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Die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 56/25.A gegen die in Ziffer 5 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Dezember 2024 (Gesch.-Z.: N01) enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, werden der Antragsgegnerin auferlegt.
Gründe
2Der Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 56/25.A gegen die in Ziffer 5 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Dezember 2024 (Gesch.-Z.: N01) enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen,
4ist begründet. Es bestehen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides.
5Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß § 36 Abs. 3, § 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylsuchenden, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf das Verwaltungsgericht die Aussetzung der Abschiebung dabei nur dann anordnen, wenn nach der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Der Begriff der „ernstlichen Zweifel“ i. S. v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG entspricht dabei dem übereinstimmenden Begriff in Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG. Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darf danach nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhält.
6BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris, Rn. 99.
7Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die vorzunehmende Interessenabwägung hier zugunsten des Antragstellers aus. Denn unter Würdigung des vorliegenden Akteninhalts und der sonstigen Erkenntnisse bestehen jedenfalls im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung.
8Zwar ist die in Ziffer 4 des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamts getroffene Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, nicht zu beanstanden. Denn weder die mit Blick auf die bevorstehende Heirat mit der rumänischen Staatsangehörigen Frau T. Y. bestehenden familiären Belange, noch die wirtschaftliche Situation des Antragstellers vermögen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu begründen. Bei der Prüfung der nationalen Abschiebungsverbote sind lediglich zielstaatsbezogene Umstände zu berücksichtigen. Die familiäre Bindung des Antragstellers zu seiner Verlobten kann daher erst bei der Abschiebungsandrohung berücksichtigt werden. Auch die wirtschaftliche Situation des Antragstellers führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Zwar kann insofern nicht auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen werden. Denn das Bundesamt verhält sich hierzu nicht. Die Ausführungen des Bundesamts erschöpfen sich in textbausteinartigen Ausführungen zur allgemeinen wirtschaftlichen Situation in der Türkei. Befremdlich erscheinen die Ausführungen, wenn das Bundesamt auf Wirtschaftsdaten aus den Jahren 2016/2017 verweist. Inwieweit diese Ausführungen mit dem vorliegenden Fall zu tun haben, erschließt sich nicht. Ebenso befremdlich ist, dass das Bundesamt mit keinem Wort auf die konkrete Situation im Erdbebengebiet eingeht.
9Gleichwohl ist es auf der Grundlage der Ausführungen des Antragstellers für das Gericht nicht ersichtlich, dass er in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein wird, sein Existenzminimum zu erwirtschaften. Zwar trifft es zu, dass seine Heimatregion K. besonders stark vom Erdbeben im Februar 2023 betroffen war. Auch aus Fernseh- und Zeitungsberichten aus Februar 2024, die noch im Internet zu finden sind, geht hervor, dass der Wiederaufbau in der Region ein Jahr nach dem Erdbeben nur schleppend vorangegangen sei. Wie es aktuell im Erdbebengebiet mit dem Wiederaufbau aussieht, lässt sich auf die Schnelle nicht recherchieren. Selbst wenn es dem Antragsteller auch weiterhin nicht möglich sein sollte, in K. selbst ein Existenzminimum zu erwirtschaften, erschließt sich nicht, weshalb ihm dies nicht in einem anderen Landesteil möglich sein sollte. Dem Bundesamt ist jedenfalls insoweit zuzustimmen, dass es sich beim Antragsteller um einen gesunden Mann mit Berufserfahrung auf dem Bau handelt. Gerade in seiner Heimatregion dürfte aktuell ein hoher Bedarf an Bauarbeitern bestehen. Der Vortrag des Antragstellers, er habe es bislang nicht geschafft, eine Arbeit zu finden, ist vor diesem Hintergrund nicht plausibel.
10Die Abschiebungsandrohung ist dennoch zu beanstanden. Denn nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i. d. F. des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024, in Kraft getreten am 27. Februar 2024, sind bei Erlass der Abschiebungsandrohung unter anderem familiäre Bindungen zu berücksichtigen. Diese Belange standen zwar nicht im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung entgegen. Denn der Antragsteller hat in seiner Anhörung beim Bundesamt nichts von einer beabsichtigten Heirat erwähnt. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) stellt sich der Sachverhalt jedoch anders dar. Wie sich aus den vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen ergibt, steht die Heirat kurz bevor. Jedenfalls nach Maßgabe der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sowie unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber gewünschten Entscheidungsfrist von einer Woche (vgl. die mit Art. 97 Art. 1 GG nicht zu vereinbarende Vorschrift des § 36 Abs. 3 Satz 5 AsylG) ist daher von der Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung auszugehen.
11Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
12Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).