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Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger je zur Hälfte.
Dieses Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Kläger sind gemeinsam in einer Wohneinheit einer Obdachlosenunterkunft der Beklagten untergebracht.
3Nach § 1 der Satzung der Beklagten über die Errichtung, Unterhaltung und Benutzung von Obdachlosenunterkünften vom 16.12.1970 unterhält die Beklagte die betreffende Obdachlosenunterkunft als nicht rechtsfähige Anstalt zur vorübergehenden Unterbringung obdachloser Personen. Gemäß § 2 der Satzung werden die Obdachlosenunterkünfte vom Amt für Soziales und Wohnen verwaltet. In den §§ 3 und 5 der Satzung sind das Benutzungsverhältnis und die Gebührenpflicht geregelt. Im Übrigen enthält die Satzung folgenden
4„§ 4: Benutzungsordnung
5Die Benutzer/-innen der Unterkünfte sind verpflichtet, die für ihre Unterkunft geltende Benutzungsordnung zu beachten und zu befolgen, sowie den Anordnungen der mit der Verwaltung der Unterkünfte von der Stadt Beauftragten Folge zu leisten.“
6Die aufgrund dieser Vorschrift erlassene Benutzungsordnung für die Obdachlosenunterkünfte der Beklagten enthält folgenden
7„§ 10
8Die Beauftragten des Amtes für Soziales und Wohnen üben das Hausrecht in den Obdachlosenunterkünften aus. Etwaigen Anordnungen des Amt [sic] für Soziales und Wohnen oder seiner Beauftragten ist Folge zu leisten. Bei Gefahr im Verzuge sind die Beauftragten berechtigt, im Rahmen der Gesetze die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.“
9Mit Rundschreiben vom 19.03.2024 informierte die Beklagte die Bewohnerinnen und Bewohner der Obdachlosenunterkunft der Kläger darüber, dass dort am 28.05.2024 Sperrmüll abgeholt werde. Zugleich stellte die Beklagte eine Nachschau im Juni 2024 in Aussicht und kündigte an, etwaige Gegenstände, die dann immer noch im Hausflur der Obdachlosenunterkunft gelagert seien, aus Gründen des Brandschutzes zu entsorgen und dem gesamten Haus die Kosten der Entsorgung in Rechnung zu stellen.
10Mit weiterem Rundschreiben vom 03.05.2024 kündigte die Beklagte ihre Absicht an, zur Überprüfung der Brandmeldeanlage, der in den Wohnungen befindlichen Brandmelder und der Heizungen am 15.05.2024 ab 13:00 Uhr eine Begehung aller Wohneinheiten vorzunehmen. Sie bat die Kläger darum, sicherzustellen, dass ihre Wohneinheit in dieser Zeit zugänglich sei, und bot zugleich an, dass die Kläger telefonisch einen anderen Termin für die Begehung vereinbaren könnten.
11Hierauf teilten die Kläger mit E-Mail vom 14.05.2024 mit, dass sie aufgrund eines plötzlichen Todesfalles in der Familie und eines schwerkranken Familienmitglieds (Vater des Klägers zu 1 und Ehemann der Klägerin zu 2) weder den Besichtigungstermin am 15.05.2024 noch einen anderen Termin in den nächsten Monaten wahrnehmen könnten. Sie würden sich zu gegebener Zeit wieder bei der Beklagten melden.
12Mit Schreiben vom 16.05.2024 teilte die Beklagte mit, dass die Kläger bei der Begehung der Häuser am 15.05.2024 nicht persönlich angetroffen worden seien und dass erneut beabsichtigt sei, zur Überprüfung der Brandmeldeanlage, der in den Wohnungen befindlichen Brandmelder und der Heizungen am 04.06.2024 ab 13:30 Uhr eine Begehung der Wohneinheit der Kläger vorzunehmen. Sie bat die Kläger darum, sicherzustellen, dass ihre Wohneinheit in dieser Zeit zugänglich sei, und teilte zugleich mit, dass sie beabsichtige, sich mit dem Ersatzschlüssel Zugang zu der Wohneinheit der Kläger zu verschaffen, falls diese erneut nicht anwesend sein sollten.
