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Die aufschiebende Wirkung der Klage 15 K 4536/24.A gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.06.2024 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe
2Der (sinngemäße) Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller mit dem Az. 15 K 4536/24.A gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18.06.2024 anzuordnen,
4hat Erfolg.
5Er ist zulässig und begründet.
6Der Antrag ist zulässig.
7Er ist insbesondere statthaft als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Fall 1 VwGO, da es sich bei der angegriffenen Abschiebungsandrohung um einen Verwaltungsakt (§ 35 Satz 1 VwVfG) handelt, gegen den ein Rechtsmittel gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat. Auch die einwöchige Antragsfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG haben die Antragssteller eingehalten, da der Bescheid vom 18.06.2024 am 25.07.2024 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt worden ist und der Antrag vor Ablauf der Frist am 01.08.2024, nämlich am 30.07.2024, gestellt wurde.
8Der Antrag ist auch begründet.
9In den Fällen, in denen – wie hier – der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, kann einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur entsprochen werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Dies bedeutet, dass die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme nur dann ausgesetzt werden darf, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht standhält.
10Dabei fordert eine auf §§ 34 Abs. 1, 36 AsylG gestützte Pflicht zur Ausreise über den Gesetzeswortlaut hinaus, dass das Anerkennungsbegehren auch der Sache nach offensichtlich aussichtslos ist. Das Gericht muss die Prüfung schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch auf das Merkmal der Offensichtlichkeit erstrecken.
11Vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1507/93 -, juris Rn. 99.
12Gemessen hieran liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller vor, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen.
13Die Ablehnung des Asylverfahrens als offensichtlich unbegründet wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Bestand haben, da die hierfür entscheidenden Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG voraussichtlich nicht vorliegen.
14Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet ist § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrages nicht von Belang sind.
15Der Gesetzgeber hat damit Art. 31 Abs. 8 lit a) der Asylverfahrensrichtlinie (Richtlinien 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, Abl. L 180/60 vom 29.6.2013 (Neufassung)) umgesetzt. Unter den Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 8 Asylverfahrensrichtlinie sind die Mitgliedstaaten berechtigt, das Asylverfahren beschleunigt durchführen, d.h. insbesondere nach Art. 32 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie einen Antrag als offensichtlich unbegründet zu betrachten. Der Asylantragsteller darf danach bei der Einreichung seines Antrags und der Darlegung der Tatsachen nur Umstände vorgebracht haben, die für die Prüfung der Frage, ob er als Flüchtling oder Person mit Anspruch auf internationalen Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU anzuerkennen ist, nicht von Belang sind. "Belanglos" müssen diese Umstände also im Hinblick auf die Voraussetzungen beider Schutzgewährungen, der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes, sein.
16Vgl. hierzu u.a. VG Düsseldorf, Beschluss vom 21.08.2024 - 14 L 2208/24.A - juris Rn. 9 m.w.N.
17In der Rechtsprechung umstritten ist, ob für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „nicht von Belang“ auf die in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zu § 30 Abs. 1 AsylG a.F. zurückgegriffen werden kann oder ob der Gesetzgeber mit der Formulierung „belanglos“ einen neuen, davon abweichenden Prüfungsmaßstab vorgesehen hat.
18Soweit auf die in der Rechtsprechung geklärten Maßstäbe zu § 30 Abs. 1 AsylG a.F. zurückgegriffen wird, ist ein Vorbringen nicht von Belang im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG insbesondere dann, wenn es für die Prüfung des Asylantrages aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erheblich oder unbeachtlich ist. Dies ist wiederum insbesondere der Fall, wenn das Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht in wesentlichen Punkten unsubstantiiert oder in sich widersprüchlich ist. Denn dann ist ein Fall gegeben, in dem an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Bundesamtes vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung geradezu aufdrängt.
