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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Gerichtsbescheid ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
2Die 1953 geborene Klägerin begehrt die Erteilung eines Aufnahmebescheides nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG).
3In ihrem ersten Inlandspass ist ihre Volkszugehörigkeit (Nationalität) mit russisch angegeben. Sie stellte erstmals am 18.08.1997 einen Aufnahmeantrag. In dem Antrag gab sie an, ihr Vater sei R. M.. Die Mutter sei I. C. M. (geborene L.) geboren am 00.00.1932 in Kupino (Nowosibirsk)). Zur Nationalität ihrer Eltern machte sie in dem Antragsformular keine Angaben. Sie reichte eine Kopie ihrer am 22.07.1953 ausgestellten Geburtsurkunde (Seriennummer N01) ein, nach der ihre Eltern S. Z. K. und V. Q. K. sind; für beide ist dort die russische Nationalität eingetragen (Blatt 13 der Beiakte). Zu den Großeltern väterlicherseits und mütterlicherseits machte sie keine Angaben. Die deutsche Sprache habe sie ab dem 14. Lebensjahr in der Mittelschule erlernt, ihre Kenntnisse reichten für ein einfaches Gespräch aus. Die Fragen zum Schicksal der Familie (Angehörigkeit zur Trudarmee, Kommandanturüberwachung etc.) beantworteten sie sämtlich mit „Nein“.
4Den Antrag lehnte das Bundesverwaltungsamt (BVA) mit Bescheid vom 18.10.2000 ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, es fehle an der Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen oder Staatsangehörigen; die Klägerin mache schon selber nicht geltend, dass ihre Eltern deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit seien. Ausweislich ihrer Geburtsurkunde seien beide Eltern russischer Nationalität.
5Gegen den Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2002 erhob die Klägerin Klage. In dem Klageverfahren trug die Klägerin unter anderem vor, ihre Mutter sei Deutsche gewesen. Sie legte zur Begründung ihres Klagebegehrens eine 2002 ausgestellte Geburtsurkunde der am 00.00.1932 geborenen Frau I. T. vor sowie ihre eigene am 22.07.1953 ausgestellte Geburtsurkunde (Seriennummer N01); in dieser Geburtsurkunde war für die Mutter der Klägerin (I. J.) die deutsche Nationalität eingetragen (Bl. 53 der Beiakte). Sie machte geltend, sie habe im Antrag fälschlicherweise den Namen ihrer Stiefmutter angegeben; der richtige Name ihrer Mutter sei T. I. C.. Ihre Mutter sei am 00.00.1959 verstorben und ihr Vater habe später Frau L. geheiratet. Die Klage wies das Verwaltungsgericht Minden mit Urteil vom 01.12.2003 - Az. 10 K 1481/03 - ab, da die Klägerin nicht von einem deutschen Volkszugehörigen abstamme und es an der familiären Vermittlung der deutschen Sprache fehle.
6Am 04.11.2014 stellte die Klägerin unter Vorlage weiterer Urkunden und unter Hinweis auf den Erwerb des Sprachzertifikates Deutsch 1 erneut einen Aufnahmeantrag. Sie gab nunmehr an, die deutsche Sprache ab der Geburt gelernt zu haben, nämlich von der Mutter, vom Ehegatten und den Schwiegereltern und außerhalb des Elternhauses in einem Sprachkurs. Sie wiederholte ihren Vortrag, ihre Mutter sei die am 00.00.1932 geborene Frau I. T..
7Mit bestandskräftigem Bescheid vom 03.01.2017 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 VwVfG) ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, zwar sei das Vertriebenenrecht durch das 10. Gesetz zur Änderung des BVFG geändert worden. Diese Änderung sei aber nicht zu ihren Gunsten erfolgt. Denn hinsichtlich des die Ablehnung begründenden Abstammungserfordernisses ergebe sich für die Klägerin keine Besserstellung. Das Verfahren sei auch nicht gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG wieder aufzugreifen.
8Am 08.07.2019 stellte die Klägerin einen weiteren Aufnahmeantrag; sie reichte hierzu eine Kopie ihres Personalausweises (ausgestellt am 26.04.2019) ein, in dem ihre Nationalität mit deutsch angegeben ist. Mit Bescheid vom 27.04.2021 lehnte das Bundesverwaltung den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ab. Zur Begründung wurde wiederum im Wesentlichen ausgeführt, durch die Änderung des Bundesvertriebenengesetzes sei keine Rechtslage entstanden, die im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG eine für sie günstigere Entscheidung über ihren bestandskräftig abgelehnten Aufnahmeantrag ermögliche.
