Hiernach habe sie einen subjektiven Anspruch darauf, das Pflanzenschutzmittel in einen Drittstaat ihrer Wahl zu exportieren. Art. 28 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 lit. d) VO (EG) Nr. 1107/2009 gestatte einen Export auch, soweit das Pflanzenschutzmittel nicht mehr den pflanzenschutzrechtlichen Zulassungsvorgaben entspreche. Auf die Verkehrsfähigkeit innerhalb der Europäischen Union komme es für den Export in einen Drittstaat nicht an. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass die VO (EG) Nr. 1107/2009 das Zulassungsverfahren und das Inverkehrbringen lediglich für das Vertragsgebiet der EU regele und insoweit auch nur auf dieses bezogen sei, sowie aus einer Gesamtschau der Erwägungsgründe der VO (EG) Nr. 1107/2009. Überdies ende die Regelungskompetenz der EU zwangsläufig an ihrer Außengrenze, sodass sie keine Vorgaben für den Export in einen Drittstaat machen könne. Art. 28 Abs. 2 lit. d) VO (EG) Nr. 1107/2009 verlange nur, dass das Pflanzenschutzmittel im Rahmen des Exports zollrechtliche Inspektionsanforderungen erfülle, um sicherzustellen, dass es aus dem Hoheitsgebiet desjenigen Mitgliedstaates ausgeführt werde, in dem es sich derzeit befinde. Dies sicherzustellen obliege allerdings der zuständigen Zolldienststelle, nicht aber dem Beklagten. Für den Export generell maßgeblich sei sodann weiter die VO (EU) Nr. 649/2012 (sog. PIC-Verordnung), die den Export von Chemikalien grundsätzlich erlaube und im Rahmen derer es maßgeblich darauf ankomme, ob das betreffende Mittel als „gefährliche Chemikalie“ einzuordnen sei. Letzteres sei für den Wirkstoff des Mittels „G.“ aber zu verneinen.
15Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin im Rahmen der Geltendmachung von zivilrechtlichen Gewährleistungsansprüchen gegenüber der J.. unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung verpflichtet sei, die Chargen an diese zurückzugeben. Auch die S. sei im Rahmen des zivilrechtlichen Gewährleistungsrechts berechtigt und verpflichtet, die streitgegenständlichen Chargen an die Klägerin zurückzugeben. Die Rückgabe durch die S. stelle auch kein Inverkehrbringen im Sinne des Art. 28 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1107/2009 dar, wie Art. 3 Nr. 9 Satz 1 Halbsatz 2 VO (EG) Nr. 1107/2009 zeige. Dieser nehme die Rückgabe an den früheren Verkäufer explizit von dem Begriff des Inverkehrbringens aus. Der Verordnungsgeber verfolge damit erkennbar das Ziel, Pflanzenschutzmittel die nicht zugelassen seien bzw. nicht den zugelassenen Spezifikationen entsprächen, durch einfache Rückgabe an den Verkäufer schnell und unbürokratisch aus dem Markt zu nehmen.
16Eine gleiche Zielrichtung verfolge letztlich auch die nationale Regelung des § 27 Abs. 1 PflSchG, welche der Klägerin gleichsam eine Klagebefugnis und den in Rede stehenden Anspruch gewähre. § 27 PflSchG erfasse über seinen bloßen Wortlaut hinaus unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks sowie der Historie der Norm nicht nur den Fall der Beendigung einer Zulassung, sondern auch den Fall, dass ein grundsätzlich zugelassenes Pflanzenschutzmittel im Einzelfall von dieser Zulassung abweiche. Im Rahmen des § 27 PflSchG sei vor dem Hintergrund des Zwecks der Vorschrift, betreffende Pflanzenschutzmittel schnell aus dem Markt zu nehmen, völlig unerheblich, warum das Mittel nicht zugelassen sei bzw. nicht der Zulassung entspreche. Auch ermögliche § 27 Abs. 2 Satz 2 PflSchG sogar die Anordnung einer Rücknahmepflicht des Vorlieferanten für den Fall der Rücknahme der Zulassung. Vor diesem Hintergrund müsse ein Recht zur Rückgabe erst Recht bestehen, wenn das Produkt aus dem Unionsmarkt gänzlich herausgenommen werden solle und nicht lediglich die Zulassung beendet worden sei. Neben dem Ziel, das Pflanzenschutzmittel durch die Rückgabe an die in § 27 Abs. 1 PflSchG genannten Personen schnellstmöglich aus dem Markt zu nehmen, schütze § 27 PflSchG sowohl das Eigentum am jeweiligen Pflanzenschutzmittel als auch die diesem innewohnenden Verwendungsmöglichkeiten. Unter diesem Gesichtspunkt komme § 27 PflSchG auch drittschützende Wirkung zu.
17Eine Klagebefugnis der Klägerin ergebe sich überdies auch aus Art. 7 Satz 1 VO (EU) Nr. 2017/625, wonach gegen Entscheidungen (unter anderem) gemäß Art. 138 VO (EU) Nr. 2017/625, welche juristische Personen beträfen, diese nach dem nationalen Recht Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung einlegen könnten. Eine unmittelbare Betroffenheit liege unter Heranziehung des Art. 263 Abs. 4 AEUV dann vor, wenn die betreffende Maßnahme selbst in die Interessen der betroffenen juristischen Person eingreife und es hierzu keiner weiteren Maßnahmen bedürfe. Dieser Maßstab gelte hier entsprechend. Folglich sei im Rahmen des Art. 7 Satz 1 VO (EU) Nr. 2017/625 jeder, der in irgendeiner Weise durch den belastenden Bescheid der Behörde betroffen sei, klagebefugt. Damit sei die Grenze des unionsrechtlichen Klagerechts niedriger anzusetzen als die nationalen Maßstäbe des § 42 Abs. 2 VwGO.
