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Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 1 und 3 bis 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Oktober 2021 (Gesch.-Z.: N03) verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, werden der Beklagten auferlegt.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung abwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Die Klägerin besitzt die Staatsangehörigkeit der Republik Türkei. Sie verließ ihr Heimatland nach eigenen Angaben erstmals im Jahr 1995. Sie reiste am 0. September 0000 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. September 2017 einen Asylantrag.
3Das Bundesamt hörte die Klägerin am 21. September 2017 an. Hierbei trug sie im Wesentlichen vor: Ihr Heimatdorf hätten sie und ihrer Familie im Jahr 1993 verlassen. 1994 sei es total zerstört worden. Viele der Dorfbewohner seien verhaftet, gefoltert oder sogar getötet worden. Sie sei dann 1995 in den Nordirak gegangen und habe sich dort der PKK angeschlossen. Gekämpft für die PKK habe sie nicht. Sie habe u.a. als Küchenhilfe gearbeitet. Bei einem Bombenangriff der türkischen Armee auf das Dorf U. im Jahr 2000 habe sie ein Bein verloren und trage seitdem eine Prothese. Ihre Familie, die in der Türkei geblieben sei, habe sie für tot erklärt und für sie auch eine Sterbeurkunde ausstellen lassen. N04 habe sie im Nordirak geheiratet, zunächst nur religiös, im Jahr N05 dann auch standesamtlich. 2016 sei sie dann mit ihrem syrischen Ehemann in die Türkei zurückgekehrt. Dort sei sie etwa eine Woche gewesen. Dann seien sie weiter nach Bulgarien und dann nach Deutschland gereist.
4Mit Bescheid vom 9. November 2017 (Gesch.-Z.: N03) lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab und drohte die Abschiebung nach Bulgarien an. Das Verwaltungsgericht Aachen hob den Bescheid mit rechtskräftigem Urteil vom 21. Oktober 2020 auf (gerichtliches Aktenzechen: 8 K 5736/17.A).
5Mit Bescheid vom 26. Oktober 2021 (Gesch.-Z.: N03), der Klägerin am 5. November 2021 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin ab (Ziffer 2). Es erkannte weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffern 1 und 3). Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 4) und drohte die Abschiebung in die Türkei an (Ziffer 5). Es befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zwei Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus: Die Klägerin sei unverfolgt aus der Türkei ausgereist. Ein persönlich auf die Klägerin gerichteter Angriff sei auch im Zusammenhang mit der Zerstörung ihres Heimatdorfes nicht erkennbar. Auch drohe keine Verfolgung wegen der PKK-Mitgliedschaft der Klägerin. Sie sei lediglich als Küchenhilfe tätig gewesen. Seit N04 sei sie überhaupt nicht mehr tätig gewesen für die PKK. Sie sei auch nicht im Fahndungsregister eingetragen. Auch seien keine Ermittlungs- oder Strafverfahren gegen die Klägerin anhängig. In der Gesamtschau bestehe keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass die staatlichen Stellen der Türkei ein flüchtlingsrelevantes Interesse an der Klägerin hätten.
6Die Klägerin hat am 11. November 2021 Klage erhoben.
7Im Gerichtsverfahren legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. Juli 2024 Unterlagen zu Ermittlungs- bzw. Strafverfahren vor, die aktuell gegen sie in der Türkei anhängig seien.
8Die Klägerin beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 1 und 3 bis 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Oktober 2021 (Gesch.-Z.: N03) zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
10hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 3 bis 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Oktober 2021 (Gesch.-Z.: N03) zu verpflichten, ihr den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
11weiter hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung der Ziffern 4 bis 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Oktober 2021 (Gesch.-Z.: N03) zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Zur Begründung nimmt sie Bezug auf den angefochtenen Bescheid.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe
17Das Gericht konnte entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2025 nicht erschienen ist. Denn die Beklagte ist ordnungsgemäß geladen und auf diese Folge hingewiesen worden, § 102 Abs. 2 VwGO.
18Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamts vom 26. Oktober 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
19Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet.
20Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungs-gründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in den §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegen-de Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
21Eine Verfolgung i. S. d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
22Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 10 C 25/10 –, juris, Rn. 22; BVerwG, Urteil vom 20. Februar N05 – 10 C 23/12 –, ju-ris, Rn. 32; BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 37/18 –, juris, Rn. 13.
24Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
25Vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 20. Februar N05 – 10 C 23/12 –, juris, Rn. 32; BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 37/18 –, juris, Rn. 13.
26Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit; sie bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 37/18 –, juris, Rn. 13.
28Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den besteht die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie). Diese Vermutung kann aber wiederlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5.09 –, juris, Rn. 23; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 37/18 –, juris, Rn. 14.
30Es ist Sache des Asylbewerbers, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatland politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissenstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden.
31Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. August 1990 – 9 B 45.90 –, juris, Rn. 2; OVG NRW, Urteil vom 14. Februar 2014 – 1 A 1139/13.A –, juris, Rn. 35.
32Gemessen an diesen Grundsätzen konnte der Einzelrichter die Überzeugung gewinnen, dass der Klägerin bei Rückkehr in ihr Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Das Bundesamt ist auf Grundlage des nunmehrigen Sach- und Erkenntnisstands im Zeitpunkt der der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) im Ergebnis zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich eine begründete Verfolgungsfurcht im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG nicht feststellen lasse.
