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Die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 1829/25.A gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2025 (Gesch.-Z.: N01) unter Ziffer 5 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, werden der Antragsgegnerin auferlegt.
Gründe
2Der Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 1829/25.A gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2025 (Gesch.-Z.: N01) unter Ziffer 5 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen,
4ist begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides.
5Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß § 36 Abs. 3, § 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse der Asylsuchenden, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf das Verwaltungsgericht die Aussetzung der Abschiebung dabei nur dann anordnen, wenn nach der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Der Begriff der „ernstlichen Zweifel“ i. S. v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG entspricht dabei dem übereinstimmenden Begriff in Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG. Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darf danach nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhält.
6BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris, Rn. 99.
7Bei der gerichtlichen Überprüfung der Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet ist für das Eilverfahren erschöpfend zu prüfen, ob die Antragsgegnerin aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihr vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihr vorliegenden und zugänglichen Erkenntnismittel entschieden und in der Entscheidung klar zu erkennen gegeben hat, weshalb der Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, sowie, ob die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch weiterhin Bestand haben kann. Die schlichte Behauptung, der Asylantrag sei offensichtlich unbegründet, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
8Vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 11. Dezember 1985 – 2 BvR 361/83 –, juris, Rn. 50, und Beschluss vom 22. Oktober 2008 – 2 BvR 1819/07 –, juris, Rn. 12 sowie BVerfG, Beschluss vom 25. April 2018 – 2 BvR 2435/17 –, juris, Rn. 20; stattgebender Kammerbeschluss vom 25. Februar 2019 – 2 BvR 1193/18 –, juris, Rn. 18, 21.
9Mit Blick auf die gravierenden Folgen einer qualifizierten Ablehnung eines Asylantrages sind an die die Entscheidung des Bundesamtes tragende Begründung hohe Anforderungen zu stellen. Die hohen Begründungsanforderungen dienen der wirksamen Durchsetzung des materiellen Asylanspruchs in einem dafür geeigneten Verfahren und der Sicherung des von Art. 16a Abs. 1 GG grundsätzlich auch geschützten vorläufigen Bleiberechts des Asylbewerbers bzw. der Asylbewerberin. Sie sollen die Gewähr für die materielle Richtigkeit der Entscheidung verstärken.
10Vgl Heusch in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 43. Edition, Stand: 1. Oktober 2024, § 30 AsylG Rn. 48, m. w. N.
11Gegenstand des vorläufigen Rechtschutzes ist zunächst die Frage, ob einer der Tatbestände des § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 AsylG (das Offensichtlichkeitsurteil) vorliegt. Das Verwaltungsgericht darf sich nicht mit einer bloßen Prognose zur voraussichtlichen Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils begnügen, sondern muss die Frage – will es sie bejahen – erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren klären und insoweit über eine lediglich summarische Prüfung hinausgehen.
12Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2019 – 2 BvR 1193/18 –, juris, Rn. 20 f. (zum Offensichtlichkeitsurteil des früheren § 30 Abs. 1 AsylG); vgl. zum Maßstab vor dem Inkrafttreten von Art. 16a Abs. 4 GG für das Grundrecht auf Asyl auch: BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 1984 – 2 BvR 1413/83 –, juris, Rn. 40; einschränkend hingegen dann BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris, Rn. 98 ff.
13Daneben ist Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle, ob erhebliche Gründe dafürsprechen, dass der Verwaltungsakt aus anderen Gründen rechtswidrig ist (§ 36 Abs. 4 AsylG: „Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts“). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass der Asylantrag nicht unbegründet ist (§ 30 Abs. 1 AsylG am Anfang).
14Vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AsylG (Stand 20. Juni 2022), § 36 Rn. 112 ff.; Heusch, in: BeckOK, Ausländerrecht, 43. Edition (Stand 1. Oktober 2024), AsylG, § 30 Rn. 9.
15Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die vorzunehmende Interessenabwägung hier zugunsten des Antragstellers aus. Denn unter Würdigung des vorliegenden Akteninhalts und der sonstigen Erkenntnisse bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der ihr zugrundeliegenden Entscheidung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet.
16Es bestehen auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage jedenfalls erhebliche Zweifel daran, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Antragstellers zu Recht auf der Grundlage von § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG in der Fassung aufgrund des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54), in Kraft getreten am 27. Februar 2024, als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 AsylG) gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde. Diese Voraussetzungen sind hier zwar erfüllt. Es bestehen aber erhebliche Zweifel daran, dass die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers rechtmäßig war. Das Bundesamt führt zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller nach eigener Aussage die PKK in sozialen Medien unterstützt habe, weshalb sich die gegen ihn gerichtete Strafverfolgung keine Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a AsylG darstelle. Im Übrigen habe er die Echtheit der vorgelegten Dokumente nicht belegen können, da er nicht über einen UYAP-Zugang verfüge.