18Der Bescheid sei überdies bereits formell rechtswidrig. Soweit der Beklagte die streitgegenständlichen Anordnungen auf Art. 138 VO (EU) 625/2017 stütze, sei er nicht sachlich zuständig. Dies gelte vor allem für die von dem Beklagten verfügte Entsorgungsanordnung, da § 60 Satz 2 Nr. 2 PflSchG eine solche nicht vorsehe. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b) VO (EU) 625/2017 setzten voraus, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegenüber der Kommission eine zentrale Behörde benennen würden, die für die Umsetzung der VO (EU) 625/2017 zuständig sei. Dies habe die Bundesrepublik Deutschland allerdings nicht getan, sodass die VO (EU) 625/2017 nicht unionsrechtskonform umgesetzt worden sei. Auch vor dem Hintergrund des Parlamentsvorbehaltes müsse eine solche Benennung eine nationale Rechtsgrundlage haben. Zwar sehe § 59 Abs. 2 Nr. 8 PflSchG vor, dass die Überwachung des Inverkehrbringens, des innergemeinschaftlichen Verbringens sowie des Verbringens im Inland und die Überwachung der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in die Zuständigkeit der Länder falle, sodass § 1 der nordrhein-westfälischen Verordnung zur Durchführung des Pflanzenschutzgesetzes eine Zuständigkeit des Beklagen begründen könnte. Die VO (EU) 625/2017 sei in diese gesetzlichen Grundlagen aber nicht einbezogen worden. Dies folge schon daraus, dass die letzte Novellierung des PflSchG im Jahr 2012 und damit weit vor der VO (EU) 625/2017 erfolgt sei. Insoweit könne die VO (EU) 625/2017 noch gar nicht vom Willen des deutschen Gesetzgebers umfasst gewesen sein. Wenn sowohl die Rechtsprechung als auch der Beklagte sich hinsichtlich der Zuständigkeit für eine Anordnung nach Art. 138 VO (EU) 625/2017 ergänzend auf den Integrierten mehrjährigen Kontrollplan der Bundesrepublik stützten, stelle dieser bereits keine hinreichende gesetzliche Grundlage dar, die neben dem Parlamentsvorbehalt aber auch Art. 77 der Landesverfassung NRW fordere.
19Weiter sei die VO (EU) 1107/2009 gegenüber der VO (EU) 625/2017 als lex specialis auch vorrangig, da sie eine spezielle Materie des Pflanzenschutzrechts dezidiert regele. Der Beklagte könne die Anordnung damit unabhängig von seiner fehlenden Zuständigkeit nicht auf Art. 138 der VO (EU) 625/2017 stützen.
20In materieller Hinsicht sei die Anordnung überdies ermessensfehlerhaft ergangen und verstoße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip.
21Soweit der Beklagte seinen Bescheid vom 28. Juni 2021 in der Sache damit begründe, dass eine Rückführung an die Klägerin nicht in Betracht komme, da so nicht wirksam verhindert werden könne, dass das streitgegenständliche, nichtverkehrsfähige Mittel erneut in Deutschland oder in der EU in Verkehr gebracht würde, gebe es für diese Unterstellung keinerlei Anlass. Der Beklagte trage auch keine konkreten Anhaltspunkte für seine Befürchtung vor und gebe der Klägerin keine Möglichkeit, sich zu den gegenüber der S. angeordneten Maßnahmen – etwa im Rahmen einer Anhörung nach § 28 VwVfG NRW – zu äußern. Überdies verkenne der Beklagte dabei auch, dass es für die streitgegenständlichen Mittel theoretisch sogar legale Möglichkeiten der weiteren Verwendung, etwa nach einer Umformulierung, gäbe.
22Soweit der Beklagte weiter die Rückgabe an die Klägerin zum Zwecke des Exports unter Verweis auf die Beanstandungen hinsichtlich des Mittels „Y.“ ablehne und daraus Unsicherheiten hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Klägerin herleiten wolle, sei dies nicht gerechtfertigt. Auch hier sei es lediglich im Beistoffbereich zu Abweichungen von der Zulassung gekommen. Hinsichtlich des Wirkstoffgehaltes habe es hingegen noch nie Beanstandungen bei einem auf die Klägerin zugelassenen Pflanzenschutzmittel gegeben. Die Klägerin habe das Mittel „Y.“ nach der Beanstandung gleichwohl auf schnellstem Wege und ohne weitere Diskussionen sicherheitshalber vom Markt genommen. Aus diesem verantwortungsvollen Handeln könne der Vorwurf der – letztlich gewerberechtlichen – Unzuverlässigkeit nicht hergeleitet werden, für dessen Feststellung der Beklagte überdies auch nicht zuständig sei. Nichts anderes gelte in Bezug auf das streitgegenständliche Mittel „G.“.
23Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit sei weiter zu berücksichtigen, dass von den streitgegenständlichen Chargen des Mittels „G.“ durch die Abweichungen im Beistoffbereich kein höheres Risiko oder eine geringere Wirksamkeit ausgehe als von Chargen, die den zugelassenen Spezifikationen entsprächen. Vor diesem Hintergrund sei es in der Sache nicht erforderlich, die Festsetzung und Entsorgung zu verlangen, wenn auch der von der Klägerin intendierte Drittstaatenexport möglich wäre. Das Ziel, im Unionsmarkt lediglich Pflanzenschutzmittel zu haben, die in jeder Hinsicht ihrer Zulassung entsprechen, werde durch den angestrebten Export als milderes Mittel gleichermaßen erreicht. Damit korrespondiere letztlich auch § 28 der AVV-Rahmen-Überwachung (AVV-Rüb), der bei Rechtsverstößen ohne unmittelbares Risiko für die menschliche Gesundheit in Abs. 3 lediglich die Überwachung und Dokumentation der Durchführung der Rücknahme oder eines Rückrufes vorsehe. Auch darin komme zum Ausdruck, dass die Vernichtung und Entsorgung des betreffenden Mittels lediglich als ultima ratio in Betracht komme. Entsprechendes ergebe sich zudem aus der Abfallhierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG).
24Die Klägerin beantragt,
251.) die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 9. Juni 2021, Aktenzeichen N03 (Anordnung) in der Fassung des Bescheides vom 28. Juni 2021, Aktenzeichen N03 (Anordnung 2) und in der Fassung des Bescheides des Beklagten vom 4. August 2021, Aktenzeichen N03 (Anordnung 3) dahingehend aufzuheben, dass die Klägerin berechtigt ist, die bei der Firma I. festgesetzte Menge des Pflanzenschutzmittels „H.“, Zulassungsnummer N01 in einen Staat unter Einhaltung gültiger Inspektionsanforderungen zu exportieren, der nicht Mitglied der Europäischen Union (Drittstaat) ist;
262.) hilfsweise im Verhältnis zum Antrag zu 1.): die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 9. Juni 2021, Aktenzeichen N03 (Anordnung) in der Fassung des Bescheides vom 28. Juni 2021, Aktenzeichen N03 (Anordnung 2) und in der Fassung des Bescheides des Beklagten vom 4. August 2021, Aktenzeichen N03 (Anordnung 3) dahingehend aufzuheben, dass die Klägerin berechtigt ist, die bei der I. festgesetzte Menge des Pflanzenschutzmittels „H.“, Zulassungsnummer N01 in das Vereinigte Königreich unter Einhaltung gültiger Inspektionsanforderungen zu exportieren, um sie an die Firma J.., geschäftsansässig M.-straße zurückzugeben;
273.) festzustellen, dass die Anordnung der Festsetzung und Entsorgung des in den angefochtenen Bescheiden des Beklagten vom 9. Juni 2021, 28. Juni 2021 und 4. August 2021 genannten Pflanzenschutzmittels „H.“ insoweit rechtswidrig ist, als damit der Klägerin verboten ist, dieses Pflanzenschutzmittel in einen Drittstaat nach ihrer Wahl unter Einhaltung gültiger Inspektionsanforderungen zu exportieren oder – hilfsweise – an die im Vereinigten Königreich ansässige Fa. J.. zurückzugeben.
