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1. Die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 18 K 3781/24 erhobenen Klage gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin in Form der gegen die auf der Straße „L.-straße“ im Bereich zwischen „Z.-straße“ und „P.-straße“ entsprechend dem Markierungsplan FS 14- 6 Lageplan 1 und 2 aufgestellten Verkehrszeichen i.V.m. der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 10. Januar 2024 wird angeordnet. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die auf der Straße „L.-straße“ im Bereich zwischen „Z.-straße“ und „P.-straße“ entsprechend dem Markierungsplan FS 14-6 Lageplan 1 und 2 aufgestellten Verkehrszeichen, die die verkehrsrechtliche Anordnung vom 10. Januar 2024 umsetzen, zu entfernen. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
2Der sinngemäß gestellte Antrag,
31. die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 18 K 3781/24 erhobenen Klage gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin in Form der gegen die auf der Straße „L.-straße“ im Bereich zwischen „Z.-straße“ und „P.-straße“ entsprechend dem Markierungsplan FS 14-6 Lageplan 1 und 2 aufgestellten Verkehrszeichen i.V.m. der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 10. Januar 2024 anzuordnen,
42. der Antragsgegnerin aufzugeben, die auf der Straße „L.-straße“ im Bereich zwischen „Z.-straße“ und „P.-straße“ entsprechend dem Markierungsplan FS 14-6 Lageplan 1 und 2 aufgestellten Verkehrszeichen, die die verkehrsrechtliche Anordnung vom 10. Januar 2024 umsetzen, zu entfernen,
5hat Erfolg.
6Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Allgemeinverfügung i.V.m. der verkehrsrechtlichen Anordnung der Antragsgegnerin vom 10. Januar 2024 erhobenen Klage ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
7Der Antragsteller ist insbesondere in entsprechender Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Denn jedenfalls als Verkehrsteilnehmer kann er gegenüber einer Verkehrsbeschränkung als Verletzung eigener Rechte geltend machen, die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen der auch ihn treffenden Regelung lägen nicht vor oder aber seine eigenen Belange seien bei der behördlichen Ermessensausübung rechtsfehlerhaft mit den für die Anordnung sprechenden Belangen abgewogen worden.
8Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1993 – 11 C 35.92 – juris Rn. 14; VG Köln, Urteil vom 25. September 2012 – 18 K 4164/11 – juris Rn. 19.
9Der Antrag ist auch begründet.
10Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn deren aufschiebende Wirkung wie hier entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO ausgeschlossen ist. Der von dem Gesetzgeber in diesen Fällen angenommene Vorrang des öffentlichen Vollziehungsinteresses besteht dann nicht, wenn sich der angegriffene Verwaltungsakt im Rahmen der vorzunehmenden summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist.
11Die auf der Straße „L.-straße“ in G. aufgestellten Verkehrszeichen, die die verkehrsrechtliche Anordnung der Antragsgegnerin vom 10. Januar 2024 umsetzen, stellen sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig dar.
12Die den Verkehrszeichen zu Grunde liegende verkehrsrechtliche Anordnung kann auf keine denkbare Rechtsgrundlage gestützt werden.
13Zwar kann nach § 45 Abs. 1 b) Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO die Straßenverkehrsbehörden dem Grunde nach auch die notwendigen Anordnungen zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung treffen und hierdurch ermächtigt werden, gemeindliche Verkehrskonzepte zu fördern. Ob deren Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen,
14vgl. insoweit Wolf in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 45 StVO (Stand: 01.12.2021), Rn. 40 m.w.N.,
15kann jedoch dahinstehen, da sich die Antragsgegnerin ausweislich ihrer Antragserwiderung vom 22. Juli 2024 nicht auf § 45 Abs. 1 b) Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO gestützt hat.
