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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
2Der am 00.00.1948 geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger.
3Im Jahr 2017 stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf die Erteilung eines Aufnahmebescheids. Dabei berief er sich wesentlich auf seine Abstammung von seinem am 11.09.1907 geborenen Vater, W. C. I.. Dieser sei ein deutscher Volkszugehöriger gewesen, sei zwangsumgesiedelt und in ein Arbeitslager verbracht worden. Am 16.12.1955 habe sein Vater seine Mutter, P. Q. J., geheiratet. Der Kläger legte eine entsprechende Heiratsurkunde seiner Eltern und eine am 05.03.1956 ausgestellte Geburtsurkunde zu sich vor, aus der W. C. I. als sein Vater hervorgeht. Zudem erklärte er, in seinem ersten Inlandspass sei eine russische Nationalität eingetragen gewesen.
4Mit Schreiben vom 06.08.2018 teilte die Beklagte mit, für eine Anerkennung als Spätaussiedler brauche es ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Der Kläger habe aber bislang nur ein ausdrückliches Gegenbekenntnis in seinen amtlichen Dokumenten abgegeben. Daraufhin erhob der Kläger Klage vor einem russischen Gericht und begehrte die Feststellung seiner deutschen Nationalität. Das Stadtgericht von Kostomukscha der Republik Karelien wies die Klage mit Beschluss vom 31.08.2018 ab. Diese Entscheidung bestätigte das Oberste Gericht der Republik Karelien mit Berufungsbeschluss vom 25.09.2018.
5Die Beklagte lehnte den Aufnahmeantrag des Klägers mit Bescheid vom 14.12.2021 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er von einem deutschen Volkszugehörigen abstamme. Es könne davon ausgegangen werden, dass es sich bei W. I. und seinem Sohn aus erster Ehe, B. I., um Deutsche gehandelt habe. Es sei jedoch nicht hinreichend bewiesen, dass der Kläger leiblich bzw. biologisch von W. I. abstamme. Die Eltern des Klägers hätten erst geheiratet, als er sieben Jahre alt gewesen sei. Seine Geburtsurkunde sei in diesem Rahmen ausgestellt worden. Aufgrund des erheblichen zeitlichen Abstandes zu seiner Geburt genüge dies nicht, um eine biologische Abstammung von W. I. nachzuweisen.
6Der Kläger erhob Widerspruch und brachte im Wesentlichen vor: Es sei am 05.03.1956 eine Geburtsurkunde ausgestellt worden, in der W. I. als sein Vater bezeichnet werde. Dabei handle es sich um ein noch in der Zeit der Sowjetunion ausgestelltes Dokument, was für seine Anerkennungsfähigkeit spreche. Es bestehe nicht der geringste Anhaltspunkt für eine zielgerichtete Falschangabe. Insbesondere bestehe kein Zusammenhang mit einer beabsichtigten Übersiedlung nach Deutschland.
7Mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2022 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung nahm sie zum einen Bezug auf die Begründung zum Ausgangsbescheid. Zum anderen führte sie aus: Es fehle auch am Bekenntnis des Klägers zum deutschen Volkstum. Er sei im ersten Inlandspass mit russischer Volkszugehörigkeit geführt worden. Entsprechend habe er sich bei der Beantragung des ersten Inlandspasses zum russischen Volkstum bekannt. Von der Ernsthaftigkeit eines späteren Bekenntniswandels könne durch die Änderungsbemühungen zur Volkszugehörigkeit und die Eintragung einer deutschen Volkszugehörigkeit in die neu ausgestellte Heiratsurkunde im Jahr 2021 nicht ausgegangen werden. Wie sich zweifelsfrei aus dem Berufungsbeschluss des Obersten Gerichts der Republik Karelien ergebe, habe sich der Kläger wegen seiner beabsichtigten Übersiedlung nach Deutschland um eine Änderung seiner Volkszugehörigkeit bemüht. Hierbei handle es sich um ein sogenanntes Lippenbekenntnis.
8Am 07.04.2022 hat der Kläger Klage erhoben.