13Hierauf teilten die Kläger per E-Mail am 04.06.2024 um 02:02 Uhr mit, dass sie aufgrund eines dringenden Arzttermins und wegen ihres schwerkranken Vaters bzw. Ehemanns den Termin am 04.06.2024 leider nicht wahrnehmen könnten. Sie würden sich bezüglich eines neuen Termins wieder bei der Beklagten melden. Für den Fall, dass die Beklagte ohne ihr Einverständnis Hausfriedensbruch begehen sollte, sei die Polizei Bonn bereits informiert. Sie würden dann Strafanzeige erstatten und eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim zuständigen NRW-Ministerium einreichen.
14Die Beklagte führte am 04.06.2024 die Überprüfung der Brandmeldeanlage sowie der in der Wohnung der Kläger befindlichen Brandmelder und Heizungen wie in dem Schreiben vom 16.05.2025 angekündigt durch, indem sie sich mit dem Ersatzschlüssel Zugang zu der Wohneinheit der Kläger verschaffte.
15Die Kläger haben bereits am 29.05.2024 per E-Mail Klage erhoben und einen Eilantrag – 22 L 996/24 – gestellt. Ihr Begehren war ursprünglich darauf gerichtet, zu verhindern, dass die Beklagte ihnen Kosten für die Entsorgung von Gegenständen anderer Bewohner aus dem Hausflur ihrer Unterkunft in Rechnung stellen und ihre Wohneinheit am 04.06.2024 begehen würde. Am 03.06.2024 haben die Kläger einen unterschriebenen Ausdruck ihrer E-Mail bei Gericht eingereicht. Die damals zuständige 22. Kammer hat den Eilantrag am 24.06.2024 als inzwischen unzulässig abgelehnt. Am 05.07.2024 hat der Kläger zu 1 dem Gericht im Verfahren 22 L 996/24 mitgeteilt, dass er sich ohne Wissen der Klägerin zu 2 an das Gericht gewandt habe. Deren Unterschrift auf der Klage- bzw. Antragsschrift habe er gefälscht und die Post des Gerichts versteckt. Die Kläger haben mit Schreiben vom 11.10.2024 und vom 17.11.2024 erklärt, dass sie ihre Klage fortsetzen und auf ein Feststellungsbegehren umstellen. Mit handschriftlichem Schreiben vom 06.05.2025 hat die Klägerin zu 2 die unter ihrem Namen erfolgte Klageerhebung genehmigt. Am 13.06.2025 haben die Kläger ihre Klage insoweit zurückgenommen, als sie gegen die Erhebung von Kosten für die Entsorgung von Gegenständen gerichtet war.
16Die Kläger tragen vor, die Beklagte habe kein Recht gehabt, am 04.06.2024 gegen ihren Willen gewaltsam in ihre Notunterkunft einzudringen. Sie seien generell nicht einverstanden, dass Mitarbeiter der Beklagten ihre Wohneinheit beträten.
17Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
18festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt war, ihre Wohneinheit am 04.06.2024 zu begehen.
19Entscheidungsgründe
20Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
21Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
22Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg.
23Die Klage ist allerdings zulässig.
24Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Danach ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Die streitige Berechtigung der Beklagten zur Begehung der Wohneinheit der Kläger kann nur öffentlich-rechtlich sein, weil sie nur den öffentlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen entspringen kann, die zwischen den Klägern und der Beklagten durch die öffentlich-rechtliche Unterbringung in der Obdachlosenunterkunft bestehen.
25Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Nach dieser Norm kann durch Klage unter anderem die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn die Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Kläger begehren die Feststellung, dass ein Rechtsverhältnis, nämlich das Recht der Beklagten, ihre Wohneinheit am 04.06.2024 zu begehen, nicht bestand. Zudem haben sie ein berechtigtes Interesse an der Feststellung. Bei einem – wie hier – vergangenen Rechtsverhältnis besteht ein berechtigtes Feststellungsinteresse (gleichsam wie nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) bei Wiederholungsgefahr, bei Vorliegen eines Rehabilitationsinteresses, bei sich typischerweise kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriffen und bei der Absicht, einen Amtshaftungsprozess zu führen.
26Vgl. Marsch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 43 VwGO Rn. 35.
27Hier besteht zum einen Wiederholungsgefahr, weil die Beklagte die Wohnung der Kläger auch zukünftig regelmäßig zur Überprüfung der Brandmeldeanlage, der in der Wohneinheit befindlichen Brandmelder und der Heizungen begehen möchte. Sie hatte bereits für den 03.06.2025 die nächste Begehung angekündigt, mit der die Kläger nicht einverstanden sind, und sich dann im Verfahren 20 L 1399/25 verpflichtet, bis zum Abschluss der ersten Instanz des vorliegenden Verfahrens auf eine Begehung der Wohneinheit der Kläger zu verzichten.
28Zum andern ergibt sich das berechtigte Feststellungsinteresse der Kläger auch aus einem sich typischerweise kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriff, der zudem qualifiziert (tiefgreifend, gewichtig bzw. schwerwiegend) sein muss.
29BVerwG, Urt. v. 24.04.2024 – 6 C 2/22, juris, Rn. 22 ff.
30Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Beklagte hat tiefgreifend in das Grundrecht der Kläger aus Art. 13 Abs. 1 GG eingegriffen, indem ihre Mitarbeiter am 04.06.2024 in die Privatsphäre der Kläger eingedrungen sind, und dieser Eingriff hat sich kurzfristig mit Beendigung der Begehung erledigt.
31Vgl. BFH, Urt. v. 12.07.2022 – VIII R 8/19, juris, Rn. 18, wonach es nur dann an einem schwerwiegenden Eingriff fehlt, wenn das Betreten der Wohnung vom Willen des Berechtigten gedeckt ist.
32Insbesondere stellt die Wohneinheit der Kläger eine Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG dar. Obdachlosenunterkünfte werden grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG erfasst. Darunter fallen alle privaten Wohnzwecken gewidmete Räumlichkeiten, in denen der Mensch das Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden.
33Vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.09.2008 – 2 BvR 683/08, juris, Rn. 14; Beschl. v. 09.08.2019 – 2 BvR 1684/18, juris, Rn. 29; VGH BW, Urt. v. 02.02.2022 – 12 S 4089/20, juris, Rn. 104.
34Neben der subjektiven Bestimmung des Raumes zu Wohnzwecken ist erforderlich, dass die räumliche Privatsphäre nach außen als solche erkennbar ist. Entscheidend für die Beurteilung des Vorliegens eines von Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Raumes ist die konkret rechtlich und tatsächlich vorgefundene Situation, ohne dass es darauf ankäme, auf welchen Rechtsverhältnissen die Nutzung des Raumes beruht,
35vgl. VGH BW, Urt. v. 02.02.2022 – 12 S 4089/20, juris, Rn. 104; VG Stuttgart, Urt. v. 18.02.2021 – 1 K 9602/18, juris, Rn. 53, 59 m. w. N.; Papier, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG (Stand: 10/2024), Art. 13 Rn. 12.
36Gemessen an diesen Maßstäben sind jedenfalls abgeschlossene Wohneinheiten in Obdachlosenunterkünften – wie die der Kläger – Wohnungen im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG. Denn die Bewohner richten sich in solchen Wohneinheiten – wenn auch bestimmungsgemäß nur vorübergehend – wohnlich ein und können sie nach außen hin abschließen.
37OVG Berlin, Beschl. v. 08.02.1989 – 6 S 150/88, NVwZ-RR 1990, 194 (195); vgl. auch Hess. VGH, Beschl. v. 26.10.1990 – 4 TH 1480/90, juris, Rn. 28 ff.
