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Die Übergangsregelung des § 66a Abs. 6 BAföG steht der Anwendung von § 18 Abs. 12 Satz 3 i. V. m. Satz 1 BAföG nicht entgegen.
Offen bleiben kann, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen die Regelungen des § 18 Abs. 12 Sätze 1 und 3 BAföG auf Darlehensnehmende, die neben dem Staatsdarlehen auch ein Bankdarlehen nach § 17 Abs. 3 BAföG in Anspruch genommen haben, zur Anwendung kommen.
Die auf der Grundlage von § 18 Abs. 14 Nr. 4 BAföG erlassene Regelung in § 2 DarlehensV ist abschließend für die Frage, ob ein Verstoß i. S. v. § 18 Abs. 12 Satz 1 BAföG als „nur geringfügig“ anzusehen ist.
Das Gesetz räumt dem Bundesverwaltungsamt bei der Entscheidung über den Erlass nach § 18 Abs. 12 BAföG auf der Rechtsfolgenseite kein Ermessen ein, im Rahmen dessen individuelle Gesichtspunkte zu berücksichtigen wären.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin D. wird abgelehnt.
Gründe
2Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin D. ist zulässig, aber unbegründet.
3Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
4Hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst und nur dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits auch, dass Prozesskostenhilfe versagt werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist. Schwierige, bisher nicht hinreichend geklärte Rechts- und Tatsachenfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren geklärt werden.
5Vgl. für viele: BVerfG, Beschluss vom 10.08.2001 - 2 BvR 569/01 -, juris, Rn. 19 ff; OVG NRW, Beschluss vom 31.01.2019 - 12 E 1025/17 -, juris Rn. 4; VG Köln, Beschluss vom 18.04.2018 - 26 K 12974/17 -, juris, Rn. 8.
6Hiervon ausgehend bietet die Klage der Klägerin mit dem Begehren,
7die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesverwaltungsamts vom 17.10.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.01.2024 zu verpflichten, ihr die bestehende Darlehensschuld nebst Zinsen und Kosten zu erlassen,
8keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
9Die Klägerin hat nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Bewilligungsreife keinen Anspruch auf den begehrten Erlass nach dem insoweit allein – ggf. in entsprechender Anwendung – in Betracht kommenden § 18 Abs. 12 Satz 3 i. V. m. Satz 1 BAföG in der Fassung des 27. BAföGÄndG vom 15.07.2022 (BGBl. I S. 1150); sie erfüllt – jedenfalls – die tatbestandlichen Erlassvoraussetzungen nicht.
10Nach § 18 Abs. 12 Satz 3 i. V. m. Satz 1 BAföG ist Darlehensnehmenden, denen Förderung mit Darlehen nach § 17 BAföG in einer vor dem 01.09.2019 geltenden Fassung, mit Ausnahme von Bankdarlehen nach § 18c BAföG, gewährt wurde, auch wenn sie eine Erklärung nach § 66a Abs. 7 Satz 1 BAföG abgegeben haben, und die während des Rückzahlungszeitraums nach § 18 Abs. 3 Satz 1 BAföG nicht oder nur in geringfügigem Umfang gegen ihre Zahlungs- oder Mitwirkungspflichten verstoßen haben, die verbleibende Darlehensschuld einschließlich damit verbundener Kosten und Zinsen mit der Maßgabe zu erlassen, dass ihnen die verbleibende Darlehensschuld einschließlich damit verbundener Kosten und Zinsen 20 Jahre nach Beginn des für sie geltenden Rückzahlungszeitraums erlassen wird.
11Die Übergangsregelung des § 66a Abs. 6 BAföG (sowohl in der Fassung des 26. BAföGÄndG als auch in der des 27. BAföGÄndG) steht der Anwendung des § 18 Abs. 12 Satz 3 i. V. m. Satz 1 BAföG nach Auffassung der Kammer im Ergebnis nicht entgegen. Zwar wäre die Erlassregelung dem Wortlaut der Übergangsregelung nach für Altfälle, wie den der Klägerin, nicht anzuwenden. Denn sie ist eine Darlehensnehmende, der eine Förderung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 in der am 31.08.2019 anzuwendenden Fassung bzw. einer – bei verständiger Würdigung von der Regelung gleichermaßen erfassten – Vorgängerreglung geleistet wurde, mit der Folge, dass hinsichtlich der Darlehensrückzahlung das am 31.08.2019 geltende Recht – abgesehen von den enumerativ aufgezählten Ausnahmen, wozu der Erlass nicht zählt, – weiter anzuwenden ist.
12Insoweit besteht ein Widerspruch zu der Regelung des § 18 Abs. 12 Satz 3 i. V. m. Satz 1 BAföG in der Fassung des 27. BAföGÄndG, nach deren Wortlaut und Begründung des Gesetzgebers,
13vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 02.05.2022, BT-Drs. 20/1631, S. 2, 17, 30 f., und Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vom 22.06.2022, BT-Drs. 20/2399, S. 30,
14auch – unabhängig von der Ausübung des Wahlrechts – nach altem Recht geförderten Darlehensnehmenden die Erlassmöglichkeit eingeräumt werden soll. Bei dieser Normenkollision verdrängt die jüngere Regelung die ältere (lex posterior derogat legi priori), was hier zugleich dem gesetzgeberischen Willen entsprechen dürfte.
