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Die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 7529/24.A gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. November 2024 unter Ziffer 5 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. |
Gründe
2Der Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 7529/24.A gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. November 2024 unter Ziffer 5 enthaltene Abschiebungsandrohung anzuordnen,
4hat Erfolg.
5I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO i. V. m. § 30, 36 Abs. 3 AsylG statthaft und auch sonst zulässig. Die Klage entfaltet nach Maßgabe von § 75 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung. Der Eilantrag wurde auch innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt. Der angefochtene Bescheid wurde dem Antragsteller am 12. November 2024 zugestellt. Sieben Tage später, am 19. November 2024, hat der Antragsteller Anfechtungsklage erhoben und den vorliegenden Eilantrag gestellt.
II. Der Antrag ist auch begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides.
Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ordnet das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der gemäß § 36 Abs. 3, § 75 Abs. 1 AsylG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung an, wenn das persönliche Interesse des Asylsuchenden, von der sofortigen Aufenthaltsbeendigung vorerst verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Durchsetzung übersteigt. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf das Verwaltungsgericht die Aussetzung der Abschiebung dabei nur dann anordnen, wenn nach der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Der Begriff der „ernstlichen Zweifel“ i. S. v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG entspricht dabei dem übereinstimmenden Begriff in Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG. Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darf danach nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhält.
10BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1516/93 –, juris, Rn. 99.
11Bei der gerichtlichen Überprüfung der Ablehnung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet ist für das Eilverfahren erschöpfend zu prüfen, ob die Antragsgegnerin aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihr vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihr vorliegenden und zugänglichen Erkenntnismittel entschieden und in der Entscheidung klar zu erkennen gegeben hat, weshalb der Antrag offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, sowie, ob die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch weiterhin Bestand haben kann. Die schlichte Behauptung, der Asylantrag sei offensichtlich unbegründet, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
12Vgl. etwa BVerfG, Urteil vom 11. Dezember 1985 – 2 BvR 361/83 –, juris, Rn. 50, und Beschluss vom 22. Oktober 2008 – 2 BvR 1819/07 –, juris, Rn. 12 sowie BVerfG, Beschluss vom 25. April 2018 – 2 BvR 2435/17 –, juris, Rn. 20; stattgebender Kammerbeschluss vom 25. Februar 2019 – 2 BvR 1193/18 –, juris, Rn. 18, 21.
13Ausgehend von diesen Grundsätzen fällt die vorzunehmende Interessenabwägung hier zugunsten des Antragstellers aus. Denn unter Würdigung des vorliegenden Akteninhalts und der sonstigen Erkenntnisse bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der ihr zugrundeliegenden Entscheidung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Ablehnung des Zweitantrages als offensichtlich unbegründet.
141. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) hat den Asylantrag des Antragstellers zu Unrecht auf der Grundlage von § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG in der Fassung aufgrund des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54), in Kraft getreten am 27. Februar 2024, als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag (§ 71 Absatz 1 AsylG) oder einen Zweitantrag (§ 71a Absatz 1 AsylG) gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Bei dem Asylantrag des Antragstellers vom 13. Februar 2023 handelt es sich weder um einen Zweitantrag nach § 71a AsylG (dazu a), noch um einen Folgeantrag nach § 71 AsylG (dazu b).
17a) Unabhängig von der Frage der Unionsrechtswidrigkeit des § 71a AsylG, die hier ausdrücklich offengelassen wird,
18zur Frage, ob der Begriff „Folgeantrag“ auf einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz anwendbar ist, der in einem Mitgliedstaat gestellt wird, nachdem ein anderer Mitgliedstaat als Dänemark einen früheren Antrag eine bestandskräftige Entscheidung abgelehnt hat, ist nach dem Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 28. Oktober 2022 – 1 K 1829/21.A – aktuell beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) unter dem Aktenzeichen C-123/23 ein Verfahren anhängig, vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts N. Emiliou vom 27. Juni 2024, ECLI:EU:C:2024:563; zum Streitstand vgl. ferner VG München, Beschluss vom 1. Februar 2024 – M 26a S 23.30070 –, juris, Rn. 34 ff.,
19sind die Voraussetzungen des § 71a Abs. 1 AsylG hier nicht erfüllt. Ein Zweitantrag liegt danach vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Er hat zur Folge, dass ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die in § 71 AsylG vorgesehene besondere Behandlung von Folgeanträgen auf den Fall erstreckt, dass dem Asylantrag des Antragstellers ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen ist.
20Vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4.16 –, juris, Rn. 24 f.
21Dem Asylantrag des Antragstellers vom 13. Februar 2023 ist kein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen.
