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Die aufschiebende Wirkung der gegen die Ziffer 5 Sätze 1 bis 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.10.2024 erhobene Klage zum Aktenzeichen 12 K 7029/24.A wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das keine Gerichtskosten erhoben werden.
Gründe
2Der nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und §§ 75 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 1, Abs. 3 Sätze 1, 4 und 5, Abs. 4 Satz 1 und 30 AsylG statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen Ziffer 5 Sätze 1 bis 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 17.10.2024 gerichteten Klage (12 K 7029/24.A) ist mit der gesetzlichen Folge des § 37 Abs. 2 AsylG begründet.
3Gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Das ist hier der Fall, weil die in Ziffer 5 Sätze 1 bis 3 des angefochtenen Bescheids des Bundesamts gemäß § 36 Abs. 1 AsylG angedrohte Abschiebung innerhalb einer Woche mangels der vom Bundesamt laut den Ziffern 1 bis 3 seines angefochtenen Bescheids angenommenen offensichtlichen Unbegründetheit rechtswidrig ist.
4Soweit das Bundesamt in der Begründung des angefochtenen Bescheids ausführt, die Antragstellerin habe ein offensichtlich gefälschtes Beweismittel eingereicht, um ihre Furcht vor Verfolgung zu begründen, und es bestünden in der Gesamtbetrachtung erhebliche Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit, da sie ihren Vortrag durch offensichtliche Falschangaben und manipulierte Beweismittel gestützt habe, kann das Bundesamt damit nach der aktuellen Gesetzeslage nicht durchdringen. Offensichtlich gefälschte Beweismittel als solche reichen nicht für das Verdikt der offensichtlichen Unbegründetheit aus, weil – im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG a.F. – nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG n.F. falsche Dokumente nur solche sind, die geeignet sind, über die Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylbewerbers offensichtlich zu täuschen. Dazu gehört eine gerichtliche Vorladung, die das Bundesamt hier als gefälscht bezeichnet hat, indes nicht. Ebenso wenig reicht nach § 30 AsylG n.F. eine zusammenfassende Gesamtwürdigung des Vortrags des Asylbewerbers als offensichtlich unbegründet, wie es nach § 30 Abs. 1 AsylG a.F. möglich war.
5Soweit das Bundesamt sich im Übrigen auf die offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags der Antragstellerin beruft, geht (lediglich) aus der Begründung zu Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids (bezüglich der Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes) auf Seite 6 Abs. 7 des angefochtenen Bescheids hervor, dass das Bundesamt sich auf § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG stützt. Insoweit gibt es allerdings nicht an, welche Variante dieser Vorschrift nach seiner Auffassung erfüllt ist. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn eindeutig unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben gemacht worden sind, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen, sodass die Begründung für den Asylantrag offensichtlich nicht überzeugend ist. (Nur) aus dem Gesamtzusammenhang des angefochtenen Bescheids geht hervor, dass das Bundesamt sich auf eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben gestützt hat. Denn die vom Bundesamt bemängelten Angaben der Antragstellerin sind in sich nicht unstimmig und widersprüchlich. Dagegen kommen die Ziffern 1 und 3 bis 9 des § 30 Abs. 1 AsylG n.F. hier ersichtlich nicht in Betracht.
6Selbst zugunsten des Bundesamts unterstellt, dass
7die lediglich beiläufige Erwähnung des § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG,
die Erforderlichkeit, lediglich aus dem Zusammenhang zu schließen, dass es sich insoweit allein auf die Bewertung der Angaben der Antragstellerin als eindeutig falsch oder offensichtlich unwahrscheinlich und im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehend gestützt hat, und
die Entscheidung zwischen den beiden zuletzt genannten Varianten fehlt,
jeweils rechtlich unschädlich ist, kann diese Offensichtlichkeits-Entscheidung keinen Bestand haben.