16Die Antragsgegnerin konnte entgegen ihres Vortrags im Eilverfahren die straßenverkehrsrechtliche Anordnung nicht auf § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 StVO stützen. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten. Zu derartigen Verkehrsbeschränkungen gehört auch die Anordnung einer Fahrradstraße (VZ 244.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO) und eines „Beginns eines eingeschränkten Haltverbotes für eine Zone“ (VZ 290.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. dem Zusatzzeichen 1053-30 „Parken in gekennzeichneten Flächen erlaubt“).
17Der Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO setzt eine konkrete Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs voraus. Dafür bedarf es allerdings nicht des Nachweises, dass sich ein Schadensfall bereits realisiert hat; es genügt, dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten können. Dies beurteilt sich danach, ob die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder Strecke einer Straße die Befürchtung nahelegt, dass die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt; die Annahme einer die Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO rechtfertigenden konkreten Gefahr ist also nicht ausgeschlossen, wenn zu bestimmten Zeiten der Eintritt eines Schadens unwahrscheinlich sein mag.
18Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 – 7 C 46.78 – juris; OVG Münster, Beschluss vom 1. Februar 2023 – 8 A 3251/21 – juris Rn. 5.
19Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung umfasst dabei unter anderem die Einhaltung der Normen der Straßenverkehrs-Ordnung, die ihrerseits die Zielsetzung hat, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu schützen. Das Schutzgut der Sicherheit des Verkehrs bezieht sich auf die Vermeidung von Schäden für Personen und Sachen im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr. Das Schutzgut der Ordnung des Verkehrs bezieht sich auf einen Zustand, in dem die Leichtigkeit und Flüssigkeit des fließenden wie ruhenden Verkehrs gewährleistet ist.
20Vgl. VG Köln, Urteil vom 11. Februar 2022 – 18 K 7110/20 – n.v. Seite 7 des Urteilsabdrucks.
21Nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen ferner nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Aus Wortlaut und Systematik der Vorschriften ergibt sich, dass § 45 Abs. 9 StVO die allgemeine Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO zwar modifiziert und konkretisiert, aber nicht ersetzt. Die Vorschrift zielt dabei darauf ab, die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufzuwerten und die „Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung“ zu verdeutlichen. „Zwingend erforderlich“ ist ein Verkehrszeichen unter Berücksichtigung dieses Regelungszwecks und des Wortlauts der Vorschriften nur dann, wenn es die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche und allein in Betracht kommende Maßnahme ist. Das ist nicht der Fall, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten. Das Aufstellen von Verkehrszeichen hat damit Ausnahmecharakter.
22Vgl. VG Würzburg, Urteil vom – W 6 K 21.318 – juris Rn. 23; VG München, Urteil vom 8. Juli 2014 – M 23 K 13.3214 – juris Rn. 30.
23Die weiteren qualifizierten Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO, wonach insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden dürfen, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung näher benannter Rechtsgüter erheblich übersteigt, gelten dabei gemäß § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 2 StVO nicht für die Anordnung von Fahrradstraßen.
24Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 1. Februar 2023 – 8 A 3251/21 – juris Rn. 9.
25Die Straßenverkehrsbehörde hat eine besondere Darlegungslast, wenn sie sich für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheidet und ist vor Erlass einer auf § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO gestützten verkehrsrechtlichen Anordnung zur Prüfung der objektiven Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verpflichtet.
26Vgl. VG Würzburg, Urteil vom – W 6 K 21.318 – juris Rn. 23; VG München, Urteil vom 8. Juli 2014 – M 23 K 13.3214 – juris Rn. 30.
27Insoweit obliegt es ihr, die für das Vorliegen eines besonderen Gefährdungspotenzials sprechenden Gründe darzulegen und gegebenenfalls anhand von Tatsachenmaterial zu dokumentieren.
28Vgl. VG Saarlouis, Urteil vom 25. April 2013 – 10 K 422/12 – juris Rn. 35.
29Gemessen hieran ist eine objektive Gefahrenlage für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs von der Antragsgegnerin nicht im Ansatz dargelegt. Weder aus der Aktendokumentation noch aus ihrem Vorbringen ist ersichtlich, dass die Maßnahme aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs erforderlich ist und aus diesem Grund angeordnet wurde.