9Er bringt im Wesentlichen vor: Er sei der biologische Sohn des deutschen Volkszugehörigen W. I.. Das sei belegt durch die zweite Ausfertigung der Geburtsurkunde sowie die Geburtsbescheinigung des Standesamts der Stadt Kopejsk aufgrund der direkt nach seiner Geburt übermittelten Informationen des Geburtshauses der Stadt Kopejsk. Die zweite Ausfertigung der Geburtsurkunde sei ausgestellt worden, weil die erste Geburtsurkunde bei einem Brand zerstört worden sei. Zum Zeitpunkt der zweiten Ausfertigung hätten deutsche Volkszugehörige keine Privilegien genossen und seien weiterhin Vertreibung und Schikane ausgesetzt gewesen. Daher sei die Annahme einer geplanten Erneuerung der Geburtsurkunde lebensfremd. Er sei in der Familie seiner Eltern W. I. und P. J. am Ort der Zwangsumsiedlung aufgewachsen. Es sei nie zu einer Scheidung seines Vaters von seiner Mutter gekommen. Sein Vater habe sich bloß von seiner ersten Ehefrau N. I. scheiden lassen. Er sei am 16.07.1956 verstorben. Nach seinem Tod sei seine Mutter Witwe geblieben und habe nicht noch einmal geheiratet. Er habe sich auch zum deutschen Volkstum bekannt. Dass er sich zuletzt darum bemüht habe, seine deutsche Volkszugehörigkeit durch die Änderung der Eintragungen in seinen Papieren zu manifestieren, sei gerade ein Hinweis darauf, dass er seinen ständigen inneren Standpunkt kundgetan habe. Insofern seien seine Angaben aus dem Beschluss des Obersten Gericht unrichtig bewertet bzw. verdreht worden. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum sei gerade dadurch belegt, dass er ungeachtet der heutigen Haltung Russlands gegenüber dem Westen und der Gefahren einer erneuten möglichen Verfolgung allen habe zeigen wollen, dass er Deutscher sei.
10Der Kläger beantragt wörtlich,
11den Bescheid der Beklagten vom 14.12.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2022 aufzuheben und ihn als Spätaussiedler im Sinne des BVFG anzuerkennen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie bringt im Wesentlichen vor: Die biologische Abstammung des Klägers von W. I. könne dahingestellt bleiben. Es fehle am Bekenntnis zum deutschen Volkstum. Es sei unstreitig, dass sich der Kläger zunächst zum russischen Volkstum bekannt habe. Auch zum Zeitpunkt der Antragstellung im Jahr 2017 habe er noch keine Erklärung zur deutschen Nationalität abgegeben. Ein Änderungswunsch hinsichtlich der Volkszugehörigkeit sei erstmals für das Jahr 2018 dokumentiert. Allein dieser Ablauf lasse erkennen, dass der über 50 Jahre als russischer Volkszugehöriger geführte Kläger die Erklärung zur deutschen Nationalität abgelegt habe, um in Deutschland ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. Nicht hingegen habe er im Aussiedlungsgebiet als Deutscher angesehen und behandelt werden wollen. Dies werde zudem bestätigt durch den Inhalt des Berufungsbeschlusses des Obersten Gerichts der Republik Karelien vom 25.09.2018.
15Mit Schriftsätzen vom 10.02.2025 und vom 19.02.2025 haben die Beteiligten jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe
18Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
19Die Klage ist nach dem Begehren des Klägers (vgl. § 88 VwGO) dahin auszulegen, dass er keine nicht näher spezifizierte „Anerkennung als Spätaussiedler“, sondern die Erteilung eines vertriebenenrechtlichen Aufnahmebescheids wünscht. Darauf haben sich sowohl sein Antrag im Verwaltungsverfahren als auch die ablehnenden Bescheide der Beklagte bezogen.
20Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
21Der Bescheid der Beklagten vom 14.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2022 ist rechtmäßig und der Kläger durch ihn nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf die Erteilung eines vertriebenenrechtlichen Aufnahmebescheids.
22Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 27 Abs. 1 Satz 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG). Danach wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar hat der Kläger seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten, weil er weiterhin in Russland lebt. Er würde nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Bundesgebiet jedoch nicht die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen.
23Nach § 4 Abs. 1 BVFG setzt die Spätaussiedlereigenschaft einer Person insbesondere eine deutsche Volkszugehörigkeit voraus. Wer nach dem 31.12.1923 geboren worden ist, ist gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Vor Verlassen des Aussiedlungsgebiets geänderte Nationalitätenerklärungen nur zum deutschen Volkstum gehen dabei nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG früheren Bekenntnissen zu einem nichtdeutschen Volkstum vor und ernsthafte Bemühungen zur Änderung einer Nationalitätenerklärung können in diesem Sinne nach § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG genügen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
24Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt.
25Insoweit beruft er sich auf die deutsche Volkszugehörigkeit seines vermeintlichen Vaters W. I.. Es bestehen derweil keine Anhaltspunkte für die deutsche Staatsangehörigkeit eines Vorfahrens oder für die deutsche Volkszugehörigkeit eines anderen Vorfahrens. Insbesondere handelte es sich bei der Mutter des Klägers dem Vernehmen nach um eine russische Volkszugehörige.
26Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der Kläger von W. I. abstammt. Der Begriff der Abstammung aus § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG meint dabei die biologische Abstammung.
27Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 13.11.2003 – 5 C 40.03 –, juris, Rn. 10; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 23.01.2006 – 12 A 519/05 –, juris, Rn. 2 ff.; Verwaltungsgericht (VG) Köln, Gerichtsbescheid vom 28.05.2020 – 10 K 2511/18 –, juris, Rn. 41 ff.
28Es kann nach der freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Gerichts (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht angenommen werden, dass der Kläger von seinem vermeintlichen Vater W. I. biologisch abstammen würde.
29Soweit der Kläger wesentlich auf die am 05.03.1956 ausgestellte Geburtsurkunde (Bl. 34 f. der Beiakte 1) Bezug nimmt, ist W. I. dort zwar als sein Vater eingetragen. Es liegen jedoch konkrete Anhaltspunkte vor, die Zweifel an einer biologischen Vaterschaft von W. I. wecken. Die Geburtsurkunde wurde nicht etwa in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt des Klägers am 28.04.1948, sondern mehr als sieben Jahre später in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Heirat seiner Mutter mit W. I. am 16.12.1955 (vgl. Bl. 101 f. der Beiakte 1) ausgestellt. Eine frühere Geburtsurkunde zu dem Kläger liegt nicht vor. Vor diesem Hintergrund liegt nahe, dass W. I. nach der Heirat nachträglich als der Vater des Klägers in die Geburtsurkunde eingetragen worden ist, obwohl es sich bei ihm nicht um den leiblichen Vater handelt.
30Diese Zweifel greifen durch. Der Kläger hat die genannten Bedenken nicht ausräumen können. Er hat nicht plausibel erklärt, warum sonst die Geburtsurkunde im Jahr 1956 in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Heirat seiner Eltern neu ausgestellt wurde. Insoweit hat er bloß unsubstantiiert behauptet, die erste Geburtsurkunde sei entweder verloren gegangen (vgl. Bl. 119, 162 der Beiakte 1) oder bei einem Brand zerstört worden (vgl. Bl. 25 der Gerichtsakte). Der Kläger hat auch nicht etwa unter Vorlage entsprechender Belege vorgetragen, wann genau sich sein vermeintlicher Vater von seiner ersten Ehefrau N. I. scheiden ließ. Ebenso hat er keine konkreten Nachweise zu einem gemeinsamen Leben mit W. I. vor dem Jahr 1955 vorgelegt. Soweit er vorbringt, es gebe nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine zielgerichtete Falschangabe und insbesondere bestehe kein Zusammenhang mit einer beabsichtigten Übersiedlung nach Deutschland, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Unabhängig von einer zielgerichteten Falschangabe ist es möglich, dass W. I. ab dem Jahr 1956 die rechtliche Stellung des Vaters des Klägers innehatte. Dies kann etwa auf eine zwischenzeitliche Adoption zurückzuführen sein. Eine spätere rechtliche Stellung als Vater lässt aber keinen zwingenden Schluss zu, dass es sich bei der Person auch um den biologischen Vater des betroffenen Kindes handelt.