28Der Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Die Klage sei bereits unzulässig. Der Klägerin fehle es an der Klagebefugnis, da von vorneherein nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen sei, dass sie durch die streitgegenständlichen Anordnungen möglicherweise in eigenen Rechten verletzt sei. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die streitgegenständlichen Bescheide allein an die S. adressiert seien. Soweit die Klägerin auf ihr Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG verweise, habe die streitgegenständliche Festsetzungs- und Entsorgungsverfügung schon keine berufsregelnde Tendenz. Dass die Interessen der Klägerin an der privatrechtlichen Rückabwicklung des Kaufvertrages durch die gegenüber der S. ergangenen ordnungsrechtlichen Anordnungen betroffen seien, stelle lediglich eine mittelbare Folge in Gestalt eines bloßen, vom Eingriffsbegriff nicht erfassten Rechtsreflexes dar.
31Weiter tritt der Beklagte dem Vorbringen der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung der in den streitgegenständlichen Bescheiden vorgebrachten Begründung auch in der Sache entgegen.
32Eine Anhörung der S. habe er mit Schreiben vom 27. November 2024 nachgeholt.
33Entgegen der Auffassung der Klägerin sei er für die streitgegenständliche Anordnung auf Grundlage des Art. 138 VO (EU) 625/2017 zuständig gewesen. Der Beklagte sei zuständige Behörde i. S. d. Art. 2 Abs. 1 der VO (EU) 625/2017, wobei die Zuständigkeit in § 59 PflSchG und § 1 der nordrhein-westfälischen Verordnung zur Durchführung des Pflanzenschutzgesetzes geregelt sei. Die Zuständigkeit für amtliche Kontrollen ergebe sich überdies auch aus dem Integrierten mehrjährigen Kontrollplan der Bundesrepublik, der nach der VO (EU) 625/2017 durch jeden Mitgliedstaat der EU aufzustellen sei.
34Das Pflanzenschutzrecht gewähre auch keinen Anspruch auf den von der Klägerin begehrten Drittstaatenexport. Dieses Interesse könne allenfalls im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Anordnung berücksichtigt werden, was der Beklagte aber getan habe. Soweit sich die Klägerin auf Art. 28 Abs. 2 lit d) der VO (EU) 1107/2009 beziehe, sei bereits nach der Kapitelüberschrift in dieser Norm lediglich eine Ausnahme zum Zulassungsvorbehalt geregelt, nicht aber eine Einschränkung der Kontroll- oder Sanktionsmöglichkeiten. Für den von der Klägerin beabsichtigten Export fehle sodann aber auch in tatsächlicher Hinsicht ein für den Beklagten überprüfbarer Nachweis. Eine bloße Absichtserklärung der Klägerin reiche insoweit nicht aus.
35Soweit die Klägerin sich auf die AVV Rüb berufe, sei diese Regelung für den Handel mit Pflanzenschutzmitteln bereits nicht anwendbar und überdies als Verwaltungsvorschrift auch lediglich im Rahmen einer etwaigen Ungleichbehandlung relevant. Das Vorgehen des Beklagten entspreche aber ihrer ständigen Verwaltungspraxis.
36Soweit durch die streitgegenständlichen Bescheide angeordnet worden sei, die Chargen des Pflanzenschutzmittels „G.“ zu entsorgen und nicht an die Klägerin zurückzugeben, sei dies auch verhältnismäßig gewesen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass jede chemische Abweichung eines Mittels von der Zulassung zu einer Veränderung des Umweltverhaltens beitragen könne. Entscheidend sei daher für die streitgegenständliche Verfügung im ersten Ansatz lediglich, dass die Zusammensetzung nicht der jeweiligen Zulassung entspreche. Konkrete Auswirkungen könnten erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden, was der Beklagte aber getan habe. Weiter sei der Wirkstoff des Pflanzenschutzmittels „G.“, W., auch hochflüchtig und könne daher leicht Schäden auf Nicht-Zielflächen verursachen. Dabei stelle jede chemische Abweichung ein konkretes Risiko dar. Folglich sei wirksam zu verhindern gewesen, dass das Mittel erneut in den Verkehr gebracht werde. Das betreffende Mittel lediglich aus dem Geltungsbereich der betreffenden EU-Verordnung zu verbringen, entspreche dem Zweck des europäischen Pflanzenschutzrechts hingegen nicht. Soweit die Klägerin eine gesetzliche Regelung zur Rückgabe der jeweiligen Pflanzenschutzmittel anführe, sei eine solche nur vorgesehen, wenn eine Zulassung abgelaufen sei, nicht aber, wenn – wie hier – das jeweilige Produkt infolge von Abweichungen zur Zulassung nicht mehr verkehrsfähig sei. Beide Fälle seien voneinander zu unterscheiden, wobei eine Gleichbehandlung das angestrebte hohe Schutzniveau des Unionsrechts auch nicht verwirklichen könne. Würde man bei einer Abweichung von der Zulassung eine Rückführung des betreffenden Mittels gestatten, würde der Handel mit nicht verkehrsfähigen Pflanzenschutzmitteln entgegen dem Regelungszweck des Pflanzenschutzrechtes deutlich attraktiver. So könne der betreffende Hersteller letztlich darauf spekulieren, mit der Abweichung von der Zulassung nicht erwischt zu werden und jedenfalls darauf vertrauen, dass er das Mittel schlimmstenfalls noch zurückerhalte, wenn er mit diesem auffalle.
37Vor diesem Hintergrund stehe den streitgegenständlichen ordnungsrechtlichen Anordnungen eine zivilrechtliche Verpflichtung der S. gegenüber der Klägerin auch nicht entgegen.
38Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
39Entscheidungsgründe
40Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist hinsichtlich der Klageanträge zu 1.) und 2.) zulässig, aber unbegründet und hinsichtlich des Klageantrags zu 3.) bereits unzulässig.
41Die Klage ist mit ihrem Antrag zu 1.) zunächst zulässig.
42Sie ist als Anfechtungsklage statthaft und hat das mit Bescheid des Beklagten vom 9. Juni 2021 und nochmals mit Bescheid vom 4. August 2021 für die Zukunft ausgesprochene Verbot des Verbringens des Pflanzenschutzmittels – soweit es dessen Export durch die Klägerin in einen Drittstaat entgegensteht – sowie seine mit Bescheid vom 28. Juni 2021 angeordnete Entsorgung zum Gegenstand.
43Hinsichtlich des Verbots sonstigen Verbringens – die Klägerin wendet sich nicht gegen das Verbot des Inverkehrbringens – liegt eine zulässige Teilanfechtung vor, da die Klägerin hier eine Aufhebung nur insoweit begehrt, als dass der S. auch die Gestattung des Exports der Pflanzenschutzmittel durch die Klägerin in einen Drittstaat untersagt worden ist.
44Ein angefochtener Verwaltungsakt kann teilweise aufgehoben werden, wenn die rechtlich unbedenklichen Teile nicht in einem untrennbaren inneren Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Teil stehen. Der rechtswidrige Teil des Verwaltungsaktes muss in der Weise selbstständig abtrennbar sein, dass der Verwaltungsakt im Übrigen ohne Änderung seines Inhalts sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann. Insoweit ist in den Blick zu nehmen, ob die Behörde die (Rest-)Regelung auch isoliert erlassen hätte.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2023 – 1 C 34.22 –, juris Rn. 23 und Beschluss vom 2. Mai 2005 – 6 B 6.05 –, juris Rn. 8 m. w. N.
46Dies ist hier der Fall, da auch bei einer unterstellten Rechtswidrigkeit der Ausfuhr in einen Drittstaat ein Verbot des sonstigen Verbringens der Pflanzenschutzmittel vom Beklagten zur Verhinderung eines erneuten Inverkehrbringens in der EU weiterhin beabsichtigt gewesen ist.
47Die Klägerin – die nicht Adressatin der Bescheide ist – ist auch klagebefugt.
48Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Ist der Kläger nicht Adressat eines Verwaltungsakts, sondern lediglich als Dritter betroffen, so ist für seine Klagebefugnis erforderlich, dass er die Verletzung einer Vorschrift behauptet, die ihn als Dritten zu schützen bestimmt ist.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 4 C 36.13 –, juris Rn. 14 m. w. N.
50Ein solcher Drittschutz kommt dabei den Grundrechten des Grundgesetzes zu.
51Vgl. etwa für Art. 14 Abs. 1 GG: BVerwG, Urteil vom 17. Mai 2023 – 6 C 5.21 –, juris Rn. 10.
52Die Klagebefugnis ist – mit der Folge der Unzulässigkeit der Klage – zu verneinen, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte ihm zustehen können und er folglich in seinen subjektiven Rechten nicht verletzt sein kann.
53Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. März 2019 – 7 B 3.18 –, juris Rn. 8.
54Vorliegend scheint jedenfalls eine Verletzung der Klägerin in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG nicht eindeutig und nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen.
55Vgl. dazu, dass sich die Klägerin als juristische Person mit Sitz in der Europäischen Union auf das Eigentumsgrundrecht des Grundgesetzes berufen kann: BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2011 – 1 BvR 1916/09 –, Rn. juris 68 ff.
56Die Klägerin ist nunmehr Eigentümerin der streitgegenständlichen Pflanzenschutzmittel, die ihr nach Aktenlage im Wege des Besitzkonstituts (§ 930 BGB) übereignet worden sind. Das Gericht nimmt insoweit Bezug auf die von der Klägerin als Anlage K22 (Bl. 263 d. A.) vorgelegte Vereinbarung zwischen der S., der C. A.. und der Klägerin. Für die Beurteilung der Sachurteilsvoraussetzungen sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht maßgeblich,
57vgl. BVerwG, Urteil vom 2. November 2017 – 7 C 25.15 –, juris Rn. 17,
58sodass es nicht darauf ankommt, dass diese Eigentumsübertragung ggf. erst nach Klageerhebung erfolgt ist.
59Es erscheint zumindest möglich, dass durch die angefochtene Verfügung unverhältnismäßig in das Eigentumsgrundrecht der Klägerin eingegriffen wird. Der S. ist mit dem angefochtenen Verwaltungsakt die Vernichtung des Eigentums der Klägerin aufgegeben worden, was nicht nur eine reflexhafte Auswirkung ist. Überdies ist es der S. verwehrt, die streitgegenständlichen Pflanzenschutzmittel an die Klägerin herauszugeben, was ihren aus § 985 BGB folgenden eigentumsrechtlichen Herausgabeanspruch vereitelt. Angesichts dessen kann offen bleiben, ob die Klägerin sich ebenfalls auf einen Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG, Art. 15 der EU-Grundrechte-Charta) berufen kann und deren Schutzbereich vorliegend betroffen sein kann.
60Die Klage ist auch nicht verfristet. Die Frist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden muss, begann für die Klägerin nicht zu laufen, da der Beklagte ihr die angefochtenen Bescheide nach Aktenlage nicht bekanntgegeben hat. Selbst wenn man unterstellt, dass die Klägerin jeweils am Tag des Bescheiderlasses sichere Kenntnis von den jeweiligen Bescheiden hatte, war die insoweit entsprechend anwendbare Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen.
61Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 – IV C 2.72 –, juris Rn. 20 ff. und Beschluss vom 17. Februar 1989 – 4 B 28.89 –, juris Rn. 2; OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 2023 – 10 A 2094/20 –, juris Rn. 33; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 8. August 2024 – 2 K 25/23 –, juris Rn. 63 ff.
62Die Klage ist unbegründet. Die Bescheide des Beklagten vom 9. Juni 2021, vom 28. Juni 2021 und vom 4. August 2021 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
63Maßgeblich ist insoweit sowohl hinsichtlich der angeordneten Entsorgung als auch des Verbringungsverbots die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung.
64Vgl. etwa Bay. VGH, Beschluss vom 29. April 2013 – 21 ZB 12.1006 –, juris Rn. 13.
65Rechtsgrundlage des Verbots des Verbringens und der angeordneten Entsorgung der Chargennummer N02 des Pflanzenschutzmittels „G.“ ist Art. 138 der Verordnung (EU) 2017/625 des europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenschutzmittel (Abl. L 095 vom 7. April 2017, S. 1 – VO (EU) 2017/625).
