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Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger einzubürgern.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
2Der im Jahr 1988 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er lebte bis 2009 in Kabul, floh dann nach Europa und reiste im Jahr 2010 nach Deutschland ein. Er stellte einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2011 ablehnte.
3Am 00.00.2012 wurde ein gemeinsames Kind des Klägers und Frau C. F. (Z. F.) geboren. Wegen der deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes wurde dem Kläger im Dezember 2012 erstmals eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.
4Im Folgenden kamen zunächst am 00.00.2016, am 00.00.2018 und am 00.00.2019 drei gemeinsame Kinder des Klägers und Frau V. N. (X., U. und Q. W.) zur Welt. Außerdem wurde am 00.00.2022 ein gemeinsames Kind des Klägers und seiner Lebensgefährtin Frau A. M. (G. W.) geboren. Mit dem jüngsten Kind und seiner Lebensgefährtin wohnt der Kläger in einem gemeinsamen Haushalt.
5Seit dem 01.02.2022 ist der Kläger bei der S. P. GmbH als Sicherheitsmitarbeiter beschäftigt. Sein (tariflicher) Stundenlohn beträgt mittlerweile 15,49 € (brutto) und seine regelmäßige Arbeitszeit liegt nach dem Arbeitsvertrag bei 173 Stunden pro Monat.
6Im Jahr 2020 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Antrag auf seine Einbürgerung.
7Am 06.03.2023 hat er eine Untätigkeitsklage erhoben.
8Der Kläger bringt im Wesentlichen vor: Es seien alle Voraussetzungen für seine Einbürgerung erfüllt. Der Beklagte solle mitteilen, inwiefern die nicht in seiner Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) erhielten und dies von ihm verschuldet wäre. Es spreche viel dafür, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) und § 2 Abs. 3 AufenthG heranzuziehen. Im Rahmen des § 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) habe der Einbürgerungsbewerber den Leistungsbezug der Familienmitglieder nur zu verschulden, wenn diese nicht bereits deutsche Staatsangehörige seien. Das Auslegungsergebnis des Beklagten zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Hs. 2 lit. b StAG scheine unsystematisch, weil die Regelung auf diese Weise faktisch leerlaufe.
9Der Kläger beantragt,
10den Beklagten zu verpflichten, ihn einzubürgern, hilfsweise über seinen Einbürgerungsantrag innerhalb einer vom Gericht zu bemessenden Frist unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Er bringt im Wesentlichen vor: Die Voraussetzung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG sei nicht erfüllt. Der Kläger könne auf der Grundlage seines monatlichen Nettogehalts den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II nicht bestreiten. Insbesondere seien insoweit die familienrechtlichen Mindestunterhaltsansprüche seiner ersten vier Kinder von seinem Einkommen abzuziehen. Soweit der Kläger eine Rechtsprechung aus dem Aufenthaltsrecht auf den Bereich der Einbürgerung übertragen wolle, sei dies nicht ohne weiteres möglich. Die gesetzlichen Voraussetzungen seien hier strenger und auf die Staatsangehörigkeit der unterhaltsberechtigten Personen komme es nicht an. Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG verlange als Beleg der wirtschaftlichen Integration eine grundsätzlich eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts. Unterhaltspflichten bestünden unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Der Kläger habe die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts zu vertreten. Er gehe zwar einer Vollzeittätigkeit nach, habe aber keine Versuche unternommen, eine auskömmlichere Beschäftigung zu finden. Der Kläger arbeite seit Jahren als Sicherheitsmitarbeiter und habe sich nie um eine andere Tätigkeit oder um Qualifizierungsmaßnahmen oder um eine Ausbildung bemüht. Das Jugendamt habe ihn schon im März 2022 aufgefordert, eine Tätigkeit zu finden, die höhere Unterhaltszahlungen erlaube. Darauf habe er nicht reagiert. Auch die Ausnahme nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Hs. 2 lit. b StAG sei nicht einschlägig. Der Einleitungssatz „von dieser Voraussetzung wird abgesehen“ beziehe sich auf die eine hinreichende Lebensunterhaltssicherung grundsätzlich ausschließende Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII. Der Kläger müsse den Lebensunterhalt für sich und seine Familienangehörigen weiterhin bestreiten können, nur ein Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII sei ggf. unschädlich. Ein „Bestreitenkönnen“ beinhalte eine Nachhaltigkeitsprognose, ob der Lebensunterhalt auch in absehbarer Zukunft eigenständig gesichert werden könne und Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII voraussichtlich nicht in Anspruch genommen werden müssten. Eine Nachhaltigkeitsprognose sei ebenso bei den neuen Ausnahmeregelungen nach lit. a bis lit. c vorzunehmen. Er, der Beklagte, folge insoweit den vorläufigen Anwendungshinweisen. Danach scheine es der Wille des Gesetzgebers zu sein, dass man sich durch eine Vollzeittätigkeit nicht von allen Unterhaltspflichten freimachen könne.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe
16Die Klage hat mit dem Hauptantrag Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
17Die Klage ist zulässig.