30Das Gericht lässt dabei nicht unberücksichtigt, dass es aufgrund einer neben etwaig parkenden Fahrzeugen verbleibendenden Restfahrbahnbreite von 3,20 bis 4,00 m zu Konflikten zwischen Fahrradfahrern und parkenden sowie fahrenden Kraftfahrzeugen kommen kann. Insbesondere kann die Möglichkeit sog. Dooring-Unfälle grundsätzlich eine Gefahr für die Sicherheit des Verkehrs begründen.
31Dieser allgemeine, dem Grunde nach auf zahlreiche Straßenabschnitte im G.er Stadtgebiet übertragbare Argumentationsansatz kann die Einrichtung einer Fahrradstraße im konkreten Fall jedoch nicht allein begründen.
32Die dem Gericht vorliegenden Unterlagen sind im konkreten Fall nicht geeignet, die Notwendigkeit der konkret angeordneten Fahrradstraße verbunden mit einer Haltverbotzone zu rechtfertigen. So fehlt es – soweit ersichtlich – an jeglicher Ermittlung von Seiten der Antragsgegnerin hinsichtlich der tatsächlichen, verkehrsrechtlich relevanten Verhältnisse mit Blick auf etwaige Gefahrenlagen in der Straße „L.-straße“. Dem Verwaltungsvorgang lassen sich trotz seines Umfangs von über 2.100 Seiten keinerlei relevanten Daten wie aktuelle Verkehrszählungen oder sonstige Datenerhebungen zur Verkehrssituation betreffend den fließenden oder ruhenden Verkehr oder zur Verkehrssicherheit in dem betroffenen Straßenabschnitt entnehmen, die die Antragsgegnerin vor Erlass der streitgegenständlichen Anordnungen hätte vornehmen müssen. Ob ein den Radverkehr gefährdendes Verkehrsaufkommen herrscht, wie hoch das Aufkommen an Radfahrenden – auch in Relation zu Autofahrenden – ist, ist nicht ansatzweise dargelegt.
33Unabhängig davon, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, leidet die verkehrsrechtliche Anordnung auch an Ermessensfehlern. Maßnahmen im Regelungsbereich des § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 StVO stehen im Ermessen der zuständigen Behörde. Die Ausübung des durch § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO vermittelten straßenverkehrsbehördlichen Ermessens ist gerichtlich nur eingeschränkt zu überprüfen. Das Gericht prüft insoweit gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich, ob die straßenverkehrsrechtliche Anordnung deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
34Die behördliche Ermessensentscheidung überprüft das Gericht anhand der Begründung des Verwaltungsakts, vgl. § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG NRW.
35Eingehend: Schuler-Harms, in: Schoch/Schneider, VwVfG, 4. EL November 2023, § 39 Rn. 66 f.
36Bei einer grundsätzlich nicht formgebundenen Allgemeinverfügung ist jedoch nicht erforderlich, dass die Allgemeinverfügung selbst eine Begründung enthält, § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW.
37Vgl. VG Köln, Beschluss vom 14. September 2023 – 18 L 1738/23 – juris unter Bezugnahme auf Koehl, in: NK-GVR, 3. Aufl. 2021, StVO § 45 Rn. 10; VG Köln, Urteil vom 1. März 2024 – 18 K 671/23 – juris Rn. 34.
38Insoweit genügt es, dass die Ermessensbetätigung der Straßenverkehrsbehörde für den Adressaten und das Gericht auf andere Weise nachvollziehbar erscheint und entsprechend dokumentiert wird. Regelmäßig wird die Dokumentation der Ermessenserwägungen im Verwaltungsvorgang erfolgen.
39Vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, 44. EL März 2023, VwGO § 114 Rn. 47; VG Köln, Beschluss vom 14. September 2023 – 18 L 1738/23 – juris.