66Wird ein Verstoß gegen pflanzenschutzrechtliche Vorschriften festgestellt, ergreifen die zuständigen Behörden gemäß Art. 138 Abs. 1 Satz 1 lit. b) VO (EU) 2017/625 geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert. Nach Art. 138 Abs. 2 VO (EU) 2017/625 ergreifen die Behörden die ihnen geeignet erscheinenden Maßnahmen, um die Einhaltung der Vorschriften gemäß Artikel 1 Absatz 2 zu gewährleisten. Zu den u.a. geeigneten Maßnahmen gehören nach Art. 138 Abs. 2 g) VO (EU) 2017/625 auch der Rückruf, die Rücknahme, die Beseitigung und die Vernichtung von Waren. Gegebenenfalls gestattet die Behörde die Verwendung von Waren für andere als die ursprünglich vorgesehenen Zwecke.
67Die Klägerin ist nicht wegen einer formellen Rechtswidrigkeit der Anordnungen in ihren Rechten verletzt.
68Der Beklagte war für den Erlass der Entsorgungsanordnung und des Verbringungsverbots zuständig,
69vgl. dazu bereits VG Aachen, Urteil vom 28. September 2022 – 7 K 612/22 –, juris Rn. 51 ff. sowie Beschluss der Kammer Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 9 L 1449/22 –, juris Rn. 15 ff.,
70sodass dahinstehen kann, inwieweit die Vorschriften über die (sachliche) Zuständigkeit Drittschutz vermitteln.
71Vgl. etwa Bay. VGH, Beschluss vom 13. August 1996 – 20 CS 96.2369 –, NVwZ-RR 1997, 399 einerseits und VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. April 2006 – 3 S 547/06 –, juris Rn. 5 andererseits.
72Gemäß Art. 138 VO (EU) 2017/625 ergreifen die zuständigen Behörden die geeigneten Maßnahmen. Was unter dem Begriff „zuständige Behörde“ zu verstehen ist, wird in Art. 3 Nr. 3 b) VO (EU) 2017/625 legal definiert. Danach bezeichnet der Begriff die zentralen Behörden eines Mitgliedstaats, die für die Durchführung amtlicher Kontrollen und anderer amtlicher Tätigkeiten nach dieser Verordnung und den Vorschriften gemäß Artikel 1 Absatz 2 verantwortlich sind (lit. a); sowie alle anderen Behörden, denen diese Verantwortung übertragen wurde (lit. b).
73Nach Art. 4 Abs. 1 VO (EU) 2017/625 benennen die Mitgliedstaaten, für jeden der durch die Vorschriften gemäß Art. 1 Absatz 2 der Verordnung geregelten Bereiche, eine oder mehrere zuständige Behörden, denen sie die Verantwortung für die Organisation oder die Durchführung amtlicher Kontrollen und anderer amtlicher Tätigkeiten übertragen. Eine solche Benennung ist durch den Integrierten mehrjährigen Kontrollplan der Bundesrepublik Deutschland (MNKP) – Geltungsperiode 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2021 –, der der Kommission übermittelt worden ist, erfolgt. In dem Plan heißt es unter dem Punkt H.3. – Benennung der zuständigen Behörden, nationalen Referenzlaboratorien und beauftragten Kontrollstellen –:
74„Die 16 Ministerien bzw. Senatsverwaltungen der Bundesländer mit ihren nachgeordneten amtlichen Pflanzenschutzdiensten, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Referat 713 (Pflanzenschutz) sind die zuständigen Behörden. Zwischen dem BMEL, dem BVL, den Bundesländern und ihren amtlichen Pflanzenschutzdiensten besteht eine intensive Zusammenarbeit. Die amtlichen Pflanzenschutzdienste der Länder sind für die Durchführung des Pflanzenschutzgesetzes und der darauf gestützten Verordnungen verantwortlich. Jedes der 16 Bundesländer verfügt über einen amtlichen Pflanzenschutzdienst, dem jeweils Fachministerien bzw. Senatsverwaltungen vorgesetzt sind.“ (Hervorhebung nur hier)
75Vgl. auch die gleichlautende Formulierung im aktuellen MNKP für die Geltungsperiode: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2026, abrufbar unter: https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/01_Lebensmittel/06_mnkp_dokumente/mnkp_2022-2026.pdf?__blob=publicationFile&v=5.
76Auf nationaler Ebene folgt die Zuständigkeit des Direktors der Landwirtschaftskammer bzw. des Pflanzenschutzdienstes aus den Vorschriften § 59 Abs. 1 PflSchG i.V.m. § 1 der Verordnung zur Durchführung des Pflanzenschutzgesetzes vom 4. Oktober 1988 (GV. NRW. S. 420), zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes vom 15. November 2016 (GV. NRW. S. 934; Durchführungsverordnung NRW). Gemäß § 59 Abs. 1 PflSchG obliegt die Durchführung des Pflanzenschutzgesetzes einschließlich der Überwachung der Einhaltung seiner Vorschriften, der Kontrollen nach Art. 68 der Verordnung (EG) 1107/2009, der Mitwirkung bei der Durchführung des Aktionsplanes nach § 4 sowie der nach diesem Gesetz erlassenen Rechtsverordnungen und erteilten Auflagen den nach Landesrecht zuständigen Behörden. In Absatz 2 werden exemplarisch bestimmte Aufgabenbereiche definiert, darunter die Überwachung des Inverkehrbringens, des innergemeinschaftlichen Verbringens sowie des Verbringens im Inland und der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, Pflanzenstärkungsmitteln und Zusatzstoffen (§ 59 Abs. 2 Nr. 8 PflSchG).
77Zwar nimmt § 59 Abs. 1 PflSchG nach seinem Wortlaut nicht auf die neue Verordnung (EU) 2017/625 Bezug, sondern verweist nur auf die Kontrollen nach Art. 68 VO (EG) 1107/2009. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Länder nunmehr keine amtlichen Kontrollen in Bezug auf die Einhaltung der in der VO (EG) 1107/2009 enthaltenen pflanzenschutzrechtlichen Regelungen durchführen dürfen.