18Dem steht nach § 75 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) insbesondere nicht entgegen, dass es weiterhin an einem Ablehnungsbescheid fehlt, weil der Beklagte über den Einbürgerungsantrag des Klägers aus dem Jahr 2020 bis heute und damit in angemessener Frist ohne zureichenden Grund sachlich nicht entschieden hat.
19Die Klage ist begründet.
20Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf seine Einbürgerung.
21Dieser Anspruch folgt aus § 10 Abs. 1 StAG. Danach ist ein Ausländer, der seit fünf Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 34 Satz 1 StAG oder gesetzlich vertreten ist, auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt und weitere Voraussetzungen erfüllt sind. So muss der Einbürgerungsbewerber etwa sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes (GG) für die Bundesrepublik Deutschland und zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen bekennen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 1a StAG). Er muss über einen bestimmten Aufenthaltstitel verfügen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG) und grundsätzlich den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII bestreiten können (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG). Außerdem muss er grundsätzlich über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sowie über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Nr. 7 StAG). Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt.
22Insbesondere sind auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG erfüllt.
23Zwar kann der Kläger den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen nicht ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II bestreiten.
24Die Feststellung, ob der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten kann, erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Der Lebensunterhalt ist gesichert, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel den nach den Bestimmungen des SGB II ermittelten Bedarf übersteigen. Für die Berechnung des maßgeblichen Unterhaltsbedarfs ist dabei auf die Leistungsansprüche der Bedarfsgemeinschaft (vgl. § 9 Abs. 1, Abs. 2 SGB II) abzustellen, in der der Einbürgerungsbewerber aktuell lebt.
25Vgl. Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart, Urteil vom 12.01.2023 – 4 K 4335/22 –, juris, Rn. 26; Sachsenmaier, in: HTK-StAR, § 10 StAG, zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Rn. 21 ff.
26Nach diesem Maßstab bleiben im Fall des Klägers die nachhaltig zur Verfügung stehenden Mittel hinter dem festzustellenden Bedarf zurück. Der Kläger und die weiteren Personen der Bedarfsgemeinschaft haben zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung schon ohne die zu der aktuellen Anschrift nicht bekannten, aber grundsätzlich in ihrer tatsächlichen Höhe einzustellenden Miet- und Heizkosten (§ 22 SGB II) einen Bedarf von insgesamt 1.369 €. Dieser setzt sich zusammen aus einem doppelten Regelbedarf der Regelbedarfsstufe 2 für den Kläger und seine Lebensgefährtin in Höhe von jeweils 506 € (vgl. § 20 Abs. 4 SGB II) und einem Regelbedarf der Regelbedarfsstufe 6 für das gemeinsame Kind in Höhe von 357 € (vgl. § 23 Nr. 1 SGB II). Schon diesem Bedarf steht kein ausreichendes Einkommen gegenüber. Der Kläger verfügt zwar über seine Tätigkeit als Sicherheitsmitarbeiter in den letzten Monaten über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von ca. 2.100 € bis ca. 2.300 €, während seine Lebensgefährtin nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung einer Arbeitstätigkeit derzeit nicht nachgeht. Von diesem monatlichen Einkommen sind jedoch die Unterhaltsansprüche seiner ersten vier Kinder in Abzug zu bringen.
27Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 08.12.2022 – 19 A 3042/21 –, juris, Rn. 10; VG Stuttgart, Urteil vom 12.01.2023 – 4 K 4335/22 –, juris, Rn. 27.
28Bei der Berechnung der Höhe dieser Unterhaltsansprüche ist zumindest auf die jeweiligen Beträge der Mindestunterhaltsansprüche nach § 1612a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) i.V.m. der Verordnung zur Festlegung des Mindestunterhalts minderjähriger Kinder (Mindestunterhaltsverordnung – MUnterhVO) abzustellen.
29Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 08.12.2022 – 19 A 3042/21 –, juris, Rn. 10; Sachsenmaier, in: HTK-StAR, § 10 StAG, zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Rn. 67.
30Diese liegen im Fall des Klägers bei vier Kindern im Alter von 5, 6, 8 und 12 Jahren bei insgesamt 2.239 € (= 482 € + 554 € + 554 € + 649 €), wobei für jedes Kind das von dem Kläger hälftig „geleistete“ und offenbar unmittelbar an die jeweilige Mutter ausgezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 510 € (= 4 x 127,50 €) zu seinen Gunsten zu berücksichtigen ist. Dies führt im Ergebnis zu einem für den vorstehend dargestellten Bedarf nicht genügenden monatlichen Einkommen zwischen ca. 370 € und ca. 570 €.
31Soweit der Kläger vorbringt, die Unterhaltsansprüche seiner Kinder mit der deutschen Staatsangehörigkeit seien außer Betracht zu lassen, kann dem nicht gefolgt werden. Mit der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG verlangt der Gesetzgeber eine grundsätzlich eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts als ein Beleg einer wirtschaftlichen Integration.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.02.2009 – 5 C 22.08 –, juris, Rn. 16.
33Der Einbürgerungsbewerber soll nach dem Abzug seiner Unterhaltsverpflichtungen in der Lage sein, seinen Lebensunterhalt zu sichern, ohne auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II angewiesen zu sein. Bei dieser Zweckrichtung kommt es nicht auf die Staatsangehörigkeit der Kinder an, denen der Einbürgerungsbewerber zum Unterhalt verpflichtet ist. Stattdessen soll der Einbürgerungsbewerber vielmehr für den Unterhalt aller seiner unterhaltsberechtigten Kinder aufkommen können. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, die Unterhaltsansprüche der Kinder des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigkeit im Rahmen der Einkommensberechnung nicht in Abzug zu bringen.
34Zugunsten des Klägers greift jedoch die Ausnahmeregelung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Hs. 2 lit. b StAG.
35Danach wird von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG abgesehen, wenn der Ausländer in Vollzeit erwerbstätig ist und dies innerhalb der letzten 24 Monate mindestens 20 Monate war. Diese wörtlich genannten Voraussetzungen sind zunächst erfüllt. Der Kläger ist bei der S. P. GmbH in Vollzeit tätig, weil er nach dem zugrunde liegenden Arbeitsvertrag eine monatliche Arbeitszeit von 173 Stunden zu leisten hat und diese Stunden auch leistet, was in einem Jahr einer Arbeitszeit von 2.076 Stunden und einer wöchentlichen Arbeitszeit von rund 40 Stunden entspricht. Der Kläger war ausweislich der vorgelegten Lohnabrechnungen auch innerhalb der letzten 24 Monaten durchweg mit einem entsprechenden Stundenumfang tätig (vgl. Bl. 18 ff. der Beiakte 1 Teil 2, 111 ff., 161 f. der Gerichtsakte und die am Tag der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen).