31Es fehlt an einem Bekenntnis des Klägers zum deutschen Volkstum.
32Er hat sich zunächst nicht durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung zum deutschen Volkstum bekannt.
33Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG besteht in dem von einem entsprechenden Bewusstsein getragenen, nach außen hin verbindlich geäußerten Willen, selbst Angehöriger des deutschen Volkes als einer national geprägten Kulturgemeinschaft zu sein und keinem anderen Volkstum anzugehören, sich dieser Gemeinschaft also vor jeder anderen nationalen Kultur verbunden zu fühlen. Es setzt sich damit zusammen aus einer inneren Tatsache eines von einem entsprechenden Bewusstsein getragenen Willens und einer äußeren Tatsache der Verlautbarung dieser Bewusstseinslage nach außen.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 13.06.1995 – 9 C 392.94 –, juris, Rn. 21; Urteil vom 17.10.1989 – 9 C 18.89 –, juris, Rn. 11; Urteil vom 26.04.1967 – VIII C 30.64 –, juris, Ls. 1.1; OVG NRW, Urteil vom 11.06.2021 – 11 A 4703/19 –, juris, Rn. 37; Urteil vom 29.06.2020 – 11 A 644/18 –, juris, Rn. 32.
35Zwar stellt die Eintragung einer deutschen Nationalität in amtlichen Dokumenten bzw. das Bemühen um eine solche Eintragung nach außen hin eine Erklärung zur deutschen Nationalität dar. Im Allgemeinen kann daher auch ohne eine weitere Prüfung davon ausgegangen werden, dass hinter einem solchen äußeren Erklärungsinhalt auch subjektiv der Wille und das Bewusstsein stehen, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören. Dies gilt jedoch nicht schlechthin, sondern nur dann, wenn sich keine Anhaltspunkte für andere Beweggründe aufdrängen. Solche Anhaltspunkte liegen etwa vor, wenn die Nationalität in den amtlichen Dokumenten erst in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Aufnahmeverfahren geändert worden ist bzw. die Änderungsbemühungen erst zu diesem Zeitpunkt entfaltet worden sind. Unter diesen Umständen kann die äußere Erklärung, der deutschen Nationalität zuzugehören, ohne weiteres ein bloßes Lippenbekenntnis sein, das nur zu dem Zweck abgelegt wurde, in Deutschland ein Aufenthaltsrecht zu erhalten. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss in den Aussiedlungsgebieten subjektiv aber gerade mit dem Ziel abgelegt worden sein, dort als Deutscher angesehen und behandelt zu werden. Das schließt indessen die Annahme der deutschen Volkszugehörigkeit nicht aus, sondern bewirkt lediglich, dass nunmehr auch die Ernsthaftigkeit der sich nach außen hin als Bekenntnis zum deutschen Volkstum darstellenden Erklärung besonders nachzuweisen ist. Die innere Tatsache, dass der Erklärung auch der von einem entsprechenden Bewusstsein getragene Wille zugrunde liegt, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören, muss dabei nicht nur in den Fällen eines vorherigen Gegenbekenntnisses nachgewiesen werden, sondern in allen Fällen, in denen ausreichende Anhaltspunkte für andere Beweggründe, d.h. für ein Lippenbekenntnis, vorliegen.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.08.1995 – 9 C 391.94 –, juris, Rn. 29; Beschluss vom 30.08.1996 – 9 B 379.96 –, juris, Rn. 4; OVG NRW, Urteil vom 03.12.2018 – 11 A 1051/17 –, juris, Rn. 96; Urteil vom 09.06.2016 – 11 A 1254/14 –, juris, Rn. 99; VG Köln, Urteil vom 28.08.2024 – 10 K 3808/22 –, juris, Rn. 69.
