Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Aufnahmebescheids nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG).
3Die am 00.00.1969 im Gebiet Altai, Russland geborene Klägerin ist belarusische Staatsangehörige. Sie stellte am 21.04.2004 einen Aufnahmeantrag. Anlässlich des Sprachtests in der Deutschen Botschaft Minsk gab die Klägerin an, in ihrem alten Inlandspass sei die russische Nationalität eingetragen gewesen; ihre Zweitgeburtsurkunde sei wegen der Änderung der Eintragung des leiblichen Vaters ausgestellt worden, ursprünglich sei der Ehemann ihrer Mutter eingetragen gewesen, der aber nicht ihr Vater gewesen sei. Mit Bescheid vom 03.07.2006 lehnte das Bundesverwaltungsamt (BVA) wegen fehlender familiärer Vermittlung der deutschen Sprache den Aufnahmeantrag ab.
4Am 27.07.2016 beantragte die Klägerin das Wiederaufgreifen ihres Aufnahmeverfahrens. Sie legte u.a. folgende Unterlagen in Kopie vor: ihre am 06.08.1974 ausgestellte Geburtsurkunde Nr. N01, in der als Vater R. C. U., deutscher Nationalität, und als Mutter Q. U. eingetragen ist; eine Bescheinigung des Justizministeriums, Verwaltung für Standesamtswesen aus dem Jahr 2017, wonach am 06.08.1974 eine wiederholte Bescheinigung der Serie N02 über die Geburt der Klägerin aufgrund einer Änderung des Namens ihrer Mutter auf Grundlage der Heiratsurkunde Nr. 00 vom 00.00.1973 ausgestellt wurde; die am 00.00.2002 ausgestellte Geburtsurkunde ihrer am 00.00.1993 geborenen Tochter Y., in der die Klägerin mit deutscher Nationalität eingetragen ist.
5Das BVA griff das Verfahren wieder auf und lehnte mit Bescheid vom 06.04.2022 den Aufnahmeantrag erneut ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin habe nicht nachgewiesen von einem deutschen Volkszugehörigen abzustammen. Zu dem ursprünglich in ihrer Geburtsurkunde eingetragenen Vater habe die Klägerin keine Angaben gemacht. Ob die 1974 in die neu ausgestellte Geburtsurkunde eingetragene Person der leibliche Vater oder der Stiefvater der Klägerin sei, sei ebenso offen wie die Frage, ob ihr leiblicher Vater Deutscher gewesen sei. Die Klägerin habe in ihrem Aufnahmeantrag von 2004 Vertreibungsmaßnahmen für alle Familienmitglieder verneint.
6Mit ihrem hiergegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, die vorgelegte im Jahr 1974 ausgestellte Originalgeburtsurkunde habe die Vermutung ihrer Richtigkeit. Bis Ende der 1980er Jahre sei die deutsche Herkunft von vielen Russlanddeutschen als Makel empfunden worden. Es liege auch kein Zusammenhang mit einem Aufnahmeverfahren vor.
7Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2022, am Folgetag zugestellt, wies das BVA den Widerspruch zurück. Unter Wiederholung der Ausführungen im Ausgangsbescheid führte es aus, dass sich die deutsche Abstammung nicht positiv feststellen lasse und die Klägerin nicht wirksam von dem bei der Erstausstellung des Inlandspasses abgegebenen Gegenbekenntnisses abgerückt sei, insbesondere nicht indem sie im Jahr 2002 die deutsche Nationalität in die Geburtsurkunden ihrer 1993 und 1995 geborenen Kinder habe eintragen lassen. Dies sei als Lippenbekenntnis erkennbar. Denn die Nationalitätenänderung sei in zeitlicher Nähe zu und im Hinblick auf den Aufnahmeantrag erfolgt; so habe die Klägerin etwa zeitgleich im Jahr 2001 mit dem Erlernen der deutschen Sprache begonnen.