38Die Klage ist jedoch nicht begründet.
39Die Beklagte war berechtigt, die Wohneinheit der Kläger am 04.06.2024 zu begehen.
40Diese Berechtigung folgt aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten öffentlich-rechtlichen Hausrecht als Teil der Anstaltsgewalt (Ordnungsgewalt) der Beklagten. Danach ist die Beklagte, genauer das nach § 2 der o. g. Satzung für die Verwaltung der Obdachlosenunterkünfte zuständige Amt für Soziales und Wohnen, als öffentlicher Sachherr des Gebäudes, in dem die Kläger untergebracht sind, nach pflichtgemäßem Ermessen zu Maßnahmen berechtigt, die zur Gewährleistung der widmungsgemäßen Funktionsfähigkeit der Obdachlosenunterkunft und zur Aufrechterhaltung der Ordnung geeignet, erforderlich und angemessen sind.
41Vgl. allgemein zum Hausrecht BVerfG, Beschl. v. 14.03.2012 ‒ 2 BvR 2405/11, juris, Rn. 24; BVerwG, Beschl. v. 17.05.2011 ‒ 7 B 17.11, juris, Rn. 8; OVG NRW, Beschl. v. 10.01.2022 – 13 B 17/22, juris, Rn. 12; Beschl. v. 29.03.2018 – 4 B 232/18, juris, Rn. 8; Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 3. Aufl. 1998, S. 36; Witthohn, Gewohnheitsrecht als Eingriffsermächtigung, 1997, S. 76 m. w. N.
42Das öffentlich-rechtliche Hausrecht beruht auf dem allgemeinen Gedanken, dass Hoheitsträger ermächtigt sind, in ihren Räumlichkeiten Ordnungsmaßnahmen gegen Störer zu ergreifen, um die Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben sicherzustellen. Danach steht dem Hoheitsträger im Sinne eines Annexes zu seiner Sachkompetenz auch die Ausübung der Ordnungsgewalt in seinem Sachbereich zu. Dieser Gedanke ist auch in den vereinzelt vorhandenen gesetzlichen Regelungen zum Hausrecht erkennbar,
43vgl. Knoke, AöR 1969, 388 (400 f.).
44Teilweise wird eine Annex-Kompetenz auch selbst als Rechtsgrundlage für Hausrechtsmaßnahmen herangezogen,
45vgl. OVG NRW, Urt. v. 14.10.1988 – 15 A 188/86, juris, Rn. 7; OVG Hamburg, Beschl. v. 17.10.2013 – 3 So 119/13 , juris, Rn. 10; OVG Bremen, Beschl. v. 26.02.2021 – 1 B 440/20, juris, Rn. 17,
46in der unmittelbaren Anwendung einer Kompetenznorm liegt jedoch ein unzulässiger Schluss von der Aufgabe auf die Befugnis.
47Als Ermächtigungsgrundlage ist das öffentlich-rechtliche Hausrecht nur deshalb zu akzeptieren, weil die Befugnisse aus der öffentlichen Sachherrschaft seit jeher eine von einer einheitlichen Rechtsüberzeugung der Gemeinschaft getragene Übung darstellen und deshalb zu Gewohnheitsrecht erstarkt sind,
48vgl. schon das Preußische OVG, Urt. v. 09.11.1887, Rep. I. A. 46/87, PrOVGE 15, 439 (442 f.) und das Bezirksverwaltungsgericht für den amerikanischen Sektor von Berlin, Urt. v. 01.04.1949 – 1 B 24.49, DVBl. 1950, 245 f.; s. auch Knoke, in: AöR 1969, 388 (398).
49Es handelt sich um vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht,
50vgl. zu diesem Erfordernis Beaucamp, JA, 2003, 231 (233),
51das auch nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes weiter Geltung beansprucht, obwohl es dem rechtsstaatlichen Vorbehalt des formellen Gesetzes nicht entspricht. Nach Art. 123 Abs. 1 GG gilt Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages fort, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht.