15Nach dem Wortlaut der Erlassregelung steht der Anwendung im Falle der Klägerin jedoch entgegen, dass sie auch eine Förderung durch ein Bankdarlehen erhalten hat.
16Zwar liegt insoweit kein Fall eines von der Erlassregelung ausgenommenen Bankdarlehens nach § 18c BAföG vor, weil diese Ausnahme allein darauf gerichtet ist, dass eine Bankdarlehensschuld nach der Norm nicht erlassen werden kann. Für die Klägerin, die sowohl mittels eines Staatsdarlehens als auch eines Bankdarlehens gefördert worden ist, gilt jedoch – anders als § 18 Abs. 12 Satz 1 BAföG dies vorsieht – kein Rückzahlungszeitraum nach § 18 Abs. 3 Satz 1 BAföG. Für sie gilt hinsichtlich des Rückzahlungszeitraums ausschließlich die Regelung in § 18c Abs. 7 Satz 1 BAföG, die – abweichend von § 18 Abs. 3 Satz 1 BAföG – überdies einen Rückzahlungszeitraum von 22 Jahren statuiert.
17Ob die Erlassregelung in einem solchen Fall zugunsten der Betroffenen dennoch zur Anwendung gelangen kann, etwa weil sie erweiternd auszulegen oder entsprechend anzuwenden ist, ist in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt und kann vorliegend offen bleiben. Denn selbst angenommen, dass in solchen Fällen § 18 Abs. 12 Satz 3 i. V. m. Satz 1 BAföG erweiternd oder entsprechend mit der oder ohne die Maßgabe anzuwenden ist, dass für den Rückzahlungszeitraum nicht § 18 Abs. 3 Satz 1 BAföG, sondern § 18c Abs. 7 Satz 1 BAföG gilt, würde dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen können, weil die Klägerin die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.
18Die Klägerin hat mehr als nur geringfügig gegen die Zahlungs- und Mitwirkungspflichten verstoßen. Nach der auf der Grundlage von § 18 Abs. 14 Nr. 4 BAföG erlassenen und insoweit abschließenden Regelung in § 2 DarlehensV ist ein im Sinne des § 18 Abs. 12 Satz 1 BAföG nur geringfügiger Verstoß gegen die Zahlungs- und Mitwirkungspflichten (nur) anzunehmen, wenn im maßgeblichen Rückzahlungszeitraum nach § 18 Abs. 3 Satz 1 BAföG (1.) höchstens einmal eine Kostenpauschale für die Anschriftenermittlung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 DarlehensV wegen Verstoßes gegen die Mitteilungsverpflichtung bei Änderungen der Wohnanschrift und des Familiennamens zu erheben war, (2.) kein Bußgeld wegen Verstoßes gegen die Mitteilungsverpflichtung nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 DarlehensV bei einer Änderung der nach § 18a BAföG maßgeblichen Familien- und Einkommensverhältnisse bestandskräftig festgesetzt wurde und (3.) höchstens für die Dauer von 150 Tagen nach § 18 Abs. 2 Satz 2 und 3 BAföG Zinsen wegen Überschreitung des Zahlungstermins angefallen sind.
19Im Hinblick auf die Zinstage liegt ein nur geringfügiger Verstoß hier nicht mehr vor, da sich bereits aus dem (bestandskräftigen) Zinsbescheid vom 11.02.2021 ergibt, dass insgesamt 251 Zinstage angefallen sind, was die Klägerin auch nicht in Abrede stellt. Auf den Zinsbescheid vom 22.04.2022, der außerhalb des nach Mitteilung der Beklagten im November 2021 endenden 22-jährigen Rückzahlungszeitraums liegt, kommt es demnach nicht mehr an.
20Das Vorbringen der Klägerin im Klageverfahren, nur in geringfügigem Umfang verdienen zu können und zur Rückzahlung eines Betrags in Höhe von 11.000,00 Euro nicht in der Lage zu sein, ist für den Erlass nach § 18 Abs. 12 Satz 3 i. V. m. Satz 1 BAföG unerheblich. Weder ist die (aktuelle oder künftige) wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Darlehensnehmers nach dem Tatbestand der Vorschrift zu berücksichtigen, noch räumt das Gesetz dem Bundesverwaltungsamt auf der Rechtsfolgenseite einen Ermessensspielraum ein, im Rahmen dessen individuelle Gesichtspunkte zu berücksichtigen wären.
21Dass die Androhung der Geltendmachung von Zinsen in Höhe von 6 Prozent aus Sicht der Klägerin nicht darstellbar sei, lässt bereits einen Bezug zu dem Klagegegenstand, also dem Erlass der Darlehensschuld einschließlich damit verbundener Kosten und Zinsen, nicht erkennen. Ungeachtet dessen ist insoweit nach der Rechtsprechung der Kammer und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen geklärt, dass der Zinssatz keinen Bedenken begegnet,
22vgl. nur: VG Köln, Urteil vom 17.05.2023 - 26 K 5303/19 -, juris, Rn. 25 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 18.12.2023 - 12 A 2977/21 -, juris, Rn. 8 ff.
23Aufgrund der fehlenden Erfolgsaussicht der Klage scheidet auch die Beiordnung der Prozessbevollmächtigten aus (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 121 Abs. 2 ZPO).
24Rechtsmittelbelehrung
25Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entscheidet, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
26Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
27Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.