8Die Klägerin hat am 01.08.2022, einem Montag, Klage erhoben. Sie trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres Widerspruchsvorbringens weiter vor, die Geburtsurkunden ihrer Kinder seien mehr als zwei Jahre vor dem Aufnahmeantrag neu ausgestellt worden. Der zeitliche Abstand sei zu groß, um ein sogenanntes Lippenbekenntnis zu unterstellen. Gleiches gelte für den spätestens im September 2001 begonnenen Deutschkurs. Die erste Ehe ihrer Mutter Q. W. mit Herrn J. D. sei am 00.00.1972 geschieden worden. Ihre Verwandten väterlicherseits hätten ihr nur mündliche Informationen über die Umsiedlung im Jahr 1941 erteilt, aber keine entsprechenden Nachweise überreicht. Der Umstand, dass ihr Vater in ihrer 1974 ausgestellten Geburtsurkunde als deutscher Volkszugehöriger eingetragen sei, spreche indiziell dafür, dass seine Mutter, ihre 1920 geborene Großmutter väterlicherseits, deutsche Volkszugehörige gewesen sei. Hätte diese sich nicht zum maßgeblichen Zeitpunkt zum deutschen Volkstum bekannt, wäre ihre deutsche Nationalität nicht in der Geburtsurkunde ihres Sohnes 1946 eingetragen worden und hätte dieser sich 1974 nicht als Angehöriger der deutschen Bevölkerungsgruppe in ihre eigene Geburtsurkunde eintragen lassen können. Die Klägerin legt eine Archivbescheinigung vom 09.12.2022 vor über die Umsiedlung von G. I. H. (E., U.), geboren am 00.00.1920, am 00.00.1941 und deren Registrierung in der Sondersiedlung im Dorf X., Gebiet Altai, ab 1943. Zusammen mit ihr hätte dort u.a. der Sohn U. R. C., geboren 1946, gelebt. Zudem legt die Klägerin eine „Geburtsurkunde N03“ ausgestellt am 00.00.2022 von der Abteilung für staatliche Registrierung von Personenstandsgesetzen des Justizminsteriums des Altai-Territoriums in Kopie vor, auf die sie für ihre Abstammung verweist. In dieser sog. Geburtsurkunde ist unter „Andere Informationen:“ ausgeführt: „00.00.1969. Der Nachname des Kindes A. wurde in U. geändert. Informationen über den Vater wurden eingegeben: U. R. C.. Auf der Grundlage eines Antrags auf Anerkennung der Vaterschaft wurde eine Geburtsurkunde [...] Nr.N04 ausgestellt; 00.00.1974. Der Nachname von A. Mutter wurde auf der Grundlage einer Heiratsurkunde in U. geändert, eine Geburtsurkunde N02 wurde ausgestellt.“
9Die Klägerin beantragt,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 06.04.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2022 zu verpflichten, ihr einen vertriebenenrechtlichen Aufnahmebescheid zu erteilen.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Die Beklagte trägt vor, die Klägerin könne die Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen grundsätzlich von ihrer (behaupteten) Großmutter väterlicherseits, G. E. geborene U., geboren 1920 oder 1921, ableiten. Es lasse sich aber nicht feststellen, dass diese zum maßgeblichen Zeitpunkt ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt habe. Unterlagen aus dem maßgeblichen Zeitraum, aus denen hervorginge, dass G. E. mit deutscher Nationalität geführt worden wäre oder sich zum deutschen Volkstum bekannt hätte, habe die Klägerin nicht vorgelegt. Zudem lasse sich nicht feststellen, dass die Klägerin überhaupt von G. E. biologisch abstamme. Die im Jahre 1974 nachträglich ausgestellte Geburtsurkunde, in der deren nichtehelich geborener Sohn R. U. als Vater der Klägerin verzeichnet sei, sei kein belastbarer Nachweis. Soweit der Geburtsbescheinigung vom 02.07.2022 zufolge R. U. auf Grundlage eines Vaterschaftsanerkenntnisses als Vater eingetragen worden sei, sei ein solches Anerkenntnis kein Beleg für eine biologische Vaterschaft. Mit der Abstammung von einem deutschen Volkszugehörigen sei alleine die biologische Abstammung gemeint. Unabhängig davon fehle es an einem Bekenntnis der Klägerin zum deutschen Volkstum sowie an einem Nachweis, dass sie ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen könne.