40Gegebenenfalls kann seitens der Behörde auch anderweitig belegt werden, welche Erwägungen der verkehrsrechtlichen Anordnung zu Grunde liegen. Denn insoweit gilt, dass für Inhalt und Umfang der Begründung von Verwaltungsentscheidungen keine allgemeinen Maßstäbe existieren. Es kommt auf die Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets und die Umstände des Einzelfalls an.
41Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1990 – 7 B 93.90 – juris Rn. 2 m.w.N.
42Diese Maßstäbe zugrunde gelegt fehlt es an sämtlichen Ermessenserwägungen der Antragsgegnerin auf der Grundlage der von ihr aus Gründen der Sicherheit benannten Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Eine Betätigung ihres Ermessens zu Fragen der Sicherheit des Straßenverkehrs für die Anordnung der Fahrradstraße hat im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht stattgefunden. Vielmehr hat sich die Antragsgegnerin ausweislich der vorgelegten Dokumentation des Fahrradstraßenkonzepts und des darauf beruhenden Ratsbeschlusses offenbar allein auf dieser Grundlage für die Anordnung einer Fahrradstraße entschieden. Das Fahrradstraßenkonzept aus dem Jahr 2012 hatte insbesondere das Ziel, die Stadt G. zur Fahrradhauptstadt 2020 zu machen. Der Radverkehr sollte gefördert und das Radverkehrsnetz verdichtet werden. Dies wird bestätigt durch die in der „Bürgerinformation 2023 bis 2024“ enthaltenen Ausführungen, dass die bereits als Fahrradstraßen ausgewählten Straßen die Grundlage für ein durchgängiges Netz für den Radverkehr bilden. Konkret hinsichtlich der Straße „L.-straße“ findet sich lediglich in dem Fahrradstraßenkonzept die folgende Feststellung: „L.-straße ist eine bedeutende Radverkehrsverbindung und ein wichtiger Schulweg. Ein Überwiegen des Radverkehrs ist zu erwarten“. Überdies ergibt sich aus der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 10. Januar 2024, dass diese auf einem „gesamtstädtischen Fahrradstraßenkonzept“ beruht.
43Aus dem Verwaltungsvorgang geht hingegen nicht hervor, dass die Antragsgegnerin Aspekte der Sicherheit des Verkehrs in ihre Erwägungen einbezogen hat. Es ist nicht erkennbar, dass sie sich mit den bestehenden Gefahrenpotenzialen, die etwa aus dem Aufeinandertreffen des fließenden sowie ruhenden Kraftfahrzeugverkehrs, Fußgängern und dem Radverkehr, der Breite der Fahrbahn und der Zulassung des Kraftfahrzeugverkehrs in beide Fahrtrichtungen folgen, auseinandergesetzt und auf dieser Grundlage abgewogen hat, ob trotz dieser Aspekte und unter diesen Bedingungen die Anordnung der verkehrsbehördlichen Anordnung einer Fahrradstraße in Betracht kommt. Weder der verkehrsrechtlichen Anordnung noch dem übrigen Verwaltungsvorgang sind hierzu Erwägungen zu entnehmen. Auch die Prüfung anderer Alternativen ist nicht erfolgt: So ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin etwa erwogen hätte, allein Anliegerverkehr oder die Befahrbarkeit der Straße durch den Kraftfahrzeugverkehr in beide Fahrtrichtungen – etwa durch Anordnung einer nur für Kraftwagen / -räder geltenden Einbahnstraßenregelung – in Frage zu stellen.
44Vgl. auch VG Hannover, Urteil vom 17. Juli 2019 – 7 A 7457/17 –, juris Rn. 81 ff.
45Zudem hat die Antragsgegnerin keinerlei Erwägungen dazu angestellt, ob etwa eine zeitliche Beschränkung des Haltverbots auf bestimmte Tageszeiträume zur Erreichung des Zwecks ausreichend wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach dem Vortrag der Beteiligten offenbar ein beträchtlicher Anteil des Radverkehrs auf Schulkinder des nahegelegenen Gymnasiums entfällt. Schließlich hat sich die Antragsgegnerin auch nicht damit auseinandergesetzt, ob allein die Anordnung eines eingeschränkten Haltverbots ohne Anordnung einer Fahrradstraße zur Begegnung etwaiger Gefahren für die Sicherheit der Radfahrenden ebenso geeignet wäre.