36Darüber hinaus ist im Rahmen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Hs. 2 lit. b StAG eine Prognose anzustellen.
37Zwar mag der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Hs. 2 lit. b StAG zunächst nahelegen, dass ein Prognoseelement im Rahmen der Ausnahmeregelung nicht erforderlich ist, weil von der Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts „abgesehen“ wird und der Tatbestand in erster Linie auf die vergangene sowie die aktuelle Erwerbstätigkeit der betroffenen Person ausgerichtet ist.
38Vgl. Sachsenmaier, in: HTK-StAR, § 10 StAG, zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Rn. 293 ff.; Weber, in: BeckOK AuslR, StAG, § 10 Rn. 35.
39Es folgt jedoch aus der systematischen Eingliederung der Ausnahmeregelung in die wirtschaftlichen Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG, dass auch in diesem Rahmen ein gewisses Prognoseelement erforderlich ist. Für die Grundsatzregelung ist geklärt, dass eine eigenständige wirtschaftliche Sicherung des Lebensunterhalts eine Prognose erfordert, ob die betroffene Person voraussichtlich in einem überschaubaren Zeitraum in der Zukunft in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Einkünften zu sichern, sie also Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in diesem Zeitraum voraussichtlich nicht wird in Anspruch nehmen müssen.
40Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 26.11.2021 – 19 A 1245/20 –, juris, Rn. 10 m. w. N.
41Wenn der Gesetzgeber aber mit den wirtschaftlichen Einbürgerungsvoraussetzungen insgesamt einen Beleg der wirtschaftlichen Integration fordert, ist dieser Gedanke einer gewissen Prognose insoweit auf die Ausnahmeregelung für den Fall einer Vollzeittätigkeit zu übertragen, als dass diese sich nicht auf einen Blick auf die vergangene Arbeitstätigkeit und die aktuelle Tätigkeit der betroffenen Person zum maßgeblichen Zeitpunkt beschränkt. Dies wird durch den Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der Ausnahmeregelung bestätigt. Bei einer Person, die einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit im Umfang einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht, soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers das darin zum Ausdruck kommende nachhaltige Bemühen um die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts genügen, um eine ausreichende wirtschaftliche Integration anzunehmen.
42Vgl. BT-Drs. 20/9044, S. 33.
43Ob sich eine Person in diesem Sinne nachhaltig um die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts bemüht, kann aber nicht mit einem bloßen Blick in die Vergangenheit beurteilt werden. Vielmehr ist in einem gewissen Umfang auch das künftig zu erwartende Geschehen einzubeziehen.
44Die Prognose ist im Rahmen der Anwendung der Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Hs. 2 lit. b StAG dahin auszurichten, ob die aktuelle Vollzeittätigkeit in einem überschaubaren Zeitraum in der Zukunft voraussichtlich fortdauern wird.
