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Die aufschiebende Wirkung der Klage – 23 K 1649/24.A – gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. März 2024 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
2Der zulässige Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage – 23 K 1649/24.A – gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. März 2024 anzuordnen,
4ist begründet.
5Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ordnet das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage an, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Derartige Zweifel liegen insbesondere dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren nicht standhalten wird.
6Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris, Rn. 99.
7Dies ist hinsichtlich der Entscheidung der Antragsgegnerin, den Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abzulehnen, der Fall. Die Entscheidung der offensichtlichen Unbegründetheit ist auf § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG gestützt. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn ein Identitäts- oder Reisedokument, das die Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt wurde oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen.
8Die Voraussetzungen dieser Norm dürften nicht gegeben sein. Aus der Formulierung der „mutwilligen Vernichtung oder Beseitigung“ folgt, dass nicht jede bewusste Abgabe/Beseitigung von Passdokumenten ausreicht, um zur offensichtlichen Unbegründetheit zu gelangen. Vielmehr beinhaltet der Begriff der „Mutwilligkeit“ mit Blick auf das Asylverfahren das Absichtselement, die Durchführung des Verfahrens und/oder eine etwaige Rückführung durch ein Verschleihern der Identität und/oder Staatsangehörigkeit zu erschweren. Dies entspricht auch der bisherigen Fassung in § 30 Abs. 3 Nr. 2 und 5 AsylG a.F., wonach bei Täuschung über Identität oder Staatsangehörigkeit oder bei Verweigern von Angaben hierzu eine offensichtliche Unbegründetheit griff. Dass mit der Neufassung die Absicht zum Erschweren/Verzögern des Verfahrens aufgegeben werden sollte, lässt sich der Begründung zur Neufassung in § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG nicht entnehmen.
9Vgl. BT-Drucksache 20/9463, S. 56.
10Dort ist zur Begründung lediglich ausgeführt, dass mit der Neufassung Art. 31 Abs. 8 Buchstabe der Richtline 2013/32/EU umgesetzt wird und dass die bisherigen Fälle der Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit hiervon umfasst sind. Eine inhaltliche Änderung gegenüber der bisherigen Regelung lässt sich daraus nicht ableiten.
11Ausgehend hiervon sind die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG nicht gegeben. Der Antragsteller hat zwar – nach eigenen Angaben – seine Identitätspapiere dem Schleuser übergeben. Eine Absicht, damit das Asylverfahren zu beeinflussen, ist jedoch nicht erkennbar. So hat der Antragsteller ausdrücklich erklärt, dass die Abgaben der Papiere Teil der „Vereinbarung“ mit dem Schleuser gewesen sei. Vor allem hat er jedoch weder über seine Identität oder Nationalität getäuscht oder Angaben hierzu verweigert. So hat auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Verwaltungsverfahren keine Zweifel an Identität und Staatsangehörigkeit des Antragstellers gehabt. Auch hat das Fehlen von Identitätspapieren – nach dem Inhalt des Verwaltungsvorgangs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – nicht zu einer Verzögerung des Asylverfahrens geführt.
12Andere Gründe, aus denen der Antrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet abzulehnen wäre, sind nicht gegeben.
13Das Gericht kann im gerichtlichen Verfahren im Grundsatz die Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet austauschen,
14vgl. jüngst VG Ansbach, Beschluss vom 23. Januar 2024 – AN 17 S 24.30028 –, juris, Rn. 18, m.w.Nw.,
15jedoch sind insbesondere die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG nicht gegeben.
16§ 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG greift schon deshalb nicht ein, weil der Antragsteller mit den gegen ihn gerichteten Bedrohungen Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrages, gerade mit Blick auf § 4 AsylG relevant sein können. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat daher dieses Vorbringen im Ablehnungsbescheid auch eingehend gewürdigt. Unerheblich ist dabei, dass der Antragsteller eine Bedrohung durch Private geltend gemacht hat. Nach § 3c Nr. 3 AsylG können auch nichtstaatliche Akteure Verfolger im Sinne des Gesetzes sein.
17Auch eine offensichtliche Unbegründetheit nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegt nicht vor. Diese Bestimmung knüpft mit den Tatbestandsmerkmalen „eindeutig unstimmiger und widersprüchlicher sowie eindeutig falscher oder offensichtlich unwahrscheinlicher Angaben“ des Asylsuchenden an den Tatsachen des vorgetragenen Verfolgungsschicksals an. Die rechtliche Bewertung dieser Tatsachen wird von der Norm hingegen nicht erfasst. Dies ergibt sich auch klar aus der Gesetzesbegründung, nach der in der Neufassung neben den europarechtlichen Vorgaben auch die alte Fassung des § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, gerade jedoch nicht § 30 Abs. 1 AsylG umgesetzt werden sollte.
18Vgl. BT-Drucksache 20/9463, S. 56.
19Auch § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG a.F. knüpfte nur an falschen Tatsachen und nicht an der rechtlichen Bedeutung der vorgetragenen Tatsachen an.
20Ausgehend hiervon sind die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht gegeben. Das Vorbringen des Antragstellers, dass sein Sohn in Pakistan getötet worden sei und er aufgrund der von ihm erstattene Anzeige Bedrohungen der vermeintlichen Täter bzw. deren Familie ausgesetzt gewesen sei, ist nicht eindeutig unstimmig, widersprüchlich, falsch oder offensichtlich unwahrscheinlich. Im Rahmen der Anhörung des Antragstellers durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat der Antragsteller hierzu widerspruchsfrei vorgetragen. Angesichts der von ihm gezeigten und vorgelegten Unterlagen (Video und Zeitungsausschnitt) kann bei dem bisherigen Kenntnisstand nicht davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Antragstellers eindeutig unrichtig sind.
21Vor dem Hintergrund, dass zu der Familie, die den Antragsteller bedroht haben soll, auch Militärangehörige gehören, widerspricht auch die Annahme des Antragstellers, dass er landesweit gefunden werden könne, nicht eindeutig den der Kammer vorliegenden Informationen zum inländischen Schutz. Eine rechtliche Bewertung des inländischen Schutzes ist dem Gericht aufgrund der Neufassung des § 30 AsylG – wie zuvor bereits ausgeführt – nicht möglich.
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar.