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1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe
2Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil zum einen dem Antrag die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller sowie die entsprechenden Belege nicht beigefügt worden sind und zum anderen die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehend genannten Gründen nicht die gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
3Der sinngemäße Antrag der Antragsteller,
4die aufschiebende Wirkung der Klage 23 K 2768/25.A gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. März 2025 anzuordnen,
5hat keinen Erfolg.
6Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die – vorliegend nach § 75 AsylG ausgeschlossene – aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das private Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides überwiegt. Das öffentliche Interesse überwiegt in der Regel dann, wenn die Klage wegen der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides keine Aussicht auf Erfolg hat.
7Gemessen hieran überwiegt das öffentliche Interesse gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragsteller.
8Dabei nimmt das Gericht in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
9vgl. Nichtannahmebeschluss vom 23. Juli 2020 – 2 BvR 939/20 –, juris Rn. 19 ff.,
10nicht nur eine summarische Überprüfung der Entscheidung des Bundesamtes vor.
11Der Bescheid vom 19. März 2025, mit dem die Antragsgegnerin unter Ziffer 1 die Asylanträge gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt und unter Ziffer 2 das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG verneint hat sowie die Antragsteller unter Ziffer 3 zur Ausreise aufgefordert und ihnen die Abschiebung nach Bulgarien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat (mit Ausnahme von Syrien) angedroht hat, ist rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten.
12Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist – wenn wie hier eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht – der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, vgl. § 77 Abs. 1, Hs. 2 AsylG.
13Die Abschiebungsandrohung hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 35, 34 AsylG. Nach dieser Vorschrift droht das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AsylG dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war.
14Hier liegt ein Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vor. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Diese Voraussetzung ist erfüllt, da Bulgarien den Antragstellern am 21. August 2023 subsidiären Schutz zuerkannt hat.
15Es ist vorliegend nicht anzunehmen, dass den Antragstellern im jetzigen Zeitpunkt der Fortfall ihres Schutzstatus droht. Dies gilt vor dem Hintergrund der von den bulgarischen Behörden an das Bundesamt erteilten Auskunft über den gewährten Schutz. Anhaltspunkte für eine Aberkennung oder Aufhebung des gewährten Schutzstatus ergeben sich daraus nicht.
16Zu einem anderen Ergebnis würde im Übrigen auch nicht ein eventueller Verzicht auf die Schutzgewährung führen. Nach einem freiwilligen Verzicht auf den gewährten Verfolgungsschutz wären die Antragsteller so zu behandeln, als würde dieser Schutz fortbestehen. Im Falle einer Schutzgewährung durch einen anderen Staat der Europäischen Gemeinschaften ist weiterhin § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG einschlägig. Die Regelungen der Dublin III-VO und des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bezwecken, eine unerwünschte Sekundärmigration zu vermeiden. Aus diesem Grunde ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der freiwillige Verzicht des Betroffenen auf einen ihm bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gewährten Flüchtlingsschutz, ebenso zu behandeln ist, wie der Fortbestand des Schutzes,
17vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2012 – 10 C 13.11 –, juris Rn. 13; zur Vorgängerregelung, Bayerischer VGH, Beschluss vom 21. Mai 2019 – 21 ZB 16.50029 –, juris Rn. 13, VG Bremen Urteil vom 7. Mai 2021 – 2 K 879/18 –, juris Rn. 27.
18Denn der Gesetzeszweck würde verfehlt, wenn ein Asylantragsteller es in der Hand hätte, durch freiwilligen Verzicht auf seinen ihm von einem anderen Mitgliedstaat zuerkannten Flüchtlingsstatus herbeiführen zu können, dass er in der Bundesrepublik Deutschland erneut einen Anspruch auf internationalen Schutz geltend machen kann, möglicherweise allein mit dem Ziel, seine wirtschaftliche und persönliche Situation zu verbessern,
19vgl. BVerwG Urteil vom 2. Dezember 1986 – 9 C 105.85 –, juris Rn. 12.
20Die Antragsgegnerin durfte vorliegend die Antragsteller auf die Schutzgewährung in Bulgarien verweisen.
21Die Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG setzt Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des Internationalen Schutzes (sog. Asylverfahrensrichtlinie) in nationales Recht um.
22Daher schlägt es auf die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG durch, wenn aus europarechtlichen Gründen das Berufen eines Mitgliedstaates auf die Schutzgewährung durch einen anderen Staat ausgeschlossen ist,
23vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 22. August 2023 – 11 A 3374/20.A –, juris Rn. 33 ff. und vom 21. Juli 2023 – 11 A 3153/20.A –, juris Rn. 42.
24Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) Asylverfahrensrichtlinie dahin auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat verbietet, von der durch diese Vorschrift eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz gewährt worden ist, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) oder Art. 3 EMRK zu erfahren,
25vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und 541/17 (Hamed) –, juris Rn. 34 m.w.N.
26Aufgrund des zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens hat jeder Mitgliedstaat – abgesehen von außergewöhnlichen Umständen – davon auszugehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Folglich gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und insbesondere der Dublin III-VO die Vermutung, dass die Behandlung Asylsuchender in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention) steht,
27vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) –, juris Rn. 81 f., und – C-297/17 u. a. (Ibrahim) –, juris Rn. 84 f.
28Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich, jedoch ist die Widerlegung dieser Vermutung wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft. Daher steht nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen die Regeln für das gemeinsame Asylsystem der Überstellung eines Asylsuchenden in den zuständigen Mitgliedstaat entgegen. Dies wäre mit den Zielen und dem System der Dublin III-VO unvereinbar,
29vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) –, juris Rn. 84 u. 91 f.
30Art. 4 GRCh steht der Überstellung einer Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in einen anderen Mitgliedstaat entgegen, sofern im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte festzustellen ist, dass sie in diesem Mitgliedstaat einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren,
31vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) –, juris Rn. 85 u. 98.
32Ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh liegt aber nur dann vor, wenn die drohende Behandlung eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht, die von sämtlichen Umständen des Einzelfalles abhängt. Diese besonders hohe Schwelle ist grundsätzlich erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre,
33vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) –, juris Rn. 87 ff. sowie Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 u. C-541/17 (Hamed und Omar) –, juris Rn. 39; OVG NRW, Beschlüsse vom 22. August 2023 – 11 A 3374/20.A –, juris Rn. 42 und vom 21. Juli 2023 – 11 A 3153/20.A –, juris Rn. 52 m.w.N.
34Ausgehend hiervon erweist sich die Entscheidung der Antragsgegnerin, dass der Abschiebung der Antragsteller nicht Art. 4 GRCh entgegensteht, als rechtmäßig.
35Unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage droht arbeitsfähigen und nicht vulnerablen Schutzberechtigten in Bulgarien aufgrund der dort herrschenden Lebensbedingungen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 4 GRCh verstoßende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung,
36so auch OVG NRW, Urteile vom 10. September 2024 – 11 A 1460/23 –, juris Rn. 41 ff. und vom 14. Februar 2024 – 11 A 1440/23.A –, juris Rn. 46, Beschlüsse vom 22. August 2023 – 11 A 3374/20.A –, juris Rn. 53 ff, vom 21. Juli 2023 – 11 A 3153/20.A –, juris Rn. 59 ff., vom 25. Mai 2023 – 11 A 1257/22.A –, juris Rn. 76 ff., vom 3. März 2023 – 11 A 2430/21.A –, juris Rn. 67 ff. und vom 15. Februar 2022 – 11 A 1625/21.A –, juris Rn. 46 ff.; ebenso OVG Sachsen, Urteile vom 7. September 2022 – 5 A 153/17.A –, juris Rn. 42 ff., und vom 15. Juni 2020 – 5 A 382/18 –, juris Rn. 36 ff., OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 17. März 2020 – 7 A 10903/18 –, juris Rn. 35 ff.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Oktober 2019 – A 4 S 2476/19 –, juris Rn. 16 sowie OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 – 4 LB 12/17 –, juris Rn. 69 ff.
37Inwieweit eine andere Bewertung in den Fällen einer besonderen Vulnerabilität geboten ist, erfordert stets eine sorgfältige Prüfung und Beurteilung im Einzelfall.
38Die Zugehörigkeit zur Gruppe der Vulnerablen wird nach der Rechtsprechung der Kammer nicht bereits dadurch begründet, dass es sich um eine Familie mit kleinen und betreuungsbedürftigen Kindern handelt.
39Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller als Mitglieder einer sechsköpfigen Familie mit einem vierjährigen, einem fünfjährigen, einem sechsjährigen und einem fünfzehn Monate alten Kind als besonders vulnerabel eingestuft werden müssten, sind nicht erkennbar.
40Nach den Erkenntnissen der Kammer droht den Antragstellern im Falle der Rückkehr nach Bulgarien keine Obdachlosigkeit.
41Für die Gefahrenprognose ist bei realitätsnaher Betrachtung davon auszugehen, dass die Antragsteller gemeinsam mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) und Vater der Antragsteller zu 2) - 4), der sich gegen die ihm gegenüber mit gesondertem Bescheid ergangene Unzulässigkeitsentscheidung und Abschiebungsandrohung in den Parallelverfahren 23 L 741/25.A und 23 K 2769/25.A wendet, sowie dem in Deutschland im Februar 2024 geborenen Kind namens O. U. nach Bulgarien zurückkehren, weil sie im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft zusammenleben,
42vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 –1 C 45.18 –, juris Rn. 16; OVG NRW, Beschluss vom 22. August 2023 – 11 A 3374/20.A –, juris Rn. 56.
43Für die Antragsteller besteht die Möglichkeit – je nach Kapazität – übergangsweise wieder in einem der Aufnahmezentren zu wohnen,
44vgl. aida, Country Report: Bulgaria, update 27. März 2025, S. 123.
45Dort finden sie eine zumutbare Schlafmöglichkeit, Essen und hinreichende Einrichtungen zur Körperpflege sowie eine grundlegende ärztliche Versorgung vor.
46Soweit in der Vergangenheit in den Aufnahmeeinrichtungen aufgrund der Anwesenheit von Schmugglern, Drogendealern und Sexarbeiterinnen, die während der Nachtstunden Zugang zu den Aufnahmezentren hatten, schwerwiegende Sicherheitsprobleme bestanden haben und private Sicherheitskräfte keinen hinreichenden Schutz gewährleisten konnten, hat sich die Situation inzwischen verbessert. Seit dem 31. Januar 2025 obliegt die Bewachung der Aufnahmezentren der Sonderverwaltungszone dem Innerministerium. Durch diese wesentliche Änderung dürfte sich die Sicherheit der in den Aufnahmezentren untergebrachten Asylsuchenden deutlich verbessert haben,
47vgl. aida, Country Report: Bulgaria, update 27. März 2025, S. 87.
