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Der Festsetzungsbescheid vom 09.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2021 wird insoweit aufgehoben, als er Elternbeiträge für den Zeitraum August 2021 bis Juli 2022 festsetzt.
Die Beklagte wird verurteilt, die zu viel gezahlten Elternbeiträge nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zurückzuzahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
2Die Kläger sind die Eltern von der am 00.00.2017 geborenen Z. U. und der am 00.00.2020 geborenen B. J.. Ab dem 01.08.2021 wurden beide Kinder in der Kita C.-straße 000 in E. betreut.
3Mit Festsetzungsbescheid vom 09.02.2021 setzte die Beklagte für den Zeitraum Februar 2021 bis August 2024 Elternbeiträge fest. Darin wurden beide Kinder ab dem 01.08.2022 beitragsfrei gestellt.
4Hiergegen legten die Kläger Widerspruch ein. Sie machten geltend: Z. U. sei am 00.00.2017 geboren und vollende daher ihr viertes Lebensjahr am 30.09.2021. Daher sei schon ab dem 01.08.2021 entsprechend der einschlägigen Regelungen kein Elternbeitrag mehr zu zahlen.
5Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
6Am 10.08.2021 haben die Kläger Klage erhoben. Sie tragen vor: Gemäß § 3 Abs. 2 der einschlägigen Elternbeitragssatzung i.V.m. § 50 Abs. 1 Kibiz NRW sei die Inanspruchnahme von Angeboten in Kindertageseinrichtungen durch Kinder, die bis zum 30. September das vierte Lebensjahr vollendet haben würden, ab Beginn des im selben Kalenderjahr beginnenden Kindergartenjahres bis zur Einschulung beitragsfrei. Gemäß § 26 Absatz 1 SGB X i.V.m. §§ 187 ff. BGB ende das vierte Lebensjahr von Z. U. mit dem Ablauf des Tages, welcher dem Tag vorhergehe, der durch seine Benennung dem Anfangstag der Frist entspreche, vorliegend also mit Ablauf des Vortages des tatsächlichen Geburtstages, mithin mit Ablauf des 30.09.2021. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte zur Begründung ihrer Auffassung § 35 Abs. 1 Schulgesetz NRW heranziehe. Danach beginne die Schulpflicht für Kinder, die bis zum Beginn des 30. September das sechste Lebensjahr vollendet hätten, am 1. August desselben Kalenderjahres. Weder in der Satzung noch in § 50 Abs. 1 Kibiz NRW sei die Rede vom Beginn des 30. September. Es komme nicht auf den Geburtstag, sondern auf die Vollendung des vierten Lebensjahres an. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass der Gesetzgeber in der Regel die letzten beiden Kindergartenjahre vor der Einschulung habe beitragsfrei stellen wollen. Der Gesetzgeber habe gesehen, dass eine Abweichung davon bei zurückgestellten Kindern möglich sei und die Elternbeitragsfreiheit ausnahmsweise auch drei Jahre betragen könne. Er habe die am 1. Oktober geborenen Kinder nicht ausschließen wollen.
7Die Kläger beantragen (sinngemäß),
8den Festsetzungsbescheid vom 09.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2021 insoweit aufzuheben, als er Elternbeiträge für den Zeitraum August 2021 bis Juli 2022 festsetzt,
9die Beklagte zu verurteilen, die zu viel gezahlten Elternbeiträge nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zurückzuzahlen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie bezieht sich auf die angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor: Trotz des leicht voneinander abweichenden Wortlauts seien die Stichtagsregelungen im Kibiz und im SchulG inhaltlich gleichlaufend. Demnach gelte für Kinder, die am 1. Oktober vier Jahre alt würden, die Elternbeitragsfreiheit erst ab dem darauf folgenden Kindergartenjahr. Die Auslegung der Kläger entsprechend der §§ 187 BGB ff. werde durch eine gesetzeskonforme Auslegung des § 50 Kibiz NRW sowie § 35 Abs. 1 SchulG NRW verdrängt. Wären auch Kinder, die am 1. Oktober vier Jahre alt würden, beitragsfrei, so fiele die Beitragsfreiheit und die Schulpflicht auseinander. Denn diese Kinder seien drei Jahre beitragsfrei, wenn sie nicht als sogenannte „Kann“- Kinder bereits nach zwei beitragsfreien Jahren eingeschult würden. Es entspreche dem Willen des Gesetzgebers nur zwei Jahre vor der Einschulung beitragsfrei zu gestalten.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach– und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe
15Die zulässige Klage ist begründet.
16Der Festsetzungsbescheid vom 09.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2021 ist – soweit er angefochten ist – teilweise rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
17Die Beklagte hat zu Unrecht Elternbeiträge für den Zeitraum August 2021 bis Juli 2022 festgesetzt. In diesem Zeitraum waren die Kinder der Kläger von der Beitragspflicht befreit.
