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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt der Kläger.
Tatbestand
2Der Kläger begehrt Akteneinsicht in die Jugendamtsakten, die bezüglich seines Sohnes und ihn selbst geführt werden.
3Der Kläger und seine Ehefrau sind Eltern des gemeinsamen Sohnes H., geboren am 00.00.2010. Während der Coronapandemie trennten sich der Kläger und seine Ehefrau. H. hat ADHS, weswegen das Jugendamt der Beklagten die Familie des Klägers unterstützte. So gewährte es vom 22. März bis zum 30. November 2022 eine aufsuchende Familientherapie nach § 27 Abs. 2 SGB VIII. Seit dem 1. Dezember 2022 gewährt es eine Familienhilfe nach § 31 SGB VIII sowie eine Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII.
4Der ambulante Jugendhilfeträger, der mit der aufsuchenden Familientherapie beauftragt worden war, meldete am 13. Oktober 2022 einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung nach § 8a SGB VIII an das Jugendamt der Beklagten, nachdem zuvor vereinbarte Schutzmaßnahmen erfolglos geblieben waren. Das Jugendamt sah ebenfalls Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung. Im persönlichen Gespräch mit den Eltern H.s am 26. Oktober 2022 stellten sie gemeinsam ein Schutzkonzept auf, wonach der Kläger temporär den gemeinsamen Haushalt verlassen musste.
5Am 12. Dezember 2022 modifizierte das Jugendamt der Beklagten das Schutzkonzept vom 26. Oktober 2022 im Gespräch mit dem Kläger und seiner Ehefrau. Am 22. Dezember 2022 schaltete das Jugendamt der Beklagten im Rahmen des Verfahrens nach § 8a SGB VIII das zuständige Familiengericht ein. Im Gerichtstermin vom 17. Januar 2023 wurden die Kinderschutzfragen mit dem Kläger und der Mutter H.s ausführlich erörtert mit dem Ergebnis, dass eine Elternvereinbarung zur Sicherstellung des Kindeswohls getroffen wurde, die unter anderem die Inanspruchnahme der Hilfe nach § 31 SGB VIII sowie eine Aufstockung des Hilfeumfangs vorsah.
6Bereits am 28. Dezember 2022 beantragte der Kläger beim Jugendamt der Beklagten Akteneinsicht in die ihn und seinen Sohn betreffenden Jugendamtsakten nach § 25 SGB X und dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes. Die Beklagte gewährte die Akteneinsicht am 10. Januar 2023 in der Gestalt, dass sie dem Kläger per E-Mail den Antrag auf Hilfe zur Erziehung, den Sachstandsbericht der Aufsuchenden Familientherapie vom 24. Mai 2023 (gemeint ist wohl 2022), das Hilfeplanprotokoll vom 8. Juni 2022, die Schutzvereinbarung der Fachkräfte mit den Kindeseltern vom 10. August 2022, die schriftliche Gefährdungsmeldung nach § 8a SGB VIII des ambulanten Jugendhilfeträgers vom 13. Oktober 2022, die entsprechende Gefährdungseinschätzung, das aufgestellte Schutzkonzept sowie die Anrufung des Familiengerichts vom 22. Dezember 2022 übersandte.
7Mit E-Mail vom gleichen Tag monierte der Kläger, dass die Berichte von Herrn F., insbesondere ein Bericht vom 20. Dezember 2022, fehlten, der im Schreiben an das Familiengericht erwähnt werde. Er wolle wissen, welchen Herabsetzungen sein Sohn H. ausgesetzt gewesen sei. Es habe lediglich am 17. Dezember 2022 bei seinen Eltern Diskussionen über die zu intensive Smartphone-Nutzung H.s gegeben. Zudem sei er überrascht, dass auch seinen Eltern herabsetzendes Verhalten H. gegenüber vorgeworfen werde, da H. gerne zu seinen Großeltern gehe und diese sehr liebe. Zudem wolle er über die Vorwürfe seiner Ehefrau aus E-Mails an das Jugendamt informiert werden und wissen, worauf die Anschuldigungen basierten.