14Bezüglich ihrer Sprachkenntnisse hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung einen vom Gericht abgelehnten Beweisantrag gestellt; wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bezug genommen.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe
17Die zulässige Klage ist unbegründet.
18Der Bescheid vom 06.04.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Absatz 5 VwGO).
19Der Klägerin steht kein Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG zu. Nach dieser Bestimmung wird der Aufnahmebescheid Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen als Spätaussiedler, weil sie nicht deutsche Volkszugehörige ist, §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 BVFG.
20Deutscher Volkszugehöriger ist nach § 6 Abs. 2 BVFG in der aktuellen Fassung, wer von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG). Vor Verlassen des Aussiedlungsgebiets geänderte Nationalitätenerklärungen nur zum deutschen Volkstum gehen früheren Bekenntnissen zu einem nichtdeutschen Volkstum vor (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG). Dabei können ernsthafte Bemühungen zur Änderung einer Nationalitätenerklärung genügen (§ 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG). Das Bekenntnis auf andere Weise kann auch durch einen Nachweis deutscher Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens oder durch den Nachweis familiär vermittelter Sprachkenntnisse erbracht werden (§ 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG). Es muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Antrag zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können.
21Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor.
22Die Klägerin hat die Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen oder von einem deutschen Volkszugehörigen nicht nachgewiesen.
23Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt den im Falle der Klägerin allein anwendbaren §§ 4 Abs. 1 Nr. 3 und 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG ein weiter, generationenübergreifender, biologisch geprägter Abstammungsbegriff zu Grunde, der neben den Eltern auch die Voreltern, mithin die Großeltern und gegebenenfalls auch die Urgroßeltern erfasst.
24Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 29. Oktober 2019 - 1 C 43.18 -, juris, Rn. 12 f, 26.
25Die deutsche Volkszugehörigkeit der Person, von der die Abstammung hergeleitet wird, beurteilt sich im Rahmen sowohl des § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG als auch des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der Geburt des Aufnahmebewerbers. Zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin galt § 6 BVFG in der bis zum 31. Dezember 1992 gültigen Fassung vom 19. Mai 1953. Nach dieser Vorschrift ist deutscher Volkszugehöriger, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. Das Bekenntnis muss im Zeitraum unmittelbar vor Beginn der gegen die deutsche Bevölkerungsgruppe gerichteten Verfolgungs- und Vertreibungsmaßnahmen abgelegt worden sein. Diese Maßnahmen begannen in der ehemaligen Sowjetunion nach Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941.
26Nach diesen Maßgaben kommt als Bezugsperson für die Abstammung der Klägerin von einem deutschen Volkszugehörigen die 1920 geborene Frau G. E., die sie als ihre Großmutter väterlicherseits bezeichnet, in Betracht. Deren Bekenntnis zum deutschen Volkstum im vorgenannten maßgeblichen Zeitpunkt kann entgegen der Ansicht der Klägerin nicht daraus geschlossen werden, dass ihr Sohn R. C. U. in der Geburtsurkunde der Klägerin mit deutscher Nationalität eingetragen ist, was nur aufgrund des Eintrags der deutschen Nationalität seiner Mutter G. E. in seiner eigenen Geburtsurkunde möglich gewesen sei. Die zum Aufnahmeantrag 2004 vorgelegte Geburtsurkunde des U. R. C. lässt allerdings den Eintrag einer deutschen Nationalität seiner Mutter nicht erkennen, vgl. Bl. 26 der Beiakte 1. Ob in der im Klageverfahren vorgelegten Archivbescheinigung vom 00.00.2022 ein ausreichender Nachweis des seinerzeitigen Bekenntnisses von Frau E. gesehen werden kann, kann offenbleiben.
