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1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selber trägt, tragen die Antragsteller als Gesamtschuldner.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
2Der Antrag der Antragsteller,
3die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 22. Mai 2024 gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 12. Juli 2023 anzuordnen,
4hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
5In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Aussetzungsinteressen. Diese Interessenabwägung orientiert sich an der grundsätzlichen Wertung des Gesetzgebers, die in § 212a Abs. 1 BauGB zum Ausdruck kommt. Danach hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann.
6Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Januar 2024 – 7 B 687/23 –, juris, Rn. 18; Beschluss vom 22. März 2016 – 7 B 1083/15 –, juris, Rn. 7.
7Danach war die aufschiebende Wirkung hier nicht anzuordnen. Es bestehen voraussichtlich keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache, weil die angefochtene Baugenehmigung die Antragsteller bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht in eigenen Rechten verletzt, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
8Ein Nachbar kann nur dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn diese gegen prüfungsgegenständliche nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verstößt und eine Befreiung oder Abweichung von diesen Vorschriften nicht vorliegt oder sie unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen. Ob das Vorhaben objektiv, das heißt hinsichtlich derjenigen Vorschriften, die nicht nachbarschützend sind, rechtswidrig ist, ist dagegen im Baunachbarstreitverfahren unbeachtlich.
9Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Mai 2017 – 2 A 130/16 –, juris, Rn. 26.
10Verstöße gegen nachbarschützende Normen sind bei summarischer Prüfung nicht feststellbar.
11Die angegriffene Baugenehmigung verstößt insbesondere nicht gegen nachbarschützendes Bauplanungsrecht. Hinsichtlich des Fluchtlinienplans Nr. 000 der Beklagten, der über keine Legende verfügt, spricht bereits viel dafür, dass im rückwärtigen Grundstücksbereich keine verbindlichen Baufluchtlinien festgesetzt wurden, da – aus dem straßenseitigen Bereich ersichtlich – derartige Festsetzungen durch in kräftigem Rot gehaltene Linien erfolgten, wohingegen die Linien im rückwärtigen Bereich in hellrot dargestellt sind. Jedenfalls ist bei summarischer Prüfung nicht erkennbar, dass etwaige Festsetzungen hier eine nachbarschützende Wirkung entfalten würden.
12Inwieweit die Festsetzungen eines Bebauungsplans Drittschutz vermitteln, muss, soweit sie nicht bereits kraft Bundesrechts eine nachbarschützende Funktion haben, den Festsetzungen selbst entnommen werden. Von einer neben die städtebauliche Ordnungsfunktion tretenden nachbarschützenden Wirkung von Festsetzungen, denen nicht schon kraft Bundesrecht eine solche Wirkung zukommt, ist nur dann auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen dahingehenden Willen des Plangebers erkennbar sind. Dies ist in jedem Einzelfall anhand des Inhalts und der Rechtsnatur der Festsetzung, ihres Zusammenspiels mit den anderen Regelungen des Bebauungsplans, der Planbegründung und/oder anderer Vorgänge im Zusammenhang mit der Planaufstellung im Wege der Auslegung zu ermitteln. Hierbei ist insbesondere von Bedeutung, ob die Eigentümer benachbarter Grundstücke durch die Festsetzung im Sinne eines „Austauschverhältnisses“ rechtlich derart miteinander verbunden sind, dass sie im Hinblick auf den geregelten Sachverhalt zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet sind oder insoweit eine „Schicksalsgemeinschaft“ bilden, aus der keiner der Beteiligten ausbrechen darf.
13Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – 10 A 361/20 –, juris, Rn. 7 ff., m. w. N.
14Festsetzungen eines Bebauungsplans über das Maß der baulichen Nutzung sowie zur überbaubaren Grundstücksfläche haben ebenso wie Gestaltungsfestsetzungen grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. März 2020 – 10 A 1973/19 –, juris, Rn. 7, m. w. N.
16Anhaltspunkte für eine Nachbarschutz vermittelnde Festsetzung können sich aus dem Bebauungsplan, seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der planenden Gemeinde ergeben. Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf die Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes aber nicht aus.
17Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 9 ZB 18.1092 –, juris, Rn. 4.