9Die Klägerin erhob Widerspruch. Zur Begründung trug sie vor, in dem 1997 gestellten Antrag hätten die Verwandten, die den Aufnahmeantrag für sie gestellt hätten, irrtümlich nicht ihre biologische Mutter, sondern die Stiefmutter angegeben. Sie reichte in Ergänzung zu ihrer Geburtsurkunde eine am 25.05.2021 ausgestellte Geburtsbescheinigung (A-N02) ein, in der die Nationalität ihrer Mutter mit deutsch angegeben ist.
10Mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.2021 wies das BVA den Widerspruch zurück. Hinsichtlich der Begründung wird auf Blatt 30 ff. der Beiakte 1 Bezug genommen.
11Die Klägerin äußerte sich dazu mit Schreiben vom 03.09.2021 und reichte weitere Unterlagen ein. Auf Blatt 35-46 der Beiakte 2 wird insoweit verwiesen.
12Unter dem 17.12.2021 erließ das BVA einen weiteren Bescheid, in dem es das Wiederaufgreifen des Verfahrens ablehnte; insoweit wird auf Blatt 49 ff. der Beiakte 1 verwiesen. Der Bescheid wurde als Einwurfeinschreiben und gemäß dem Absendungsvermerk am 20.12.2021 an den Bevollmächtigten und Sohn der Klägerin, Herrn H. E., versandt.
13Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 25.02.2022, bei dem BVA per Fax eingegangen am 25.02.2022, Widerspruch.
14Zur Begründung führte sie aus, nach dem Tod ihrer leiblichen Mutter sei sie bei ihrer Tante aufgewachsen. Die seinerzeit von ihr für die Stellung des Aufnahmeantrages bevollmächtigte Person habe nicht gewusst, dass es sich nicht um ihre Mutter, sondern um ihre Tante gehandelt habe und habe deshalb unzutreffende Angaben in dem Antragsformular gemacht. Die bevollmächtigte Person habe sie, die Klägerin, nicht von dem Fehler informiert und die Schreiben des Bundesverwaltungsamtes ohne Rückantwort und Vermittlung der Informationen weggeworfen. Erst nach sieben Jahren habe der Bevollmächtigte ihr mitgeteilt, dass der erste Aufnahmeantrag schon vor langer Zeit abgelehnt worden sei. Die Gründe für die Ablehnung habe sie nicht erfahren, weil ihr auch der Ablehnungsbescheid nicht vorgelegt worden sei. Erst im Jahr 2019 sei es ihr gelungen, die Archivbescheinigungen durch die zuständigen Behörden wiederherzustellen und als neue Beweismittel nachzusenden. Sie gab weiter an, wegen der Ereignisse in Kasachstan im Januar 2022 habe sie den Widerspruch nicht innerhalb der Frist erheben können; das Postamt sei geschlossen und das Internet sei abgeschaltet gewesen.
15Den Widerspruch wies das BVA mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2022 als unzulässig zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Widerspruch gemäß § 70 VwGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe zu erheben sei. Die Widerspruchsfrist sei am 24.01.2021 abgelaufen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht ersichtlich. Der im Bundesgebiet lebende Bevollmächtigte sei von den Vorgängen in Kasachstan ersichtlich nicht betroffen gewesen; dessen etwaiges Verschulden sei ihr zuzurechnen.
16Der Widerspruchsbescheid wurde am 09.03.2022 per Einschreiben mit Rückschein an die Klägerin persönlich versandt.