8Mit E-Mail vom 12. Januar 2023 bot die Beklagte dem Kläger an, am 16. Januar 2023 um 13 Uhr für 20 Minuten Akteneinsicht in den Räumen des Jugendamts zu nehmen. Zugleich wurde ihm untersagt, Fotos, Videoaufnahmen, handschriftliche Notizen oder ähnliches zu erstellen. Ebenfalls per E-Mail informierte die Beklagte die Ehefrau des Klägers über die beabsichtigte Gewährung der Akteneinsicht. Diese äußerte sich in ihrer E-Mail vom 13. Januar 2023, 10:54 Uhr, dahingehend, dass sie „fassungslos“ sei, dass die Akteneinsicht so im Detail überhaupt möglich sei. Weder sie noch vermutlich ihr Sohn hätten sich dem Jugendamt und der Familienhilfe gegenüber schutzsuchend und im Vertrauen geöffnet, wenn ihnen die Rechtslage bewusst gewesen wäre. Sie habe ihren Mann – den Kläger – inständig darum gebeten, die Akteneinsicht nicht wahrzunehmen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.
9Der Kläger wehrte sich noch mit E-Mail vom 12. Januar 2023 sowohl gegen die zeitliche Beschränkung als auch gegen das Verbot, Ablichtungen vorzunehmen.
10Die Beklagte lehnte den Antrag auf Akteneinsicht per E-Mail vom 13. Januar 2023, 13:49 Uhr, vollumfänglich ab und hob den vereinbarten Termin zur Akteneinsicht auf. Zur Begründung führte sie aus, dass der Akteneinsicht der in § 65 SGB VIII verankerte Vertrauensschutz entgegenstehe.
11Am 17. Januar und am 3. Februar 2023 fand ein Termin vor dem zuständigen Familiengericht statt. Im Rahmen dieses familiengerichtlichen Verfahrens erhielt der Kläger Akteneinsicht in die Akten vor dem Familiengericht. Ergebnis des familiengerichtlichen Verfahrens war ein Haus- und Kontaktverbot des Klägers zu seinem Sohn.
12Nach Abschluss des familiengerichtlichen Verfahrens stellte der Kläger mit E-Mail vom 4. Februar 2023 erneut einen Antrag auf vollständige Akteneinsicht bei der Beklagten. Diesen lehnte die Beklagte unter Verweis auf das nicht abgeschlossene Gerichtsverfahren mit E-Mail vom 6. Februar 2023 ab. Dem Antrag stehe weiterhin § 65 SGB VIII entgegen, da sich die Hilfen weiterhin in § 8a SGB VIII ergründeten.
13Nach Beendigung des familiengerichtlichen Verfahrens am 3. Februar 2023 beantragte der Kläger erneut die Akteneinsicht. Auch diesen Antrag lehnte die Beklagte unter Verweis auf den besonderen Vertrauensschutz mit E-Mail vom 2. Juni 2023 ab. Der Kläger hielt dem in seiner E-Mail vom 28. Juni 2023 entgegen, dass es ihm im Wesentlichen darum gehe, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Detail zu erfahren. Er wolle endlich Klarheit haben.
14Am 17. und 18. Juli 2023 rief das Jugendamt der Beklagten erneut das zuständige Familiengericht an.
15Aktuell finden zwischen dem Kläger und seinem Sohn begleitete Umgänge statt.
16Am 20. Juli 2023 hat der Kläger Klage erhoben.
17Er ist der Auffassung, ihm stehe ein Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs. 1 S. 1 SGB X zu. Die Akteneinsicht beziehe sich auf die Familienhilfe nach §§ 27 ff. SGB VIII. Dieses Verfahren sei auch noch nicht beendet, da das Jugendamt als Erziehungsbeistand im Rahmen der begleiteten Umgänge weiterhin tätig sei. Der Kläger benötige die Akteneinsicht, um gegebenenfalls zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung oder Widerruf der getätigten Aussagen gegen die Ehefrau des Klägers geltendzumachen. Die pauschalen Vorwürfe aus dem Jahr 2022 würden immer wieder wiederholt, zuletzt im familiengerichtlichen Verfahren am 24. April 2024. Gegen diese könne sich der Kläger seit Januar 2023 nicht angemessen verteidigen. Äußerungen der Ehefrau des Klägers würden oftmals als Fakt dargestellt, ohne dass das Jugendamt der Beklagten der Wahrheit auf den Grund gehen würde. Hierum habe der Kläger unzählige Male gebeten. Er habe seiner Ehefrau mittlerweile mehrfach Lügen nachweisen können und dies dem Jugendamt der Beklagten auch mitgeteilt. Nach Kenntnis des Klägers habe dies für die Ehefrau keinerlei Konsequenzen nach sich gezogen. So habe der Bericht der Jugendhilfe Äußerungen der Ehefrau des Klägers enthalten, dass der gemeinsame Sohn vor einem „Monster“ geschützt werden müsse. Mit dem Kläger sei jedoch nie über diese Situation gesprochen worden. Er sehe sich in gerichtlichen Verfahren pauschalen Vorwürfen ausgesetzt, gegen die er sich nicht wehren könne. Andere Informationsquellen als die Akteneinsicht stünden dem Kläger nicht zur Verfügung.
