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1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
21.
3Der Antrag der Antragstellerin,
4den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihr in sämtlichen schriftlichen Abiturprüfungen der Leistungskurse eine zusätzliche Arbeitszeit von 25 Minuten sowie in sämtlichen schriftlichen Abiturprüfungen der Grundkurse eine zusätzliche Arbeitszeit von 20 Minuten zu gewähren, bis über ihren Antrag auf Nachteilsausgleich erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entschieden worden ist,
5hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
6Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn sie aus anderen Gründen erforderlich ist. Insoweit sind ein Anordnungsanspruch und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung – ZPO). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
7Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr gegen den Antragsgegner ein Anspruch auf die Gewährung eines Nachteilsausgleichs in der begehrten Form zusteht.
8Die Gewährung von Nachteilsausgleichen in der gymnasialen Oberstufe, die die Antragstellerin besucht, richtet sich nach § 13 Abs. 7, Abs. 8 der Verordnung über den Bildungsgang und die Abiturprüfung in der gymnasialen Oberstufe (APO-GOSt). Soweit es die Behinderung oder der sonderpädagogische Förderbedarf einer Schülerin oder eines Schülers erfordert, kann gemäß § 13 Abs. 7 Satz 1 APO-GOSt die Schulleiterin oder der Schulleiter Vorbereitungszeiten und Prüfungszeiten angemessen verlängern und sonstige Ausnahmen vom Prüfungsverfahren zulassen. Entsprechendes gilt gemäß § 13 Abs. 7 Satz 2 APO-GOSt bei einer besonders schweren Beeinträchtigung des Lesens und Rechtschreibens. In der schriftlichen Abiturprüfung entscheidet dabei gemäß § 13 Abs. 8 Satz 1 APO-GOSt an Stelle der Schulleiterin oder des Schulleiters die obere Schulaufsichtsbehörde über die Gewährung von Nachteilsausgleichen.
9Diese Regelungen sind eine Ausprägung des verfassungsrechtlichen Gebots der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Ein Prüfling, dessen Fähigkeit erheblich beeinträchtigt ist, sein vorhandenes schulisches Leistungsvermögen darzustellen, hat unmittelbar aufgrund dieses Gebots einen Anspruch auf Änderung der einheitlichen äußeren Prüfungsbedingungen für seinen jeweiligen Einzelfall (Nachteilsausgleich). Er kann von der Prüfungsbehörde Ausgleichsmaßnahmen verlangen, die seinen Schwierigkeiten Rechnung tragen, seine vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten unter Geltung der einheitlichen Prüfungsbedingungen darzustellen. Dieser Nachteilsausgleich ist erforderlich, um chancengleiche äußere Bedingungen für die Erfüllung der Leistungsanforderungen herzustellen. Aus diesem Grund muss die Ausgleichsmaßnahme im Einzelfall nach Art und Umfang so bemessen sein, dass sie den Nachteil ausgleicht, aber nicht „überkompensiert“. Hingegen besteht kein Anspruch auf einen Nachteilsausgleich, wenn die krankheitsbedingte Beeinträchtigung des Prüflings nicht oder nicht nur sein Darstellungsvermögen, sondern (ggf. darüber hinaus) sein vom Prüfungszweck erfasstes Leistungsvermögen selbst betrifft. Das kann insbesondere bei Dauerleiden der Fall sein, die als persönlichkeitsbedingte Eigenschaften des Prüflings im Gegensatz zu sonstigen krankheitsbedingten Leistungsminderungen seine generelle Leistungsfähigkeit prägen.
10Vgl. zum Ganzen Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 29.07.2015 – 6 C 35.14 –, juris, Rn. 16; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 09.08.2023 – 19 B 539/23 –, juris, Rn. 5 ff.; Beschluss vom 31.05.2021 – 19 B 943/21 –, juris, Rn. 3 ff.
11Nach diesem Maßstab kann die Antragstellerin den geltend gemachten Nachteilsausgleich aller Voraussicht nach nicht beanspruchen.