19So vertreten von VG Berlin, Beschluss vom 23.05.2024 - 41 L 353/24.A - juris Rn. 23; VG Köln, Beschluss vom 12.08.2024 - 22 L 1505/24.A - juris Rn 12 jeweils mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 18
20Hingegen wird teilweise in der Rechtsprechung vertreten, dass bei dem Merkmal der „Belanglosigkeit“ nicht nach der Überzeugungsgewissheit des Prüfungsergebnisses, sondern bei derjenigen der Darlegung gefragt werde. Das sei ein wesentlicher struktureller Unterschied. Zur Offensichtlichkeit führt nach dieser Auffassung nur ein Vorbringen, das von vorneherein keinen Bezug zu den die Schutzgewährung auslösenden Gefahren für den Schutzsuchenden beinhaltet. Entscheidend ist danach die Wertung, dass sämtliche vorgebrachten Gründe nicht nur nicht zu einer Schutzzuerkennung führen, sondern per se asylfremd sind. Eine materielle Evidenzprüfung des offensichtlichen Nichtvorliegens geltend gemachter Umstände findet in diesem Kontext nicht statt. So kann auch von einer Beurteilung der Eingriffsintensität nicht auf die Belanglosigkeit für die Asylantragsprüfung geschlossen werden, da die Gewichtung der Eingriffsintensität als "ausreichend gravierend" gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG abschließend jedenfalls erst nach einer Gesamtbetrachtung einer möglichen Kumulierung erfolgen kann, sodass eine vermeintlich zu schwache Eingriffsintensität einzelner Umstände im Vorbringen nicht ohne Weiteres zu einer Belanglosigkeit des Vortrags für die Prüfung des Asylantrags führen kann.
21Vgl. zu dieser Auffassung: VG Düsseldorf, Beschluss vom 18.07.2024 - 7 L 1825/24.A - juris Rn 20 f. und Beschluss vom 21.08.2024 -14 L 2208/24.A - juris Rn. 14 f. m.w.N. aus der Rechtsprechung und Literatur; VG Hannover, Beschluss vom 13. Juni 2024 - 10 B 1953/24 - juris Rn. 25 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 16. April 2024 - 31 L 670/23 A - juris Rn. 60.
22Das Gericht kann diese Frage offen lassen, da nach beiden Auffassungen eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG rechtlicher Prüfung nicht standhält.
23Die Antragsgegnerin hat ihre Einschätzung, die Antragsteller hätten im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), damit begründet, die Fluchtgründe des Ehemannes der Antragstellerin zu 1 bzw. des Vaters der Antragsteller zu 2, 3 und 4 seien für den Antrag der Antragstellerin zu 1 und ihrer Kinder, den Antragstellern zu 2, 3 und 4, für die Prüfung des Asylantrages nicht von Belang und weitere Fluchtgründe seien nicht vorgetragen.
24Dies trägt die Annahme der Belanglosigkeit der vorgetragenen Umstände i.S.d. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nicht.
25Die Antragstellerin zu 1 hat in ihrer Anhörung geltend gemacht, es seien immer wieder Soldaten zu ihnen nach Hause auf der Suche nach ihrem Ehemann gekommen, selbst als sie umgezogen sei und sich „auf dem Papier“ habe scheiden lassen.
26Dies sind weder „asylfremde“ Gründe, noch drängt sich bei diesem Vorbringen eine Ablehnung des Antrags geradezu auf.
27Der Asylantrag des Ehemannes der Antragstellerin zu 1 bzw. des Vaters der Antragsteller zu 2, 3 und 4 ist nicht bestandskräftig abgelehnt, sondern im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Aachen.
28Vor diesem Hintergrund ist zunächst offen, ob jedenfalls den Antragstellern zu 2, 3 und 4 Familienasyl nach § 26 Abs. 2 AsylG zuzuerkennen ist, sodass die Erlangung eines internationalen Schutzes seitens der Antragsteller zu 2, 3 und 4 nicht unter jedem Blickwinkel offensichtlich ausgeschlossen ist und damit durchaus Umstände vorliegen, die für die Gewährung eines internationalen (Familien-)Schutzes von „Belang“ sind.