18Die Schutzbedürftigkeit seines Sohnes stehe dem Anspruch auf Akteneinsicht nicht entgegen. Der Kläger habe seit Juni 2023 regelmäßig Umgang mit seinem Sohn und seit dieser Zeit wieder ein sehr gutes Verhältnis zu ihm entwickelt. Der Kläger arbeite mit seinem Sohn die Geschehnisse aus der Vergangenheit auf und thematisiere dabei auch die Aussagen bei der Familienhilfe und dem Jugendamt, die zu dem Schutzkonzept geführt haben. Im Rahmen dieser Ausarbeitung habe der Sohn dem Kläger erklärt, weshalb er für den Kläger nachteilige Aussagen getätigt habe. Die Aussagen beruhten im Wesentlichen auf der massiven Beeinflussung und Manipulation H. s durch seine Mutter. Eine Eskalation der Situation durch Offenlegung des Akteninhalts sei nicht zu befürchten, da der Kläger jeglichen persönlichen Kontakt zur Mutter seines Sohnes vermeide. Außerdem sei es seit Dezember 2022 zu keiner Eskalation mehr gekommen.
19Zudem stehe ihm das Recht zu, nach § 25 Abs. 5 S. 1 SGB X Auszüge oder Abschriften selbst zu fertigen oder Ablichtungen durch die Beklagte erteilen zu lassen.
20Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
21die Beklagte zu verurteilen, ihm vollständige Akteneinsicht bezüglich der seine Person und seinen Sohn H. betreffend geführten Akten des Jugendamts der Beklagten zu gewähren.
22Die Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Sie ist der Auffassung, die gewünschten Akteninhalte seien dem am 13. Oktober 2022 eröffneten Verfahren nach § 8a SGB VIII zuzuordnen. Dieses sei bis heute nicht abgeschlossen, seit Bekanntwerden der Gefährdungsaspekte seien ohne Unterbrechung bis heute Schutzvereinbarungen mit den Eltern H. s getroffen worden. Dem Auskunftsanspruch des Klägers stehe der Schutz des betroffenen Kindes – der Sohn des Klägers – entgegen.
25Die Beklagte und der Kläger haben jeweils mit Schriftsatz vom 23. September 2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
27Entscheidungsgründe
28Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben, § 101 Abs. 2 VwGO. Die Erklärung des Einverständnisses zur Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung wird durch die zeitlich nachfolgende Übertragung des Rechtsstreits zur Entscheidung auf den Einzelrichter nicht verbraucht.
29So zuletzt etwa OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 08.02.2019 – 4 L 156/18 – juris, Rn. 25.
30Die Klage ist zulässig.
31Insbesondere bedurfte es vor Klageerhebung nicht der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nach § 68 Abs. 2 VwGO (vgl. § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO i.V.m. § 110 Abs. 1 S. 1 und 2 JustG NRW). Die Ausnahmeregelung des § 110 Abs. 2 Nr. 9 JustG NRW greift hier nicht ein, da Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ein Akteneinsichtsanspruch nach § 25 Abs. 1 SGB X und nicht die Ablehnung eines Verwaltungsaktes nach dem SGB VIII ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Gegenstand des Akteneinsichtsbegehrens Jugendhilfeakten sind.
32VG Aachen, Urteil vom 09.06.2022 – 8 K 3160/19 – juris, Rn. 25.
33Die Klage ist auch fristgerecht erhoben worden. Die Beklagte hat die Akteneinsichtsgesuche des Klägers jeweils mit E-Mail vom 13. Januar 2023, 6. Februar 2023 und 2. Juni 2023 abgelehnt. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war den Ablehnungen nicht beigefügt, sodass die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO gilt. Diese hat der Kläger mit Klageerhebung am 20. Juli 2023 gewahrt.
