Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 24. Mai 2022 verpflichtet, der Klägerin auf ihren Antrag vom 18. Oktober 2021 einen positiven bauplanungsrechtlichen Vorbescheid für die Nutzungsänderung von Ladenlokal zu Wettannahmestelle im Gebäude auf dem Grundstück Gemarkung G01, Flur 0, Flurstück 0000 mit der postalischen Anschrift T.-straße 0 in 00000 X. zu erteilen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt 2/3 und die Klägerin 1/3 der Kosten des Verfahrens.
Dar Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Klägerin stellte am 18. Oktober 2021 einen Bauantrag zur Genehmigung der Nutzungsänderung eines Ladenlokals zu einer Wettannahmestelle im Gebäude auf dem Grundstück Gemarkung G01, Flur 0, Flurstück 0000 mit der postalischen Anschrift T.-straße 0 in 00000 X..
3Das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. N01 in der Fassung der 1. Änderung. Dieser setzt für das Vorhabengrundstück „Kerngebiet“ fest. Nach der textlichen Festsetzung des Bebauungsplans sind Vergnügungsstätten in seinem räumlichen Geltungsbereich nicht zulässig.
4Nach den eingereichten Bauvorlagen betrifft die Nutzungsänderung eine Netto-Grundfläche von insgesamt 108,11 m² im Erd- sowie Obergeschoss. Im Erdgeschoss sind zwei Räume geplant. In dem im vorderen Teilbereich des Erdgeschosses geplanten Raum befindet sich ein 36,88 m² großer Kundenbereich und 7,08 m² großer Thekenbereich der Wettannahmestelle. Der Raum hat eine lichte Raumhöhe von 2,90 m und verfügt über einen Ausgang zur Fußgängerzone der O. Innenstadt. An diesen Raum grenzt ein als Flur geplanter Raum mit einer Fläche von 33,40 m² an. Im Kellergeschoss sind vier weitere Räume geplant. Drei davon sollen als Abstellräume genutzt werden und ein weiterer als WC. Das Kellergeschoss ist von dem Flur im Erdgeschoss über eine Stahltreppe zu erreichen. In der eingereichten Betriebsbeschreibung ist die Betriebsart als „Wettannahmestelle, Wettvermittlungsstelle nach AG GlüStV NRW (keine Vergnügungsstätte)“ bezeichnet und die Vermittlung von Sportwetten als Dienstleistung angegeben. Ferner sind zwei Beschäftigte am Betriebsort vorgesehen. In dem Anschreiben zum Bauantrag heißt es „Es handelt sich nur um eine reine Wettannahmestelle ohne Verweilcharakter, kein aktiver Aufenthalt, kein Verzehr von Speisen oder Getränken, keine Sitzgelegenheiten, keine Kunden WCs, keine Live-Wetten.“
5Mit Bescheid vom 24. Mai 2022, zur Post gegeben am 1. Juni 2022, lehnte die Beklagte den Bauantrag ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich nach § 30 Abs. 1 BauGB unzulässig. Es handele sich um eine nach dem hier maßgeblichen Bebauungsplan ausgeschlossene Vergnügungsstätte. Die Einstufung als Vergnügungsstätte folge daraus, dass aufgrund der Größe der Räume im Erdgeschoss von insgesamt 80 m² (ca. 46 m² Wettannahmestelle inkl. Thekenbereich + 34 m² direkt angrenzend als Flur bezeichnet) ein an Sportwetten geknüpfter Aufenthalt anhand der Bauvorlagen nicht auszuschließen sei.
6Die Klägerin hat am 27. Juni 2022 Klage erhoben.
7Zur Begründung ihrer Klage macht sie im Kern geltend: Das Bauvorhaben sei bauplanungsrechtlich zulässig. Es sei nicht als Vergnügungsstätte zu qualifizieren. Für die Einstufung als Wettvergnügungsstätte müssten Gegenstand des Bauantrags Elemente sein, die der kommerziellen Unterhaltung von Kunden dienten; so etwa das Bereitstellen von Wettterminals und Bildschirmen, auf welchen Wettangebote und Wettergebnisse live verfolgt werden könnten, die Existenz von Sitzgelegenheiten oder auch ein gastronomisches Angebot. Allein die Größe eines Betriebs genüge für die Annahme einer Vergnügungsstätte nicht.
8Entgegen der im gerichtlichen Verfahren geäußerten Ansicht der Beklagten verstoße das Vorhaben im Hinblick auf das geplante WC im Kellergeschoss nicht gegen das in § 49 Abs. 2 BauO NRW normierte Gebot der Barrierefreiheit betreffend öffentlich zugänglicher Räume. Da die Nutzung der Toilette nur für das Personal vorgesehen sei, stelle sich die Forderung nach § 49 Abs. 2 BauO NRW nicht. Es ergebe sich bereits aus den Bauvorlagen, dass der Bereich des Flurs nicht von Kunden betreten werden solle. Zur Klarstellung sei nun nachträglich betreffend das WC in der Flächenberechnung als auch im Grundriss des Kellergeschosses der Zusatz „Personal“ eingefügt worden. Hierzu legt die Klägerin die überarbeitete Flächenberechnung und den Grundriss samt einer Übereinstimmungserklärung des Entwurfsverfassers vor.
9Soweit die Beklagte nunmehr geltend mache, dass es im Flur an einem erforderlichen zweiten Rettungsweg fehle, stelle sich diese Problematik nicht, weil der Flur nicht als Aufenthaltsraum zu qualifizieren sei. Der Betrieb verfüge laut der als Bauvorlage eingereichten Betriebsbeschreibung lediglich über zwei Mitarbeiter, die sich nicht gleichzeitig im Betrieb aufhielten. Der jeweilige Mitarbeiter müsse sich dabei im vorderen Bereich aufhalten, um Kunden bedienen und den Betrieb überwachen zu können. Daher sei eine Nutzung des Flurs zu Aufenthaltszwecken ausgeschlossen.
10Die Klägerin beantragt,
11die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 24. Mai 2022 zu verpflichten, ihr auf den Bauantrag vom 18. Oktober 2021 eine Genehmigung zur Nutzungsänderung eines Ladenlokals in eine Wettannahmestelle zu erteilen,
12hilfsweise, die Beklagte unter teilweise Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 24. Mai 2022 zu verpflichten, ihr einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid für die mit Bauantrag vom 18. Oktober 2021 beantragte Nutzungsänderung (äußerst hilfsweise beschränkt auf die Nutzungsart) zu erteilen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Zur Begründung nimmt sie auf den angefochtenen Bescheid Bezug und trägt weiter vor: Sie habe sich zur Einstufung des Vorhabens als Vergnügungsstätte nicht pauschal auf die Größe der Räumlichkeit gestützt, sondern lediglich u.a. aufgrund der Größe auf den für eine Vergnügungsstätte typischen Verweilcharakter geschlossen. Bloße Wettannahmestellen, die mit staatlichen Annahmestellen für Lotto und Toto gleichgestellt werden könnten, wiesen oftmals lediglich einen Schalter und keine darüberhinausgehenden großflächigen, für einen längerfristigen Aufenthalt geeigneten Räumlichkeiten auf. Vorliegend werde ein Anreiz für das längerfristige Verweilen der Kunden geschaffen, weil die Räumlichkeiten mit insgesamt 80 m² hinreichend groß seien, um einen derartigen Aufenthalt zu ermöglichen. Dies gelte selbst dann, wenn nur auf den 46 m² großen Raum der Wettannahmestelle abgestellt werde, weil der in den Bauvorlagen als Flur bezeichnete Bereich tatsächlich nur als Durchgang genutzt werde. Dass nach den Angaben im Anschreiben zum Bauantrag die von der Rechtsprechung herangezogenen Indizien für das Vorliegen einer Vergnügungsstätte in Form eines aktiven Aufenthalts, eines Angebots von Speisen oder Getränken, der Existenz von Sitzgelegenheiten und Kunden-WCs sowie des Angebots von Live-Wetten ausgeschlossen seien, stehe einer Einstufung als Vergnügungsstätte nicht per se entgegen. Denn entscheidend sei das, was nach den gesamten Umständen für das Vorhaben realistischerweise in Betracht gezogen werden müsse. Im Übrigen schließe der Umstand, dass die Klägerin den Bauvorlagen zufolge keine Live-Wetten anbiete, nicht aus, dass sie gleichwohl Monitore zum Verfolgen von Wettergebnissen anbringen werde.
16Ferner sei das Vorhaben bauordnungsrechtlich unzulässig. Es verstoße gegen § 49 Abs. 2 BauO NRW, weil die öffentlich zugängliche Toilette nicht barrierefrei erreichbar sei. Zudem liege ein Verstoß gegen § 33 Abs. 2 BauO NRW, weil im Erdgeschoss ein notwendiger zweiter Rettungsweg fehle. Der Flur sei als Aufenthaltsraum geeignet. Gemäß § 33 Abs. 2 BauO NRW sei ein zweiter Rettungsweg nur dann nicht erforderlich, wenn der erste Rettungsweg von jeder Stelle des Raumes in höchstens 15 m Entfernung erreichbar sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da die Rettungsweglänge mehr als 15 m betrage.
17Außerdem befinde sich das Vorhaben in unmittelbarer Nähe zu mehreren Kinder- und Jugendeinrichtungen. So sei etwa eine Kindertagesstätte ca. 300 m und eine Schule sowie Berufsschule ca. 350 m entfernt.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe
20Die zulässige Klage ist mit dem Hilfsantrag begründet. Der Hauptantrag ist hingegen unbegründet.
21Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 24. Mai 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der begehrten Baugenehmigung, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
22Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2018 ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Dies ist hinsichtlich des von der Klägerin zur Genehmigung gestellten Vorhabens nicht der Fall.
23Das Vorhaben ist bauordnungsrechtlich unzulässig.
24Das Vorhaben verstößt gegen § 33 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2018 in der nach § 90 Abs. 4 Satz 1 BauO NRW zum Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblichen Fassung vom 21. Juli 2018 mit Geltungszeitraum vom 1. Januar 2019 bis 31. Dezember 2023 (im Folgenden: BauO NRW).
25Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW müssen für Nutzungseinheiten mit mindestens einem Aufenthaltsraum wie Wohnungen, Praxen, selbstständige Betriebsstätten in jedem Geschoss mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein.
26Dieser Anforderung wird das Vorhaben nicht gerecht. Im Erdgeschoss ist lediglich ein Ausgang als Rettungsweg ins Freie vorhanden. Es fehlt an dem erforderlichen zweiten Rettungsweg.
27Der zweite Rettungsweg ist hier im Erdgeschoss notwendig, weil es sich bei dem zur Genehmigung gestellten Vorhaben um eine Nutzungseinheit mit mindestens einem Aufenthaltsraum im betreffenden Geschoss handelt.
28Unter einer Nutzungseinheit wird eine räumliche Einheit verstanden, die von einem einzelnen oder einer Gruppe von Personen für einen gemeinsamen Zweck in der Weise genutzt wird, dass eine baulich nachhaltige Trennung der einzelnen Räumlichkeiten nicht erforderlich ist.
29Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Juli 1997 – 10 A 3367/94 –, juris Rn. 4.
30Nach § 2 Abs. 7 BauO NRW sind Aufenthaltsräume solche Räume, die nicht zum nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind.
31Die Räume im Erd- und Kellergeschoss, nämlich der Kundenbereich der Wettannahmestelle und der Flur im Erdgeschoss sowie das Personal-WC und die Abstellräume im Kellergeschoss, dienen nach den Bauvorlagen dem Betrieb der Wettannahmestelle und stehen den zwei Beschäftigten zur Nutzung unbeschränkt offen. Eine baulich nachhaltige Trennung der einzelnen Räume ist demnach nicht notwendig. In dieser Nutzungseinheit befindet sich jedenfalls mit dem Kundenbereich der Wettannahmestelle inklusive Thekenbereich ein Aufenthaltsraum. Denn dieser ist nach seinem Nutzungszweck – der Vermittlung von Sportwetten – nicht nur zum vorübergehenden Aufenthalt der Kunden und des Personals bestimmt. Darüber hinaus ist er aufgrund seiner Größe, Zugänglichkeit und der lichten Raumhöhe von 2,90 m zum Aufenthalt geeignet.
32Das Gebot zweier Rettungswege nach § 33 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW greift hier entgegen der Ansicht der Klägerin auch für den Flur im Erdgeschoss. Es kann dahinstehen, ob dieser Raum als Aufenthaltsraum i.S.d. § 2 Abs. 7 BauO NRW geeignet ist. Denn das Erfordernis zweier Rettungswege gilt nach dem Wortlaut, der Systematik und dem Zweck der hier maßgeblichen Fassung des § 33 Abs. 1 BauO NRW nicht nur für Aufenthaltsräume im Geschoss, sondern für alle Räume eines Geschosses einschließlich Nicht-Aufenthaltsräume.
33Aus dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW,
34„für Nutzungseinheiten mit mindestens einem Aufenthaltsraum wie Wohnungen, Praxen, selbstständige Betriebsstätten müssen in jedem Geschoss (Hervorhebung durch das Gericht) mindestens zwei voneinander unabhängige Rettungswege ins Freie vorhanden sein“,
35folgt, dass sich das Gebot zweier Rettungswege auf das Geschoss insgesamt bezieht. Bezugspunkt ist das Geschoss. Demnach betrifft die Anforderung alle Räume innerhalb eines Geschosses, d.h. Aufenthalts- und Nicht-Aufenthaltsräume.
36A.A. wohl Schulz in: BeckOK BauordnungsR NRW. 21. Edition, 1. Juli 2024, BauO NRW 2018, § 33 Rn. 16.
37Für dieses Verständnis der Norm sprechen überdies die Gesetzesmaterialien zu § 33 Abs. 1 BauO NRW. So heißt es in der Gesetzesbegründung, dass ein Aufenthaltsraum ausreiche, um das Erfordernis von Rettungswegen auszulösen.
38Vgl. LT-Drucks. 17/2166, S. 123.
39Ferner betrifft die in § 33 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 BauO NRW geregelte Ausnahme vom Erfordernis des zweiten Rettungswegs allgemein zu ebener Erde liegende „Räume“. Dies umfasst Räume aller Art. Hätte der Gesetzgeber die Anforderung des zweiten Rettungswegs nur für Aufenthaltsräume im Geschoss regeln wollen, so hätte er die Ausnahmevorschrift des § 33 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 BauO NRW nur auf Aufenthaltsräume bezogen.
40Das erwähnte Verständnis ist ebenfalls vom Schutzzweck der Norm getragen. Durch das Erfordernis zweier Rettungswege soll im Brandfall vermieden werden, dass es für die Gebäudenutzer infolge von Brand- oder Raucheinwirkung keinen Ausweg mehr gibt. Beim brandbedingten Ausfallen eines Rettungswegs soll immer noch der zweite Rettungsweg zur Verfügung stehen.
41Zum Zweck: Koch/Plum in: Gädtke, Johlen, Wenzel, Hanne, Kaiser, Koch, Plum, BauO NRW, 15. Auflage 2024, § 33 Rn. 1.
42Dieses Bedürfnis besteht auch, wenn sich Gebäudenutzer – wenn auch nur vorübergehend – in Nicht-Aufenthaltsräumen aufhalten. Würde etwa exemplarisch im vorliegenden Fall ein Brand im Raum der Wettannahmestelle ausbrechen und der dort befindliche Ausgang ins Freie nicht mehr gefahrenfrei benutzbar sein, bestünde ausweislich der zum Bauantrag eingereichten Grundrisse aus dem Flur, der nach dem Vortrag der Klägerin vom Personal als Durchgangsraum zum Erreichen der Toilette und der Abstellräume im Keller genutzt wird, kein Ausweg mehr.
43Ob – wie der Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW nahelegt – zwei Rettungswege in einem Geschoss notwendig sind, wenn dieses Geschoss Teil einer Nutzungseinheit mit Aufenthaltsraum ist, das Geschoss aber nicht über einen Aufenthaltsraum verfügt, bedarf hier keiner näheren Betrachtung. Denn in dem hier relevanten Erdgeschoss ist mit dem für den Kundenbereich der Wettannahmestelle vorgesehenen Raum – wie bereits erwähnt – ein Aufenthaltsraum vorhanden.
44Diese Frage verneinend etwa Handlungsempfehlung des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung vom Januar 2019, S. 27 und wohl auch Landtag NRW in der Gesetzesbegründung zur Änderung der BauO zum 1. Januar 2024, wonach mit der Neufassung des § 33 Abs. 1 BauO NRW eine Klarstellung dahingehend erfolgen solle, dass das Erfordernis eines zweiten Rettungsweges nur für Geschosse mit Aufenthaltsräume gelte, LT-Drucks. 18/4593, S. 139.
45Das Erfordernis eines zweiten Rettungswegs im Erdgeschoss entfällt nicht nach § 33 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 BauO NRW.
46Danach ist ein zweiter Rettungsweg nicht für zu ebener Erde liegende Räume erforderlich, die einen unmittelbaren Ausgang ins Freie haben, der von jeder Stelle des Raumes in höchstens 15 m Entfernung erreichbar ist.
47Diese Ausnahme gilt aufgrund des Unmittelbarkeitsmerkmals nur für Räume mit direktem Zugang ins Freie.
48Vgl. LT-Drucks. 17/2166, S. 124; VG Köln, Beschluss vom 27. August 2021 – 8 L 188/21 –, juris Rn. 23.
49Ein direkter Ausgang ins Freie befindet sich nicht in beiden Räumen des Erdgeschosses. Die Ausnahme greift nur für den Raum der Wettannahmestelle, der über einen solchen direkten Ausgang verfügt. Der im Erdgeschoss geplante Flur verfügt indes nicht über einen unmittelbaren Ausgang ins Freie. Um aus dem Flur den Ausgang ins Freie zu erreichen, muss zunächst eine zwischen der Wettannahmestelle und dem Flur befindliche Tür geöffnet werden und sodann der Raum der Wettannahmestelle betreten werden.
50Der Anwendung des § 33 BauO NRW steht nicht entgegen, dass die Nutzungsänderung in einem Bestandsgebäude erfolgen soll. Das Bauordnungsrecht kennt im Grundsatz keine Trennung zwischen Nutzungen und Gebäuden, in denen die Nutzung ausgeübt wird. Nutzung und Baukörper stellen vielmehr im baurechtlichen Sinn eine Einheit dar. Daher wirft die Nutzungsänderung im Grundsatz die Genehmigungsfrage für das Bestandsgebäude auch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht neu auf.
51So ausdrücklich Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Stand März 2024, § 60 Rn. 23.
52Hierfür spricht in systematischer Hinsicht, dass § 64 Abs. 1 Nr. 3 BauO NRW bestimmt, dass das vereinfachte Genehmigungsverfahren auch für Nutzungsänderungen Anwendung findet und dass § 68 BauO NRW unberührt bleibt.
53Somit ist die Einhaltung der (aktuellen) Anforderungen an den Brandschutz ebenso bei der Nutzungsänderung entsprechend § 68 BauO NRW nachzuweisen.
54Dafür, dass der Gesetzgeber mit den vorgenannten Bestimmungen im Fall der reinen Nutzungsänderung die Anlage insgesamt einer neuen Prüfung unterziehen will, spricht zudem die Ausnahmevorschrift des § 6 Abs. 11 Satz 1 Nr. 3 BauO NRW.
55Würde mit der Nutzungsänderung nicht auch die Frage der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit insgesamt neu aufgeworfen, bedürfte es dieser Ausnahmeregelung, mit der das abstandrechtlich unzulässige Bestandsgebäude privilegiert wird, nicht. Daher lässt sich aus der Existenz des § 6 Abs. 11 Satz 1 Nr. 3 BauO NRW der Schluss ziehen, dass bei der Nutzungsänderung die übrigen bauordnungsrechtlichen Anforderungen erfüllt werden müssen. Eine dem § 6 Abs. 11 Satz 1 Nr. 3 BauO NRW entsprechende Ausnahmeregelung für den Brandschutz findet sich in der BauO NRW nicht.
56Die Klägerin hat hinsichtlich des Verstoßes gegen § 33 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW keinen Anspruch auf Erteilung einer Abweichung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW. Dies steht im Ermessen der Beklagten. Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar.
57Der Hilfsantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheides ist hingegen begründet.
58Anspruchsgrundlage für die Erteilung des Bauvorbescheides ist § 77 Abs. 1 und 2, § 74 Abs. 1 BauO NRW. Danach ist der Bauvorbescheid zu erteilen, wenn dem Vorhaben die nach der Fragestellung in dem Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides zu prüfenden öffentlich-rechtliche Vorschriften – hier die Vorschriften des Bauplanungsrechts – nicht entgegenstehen.