78Zum einen ist in Art. 68 VO (EG) 1107/2009 weiterhin von amtlichen Kontrollen die Rede. Der ursprüngliche Satz 1 („Die Mitgliedstaaten führen amtliche Kontrollen durch, um die Einhaltung der Bestimmung dieser Verordnung durchzusetzen“) ist geändert worden in: „Die Mitgliedstaaten unterbreiten der Kommission bis zum 31. August jeden Jahres für das vorangegangene Jahr einen Bericht über den Umfang und die Ergebnisse der amtlichen Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung dieser Verordnung (vgl. Art. 161 der VO 2017/625).“ Damit ist auch weiterhin hinreichend eindeutig und klar erkennbar, für welche amtlichen Kontrollen nach § 59 Abs. 1 PflSchG i. V. m. Art 68 VO (EG) die Länder zuständig sein sollen, nämlich die amtlichen Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung der Verordnung (EG) 1107/2009, auch wenn die Anforderungen für amtliche Kontrollen im Bereich der Pflanzengesundheit nunmehr in der VO (EU) 2017/625 geregelt sind, um die bereits geltenden EU-Bestimmungen über amtliche Kontrollen in einem einzigen Rechtsrahmen zu bündeln.
79Vgl. Erwägungsgründe 17 und 19 der VO (EU) 2017/625.
80Die Fortgeltung der Zuständigkeit der Länder für die Durchführung amtlicher Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung der VO (EG) 1107/2009 nach der nunmehr geltenden Verordnung VO (EU) 2017/625 lässt sich zum anderen auch mit Blick auf die Vorschrift des § 1 Nr. 4 PflSchG herleiten. Danach ist der ausdrückliche Zweck des Pflanzenschutzgesetzes u.a. Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich dieses Gesetzes durchzuführen.
81Nach § 1 der Durchführungsverordnung NRW ist der Direktor der Landwirtschaftskammer als Landesbeauftragter zuständige Behörde gemäß § 59 PflSchG in der jeweils geltenden Fassung und aller auf Grund des Pflanzenschutzgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen. Soweit die Klägerin moniert, dass entgegen Art. 77 Satz 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen keine Zuständigkeitsbestimmung durch Gesetz erfolgt sei, verfängt dies nicht. Der Gesetzgeber hat den Vorbehalt des Gesetzes mit dem Landesorganisationsgesetz (LOG NRW) ausgefüllt und konkret in § 6 Abs. 2 Nr. 6 LOG NRW festgelegt, dass die Direktorin bzw. der Direktor der Landwirtschaftskammer als Landesbeauftragte bzw. Landesbeauftragter eine Landesoberbehörde ist, die gem. § 6 Abs. 1 LOG NRW „für das ganze Land zuständig“ ist. Weiter bestimmt § 5 Abs. 3 Satz 1 LOG NRW: „Wenn das Land oder die nach Landesrecht zuständige Stelle Bundesrecht oder Recht der Europäischen Gemeinschaften durchzuführen hat, so bestimmt die Landesregierung nach Anhörung des fachlich zuständigen Ausschusses des Landtags durch Rechtsverordnung, welche Behörde sachlich und örtlich zuständig ist.“ Diese grobe Festlegung der Zuständigkeit genügt Art. 77 Satz 1 der Landesverfassung. Die Zuweisung der einzelnen Wahrnehmungszuständigkeiten an einzelne Behörden fällt nicht mehr unter Art. 77 Satz 1 der Landesverfassung.
82Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11. Dezember 2008 – 9 A 495/06 –, juris Rn. 20 ff.; G. Dietlein in: BeckOK Verfassung NRW, 5. Ed. 1. Oktober 2024, NRWVerf Art. 77 Rn. 18.
83Auch der Einwand der Klägerin, dem Beklagten fehle die sachliche Zuständigkeit für das in den Anordnungen mitenthaltene (faktische) Verbot des zollbeaufsichtigten Drittstaatsexports, greift nicht durch. Denn der Beklagte hat in Durchsetzung seiner Aufgabenzuständigkeiten eine Entsorgungsanordnung und ein Verbringungsverbot erlassen, für die er, wie oben dargelegt, sachlich zuständig ist. Dass damit in der Sache faktisch auch der Drittstaatsexport ausgeschlossen wird, ist keine Frage der sachlichen Zuständigkeit, sondern eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit, namentlich der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Anordnungen.
84Die Klägerin wird durch die unterbliebene Anhörung der S. im Verwaltungsverfahren (§ 28 VwVfG NRW) nicht in ihren Rechten verletzt.
85Der Verfahrensfehler ist gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW unbeachtlich, da der Beklagte die Anhörung nachgeholt hat, was gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG NRW bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens möglich ist.
86Ist die Anhörung entgegen § 28 Abs. 1 VwVfG NRW unterblieben, tritt eine derartige Heilung nur dann ein, wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Funktion besteht nicht allein darin, dass der Betroffene seine Einwendungen vorbringen kann und diese von der Behörde zur Kenntnis genommen werden, sondern schließt vielmehr ein, dass die Behörde ein etwaiges Vorbringen bei ihrer Entscheidung in Erwägung zieht. Eine funktionsgerecht nachgeholte Anhörung setzt voraus, dass sich die Behörde nicht darauf beschränkt, die einmal getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern das Vorbringen des Betroffenen erkennbar zum Anlass nimmt, die Entscheidung kritisch zu überdenken.
87Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 7 C 5.14 –, juris Rn. 17 m. w. N.
88Dies ist hier der Fall. Der Beklagte hat die S. mit Schreiben vom 27. November 2024 zu den Bescheiden vom 9. Juni 2021, 28. Juni 2021 und 4. August 2021 angehört. Hierauf hat der Prozessbevollmächtigte der S. mit Schreiben vom 2. Dezember 2021 geantwortet und sich im Wesentlichen auf die Schriftsätze in diesem Verfahren bezogen, welche dem Beklagten bereits bekannt gewesen sind. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, jeweils an seinen Bescheiden festzuhalten. Dies genügt vorliegend für eine Nachholung der Anhörung, da in dem Antwortschreiben keine neuen Erwägungen vorgetragen worden sind.
89Vgl. zum Fall einer unterbliebenen Reaktion auf eine nachgeholte Anhörung OVG NRW, Beschluss vom 11. Juli 2024 – 18 B 304/24 –, juris Rn. 12.
90Auch konnte der Zweck der Anhörung noch erreicht werden, da sich die streitgegenständlichen Anordnungen nicht erledigt haben.
91Vgl. zu diesem Aspekt BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16.11 –, juris Rn. 18.
92Das Anhörungsrecht des Einzelnen schützt überdies ohnehin jeweils nur den einzelnen Anzuhörenden (also die Beteiligten des Verwaltungsverfahrens im Sinne von § 13 VwVfG NRW, in deren Rechte eingegriffen werden soll), vermittelt jedoch nicht die Befugnis, eine etwaige Verletzung des Anhörungsrechts Dritter geltend zu machen. Sinn der Vorschrift ist lediglich die Sicherung des subjektiven Rechts des einzelnen Bürgers auf Gehör im Verwaltungsverfahren.