17Am 21.04.2022 hat die Klägerin Klage erhoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
18Sie wiederholt im Wesentlichen ihren Vortrag im Verwaltungsverfahren und trägt vor, den Ablehnungsbescheid zu ihrem ersten Antrag habe der seinerzeit Bevollmächtigte, H. G., ihr zunächst nicht weitergeleitet. Auch habe er unzutreffende Angaben in dem Aufnahmeantrag gemacht. Der Widerspruchsbescheid vom 09.03.2022 sei ihr am 07.04.2022 mit der Post zugestellt worden. Sie beantrage Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Widerspruchsfrist. Dass sie den Widerspruch verspätet erhoben habe, liege an der schwierigen politischen Lage in Kasachstan im Januar 2022. Den Bescheid vom 17.12.2021 habe ihr Sohn vor dem Weihnachtsfest nicht weiterleiten wollen und am 02.01.2022 habe es schwere politische Ereignisse und Massenproteste gegeben. Am 05.01.2022 sei der Ausnahmezustand verhängt worden. Es habe keine telefonische Verbindung gegeben, nur selten habe man Nachrichten per SMS versenden können. Die Postanstalten seien geschlossen gewesen. Daher habe sie erst am 25.02.2022 Widerspruch erhoben.
19Die Klägerin beantragt,
20die Beklagte zu verpflichten, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 17.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2022 einen Aufnahmebescheid zu erteilen.
21Die Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Sie trägt im Wesentlichen vor, die Klage sei jedenfalls unbegründet. Die von der Klägerin für den Wiederaufgreifensantrag vorgelegten Dokumente hätten, selbst wenn sie bereits zum Zeitpunkt der ersten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vorgelegen hätten, keine für die Klägerin günstigere Entscheidung herbeigeführt. Das Wiederaufgreifen werde nur eröffnet, wenn die neue Beweislage bei einer Berücksichtigung im Erstverfahren schon für sich genommen - also ohne eine Änderung (auch) der rechtlichen Entscheidungsgrundlage - zu einer für den Betroffenen günstigeren Entscheidung geführt hätte. Nach diesen Maßstäben hätten die Bescheinigungen und Registerauszüge keine für die Klägerin günstigere Entscheidung herbeigeführt. Das Verwaltungsgericht Minden habe seine damalige Entscheidung im Hinblick auf die nicht nachgewiesene Abstammung der Klägerin von einem deutschen Volkszugehörigen maßgeblich damit begründet, dass es sich bei der im Gerichtsverfahren eingereichten Kopie der Geburtsurkunde der Klägerin um eine Fälschung handele. Die nunmehr vorgelegten Unterlagen seien nicht geeignet, die Rechtsauffassung des Gerichts in diesem entscheidenden Punkt zu widerlegen, denn auch die darin enthaltenen Angaben zur (vermeintlich deutschen) Nationalität der Mutter der Klägerin stünden in unauflösbarem Widerspruch zu den Angaben in der vom Verwaltungsgericht als authentisch und inhaltlich richtig angesehenen zuerst vorgelegten Geburtsurkunde der Klägerin. Sie seien daher kein eindeutiger Beleg dafür, dass die Mutter bereits im Zeitpunkt der Geburt der Klägerin behördlicherseits als Deutsche geführt worden und somit als deutsche Volkszugehörige anzusehen sei.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BVA Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe
26Über die Klage konnte gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.
27Die Klage hat keinen Erfolg.
28Sie ist bereits unzulässig. Es fehlt jedenfalls an der Sachentscheidungsvoraussetzung eines fristgemäß durchgeführten Vorverfahrens. Gemäß § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Der mit einer den Anforderungen des § 37 Abs. 6 S. 1 VwVfG genügenden Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ablehnungsbescheid vom 17.12.2021 wurde ausweislich des behördlichen Ab-Vermerks am 20.12.2021 an den Zustellungsbevollmächtigten versandt. In der Folge galt der Bescheid gemäß § 41 Abs. 2 S. 1 VwVfG in der Fassung vom 18.07.2016 am 23.12.2021 der Klägerin als bekannt gegeben. Nach dieser Vorschrift galt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Einen späteren Zugang an den Bevollmächtigten hat die Klägerin auch selbst nicht behauptet. Demnach lief die Widerspruchsfrist gemäß § 31 Abs. 1 VwVfG i. V. m. §§ 187 Abs.1, 188 Abs. 2, 193 BGB am 24.01.2022 ab.
29Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht erfüllt. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 60 Abs. 1 VwGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, § 60 Abs. 2 Abs. 1 Hs. 1 VwGO.
30Zu den der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags dienenden Tatsachen, die innerhalb der genannten Zweiwochenfrist vorgetragen werden müssen, gehören notwendigerweise auch die Umstände, aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller nach Behebung des für die Fristversäumung ursächlichen Hindernisses rechtzeitig um die Wiedereinsetzung nachgesucht hat.
31Vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 25. März 2014 – 3 A 715/12 –, juris Rn. 4 m. w. N.
32Gemessen daran hat die Klägerin den Antrag nicht innerhalb der Frist nach § 60 Abs. 2 S. 1 VwGO gestellt. Die Klägerin hat nämlich nicht - wie erforderlich - innerhalb der Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 S. 1 VwGO vorgetragen, wann das von ihr geltend gemachte Hindernis entfallen ist. Angaben hierzu sind jedoch nicht entbehrlich. Die Klägerin beruft sich auf die politische Lage in Kasachstan im Januar 2022. Wollte sich die Klägerin aber auf die damit einhergehende Ausgangssperre und die Sperrung des Internets und der Telekommunikation berufen, hätte sie jedenfalls darlegen müssen, wann diese Hindernisse weggefallen waren.
33Das gilt umso mehr, als der in Kasachstan verhängte Ausnahmezustand nur bis 19.01.2022 andauerte,
34vgl. Deutsche Welle, Kasachstan, Ausnahmezustand aufgehoben, abrufbar im Internet unter https://www.dw.com/de/kasachstan-verk%C3%BCndet-ende-des-ausnahmezustands/a-60483042, zuletzt besucht am 18.03.2025.
35und sie davon ausgehend den Widerspruch jedenfalls im zweiwöchigen Zeitraum bis 02.02.2022 hätte erheben müssen.
36Überdies ist die Klage aber auch unbegründet.
37Der Bescheid vom 17.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 09.03.2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung eines Aufnahmebescheides gemäß § 27 BVFG.
38Das ergibt sich daraus, dass die Verpflichtungsklage der Klägerin gegen die Versagung des von ihr im Jahr 1997 beantragten Aufnahmebescheids mit Urteil des VG Minden vom 01.12.2003 rechtskräftig abgewiesen wurde und die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorliegen.
39Nach einem bestandskräftig abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren oder Verwaltungsverfahren kann ein (neuerliches) Begehren nur Erfolg haben, wenn zuvor ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG (Wiederaufgreifen im engeren Sinne) oder nach § 51 Abs. 5 in Verbindung mit den §§ 48, 49 VwVfG (Wiederaufgreifen im weiteren Sinne) erreicht wird.
40Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 20. April 2023 – 1 C 4.22 –, juris Rn. 10, Urteile vom 15. Dezember 1987 – 9 C 285.86 –, BVerwGE 78, 332, juris Rn. 20 und vom 13. Dezember 2011 – 5 C 9.11 –, juris Rn. 16 und 24.
41Die Klägerin vermag einen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides mit Erfolg also nur unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG (dazu a) oder des § 51 Abs. 5 in Verbindung mit den §§ 48, 49 VwVfG (dazu b) geltend zu machen. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor.
42a) Gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden, wenn unter anderem sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2). Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen, § 51 Abs. 2 VwVfG. Ein früheres Verfahren ist auch ein gerichtliches Verfahren, das sich an das Verwaltungsverfahren schließt.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 1984 – 2 C 22.83 –, BVerwGE 70, 110.
44Dabei bestimmen und begrenzen die mit dem Antrag (und im weiteren Verlauf des Verfahrens) geltend gemachten Wiederaufnahmegründe den Gegenstand der behördlichen und gerichtlichen Prüfung. Für die Wiederaufgreifensprüfung ist an sämtliche die behördliche Entscheidung oder das verwaltungsgerichtliche Urteil tragenden Gründe anzuknüpfen.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 – 1 C 23.17 –, BVerwGE 163, 370, juris Rn. 12, 18.
46Gemessen daran liegt ein Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht vor. Eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) ist gegeben, wenn sich die für den ergangenen Verwaltungsakt entscheidungserheblichen Rechtsnormen oder tatsächlichen Grundlagen geändert haben, sodass die Änderung eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung erfordert oder doch ermöglicht. Bei mehreren selbständig tragenden Ablehnungsgründen liegt nach eine Änderung der Sach- und Rechtslage nur vor, wenn sie sich auf alle Ablehnungsgründe auswirkt.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 – 1 C 23.17 -, juris Rn. 18.