46Soweit die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Antragserwiderung zu Gründen der Verkehrssicherheit vorträgt, vermögen diese im Rahmen einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung keine Berücksichtigung (mehr) zu finden. Gemäß § 114 Satz 2 VwGO können Ermessenerwägungen zwar noch im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden. Ein solches Nachschieben von Ermessenserwägungen ist jedoch nur dann zulässig, wenn die Behörde hierzu im Verwaltungsverfahren überhaupt schon Erwägungen angestellt hat.
47Die von der Antragsgegnerin im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens geltend gemachten Erwägungen zu der Erforderlichkeit der verkehrsrechtlichen Anordnung aus Gründen der Verkehrssicherheit finden sich jedoch nicht ansatzweise im Verwaltungsvorgang wieder.
48Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin lassen sich auch dem Informationsbrief an die Anlieger der Straße „L.-straße“ (Bl. 2.117 d. Verwaltungsakte) keine Erwägungen dazu entnehmen, dass die Fahrradstraße aus Gründen der Verkehrssicherheit angeordnet worden wäre. Dass ein Abschnitt auf Seite 1 mit der Überschrift „Veränderungen für mehr Verkehrssicherheit“ versehen ist, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Denn hier werden lediglich Ausführungen zu der Ausgestaltung der Fahrradstraße gemacht, damit diese – ihre Anordnung bereits vorausgesetzt – die aus Sicht der Antragsgegnerin notwendigen Anforderungen an die Verkehrssicherheit erfüllt. Ausweislich des Schreibens erfülle die Fahrbahn des Straßenabschnitts wegen der dort abgestellten Kraftfahrzeuge teils nicht die von der Antragsgegnerin für erforderlich gehaltene Regelbreite von Fahrradstraßen. Aus diesem Grund müssten einige Parkplätze zu Gunsten der Verkehrssicherheit und zur Verbreiterung der Fahrbahnfläche umgewandelt werden.
49Darüber hinaus erweist sich die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin i.V.m. der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 10. Januar 2024 auch allein aus dem Grund als rechtswidrig, da es bei der Ausfahrt aus der Straße „L.-straße“ in die „P.-straße“ sowie in die „Z.-straße“ jeweils an der Aufstellung des Verkehrszeichens 290.2 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO – Ende eines eingeschränkten Haltverbots für eine Zone – fehlt.
50Nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO kann das Gericht, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen ist, die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Dabei kann hier offen bleiben, ob die Anordnung der Vollziehungsaufhebung im Ermessen des Gerichts steht und eine Abwägung des öffentlichen Interesses am Fortbestand des Vollzugs gegen das Interesse des Antragstellers an seiner Aufhebung voraussetzt oder ob die Anordnung der Aufhebung der Vollziehung eine gebundene Entscheidung des Gerichts ist.
51Vgl. zum Streitstand: OVG Münster, Beschluss vom 29. September 2021 – 8 B 188/21 – juris Rn. 43 ff.
52Denn eine solche Abwägung würde zu Gunsten des Antragstellers ausfallen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand verletzen die angefochtenen Verkehrszeichen den Antragsteller in seinen rechtlich geschützten Interessen. Der Antragsgegnerin bleibt grundsätzlich die Möglichkeit, den Sachverhalt umfangreicher zu ermitteln und unter Abwägung der widerstreitenden Interessen eine neue verkehrsrechtliche Anordnung zu erlassen.