45Soweit in den Vorläufigen Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern (BMI) im Falle des Sozialleistungsbezugs in dem dem Zweijahreszeitraum vorangehenden Zeitraum eine dahingehende Prognose verlangt wird, dass die betroffene Person in der Lage sein wird, ihren Lebensunterhalt weitestgehend eigenständig zu sichern, kann dem nicht gefolgt werden. Gleiches gilt für die von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerte und noch weitergehende Auffassung, es müsse prognostiziert werden können, dass die betroffene Person in absehbarer Zukunft auch nicht auf aufstockende Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII angewiesen sein wird. Ein derart weitreichendes Prognoseelement ist weder mit dem Wortlaut der Ausnahmeregelung zu vereinbaren noch nach ihrem vorgenannten Sinn und Zweck geboten. Wenn ein nachhaltiges Bemühen um die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts als Beleg für die wirtschaftliche Integration genügen soll, ist es weder erforderlich, dass die betroffene Person ihren Lebensunterhalt zu einem bestimmten Anteil bzw. weitestgehend eigenständig sichern kann noch kann verlangt werden, dass ein Bezug von aufstockenden Leistungen künftig voraussichtlich nicht mehr stattfinden wird. Ebenso bietet ein Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII vor dem in der Regelung genannten Zweijahreszeitraum keinen regelhaften Anlass für eine umfassende Nachhaltigkeitsprognose. Bereits in einer voraussichtlich fortdauernden Vollzeittätigkeit kommt nach der Intention des Gesetzgebers hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass sich die betroffene Person nachhaltig um die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts bemüht. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass gerade geflüchtete Menschen nach ihrer Einreise typischerweise zunächst auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) verwiesen sind und anschließend aus nicht mit ihrer Erwerbsbereitschaft im Zusammenhang stehenden Gründen (z.B. Integrationskurse, Nachschulungskurse) Leistungen nach dem SGB II beziehen. Der typische Weg von geflüchteten Personen in den Arbeitsmarkt führt über randständige und schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse. Ein solcher typischer Verlauf bietet entgegen der Annahme in den vorläufigen Anwendungshinweisen des BMI keinen Anlass zu Zweifeln an der künftigen Integration der betroffenen Person in den Arbeitsmarkt.
46Vgl. Berlit, in: GK-StAR, StAG, § 10 Rn. 426.
47Nach diesem Maßstab fällt die anzustellende Prognose im Falle des Klägers positiv aus.
48Der Kläger ist nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung seit mittlerweile etwa fünf Jahren ununterbrochen in Vollzeit erwerbstätig. Demnach war er als Sicherheitsmitarbeiter zunächst über etwa zwei Jahre für die D. O. GmbH und ist seit etwa drei Jahren für die S. P. GmbH tätig. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass diese Vollzeittätigkeit in absehbarer Zeit nicht fortdauern sollte. Insbesondere verfügt der Kläger seit knapp zwei Jahren über ein unbefristetes Arbeitsverhältnis (vgl. Bl. 128 der Gerichtsakte) und er hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft erklärt, an diesem Arbeitsverhältnis festhalten zu wollen.
49Es sind auch die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 StAG erfüllt. So ist nach den Angaben des Beklagten insbesondere die Identität des Klägers geklärt (vgl. Bl. 66 der Gerichtsakte), der Kläger verfügt über einen qualifizierten Aufenthaltstitel (vgl. Bl. 166 der Gerichtsakte) und es bestehen nach seinen Darlegungen in der mündlichen Verhandlung keine durchgreifenden Zweifel an seinem Bekenntnis zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot der Führung eines Angriffskriegs.
50Auf der Rechtsfolgenseite hat der Kläger gegen den Beklagten angesichts einer gebundenen Entscheidung („ist […] einzubürgern“) einen Anspruch auf seine Einbürgerung.
51Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
52Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).
53Die Zulassung der Berufung beruht auf § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Die entscheidungserhebliche Frage der Auslegung der erst zum 27.06.2024 in Kraft getretenen Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Hs. 2 lit. b StAG stellt eine in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang noch nicht geklärte Rechtsfrage dar, die angesichts der zahlreichen noch zu erwartenden, bei dem Beklagten und weiteren Einbürgerungsbehörden eingegangenen und bei dem Gericht anhängigen Einbürgerungsverfahren eine fallübergreifende und verallgemeinerungsfähige Bedeutung erlangt.
54Rechtsmittelbelehrung
55Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich Berufung eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
56Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Mün-ster schriftlich einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
57Die Berufung ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
58Beschluss
59Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
6010.000,- Euro
61festgesetzt.
62Gründe
63Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für den Kläger ist es angemessen, den Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (vgl. Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
64Rechtsmittelbelehrung
65Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.