52„Recht“ im Sinne des Art. 123 Abs. 1 GG ist auch Gewohnheitsrecht.
53Vgl. Jasper, in: Sachs, GG, 10. Aufl. 2024, Art. 123 Rn. 5 m. w. N.
54Ferner ist die Voraussetzung des Art. 123 Abs. 1 GG erfüllt, dass das gewohnheitsrechtlich anerkannte öffentlich-rechtliche Hausrecht dem Grundgesetz nicht widerspricht. Art. 123 Abs. 1 GG hindert nur solches Recht an einer Fortgeltung, das den materiellen (inhaltlichen) Anforderungen des Grundgesetzes nicht entspricht,
55vgl. Jasper, in: Sachs, GG, 10. Aufl. 2024, Art. 123 Rn. 10 m. w. N.,
56hingegen bleiben formelle Mängel wie etwa die mangelnde Rechtsnatur als formelles Gesetz außer Betracht,
57vgl. BVerfGE 15, 226 (233).
58Das gewohnheitsrechtlich anerkannte Hausrecht widerspricht insbesondere, auch soweit es den Sachherrn zum Betreten einer Obdachlosenunterkunft zwecks Überprüfung der Brandmeldeanlage, der in der Unterkunft befindlichen Brandmelder und der Heizungen berechtigt, nicht den materiellen Anforderungen des Art. 13 GG.
59Das bloße Betreten stellt keine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG dar. Allerdings erfüllt die von der Beklagten bezweckte Überprüfung der Brandmeldeanlage, der in der Unterkunft befindlichen Brandmelder und der Heizungen nicht die Voraussetzungen der qualifizierten Schranke des Art. 13 Abs. 7 GG (Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher).
60Jedoch ist Art. 13 GG dahingehend auszulegen, dass die Ausübung des Hausrechts des öffentlichen Sachherrn in einer Obdachlosenunterkunft keinen Eingriff oder Beschränkung im Sinne des Art. 13 Abs. 7 GG darstellt und deshalb nicht der qualifizierten Schranke unterliegt. Vielmehr sind solche Maßnahmen gerechtfertigt, wenn dem Schrankenvorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG Genüge getan ist und die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit beachtet wurden.
61Eine Auslegung des Art. 13 GG dahingehend, dass Betretensrechte, die bereits vor Inkrafttreten des Grundgesetzes gewohnheitsrechtlich anerkannt waren, entgegen dem Wortlaut des Art. 13 GG weiter bestehen, wurde schon früh nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes vorgeschlagen. Denn es ist anzunehmen, dass das Grundgesetz an den zuvor anerkannten Eingriffsmöglichkeiten nichts ändern sollte.
62Vgl. Kern, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II, 1954, S. 108.
63Vielmehr wurden diese Betretensrechte bei der Formulierung des Schrankenvorbehalts erkennbar nicht bedacht und der qualifizierte Schrankenvorbehalt des Art. 13 Abs. 7 GG ist ersichtlich zu eng.
64Diesen Gedanken hat auch das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Geschäfts- und Betriebsräume aufgegriffen und diese zu Wohnungen im engeren Sinne abgegrenzt, in denen dem Einzelnen das Recht zusteht, „in Ruhe gelassen zu werden“,
65Beschl. v. 13.10.1971 – 1 BvR 280/66, juris, Rn. 50 ff.
66Die Kammer greift diese Überlegung ebenfalls auf, allerdings nicht in dem Sinne, dass eine Obdachlosenunterkunft keine Wohnung im engeren Sinne wäre und ihr generell nicht der Schutz des Art. 13 Abs. 7 GG, sondern nur der Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG zukäme, wie er ähnlich für Betriebs- und Geschäftsräume gilt,
67vgl. VGH BW, Urt. v. 28.03.2022 – 1 S 1265/21, juris, Rn. 88; anders nachgehend BVerwG, Urt. v. 15.06.2023 – 1 C 10/22, juris, Rn. 22.