33Es besteht nach Überzeugung des Einzelrichters eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Klägerin bei Rückkehr in die Türkei die Festnahme und die Verhängung einer Gefängnisstrafe wegen des Vorwurfs, Propaganda für eine Terrororganisation betrieben zu haben, drohen. Es steht ferner zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass die bisher gegen die Klägerin eingeleiteten und die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden strafrechtlichen Maßnahmen Ausdruck politischer Verfolgung sind. Diese Überzeugung beruht auf den Einlassungen der Klägerin sowie den vorgelegten Dokumenten, insbesondere auf dem von der Klägerin vorgelegten Festnahmebefehl vom 00. Februar 0000, der vom Friedens-Strafgericht D. erlassen worden ist, sowie dem Beschluss der Oberstaatsanwaltschaft D. vom 00. Mai 0000 über die Zusammenführung zweier gegen die Klägerin betriebenen Ermittlungsverfahren, jeweils wegen des Vorwurfs der Propaganda für eine terroristische Vereinigung.
34Die Echtheit der von der Klägerin überreichten Dokumente steht zur Überzeugung des Einzelrichters fest. Zwar konnten diese in der mündlichen Verhandlung nicht anhand der auf den Dokumenten vorhandenen UYAP-Codes online über das UYAP-System verifiziert werden, weil die Klägerin nicht über einen eigenen Zugang zum e-Devlet-System der Türkei verfügt. Dass die Klägerin hierüber nicht verfügt, ist angesichts ihrer glaubhaft vorgetragenen Biographie indes für das Gericht nachvollziehbar. Die Echtheit der Dokumente ergibt sich aber aus dem Umstand, dass diese von dem in der Anwaltskammer in Van zugelassenen türkischen Rechtsanwalt T. übersandt worden sind. Die Klägerin hat die ordnungsgemäße Bevollmächtigung des vorgenannten Rechtsanwalts glaubhaft vorgetragen. Dafür, dass die vom Rechtsanwalt W. übersandten Dokumente nicht echt sein könnten, gibt es keine Anhaltspunkte.
35Im Hinblick auf politisierte Strafverfahren, wie es beim hier in Rede stehenden Straftatbestand der Propaganda für eine Terrororganisation der Fall ist, ist nach den vorliegenden Erkenntnisquellen davon auszugehen, dass die türkischen Gerichte keine Unabhängigkeit besitzen und ein rechtsstaatlichen Grundsätzen genügendes Verfahren bzw. eine faire Prozessführung nicht gewährleistet ist.
36Siehe insgesamt Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 20. Mai 2024 (im Folgenden: Lagebericht 2024), Stand: Januar 2024, S. 11 ff.; vgl. auch VG Bremen, Urteil vom 24. September 2021 – 2 K 813/19 –, juris, Rn. 26 ff.; vgl. zudem OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. Juli N05 – 8 A 2632/06.A –, juris, Rn. 104 ff.
37Ausweislich der Länderinformation der Staatendokumentation Türkei des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) existiert vor allem bei Fällen von (vermeintlichem) Terrorismus und organisierter Kriminalität eine Missachtung grundlegender Garantien für ein faires Verfahren durch die türkische Justiz und es kommt zu einer sehr lockeren Anwendung des Strafrechts auf eigentlich rechtskonforme Handlungen, was zu einem Grad an Rechtsunsicherheit und Willkür führt, der das Wesen des Rechtsstaates gefährdet.
38Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei vom 22. September 2022 (BFA Länderinformation Türkei 2022), Version 6, S. 46; siehe auch VG Bremen, Urteil vom 24. September 2021 – 2 K 813/19 –, juris, Rn. 29.
39Die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern in der Ausübung ihrer Ämter wird danach tatsächlich durch einfachgesetzliche Regelungen und politische Einflussnahme (Druck auf Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte) unterlaufen.
40BFA Länderinformation Türkei 2022, S. 50.
41In Bezug auf die konkrete Entscheidungsfindung bestehen darüber hinaus erhebliche Defizite. So kommt es nach der Zusammenfassung des BFA zu einer „schablonenhaften Entscheidungsfindung“ ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall. Entscheidungen in massenhaft abgewickelten Verfahren betreffend Terrorismus-Vorwürfen leiden häufig unter mangelhaften rechtlichen Begründungen sowie lückenhafter und wenig glaubwürdiger Beweisführung. Zudem werden danach teilweise Beweise der Verteidigung bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt.
42BFA Länderinformation Türkei 2022, S. 51 f.; siehe auch VG Bremen, Urteil vom 24. September 2021 – 2 K 813/19 –, juris, Rn. 29.
43Es ist schließlich auch davon auszugehen, dass der Festnahmebefehl bei Rückkehr der Klägerin in die Türkei vollstreckt würde. Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass die Klägerin bereits am Flughafen identifiziert und zur Vollstreckung der Haftstrafe festgenommen würde. Denn bei der Einreise in die Türkei besteht eine allgemeine Personenkontrolle und es wird überprüft, ob ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder Ermittlungs- bzw. Strafverfahren anhängig sind.
44Siehe AA Lagebericht 2021, S. 23; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 2. Juli N05 – 8 A 2632/06.A –, juris, Rn. 104 ff. (auch zur möglichen Gefahr von Misshandlungen bei einer bereits verurteilten Person); VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August N05 – A 12 S 2023/11 –, juris, Rn. 31.
45Da der Klägerin nach dem zuvor Gesagten ein Anspruch auf Flüchtlingsschutz zukommt, braucht über die gegenüber § 3 AsylG nachrangigen Gewährleistungen des § 4 AsylG und des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht mehr entschieden zu werden. Die weiteren negativen Entscheidungen wie die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG sind ebenfalls aufzuheben.
46Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83b AsylG.
47Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
48Rechtsmittelbelehrung
49Binnen eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen und die Zulassungsgründe im Sinne des § 78 Abs. 3 Asylgesetz darlegen.
50Der Antrag ist durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten zu stellen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.