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1. Die aufschiebende Wirkung der Klage Az.: 2 K 275/24 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners vom 29. November 2023 (Az.: N01) für die Errichtung eines Bistros mit Multifunktionsplatz und Nebenanlagen auf dem Grundstück G01 (postalisch: W.-straße, 00000 N.), wird angeordnet. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der Antrag der Antragstellerin,
3die aufschiebende Wirkung der Klage Az.: 2 K 275/24 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners vom 29. November 2023 (Az.: N01) für die Errichtung eines Bistros mit Multifunktionsplatz und Nebenanlagen auf dem Grundstück G01 (postalisch: W.-straße, 00000 N.) anzuordnen,
4hat Erfolg.
5Die im Verfahren nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse der Beigeladenen an der weiteren Ausnutzung der ihr erteilten Baugenehmigung und dem Interesse der Antragstellerin, die weitere Ausnutzung vorerst zu verhindern, fällt zum Nachteil der Beigeladenen aus. Denn die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners vom 29. November 2023 für die Errichtung eines Bistros mit Multifunktionsplatz und Nebenanlagen auf dem Grundstück G01 (W.-straße, in 00000 N.) verletzt die Antragstellerin nach summarischer Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in ihren Rechten als Miteigentümerin des Grundstücks G02 (Y.-straße 00, 00000 N.), mit der Folge, dass die Klage Az.: 2 K 275/24 aller Voraussicht nach Erfolg haben wird.
6Ein Nachbar kann nur dann erfolgreich gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn diese gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verstößt und eine Befreiung oder Abweichung von diesen Vorschriften nicht vorliegt oder eine solche unter Berücksichtigung nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen.
7Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Die erteilte Baugenehmigung des Antragsgegners verletzt die Antragstellerin aller Voraussicht nach dadurch in ihren Rechten, dass sie in nachbarrechtsrelevanter Weise gegen den Bestimmtheitsgrundsatz gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW verstößt.
8Das Bestimmtheitserfordernis in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung verlangt, dass der Nachbar der Baugenehmigung mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen kann, dass danach nur solche Nutzungen beziehungsweise Baumaßnahmen erlaubt sind, die seine Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. Eine solche Aussage muss der Baugenehmigung selbst – gegebenenfalls durch Auslegung – entnommen werden können, wobei die mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen bei der Ermittlung des objektiven Erklärungsinhalts der Baugenehmigung herangezogen werden müssen,
9vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2019 – 7 A 4176/18 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Januar 2019 – 5 S 1913/18 -, juris; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22. Dezember 2017 – 1 MB 19/17 -, juris.
10Aus einer Unbestimmtheit der Baugenehmigung folgt ein Aufhebungsanspruch des Nachbarn allerdings erst dann, wenn sich die Unbestimmtheit auf Merkmale des genehmigten Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften zu seinen Lasten auszuschließen, und er – wäre die Baugenehmigung insoweit rechtswidrig – von dem genehmigten Vorhaben konkret unzumutbare Auswirkungen zu befürchten hätte,
11vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2013 – 10 A 2269/0 -, juris.
12Gemessen an diesen Grundsätzen wird die der Beigeladenen erteilte streitgegenständliche Baugenehmigung vom 29. November 2023 aller Voraussicht nach den an sie zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen nicht gerecht. Die Baugenehmigung stellt zum Schutz der Antragstellerin als Nachbarin nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung nicht sicher, dass durch die beantragte Nutzung keine Lärmimmissionen hervorgerufen werden, die nach dem Gebot der Rücksichtnahme für die Antragstellerin unzumutbar sind. Der Inhalt der Baugenehmigung und deren Regelungsgehalt sind für die Antragstellerin nicht ausreichend deutlich erkennbar. Die Unbestimmtheit der angefochtenen Baugenehmigung ergibt sich vorliegend aus sich widersprechenden Angaben bezüglich der Betriebszeiten, der Gästeanzahl im Bistro und auf der Multifunktionsfläche sowie dem Grad der elektronischen Verstärkung bei der Einzelveranstaltung Jazz-Brunch in der mit Zugehörigkeitsvermerk („Grünstempel“) versehenen Betriebsbeschreibung (Beiakte Heft 2, Blatt 19), der „Zusammenfassung Betriebskonzept Z.“ (Beiakte Heft 2, Blatt 21), der in der Baugenehmigung unter „Stellungnahmen“ aufgeführten und zu beachtenden Stellungnahme der Unteren Umweltschutzbehörde des Antragsgegners vom 29. November 2023 (Beiakte Heft 2, Blatt 157 ff.) und den Angaben der Schalltechnischen Stellungnahme zu den zu erwartenden Geräuschimmissionen nach Inbetriebnahme eines soziokulturellen Zentrums mit Bistro, Außengastronomie und Multifunktionsfläche (im Folgenden: Schallschutzgutachten) der Beigeladenen (Planungsamt – Herr C. -) vom 29. November 2023 (Beiakte Heft 1).
13Zunächst weisen die Betriebszeiten der Gastronomie „Bistro“ in den grüngestempelten Bauvorlagen zur Baugenehmigung vom 29. November 2023 erhebliche Widersprüche auf. Ausweislich der Betriebsbeschreibung sind die Betriebszeiten der Gastronomie an Werktagen von 9.00 Uhr bis 21.00 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 9.00 Uhr bis 22.00 Uhr sowie an Sonntagen bis 21.00 Uhr. Demgegenüber sind in der grüngestempelten „Zusammenfassung Betriebskonzept Z.“ und im Schallschutzgutachten der Beigeladenen vom 29. November 2023 als Öffnungszeiten des Bistros Mittwoch von 15.00 Uhr bis 21.00 Uhr, Donnerstag von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr und 15.00 Uhr bis 21.00 Uhr, Freitag 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr und 15.00 Uhr bis 22.00 Uhr, Samstag 9.00 Uhr bis 22.00 Uhr und Sonntag 9.00 Uhr bis 21.00 Uhr angegeben. Wiederum anders ist in der angefochtenen Baugenehmigung selbst (Seite 6) unter Verweis auf das Nutzungskonzept als Zeiten des Betreibens des Bistros mittwochs bis sonntags von max. 9.00 Uhr bis 22.00 Uhr pauschal angegeben. Des Weiteren ist die im Innenraum des Bistros aufgeführte Platzzahl für Gäste widersprüchlich. So werden in der „Zusammenfassung Betriebskonzept Z.“ 12 Plätze im Innenraum des Bistros angegeben, in der Baugenehmigung (Seite 6) und im Schallschutzgutachten (Seite 5) ist jedoch von 20 Plätzen im Innenraum des Bistros die Rede. Weiterhin ist die Anzahl der Personen während der geplanten zwei Veranstaltungen auf der Multifunktionsfläche in den mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen nicht konsistent angegeben worden. Sowohl aus der Betriebsbeschreibung als auch der „Zusammenfassung Betriebskonzept Z.“ sowie aus der Baugenehmigung und dem Grundriss Variante D (Beiakte Heft 2, Blatt 33) selbst ergibt sich nicht, dass eine konkrete Personenanzahl festgesetzt ist, wohingegen das Schallschutzgutachten (Seite 5) von 12 Außenplätzen und 20 Plätzen im Innenraum des Bistros im Zirkuswagen ausgeht, wobei die Plätze im Innenbereich bei einer Veranstaltung unbesetzt bleiben würden (Seiten 14 und 20). Darüberhinausgehend führt das Schallschutzgutachten (Seiten 14 und 20) weiter aus, dass während einer Veranstaltung auf der Bühne die Außengastronomie auf der Multifunktionsfläche betrieben wird und dies gleichzeitig die drei Tischgruppen mit jeweils 4 Sitzplätzen (auch im Grundriss