48Unabhängig von der Möglichkeit, bei vorhandenen Kapazitäten Aufnahme in einem der Aufnahmezentren zu finden, besteht die Möglichkeit, vorübergehend Unterkunft in einem der landesweit vorhandenen 13 „Zentren für temporäre Unterbringung“ zu erhalten. Dort erfolgt auch eine soziale Beratung und Unterstützung bei der Registrierung als Arbeitssuchender.
49Des Weiteren gibt es in Sofia zwei kommunale Krisenzentren für die Unterbringung von Bedürftigen in den Wintermonaten,
50vgl. BFA Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Version 5; Datum der Veröffentlichung: 29. September 2023. S. 21 ff., 26.
51Vor dem Hintergrund dieser Unterstützungsmöglichkeiten sowie der geringen Zahl der subsidiär Schutzberechtigten, die sich in Bulgarien aufhalten, vermag die Kammer der Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zur drohenden Obdachlosigkeit,
52vgl. Bericht Bulgarien, Aktuelle Situation für Asylsuchende und Personen mit Schutzstatus, die unter der Dublin-III-Verordnung oder bilateralen Rückübernahmeabkommen überstellt werden, vom 6. August 2023, S. 17 ff.,
53nicht zu folgen.
54Sie folgt vielmehr weiterhin der Einschätzung des OVG NRW,
55vgl. Beschluss vom 3. März 2023 – 11 A 2430/21.A –, juris Rn. 72 ff.,
56wonach weiterhin keine konkreten Hinweise darauf bestehen, dass anerkannt Schutzberechtigte in Bulgarien im Allgemeinen obdachlos oder von Obdachlosigkeit in besonderem Maße bedroht wären.
57Vor allem können Familien spätestens nach Zuerkennung des internationalen Schutzes das Aufnahmezentrum verlassen und eine eigene Unterkunft anmieten. Hierbei helfen Nichtregierungsorganisationen.
58Das in der Vergangenheit zu verzeichnende Problem, privaten Wohnraum mangels Ausweisdokumentes nicht anmieten zu können, hat sich dahingehend gelöst, dass nunmehr Ausweisdokumente auch unter Angabe der Adresse eines Aufnahmezentrums ausgestellt werden,
59vgl. aida, Country Report: Bulgaria, update 27. März 2025, S. 19 f.
60Der Annahme einer künftig drohenden Obdachlosigkeit steht insbesondere auch entgegen, dass die Antragsteller zu 1) - 4) nach Angaben der Antragstellerin zu 1) in Bulgarien bereits insgesamt sieben Monate in einer von Bulgarien zur Verfügung gestellten Unterkunft gelebt haben und der Ehemann der Antragstellerin zu 1), der sich mehr als zwei Jahre in Bulgarien aufgehalten hat, bei Freunden untergebracht war. Soweit die Antragstellerin zu 1) im Rahmen der Anhörung erklärt hat, dass sie aus dem Camp „herausgeschmissen“ worden seien und fast zwei Wochen obdachlos gewesen seien, erschließt sich dies der Einzelrichterin nicht, da sie zuvor auf die Frage, wo sie sich in Bulgarien aufgehalten habe, geantwortet hat, dass sie „die ganze Zeit“ mit ihren Kindern in einem Camp gewesen sei. Dies steht im Widerspruch zu der behaupteten Obdachlosigkeit. Davon abgesehen kann nach den dargestellten Erkenntnissen der Kammer auch nach Verlassen eines Aufnahmezentrums – notfalls unter Inanspruchnahme der Unterstützungsleistungen von Nichtregierungsorganisationen – eine Wohnung angemietet werden.
61Es besteht zudem keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass es der arbeitsfähigen Antragstellerin zu 1) und ihrem Ehemann nicht möglich sein wird, in zumutbarer Zeit in Bulgarien eine Arbeitsstelle zu erhalten und damit den Lebensunterhalt für die Familie im Sinne des nach Art. 4 GRCh gebotenen Existenzminimums selbstständig zu bestreiten. Dies gilt auch für den – hier wegen des Alters des in Deutschland geborenen Kindes naheliegenden – Fall, dass ein Elternteil die Kinder betreut und der andere Elternteil einer Erwerbstätigkeit nachgeht.
62Unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der bulgarische Arbeitsmarkt in Folge der Corona-Pandemie oder durch die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge derart verschlechtert hat, dass es international Schutzberechtigten nun mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht mehr möglich wäre, in zumutbarer Zeit Arbeit zu finden und damit ihren Lebensunterhalt im Sinne des nach Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK gebotenen Existenzminimums zu bestreiten,
63vgl. OVG NRW, Urteile vom 10. September 2024 – 11 A 1460/23.A –, juris Rn. 78 ff. und vom 14. Februar 2024 – 11 A 1440/23.A –, juris Rn. 80-85 m.w.N.
64Für anerkannte Schutzberechtigte besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie haben ein Recht auf Berufsausbildung,
65vgl. aida, Country Report: Bulgaria, update 27. März 2025, S. 88 f.,123.