34Die Klage ist jedoch unbegründet.
35Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Einsicht in die Akte des Jugendamtes der Beklagten. Die Ablehnungen der Gewährung der Akteneinsicht vom 13. Januar 2023, 6. Februar 2023 und 2. Juni 2023 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 S.1 VwGO).
36Der Kläger kann einen Akteneinsichtsanspruch nicht auf § 25 Abs. 1 SGB X stützen. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Nach § 8 SGB X ist ein Verwaltungsverfahren die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages ein. Im Falle der in § 25 SGB X geregelten Akteneinsicht kommt hinzu, dass dieses Recht in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich nur während des Verwaltungsverfahrens besteht, das heißt, es beginnt mit der Einleitung des Verwaltungsverfahrens und endet mit der Bestandskraft des Verwaltungsakts bzw. des Widerspruchsbescheids,
37BayVGH, Beschluss vom 30.01.2020 – 12 C 19.1973 – juris, Rn. 3.
38Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt es bereits an einem laufenden Verwaltungsverfahren.
39Die von der Beklagten immer wieder eingeleiteten Kinderschutzverfahren nach § 8a SGB VIII, verbunden mit der Einleitung eines familiengerichtlichen Verfahrens, sind keine Verwaltungsverfahren im Sinne des § 8 SGB X. § 8a SGB VIII ist lediglich eine Verfahrensvorschrift; sie strukturiert einen Prozess, mit Hilfe dessen eine fachkundige Einschätzung der Situation, eine gemeinsame Problemkonstruktion, eine Prognose über die weitere Entwicklung der Gefährdungsdynamik und schließlich ein auf den Einzelfall zugeschnittenes Schutzkonzept zu entwickeln ist. Sie regelt verfahrensrechtliche Vorfragen und ist damit der Entscheidung über die Gewährung von Hilfe zur Erziehung, über eine Inobhutnahme oder die Anrufung des Familiengerichts vorgelagert,
40Wapler in: Wiesner/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 8a Rn. 3, 4.
41Insbesondere handelt es sich bei der Gefährdungsmitteilung gemäß § 8a Abs. 2 S. 1 SGB VIII nicht um einen Verwaltungsakt, da diese lediglich die Information des Familiengerichts beinhaltet, dass das Jugendamt dessen Tätigwerden für erforderlich hält, und als solche (noch) nicht in subjektive Rechte der Erziehungsberechtigten, insbesondere in deren Sorgerecht eingreift.
42VG Aachen, Urteil vom 09.06.2022 – 8 K 3160/19 – juris, Rn. 47 m.w.N.
43Die nach § 27 Abs. 2 SGB VIII eingerichtete aufsuchende Familientherapie ist kein laufendes Verwaltungsverfahren mehr, da diese Hilfe zum 30. November 2022 eingestellt, mithin das Verwaltungsverfahren beendet wurde.
44Schließlich handelt es sich auch bei der seit dem 1. Dezember 2022 gewährten Familienhilfe nach § 31 SGB VIII und der Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII nicht mehr um ein laufendes Verwaltungsverfahren. Das Verwaltungsverfahren nach § 8 SGB X endet mit der bestandskräftigen Entscheidung über die Bewilligung der Hilfe. Da beide Hilfen nach unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beklagten noch immer gewährt werden, setzt dies eine Entscheidung über die Bewilligung voraus. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Verfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen sind.
45Auch aus anderen Rechtsgrundlagen ergibt sich kein Anspruch auf vollständige Akteneinsicht. Zwar ist anerkannt, dass neben den gesetzlich geregelten Akteneinsichtsrechten ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Akteneinsicht nach Abschluss oder außerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens besteht.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2003 – 5 C 48/02 – juris, Rn. 28.
47Der Akteneinsicht steht jedoch der Sozialdatenschutz nach § 25 Abs. 3 SGB X i.V.m. § 65 SGB VIII entgegen. Nach allgemeiner Auffassung ist die Regelung des § 25 Abs. 3 SGB X auf den außerhalb eines Verwaltungsverfahrens bestehenden allgemeinen Anspruch auf Akteneinsicht entsprechend anzuwenden.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 04.09.2003 – 5 C 48.02 – juris, Rn. 28.