18Für einen dahingehenden Willen des Plangebers, den Festsetzungen neben ihrer städtebaulichen Ordnungsfunktion eine nachbarschützende Wirkung zukommen zu lassen, ist bei summarischer Prüfung nichts ersichtlich. Dass durch etwaige Festsetzungen an den Grundstücken, die am Versprung der Baufluchtlinie befindlich sind, Grundstückssteile von angrenzender Bebauung freigehalten werden – das nicht zurückspringende Grundstück verfügt über einen im vorderen Bereich von Bebauung frei bleibenden Teil –, stellt eine bloße günstige Auswirkung dar, die für sich genommen keinen Nachbarschutz begründen kann.
19Soweit die Antragsteller geltend machen, die sonstigen in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Einfügenskriterien, insbesondere die – durch eine von ihnen angenommene faktische hintere Baugrenze beschränkte – überbaubare Grundstücksfläche, seien zu ihren Lasten verletzt, ist dem entgegenzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung § 34 BauGB nicht generell nachbarschützende Wirkung hat. Dem Maß der baulichen Nutzung und den weiteren Gesichtspunkten für das „Einfügen“ im Sinne des Gesetzes als solchen kommt im nicht überplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB keine nachbarschützende Wirkung zu.
20Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2022 – 10 B 1764/21 –, juris, Rn. 6 f., m. w. N.; Beschluss vom 14. Januar 2021 – 10 B 1891/20 –, juris, Rn. 4 ff. OVG NRW, Beschluss vom 11. März 2016 – 7 B 1371/15 –, juris, Rn. 7; BVerwG, Urteil vom 13. März 1981 – 4 C 1.78 –, juris, Rn. 35.
21Entsprechend können die Antragsteller nicht mit Erfolg rügen, dass sich das Vorhaben generell wegen der Hervorrufung bodenrechtlicher Spannungen nicht in die nähere Umgebung einfüge.
22Für die isolierte Rüge, im hinteren Grundstücksbereich sei im Obergeschoss zugunsten der Antragsteller nach § 22 Abs. 3 BauNVO eine offene Bauweise erforderlich und diese werde nicht eingehalten, ergibt sich nichts anderes. Dahingehende planerische Festsetzungen sind nicht ersichtlich. Ein Umgebungsrahmen, aus dem die Freihaltung des Obergeschosses über rückwärtiger Bebauung ableitbar wäre, ist nicht erkennbar. Darüber hinaus käme diesem keine nachbarschützende Wirkung zu. § 22 BauNVO, der unmittelbar regelt, was bei planerischer Festsetzung durch Bebauungsplan gelten soll, enthält für den unbeplanten Innenbereich und die Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB keine zwingenden und schematisch zu übertragenden Vorgaben. Vielmehr können sie hier lediglich als Auslegungshilfe Berücksichtigung finden, die mit der Prägung der Umgebungsbebauung im Einzelfall abzugleichen ist. In der geschlossenen Bauweise werden die Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand errichtet, es sei denn, die vorhandene Bebauung erfordert eine Abweichung im Sinn von § 22 Abs. 3 BauNVO. Ob eine Abweichung erforderlich ist, muss aufgrund einer Abwägung zwischen den auf der vorhandenen Bebauung beruhenden, objektiv für ein Abrücken von einer seitlichen Grundstücksgrenze sprechenden Gründen und dem Interesse des Bauherrn, die an sich gegebene Möglichkeit zum Grenzanbau auszunutzen, entschieden werden. Danach bedarf es einer Abweichung, wenn der Grenzanbau für den Nachbarn unzumutbar und damit rücksichtslos ist.
23Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. September 2019 – 10 B 1101/19 –, juris, Rn. 4 f; Urteil vom 15. Juli 2013 – 2 A 969/12 –, juris, Rn. 73 ff.; Beschluss vom 13. Dezember 2012 – 2 B 1250/12 –, juris, Rn. 28 ff. m. w. N.; OVG S-H, Beschluss vom 26. März 2021 – 1 MB 7/21 –, juris, Rn. 11.
24Derartiges ist vorliegend nicht zu erkennen. Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verletzt – wie noch ausgeführt wird – das Gebot der Rücksichtnahme zulasten der Antragsteller nicht.