27Denn es steht nicht zur Überzeugung der Einzelrichterin fest, deren Sohn R. C. U. der biologische Vater der Klägerin ist und die Klägerin mithin von Frau E. abstammt. Die vorgelegte Geburtsurkunde vom 00.00.1974 reicht für den Nachweis der biologischen Vaterschaft hier nicht aus. Die Klägerin selbst hat vorgetragen, dass zum Zeitpunkt ihrer Geburt am 00.00.1969 ihre Mutter mit einem anderen Mann verheiratet war, der ursprünglich als ihr Vater eingetragen war. Ein widerspruchsfrei dargelegtes und belegtes Vorbringen der Klägerin zu ihren familiären Verhältnissen, insbesondere zu den Umständen der leiblichen Vaterschaft des R. U., liegt nicht vor. Die Klägerin hat keine Angaben dazu gemacht, wann und wo ihre Mutter und Herr U. sich kennengelernt haben. Erst in der mündlichen Verhandlung hat sie unter Bezugnahme auf eine Ehescheidungsurkunde angegeben, dass der Name des ersten Ehemannes J. T. laute, die Ehe am 00.00.1972 geschieden worden sei und ihre Mutter mit Ehescheidung den Ehenamen N. abgelegt und den Familiennamen A. geführt habe. Hierzu und zu ihrem Vortrag einer ehelichen Geburt im Widerspruch steht allerdings die von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegte Geburtsbescheinigung vom 00.00.2022. Danach wurde am 00.00.1969 der Nachname des Kindes, also der Klägerin, von A. in U. geändert. Nach dem Vortrag der Klägerin ist nicht nachvollziehbar, wieso sie zunächst den Nachnamen A. getragen haben soll zu einem Zeitpunkt, als ihre Mutter noch N. hieß. Weiter heißt es in der Geburtsbescheinigung, dass eine Geburtsurkunde auf der Grundlage eines Antrags auf Anerkennung der Vaterschaft ausgestellt wurde. Zu einem solchen Antrag oder einer daraufhin ggf. erfolgten Vaterschaftsanerkennung durch Herrn U. hat die Klägerin keine weiteren Angaben gemacht oder Unterlagen vorgelegt. Schließlich ist in der Geburtsbescheinigung vom 00.00.2022 noch angegeben, dass am 00.00.1974 der Nachname der Mutter von A. in U. geändert wurde und die Geburtsurkunde N02 ausgestellt wurde, die die Klägerin vorgelegt hat. Im Widerspruch hierzu hat die Klägerin bereits 2004 bei der Auslandsvertretung angegeben, dass diese Geburtsurkunde wegen der Änderung der Eintragung ihres leiblichen Vaters erfolgt sei. Zudem fällt auf, dass ihre Mutter Herrn U. bereits über ein Jahr zuvor, nämlich am 00.00.1973 geheiratet und seinen Namen angenommen hatte.
28Neben der nicht nachgewiesenen deutschen Abstammung fehlt es auch an einem Bekenntnis der Klägerin zum deutschen Volkstum.
29Die Klägerin hat kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung abgelegt. Ein solches Bekenntnis ist nicht in der Eintragung der deutschen Nationalität in den am 00.00.2002 neu ausgestellten Geburtsurkunden ihrer in den Jahren 1993 und 1995 geborenen Töchter zu sehen.
30Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum besteht in dem von einem entsprechenden Bewusstsein getragenen, nach außen hin verbindlich geäußerten Willen, selbst Angehöriger des deutschen Volkes als einer national geprägten Kulturgemeinschaft zu sein und keinem anderen Volkstum anzugehören. Es setzt sich also zusammen aus einer inneren Tatsache eines von einem entsprechenden Bewusstsein getragenen Willens und einer äußeren Tatsache der Verlautbarung dieser Bewusstseinslage nach außen,
31vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1995 – 9 C 392.94 –, juris Rn. 21; Urteil vom 17. Oktober 1989 – 9 C 18.89 –, juris Rn. 11; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 11. Juni 2021 – 11 A 4703/19 –, juris Rn. 37.