12Offensichtlich unwahrscheinliche Angaben müssen so gravierend sein, dass das Bundesamt im Rahmen der von § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG n.F. geforderten Bewertung zu dem Schluss kommt, dass die Begründung für den Asylantrag im Ergebnis offensichtlich nicht überzeugend ist. Gilt insoweit für die obergerichtliche Rechtsprechung, dass dafür im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt, kann für die Entscheidung des Bundesamts kein anderer Maßstab gelten. Angesichts der einschneidenden Rechtsfolgen kann eine solche Evidenzentscheidung nur dann getroffen werden, wenn die entsprechende Wertung auf der Hand liegt. Dies erfordert eine wertende Einschätzung der Defizite des Vorbringens. Betroffen sein muss der Kern des Vortrags des Asylbewerbers. Sein Vorbringen muss die Unwahrscheinlichkeit für jeden mit den maßgeblichen Verhältnissen vertrauten Beobachter erkennbar „auf der Stirn tragen“. Wegen der einschneidenden Folgen des Verdikts der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrags für den Asylantragsteller muss das den Asylantrag insgesamt und deshalb den gesamten Kernvortrag des Asylbewerbers betreffen. Danach genügt es nicht, dass nur einzelne der Sachangaben des Asylbewerbers nicht besonders wahrscheinlich erscheinen. Stützt der Asylbewerber sein Vorbringen auf mehrere selbstständige Verfolgungsgründe, müssen diese vielmehr sämtlich in einer der in § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG n.F. genannten Formen bemakelt sein, damit der Asylantrag insgesamt auf der Grundlage dieser Vorschrift als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden kann.
13Vgl. Heusch in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 42. Edition (Stand: 01.07.2024), § 30 AsylG Rn. 22-24 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung.
14Nach diesem Maßstab reicht es nicht, dass das Bundesamt von eindeutig falschen oder offensichtlich unwahrscheinlichen Angaben hinsichtlich der von der Antragstellerin vorgelegten iranischen Gerichts-Vorladung ausgeht. Insoweit braucht hier nicht entschieden zu werden, ob insoweit diese Wertung des Bundesamts zutrifft.
15Entgegen der Erläuterung des Bundesamts im angefochtenen Bescheid, die Antragstellerin begründe ihre Furcht vor Verfolgung ausschließlich mit einer angeblichen Ladung des Strafgerichts Teheran, hat sie ihren Asylantrag nämlich durch ihre weiteren Angaben zu einem zeitlich davor liegenden Geschehen auch auf andere Gründe gestützt. Sie hat insoweit angegeben, im Jahr 2019 sei es im Zuge von Benzinpreiserhöhungen im Iran zu schweren Demonstrationen und Protesten gekommen; viele Demonstranten seien dabei getötet worden; sie selbst habe Angst gehabt, erneut verhaftet zu werden, habe aber dennoch Bilder und Videos von diesen Demonstrationen gemacht; am 18.11.2019 sei es zu Auseinandersetzungen in der Teheraner Ferdowsi-Straße gekommen; sie habe Bilder gemacht, als zwei möglicherweise den Basidj zugehörenden Motorradfahrer in die Menschenmenge gefahren seien; dabei habe sie ihren Rucksack mit allen Gegenständen darin, darunter ihre nationale ID-Karte, verloren; sie sei sodann über den Flughafen Imam Khomeini nach Deutschland geflogen.
16Auch wenn die Antragstellerin bis zu ihrer Ausreise – sogar über den Teheraner Flughafen Imam Khomeini – nicht persönlich bedroht worden war, kann ihrem (neben der Berufung auf eine Vorladung stehenden) Vortrag zu dem Fotografieren der Auseinandersetzungen im Jahr 2019, dem Eingreifen von zwei Fahrern, die den Basidj angehört haben können, und dem Verlust der Identitätskarte – gerade im Lichte der schweren Unruhen im Iran nach dem Tod von Mahsa Amini im September 2022 und der Reaktionen des iranischen Regimes – nicht offenbar die Relevanz für ihren Asylantrag abgesprochen werden.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).