93Vgl. OVG NRW Beschluss vom 25. Juli 2012 – 12 B 643/12 –, juris Rn. 4 m. w. N.
94Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beklagte ermessensfehlerhaft davon abgesehen hat, die Klägerin, die keinen dahingehenden Antrag gestellt hat (vgl. § 13 Abs. 2 VwVfG NRW), von Amts wegen zu dem Verfahren hinzuzuziehen.
95Die Anordnung der Entsorgung und das Verbringungsverbot sind auch materiell rechtmäßig.
96Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des Art. 138 Abs. 1 VO (EU) 2017/625 liegen vor. Die RZW ist Unternehmerin im Sinne des Art. 3 Nr. 29 VO (EU) 2017/625, weil sie den Pflichten aus Art. 1 Abs. 2 lit. h) VO (EU) 2017/625 unterliegt. Ein Pflanzenschutzmittel darf gemäß Art. 28 Abs. 1 VO (EG) 1107/2009 nur in Verkehr gebracht oder verwendet werden, wenn es in dem betreffenden Mitgliedstaat gemäß dieser Verordnung zugelassen wurde. Das Pflanzenschutzmittel „G.“ ist zwar mit der Zulassungsnummer N01 zugelassen, die streitgegenständliche und von der Klägerin auch durch Lieferung an die S. in Verkehr gebrachte Charge mit der Chargennummer N02 entsprach jedoch nicht der Zulassung, wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen.
97Die Anordnung der Entsorgung und das Verbot des Verbringens, soweit der S. auch die Gestattung des Exports der Pflanzenschutzmittel durch die Klägerin in einen Drittstaat untersagt ist, sind auch ermessensfehlerfrei ergangen (§ 114 Satz 1 VwGO).
98Die Behörde hat im Rahmen des Art. 138 VO (EU) 2017/625 kein Entschließungsermessen; sie hat jedoch ein Auswahlermessen, muss also nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, welche von verschiedenen zulässigen Maßnahmen sie trifft.
99Vgl. VG München, Urteil vom 18. November 2024 – M 26a K 23.3209 –, juris Rn. 52; VG Würzburg, Urteil vom 14. Februar 2022 – W 8 K 20.1839 –, juris Rn. 107; VG Regensburg, Beschluss vom 28. September 2021 – RN 5 S 21.1615 –, juris Rn. 38.
100Art. 138 Abs. 1 VO (EU) 2017/625 überlässt den Behörden der Mitgliedstaaten die Entscheidung, welche geeigneten Maßnahmen zu ergreifen sind, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und erneute Verstöße dieser Art verhindert. Bei der Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen berücksichtigen die zuständigen Behörden die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des betreffenden Unternehmers in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften (Art. 138 Abs. 1 Satz 2 VO (EU) 2017/625). Wenn sie tätig werden, ergreifen sie alle ihnen geeignet erscheinenden Maßnahmen, um die Einhaltung der Vorschriften gemäß Art. 1 Abs. 2 VO (EU) 2017/625 zu gewährleisten. Zu den u. a. geeigneten Maßnahmen gehören nach Art. 138 Abs. 2 g) VO (EU) 2017/625 auch der Rückruf, die Rücknahme, die Beseitigung und die Vernichtung von Waren. Gegebenenfalls gestattet die Behörde die Verwendung von Waren für andere als die ursprünglich vorgesehenen Zwecke.
101Der Beklagte hat sein diesbezügliches Ermessen erkannt und es bereits bei Erlass der streitgegenständlichen Bescheide – im Hinblick auf das Verbringungsverbot jedenfalls mit dem ersetzenden Bescheid vom 4. August 2021 – in einer dem § 40 VwVfG NRW genügenden Weise ausgeübt. Auf eine etwaige Ergänzung der Ermessenserwägungen (§ 114 Satz 2 VwGO) durch den Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung kommt es deshalb nicht an.
102Die angegriffene Anordnung der Entsorgung und die mit dem Verbringungsverbot einhergehende Unmöglichkeit der Ausfuhr des streitgegenständlichen Pflanzenschutzmittels durch die Klägerin sind insbesondere verhältnismäßig.
103Dabei kann offenbleiben, inwieweit durch die Maßnahmen überhaupt mehr als nur reflexhaft in die Berufsfreiheit der Klägerin (Art. 12 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG, Art. 15 der EU-Grundrechte-Charta) eingegriffen wird und inwieweit auch das Eigentumsgrundrecht der Klägerin nach Art. 14 GG zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses betroffen gewesen ist. Ein Eingriff in beide Grundrechte ist jedenfalls nicht unverhältnismäßig.
104Die Maßnahmen dienen dem legitimen Zweck, durch die Verhinderung eines erneuten Inverkehrbringens des nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittels die davon ausgehenden Risiken zu minimieren und ein hohes Gesundheitsschutzniveau für Mensch und Tier und ein hohes Umweltschutzniveau zu gewährleisten (vgl. Erwägungsgrund 9 der VO (EU) 2017/625). Sie sind zur Erreichung dieses Ziels auch geeignet. Art. 138 Abs. 2 g) Satz 1 VO (EU) 2017/625 nennt ausdrücklich die Beseitigung und die Vernichtung von Waren als geeignete Maßnahmen.
105Auch sind sie erforderlich, denn ein generelles Abgabeverbot an jedermann und erst recht eine Vernichtung des streitgegenständlichen Pflanzenschutzmittels machen ein erneutes Inverkehrbringen desselben unmöglich, sodass kein milderes gleich effektives Mittel ersichtlich ist.
106Sie sind schließlich auch angemessen und damit verhältnismäßig im engeren Sinne.
107Der Beklagte war auch nicht gehalten, eine Verwertung von festgesetzten Pflanzenschutzmitteln durch eine Ausfuhr in einen Drittstaat zu ermöglichen. Zwar sieht Art. 138 Abs. 2 lit. g) Satz 2 VO (EU) 2017/625 vor, dass die Behörde gegebenenfalls die Verwendung von Waren für andere als die ursprünglich vorgesehenen Zwecke gestattet.
108Es besteht indes kein Anspruch der Klägerin oder der S., das Pflanzenschutzmittel für den Drittstaatsexport verwenden zu können. Denn ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus Art. 28 Abs. 2 lit. d) VO (EG) 1107/2009 oder der Verordnung (EU) 649/2012 noch aus § 27 PflSchG.