49Nach § 25 Abs. 3 SGB X ist die Behörde zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet, soweit die Vorgänge wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen geheim gehalten werden müssen. Nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII dürfen Sozialdaten, die dem Mitarbeiter eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zwecke persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, von diesem nur mit der Einwilligung dessen, der die Daten anvertraut hat, weitergegeben oder übermittelt werden. Nach der gesetzgeberischen Wertung des § 65 Abs. 1 SGB VIII unterliegen personenbezogene Daten Dritter einem besonderen Schutz, da im Jugendhilferecht Diskretion Voraussetzung für den Erfolg persönlicher Hilfen ist. Die Gewährung effektiver erzieherischer Hilfen setzt ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Mitarbeiter des Jugendamtes und dem Bürger voraus, das durch den Zwang zur Weitergabe anvertrauter Daten nicht beeinträchtigt werden soll. Sozialdaten dürfen daher, wenn sie mit dem Mitarbeiter des Jugendamtes zum Zwecke persönlicher oder erzieherischer Hilfen anvertraut worden sind, von Gesetzes wegen nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen weitergegeben werden.
50VG Hannover, Beschluss vom 10.03.2015 – 10 B 1268/15 – juris, Rn. 8; ausführlich hierzu OVG NRW, Beschluss vom 26.03.2008 – 12 E 115/08 – juris, Rn. 11 ff.
51Die Voraussetzungen für eine Weitergabe der von Mutter und Kind sowie des Herrn F. gegenüber dem beklagten Jugendamt getätigten Aussagen in Gestalt einer uneingeschränkten Akteneinsicht liegen hier jedoch nicht vor.
52Bei den Äußerungen des Kindes des Klägers und der Kindesmutter zur familiären Situation handelt es sich, ebenso wie bei den Angaben des Herrn F., um Sozialdaten. Sozialdaten sind nach § 67 Abs. 1 S. 1 SGB X Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einer in § 35 des Ersten Buches genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Bei diesen Aufgaben handelt es sich um die nach §§ 18 bis 29 SGB I und § 35 Abs. 1 S. 4 SGB I,
53Westphal in: BeckOK SozR, 74. Ed. 1.9.2024, SGB X § 67 Rn. 9,
54also um Leistungen des Jugendhilfeträgers nach § 27 SGB I.
55Als personenbezogenes Datum werden alle Informationen bezeichnet, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen, vgl. Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Hierzu zählt jede personenbezogene Information, und zwar Tatsachen ebenso wie Vermutungen oder Wertungen,
56Kunkel in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Auflage, § 61 SGB VIII Rn. 21.
57Einen solchen persönlichen Bezug weisen alle Informationen auf, die über eine individualisierbare natürliche Person etwas aussagen und damit der Identifikation dienen. Dies gilt auch für alle inhaltliche Angaben und Aussagen der Ehefrau und des Sohnes des Klägers, die diese dem Jugendamt gegenüber getätigt haben.
58So auch VG Köln, Urteil vom 31.10.2016 – 26 K 5681/15 – juris, Rn. 70; VG Augsburg, Beschluss vom 12.01.2016 – Au 3 K 15.402 – juris, Rn. 22.
59Diese Daten sind zum Zwecke persönlicher oder erzieherischer Hilfe erhoben worden. Denn sie zielten darauf ab, den Bedarf der Familie des Klägers infolge der ADHS-Erkrankung des Sohnes und der Trennung der Eltern zu ermitteln und gegebenenfalls eine geeignete und notwendige Hilfe einzurichten.
60Die Aussagen von Ehefrau und Sohn des Klägers sowie die Angaben des Herrn F. wurden überdies anvertraut im Sinne von § 65 SGB VIII. Anvertraut im vorgenannten Sinne sind Daten, die in der ausdrücklichen oder den Umständen des Falles zu entnehmenden Erwartung weitergegeben werden, dass die Informationen vertraulich behandelt und nicht anderen Personen offenbart werden. Anvertraut sind auch solche Daten, bei denen das Bedürfnis nach Verschwiegenheit aus dem Zusammenhang erkennbar wird.
61Kirchhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Auflage, § 65 SGB VIII (Stand: 21.05.2024) Rn. 33 m.w.N.