37Von diesem grundlegenden Verständnis des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ist der Gesetzgeber auch nicht mit der am 23.12.2023 in Kraft getretenen Einfügung der Regelungen des § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BVFG durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 20.12.2023 abgewichen.
38Vgl. VG Köln, Urteil vom 28.08.2024 – 10 K 3808/22 –, juris, Rn. 71 ff.; Urteil vom 19.03.2024 – 7 K 1405/23 –, juris, Rn. 19 ff.
39Durch diese Änderung hat der Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG, der weiterhin ein „Bekennen“ und nicht etwa ein bloßes „Erklären“ verlangt, keine Änderung erfahren. Auch in systematischer Hinsicht hat der Gesetzgeber an die Grundsatzregelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG bloß zwei präzisierende Sätze für die Konstellation angefügt, dass eine Person von einem vorherigen Gegenbekenntnis zu einem fremden Volkstum abrücken möchte. Dies war auch bei einer historischen Herangehensweise die Absicht des Gesetzgebers, der eine Abkehr von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Voraussetzungen für ein Abrücken von einem Gegenbekenntnis erreichen wollte. Nach dieser Rechtsprechung war es im Falle eines früheren Gegenbekenntnisses erforderlich, dass die betroffene Person einen inneren Bewusstseinswandel konkret darlegt, der auch äußerlich in Erscheinung getreten sein musste.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.2021 – 1 C 5.20 –, juris, Rn. 22 ff.
41Diese erhöhten Darlegungsanforderungen für den Fall eines früheren Gegenbekenntnisses sollten beseitigt, nicht jedoch von dem vorgenannten grundlegenden Verständnis des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum abgewichen werden. So heißt es in der Begründung zu dem zugehörigen Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/8537, S. 14):
42„Unter einem Bekenntnis im Sinne des § 6 Absatz 1 BVFG ist der persönliche Wille und das Bewusstsein zu subsumieren, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören. Der rein innere Wille, der nicht nach außen in Erscheinung tritt, reicht dafür nicht aus. Vielmehr muss sich der jeweilige Antragsteller bereits im Aussiedlungsgebiet so verhalten, dass er von Außenstehenden eindeutig als deutscher Volkszugehöriger identifiziert wird. Dieses Bekennen darf nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ausreisewunsch stehen. Voraussetzung eines wirksamen Bekenntnisses ist es vielmehr, dass der Betreffende bereits in den Aussiedlungsgebieten als Deutscher lebt (und nicht erst für seine Ausreise erkennbar als Deutscher in Erscheinung tritt).“
43Nach diesem Maßstab hat sich der Kläger durch die vorgetragenen Nationalitätenerklärungen und Änderungsbemühungen nicht wirksam zum deutschen Volkstum bekannt.
44Zwar hat er im Jahr 2018 eine Klage auf die Feststellung seiner deutschen Nationalität vor einem russischen Gericht erhoben und das Verfahren über zwei Instanzen geführt. Außerdem hat er sich in seine am 15.01.2021 neu ausgestellte Heiratsurkunde (Bl. 175 f. der Beiakte 1) mit einer deutschen Nationalität eintragen lassen.