25Das Bauvorhaben des Beigeladenen verstößt bei summarischer Prüfung auch nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungs-, insbesondere des Abstandsflächenrechts.
26Das Vorhaben darf ohne Abstandsfläche grenzständig zum Grundstück der Antragsteller errichtet werden. Es liegen die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BauO NRW vor.
27Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW sind grundsätzlich vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Die Abstandsflächen müssen auf dem Grundstück selbst liegen, § 6 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW. Die Tiefe der Abstandsfläche beträgt grundsätzlich mindestens drei Meter, § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO NRW, und bemisst sich nach der Wandhöhe, § 6 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 BauO NRW. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BauO NRW ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf, wenn gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ohne Grenzabstand gebaut wird.
28So liegt es hier. Nach planungsrechtlichen Vorschriften darf vorliegend an die Grundstücksgrenze gebaut werden. Ausweislich des im Internet frei abrufbaren Karten- und Bildmaterials ist in der maßgeblichen näheren Umgebung des Vorhabenbereichs nach § 34 Abs. 1 BauGB die grenzständige Bauweise jedenfalls planungsrechtlich zulässig.
29Für das Vorhaben des Beigeladenen besteht auf dem Grundstück der Antragsteller auch eine ausreichende Sicherung für eine grenzständige Bebauung.
30Eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Sicherung im Sinne der Vorschrift liegt hier nicht vor. Allerdings kann auch eine bereits vorhandene, hinreichend gewichtige Bebauung auf dem Nachbargrundstück als sogenannte faktische Anbausicherung unter Umständen die rechtliche Sicherung ersetzen, wenn sich diese Bebauung an der gemeinsamen Grenze auf einer nennenswerten Länge mit dem Vorhaben deckt und von ihrem Fortbestand ausgegangen werden kann.
31Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2019 – 10 A 1693/17 –, juris, Rn. 8 f., m. w. N.
32In welchem Ausmaß ein Bauvorhaben der an der Grenze vorhandenen Bebauung entsprechen muss, um diese als Anbausicherung in Anspruch nehmen zu können, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 6 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BauO NRW. Lässt das Bauplanungsrecht grundsätzlich eine Verdichtung der Bebauung durch Grenzbebauung unter Ausnutzung der zulässigen Bebauungstiefe zu, haben die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften die Funktion, die bauliche Nutzbarkeit des abstandsrechtlich erheblichen Bereichs im Verhältnis zum unmittelbar benachbarten Grundstück zu regeln.
33Vgl. zur Vorgängerregelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b BauO NRW 2000: OVG NRW, Beschluss vom 2. Januar 2017 – 10 B 1363/16 –, juris, Rn. 13 ff., m. w. N.
34Dabei muss die vorhandene Grenzbebauung in Höhe und Tiefe nicht deckungsgleich mit dem zu errichtenden Bauvorhaben sein. Dies entspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers seit der Neufassung des § 6 Abs. 1 BauO NRW durch die BauO NRW 1995, mit der auch die heutige Regelung noch weitestgehend übereinstimmt. Während nach der Vorgängerregelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 1984 gesichert sein musste, dass vom Nachbargrundstück „an“gebaut wird, muss nach der derzeit geltenden Fassung lediglich noch gesichert sein, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls ohne Grenzabstand gebaut wird. Diese Voraussetzung ist im Gegensatz zur Vorgängerregelung der BauO NRW 1984 auch dann erfüllt, wenn das streitige Vorhaben in Höhe und Tiefenerstreckung nicht weitgehend demjenigen auf dem Nachbargrundstück entspricht. Denn ausschließlich aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 1984, nämlich dem Begriff „anbauen“, hatte die Rechtsprechung seinerzeit gefolgert, der Gebäudeanbau müsse weitestgehend deckungsgleich mit der bereits bestehenden grenzständigen Bebauung sein. Diese Rechtsprechung hatte zur Folge, dass derjenige, der zuerst baute, aber innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche die zulässige Bautiefe oder Gebäudehöhe nicht ausnutzte, die Baumaße des später bauenden Nachbarn an der gemeinsamen Grenze bestimmte. Diese Folge erschien dem Gesetzgeber misslich. Er hat deshalb den Wortlaut des Gesetzes geändert, um die bisher aus dem Begriff „anbauen“ gezogenen Folgerungen zu vermeiden.
35Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs: Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucksache 11/7153, S. 149; ebenso zur seinerzeitigen Gesetzesänderung: OVG NRW, Urteil vom 13. Dezember 1995 – 7 A 159/94 –, juris, Rn. 13.
36Das Maß der baulichen Nutzung, und zwar auch die Höhe des vorgesehenen Baukörpers, ist vorbehaltlich einer Überprüfung unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme folglich nicht erheblich.
37Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. Juni 2004 – 7 A 4241/03 –, juris, Rn. 27, sowie VG Köln, Beschluss vom 30. Juni 2005 – 2 L 839/05 –, juris, Rn. 26; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 2022 – 7 B 666/22 –, juris, Rn. 5.
38Für die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit im Sinne des Abstandsrechts kommt es dann nur darauf an, ob das Vorhaben innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf. Eine Deckungsgleichheit und damit eben und gerade auch eine gleiche Gebäudehöhe wird nicht mehr verlangt.
39Vgl. OVG NRW Urteil vom 13. Dezember 1995 – 7 A 159/94 –, juris, Rn. 12 f.; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25. November 2019 – 5 S 2373/19 –, juris, Rn. 13 ff. zur entsprechenden Norm des dortigen Landesrechts.
40Das auf dem Nachbargrundstück vorhandene Gebäude und das Bauvorhaben müssen allerdings noch in einer gewissen Beziehung zueinander stehen und sich noch in relevanter Weise entsprechen, um von einer faktischen Anbausicherung sprechen zu können. Dabei sind die Interessen und berechtigten Erwartungen des Nachbarn, dass der Bauherr die gemeinsame Grenze nicht in wesentlich größerem Ausmaß für eine grenzständige Bebauung in Anspruch nimmt als er selbst es getan hat, zu berücksichtigen. Denn die faktische Anbausicherung ersetzt die grundsätzlich erforderliche privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Sicherung, die ihrerseits eine Vereinbarung mit dem Nachbarn dahingehend voraussetzt, dass er sich für den Fall der Bebauung seines Grundstücks verpflichtet, an der gemeinsamen Grundstücksgrenze ebenfalls ohne Grenzabstand zu bauen. Mit einer Bebauung in vollkommen anderen Dimensionen muss der Nachbar, der selbst an die Grenze gebaut hat, folglich nicht rechnen.
41Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2019 – 10 A 1693/17 –, juris, Rn. 19; Beschluss vom 2. Januar 2017 – 10 B 1363/16 –, juris, Rn. 18 f., m. w. N.; Beschluss vom 9. August 2016 – 7 A 2893/15 –, juris, Rn. 8; Johlen, in: Gädtke u. a., BauO NRW, 14. Auflage 2023, § 6 BauO NRW, Rn. 329, 331. Vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25. November 2019 – 5 S 2373/19 –, juris, Rn. 16 ff., zur entsprechenden Norm des dortigen Landesrechts mit dem Erfordernis, dass als Ergebnis einer beiderseitigen Grenzbebauung noch der Eindruck einer geschlossenen Bauweise vermittelt wird. Zur „gemeinsamen Grenzbebauung“ vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2019 – 7 A 1419/17 –, juris, Rn. 74 und 76.
42Nach diesen vorgenannten Maßstäben kommt dem grenzständig errichteten Gebäude auf dem Grundstück der Antragsteller vorliegend die erforderliche Eigenschaft als Anbausicherung zu.