53Ohne dass es für die Entscheidung noch darauf ankommt, bestehen aus Sicht des Gerichts zudem Zweifel an der Rechtmäßigkeit der auf der Fahrbahn aufgebrachten Markierungen in Form durchgezogener und nahe des Fahrbahnrands angebrachter roter Linien. Gemäß § 39 Abs. 5 Satz 1 StVO sind auch Markierungen und Radverkehrsführungsmarkierungen Verkehrszeichen. Sie sind grundsätzlich weiß (Satz 2). Nur als vorübergehend gültige Markierungen sind sie gelb; dann heben sie die weißen Markierungen auf (Satz 3). Die Regelungen der Straßenverkehrs-Ordnung über die zulässigen Verkehrszeichen einschließlich der im amtlichen Verkehrszeichenkatalog dargestellten Varianten sind grundsätzlich abschließend.
54Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. November 2019 – OVG 1 B 16.17 – juris.
55Die Straßenverkehrs-Ordnung kennt mithin das Verkehrszeichen Markierung in Gestalt roter durchgezogener (Begrenzungs-)Linien nicht. Daher können rote Markierungslinien auch keine Anordnungswirkung entfalten, die grundsätzlich nur einer weißen durchgezogenen Linie – etwa in Gestalt einer Fahrbahnrandmarkierung oder Radverkehrsführungsmarkierung – zukommt und die kraft ihres Regelungsgehalts regelmäßig nicht überfahren werden dürfen. Es erscheint unter Berücksichtigung der konkreten Ausgestaltung der Markierungen jedoch problematisch, dass diese gegenüber den Verkehrsteilnehmern einen Rechtsschein erzeugen und mithin einen Schein-Verwaltungsakt darstellen könnten. Insoweit wäre u.a. der Rechtsgedanke der Verbotsnorm des § 33 Abs. 2 Satz 1 StVO heranzuziehen. Danach dürfen Einrichtungen, die Zeichen oder Verkehrseinrichtungen gleichen oder mit ihnen verwechselt werden können, dort nicht angebracht oder sonst verwendet werden, wo sie sich auf den Verkehr auswirken können. Ob eine Verwechslungsgefahr vorliegt, beurteilt sich nach dem Gesamtbild des Verkehrszeichens, wie es sich einem flüchtigen Betrachter darstellt, wobei sich die Verwechslungsgefahr auf ein konkretes Verkehrszeichen beziehen muss.
56Vgl. VGH München, Beschluss vom 6. März 2019 – 8 CS 18.1890 – juris; VG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 28. Juli 2022 – 4 K 1705/22 – juris Rn. 43.
57Vorliegend bestehen Bedenken, ob Verkehrsteilnehmer den roten durchgezogenen Linien dieselbe Regelungswirkung wie einer weißen durchgezogenen Linie beimessen und damit ihnen einen Regelungsgehalt zuschreiben. Eine Verwechslungsgefahr oder Irreführung von Verkehrsteilnehmern – wobei auch solche ohne Ortskunde in die Betrachtung miteinzubeziehen sind – erscheint aufgrund der Ähnlichkeit zu weißen Begrenzungslinien als anerkannte Verkehrszeichen am Straßenrand naheliegend. In ihrer konkreten Gestalt weisen die Markierungen auch einen wesentlichen Unterschied gegenüber anderen Markierungen in Fahrradstraßen anderer Gemeinden auf, die etwa auf der Fahrbahn vollflächig farbig markiert sind oder die mit weißen, unterbrochenen Markierungslinien arbeiten.
58Insoweit unterscheidet sich die durchgezogene rote Linie auch von der unterbrochenen roten Begleitlinie, die die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW e.V. (AGFS NRW) in ihrem Leitfaden empfiehlt (vgl. Ziffer 2.11: https://www.agfs-nrw.de/fileadmin/Mediathek/AGFS-Broschueren/Loseblattsammlung_Fahrradstrassen_RZ_Einzel_01.pdf).
59Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
60Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wonach eine verkehrsregelnde Anordnung mit dem Auffangwert von 5.000,- Euro zu bemessen ist. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war die Hälfte dieses Betrags (Ziffer 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs) anzusetzen.
61Rechtsmittelbelehrung
62Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
63Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
64Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen.
65Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
66Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.