109Vgl. VG Köln, Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 9 L 1449/22 –, juris Rn. 60 f.; VG Aachen, Urteil vom 28. September 2022 – 7 K 612/22 –, juris Rn. 77.
110Im Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Ordnungsverfügungen gab es gerade keine gesetzlich zulässige wirtschaftliche Weiterverwendungsmöglichkeit in der Europäischen Union für das streitgegenständliche Pflanzenschutzmittel, die der Beklagte gestatten konnte. Aufgrund seiner tatsächlichen chemischen Zusammensetzung handelte es sich nicht um ein in Deutschland zugelassenes Pflanzenschutzmittel. Auch war es zu diesem Zeitpunkt kein „zur Verwendung in einem Drittstaat bestimmtes“ bzw. „für die Ausfuhr in ein Drittstaat bestimmtes“ Pflanzenschutzmittel im Sinne des Art. 28 Abs. 2 lit. d) VO (EG) 1107/2009 bzw. § 28 Abs. 3 Nr. 1 PflSchG, das den Anforderungen für die Ausfuhr nach § 25 PflSchG genügte.
111Dass der Beklagte mit seiner Verfügung auch die Rückgabe an den Verkäufer bzw. den in einem Drittland ansässigen Formulierer im Rahmen der Rückabwicklung des Kaufvertrages und in der Folge eine ggf. mögliche Weiterverwendung durch Ausfuhr in einen Drittstaat und dort ggf. eine Umdeklaration oder Umformulierung verhindert hat, erweist sich ebenfalls nicht als unverhältnismäßig. Diesbezüglich hat der Beklagte sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt und bei der anzustellenden umfassenden Abwägung die betroffenen öffentlichen und privaten Belange nicht fehlgewichtet und die Grundrechte der Klägerin ausreichend berücksichtigt. In Ansehung des gewichtigen Ziels der Gewährleistung eines hohen Gesundheits- und Umweltschutzniveaus musste der Beklagte der Klägerin eine Ausfuhr des Pflanzenschutzmittels aus der Europäischen Union nicht ermöglichen. Eine Ausfuhr durch die Klägerin in einen Drittstaat mit der dort ggf. erfolgenden Umdeklaration oder Umformulierung ist keine effektive Maßnahme, um die Gefahr im Sinne eines Verstoßes gegen die pflanzenschutzrechtlichen Vorschriften zu beseitigen. Dafür müssten für die Behörde bei Bescheiderlass jedenfalls ausreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Pflanzenschutzmittel nach seiner Ausfuhr nicht erneut in der Europäischen Union in den Verkehr gebracht werden wird.
112Dies dürfte zum einen voraussetzen, dass dem Beklagten bereits zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses das Zielland, der konkrete Transportweg und der tatsächliche Empfänger des Pflanzenschutzmittels benannt und durch geeignete Belege (etwa vertragliche Vereinbarungen, Speditionsaufträge etc.) nachgewiesen worden sind.
113Jedenfalls muss aber der beabsichtigte Empfänger der nicht verkehrsfähigen Pflanzenschutzmittel auch die Gewähr bieten, dass er diese nicht erneut in der Europäischen Union in den Verkehr bringen wird. Dies ist nicht der Fall, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Empfänger in Bezug auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben nicht zuverlässig ist. Der Beklagte hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass die Klägerin „durch nicht rechtskonformes Verhalten auffällig geworden“ sei. Denn sie hat neben dem hier streitgegenständlichen Pflanzenschutzmittel auch zwei weitere nicht zugelassene Pflanzenschutzmittel in der Europäischen Union in den Verkehr gebracht. Dies trug jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses die Prognose, dass bei einer Überlassung der festgesetzten Pflanzenschutzmittel an die Klägerin ein erneutes Inverkehrbringen gerade nicht ausgeschlossen ist.
114Dies gilt auch im Hinblick auf zukünftige Verstöße. Müssten die Betroffenen bei Feststellung eines Verstoßes gegen das Pflanzenschutzrecht stets nur die Rückführung an den Hersteller oder die weitere Veräußerung an einen Drittstaat fürchten, bestünde beim Handel mit nicht verkehrsfähigen Produkten in der EU nur ein geringes wirtschaftliches Risiko für die verantwortlichen Unternehmer. Dies liefe dem Zweck der VO (EG) 1107/2009 und der VO (EU) 2017/625, den Handel mit illegalen, nicht dem europäischen Pflanzenschutzrecht entsprechenden, Pflanzenschutzmitteln wirksam zu verhindern bzw. zu unterbinden, zuwider. Dementsprechend geht der Schutzzweck des europäischen Pflanzenschutzrechts so weit, dass einmal unzulässig in die Union eingeführte Produkte nach dem Ermessen der zuständigen Behörde nirgendwo mehr in den Verkehr gebracht werden dürfen.
115Vgl. VG Köln, Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 9 L 1449/22 –, juris Rn. 62; dem folgend VG Oldenburg, Beschluss vom 15. Februar 2024 – 7 B 2582/23 –, juris Rn. 30 f.
116Dementsprechend war auch der hilfsweise gestellte Klageantrag zu 2.) abzuweisen, da auch die Firma Agrosmart Ltd. als Verursacherin der festgestellten Formulierungsabweichung keine zuverlässige Empfängerin ist.
117Die mit dem unbedingt gestellten Klageantrag zu 3.) erhobene Feststellungsklage ist unzulässig. Sie ist zu der Anfechtungsklage subsidiär. Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies ist hier der Fall, da die Klägerin ihre Rechte mit der ebenfalls erhobenen Anfechtungsklage effektiver verfolgen kann als durch die begehrte Feststellung. Die geltend gemachte Feststellung ist gerade die Voraussetzung für die mit der Anfechtungsklage begehrte Aufhebung des Verwaltungsakts. Dass die austenorierte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide im Anfechtungsrechtsstreit nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht statthaft ist, schränkt die effektive Verfolgung des eigentlichen Rechtsschutzziels der Klägerin nicht ein.
118Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2015 – 3 B 6.14 –, juris Rn. 12.
119Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
120Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 709 Satz 2 ZPO.
121Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht vorliegen.
122Rechtsmittelbelehrung
123Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
124Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
125Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
126Ferner ergeht – ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter – der folgende
127Beschluss
128Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
12913.851,60 Euro
130festgesetzt.
131Gründe
132Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Der festgesetzte Wert entspricht der von der Klägerin genannten Erstattungssumme für das streitgegenständliche Pflanzenschutzmittel.
133Rechtsmittelbelehrung
134Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.