48Das Verwaltungsgericht Minden hatte das Nichtvorliegen der deutschen Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 BVFG sowohl mit der fehlenden Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen oder deutschen Staatsangehörigen als auch mit der mangelnden Erfüllung der Anforderungen an die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache begründet. Mithin könnte sich die Klägerin zwar im Zusammenhang mit dem 10. BVFG-Änderungsgesetz auf eine geänderte Rechtslage in Bezug auf die erforderlichen Sprachkenntnisse berufen. Hinsichtlich des Merkmals „Abstammung“ von deutschen Volkszugehörigen ist aber zugunsten der Klägerin keine geänderte Rechtslage eingetreten ist. Diese Voraussetzung der deutschen Volkszugehörigkeit blieb - anders als die Anforderungen an die familiäre Vermittlung der Sprache - durch das 10. BVFG-Änderungsgesetz unberührt. Darauf hat die Beklagte die Klägerin bereits mehrfach und zutreffend hingewiesen.
49Das Verfahren kann die Klägerin auch nicht auf das Vorliegen neuer Beweismittel gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG stützen. Darunter sind neben Beweismitteln, die während der Anhängigkeit des ersten Verwaltungsverfahrens bzw. eines gerichtlichen Verfahrens, das sich an das Verwaltungsverfahren anschloss, noch nicht existierten, auch solche Beweismittel zu verstehen, die damals zwar schon vorhanden waren, aber ohne Verschulden des Betroffenen nicht oder nicht rechtzeitig beigebracht werden konnten.
50Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 13. September 1984 – 2 C 22.83 –, BVerwGE 70, 110, juris Rn. 19.
51Die mit dem Schreiben vom 03.09.2021 erneut vorgelegte Geburtsurkunde aus dem Jahr 1953 stellt kein neues Beweismittel dar. Diese hat die Klägerin nämlich bereits in dem ersten verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 23.08.2002 vorgelegt. Die Klägerin stützt ihren Antrag auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens darauf, dass ihre Mutter die 1959 verstorbene Deutsche I. J. (geborene T.) sei. Frau I. J., geborene L., sei nur ihre Stiefmutter. Im Antragsformular sei fälschlicherweise die Stiefmutter als (biologische) Mutter eingetragen worden. Das alles hat sie aber bereits im Ausgangsverfahren geltend gemacht (Schriftsatz der Klägerin an das VG Minden vom 28.04.2003).
52Hinsichtlich der weiteren von der Klägerin vorgelegten Registerauszüge und Urkunden mag dahinstehen, ob es sich um neue Beweismittel handelt. Denn die Klägerin war nicht ohne grobes Verschulden außerstande, die Urkunde schon in dem früheren Verfahren vorzulegen (§ 51 Abs. 2 VwVfG). Sie beziehen sich nämlich auf (angeblich) bestehende Personenstandsregistereinträge, so dass die Klägerin entsprechende Bescheinigungen schon während des gerichtlichen Verfahrens hätte anfordern und einreichen können. Soweit sie geltend macht, sie habe erst Jahre später von dem ablehnenden Bescheid vom 18.10.2000 und den die Entscheidung tragenden Gründen erfahren und die Unterlagen zusammensuchen können, ist dieses Vorbringen unglaubhaft. Denn die Klägerin hatte ja gegen den Ablehnungsbescheid im März 2002 Klage erhoben und explizit zu ihrer Abstammung vorgetragen. Sie muss also den Bescheid und seinen Inhalt gekannt haben.
53Zuletzt ist der Wiederaufgreifensantrag insoweit jedenfalls auch unbegründet. Begründet ist ein Antrag nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann, wenn feststeht, dass das neue Beweismittel, hätte es bereits damals in das Verfahren Eingang gefunden, tatsächlich eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte,
54vgl. BVerwG, Urteile vom 21. April 1982 – 8 C 75.80 –, juris Rn. 13, vom 13. September 1984 – 2 C 22.83 –, BVerwGE 70, 110, juris Rn. 20, vom 28. Juli 1989 – 7 C 78.88 –, BVerwGE 82, 272-278, Rn. 12,
55das heißt hier, dass im ersten Verfahren festgestellt worden wäre, dass die Mutter der Klägerin Frau I. M. (geborene T.) und diese deutsche Volkszugehörige ist.