29Denn weitere Voraussetzung für einen Offensichtlichkeitsausspruch nach § 30 AsylG ist, dass auch ein Anspruch gemäß § 26 AsylG offensichtlich für die Antragsteller nicht in Betracht kommen darf. Nur wenn Familienasyl und internationaler Schutz für Familienangehörige ebenfalls ohne Weiteres versagt werden müssten, ist der Asylantrag insgesamt aussichtslos. Leitet ein Minderjähriger sein Verfolgungsschicksal von demjenigen der Eltern ab, ist eine Ablehnung als offensichtlich unbegründet erst möglich, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag der stammberechtigten Eltern ebenfalls überprüft und ebenfalls als offensichtlich unbegründet vollziehbar oder unanfechtbar abgelehnt hat bzw. wenn eine ablehnende Entscheidung der Stammberechtigten bestandskräftig ist. Entscheidet das Bundesamt über den Asylantrag in der qualifizierten Form des § 30 AsylG, bevor eine unanfechtbare negative Entscheidung über das Begehren der Stammberechtigten getroffen ist bzw. bevor eine vollziehbare qualifizierte Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch gegenüber den Stammberechtigten gefallen ist, ist eine Entscheidung insoweit allein deshalb rechtswidrig.
30Vgl. auch VG Würzburg, Beschluss vom 14.08.2024 - W 8 S 24.31336 - juris Rn 22.
31Soweit die Gegenauffassung damit argumentiert, dass die Berücksichtigung familiärer Belange voraussetze, dass die Stammberechtigten über ein gesichertes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland verfügten und eine Aufenthaltsgestattung nicht ausreiche, bzw. darauf verweist, dass § 26 AsylG eine unanfechtbare Schutzgewährung des/der Stammberechtigten voraussetze und diese wie hier offensichtlich zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorliege,
32vgl. VG Berlin, Beschluss vom 24.6.2024 - 12 L 308/24 A - juris Rn. 17 und 21,
33überzeugt dies nicht.
34Denn zum einen ist im Lichte der europarechtlichen und auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben der Sachverhalt umfassend zu erforschen; dazu gehört auch Schutzmöglichkeiten unter Berücksichtigung des § 26 AsylG in Betracht zu ziehen.
35Zum anderen ist das Asylbegehren eines Minderjährigen schon begrifflich nicht offensichtlich unbegründet, solange die Zuerkennung eines Schutzstatus noch in Betracht kommt. Der Sinn und Zweck des Familienasyls sowie die Belange des Kindes sprechen für die vorliegend getroffene Auslegung. Denn andernfalls wäre ein minderjähriger Antragsteller allein für sich ausreisepflichtig und könnte theoretisch abgeschoben werden, obwohl für seine Eltern noch Monate bzw. bei Durchlaufen des Instanzenzugs Jahre ins Land gehen könnten, bevor diese ausreisepflichtig würden.
36Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 14.08.2024 - W 8 S 24.31336 - juris Rn 22 m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 26.01.2024 - 6a L 90/24.A - juris Rn. 8 ff.; VG Minden, Beschluss vom 30.10.2023 - 2 L 930/23.A - juris Rn. 71 ff.
37Auch hinsichtlich der Antragstellerin zu 1 ist eine Gewährung von Familienasyl nicht offensichtlich ausgeschlossen. Es ist zunächst die Frage zu klären, ob sie rechtskräftig von ihrem Ehemann geschieden ist, um der Frage nachzugehen, ob auch sie möglicherweise einen Anspruch auf Familienasyl nach § 26 Abs. 1 Satz 1 AsylG hat. Scheidungspapiere sind bisher weder im Verfahren der Antragstellerin zu 1 noch in dem Verfahren des Ehemannes der Antragstellerin vorgelegt worden. Was genau die Antragstellerin zu 1 mit ihrer Aussage, sie sei „auf dem Papier“ geschieden meinte, hat die Antragsgegnerin nicht weiter aufgeklärt.
38Darüber hinaus steht auch ein eigener Asylanspruch jedenfalls der Antragstellerin zu 1 im Raum, da eine Art „Sippenhaft“ bei der von ihrem Ehemann vorgetragenen Verurteilung wegen politischer Aktivitäten für die HDP jedenfalls nicht unter allen Gesichtspunkten undenkbar ist, sondern in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt und in Einzelfällen auch angenommen worden ist.
39Ungeachtet der Frage, ob das Gericht die Begründung der Antragsgegnerin auswechseln könnte,
40vgl. etwa VG Minden, Beschluss vom 30. Oktober 2023 - 2 L 930/23.A - juris Rn. 18 m.w.N.,
41liegen auch die Voraussetzungen einer anderen Vorschrift, die eine offensichtliche Unbegründetheit rechtfertigte, nicht vor.
42Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
43Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).