32Zwar stellt die Eintragung einer deutschen Nationalität in amtlichen Dokumenten nach außen hin eine Erklärung zur deutschen Nationalität dar. Im Allgemeinen kann daher auch ohne eine weitere Prüfung davon ausgegangen werden, dass hinter einem solchen äußeren Erklärungsinhalt auch subjektiv der Wille und das Bewusstsein stehen, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören. Dies gilt jedoch nicht schlechthin, sondern nur dann, wenn sich keine Anhaltspunkte für andere Beweggründe aufdrängen. Solche Anhaltspunkte liegen vor, wenn die Nationalität in den amtlichen Dokumenten erst in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Aufnahmeverfahren geändert worden ist. Unter diesen Umständen kann die äußere Erklärung, der deutschen Nationalität zuzugehören, ohne weiteres ein bloßes Lippenbekenntnis sein, das nur zu dem Zweck abgelegt wurde, in Deutschland ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss in den Aussiedlungsgebieten subjektiv aber gerade mit dem Ziel abgelegt worden sein, dort als Deutscher angesehen und behandelt zu werden. Das schließt indessen die Annahme der deutschen Volkszugehörigkeit nicht aus, sondern bewirkt lediglich, dass nunmehr auch die Ernsthaftigkeit der sich nach außen hin als Bekenntnis zum deutschen Volkstum darstellenden Erklärung besonders nachzuweisen ist. Die innere Tatsache, dass der Erklärung auch der von einem entsprechenden Bewusstsein getragene Wille zugrunde liegt, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören, muss dabei nicht nur in den Fällen eines vorherigen Gegenbekenntnisses nachgewiesen werden, sondern in allen Fällen, in denen ausreichende Anhaltspunkte für andere Beweggründe, d.h. für ein Lippenbekenntnis, vorliegen,
33vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 – 9 C 391.94 –, juris Rn. 29; Beschluss vom 30. August 1996 – 9 B 379.96 –, juris Rn. 4; OVG NRW, Urteil vom 3. Dezember 2018 – 11 A 1051/17 –, juris Rn. 96; VG Köln, Urteil vom 28. August 2024 – 10 K 3808/22 –, juris Rn. 69.
34Von diesem grundlegenden Verständnis des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ist der Gesetzgeber mit der am 23. Dezember 2023 in Kraft getretenen Einfügung der Regelungen des § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BVFG durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 20. Dezember 2023 (BGBl. I Nr. 390) nicht abgewichen,
35vgl. VG Köln, Urteil vom 28. August 2024 – 10 K 3808/22 –, juris Rn. 71 ff.; Urteil vom 19. März 2024 – 7 K 1405/23 –, juris, Rn. 19 ff.
36Danach gehen vor Verlassen des Aussiedlungsgebiets geänderte Nationalitätenerklärungen nur zum deutschen Volkstum früheren Bekenntnissen zu einem nichtdeutschen Volkstum vor und ernsthafte Bemühungen zur Änderung einer Nationalitätenerklärung können hierfür genügen. Durch diese Änderung hat der Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG, der weiterhin ein „Bekennen“ und nicht etwa ein bloßes „Erklären“ verlangt, keine Änderung erfahren. Auch in systematischer Hinsicht hat der Gesetzgeber an die Grundsatzregelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG lediglich zwei präzisierende Sätze für die Konstellation angefügt, dass eine Person von einem vorherigen Gegenbekenntnis zu einem fremden Volkstum abrücken möchte. Dies war auch bei einer historischen Herangehensweise die Absicht des Gesetzgebers, der eine Abkehr von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen für ein Abrücken von einem Gegenbekenntnis erreichen wollte. Nach dieser Rechtsprechung war es im Falle eines früheren Gegenbekenntnisses erforderlich, dass die betroffene Person einen inneren Bewusstseinswandel konkret darlegt, der auch äußerlich in Erscheinung getreten sein musste,
37vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2021 – 1 C 5.20 –, juris Rn. 22 ff.