62Davon ist vorliegend auszugehen. Die Ehefrau des Klägers hat in ihrer E-Mail vom 14. Februar 2023 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie und ihr Sohn sich dem Jugendamt gegenüber nicht in der Form geöffnet hätten, wenn sie gewusst hätten, dass ihre Angaben dem Kläger zugänglich gemacht würden. Es liegt auf der Hand, dass Informationen zu einer im Raum stehenden Kindeswohlgefährdung in der Erwartung abgegeben werden, dass die mitgeteilten Informationen nicht weitergegeben werden. Dies gilt umso mehr in den Fällen, in denen die Eltern – wie vorliegend – in hohem Maße zerstritten sind.
63Dabei ist unerheblich, ob die zu den Akten genommenen Angaben richtig oder – wie der Kläger vermutet – falsch sind. Denn das Weitergabeverbot des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII kennt keine weiteren Differenzierungen der anvertrauten Sozialdaten.
64VG Bremen, Beschluss vom 28.04.2021 – 4 V 72/21 – juris, Rn. 26.
65Ein Weitergabebefugnis nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII liegt nicht vor. Eine Einwilligung der Ehefrau oder des Sohnes des Klägers sowie des Herrn F. in die Weitergabe der getätigten Aussagen ist den Akten nicht zu entnehmen und liegt aus den vorgenannten Gründen auch fern. Auch die sonstigen Ausnahmetatbestände des § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 6 SGB VIII sind erkennbar nicht erfüllt.
66Soweit sich der Kläger zur Begründung seines Begehrens darauf beruft, die Akteneinsicht zur Verfolgung seiner Rechte in familiengerichtlichen Verfahren zu benötigen, verkennt er Sinn und Zweck des § 25 SGB X. Die Vorschrift ist Ausfluss des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), das bereits im Verwaltungsverfahren zu gewähren ist. § 25 SGB X soll gewährleisten, dass dem Betroffenen in dem ihn selbst betreffenden Verwaltungsverfahren alle Informationen vorliegen, die auch der Behörde zur Verfügung stehen, sodass eine gewisse Waffengleichheit geschaffen wird (Grundsatz des fairen Verfahrens). Denn nur dann, wenn der Beteiligte alle Tatsachen und Umstände kennt, die zu einer Behördenentscheidung führen werden oder geführt haben, kann er sein Verhalten danach ausrichten,
67BayVGH, Beschluss vom 30.01.2020 – 12 C 19.1973 – juris, Rn. 3.
68Dieser Zweck läuft im Falle des Klägers ins Leere, wenn er die Akteneinsicht zur Wahrnehmung seiner Rechte außerhalb des (laufenden oder abgeschlossenen) Verwaltungsverfahrens geltend macht.
69Nur vorsorglich merkt das Gericht an, dass sich auch aus anderen Rechtsgrundlagen kein Anspruch auf Akteneinsicht ergibt. Aus dem Elternrecht des Klägers (Art. 6 Abs. 1 GG) ergibt sich kein überwiegendes Interesse an einer uneingeschränkten Akteneinsicht. Der Kläger ist insbesondere nicht auf eine Akteneinsicht angewiesen, um seine Rechte im familiengerichtlichen Verfahren geltend zu machen. Denn soweit die Beklagte Inhalte der im Jugendamt geführten Akten in ihren Stellungnahmen in das familiengerichtliche Verfahren eingebracht hat, so hatte der Kläger hierzu (in diesem familiengerichtlichen Verfahren) uneingeschränkten Zugang. Er hatte mithin auch Gelegenheit zu allen Gesichtspunkten, die den Entscheidungen durch die Familiengerichte zugrunde liegen, Stellung zu nehmen. Die endgültige Entscheidung lag dann beim Familiengericht. Die Beklagte selbst hat bezüglich der Rechte des Klägers in Bezug auf seinen Sohn keine Entscheidungen getroffen.
70Soweit der Kläger einen Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz geltend macht, scheitert dieser ebenfalls an der Regelung des § 65 SGB VIII. Das besondere Weitergabeverbot dieser Vorschrift versagt Auskunfts- oder Akteneinsichtsansprüche umfassend und als spezialgesetzliche Norm unabhängig davon, auf welche sonstige Ermächtigungsgrundlage der jeweilige Auskunfts- bzw. Akteneinsichtsanspruch gestützt wird,
71vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.03.2008 – 12 E 115/08 – juris, Rn. 8.
72Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
73Rechtsmittelbelehrung
74Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Köln schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
75Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
76Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.