17Die vom Bundesamt in Bezug auf die Strafverfolgung wegen Terrorpropaganda vertretene Auffassung wird vom hier zur Entscheidung berufenen Einzelrichter in ständiger Rechtsprechung nicht geteilt. Im Hinblick auf politisierte Strafverfahren, wie es beim hier in Rede stehenden Straftatbestand der Propaganda für eine Terrororganisation der Fall ist, ist nach den vorliegenden Erkenntnisquellen davon auszugehen, dass die türkischen Gerichte keine Unabhängigkeit besitzen und ein rechtsstaatlichen Grundsätzen genügendes Verfahren bzw. eine faire Prozessführung nicht gewährleistet ist.
18Siehe insgesamt Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 20. Mai 2024 (im Folgenden: Lagebericht 2024), Stand: Januar 2024, S. 11 ff.; vgl. auch VG Bremen, Urteil vom 24. September 2021 – 2 K 813/19 –, juris, Rn. 26 ff.; vgl. zudem OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. Juli 2013 – 8 A 2632/06.A –, juris, Rn. 104 ff.
19Ausweislich der Länderinformation der Staatendokumentation Türkei des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) existiert vor allem bei Fällen von (vermeintlichem) Terrorismus und organisierter Kriminalität eine Missachtung grundlegender Garantien für ein faires Verfahren durch die türkische Justiz und es kommt zu einer sehr lockeren Anwendung des Strafrechts auf eigentlich rechtskonforme Handlungen, was zu einem Grad an Rechtsunsicherheit und Willkür führt, der das Wesen des Rechtsstaates gefährdet.
20Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei vom 22. September 2022 (BFA Länderinformation Türkei 2022), Version 6, S. 46; siehe auch VG Bremen, Urteil vom 24. September 2021 – 2 K 813/19 –, juris, Rn. 29.
21Die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern in der Ausübung ihrer Ämter wird danach tatsächlich durch einfachgesetzliche Regelungen und politische Einflussnahme (Druck auf Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte) unterlaufen.
22BFA Länderinformation Türkei 2022, S. 50.
23In Bezug auf die konkrete Entscheidungsfindung bestehen darüber hinaus erhebliche Defizite. So kommt es nach der Zusammenfassung des BFA zu einer „schablonenhaften Entscheidungsfindung“ ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall. Entscheidungen in massenhaft abgewickelten Verfahren betreffend Terrorismus-Vorwürfen leiden häufig unter mangelhaften rechtlichen Begründungen sowie lückenhafter und wenig glaubwürdiger Beweisführung. Zudem werden danach teilweise Beweise der Verteidigung bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt.
24BFA Länderinformation Türkei 2022, S. 51 f.; siehe auch VG Bremen, Urteil vom 24. September 2021 – 2 K 813/19 –, juris, Rn. 29.
25Schließlich ist auch regelmäßig davon auszugehen, dass ein bestehender Festnahmebefehl bei Rückkehr in die Türkei vollstreckt würde. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass die betroffene Person bereits am Flughafen identifiziert und zur Vollstreckung der Haftstrafe festgenommen würde. Denn bei der Einreise in die Türkei besteht eine allgemeine Personenkontrolle und es wird überprüft, ob ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder Ermittlungs- bzw. Strafverfahren anhängig sind.
26Siehe AA Lagebericht 2021, S. 23; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 2. Juli 2013 – 8 A 2632/06.A –, juris, Rn. 104 ff. (auch zur möglichen Gefahr von Misshandlungen bei einer bereits verurteilten Person); VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2013 – A 12 S 2023/11 –, juris, Rn. 31.
27Entgegen der Auffassung des Bundesamts ist bereits der Umstand, dass eine Person einem nicht rechtsstaatlichen und willkürlichen Strafverfahren ausgesetzt wird, von flüchtlingsschutzrechtlicher Relevanz; Maßnahmen in einem Strafverfahren, die grundlegenden rechtsstaatlichen Standards nicht genügen, stellen Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG dar. Auch der Unterstützer einer verbotenen Organisation wie der PKK hat mit anderen Worten ein Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK). Wenn ein Staat – wie hier die Türkei – nicht willens ist, in politisierten Strafverfahren rechtsstaatliche Grundsätze zu beachten, steht der betroffenen Person grundsätzlich Flüchtlingsschutz gemäß §§ 3 ff. AsylG zu.
28Aufgrund der vom Antragsteller vorgelegten Dokumente, die einen UYAP-Verifizierungscode aufweisen, bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass ihm ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zusteht. Es muss der weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, die Echtheit dieser Dokumente zu prüfen. Zu diesem Zweck wird der Antragsteller gehalten sein, sich um einen UYAP-Zugang zu bemühen, damit die Unterlagen und der Stand des strafgerichtlichen Verfahrens im Rahmen der mündlichen Verhandlung überprüft werden können.
29Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.