12Zunächst kann sie sich nicht mit Erfolg auf eine isolierte Rechtschreibschwäche berufen. Insoweit hat sie bereits kein aussagekräftiges fachärztliches Attest, sondern im Wesentlichen eine Förderdiagnostik des Instituts für Legastheniker-Therapie aus dem Jahr 2020 sowie drei Bescheinigungen eines dort tätigen Akademischen Lerntherapeuten vom 15.11.2021, vom 02.08.2022 und vom 08.08.2023 vorgelegt, die keine hinreichend aktuelle sowie medizinisch belastbare Aussage über die bei der Antragstellerin vorhandenen Beeinträchtigungen und ihre Auswirkungen auf die anstehenden schriftlichen Prüfungen treffen. Ferner ergibt sich aus diesen Unterlagen auch nicht, ob die festgestellten Schwierigkeiten nur in der Darstellung des vorhandenen Wissens und der vorhandenen Fähigkeiten liegen oder ob sie nicht vielleicht eher auf eine unterdurchschnittliche Leistungsfähigkeit im Bereich des Rechtschreibens zurückzuführen sind. Außerdem ergeben sich aus den genannten Unterlagen keine belastbaren Anhaltspunkte für die nach § 13 Abs. 7 Satz 2 APO-GOSt erforderliche besondere Schwere der Beeinträchtigungen. Soweit die Antragstellerin sinngemäß auf die Feststellung in der Förderdiagnostik Bezug nimmt, wonach 90 % der Kinder der damaligen Klassenstufe der Antragstellerin bessere Leistungen erbringen, ist dies nicht nur aufgrund des Alters der Feststellung keine tragfähige Grundlage. Ein solches Ergebnis kann auch auf ein geringeres Leistungsvermögen zurückzuführen sein. Soweit die Antragstellerin zudem auf die Rechtsprechung zur Legasthenie verweist,
13vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 29.07.2015 – 6 C 35.14 –, juris, Rn. 18; OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2019 – 19 B 1393/19 –, juris, Rn. 6,
14führt dies im vorliegenden Fall nicht weiter. Eine solche Lese- und Rechtschreibstörung wurde bei der Klägerin gerade nicht festgestellt bzw. diagnostiziert. So sprechen auch die vorgelegten Bescheinigungen stets vielmehr von einer „Leistungsschwäche“ und von einer „isolierten Rechtschreibschwäche, deren mitverursachende Faktoren in funktionellen Entwicklungsverzögerungen im Bereich der schriftsprachbezogenen Wahrnehmungsverarbeitung […] auszumachen sind“ (vgl. Bl. 17 der Gerichtsakte). Dies deutet im Zusammenspiel mit den in den Bescheinigungen beschriebenen Fördermaßnahmen mehr auf eine Rechtschreibschwäche mit einer anderen Ursache als einer Legasthenie hin, die von dieser gerade abgegrenzt werden muss. Soweit der ebenfalls vorgelegte Befundbericht vom 12.02.2025 im Übrigen eine „Lese- und Rechtschreibstörung, andernorts vordiagnostiziert (F81.0)“ nennt, hat die berichtende Ärztin diese Diagnose nicht selbst gestellt, sondern sich offenbar in Ermangelung entsprechender ärztlicher Unterlagen auf die Angaben der Mutter der Antragstellerin gestützt (vgl. Bl. 22 der Gerichtsakte: „Sie habe eine vordiagnostizierte LRS, erhalte hierfür einen Nachteilsausgleich in der Schule und gehe zur Lerntherapie.“).
15Soweit die Klägerin eine verminderte Leseleistung geltend macht, folgt hieraus ebenfalls kein Anspruch auf einen Nachteilsausgleich. Insoweit fehlt es wiederum an einem aussagekräftigen fachärztlichen Attest. Aber auch die vorgelegten Bescheinigungen verhalten sich zu diesem Punkt nicht näher. Allein die Förderdiagnostik aus dem Jahr 2020 spricht von leicht bzw. weit unterdurchschnittlichen Leseleistungen, wobei sie zugleich eine Leseschwäche verneint. Dies deutet wiederum mehr auf eine Einschränkung des Leistungsvermögens als auf eine Einschränkung des Darstellungsvermögens hin.
16Ferner führt die diagnostizierte Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität der Klägerin nicht zu einem Anspruch auf den geltend gemachten Nachteilsausgleich. Insoweit liegt zwar mit dem Befundbericht vom 12.02.2025 (Bl. 22 ff. der Gerichtsakte) ein fachärztliches Attest vor. Dieses weist jedoch die Erforderlichkeit eines Nachteilsausgleichs nicht nach. Dafür muss die Fachärztin über die reine Diagnose des Krankheitsbildes hinaus vor allem dessen konkrete und aktuelle Auswirkungen auf die einzelnen schulischen Leistungsanforderungen beschreiben und bestätigen.
17Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 03.05.2024 – 19 B 400/24 –, juris, Rn. 6 m. w. N.
18Der Befundbericht vom 12.02.2025 nennt und erläutert jedoch nur die Diagnose einer Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität. Demgegenüber erklärt er nicht, wie und mit welcher Schwere sich die Beeinträchtigung im schulischen Bereich bzw. im vorliegenden Fall einer schriftlichen (Abitur-) Prüfung konkret und aktuell auswirkt. Nähere Ausführungen zu diesen Punkten sind erforderlich, um feststellen zu können, ob und in welchem Umfang der Antragstellerin ein Anspruch auf die Verlängerung der Bearbeitungszeiten zusteht.
19Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
202.
21Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Es ist von dem gesetzlichen Auffangstreitwert auszugehen, weil der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet. Dieser ist wegen des vorläufigen Charakters des vorliegenden Eilverfahrens um die Hälfte zu reduzieren.
22Rechtsmittelbelehrung
23Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Verwaltungsgericht Köln (Appellhofplatz, 50667 Köln oder Postfach 10 37 44, 50477 Köln) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist eingeht bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
24Die Beschwerde ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
25Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist nicht selbstständig anfechtbar.
26Gegen die Festsetzung des Streitwerts kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem diese Entscheidung Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln (Appellhofplatz, 50667 Köln oder Postfach 10 37 44, 50477 Köln) schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Hierfür besteht kein Vertretungszwang. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.