38Diese erhöhten Darlegungsanforderungen für den Fall eines früheren Gegenbekenntnisses sollten beseitigt, nicht jedoch von dem vorgenannten grundlegenden Verständnis des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum abgewichen werden. So heißt es in der Begründung zu dem zugehörigen Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/8537 vom 26. September 2023, S. 14):
39„Unter einem Bekenntnis im Sinne des § 6 Absatz 1 BVFG ist der persönliche Wille und das Bewusstsein zu subsumieren, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören. Der rein innere Wille, der nicht nach außen in Erscheinung tritt, reicht dafür nicht aus. Vielmehr muss sich der jeweilige Antragsteller bereits im Aussiedlungsgebiet so verhalten, dass er von Außenstehenden eindeutig als deutscher Volkszugehöriger identifiziert wird. Dieses Bekennen darf nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ausreisewunsch stehen. Voraussetzung eines wirksamen Bekenntnisses ist es vielmehr, dass der Betreffende bereits in den Aussiedlungsgebieten als Deutscher lebt (und nicht erst für seine Ausreise erkennbar als Deutscher in Erscheinung tritt).“
40Nach diesem Maßstab hat sich die Klägerin nicht wirksam zum deutschen Volkstum bekannt.
41Die am 00.00.2002 erwirkten Eintragungen mit deutscher Nationalität in den Geburtsurkunden ihrer Töchter standen in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem im April 2004 beim BVA eingegangenen Aufnahmeantrag. Zur Vorbereitung des Aufnahmeverfahrens hatte sich die Kläger verschiedene Urkunden bzw. Unterlagen ausstellen lassen, die sogar fortlaufend nummeriert waren (N1-000 bis N1 000), darunter befanden sich die neu ausgestellten Geburtsurkunden (N1-000 und N1-000). Unter diesen Umständen bestehen starke Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem Eintrag der deutschen Nationalität um bloße Lippenbekenntnisse handelt. Insofern hatte die Klägerin die Ernsthaftigkeit ihrer Erklärung besonders nachzuweisen. Einen solchen Nachweis hat die Klägerin nicht geführt.
42Die Klägerin hat sich zudem nicht auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt. Einem solchen Bekenntnis steht entgegen, dass die Klägerin ein Gegenbekenntnis zum russischen Volkstum abgegeben hat.
43In der Angabe einer anderen als der deutschen Nationalität gegenüber amtlichen Stellen liegt grundsätzlich ein die deutsche Volkszugehörigkeit ausschließendes Gegenbekenntnis zu einem anderen Volkstum. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn die nichtdeutsche Nationalität gegen den ausdrücklichen Willen oder ohne eine entsprechende Erklärung der betroffenen Person bzw. unter völligem Ausschluss ihrer Freiheit der Willensentschließung eingetragen wurde.
44Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.10.2004 – 5 B 17.04 –, juris, Rn. 3; Urteil vom 29.08.1995 – 9 C 391.94 –, juris, Rn. 22; OVG NRW, Urteil vom 13.07.2004 – 2 A 3358/99 –, juris, Rn. 36.
45Nach diesem Maßstab hat die Klägerin ein Gegenbekenntnis zum russischen Volkstum abgegeben. In ihrem ersten Inlandspass war eine russische Nationalität eingetragen den Angaben der Klägerin gegenüber der Auslandsvertretung zufolge.
46Dieses fortbestehende Gegenbekenntnis steht der Annahme eines Bekenntnisses auf andere Weise als durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung entgegen.
47Es ist grundsätzlich ausgeschlossen, ein Bekenntnis auf andere Weise anzunehmen, wenn sich die betroffene Person zugleich vor amtlichen Stellen ausdrücklich zu einer anderen als der deutschen Nationalität erklärt hat.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.2021 – 1 C 5.20 –, juris, Rn. 22; Urteil vom 29.08.1995 – 9 C 391.94 –, juris, Rn. 22; OVG NRW, Beschluss vom 28.06.2022 – 11 A 3038/21 –, juris, Rn. 28.
49An diesem Grundsatz hat sich auch durch die Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG ab dem 23.12.2023 nichts geändert.
50Vgl. VG Köln, Urteil vom 28.08.2024 – 10 K 3808/22 –, juris, Rn. 50 ff.