66Die bulgarische Wirtschaft erholt sich weiter und ist zunehmend auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Besonders groß ist die Nachfrage nach Personal weiterhin im Handel, bei Logistik und Transport, in der Gastronomie und der IT-Branche. Die Arbeitslosenquote betrug zum Ende des Jahres 2022 4,3 %, Ende Dezember 2023 lag sie bei 4,2 % und im September 2024 lag sie bei nur noch 3,6 %,
67vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2024 – 11 A 1440/23.A –, juris Rn. 86; statista, Bulgarien: Arbeitslosenquote von 2013 bis 2023, vom 9. September 2024, abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/278271/umfrage/arbeitslosenquote-in-bulgarien/#professional; CEIC DATA, Bulgarien Arbeitslosenquote 12/2023, abrufbar unter: https://www.ceicdata.com/de/indicator/bulgaria/unemployment-rate.
68Insgesamt war der bulgarische Arbeitsmarkt nach den Informationen der Europäischen Kommission, EURES, geprägt durch Arbeitskräftemangel, steigende Löhne und einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. So wurden 2022 insgesamt 158.300 freie Stellen auf dem primären Arbeitsmarkt gemeldet. Über die Arbeitsämter wurden meistens Arbeitskräfte im Dienstleistungssektor vermittelt (Köche, Kellner, Barkeeper, Friseure, Kosmetiker, Krankenpfleger und Animateure) 18.902 Stellen. Die Nachfrage nach Bedienpersonal von stationären Maschinen und Anlagen nimmt weiter zu. In diesem Bereich hätten 14.864 Stellen zur Verfügung gestanden. In den Bereichen Bergbau, verarbeitendes Gewerbe, Bauwesen und Verkehr seien 12.221 Arbeitsstellen frei. Groß sei das Stellenangebot für Verkäufer sowohl in den großen Handelsketten als auch in kleineren Geschäften (11.415), für Facharbeiter in der Lebensmittel-, Bekleidungs- und Holzindustrie und den verwandten Bereichen (7.353) sowie für Beschäftigte in der Abfallwirtschaft und ähnlichen Bereichen (12.894). Die Zahl der Stellen für Pflegepersonal (Krankenpfleger, Betreuungspersonal in Kindergärten) sei mit 7.675 Plätzen nach wie vor hoch. Etwa 6.750 offene Stellen gebe es auch für Kfz-Führer und Maschinenbediener. Gemeldet worden seien 6.459 Stellen für Metallarbeiter, Maschinenbauer und Handwerker. 4.292 Stellen für Schutz- und Sicherheitspersonal seien unbesetzt. Für gelernte Kräfte stellt sich die Arbeitssuche einfacher dar als für ungelernte. Gerade im Gastgewerbe, in der Logistik und im Handel können aber auch ungelernte Kräfte zum Einsatz kommen. In diesen Bereichen versuchen die Unternehmen verstärkt, Arbeitnehmer aus dem (europäischen) Ausland anzuwerben. Bulgarisches Personal zu finden, ist zunehmend schwierig, weil die erwerbstätige Bevölkerung immer älter wird und junge Bulgaren verstärkt ins westeuropäische Ausland abwandern. Die meisten Unternehmen greifen auf Online-Vermittlungsportale zurück. Diese Form der Personalgewinnung ist in Bulgarien neben der Akquise durch die Arbeitsämter oder Referenzen und persönliche Kontakte üblich,
69vgl. OVG NRW, Urteile vom 10. September 2024 – 11 A 1460/23.A –, juris Rn. 78 ff. und vom 14. Februar 2024 – 11 A 1440/23.A –, juris Rn. 80-85 m.w.N.
70Sprach- und Integrationskurse, die Drittstaatsangehörigen den Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt erleichtern, werden zwar nicht staatlicherseits,
71vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe, Auskunft an das OVG NRW vom 8. Juli 2022, S. 3,
72aber von Nichtregierungsorganisationen, etwa dem Bulgarischen Roten Kreuz, der Caritas und der IOM Bulgaria, angeboten,
73vgl. OVG NRW, Urteile vom 10. September 2024 – 11 A 1460/23.A –, juris Rn. 94 ff. und vom 14. Februar 2024 – 11 A 1440/23.A –, juris Rn. 92 f. m.w.N. unter Verweis auf Bulgarian Red Cross, Welcome to Bulgaria, Useful Information for Relocated and Resettled Persons, S. 19, abrufbar unter: https://www.redcross.bg/files/23769-infobro-eng-.pdf; IOM Bulgaria, ongoing projects, abrufbar unter: https://bulgaria.iom.int/ongoing-projects.
74Diese Erkenntnisse zugrunde gelegt, werden die Antragstellerin zu 1) und ihr Ehemann in Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Unterstützung bei der Integration, insbesondere beim Erlernen der bulgarischen Sprache, erhalten und unter Berücksichtigung des Umstands der mangelnden Betreuungsmöglichkeiten für die noch nicht schulpflichtigen zwei Kinder – der vierjährige Antragsteller zu 4) und das im Februar 2024 in Deutschland geborene Kind – jedenfalls ein Elternteil in der Lage sein, einer Vollzeittätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts der Familie aufzunehmen.
75Dafür spricht der Umstand, dass der arbeitsfähige Ehemann der Antragstellerin zu 1) in Bulgarien bereits bei Freunden gearbeitet hat und aufgrund seiner Tätigkeit in der Landwirtschaft in Syrien über Berufserfahrung verfügt, die ihm den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern wird.
76Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus dem Einwand der Antragsteller, dass ein Vollzeitgehalt eines Elternteils nicht zur Sicherung der Existenz der sechsköpfigen Familie genügt. Die Antragstellerin zu 1) hat während ihrer Anhörung erklärt, dass sie sich ihr Leben in Bulgarien durch die finanzielle Unterstützung von Seiten der Familie ihres Ehemannes finanziert hätten. Auch ihr Ehemann hat während der Anhörung erklärt, dass er in Bulgarien finanziell von seinen in Deutschland lebenden Brüdern und seiner Familie aus Syrien unterstützt worden sei. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass es den Antragstellern zur Sicherung ihrer Existenz – zusätzlich zu einer Vollzeittätigkeit – nicht möglich sein wird, erneut Unterstützung durch ihre Verwandten zu erlangen.
77Der von den Antragstellern in diesem Zusammenhang zitierten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts NRW, wonach bei einem Einkommen aus Vollbeschäftigung oder zwei Einkommen jeweils aus Teilzeitbeschäftigungen ausgehend von einem in Bulgarien zu erzielenden monatlichen Durchschnittseinkommen von ca. 500 Euro der Lebensunterhalt einer sechsköpfigen Familie mit Kleinstkindern nicht hinreichend zu decken sei und daher die Familie nicht vor einer Situation extremer materieller Not zu bewahren sein werde,
78vgl. Urteil vom 29. Dezember 2020 – 11 A 1602/17.A –, juris Rn. 40 ff.,
79folgt das Gericht vorliegend nicht.
80In dieser vereinzelt gebliebenen Entscheidung wird durch das Gegenüberstellen des über das Netzwerk EURES ermittelten Durchschnittseinkommens von 500 Euro und der von den bulgarischen Gewerkschaften angegebenen Lebenshaltungskosten in Höhe von monatlich 305 Euro im Landesschnitt (bzw. 397 Euro in Sofia), welche die Antragsgegnerin auch hier im Bescheid zitiert, kein geeigneter Maßstab zur Feststellung einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Gefahr extremer materieller Not angewandt.
81Im Rahmen der Prüfung, ob eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass einer Familie die Sicherung ihres Lebensunterhalts im Sinne des nach Art. 4 GRCh gebotenen Existenzminimums in Bulgarien nicht möglich sein wird, bedarf es – statt einer statistischen Betrachtung – einer Würdigung der konkreten Umstände der betroffenen Familie.
82Aus diesem Grund folgt das Gericht auch nicht den Entscheidungen des VG Düsseldorf vom 5. November 2024 – 15 K 5795/24.A – und des VG Münster vom 29. April 2025 – 8 L 440/25.A –.
83Denn bei der statistischen Berechnung des Mittelwerts der Lebenshaltungskosten wurden Lebenshaltungskosten von Gering-, Mittel-, Besser- sowie Spitzenverdienern berücksichtigt. Diese umfassen demnach auch (Luxus-)Gebrauchsgüter, Dienstleistungen und Rücklagen, die es zur Sicherung der Existenz und damit zur Bewahrung vor einer Situation extremer materieller Not nicht bedarf.
84Dass weder das Durchschnittseinkommen noch die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten ein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Sicherung des Existenzminimums sind, wird durch die folgende Vergleichsüberlegung bestätigt:
85Laut den Berechnungen des statistischen Bundesamtes betrugen die durchschnittlichen Konsumausgaben eines vierköpfigen Haushalts im Jahr 2022 in Deutschland 4.322 Euro; bei einem Haushalt ab fünf Personen 4.631 Euro,
86vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Konsumausgaben-Lebenshaltungskosten/Tabellen/liste-haushaltsgroesse.html#115412, zuletzt abgerufen am 5. Mai 2025.
87Nach dem AsylbLG stehen leistungsberechtigten Erwachsenen, die mit ihrem Partner in einer Wohnung/Sammelunterkunft leben (Bedarfsstufe 2), zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts sowie zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens Grundleistungen im Sinne des § 3 AsylbLG in Höhe von 397 Euro zu. Bei leistungsberechtigten Kindern zwischen 6 und 13 Jahren (Bedarfsstufe 5) beträgt diese Grundleistung jeweils 327 Euro und bei leistungsberechtigten Kindern bis 5 Jahre (Bedarfsstufe 6) jeweils 299 Euro,
88vgl. https://www.bmas.de/DE/Soziales/Sozialhilfe/LeistungenAsylbewerberleistungsgesetz/leistungssaetze-asylbewerberleistungsgesetz.html, zuletzt aufgerufen am 5. Mai 2025.
89Die sich daraus für eine – hier relevante – sechsköpfige Familie mit drei Kindern unter sechs und einem sechsjährigen Kind ergebende Grundleistung in Höhe von 2.018 Euro genügt nicht ansatzweise zur Deckung der erwähnten durchschnittlichen Lebenshaltungskosten eines fünfköpfigen Haushalts in Deutschland in Höhe von 4.631 Euro, sodass bei Anwendung dieses Maßstabs auch für die Bundesrepublik Deutschland eine – offenkundig nicht existente – Situation extremer materieller Not anzunehmen wäre.
90Auch medizinische Aspekte rechtfertigen keine andere Bewertung.
91Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Dublin-Rückkehrer wie die Antragsteller automatisch und ohne zeitliche Verzögerung Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung haben, welche die medizinische Grundversorgung sicherstellt. Dieser Zugang ist – wie bei bulgarischen Staatsangehörigen – durch Beitragszahlungen möglich. Der Mindestbeitrag liegt für Arbeitslose bei ca. 19,13 Euro monatlich. Zudem sind gegenwärtig alle Aufnahmezentren mit Sprechzimmern ausgestattet und bieten eine medizinische Grundversorgung, wenn auch deren Umfang von der Verfügbarkeit medizinischer Dienstleister am jeweiligen Standort abhängt,
92vgl. aida, Country Report: Bulgaria, update 27. März 2025, S. 124.
93Im Übrigen ist die medizinische Notfallversorgung für alle sich in Bulgarien aufhaltenden Personen zugänglich,
94vgl. Auswärtiges Amt, Amtshilfeersuchen des OVG Hamburg in Asyl- und Rückführungsangelegenheiten vom 7. April 2024, S. 2.
95Zwar umfasst das nationale Gesundheitspaket nach den aktuellen Erkenntnissen nicht die Behandlung aller chronischen Krankheiten oder chirurgischen Eingriffe, Prothesen, Implantate oder andere notwendige Medikamente oder Hilfsmittel,
96vgl. BFA Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Version 6; Datum der Veröffentlichung: 29. Juli 2024. S. 16, 18.
97Allerdings bestehen nach dem vorerwähnten Länderinformationsblatt auf eigene Kosten entsprechende Behandlungsmöglichkeiten.
98Demnach sind die Antragsteller gehalten, notwendige Behandlungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden, – wie bulgarische Staatsbürger – auf eigene Kosten in Anspruch zu nehmen.
99Die Schilderungen der Antragstellerin zu 1), wonach es bei einer Erkältung oder einem Ausschlag keine medizinische Versorgung gegeben habe, sind vor dem Hintergrund der vorerwähnten Erkenntnisse nicht geeignet, systemische Mängel aufzuzeigen.
100Systemische Mängel folgen auch nicht aus unzureichenden Bildungsmöglichkeiten für die Kinder.
101Für anerkannt Schutzberechtigte ist in Bulgarien der vollständige Zugang zu kostenloser Bildung an regulären Schulen gemäß den für bulgarische Kinder geltenden Regeln und Bedingungen garantiert,
102vgl. hierzu auch aida, Country Report: Bulgaria, update 27. März 2025, S. 89, 123.
103Dem Schulbesuch voran geht für 5-6-jährige Kinder der Besuch der Vorschule, der kostenfrei ist. Lediglich für den Besuch eines Kindergartens werden Gebühren erhoben. Insofern werden die Antragsteller zu 2) bis 4) in Bulgarien auch Zugang zu einer Schulausbildung haben.
104Gleiche Rechte bestehen im Übrigen auch in Bezug auf berufliche Bildung.
105Systemische Mängel ergeben sich schließlich nicht aus den sozialen Bedingungen in Bulgarien.
106Ein Wahlrecht, in welchem Land ein Asylgesuch geprüft oder nach Schutzgewährung in Anspruch genommen werden soll, besteht nicht. Ebenso wenig besteht ein Anspruch darauf, in einem Mitgliedstaat bleiben zu dürfen, in dem die sozialen Bedingungen besser sind, als in dem Mitgliedstaat, der bereits Schutz gewährt hat.
107Im Übrigen haben anerkannt Schutzberechtigte nach ihrer Registrierung als Flüchtling in Bulgarien die Möglichkeit unter denselben Bedingungen wie bulgarische Staatsangehörige beitragsunabhängige Sozialleistungen auf der Grundlage des Gesetzes für Soziale Unterstützung (GSU) zu erhalten. Diese Sozialleistungen umfassen insbesondere eine monatliche Sozialhilfe, einmalige Absicherung des Lebensunterhaltes (maximal das Fünffache des garantierten Mindesteinkommens) und Mietkostenübernahme für eine Gemeindewohnung,
108vgl. zum GSU: https://lex.bg/laws/ldoc/-13038592; zur Sozialhilfe allgemein (Stand 2017): Auswärtiges Amt, Amtshilfeersuchen des OVG Niedersachsen in Asyl- und Rückführungsangelegenheiten vom 18. Juli 2017, 508-516,80/49185, S. 7 und aida, Country Report: Bulgaria, update 27. März 2025, S. 124.
109Die Antragsteller sind in Bezug auf die von ihnen geschilderten wirtschaftlichen und sozialen Probleme gehalten, alle staatlichen Angebote notfalls unter Einholung gerichtlicher Hilfe durchzusetzen und sich an nichtstaatliche Organisationen zu wenden. Hilfs- und Unterstützungsleistungen werden von verschiedenen NGOs wie dem UNHCR, IOM, Caritas und dem bulgarischen Roten Kreuz erbracht. Umfasst sind neben Hilfen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche und der Vermittlung von Sprachkenntnissen Sachleistungen oder einmalige finanzielle Hilfen in Notsituationen, z.B. erbracht durch das Bulgarische Rote Kreuz.
110Unter anderem auf der vom Bulgarian Council of Refugees und Migrants betriebenen Internetplattform,
111https://refugee-integration.bg/en/, zuletzt aufgerufen am 6. Mai 2025,
112werden Hilfen in Bezug auf die Erlangung von Ausweisdokumenten, Wohnungssuche, Gesundheitswesen, Ausbildung, Anstellung, Sozialhilfe, Familienzusammenführung und Staatsbürgerschaft angeboten.
113Zuletzt sind weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote in Bezug auf Bulgarien noch inlandsbezogene Abschiebungsverbote erkennbar. Insbesondere erwächst ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot für die Antragsteller nicht aus der Geburt eines weiteren Kindes in Deutschland und dem noch laufenden Asylverfahren des Kindes.
114Weder stehen das Kindeswohl des in Deutschland geborenen Kindes noch familiäre Bindungen der Abschiebung entgegen, § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG.
115Mit § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG werden die Anforderungen des Art. 5 Rückführungs-richtlinie in das nationale Recht übernommen, der verlangt, dass bei Erlass einer Rückkehrentscheidung die dort genannten Belange gebührend berücksichtigt werden,
116vgl. EuGH, Urteil vom 14. Januar 2021 – 4 C-441/19 –, juris Rn. 60.
117Damit hat das Bundesamt als die für die Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylG zuständige Behörde die in § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG genannten Belange und ihr Gewicht bei Erlass der Androhung zu prüfen. Im Rahmen der Kontrolle haben die Verwaltungsgerichte im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG das Vorliegen von (möglicherweise auch erst nach Erlass der Androhung entstandenen) Belangen zu prüfen und eine eigene Abwägung vorzunehmen. In diesem Rahmen sind daher das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen gebührend zu würdigen. Die familiären Bindungen sind im Rahmen der Abschiebungsandrohung auch dann zu berücksichtigen, wenn – wie hier – Adressat der Entscheidung nicht das minderjährige Kind, sondern die Eltern (und Geschwister) des minderjährigen Kindes sind, soweit das minderjährige Kind über ein Aufenthaltsrecht im betreffenden Mitgliedstaat verfügt,
118vgl. EuGH, Urteil vom 11. März 2021 – C-112/20 –, juris Rn. 33.
119Zutreffend ist, dass das Führen eines eigenen Asylverfahrens dem in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kind ein Aufenthaltsrecht für die Dauer des Verfahrens nach § 55 AsylG vermittelt. Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass die nach obigen Maßstäben vorzunehmende Abwägungsentscheidung stets zu einem Abschiebungsverbot in Bezug auf die Eltern führt,
120vgl. aber VG Bayreuth, Urteil vom 4. Dezember 2024 – B 7 K 24.32848 –, juris Rn. 45 f.
121Im Rahmen der Prüfung des Wohls des Kindes und der familiären Bindungen gemäß Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG ist die darin enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm zu berücksichtigen, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat.
122Dabei ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu prüfen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Elternteils und des Kindes im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu beiden Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient,
123vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1001/04 –, juris Rn. 17 und Rn. 25 f.
124Vorliegend besteht für das Gericht kein Zweifel, dass eine tatsächliche Verbundenheit innerhalb der Familie und insbesondere auch des neu geborenen Kindes mit den Eltern besteht und das Kindeswohl ein Zusammenleben mit den Eltern erfordert. Die Antragstellerin zu 1) und ihr Ehemann haben ausweislich des Verwaltungsvorgangs die Dublin-Erklärung unterzeichnet, wonach zur Durchführung des Asylverfahrens die Familie zusammenbleiben soll, auch wenn eine Familienzusammenführung in einem anderen Mitgliedstaat herbeigeführt wird. Hiermit haben sie zum Ausdruck gebracht, dass die Familieneinheit verwirklicht werden soll. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren aufgrund der im Bundesgebiet „gelebten“ Familiengemeinschaft bei realitätsnaher Betrachtung von einer gemeinsamen Rückkehr der gesamten Familie auszugehen ist, selbst wenn einem Familienmitglied bestandskräftig Abschiebungsschutz oder sonst ein gesichertes Bleiberecht zuerkannt worden ist,
125vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45.18 –, juris Rn. 15 ff.
126Diese Rechtsprechung bezieht sich zwar auf eine Rückkehr in den Herkunftsstaat. Die Prognose, dass die Mitglieder eines Familienverbandes im Regelfall tatsächlich bestrebt sein werden, ihr – grundrechtlich geschütztes – familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband gemeinsam fortzusetzen, ist jedoch auf den hier vorliegenden Fall übertragbar und daher bei einer Abschiebung nach Bulgarien von einer gemeinsamen Ausreise der gesamten Familie mit dem in Deutschland geborenen Kind auszugehen.
127Das Gericht geht auch davon aus, dass die Familieneinheit in Bulgarien hergestellt werden kann und eine gemeinsame Einreise nach Bulgarien möglich ist.
128Zunächst ist Deutschland gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO für das Asylverfahren des hier geborenen Kindes zuständig. Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO ist vorliegend nämlich nicht anwendbar, weil die Vorschrift voraussetzt, dass die Familienangehörigen noch Antragsteller sind und eine analoge Anwendung auf die Situation, dass den Familienangehörigen internationaler Schutz zuerkannt wurde, nicht in Betracht kommt,
129vgl. EuGH, Urteil vom 1. August 2022 – C-720/20 –, juris Rn. 32 ff.
