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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Kläger.
Tatbestand
2Der am 00. 00. 1999 in Erevan/Armenien geborene Kläger ist armenischer Staatsangehöriger und christlichen Glaubens. Nach eigenen Angaben reiste er am 30. März 2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 19. April 2022 einen Asylantrag.
3Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 25. April 2022 gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er Armenien erstmalig am 1. Juli 2017 verlassen habe und mit seinem Vater in die Ukraine gereist sei. 2018 sei er nach Armenien zurückgekehrt, um dort seinen Wehrdienst abzuleisten. Ende Januar 2020 sei er wieder in die Ukraine zu seinem Vater zurückgekehrt. Dort habe er sich bis zu seiner Ausreise nach Polen am 15. März 2022 aufgehalten. Von Polen sei er am 30. März 2022 mit dem Auto weiter nach H. in Deutschland gereist. Er habe die neunte Klasse abgeschlossen, dann Wirtschaftsrecht studiert. Das Studium habe er mit Diplom abgeschlossen. Er habe nur in der Ukraine gearbeitet, in der Landwirtschaft bei einem Freund seines Vaters. Nach Ableistung seines Wehrdienstes hätten sein Vater und der Freund ein Restaurant eröffnet, in dem er nach seiner Rückkehr ebenfalls gearbeitet habe. Aus der Ukraine sei er wegen des Krieges ausgereist, er fürchte sich vor dem Krieg mit Russland. In Armenien sei er nicht bedroht oder verfolgt worden, auch sei er nicht politisch aktiv gewesen und habe keine Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden gehabt. Bei einer Rückkehr nach Armenien fürchte er sich davor, dass Armenien wieder mit Aserbaidschan in den Krieg gerate, da wolle er nicht dabei sein. Er lebe in Deutschland mit seinem Vater, habe Verwandte in P. und sei gesund. Die Frage, ob er Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder eine Behinderung habe, verneinte der Kläger.
4Ein am 5. Mai 2022 gestelltes Übernahmeersuchen an Polen lehnte Polen unter dem 31. Mai 2022 ab, da der Kläger in Polen nicht um Asyl nachgesucht habe.
5Mit Bescheid vom 12. September 2022, dem Kläger gegen Empfangsbekenntnis zugestellt am 22. September 2022, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Gewährung subsidiären Schutzes ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Zugleich forderte das Bundesamt den Kläger zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und drohte ihm die Abschiebung nach Armenien an. Überdies befristete es das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
6Am 29. September 2022 hat der Kläger Klage erhoben.
7Zur Begründung verweist er auf die vorgebrachten Gründe im Rahmen der Anhörung und trägt ergänzend vor, er fürchte, dass er in Armenien in die Armee eingezogen werde. Junge Männer wie er würden in die Armee eingezogen, wie in Russland laufe auch in Armenien wegen des Angriffs Aserbaidschans die Mobilmachung, sodass der Kläger davon erfasst wäre. Er wolle keinen Dienst an der Waffe leisten, da er pazifistisch eingestellt sei. Bei Weigerung drohe ihm Haft oder ein Strafbataillon. Zudem sei er depressiv.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. September 2022 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen,
10hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG vorliegen,
11weiter hilfsweise festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt.
12Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Die der Kammer vorliegenden Erkenntnisquellen zur Lage in Armenien sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
16Entscheidungsgründe
17Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen und über die Folgen des Ausbleibens belehrt worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.
18Die zulässige Klage ist unbegründet.
19Der Bescheid des Bundesamtes vom 12. September 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Der Kläger hat im gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Asylanerkennung bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Gewährung subsidiären Schutzes oder auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AsylG.
20Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte i.S.v. Art. 16a Grundgesetz (GG).