Variante D eingezeichnet) auf der Bistroterrasse sowie 20 Plätze aus dem Innenraum, berechnet mit zwei 10ner-Tischgruppen (Bierzeltgarnituren), beinhaltet, mithin insgesamt 32 Plätze. Letztlich bleibt damit zum einen im Unklaren, welche Betriebszeiten für das Bistro gelten sollen und zum anderen wie viele Plätze im Innenraum des Bistros und bei der Durchführung der zwei Veranstaltungen auf der Multifunktionsfläche zur Verfügung stehen. Des Weiteren wird im Rahmen der Baugenehmigung (Seite 6) darauf verwiesen, dass bei dem geplanten Jazz-Brunch an einem Sonntagvormittag im Sommer von 11.00 Uhr bis 13.00 Uhr diese Veranstaltung „elektronisch verstärkt“ wird, wohingegen im Rahmen der „Zusammenfassung Betriebskonzept Z.“ nur von „minimal verstärkt“ im Zusammenhang mit dem Jazz-Brunch die Rede ist. Das Schallschutzgutachten der Beigeladenen vom 29. November 2023 verhält sich zur Frage der elektronischen Verstärkung der Veranstaltung Jazz-Brunch lediglich insoweit, als das auf Seite 20 des Gutachtens ein Mindestversorgungspegel mit 81,1 db(A) für Kleinbühnen angegeben worden ist. Die Formulierung „minimal verstärkt“ oder/und „elektronisch verstärkt“ findet sich im Schallschutzgutachten in diesem Zusammenhang jedoch nicht.
14Aufgrund der widersprüchlichen Angaben in der angefochtenen Baugenehmigung und den mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen bezüglich der Betriebszeiten, der Gästeanzahl im Bistro und auf der Multifunktionsfläche sowie dem Grad der elektronischen Verstärkung bei der Einzelveranstaltung Jazz-Brunch im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Bistros mit Multifunktionsfläche und Nebenanlagen, die in der Gesamtbetrachtung nach summarischer Prüfung zur Unbestimmtheit der Baugenehmigung vom 29. November 2023 im Hinblick auf den Umfang der genehmigten Nutzungen und damit der durch das Vorhaben verursachten Lärmimmissionen auf dem Grundstück der Antragstellerin führen, ist die Verletzung des nachbarschützenden Rücksichtnahmegebots zu Lasten der Antragstellerin bei der Ausführung des Vorhabens aller Voraussicht nach nicht auszuschließen.
15Angesichts der nach summarischer Prüfung anzunehmenden nachbarrechtsrelevanten Unbestimmtheit der Baugenehmigung gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW, die aller Voraussicht nach zu einer Verletzung der nachbarschützenden Rechte der Antragstellerin als Miteigentümerin des Grundstücks G01 führt, kann daher offengelassen werden, ob die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 29. November 2023 darüber hinaus auch gegen den Gebietsgewährleistungsanpruch der Antragstellerin verstößt und/oder eine Unzumutbarkeit der prognostizierten Lärmimmissionen im Hinblick auf die geplante Kabarett-Veranstaltung anzunehmen ist.
16Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da sie keinen Sachantrag gestellt und sich damit keinem eigenen Kostenrisiko (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) ausgesetzt hat.
17Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 und 52 Abs. 1 GKG. Sie trägt der anzunehmenden Bedeutung der Sache aus der Sicht der Antragstellerin Rechnung. Die Kammer hält vorliegend im Klageverfahren einen Betrag von 10.000,00 Euro für angemessen, vgl. Ziffer 7 lit.a) des Streitwertkatalogs der Bausenate des OVG NRW (BauR 2019, 610). Sie hat diesen Betrag angesichts des vorläufigen Charakters einer Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes halbiert, vgl. Ziffer 14 lit.a) des Streitwertkatalogs der Bausenate des OVG NRW.
18Rechtsmittelbelehrung
19Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
20Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
21Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
22Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
23Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
24Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
25Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
26Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
27Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.