68Erst recht geht die Kammer nicht so weit, anzunehmen, dass Art. 13 GG sich insgesamt nicht gegen den Anstaltsherrn richte, der von seinen öffentlich-rechtlichen Befugnissen im Rahmen der Anstaltsgewalt Gebrauch mache,
69vgl. OLG Bremen, Urt. v. 20.04.1966 – Ss 27/66, NJW 1966, 1766 (1767),
70zumal die Lehre des besonderen Gewaltverhältnisses, wonach die Ausübung der Grundrechte in einer Obdachlosenunterkunft von vornherein ausgeschlossen gewesen sei, mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist,
71vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 26.10.1990 – 4 TH 1480/90, juris, Rn. 26.
72Vielmehr geht die Kammer davon aus, dass Art. 13 Abs. 1 bis 6 GG für Nutzer einer Obdachlosenunterkunft uneingeschränkt gilt und auch der Schutzzweck des Art. 13 Abs. 7 GG im Verhältnis zu allen anderen staatlichen Stellen voll durchgreift – allerdings insoweit mit Ausnahme des Trägers der Obdachlosenunterkunft.
73Diese Einschränkung des Schutzes lediglich des Art. 13 Abs. 7 GG und nur gegenüber dem Träger der Obdachlosenunterkunft folgt daraus, dass das Entstehen einer räumlichen Privatsphäre i. S. des Art. 13 Abs. 1 GG überhaupt erst durch eine Leistung des Trägers der Obdachlosenunterkunft ermöglicht wird, die von vornherein unter dem Vorbehalt des Hausrechts des Sachherrn gewährt wird. Das Entstehen des grundrechtlichen Schutzes aus Art. 13 Abs. 1 GG ist gewissermaßen von vornherein belastet mit dem öffentlich-rechtlichen Hausrecht.
74Dieser Rechtsgedanke manifestiert sich im vorliegenden Fall zum einen in den Regelungen des § 4 der o. g. Satzung sowie des § 10 der o. g. Benutzungsordnung und zum anderen in dem Umstand, dass die Beklagte als Sachherr der Unterkunft über einen Ersatzschlüssel für die Wohneinheit der Kläger verfügt.
75Hinzu kommt, dass die Einweisung in eine Obdachlosenunterkunft zur Vermeidung drohender oder bereits eingetretener unfreiwilliger Obdachlosigkeit ihrer Natur nach immer vorübergehend ist und bleibt, selbst wenn sie länger andauert. Vor diesem Hintergrund begründet die Einweisung in eine Obdachlosenunterkunft keinen Besitzstand an der gewährten Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG und insbesondere keinen Anspruch darauf, in der konkreten Wohneinheit belassen zu werden. Vielmehr kann die Ordnungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen beispielsweise eine Verlegung in eine andere Unterkunft verfügen,
76vgl. Hess. VGH, Urt. v. 07.03.2011 – 8 B 217/11, juris, Rn. 28,
77wodurch eine Wohnung i. S. des Art. 13 Abs. 1 GG aufhört zu existieren und eine neue gewährt wird, ohne dass hierin ein Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG zu sehen wäre,
78vgl. hierzu U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 35 Rn. 134, wonach als Rechtsgrundlage für Maßnahmen gegenüber einem zugelassenen Nutzer einer öffentlichen Einrichtung oder Anstalt eine besondere Anstaltsgewalt in Betracht komme – lediglich für ein Hausverbot sei ein vorheriger Widerruf der Zulassung notwendig.