21Nach Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG kann sich nicht auf das Asylrecht des Art. 16a Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf welche die Voraussetzungen des Satzes 1 der Vorschrift zutreffen, werden durch Gesetz bestimmt. Sie sind als sogenannte sichere Drittstaaten in § 26a Abs. 2 AsylG und der dazu erarbeiteten Anlage I festgelegt. Danach ist Deutschland allseitig von sogenannten sicheren Drittstaaten umgeben mit der Folge, dass eine Einreise auf dem Landweg immer ein Asylrecht ausschließt. Die Einreise ohne Kontakt zu einem sicheren Drittstaat, also auf dem Luftweg oder auf dem Seeweg über einen deutschen Flug- oder Seehafen, wird somit zum ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal des Art. 16 a Abs. 1 GG, die als Vorgang außerhalb des Heimatstaates vom Asylbewerber nicht nur glaubhaft zu machen, sondern zu beweisen ist,
22BayVGH, Urteil vom 03.07.1998 – 27 B 98.31806 – juris, Rn. 16 f m.w.N.
23Der Kläger ist nach eigenen Angaben auf dem Landweg, mit dem Auto von Polen aus nach Deutschland eingereist, sodass die Anerkennung als Asylberechtigter ausscheidet.
24Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 AsylG, 60 Abs. 1 AufenthG.
25Nach § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Als Verfolgungshandlungen gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (Nr. 2). Die Verfolgung kann dabei ausgehen vom Staat selbst (§ 3c Nr. 1 AsylG) oder von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG). Auch von nichtstaatlichen Akteuren kann Verfolgung ausgehen, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist (§ 3c Nr. 3 AsylG). Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft muss zwischen den Verfolgungsgründen und der Verfolgungshandlung bzw. dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
26Die Flüchtlingseigenschaft wird einem Ausländer nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung gemäß § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftiger Weise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
27Prognosemaßstab für die Frage einer Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG ist der Maßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit",
28vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22-24.
29Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt,
30vgl. BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22; BVerwG, Urteil vom 01.03.2012 – 10 C 7.11 – juris, Rn. 12.
31Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und sie deshalb die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" ("real risk") einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen,
32vgl. BVerwG, Vorlage an den Europäischen Gerichtshof vom 07.02.2008 – 10 C 33.07 – juris; OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2010 – 9 A 3287/07.A – juris, Rn. 24.
33Der vorgenannte Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gilt auch für Ausländer, die vor ihrer Ausreise bereits verfolgt worden sind. Ihnen kommt jedoch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (sog. Qualifikationsrichtlinie) zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Schutzsuchender bereits verfolgt wurde beziehungsweise davon unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist. Davon ist nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn stichhaltige Gründe gegen eine erneute Bedrohung sprechen,
34vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 – 10 C 5.09 – juris, Rn. 23.
35Insofern ist es Sache des Schutzsuchenden, von sich aus die näheren Umstände einer (Vor-)Verfolgung vorzutragen, § 25 Abs. 1 AsylG. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung die Verfolgung ergibt. Das Gericht muss sich sodann im Wege freier Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 VwGO die volle Überzeugung von der Glaubhaftigkeit einer solchen Aussage verschaffen. Hierbei gilt der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen einen brauchbaren Grad an Gewissheit verschaffen muss, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen,
36vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.06.2003 – 7 B 106/02 – juris, Rn. 41.
37Davon ausgehend hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Denn er hat keinerlei Verfolgungen in Armenien geltend gemacht.
38Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG liegen ebenfalls nicht vor. Subsidiär schutzberechtigt ist ein Ausländer nach § 4 Abs. 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 S. 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Der Begriff der „unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung“ im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 AsylG ist unter Heranziehung der zu Art. 3 EMRK entwickelten Grundsätze auszulegen. Danach ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wird und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, die geeignet sind, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen.
39Vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09 [M.S.S./Belgien und Griechenland] – beck-online, Rn. 220.
40Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
41Dem Gericht liegen keine greifbaren Hinweise dafür vor, dass der Kläger im Falle der Absolvierung seines Wehrdienstes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erniedrigende Behandlung erfahren würde. Denn es steht nicht fest, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr eine Einberufung in den Militärdienst unweigerlich droht. Der Kläger hat die Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern und einen Ersatzdienst zu leisten. Dies liegt nahe, da der Kläger in der Klagebegründung angab, pazifistisch eingestellt zu sein und keinen Dienst an der Waffe leisten zu wollen. Auch wenn das Ableisten eines Ersatzdienstes in der Praxis die Ausnahme darstellt, steht dem Kläger dieser Weg offen. Zu Fällen von Misshandlungen von Ersatzdienstleistenden durch Vorgesetzte liegen keine Erkenntnisse vor.
42vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 05.03.2024 (Stand: Mitte Dezember 2023), S. 9.
43Abweichendes folgt auch nicht aus dem im September 2020 und im September 2023 wieder aufgeflammten armenisch-aserbaidschanischen Grenzkonflikt. Denn dieser ist aktuell beigelegt. De Grenzziehung zwischen beiden Ländern hat begonnen, die Verantwortlichen der beiden Länder konnten sich ohne direkte ausländischer Vermittlung einigen.
44Vgl. BFA Österreich, Länderinformationen der Staatendokumentation – Armenien – Version 13 (Datum der Veröffentlichung: 15.11.2024), S. 3.
45Soweit der Kläger vorträgt, er befürchte ein ihm etwaig drohendes Strafverfahren wegen Wehrdienstentziehung, würde dies nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG führen, weil ein Staat das Recht hat, eine Wehrpflicht zu normieren und den Verstoß dagegen zu pönalisieren.
46Vgl. VG Köln, Urteil vom 03.05.2021 - 25 K 1856/18.A -, juris Rn. 30.
47Eine erniedrigende Behandlung kann zwar auch in Betracht kommen, wenn dem Wehrpflichtigen (oder einem Reservisten) wegen Wehrdienstentziehung eine lebenslange Strafverfolgung droht, die völlig außer Verhältnis zu ihrem Zweck steht.
48Vgl. EGMR, Urteile u.a. vom 24.01.2006 – 39437/98 [Ülke/Türkei] –, abrufbar auf dem Internetportal des EGMR unter: http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-72146, Rn. 59 ff.
49Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Das armenische Recht sieht nicht eine solche erniedrigende Behandlung vor. Das armenische Parlament beschloss am 28. Oktober 2020 zwar eine drastische Erhöhung der Haftstrafen bei Militärdienstentziehung oder Desertion im Kriegsfall. Bei Nichtbefolgung der Einberufung oder Mobilisierung in Kriegszeiten ist nun eine Haftstrafe von sechs bis zwölf Jahren möglich. Zuvor war diese Straftat mit vier bis acht Jahren Haft bewehrt. Militärdienstentziehung unter Kriegsrecht oder Nichtzahlung der Steuer während eines Krieges kann mit einer Haftstrafe von eins bis fünf Jahren verfolgt werden. Zuvor waren es bis zu vier Jahre. Desertion unter Kriegsrecht oder aus dem Kampfgebiet soll nun mit acht bis 15 Jahren Haft verfolgt werden, statt sechs bis zwölf Jahren.
50Vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Armenien aus dem COI-CMS, 20.04.2023, S. 20.
51Wenngleich die Strafandrohung erhöht wurde, ist noch nicht von einer extrem unverhältnismäßigen, übermäßig lang andauernden Haft ohne Anklage oder Urteil bzw. Verurteilung auszugehen.
52Anhaltspunkte für Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG zugunsten des Klägers bestehen ebenfalls nicht. Der Kläger hat insbesondere für die vorgetragene Erkrankung in Gestalt einer Depression keinerlei Nachweise erbracht.
53Die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen der § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG erfüllt sind. Gleiches gilt für die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich, zumal der Kläger keine Umstände benannt hat, die zu seinen Gunsten zu einer Verkürzung hätten führen können.
54Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
55Rechtsmittelbelehrung
56Binnen eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen und die Zulassungsgründe im Sinne des § 78 Abs. 3 Asylgesetz darlegen.
57Der Antrag ist durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten zu stellen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.