59Das Vorhaben der Klägerin ist nach § 30 Abs. 1 BauGB bauplanungsrechtlich zulässig.
60Die Festsetzungen des hier maßgeblichen Bebauungsplans Nr. N01 stehen dem Vorhaben nicht entgegen.
61Bei dem Vorhaben handelt es sich um einen im festgesetzten Kerngebiet als Wettannahmestelle zulässigen sonstigen nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieb i.S.d. § 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO.
62Entgegen der Auffassung der Beklagten ist keine Vergnügungsstätte zur Genehmigung gestellt, die nach der textlichen Festsetzung im maßgeblichen Bebauungsplan auf dem Vorhabengrundstück ausgeschlossen ist.
63Gegenstand des Bauantrags der Klägerin ist nicht nur nach der Vorhabenbezeichnung im Bauantrag, sondern auch nach den Anmerkungen im Anschreiben zum Bauantrag, der Betriebsbeschreibung, den sonstigen Bauvorlagen und unter Berücksichtigung aller weiteren erkennbaren Umständen eine Wettannahmestelle.
64Maßgeblich für die baurechtliche Einordnung eines Vorhabens und die darauf basierende Entscheidung über einen möglichen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung oder eines Bauvorbescheides sind grundsätzlich die Angaben des Bauherrn im Bauantrag, mit dem er Art und Umfang des Vorhabens konkret bestimmt.
65Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Januar 2020 – 10 A 4614/18 –, juris Rn. 6.
66Wettvermittlungsstellen können in bauplanungsrechtlicher Hinsicht ihrer Art nach Gewerbebetrieb oder Vergnügungsstätte sein. In der obergerichtlichen Rechtsprechung, der das Gericht sich ausdrücklich anschließt, wird insoweit zwischen "Wettannahmestellen" und "Wettbüros" unterschieden. Während bloße Wettannahmestellen für Sportwetten mit den Annahmestellen für Lotto und Toto gleichgestellt werden, sind Wettbüros als Vergnügungsstätten zu behandeln, wenn sie auch der kommerziellen Unterhaltung dienen.
67Unter Wettbüros im Sinne dieser Rechtsprechung sind Räume zu verstehen, in denen zwischen dem Kunden (Spieler), dem Wettbüro (Vermittler) und dem Wettunternehmen Transaktionen in Form von Sportwetten oder Wetten auf diverse sonstige Ereignisse abgeschlossen werden. Im Regelfall bieten die Betreiber in den Räumen – insbesondere durch die Anbringung von Bildschirmen – Gelegenheit, die Wettangebote beziehungsweise Wettergebnisse live mit zu verfolgen.
68Live-Wetten solcher Art bieten, anders als Sportwetten, bei denen lediglich auf das Eintreffen eines Sportergebnisses zu festen Gewinnquoten gesetzt wird, eine rasche Aufeinanderfolge von Wettmöglichkeiten. Sie sind ähnlich wie Geld- oder Glücksspielautomaten auf Unterhaltung an Ort und Stelle angelegt und sollen den Kunden zu einem Abwarten der jeweiligen Wettergebnisse animieren, während er die aktuellen Quoten und die Verläufe bzw. Ergebnisse der Sportereignisse auf Bildschirmen oder am Wettautomaten verfolgen und gegebenenfalls weitere, am Verlauf der Sportereignisse orientierte Wetten platzieren kann. Die Vermittlung von Live-Wetten dient daher überwiegend der kommerziellen Unterhaltung. Die Ausstattung eines Wettbüros mit Bildschirmen und Sitzgruppen ist ebenso wie das Bereitstellen von Getränken ein weiteres Indiz für das Vorliegen einer Vergnügungsstätte, aber keine unabdingbare Voraussetzung hierfür. Nichts Anderes gilt hinsichtlich der Größe des jeweiligen Betriebs.
69Vgl. OVG NRW, Urteile vom 19. Februar 2020 – 10 A 3254/17 –, juris Rn. 25 ff. und vom 17. Juli 2019 – 10 A 895/17 –, juris Rn. 25 ff. m.w.N.
70Ausgehend von diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Vorhaben der Klägerin nicht um eine Vergnügungsstätte.