18Rechtsgrundlage der Festsetzung der Elternbeiträge für den streitgegenständlichen Zeitraum ist § 90 Abs. 1 SGB VIII i. V. m. § 51 Abs. 1 KiBiz NRW i.V.m. der Satzung der Beklagten zur Erhebung von Elternbeiträgen für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindertageseinrichtungen, Tagespflege und in offenen Ganztagsschulen im Primarbereich vom 05.04.2019 in der Fassung der Änderungssatzung vom 24.06.2020 (im Folgenden: EBS).
19Gemäß § 3 Abs. 2 EBS ist gemäߧ 50 Abs. 1 des KiBiz NRW die Inanspruchnahme von Angeboten in Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege durch Kinder, die bis zum 30. September das vierte Lebensjahr vollendet haben werden, ab Beginn des im selben Kalenderjahr beginnenden Kindergartenjahres bis zur Einschulung beitragsfrei. Die in § 3 Abs. 2 dieser Satzung genannten Kinder gelten als beitragspflichtig i.S. von § 3 Abs. 1 dieser Satzung. Für zeitgleich in einer Kindertageseinrichtung oder Tagespflegestelle betreute Geschwister dieser Kinder werden grundsätzlich keine Elternbeiträge erhoben. (§ 3 Abs. 3 EBS)
20Hiervon ausgehend sind ab dem 01.08.2021 für beide Kinder keine Elternbeiträge zu zahlen. Zunächst liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 EBS vor. Z. U. hatte bis zum 30.09.2021 das vierte Lebensjahr vollendet. Maßgeblich für die Berechnung des Fristendes ist § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 BGB. Danach begann das vierte Lebensjahr von Z. U. am 01.10.2020 und endete mit dem Ablauf des Tages, welcher dem Tag vorherging, der durch seine Benennung dem Anfangstag der Frist entsprach, vorliegend also mit Ablauf des Vortages des Geburtstages, dem 30.09.2021.
21Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die § 50 Abs. 1 Kibiz NRW entsprechende Satzungsregelung auch nicht dahingehend auszulegen, dass – wie in § 35 Abs. 1 SchulG NRW geregelt – die Regelung nur auf Kinder Anwendung findet, die bis zum Beginn des 30. September das vierte Lebensjahr vollendet haben. Der klare und unmissverständliche Wortlaut der Vorschrift, in der das Wort „Beginn“ fehlt, bildet hier die Auslegungsgrenze. Die wortgetreue Auslegung führt auch nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis, das vom Gesetzgeber so nicht beabsichtigt sein kann.
22Entgegen der Auffassung der Beklagten ging der Gesetzgeber nicht davon aus, dass ausnahmslos nur die letzten zwei Jahre vor der Einschulung beitragsfrei werden. So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 50 Abs. 1 Kibiz NRW: „Mit der Regelung wird ein weiteres Kindergartenjahr und damit in der Regel die letzten beiden Jahre vor der Einschulung beitragsfrei. Dies führt zu einer spürbaren Entlastung der Eltern. Werden Kinder aus erheblichen gesundheitlichen Gründen nach § 35 Absatz 3 des Schulgesetzes NRW für ein Jahr zurückgestellt, so kann die Elternbeitragsfreiheit nach Satz 1 ausnahmsweise auch drei Jahre betragen.“
23Vgl. Landtagsdrucksachen 17/6726, Seite 123.
24Schon aus dem Zusatz „in der Regel“ aber auch dadurch, dass die aus gesundheitlichen Gründen zurückgestellten Kinder (beispielhaft) erwähnt werden, wird deutlich, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass der beitragsfreie Zeitraum in bestimmten Konstellationen auch drei Jahre betragen kann. Im Übrigen betrifft die hier greifende Beitragsfreiheit für Kinder, die am 1. Oktober geboren sind, eine überschaubare Anzahl von Fällen.
25Liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 EBS für Z. U. ab dem 01.08.2021 demnach vor, ergibt sich die entsprechende Beitragsfreiheit für B. J. aus § 3 Abs. 3 EBS.
26Erweist sich die mit dem streitgegenständlichen Bescheid erfolgte Beitragsfestsetzung danach in dem angefochtenen Umfang als rechtswidrig, haben die Kläger auch einen Anspruch auf die ausdrücklich beantragte Rückzahlung der aufgrund des rechtswidrigen Bescheides bereits an die Beklagte gezahlten Beiträge in Höhe von insgesamt 12.048 Euro. Dieses Leistungsbegehren kann gleichzeitig mit der Anfechtung des entsprechenden Bescheides verfolgt werden (§ 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO) und ist hier in der Sache erfolgreich. Mit Blick auf die zu Unrecht festgesetzten Beiträge besteht ein öffentlich-rechtlicher Folgenbeseitigungsanspruch. Die Kläger können ferner die geltend gemachten Zinsen beanspruchen. Die Höhe der Prozesszinsen richtet sich, da eine gesetzliche Regelung für öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsansprüche nicht existiert, nach den entsprechend anwendbaren Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über Verzugszinsen. Danach beträgt der Verzugszinssatz für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§ 291 Satz 2 BGB i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) ab Rechtshängigkeit.
27Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.
28Rechtsmittelbelehrung
29Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
30Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
31Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.