51Dies zeigt sich in erster Linie an dem klaren Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG n.F., nach dem nur eine geänderte Nationalitätenerklärung, nicht aber ein späteres Bekenntnis auf andere Weise einem früheren Bekenntnis zu einem nichtdeutschen Volkstum vorgehen soll. Ein solches Verständnis entspricht zudem der Vorstellung des Gesetzgebers, der lediglich ein Bekenntnis durch eine geänderte Nationalitätenerklärung und nicht ebenso ein Bekenntnis auf andere Weise erleichtern wollte. So wird in der Begründung zu dem entsprechenden Gesetzesentwurf (BT-Drs. 20/8537) u.a. ausgeführt:
52„Durch eine Änderung des § 6 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) sollen Antragsteller wieder alleine durch Änderung ihrer amtlichen Dokumente bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wirksam abgeben können.“ (S. 7)
53„Im Bereich der geplanten Änderung in § 6 Absatz 2 Satz 2 BVFG n.F. wird die Prüfung der Anträge mit Gegenbekenntnis vereinfacht, weil anstatt einer aufwendigen inhaltlichen Prüfung des ernsthaften Abrückens nach den Anforderungen der Rechtsprechung zukünftig (jedenfalls bei Änderung des Gegenbekenntnisses) eine rein chronologische Prüfung der Nationalitäteneintragungen vorgenommen werden kann.“ (S. 8)
54„Sofern es bei der aktuellen Verwaltungspraxis bliebe, würde die Spätaussiedleraufnahme mittelfristig deutlich zurückgehen. Es ist indes beabsichtigt, den Spätaussiedlerzuzug nach Deutschland weiterhin zu ermöglichen. Zu diesem Zweck ist gesetzlich ausdrücklich zu regeln, dass bei Eintrag einer deutschen Volkszugehörigkeit in einer Nationalitätenerklärung das frühere Gegenbekenntnis nicht mehr beachtlich im Sinne des Gesetzes ist. Durch den Einschub des Wortes ‚nur‘ wird klargestellt, dass alle nichtdeutschen Nationalitätenerklärungen geändert werden müssen.“ (S. 15)
55Dass im Falle eines Gegenbekenntnisses eine Änderung bzw. Vereinfachung im Hinblick auf ein Bekenntnis auf andere Weise im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG n.F. ausdrücklich nicht beabsichtigt ist, zeigt sich schließlich auch am Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens. In seiner Beschlussempfehlung vom 15.11.2023 (BT-Drs. 20/9347) hält der Ausschuss für Inneres und Heimat an der geplanten Änderung des § 6 BVFG fest. Derweil sollte § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG n.F. nach einem Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion wie folgt lauten:
56„Vor Verlassen des Aussiedlungsgebietes geänderte Nationalitätenerklärungen nur zum deutschen Volkstum oder das Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf andere Weise gehen früheren Bekenntnissen zu einem nichtdeutschen Volkstum vor.“
57Nach der Begründung zu diesem Änderungsantrag müsse es insbesondere dort, wo formalrechtlich keine Korrekturen möglich seien, zulässig sein, ein aktuelles Bekenntnis auf andere Weise gegenüber einem früheren Gegenbekenntnis zu priorisieren.
58Vgl. BT-Drs. 20/9347, S. 11 f.
59Dieser Änderungsantrag wurde jedoch abgelehnt. Der Zusatz „oder das Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf andere Weise“ ist also ausdrücklich nicht in das Gesetz aufgenommen worden.
60Nach alldem kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über ihren Aufnahmeantrag die Fähigkeit hatte, zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können (§ 6 Abs. 2 Satz 5 BVFG). Der hierauf gerichtete, in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag der Klägerin war daher mangels Erheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsache für die vorliegende Entscheidung abzulehnen.
61Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
62Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
63Rechtsmittelbelehrung
64Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
65Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
66Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
67Beschluss
68Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
695.000,- Euro
70festgesetzt.
71Gründe
72Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 GKG. Der festgesetzte Wert entspricht dem Auffangstreitwert.
73Rechtsmittelbelehrung
74Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.