43Das Wohngebäude der Antragsteller und das Wohngebäude des Beigeladenen sind bereits zu großen Teilen grenzständig parallel errichtet worden. Das Vorhaben des Beigeladenen soll insoweit an einer Stelle errichtet werden, an der bereits eine deckungsgleiche grenzständige Bebauung über jedenfalls ein Stockwerk besteht. Entspricht sich die Grenzbebauung wie vorliegend in relevanter Weise, kommt es darauf, dass das Vorhaben in der Höhe dem Gebäude auf dem Grundstück der Antragsteller nicht weitgehend entspricht, vorbehaltlich einer Überprüfung unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme, nicht an. Auch der Vortrag der Antragsteller, frühere Eigentümer des Beigeladenengrundstücks hätten dem Anbau auf dem Antragstellergrundstück, der nur das erste Obergeschoss umfasse und sich verjünge, zugestimmt, gebietet nichts anderes. Eine privatrechtliche Einschränkung der faktischen Sicherung ist darin nicht zu erblicken. Dahingestellt, ob eine solche Einschränkung überhaupt möglich wäre, finden sich jedenfalls keine objektivierbaren Anhaltspunkte für einen dahingehenden Willen der früheren Eigentümer, eine solche Einschränkung vornehmen zu wollen. Angesichts der Tragweite einer solchen Verpflichtung bedürfte es dafür zumindest Anhaltspunkten von erheblichem Gewicht. Diese sind entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht schon darin zu erblicken, dass nach der damaligen Rechtslage – wie ausgeführt – noch „angebaut“ werden musste. Sofern derartige Erwägungen – spekulativ – von den damaligen Eigentümern berücksichtigt worden sein sollten, spricht dem ersten Anschein nach viel dafür, dass es sich dabei allenfalls um Nützlichkeitserwägungen, nicht dagegen um Erwägungen, denen eine Bindungswirkung zukommen sollte, handelte.
44Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verletzt auch nicht zulasten der Antragsteller das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme.
45Das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich im Nachbarschaftsverhältnis gewährleisten. Die Abwägung der gegenläufigen Interessen hat sich deshalb an der Frage auszurichten, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger Rücksichtnahme braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, zu nehmen. Berechtigte eigene Belange muss er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde Belange zu schonen.
46Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993 – 4 C 19.90 –, juris, Rn. 20.
47Die Erwartung des Eigentümers eines Grundstücks in einem überwiegend bebauten Bereich, die bauliche Situation der umliegenden Grundstücke werde unverändert bleiben, ist grundsätzlich nicht geschützt. Er muss auch Bebauungen der benachbarten Grundstücke hinnehmen, die die Situation seines eigenen Grundstücks wesentlich verschlechtern.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. April 2021 – 10 A 3745/18 –, juris, Rn. 31.
49Das Rücksichtnahmegebot ist keine allgemeine Billigkeitsregel, um grundsätzlich hinzunehmende gesetzgeberische Wertentscheidungen nach Angemessenheitskriterien bei Bedarf zu korrigieren. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen für die Frage ausreichender Wahrung des betroffenen Schutzgutes keine einschlägigen (objektiven) Kriterien oder Grenzwerte vorhanden sind.
50Vgl. (für das Schutzgut Belichtung) OVG NRW, Urteil vom 30. Mai 2017 – 2 A 130/16 –, juris, Rn. 55.
51Das Vorhaben verstößt nicht unter dem Gesichtspunkt einer erdrückenden Wirkung zulasten der Antragsteller gegen das Rücksichtnahmegebot.
52Eine erdrückende Wirkung wird angenommen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls – und gegebenenfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandsflächen – derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird.
53Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. März 2021 – 7 A 1791/19 –, juris, Rn. 37 f., m. w. N.
54Ob eine solche Wirkung zu erwarten ist oder nicht, kann nur unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden.
55Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Januar 2023 – 10 A 2094/20 –, juris, Rn. 68.
56Sie liegt nur in Ausnahmefällen vor.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2021 – 4 A 14.19 –, juris, Rn. 73.
58Mit – zuvor dargelegter – Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen sind regelmäßig nicht nur die Belange ausreichender Belichtung und Besonnung sowie eines hinreichenden „Sozialabstandes“ gewahrt, sondern wird regelmäßig auch eine erdrückende Wirkung vermieden.
59Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Mai 2022 – 2 B 97/22.NE –, juris, Rn. 33.