79Ohne dass es hierauf ankäme, weist die Kammer darauf hin, dass § 14 Abs. 1 OBG NRW keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die hier streitige Maßnahme war. Diese Norm ist sachfremd, wenn es um die Befugnis eines Hoheitsträgers geht, als Sachherr die Ordnung und Funktionsfähigkeit in seiner eigenen Einrichtung aufrechtzuerhalten. Bei anstaltlich verwalteten öffentlichen Sachen ist die hausrechtliche Befugnis zur Abwehr von Störungen und zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Anstalt spezieller als die Befugnis einer Ordnungsbehörde zur Abwehr von Störungen der allgemeinen Ordnung. Zudem ist es als Zufall anzusehen, dass die Beklagte zugleich die zuständige örtliche Ordnungsbehörde ist (§ 3 Abs. 1 OBG NRW), was beispielsweise daran deutlich wird, dass im Asylbereich zahlreiche Aufnahmeeinrichtungen nicht von Kommunen, sondern unmittelbar von den Ländern betrieben werden, die sich zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Funktionsfähigkeit ihrer Einrichtungen nicht auf eine Zuständigkeit als örtliche Ordnungsbehörde berufen können. Im vorliegenden Fall zeigt sich die Sachfremdheit des § 14 OBG NRW zudem daran, dass nicht etwa das Ordnungsamt der Beklagten, das zum Dezernat für allgemeine Verwaltung, Digitalisierung und Ordnung gehört, sondern das dem Dezernat für Schule, Soziales und Jugend zugeordnete Amt für Soziales und Wohnen gehandelt hat. Eine Beteiligung des Ordnungsamtes ist nicht ersichtlich. Ohnehin obliegt die Verwaltung der Obdachlosenunterkünfte der Beklagten nach § 2 der o. g. Satzung ausdrücklich dem Amt für Soziales und Wohnen und üben nach § 10 der o. g. Benutzungsordnung ausdrücklich die Beauftragten des Amtes für Soziales und Wohnen das Hausrecht in den Obdachlosenunterkünften aus.
80Auf der Grundlage des gewohnheitsrechtlich anerkannten Hausrechts war die Beklagte berechtigt, die Wohneinheit der Kläger am 04.06.2024 zu begehen. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat den widmungsgemäßen Zweck verfolgt, die Funktionsfähigkeit der Brandmeldeanlage, der in der Wohnung der Kläger befindlichen Brandmelder und der Heizungen aufrechtzuerhalten. Hierfür war das Betreten der Wohneinheit der Kläger am 04.06.2024 geeignet, erforderlich und angemessen. Die Erforderlichkeit des Betretens der Wohneinheit der Kläger gegen deren Willen folgt insbesondere daraus, dass die Kläger bereits anlässlich des ersten Rundschreibens vom 03.05.2024 einen Termin für eine unangemessen lange Zeit verweigert haben und dann nach dem erneuten Schreiben der Beklagten vom 16.05.2024 keine Bereitschaft zu einer konkreten Terminvereinbarung gezeigt haben. Vielmehr ließen die E-Mails der Kläger erkennen, dass diese grundsätzlich nicht bereit waren, ihre Wohneinheit für die notwendigen Wartungsarbeiten zugänglich zu machen. Das Betreten der Wohneinheit der Kläger gegen deren Willen stand auch nicht außer Verhältnis zum damit verfolgten Zweck, sondern war den Klägern zumutbar, zumal die Beklagte den Klägern ihre Vorgehensweise und den konkreten Termin angekündigt hatte, so dass diese sich darauf einstellen konnten.
81Die Kostenentscheidung folgt, soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, aus § 155 Abs. 2 VwGO und im Übrigen aus § 154 Abs. 1 VwGO, ferner aus § 159 Satz 1 VwGO i. V. mit § 100 ZPO.
82Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. mit § 708 Nr. 11, § 711 und 709 Satz 2 ZPO.
83Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
84Rechtsmittelbelehrung
85Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich Berufung eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
86Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Mün-ster schriftlich einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
87Die Berufung ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
88Beschluss
89Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
905.000 Euro
91festgesetzt.
92Gründe
93Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 GKG. Der festgesetzte Wert entspricht dem Auffangstreitwert.
94Rechtsmittelbelehrung
95Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.