45Es bestehen jedoch starke Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei diesen Bestrebungen um ein bloßes Lippenbekenntnis handelt. Erstens stehen die Bemühungen des Klägers in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Aufnahmeverfahren. Er wurde seit seinem ersten Inlandspass über mehr als 50 Jahre hinweg durchgehend mit russischer Nationalität geführt. Erst auf den Hinweis der Beklagten im laufenden Aufnahmeverfahren mit Schreiben vom 06.08.2018, es brauche ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum, wandte er sich innerhalb weniger Tage an das russische Gericht, um seine deutsche Nationalität feststellen zu lassen. Auch die genannte Heiratsurkunde wurde erst zu einem Zeitpunkt neu ausgestellt, als das Aufnahmeverfahren schon seit knapp vier Jahren im Gange war. Zweitens deutet das Vorbringen des Klägers vor dem russischen Gericht darauf hin, dass es ihm weniger auf seine Wahrnehmung als Deutscher in den Aussiedlungsgebieten als auf die Erlangung eines Aufenthaltsrechts in Deutschland ankam. Das Oberste Gericht der Republik Karelien hat das Vorbringen des Klägers im Beschluss vom 25.09.2018 (Bl. 148 ff. der Beiakte 1) wie folgt zusammengefasst:
46„Derzeit sei von ihm die Entscheidung über die Ausreise zum ständigen Wohnsitz in Deutschland getroffen. Zum Zweck der Familienzusammenführung und um die Bedingungen der deutschen Gesetzgebung zur Gewährung der Aufenthaltserlaubnis und zum Erwerb des Rechts auf einen ständigen Aufenthalt in Deutschland zu erfüllen, müsse er seine deutsche Volkszugehörigkeit bestätigen. Die Feststellung der juristischen Tatsache seiner deutschen Volkszugehörigkeit durch die Feststellung seiner nationalen Identität im Gerichtswege und seine Anerkennung als Deutscher sei für den Erhalt einer Zusage für die Gewährung ihm des juristischen Rechts auf einen ständigen Aufenthalt in Deutschland und die Umsetzung seines Rechts auf den Zuzug zur Familie des Vaters notwendig.“
47Daraus lässt sich ableiten, dass der Kläger die Feststellung seiner deutschen Nationalität lediglich aufgrund der beabsichtigten Übersiedlung begehrte. Hierzu passt drittens auch das Verhalten des Klägers vor dem russischen Gericht ins Bild. Nach den Ausführungen im vorgenannten Beschluss vom 25.09.2018 sollte er nach der erstinstanzlichen Entscheidung Dokumente einreichen, dass er mit den zuständigen deutschen Behörden Kontakt aufgenommen habe und dass ihm wegen fehlender Nachweise für seine deutsche Volkszugehörigkeit ein Nachteil entstanden sei. Das hat der Kläger offenbar nicht getan. Vor diesem Hintergrund ist auch fraglich, ob er das Verfahren mit der gebotenen Ernsthaftigkeit geführt oder nur als formales Erfordernis für die Erteilung eines Aufnahmebescheids gesehen hat. Insbesondere hätte nahegelegen, das unmittelbar vorangegangene Schreiben der Beklagten vom 06.08.2018 nebst einer entsprechenden Übersetzung vorzulegen.
48Insofern hatte der Kläger die Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen besonders nachzuweisen. Dies hat er jedoch nicht getan. Es ist keine nachvollziehbare Erklärung vorgetragen oder ersichtlich, warum der Kläger nach über 50 Jahren erstmals im laufenden Aufnahmeverfahren als Deutscher in Erscheinung getreten ist. Die vorbeschriebenen Gesichtspunkte lassen einzig den Schluss zu, dass es ihm darauf ankam, sich ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu verschaffen. Soweit er im meint, das russische Gericht habe seine Angaben unrichtig bewertet bzw. verdreht, bestehen hierfür außer seiner unsubstantiierten Behauptung keine Anhaltspunkte.
49Der Kläger hat sich zudem nicht auf andere Weise als durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung zum deutschen Volkstum bekannt. Ein solches Bekenntnis kann gemäß § 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es bestehen vor allem keine Anhaltspunkte für ausreichende deutsche Sprachkenntnisse des Klägers in dem vorgenannten Sinne. Insbesondere hat er kein entsprechendes Sprachzertifikat vorgelegt. Einem Bekenntnis auf andere Weise würde aber ohnehin das nach den vorstehenden Ausführungen fortbestehende Gegenbekenntnis des Klägers zum russischen Volkstum entgegenstehen.
50Vgl. hierzu näher VG Köln, Urteil vom 28.08.2024 – 10 K 3808/22 –, juris, Rn. 50 ff.
51Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
52Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
53Rechtsmittelbelehrung
54Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
55Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
56Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
57Beschluss
58Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
595 000 €
60festgesetzt.
61Gründe
62Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Es ist der gesetzliche Auffangstreitwert festzusetzen, weil der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet.
63Rechtsmittelbelehrung
64Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.