60Eine Ausnahmesituation im Sinne der vorstehenden Fallgruppen ist hier nicht festzustellen. Anhaltspunkte für eine „Einmauerung“ des Grundstücks der Antragsteller gibt es nicht, eine „Gefängnishofsituation“ kann nicht festgestellt werden. Vielmehr betrifft das Vorhaben im Wesentlichen nur eine einseitig angrenzende Fläche geringen Umfangs, insbesondere führt allein das Überragen der Terrasse um acht Meter noch nicht zur Annahme einer erdrückenden Wirkung. Im Übrigen grenzt an das Grundstück der Antragsteller auch zukünftig im rückwärtigen Bereich unbebaute Freifläche an. Dass das Gebäude auf dem Grundstück der Antragsteller überwiegend als vom Vorhaben dominierter Bereich ohne eigene Charakteristik wahrgenommen werden könnte, ist nicht substantiiert vorgetragen oder erkennbar und angesichts der Verhältnisse der Baukörper zueinander auch fernliegend. Das Vorhaben weist schon kein erheblich über die – zudem ebenfalls im rückwärtigen Bereich erweiterte – Bebauung des Antragstellergrundstücks hinausgehendes Volumen auf.
61Auch für eine unzumutbare Beeinträchtigung der Belichtung des Grundstücks der Antragsteller ist nichts ersichtlich. Die zusätzliche Verschattung betrifft voraussichtlich nur einen kleineren Teil jenes Grundstücks auf der Rückseite ihres Wohngebäudes. Damit einhergehende antragstellerseitig befürchtete steigende Heiz- und Lichtkosten führen zu keiner anderen Bewertung. Die Aufrechterhaltung einer ungeschmälerten Nutzung und das Fehlen von Anlagen, die dem entgegenstehen, stellen eine durch die Baugenehmigung vermittelte Chance dar, deren Vereitelung nicht dem Entzug einer Rechtsposition gleichkommt.
62Vgl. zu Aussichtsmöglichkeiten: BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1993 – 4 C 5.93 –, juris, Rn. 23 f.
63Die vorgetragene antragstellerseitige Sehbehinderung im Dunklen führt zu keiner anderen Bewertung. Es handelt sich dabei weder um einen grundstücksbezogenen Gesichtspunkt, noch ist ersichtlich, dass nicht durch eine entsprechende Be- bzw. Ausleuchtung der Innenräume zumutbar Abhilfe geschaffen werden könnte.
64Aus der vorgetragenen Eigenschaft des Gebäudes der Antragsteller als „Architektenhaus“ folgt ausgehend von oben stehendem Maßstab nichts anderes; soweit das „Architektenhaus“ im Bestand besonders gut zur Geltung gekommen sein sollte, handelte es sich bei der Fortdauer dieses Zustands um eine bloße Chance, deren Vereitelung nicht dem Entzug einer Rechtsposition gleichkommt.
65Auch der antragstellerseitig befürchtete Wertverlust ihres Grundstücks führt nicht zur Annahme der Rücksichtslosigkeit. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder erkennbar, dass die Antragsteller einen über eine möglicherweise situationsbedingt hinzunehmende Wertminderung hinausgehenden, schlechterdings unzumutbaren Wertverlust ihres Eigentums durch das streitgegenständliche Bauvorhaben hinzunehmen haben.
66Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2019 – 10 A 1802/18 –, juris, Rn. 25 - 27.
67Entsprechend den Darlegungen zur Frage der Anbausicherung ist ein auf Grundlage einer vermeintlichen Einigung mit den Voreigentümern bestehendes „Lichtrecht“ nicht zu erkennen. Zudem wird die Baugenehmigung unbeschadet der Rechte Dritter erteilt, § 74 Abs. 4 BauO NRW.
68Ausgehend von den fehlenden Erfolgsaussichten und der grundsätzlichen Wertung des Gesetzgebers in § 212a Abs. 1 BauGB überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse, zumal die von den Antragstellern weiter für ein Aussetzungsinteresse angeführten Gründe – wie die Vermeidung von Rückbaukosten und die Vermeidung einer Haftung der Antragsgegnerin – nicht ihr eigenes Aussetzungsinteresse betreffen.
69Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller als Gesamtschuldner (§ 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO).
70Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, da er keinen Sachantrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO.
71Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Im Hinblick auf die Vorläufigkeit dieses Verfahrens hält es die Kammer für angemessen, den für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Wert zu halbieren (vgl. Ziffer 7 Buchstabe a und Ziffer 14 Buchstabe a des Streitwertkataloges der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 2019, veröffentlicht in BauR 2019, 610).
72Rechtsmittelbelehrung
73Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
74Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
75Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
76Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
77Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
78Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
79Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
80Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
81Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.