22Bei der Beurteilung der Frage, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes
23Asylverfahren erfolglos abgeschlossen ist, ist auf den Zeitpunkt des Asylantrags in Deutschland abzustellen und nicht auf (irgend)einen späteren Zeitpunkt.
24Vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30. Januar 2023 – 1 LA 85.22 –, juris, Rn. 7 m. w. N. aus der Rechtsprechung; erneut bestätigt durch Beschluss vom 8. April 2024 – 3 LA 68/21 –, juris; so auch Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag vom 27. Juni 2024 – C-123/23 – BeckRS 2024, 14701, Rn. 54; ausdrücklich offenlassend BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4.16 –, juris, Rn. 40; vgl. auch VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 1. März 2021 – 10 L 31/21.A –, juris, Rn. 18; VG Berlin, Beschluss vom 10. September 2021 – 33 L 204/21.A –, juris, Rn. 7; VG Regensburg, Urteil vom 8. August 2018 – RN 12 K 18.31824 –, juris, Rn. 21.
25Wie auch beim Folgeantrag kann ein sog. Doppelantrag, d.h. ein Antrag, der gestellt wird, obwohl ein früherer Antrag in einem anderen Mitgliedstaat – hier Österreich –noch anhängig oder eine Wiedereröffnung möglich ist, nicht als Zweitantrag behandelt werden. Der Wortlaut der Vorschrift („Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (…) im Bundesgebiet einen Asylantrag“) spricht dafür, auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland abzustellen, zumal die Regelung ausdrücklich zwischen den Voraussetzungen für das Vorliegen eines Zweitantrags und den sonstigen Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Zuständigkeit Deutschlands, Wiederaufnahmegründe i.S.d. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) differenziert.
26Vgl. zum Streitstand ausführlich: Dickten, in: BeckOK Ausländerrecht, 42. Edition Stand: 1. Juli 2024, § 71a AsylG Rn. 4; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30. Januar 2023 – 1 LA 85.22 –, juris, Rn. 9.
27Es sind auch keine ausreichenden Anhaltspunkte ersichtlich, die eine über diesen Wortlaut hinausgehende Auslegung – etwa dahingehend, dass auf den Zeitpunkt des
28Übergangs der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland oder auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) abzustellen ist – zulassen
29würde.
30Vgl. ausführlich zur Frage einer teleologischen Extension bzw. dem fehlenden Vorliegen der Analogievoraussetzungen OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30. Januar 2023 – 1 LA 85.22 –, juris, Rn. 10 ff.
31Gemessen hieran bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ernstliche Zweifel daran, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Asylantrag des Antragstellers vom 13. Februar 2023 um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG handelt.
32Das Verfahren in Österreich war im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland nicht endgültig abgeschlossen. Der Antwort der österreichischen Behörden vom 9. Oktober 2024 (Bl. 386 f. der Beiakte 1 des zugehörigen Klageverfahrens 22 K 7529/24.A) auf die Info-Request Anfrage des Bundesamtes vom 23. September 2024 (Bl. 384 der Beiakte 1 des zugehörigen Klageverfahrens 22 K 7529/24.A) zufolge hatte der Antragsteller am 24. August 2022 in Österreich einen Asylantrag gestellt. Das dortige Verfahren des Antragstellers wurde ohne inhaltliche Entscheidung eingestellt. Ein eingestelltes Verfahren ist nach österreichischem Asylrecht jedoch von Amts wegen fortzusetzen, falls die Person innerhalb von zwei Jahren nach Einstellung des Verfahrens wieder in Österreich aufhältig ist. Erst nach Ablauf von zwei Jahren nach Einstellung des Verfahrens ist eine Fortsetzung des Verfahrens nicht mehr zulässig (§ 24 Abs. 2 AsylG-Österreich). Es bedarf sodann einer neuen Antragstellung in Österreich. Zum Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland am 13. Februar 2023 muss die Zwei-Jahres-Frist seit der Einstellung noch gelaufen sein, da selbst seit der Antragstellung am 24. August 2022 in Österreich nicht mal ein Jahr vergangen war. Eine Fortsetzung des Asylverfahrens in Österreich war daher im Zeitpunkt der Antragstellung in Deutschland noch möglich.
33b) Es handelt sich auch nicht um einen Folgeantrag nach § 71 AsylG. Dafür müsste der Antragsteller in Deutschland selbst bereits zuvor einen Asylantrag gestellt haben. Dies ist offensichtlich nicht der Fall.
342. Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtmäßig. Sie kann insbesondere auf keine der anderen Nummern des § 30 Abs. 1 AsylG gestützt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
37Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).