130Für den hier vorliegenden Fall, dass den Antragstellern internationaler Schutz zuerkannt wurde, greift Art. 9 Dublin III-VO. Nach dieser Vorschrift haben die Antragsteller die Möglichkeit bei einer Abschiebung nach Bulgarien den Wunsch zu äußern, dass Bulgarien auch für den Asylantrag des in Deutschland geborenen minderjährigen Kindes zuständig ist. Dabei steht der Abschiebungsandrohung nicht entgegen, dass die Antragsteller diesen Wunsch noch nicht geäußert haben. Denn es liegt alleine in der Sphäre der Antragsteller diesen Wunsch zu äußern und damit die (gewünschte) Familieneinheit zu verwirklichen.
131Das Bundesamt muss vor Erlass der Abschiebungsandrohung Bulgarien auch nicht um Aufnahme des Kindes ersuchen,
132a.A. VG Bayreuth, Urteil vom 4. Dezember 2024 – B 7 K 24.32848 –, juris Rn. 52.
133Da aktuell weder die Voraussetzungen nach Art. 8 bis 11 oder 20 Dublin III-VO vorliegen, besteht für das Bundesamt keine Rechtsgrundlage für ein Aufnahmeersuchen, solange die Antragsteller nicht ihre Zustimmung zur Anfrage durch das Bundesamt erklärt haben. Zudem ist § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG, wonach das Bundesamt die Abschiebung erst anordnen darf, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, nur in der nicht einschlägigen Fallkonstellation des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anwendbar; nicht hingegen in der hier zur Entscheidung stehenden Konstellation des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
134Vielmehr obliegt es in der hier vorliegenden Konstellation der Verantwortung der Antragstellerin zu 1) und ihres Ehemannes als den Eltern des in Deutschland geborenen minderjährigen Kindes zum Kindeswohl und der Beibehaltung der familiären Einheit die Voraussetzung für ein weiteres familiäres Zusammenleben zu schaffen. Die Antragstellerin zu 1) und ihr Ehemann haben es selbst in der Hand über die Äußerung des entsprechenden Wunsches, dass Bulgarien auch für ihr in Deutschland geborenes minderjähriges Kind zuständig ist und sie ihre Familieneinheit in Bulgarien – also in dem Mitgliedstaat, in dem ihnen ein gesichertes Aufenthaltsrecht zuerkannt wurde – fortsetzten können.
135Sinn und Zweck der Regelung in Art. 9 Dublin III-VO ist gerade nicht, dass die Familie sich den für sie zuständigen Mitgliedstaat aussuchen kann und durch Verweigerung der Kundgabe des Wunsches sich selbst ein Abschiebungshindernis schafft. Vielmehr sollen durch das Tatbestandsmerkmal des Wunsches Situationen vermieden werden, in denen die Betroffenen aus persönlichen Gründen nicht „zusammengeführt“ werden wollen. Art. 9 Dublin III-VO ist nicht für die Anwendung auf eine Situation gedacht, in der die Familie bereits zusammenlebt.
136Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jean Richard de la Tour vom 24. März 2022 in der Rechtssache C‑720/20 (https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=256482&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=142589; Rn. 60).
137Soweit die Antragsteller auf ein – ihrem Prozessbevollmächtigten aus der Prozessvertretung in dem betreffenden Verfahren bekanntes – Urteil des VG Münster vom 13. November 2024 – 7 K 2512/20.A – verweisen und meinen, daraus folge, dass während des laufenden Asylverfahrens eines minderjährigen Kindes eine Abschiebungsandrohung für die Eltern zu unterbleiben hat, verfängt dies nicht. Dieses Urteil ist auf den hiesigen Fall nicht übertragbar. Denn Gegenstand der Entscheidung ist nicht – wie hier – eine Abschiebungsandrohung hinsichtlich eines Dublin-Staates, sondern betreffend den Herkunftsstaat. Aufgrund der Möglichkeit der Äußerung nach Art. 9 Abs. 3 Dublin III-VO wird – anders als in dem von den Antragstellern zitierten Urteil – vorliegend der Asylprüfungsanspruch des in Deutschland geborenen Kindes nicht ausgeschlossen.
138Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG erwächst zudem nicht aus den für die Antragsteller zu 2) und 3) von ihrem Vater während seiner Anhörung geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Form von Herzproblemen wegen eines kleinen Lochs in der Herzklappe.
139Denn die Antragsteller zu 2) und 3) haben insoweit (über ihre Eltern als Vertreter) nicht hinreichend nachgewiesen, dass sie an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG leiden, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Ungeachtet der Frage, ob es sich bei diesen Krankheiten überhaupt um eine Erkrankung im vorerwähnten Sinne handeln kann, haben ihre Eltern hierzu bereits nicht die nach §§ 60 Abs. 7 Satz 2 in Verbindung mit 60 Abs. 2c Satz 2 AufenthG erforderliche qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorgelegt. Zuletzt erschließt sich der Einzelrichterin nicht, dass die Antragstellerin zu 1) die Frage nach bestehenden Erkrankungen ihrer Kinder im Rahmen der Anhörung im Widerspruch zu den Angaben ihres Ehemanns ausdrücklich verneint hat.
140Des Weiteren folgt ein Abschiebungsverbot nicht daraus, dass ein Bruder der Antragstellerin zu 1) in Deutschland lebt; ein besonderes Hilfe- und Abhängigkeitsverhältnis besteht insoweit nicht.
141Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
142Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).