56Erforderlich ist hierfür, dass sich aus der neuen Beweislage Tatsachen ergeben, die nach dem damaligen rechtlichen Maßstab zu einer günstigeren Entscheidung zwingen. Das Beweismittel muss mit anderen Worten zu der sicheren Überzeugung führen können, dass die Behörde bzw. das Gericht damals von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist und in Kenntnis der wirklichen Verhältnisse zugunsten des Betroffenen entschieden haben würde.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juli 1989 – 7 C 78/88 –, BVerwGE 82, 272, juris Rn. 12.
58Als Maßstab ist die Rechtsauffassung, die die bestandskräftige Entscheidung im Erstverfahren trägt, zugrunde zu legen, nicht die damalige objektive Rechtslage. Die Behörde - oder im Streitfall das Gericht - ist gegebenenfalls verpflichtet, zu der Frage, ob gemessen daran das neue Beweismittel zugunsten des Betroffenen durchgreift, Beweis zu erheben.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2017 – 8 C 7.16 –, BVerwGE 159, 136, juris Rn. 26 ff. m. w. N., Urteil vom 21. April 1982 – 8 C 75.80 –, juris Rn. 13 f.
60Ausgehend davon hätten die von der Klägerin präsentierten Beweismittel seinerzeit keine günstigere Entscheidung herbeigeführt. Die Klägerin hat nämlich im ersten Antragsverfahren ihrem äußeren Erscheinungsbild nach im Wesentlichen identische Geburtsurkunden mit derselben Seriennummer zum Nachweis ihrer eigenen Identität vorgelegt, wobei in der einen - im Verwaltungsverfahren vorgelegten Urkunde - der Nationalitätseintrag ihrer Mutter russisch lautet, in der anderen - im Klageverfahren eingereichten Urkunde - deutsch. Das ließ, wie das Verwaltungsgericht Minden ausführte (Seite 6 des Urteilsabdrucks), nur den Schluss zu, dass die später vorgelegte Geburtsurkunde (mit dem Nationalitätseintrag deutsch) gefälscht ist. Dass der Bevollmächtigte der Klägerin ihre Mutter mit ihrer Stiefmutter verwechselt haben soll, wie die Klägerin vortrug, konnte von vornherein nicht erklären, warum sie zwei Geburtsurkunden unterschiedlichen Inhalts - bezogen auf den Nationalitätseintrag zur Mutter - besaß. Also ist davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht auch alle weiteren Unterlagen, deren Inhalt von demjenigen der mit dem Antrag vom 18.08.1997 vorgelegten Geburtsurkunde abweicht, als unrichtig oder gefälscht angesehen hätte.
61b) Die Klägerin besitzt auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 5 i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG.
62Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Behörde ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wiederaufgreifen und eine neue, der gerichtlichen Überprüfung zugängliche Sachentscheidung treffen, wenn – wie hier – die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Insoweit besteht für den Betroffenen allerdings nur ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, gerichtet auf die nachträgliche Korrektur fehlerhafter Verwaltungsentscheidungen. Der Gesetzgeber räumt bei der Aufhebung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht jedoch ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung „schlechthin unerträglich“ ist, was von den Umständen des Einzelfalls und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt. Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann schlechthin unerträglich, wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei „schlechthin unerträglich“.
63Siehe etwa BVerwG, Urteile vom 20.11.2018 – 1 C 23.17 –, juris Rn. 25 ff. und vom 13.12.2011 – 5 C 9.11 –, juris Rn. 29.
64Daran gemessen ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte im Falle des Klägers auch ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne abgelehnt hat. Denn nach dem oben Gesagten ist schon nicht im Ansatz ersichtlich, dass der Bescheid vom 18.10.2000 rechtswidrig verfügt und ein Festhalten an dem Verwaltungsakt schlechthin unerträglich sein könnte.
65Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
66Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
67Rechtsmittelbelehrung
68Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Gerichtsbescheides kann bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss den angefochtenen Gerichtsbescheid bezeichnen.
69Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Gerichtsbescheides sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
70Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
71Wahlweise kann innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Gerichtsbescheides bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt werden; hierfür besteht kein Vertretungszwang.
72Beschluss
73Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
745.000,- Euro
75festgesetzt.
76Gründe
77Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 GKG. Der festgesetzte Wert entspricht dem Auffangstreitwert.
78Rechtsmittelbelehrung
79Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.