71Aus der maßgeblichen Sicht des objektiven Empfängerhorizonts (vgl. §§ 133, 157 BGB) ist ihr Bauantrag so zu verstehen, dass sie beabsichtigt eine Wettannahmestelle und kein Wettbüro zu betreiben.
72Insbesondere ist auf der Grundlage des gesamten Inhalts des Bauantrags nicht davon auszugehen, dass entgegen der Bezeichnung als Wettannahmestelle doch die Möglichkeit eröffnet wird, Live-Wetten zu platzieren.
73So hat die Klägerin im Anschreiben zum Bauantrag ausdrücklich erklärt, dass keine Live-Wetten angeboten werden sollen. Damit hat sie unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit des Bauantrags die für den bauplanungsrechtlichen Ausschluss von Vergnügungsstätten zentrale Frage eindeutig beantwortet.
74Vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 5. Januar 2022 – 7 A 3271/20 –, juris Rn. 5 und VG Köln, Gerichtsbescheid vom 10. November 2022 – 23 K 4669/22 –, juris Rn. 34.
75Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin diese Erklärung nur vorgeschoben hat und entgegen dieser Erklärung doch Live-Wetten anbieten möchte. Denn die in den Bauvorlagen dargelegten Betriebsabläufe sprechen deutlich gegen das Angebot von Live-Wetten. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass SB-Wettterminals, die zum Platzieren von Live-Wetten geeignet sind, nicht Gegenstand des zur Genehmigung gestellten Betriebs sind. Damit stellt sich nicht die in zahlreichen vergleichbaren Verfahren maßgebliche Frage, ob an diesen Terminals die Live-Wetten-Funktion hinreichend sicher deaktiviert werden kann. Auch ansonsten gibt es keine Indizien, die für einen Anreiz zum Verweilen sprechen. Nach den Bauvorlagen werden keine Bildschirme zur Übertragung von Live-Ereignissen installiert, keine Getränke oder Speisen zum Verzehr angeboten und sind keine Sitzgelegenheiten geplant. Überdies existiert kein Kunden-WC, das im Falle des Verzehrs von Lebensmitteln im Vorhaben erforderlich wäre. Allein aus der Größe des Kundenbereichs mit knapp 37 m² kann nicht auf einen Anreiz zum Verweilen geschlossen werden.
76Das aus den Bauvorlagen abzuleitende Betriebskonzept zielt insgesamt nicht darauf ab, die Kunden durch die konkrete Ausgestaltung des Raumes, in dem die Wettannahmestelle betrieben werden soll, zu animieren, sich dort länger aufzuhalten, in geselliger Runde gemeinsam die Übertragung von Sportereignissen zu verfolgen und individuell Wetten abzuschließen.
77Ausgehend hiervon spricht nichts für die Befürchtung der Beklagten, dass in der Zukunft doch Live-Wetten angeboten werden könnten. Sollte dies indes der Fall sein, so würde es sich hierbei um eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung handeln. Dadurch würde die Bandbreite der bislang begehrten Baugenehmigung überschritten. In dem bisherigen Bauantrag ist eine solche Nutzung nicht angelegt. Dem könnte die Beklagte sodann – nach Anhörung – mittels einer Ordnungsverfügung begegnen.
78Bei der Wettannahmestelle handelt es sich ebenso mit Blick auf den von der Beklagten geltend gemachten Gesichtspunkt des Jugendschutzes nicht um einen im Kerngebiet unzulässigen „wesentlich störenden“ Gewerbebetrieb. Hierbei handelt es sich um ein spezialgesetzlich in § 13 Abs. 13 AG GlüstV NRW geregeltes Schutzgut. Vor dem Hintergrund, dass das Glücksspielrecht über entsprechende Eingriffsermächtigungen bei Verstößen gegen das Abstandsgebot verfügt, tritt hier schon aus Gründen der Spezialität das Bauplanungsrecht zurück. Zudem handelt es sich bei dem Jugendschutz nicht um einen bodenrechtlichen Belang.
79Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO.
80Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
81Rechtsmittelbelehrung
82Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
83Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
84Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
85Beschluss
86Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
8720.000,- Euro
88festgesetzt.
89Gründe
90Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Der festgesetzte Wert entspricht der Bedeutung der Sache.
91Rechtsmittelbelehrung
92Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.